Meetings mit Folgen von NoUseForAName ================================================================================ Kapitel 4: Erste Zugeständnisse ------------------------------- "Hey, hättest du am Wochenende Zeit und Lust, mal wieder bowlen zu gehen?" fragte Die Kaoru am nächsten Freitag. Es war schon nach 19 Uhr, aber Kaoru dachte nicht daran, schon Feierabend zu machen. "Mal schauen..." entgegnete Kaoru und legte nachdenklich die Stirn in Falten. "Ich würd mich echt freuen. Außerdem spielst du gar nicht so schlecht, wie du meinst." Kaoru nickte kurz. "Meinst du-" "Ja?" "Der Vorsprung hier... Ist der nicht zu klobig?" fragte Kao und deutete auf die Zeichnung vor sich. Mit einem Seufzer betrachtete Die die Zeichnung. "Der Kunde möchte es so klobig und groß. Er hat's nicht so mit verspielten Formen." "Verspielte Formen, hu? Darunter versteh ich was anderes..." "Deshalb bist du ja auch der Architekt für dieses Projekt." strahlte Die und verschränkte die Arme vor der Brust. "Irgendjemand muss ihm ja zeigen, wie man ein großes Gebäude schön aussehen lässt." "Oh ja und dafür ist ein Studienabgänger natürlich genau der Richtige..." "Kaoru?" "Hm?" "Deine Arbeiten sind wundervoll, perfekt. Außerdem bist du, so wie ich, noch frisch in diesem Geschäft, unverbraucht. Dass ist es doch, was die Kunden wollen." "Aber auf verspielte Formen kann er verzichten, oder wie?" Jetzt dämmerte es Die. Ja, es war ein Widerspruch in sich. "Na, was weiß ich. Solange es ihm gefällt, gibt's doch kein Problem." "Wenn du das sagst..." "Komm schon, Kaoru, mach Schluss für heute und komm mit mir mit 'ne Kleinigkeit trinken." "Heute nicht." "Und bowlen?" "Ich überleg's mir." "Sugoi." "Wolltest du mir nicht eigentlich hierbei helfen?" "Tu ich doch." Kaoru wollte gerade sagen: "Das einzige was du tust, ist mich mit Blicken zu durchbohren." Aber er hielt sich zurück. Dann fiel sein Blick auf die Uhr. "Mist, ich muss los." "Hast du 'ne Verabredung?" "So in etwa." Obwohl Die's Herz bis in seine Füße gefallen war, hielt er sein Lachen aufrecht und fragte: "Und? Wer ist die glückliche?" "Keine Frau, Die." "Nicht? Etwa ein Mann?" "Ja. Mein bester Freund Tomohisa und ich haben eine Verabredung." "Verstehe." "Und du? Du hast doch sicherlich auch ein Privatleben, oder nicht?" wollte Kaoru wissen während er schon mal die Utensilien wegräumte. "Na ja, ein bisschen." Mit Grauen dachte Die daran, wie wütend Shinya derzeit auf ihn war. Nein, er hatte 'die Sache' mit Kaoru nicht herausgefunden. Es war nur das alte Thema 'Die hat für mich keine Zeit mehr'. Was das betraf war Shinya wirklich schlimmer als jede Frau, mit der Die bisher ausgegangen war. Und genau deshalb fand Die immer häufiger Ausreden, wenn Shinya ihn nach seiner Abendplanung fragte. "Sorry, ich muss arbeiten." "Heute ist noch ein wichtiges Meeting, danach Abendessen mit dem Kunden, gomen ne." Solche Sachen sagte er mittlerweile fast automatisch. Und ganz ehrlich: Es passte ihm überhaupt nicht in den Kram, dass Shinya sich derart an ihn klammerte. Es gab doch soooo viele junge, attraktive Männer in Tokyo, die genauso gepolt waren wie er, warum konnte Shinya sich also nicht einfach einen von denen nehmen und Die in Ruhe lassen? "Außerdem ist heute Freitag, Die, und du bist ein Mann im besten Alter. Geh raus, amüsier dich und hab Spaß." sagte Kaoru, nachdem Die eine Weile kein Wort mehr über die Lippen gekommen war. "Klasse Tipp, danke Kaoru." griente Die, verzog im nächsten Moment das Gesicht zu einer traurigen Grimasse. "Daraus wird aber nichts, denke ich. Bei mir ist diese Woche eine ganze Menge Arbeit liegengeblieben." Kaoru zog die Stirn in Falten. Natürlich durchschaute er Die's Spiel. Und er ging darauf ein. Wie er schon festgestellt hatte, verbrachte auch er gern Zeit mit seinem Chef, auch wenn dieser ihm nach den anfänglichen 'Erkenntnissen', was seine Zuneigung zu Männern anging, nicht ganz geheuer gewesen ist. "Na ja, wenn du möchtest, kannst du mit mir mitkommen. Dann kommen wir morgen zusammen noch mal her und arbeiten das ab, was bei dir liegengeblieben ist. Ist das ein Angebot?" "Hm... Eigentlich schon. Aber... willst du deine Stunden morgen dann ausbezahlt haben? Oder reicht dir ein kleiner Obolus?" "Schwachkopf! Ich sag das nicht des Geldes wegen, sondern weil ich dir helfen möchte! Komm jetzt, Tomohisa hat's nicht gern, wenn man sich verspätet." lachte Kaoru und zerrte Die am rechten Ärmel hinter sich her. Natürlich staunte Yamapi nicht schlecht, als Kaoru zusammen mit seinem Chef am vereinbarten Treffpunkt aufkreuzte. Aber Die hielt sich zuerst diskret im Hintergrund, nickte ab und an und lauschte gespannt, was die zwei besten Freunde sich alles zu erzählen hatten. Natürlich genoss er es auch, in Kaoru's Nähe zu sein. Das war nämlich auch der Grund, dass bei ihm so viel Arbeit übrig war: Er hatte die meiste Zeit der vergangenen Woche in Kaoru's Büro verbracht und mit ihm zusammen an den Zeichnungen gearbeitet, statt seine eigenen Sachen zu erledigen. "Und was machst du beruflich, Tomohisa-san?" fragte Die zu fortgeschrittener Stunde. "Oh, ich bin derzeit auf Jobsuche. Ich habe zusammen mit Kao studiert, das gleiche Fach, aber eine Note schlechter abgeschlossen. Jemanden wie mich nimmt natürlich keiner." Kaoru schüttelte den Kopf. "Du hast auch erst drei oder vier Bewerbungen geschrieben. Da wundert mich das überhaupt nicht." "Dann ist es für dich vielleicht schön zu hören, dass wir in unserer Firma eine weitere Architekten-Stelle zu vergeben haben?" "Was?" fragte Yamapi und blinzelte Die mehr als einfach nur ungläubig an. "Ja, hat sich erst heute entschieden. Komm doch einfach Montag gegen 10 Uhr vorbei, bring deinen Lebenslauf und den ganzen Kram mit. Ich werde auch ein gutes Wort für dich bei meinem Vater einlegen." "Echt? Das wäre natürlich die Chance." "Wenn Kaoru eher mal gesagt hätte, dass er mit einem anderen, arbeitslosen Architekten befreundet ist, dann hätte ich natürlich auch eher was gesagt." lachte Die. "Ich konnte ja nicht wissen, dass noch eine Stelle frei ist." verteidigte Kaoru sich. "Wie dem auch sei, das muss gefeiert werden!" sagte Yamapi, winkte die Bedienung an den Tisch und bestellte noch mal ein Glas Bier für jeden. So war Yamapi auch der erste, der relativ schnell, relativ betrunken war. "Ich glaub *hicks* ich fahr nach Hause... Ruft mir wer ein Taxi?" "Ich kann dich auch nach Hause fahren." bot Die an. "Oh, danke aber ich verzichte. Ich ruf mir einfach ein Taxi. Wird schon schief gehen." grinste Tomohisa und rappelte sich mühsam von seinem Stuhl auf, legte dann Geld für seine Getränke auf den Tisch. "Hier... Das müsste so stimmen. Man sieht sich!" "Ich ruf dich morgen mal an, Yamapi!" rief Kaoru dem betrunkenen noch hinterher. Die strahlte sein Gegenüber fröhlich an, er hatte sichtlich Spaß an der Situation, die jetzt eingetreten war: Er und Kaoru alleine, endlich. "Wo hast du eigentlich studiert, Die?" "In Amerika." "In Amerika?" "Hai." "Ich hab mich schon gewundert, dass ich dich auf der Uni nie gesehen habe, wir haben ja immerhin das gleiche studiert und gleichzeitig abgeschlossen." "Mein Vater war dafür, dass ich in Amerika studiere um noch mehr ungewöhnliche Einflüsse in die Firma einzubringen." "Und hat's geholfen?" "Na ja, Architektur ist Architektur. Der einzige Unterschied war halt, dass ich alles auf Englisch lernen musste." zuckte Die die Schultern. Wie abgemacht trafen sich Die und Kaoru am nächsten Tag um elf im Büro. Kaoru war gerade damit beschäftigt Kaffee zu kochen, als Die kam. "Entschuldige bitte die Verspätung, ich hab im Stau gestanden." sagte Die, er machte einen abgehetzten, unausgeschlafenen Eindruck. Kaoru lächelte nur, gab ihm dann eine Tasse Kaffee. "Hier. Ich glaube, den brauchst du." "Danke." "Bist du gestern etwa doch noch um die Häuser gezogen, als ich schon weg war?" "Ein bisschen." "Sieht nicht nach 'ein bisschen' aus, um ehrlich zu sein." "Na ja, ich habe zufällig noch ein paar Leute getroffen, die ich von früher kenne, da ist es halt ein bisschen später geworden." Die's Handy klingelte. Ohne auf die Nummer des Anrufers zu achten, nahm er den Anruf entgegen. "Moshi moshi!" "Die, ich bin's, Shinya. Wo bist du?" "Im Büro." "Schon wieder?" "Ja. Ich habe dir doch gesagt, dass viel zu tun ist." "Bist du alleine dort?" "Nein. Niikura-san ist auch noch hier." "Schau an..." "Was soll das heißen?" "Ich dreh durch, wenn ich diesen Namen noch einmal höre!" Kaoru tat derweil so, als wäre nichts, als bekäme er nicht mit, dass die Person am anderen Ende der Leitung Stress machte. "Ich kann's nun mal nicht ändern. Okay? Ich lege jetzt auf." "Sag mir doch einfach ehrlich, was da läuft, zwischen Niikura-san und dir!" "Nichts, verdammt. Tschüss!" Mittlerweile war Die's Kopf rot vor Wut. "So, wollen wir dann?" Kaoru nickte nur, dackelte dann hinter Die her. In Die’s Büro angekommen, wurden die zwei von einem riesigen Chaos begrüßt: Überall lagen Zeichnungen, Briefe, Faxe, dazwischen Kaffeetassen und dergleichen mehr. "Au weia... Das bedeutet wirklich eine Menge Arbeit...“ seufzte Kaoru. "Gomen.“ sagte Die mit einem entschuldigenden Lächeln. "Vielleicht solltest du erst mal eine Putzkolonne hier durchschicken, Die." Plötzlich rappelte und schepperte es draußen im Flur. Kaoru steckte seinen Kopf durch die Tür und sah Kyo, wie er eine schwere Leiter durch die Gegend schleppte. "Ohaiyo Kyo-kun. Was treibt dich hierher? Und warum schleppst du die Leiter mit dir herum?“ "Schönen guten Morgen.“ entgegnete Kyo mit einem Lächeln. "Ich wollte im Archiv aufräumen, bin aber gestern nicht mehr dazu gekommen. Also komme ich heute her, am Wochenende, und erledige das.“ Jetzt kam auch Die zur Tür. "Hast du einen Schlüssel?“ "Was? Nein, der Hausmeister hat mich reingelassen.“ "Okay.“ nickte Die und ging zurück zu seinem Schreibtisch. "Also, man sieht sich.“ keuchte Kyo, schulterte die Leiter und schepperte den Gang entlang. "Sollte ihm nicht jemand mit der Leiter helfen?“ wollte Kaoru wissen. "Mein lieber Kollege, wenn du so weitermachst und allen helfen möchtest, dann wird deine Gutmütigkeit bald ausgenutzt werden. Außerdem ist er eine Aushilfskraft und du bist der diplomierte Architekt. Es gibt Grenzen, die gewahrt werden müssen.“ "Okay, war nur eine Frage...“ Kaoru wunderte sich über Die’s Ton. Sonst war er immer freundlich gewesen, aber plötzlich klang er richtig böse, so als wollte er, dass Kyo sich mit der Leiter abmühte und sich wahrscheinlich noch den Rücken kaputt machte. "Hab ich bis jetzt auch nicht gekannt, dass Aushilfen ihre Samstage in der Firma verbringen." "Hast ihn doch gehört, Kaoru, er macht das freiwillig. Es hat ihn keiner gezwungen, heute herzukommen." erwiderte Die ein wenig kaltschnäuzig. Etwa drei Stunden später war ein Großteil erledigt und die beiden machten sich auf den Weg zum Gebäudeausgang. Kaoru's Handy klingelte. "Moshi moshi!" "Niikura-san desu ka?" fragte eine weibliche Stimme. "Hai." "Sugoi. Ich habe deine Telefonnummer von deiner Mutter, falls du dich wunderst." "Kagura?" "Genau." "Da wundere ich mich allerdings." Kaoru war mehr als einfach überrascht. Ihre Stimme klang so angenehm, ihm liefen wohlige Schauer über den Rücken. "Bist du schon in Tokyo?" "Ja, seit Mitte der Woche." "Schön." "Und ich... Na ja, ich wollte fragen, ob du vielleicht heute ein bisschen Zeit hättest? Wir könnten über alte Zeiten quatschen und so. Wir haben uns ja doch eine Weile nicht gesehen." "Eine Weile ist gut. Fast elf Jahre." Derweil sah Die ihn komisch von der Seite an. Kaoru's zufriedener Gesichtsausdruck passte ihm ganz und gar nicht. Kurzentschlossen entschuldigte Kaoru sich eine Sekunde bei Kagura und hielt seine Hand über sein Keitai. "Sorry, Die. Das ist quasi ein wichtiges Gespräch, wenn du verstehst." lächelte er, winkte noch kurz und machte sich von dannen, in die andere Richtung, in die Die gehen musste. -Na super...- dachte Die, zog die Stirn in Falten und ging mit hängenden Schultern zu seinem Auto. "Wenn du möchtest, können wir uns gleich treffen. Ich hab Zeit. Ich kann ich ja zum Mittagessen einladen. Wie wäre das?" fragte Kaoru und fischte im Gehen seine Zigaretten aus seiner Jackentasche. "Klasse Idee. Mein Herd ist noch nicht angeschlossen und ich kann mir nichts zu essen machen." entgegnete Kagura sofort. Kaoru erkannte an ihrer Stimme, dass sie offensichtlich strahlte vor Freude. Nur eine dreiviertel Stunde später trafen Kaoru und Kagura sich also nach über zehn Jahren wieder. Und Kaoru ist fast die Kinnlade runtergegangen, als er sie gesehen hat. Kagura war in seinen Augen nie hässlich gewesen, aber ein schöner Schwan war sie nicht, zu Grundschulzeiten. Das hatte sich mittlerweile allerdings deutlich geändert: Kagura war etwa 1,65 m groß, gertenschlank und wunderschön. Ihre Haut war milchig-weiß, fast durchsichtig, wie eine Porzellanpuppe sah sie aus. "Ich freu mich wirklich, dich mal wiederzusehen." sagte sie zur Begrüßung und verbeugte sich leicht. "Na, und ich erst..." Kaoru war völlig baff. "Komm, ich sterbe vor Hunger." lächelte Kagura und deutete auf das gemütliche italienische Restaurant auf der anderen Straßenseite. Während des Essens wurde also über alte Zeiten geredet, Sachen, die in der Grundschule passiert waren, Dinge, die danach passiert sind. Dazu muss angemerkt werden, dass Kaoru, Kagura und Yamapi damals eine 'Clique' bildeten und alles gemeinsam gemacht haben. Nach der Grundschule sind Kagura's Eltern mit ihr in einen anderen Stadtteil gezogen, sie musste auf eine andere Schule gehen und der Kontakt riss immer mehr ab, bis schließlich nichts mehr davon übrig gewesen ist. "Hast du denn sonst noch Kontakt zu Leuten aus der Grundschule?" fragte Kagura irgendwann. "Oh, Yamapi und ich sind noch immer beste Freunde." "Wirklich? Würde mich ja auch interessieren, was aus ihm geworden ist." "Das gleiche, wie aus mir." "Tatsächlich?" Kaoru nickte und lächelte sein hübsches Gegenüber an. "Ganz ehrlich, ich hätte nicht gedacht, dass wir uns noch mal wiedersehen würden." "Und dann auch noch von deiner Mutter vermittelt." lachte Kagura. Er nickte. "Eigentlich eine fast paradoxe Vorstellung..." (Anm. d. A.: Nicht vergessen: Der Mann hat studiert, der kennt solche Wörter ^__^) Kagura legte den Kopf leicht schief. "Ich freu mich trotzdem. Ich meine, wie groß ist denn die Wahrscheinlichkeit, dass man jemanden in Japan überhaupt jemals wiedertrifft? Da kann man doch beinahe von Schicksal sprechen, dass ich deine Mutter getroffen habe." "Glaub mir, solche Schicksalsfügungen mag ich." "Wie wär's, wenn wir noch ein Stück spazieren gehen?" "Gern." nickte Kaoru und winkte die Bedienung an den Tisch um die Rechnung zu bezahlen. Ehrlich gesagt hatte er Mühe, sein schockiertes Gesicht zu verbergen, als er sah, wie hoch die Rechnung tatsächlich war. -Das bedeutet, die nächste Woche wohl nur Futter aus der Dose...- "Ich hoffe ja, dass Montag endlich der Elektriker kommt um meinen Herd anzuschließen. Dann revanchier ich mich natürlich gerne mit einem selbstgekochten Abendessen bei dir, Kaoru. Vorausgesetzt du möchtest das." "Sicher doch, klar." erwiderte er nervös. "Wo wohnst du denn?" "Kennst du das Asaka-Building?" Jetzt bekam Kaoru doch noch Telleraugen. "Da wohnst du? Wie bezahlst du denn die Miete?" "Na ja, ich wohne in dem Gebäude rechts von Asaka-Building." "Und wie bezahlst du da die Miete? Das ist dort doch sicher auch schweineteuer." "Das sind Apartments, die von der Klinikleitung gestellt werden. Weißt doch, junge Assistenzärzte verdienen zwar fast nichts, aber ich hab echt Glück gehabt." lächelte sie augenzwinkernd. In den folgenden zwei Stunden spazierten Kaoru und Kagura also durch die brüllende Hitze. Gegen 18 Uhr brachte er sie nach Hause. "Also... Ich fand's echt nett. Ich meine, den ganzen Nachmittag, das Essen und alles. Wir können das also gerne wiederholen." "Hai. Ich könnte Yamapi auch Bescheid sagen, der würde sich sicher auch freuen, dich mal wiederzusehen." Diese Abmachung sollte schon am darauffolgenden Dienstag eingehalten werden. Gerade als Yamapi seinen Einstand in der Andou-Corporation feiern konnte, wurden er und Kaoru zum Abendessen bei Kagura eingeladen. Ganz plötzlich, als sie ihre Apartmenttür öffnete, machte es 'bumm', zwischen ihr und Yamapi funkte es sofort. Es funkte so heftig, dass Kaoru direkt nach dem Abendessen 'baibai' sagte und gegangen ist. Einerseits tat ihm das irgendwie leid, andererseits war er sich aber auch sicher, dass Kagura nicht der Typ Frau war, mit der er auf Dauer glücklich hätte werden können. Sie war für seinen Geschmack etwas zu lebhaft, passte daher eher zu Tomohisa, denn dieser lebte eigentlich nur, um Spaß zu haben. Und wie er so neben dem Asaka-Building stand kam ihm die Idee, auf einen Sprung bei Die vorbeizuschauen. "Hab ich dich geweckt?" fragte Kaoru grinsend als Die ihm mit einem ziemlich verschlafenen Blick die Tür geöffnet hatte. "Nein, keine Panik. Was treibt dich her? Ich dachte, du hättest ein Date?" "Na ja, es ist ein wenig anders gelaufen, als ich es gedacht hatte." "Komm rein, komm rein." sagte Die und zog die Tür weiter auf. "Möchtest du was trinken? Wasser, Cola, Bier, Saft?" "Ein Glas Wasser wäre nett, danke." nickte der violetthaarige. "Geh schon mal ins Wohnzimmer vor, kennst ja den Weg." Auf dem Tisch im Wohnzimmer lagen ein paar Zeichnungen. "Nimmst du jetzt schon Arbeit mit nach Hause?" fragte Kao, als Die zu ihm ins Wohnzimmer gekommen war und ihm sein Wasserglas gegeben hatte. "Muss ich doch, als Juniorchef. Oder hattest du was anderes erwartet?" "Soll ich ehrlich sein?" "Bitte." "Ja, ich hatte was anderes erwartet. Immerhin wirkt es manchmal so, als wäre dir der ganze Trubel in der Firma sowieso über." "Manchmal, ja. Weißt du, es ist einfach eine ganze Menge Arbeit. Mein Vater erwartet natürlich von mir, dass ich immer erstklassige Arbeiten abliefere, selbst wenn ich manchmal den Wald vor lauter Bäumen nicht sehe... Es gibt oft genug Situationen, in denen ich einfach alles hinschmeißen will." sagte Die mit traurigem Blick. "Aber das ist nun mal mein Schicksal. Wäre mein Vater Fischer, würde ich sicherlich auch Fischer werden, wäre mein Vater Brotverkäufer, wäre ich sicher auch einer. Wir sind halt eine ziemlich... ziemlich klassische Familie, wenn ich das so sagen darf. Meine Mutter war für die Kinder und den Haushalt zuständig, mein Vater hat das Geld nach Hause gebracht, die klassische Rollenverteilung also. Das war in Mie so und hier in Tokyo ist es immer noch so, auch wenn die Kinder mittlerweile alle aus dem Haus raus sind. Was meinst du denn, wie viele Freiheiten ich während meines Studiums hatte? Das waren knapp vier Jahre, in denen ich machen konnte, was ich wollte. Alle zwei Wochen haben meine Eltern angerufen, aber glaubst du, einer von denen wäre in diesen vier Jahren einmal bei mir vorbeigekommen? Nein, Fehlanzeige. Seit... Seit meine Mutter nicht mehr mit den Kindern beschäftigt ist, arbeitet sie von zu Hause in der Firma mit, kümmert sich manchmal am Wochenende um die Buchhaltung und diese Sachen. Meine Mutter ist eigentlich Diplom-Betriebswirtin, selbst ihr hat die Rolle als Hausfrau und Mutter manchmal gestunken. Dementsprechend sind die Andou-Kinder auch alle auf Erfolg getrimmt worden, von klein auf. Paukschulen, Nachhilfelehrer, die zu einem nach Hause gekommen sind, alle solche Sachen..." Erst jetzt bemerkte Die, dass er Kaoru gerade einen großen Teil seines Inneren zu Füßen gelegt hatte. Sein Kopf lief rot an und er starrte auf den Teppich. "Sorry... Ich wollte dich damit nicht belästigen..." "Schon okay. Manchmal hilft es ja, wenn man drüber spricht." schüttelte Kaoru den Kopf und lächelte Die aufmunternd an. "Was hättest du denn gerne gemacht, statt Architekt zu werden?" "Das klingt vielleicht bescheuert aber... ich wäre gern Musiker geworden. Ich habe sogar während meines Studiums regelmäßig Gitarrenunterricht genommen und in einer kleinen Band gespielt. Aber daraus ist natürlich nichts geworden, wie man jetzt sieht." "Hast du deinen Eltern denn nie von deinem eigentlich Traumjob erzählt?" "Wenn ich das getan hätte, dann hätten sie mich für verrückt erklärt, Kaoru. Sie meinen eh schon, dass ich... dass ich..." "Dass du was?" "Dass ich aus der Art schlage." "Doshite ka?" "Ein Beispiel... Bis vor kurzem haben meine Eltern jeden Chance genutzt, mich mit irgendwelchen Töchtern irgendwelcher Firmenbosse zu verkuppeln. Das war mir sehr zuwider..." "Ich versteh nicht so ganz..." log Kaoru. Natürlich wusste er, was Die sich nicht zu sagen traute. "Na ja, meine Eltern sind der Meinung, es ist absolut unnormal, wenn man als Mann nicht nur Frauen sondern auch... auch Männer mag." "Da bist du einer von vielen, wenn dich das beruhigt. Guck dir die Frauen von heute doch an, Die! Die meisten sind wirklich schrecklich, da ist es nicht verwunderlich, dass man sich mal nach was anderem umschaut." "Verstehe..." "Haben deine Eltern es denn jetzt aufgegeben?" Die nickte, blinzelte Kaoru dann einen Moment nachdenklich an. -Hab ich ihn jetzt richtig verstanden oder nicht?- "Wie dem auch sei. So oder so, die Sache mit der Partnerfindung ist wirklich nicht einfach." "Stimmt wohl." Nachdem er sich eine Zigarette angezündet hatte fing Die an zu lachen. "Da gibt's eine lustige Geschichte." "Lass hören." entgegnete Kaoru und tat es seinem Gastgeber gleich. "Vor einer Weile, vielleicht zwei oder drei Monate her, da hab ich jemanden getroffen. Getroffen ist eigentlich übertrieben, von weitem gesehen trifft es eher. Da hab ich erst gedacht 'wow, ich bin geheilt, dass da drüben ist wohl der heißeste Feger, der auf Gottes Erde wandelt'. Wie gesagt, hab ich das erst gedacht. Ein paar Tage später stellte sich heraus, dass es keine sie sondern ein er war, wenn auch ein sehr weiblicher er..." (Anm. d. A.: Nein, das ist keine Anspielung auf ein gewisses Gerücht, es passte nur gerade so gut in die Story...) "Hat 'er' auch 'nen Namen?" "Terachi Shinya." "Terachi Shinya?" "Kennst du ihn?" "Vom Hörensagen, ja. Hat auf der gleichen Uni studiert wie ich und auch im gleichen Studentenwohnheim gewohnt. Das hat ein ziemliches Durcheinander gegeben, damals. Jeder dachte, er wäre eine Frau. Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals mit ihm gesprochen zu haben, aber übersehen konnte man ihn ja nicht." "Das schlimme ist ja, dass Shinya schlimmer ist als jede Frau. Ich kenne keinen anderen Mann, der so sehr klammert." "Dann ist er vielleicht wirklich einer der wenigen, der einfach im falschen Körper geboren wurde." "Gut möglich." "Sag ihm doch einfach, dass du dir was anderes vorstellst, als er." "Geht nicht so einfach, Kaoru. Er ist sehr... sensibel, das trifft es am ehesten. Selbst wenn er das nicht zugeben würde, es ist so." "Ja aber meinst du denn nicht, dass du ihm noch mehr wehtust, wenn du ihm etwas vormachst?" "Was ist mit dir, Kaoru?" "Ich versteh die Frage nicht ganz..." "Hast du noch nie anderen etwas vorgemacht, weil du jemandem nicht wehtun wolltest?" "Bestimmt habe ich das, aber das spielt jetzt keine Rolle mehr." Die schüttelte leicht ungläubig den Kopf, nahm dann einen tiefen Zug von seiner Zigarette. "Geh mal auf den Balkon und sag mir was du siehst oder ob dir was auffällt." "Hö?" "Mach's einfach." Kaoru tat also wie ihm geheißen. Er brauchte einen Moment bis er begriff was komisch war: Die Sterne. Man sah sie nicht. Er hatte ehrlich gesagt länger nicht darauf geachtet, ob Sterne am Himmel zu sehen waren oder nicht, so war ihm gar nicht aufgefallen, dass er seit ca. 4 Jahren nicht mehr einen einzigen Stern gesehen hatte. Als er wieder im Wohnzimmer stand hatte er einen nachdenklichen Gesichtsausdruck. "Und?" fragte Die. "Nichts." "Wie 'nichts'?" "Außer rot und Licht von unten sieht man nichts..." antwortete Kaoru und drückte seine erst halb aufgerauchte Zigarette im bereitstehenden Aschenbecher aus. "Ist das ein Test?" "So was in der Art, ja. Ich hab mich nur gewundert, ob ich der einzige bin, dem so was auffällt, wenn du verstehst." "Ganz ehrlich: Ich hab vorher noch nie so genau darauf geachtet." "Schade, Kaoru, wirklich schade." Im nächsten Moment hatte Kaoru ein quietschgrünes Fragezeichen über dem Kopf. "Man verliert schnell den Blick für das wesentliche, Kaoru. Das wollte ich dir damit sagen. Wir denken über zu viele Ecken, machen alles komplizierter als nötig und... das muss doch nicht sein..." Kaoru dachte einen Moment darüber nach, schüttelte dann den Kopf. "Sorry, Die, aber für Grundsatzdiskussionen bin ich eindeutig zu müde. Ich mache mich jetzt auf den Heimweg. Okay?" "Okay. Ich bring dich natürlich noch zur Tür." "Oh, übrigens: Was hältst du davon, am Wochenende bowlen zu gehen? Oder Billard zur Abwechslung?" "Kannst du Billard spielen?" "Bis jetzt war ich beim Billard immer besser als beim bowlen." nickte Kaoru und fing an zu lachen. "Na ja, dann rechne schon mal mit einer Niederlage. Bis jetzt hat beim Billard noch niemand gegen mich gewonnen. Ich bin ein König am Queue." "Siehst du? Das ist der Unterschied zwischen dir und mir. Ich behaupte nicht von Anfang an, ich könnte alles. Dann ist das Überraschungsmoment größer." lachte Kaoru und zog seine Schuhe wieder an. "Also, wir sehen uns morgen. Schlaf gut." "Danke. Und du komm gut nach Hause. Wenn was passieren sollte, ruf an." "Was sollte denn passieren?" "Es laufen genug unheimliche Gestalten draußen rum, besonders um diese Uhrzeit. Kann ja sein, dass dir einer davon an die Wäsche will." "Keine Panik. Ich bin ein großer Junge und kann schon gut auf mich selbst aufpassen." sagte Kaoru und fing wieder an zu lachen. "War nur ein Tipp." griente Die und öffnete die Tür, ganz gentlemanlike. "Dann bis morgen." Kao nickte und schlüpfte durch die Tür. Gerade als Kaoru gegangen war, führte Die einen kleinen Freudentanz auf. Es hatte ganz den Anschein, als hätte er Kaoru's versteckte Anspielungen nicht falsch verstanden und was das beste war: Kaoru fand es nicht 'abstoßend', dass sich Die nun mal nicht nur von Frauen sondern auch von Männern magisch angezogen fühlte. Besser noch: Es machte ganz den Anschein, als ginge es Kaoru so wie ihm. Leider war Die jetzt so was von aufgedreht, dass er unmöglich schlafen konnte. Also rief er kurzerhand Shinya an, erklärte ihm sachlich die Situation, dass er sich in ihm getäuscht hätte und dachte es sei besser, wenn er und Shinya sich nicht mehr treffen würden. Vielleicht war er damit ein wenig voreilig gewesen, aber er dachte an Kaoru's Worte und wollte das unvermeidbare nicht unnötig lange hinauszögern. Das wäre Shinya gegenüber wirklich nicht fair gewesen. Und da Die noch immer total aufgekratzt war, setzte er sich wieder an seine Zeichnungen, überarbeitete sie, besserte Details aus. Schließlich war es schon weit nach vier Uhr in der Nacht, als er endlich ins Bett gegangen ist, dann aber völlig erschlagen. Nach nur etwa vier Stunden Schlaf klingelte Die's Wecker. Mit einem lauten Ächzen setzte er sich auf und blinzelte in die grelle Sonne. Sein Schlafzimmer hatte zu zwei Seiten Fenster, eins in Richtung Osten, das andere zum Süden hin, und die Sonne brannte schon jetzt, um acht Uhr morgens, erbarmungslos vom Himmel. Als ihm seine Unterhaltung mit Kaoru wieder einfiel, schlich sich sofort ein glückliches Lächeln auf sein Gesicht. -Das Leben ist doch schön, manchmal zumindest...- dachte er und stand auf. Mit der Zahnbürste im Mundwinkel stolperte er wenig später zurück ins Schlafzimmer und legte sich schon mal Sachen für seinen neuen Arbeitstag raus. Er beschloss, heute etwas legerer im Büro zu erscheinen. Eine Cargojeans, ein schlichtes weißes T-Shirt, Sneaker. Das sollte reichen. Immerhin waren heute keine Termine, nur Arbeit am Platz. Okay, Arbeit am Platz? Die würde wahrscheinlich so oder so die meiste Zeit des Tages wieder in Kaoru's Zimmer verbringen, mal bei Yamapi reinschauen, fragen wie's läuft und mit den übrigen Mitarbeitern zwischenmenschliche Beziehungen pflegen. Gegen Mittag schlug Die das erste Mal in Kaoru's Büro auf. "Hi. Na? Mittagessen? Ich lade dich ein, Kaoru." lächelte er. "Okay." Jetzt fiel Die auf, dass Kaoru etwas blass um die Nase wirkte. "Alles okay bei dir?" "Ja, ich hab nur zuviel Kaffee getrunken." Als die zwei aus dem Büro traten kam Yamapi ihnen entgegen. "Hey. Geht ihr Mittag machen?" Kaoru nickte. "Und du?" "Ich treff mich gleich mit Kagura." strahlte Yamapi. "Schön." "Ja, sie hat heute Nachtschicht und deswegen jetzt ein bisschen Zeit." "Grüß sie mal von mir. Man sieht sich nachher." sagte Kaoru, zwang sich ein Lächeln ab und winkte seinem besten Freund. Kaoru und Die gingen ein Stück die Straße runter zu einem indischen Restaurant. "Gehst du zum Mittagessen nie in die Kantine?" fragte Kaoru, als der Kellner schon die leeren Teller abräumte. "Selten. Nur wenn ich wenig Zeit hab. Sei doch mal ehrlich, Kaoru, das Essen in der Kantine schmeckt nicht." "Stimmt. Deswegen mach ich mir morgens immer ein Bento fertig oder kaufe mir auf dem Weg zur Arbeit eins." sagte Kaoru, trank dann einen Schluck seines Mineralwassers. "Du hast doch die Mittel und Wege, etwas gegen das schlechte Essen zu tun. Immerhin ist dein Dad der Chef des ganzen Ladens." "Die Kantine war aber eine Idee der Mitarbeiter, wenn du verstehst. Da hatte die Geschäftsleitung gar nichts mit zu tun. Gewerkschaften tun doch alles um den Arbeitgebern das Geld aus der Tasche zu ziehen." "Ach so, dann wartet man also ab, dass die Gewerkschaften auch etwas gegen das schlechte Essen unternehmen, verstehe." Die nickte und fing an zu lachen. "So ist es am wenigsten stressig für meinen Vater, wenn du das verstehst." Kaoru zündete sich eine Zigarette an und schaute aus dem Fenster. Sein Spiegelbild reflektierte sich in der blankgeputzten Fensterscheibe, ein Stück weiter konnte er auch Die deutlich erkennen. Natürlich sah er auch, dass Die's Blick auf ihn gerichtet war. Nur war ihm das jetzt nicht mehr unangenehm. "Also Wochenende Billard spielen, ja?" "Genau. Musst nur sagen, wann genau. Ich hole dich auch gerne zu Hause ab." Leider war der Wechsel vom klimatisierten Restaurant zur schwülen Hitze draußen ein bisschen zu viel für Kaoru’s eh schon angeschlagenen Kreislauf. Vor seinen Augen drehte sich plötzlich alles, dann wurde es schwarz. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)