Das Tatsumi-Gen von DJ_Vierauge (*NEU* Rick & Phil-Special!) ================================================================================ Kapitel 11: BONUS-KAPITEL 4: If You're Going To San Francisco... (Teil 3 von 3) ------------------------------------------------------------------------------- (Vorab-Anmerkungen: Ich sag’s lieber gleich, damit ihr vorgewarnt seid: Das Hauptpairing Soichi & Morinaga kommt in diesem Stück teilweise etwas kurz! Dafür kommen Rick & Phil-Fans voll auf ihre Kosten! Wer die beiden langweilig findet, kann ja die Stellen einfach überspringen. ^_~ Alkohol ist schädlich!! Nicht nachmachen, liebe Kinder! ^_^ Disclaimer, Warnungen usw.: Siehe Bonus-Kapitel 4 / Teil 1 Zur Erinnerung: Kursive Schrift = Englisch) „Willst du ihm das wirklich schenken?“, fragte Phil und sah ein wenig traurig dabei zu, wie sein Freund das Hochzeitsgeschenk für Morinaga verpackte. „Ich habe das doch für uns gekauft.“ „Dann gehst du Montag in den Laden und kaufst es noch mal. Die hatten genug davon da.“ Rick betrachtete das fertige Päckchen. Zum Einpacken hatte er zwei große bedruckte Papierservietten verwendet, da er auf die Schnelle kein richtiges Geschenkpapier gefunden hatte. Als Paketband musste ein Stück Nähgarn herhalten, das im Schrank gelegen hatte. Das Ganze sah zwar nicht besonders professionell aus, erfüllte aber seinen Zweck. Unter dem Band befestigte er einen Zettel, auf den er zuvor „In Liebe, Rick“ geschrieben hatte. „Du hast doch schon ein Geschenk für ihn. Warum muss es noch eins sein?“ Rick, der im Schneidersitz auf dem Bett in ihrem Hotelzimmer saß, antwortete nicht und legte das Präsent neben ein zweites, das ein ganzes Stück kleiner war. „Zwei für Tetsuhiro“, er nahm ein drittes vom Nachtschrank, „und eins für Tomoe.“ „Ich weiß nicht, ob das das richtige Geschenk zu einer Hochzeit ist“, meinte Phil. „Natürlich ist es das.“ Rick öffnete die Schachtel und nahm etwas Goldenes heraus. Es war ein kleines Herz, das man in der Mitte durchbrechen konnte mit zwei passenden Halsketten daran. „Echt vergoldet. Hat mich sechzig Dollar gekostet. Allein schon wegen der Gravur. Tomoe wird begeistert sein!“ „Wäre es nicht besser gewesen, ‚Tomoe’ und ‚Mitsugu’ draufschreiben zu lassen anstatt ‚Tomoe’ und ‚Rick’?“ „Ich sagte ja, das Geschenk ist für Tomoe. Mitsugu bekommt nichts. Also braucht sein Name auch nicht draufzustehen.“ Rick legte das Herz zurück in die Schachtel und schloss sie. Sein Freund stand noch immer vor dem Bett und verfolgte jede seiner Bewegungen. Ihm war selbst nicht ganz klar, weshalb er eigentlich wieder mit Phil zusammen war. Klar, im Bett lief es super zwischen ihnen – solange Phil unten blieb. Aber ansonsten war nicht viel mit ihm anzufangen. Morinaga dagegen… Ja, mit dem hätte es etwas werden können. Wenn nur nicht ständig dieser Soichi in seiner Nähe gewesen wäre! Als er Morinaga am Valentinstag kennen gelernt hatte, war es ihm trotz aller Mühen nicht gelungen, diesen für sich zu gewinnen. Selbst in der Disco, in die sie spätabends gegangen waren, hatte Soichi seinen Verlobten ständig überwacht. ‚Wenigstens bleibt mir noch Phil’, hatte Rick gedacht, während er mit Morinaga auf der Tanzfläche gewesen war. Aber dann hatte er zur Theke hinübergeblickt und mit ansehen müssen, wie Phil ausgerechnet Soichi, über den er sich doch so geärgert hatte, küsste. Einen Drink nach dem anderen hatte er daraufhin hinuntergekippt, und als er am Ende richtig betrunken gewesen war, hatte er sich von Phil überreden lassen, wieder eine Beziehung mit ihm einzugehen. Er konnte sich zwar kaum noch an diesen Abend erinnern, aber Phil, Tomoe und Kurokawa hatten ihm die ganze Geschichte am nächsten Tag sehr glaubhaft erzählt. Rick dachte nach. Es war nicht fair von ihm, Phil weiterhin in dem Glauben zu lassen, dass er ihn liebte. Nein, er wollte ehrlich zu ihm sein. Und das bedeutete, dass er mit ihm Schluss machen musste. Am besten sofort. Er hatte es schon viel zu lange hinausgezögert. „Phil, hör mal.“ Er erhob sich vom Bett und legte eine Hand an den linken Oberarm seines Freundes. Dieser wich leicht zurück und verzog schmerzvoll das Gesicht. „Au…“ „Oh, daran habe ich nicht gedacht“, sagte Rick schnell. Seit heute Nachmittag trug Phil dort einen Verband, den er bereits einmal erneuert und die Wunde darunter mit einer heilenden Salbe behandelt hatte. „Du kannst wirklich froh sein, dass du nur ein paar dicke Kratzer abbekommen hast. Was nimmst du auch eine wildfremde Katze einfach auf den Arm? So was macht kein Mensch.“ „Bevor wir wieder zu den anderen gehen, werde ich es noch einmal eincremen. Den Verband kann ich jetzt weglassen, hat er gesagt.“ „Wer, der Arzt?“ „Nein“, antwortete Phil und zog sich vorsichtig sein Hemd aus. Ein dünner Verband kam zum Vorschein. Er begann, ihn sich abzuwickeln. „Oh, bitte mach das im Bad! Du weißt, ich kann kein Blut sehen!“ Doch Phil machte unbeirrt weiter. „Rick?“ „Was?“ „Ich habe dich angelogen. Ich wurde nicht von einer Katze gekratzt. Eigentlich wollte ich es dir erst nach unserer Hochzeit zeigen. Aber da du mich nicht heiraten willst, zeige ich es dir jetzt.“ Er streifte langsam den Rest des salbengetränkten Verbands von der Haut ab. „Gefällt es dir?“ Fassungslos starrte Rick auf den Arm. Auf ihm war das Bild eines Herzens, das von einem flammenden Pfeil durchbohrt wurde. Umgeben war es von einer dornigen Rosenranke, die sich zu den Seiten hin verjüngte und ganz um den Oberarm herumlief. Und darunter stand in verschnörkelten Buchstaben: „Rick Forever“. Das hatte er also heute Vormittag machen lassen. Als Rick gegen Mittag wach geworden war, hatte ein Zettel auf dem Bett gelegen, auf dem Phil ihm mitgeteilt hatte, dass er erst nachmittags wieder aus der Stadt zurück sein würde. Und so war es dann auch gewesen. „Du bist ja völlig verrückt“, flüsterte er, klang dabei aber nicht vorwurfsvoll, sondern eher beeindruckt. „Ich werde ein ärmelloses T-Shirt anziehen. Der Tätowierer meinte, dass am Anfang möglichst keine Kleidung das Tattoo berühren soll.“ Er ging ins Bad, und Rick folgte ihm. Mit gemischten Gefühlen sah er Phil dabei zu, wie er sich die Stelle abwusch und trocken tupfte. „Das muss doch wahnsinnig wehgetan haben…“ Stumm nickte Phil und ging dann zurück, um sich das T-Shirt anzuziehen. Zufrieden betrachtete er sich in der großen Spiegeltür des Kleiderschranks. „Es ist total schön geworden. Genauso wollte ich es haben.“ „Ja, es ist schön“, stimmte Rick leise zu. „Was wolltest du eigentlich eben sagen?“ Phil trug sich wieder eine dünne Schicht aus Salbe auf und steckte dann ein paar saubere Tücher und die kleine Salbentube in die Hosentasche, für den Fall, dass er sie später brauchen würde. „Was?“ Rick schüttelte den Kopf. „Ach… nichts. Lass uns zu den anderen zurückgehen.“ Er griff nach den drei Geschenken und verließ zusammen mit seinem Freund, der sich auch ein Paket unter den Arm geklemmt hatte, das Zimmer. Nach den beiden Trauungen am Spätnachmittag hatten sie alle zusammen in dem großen eleganten Speisesaal des Hotels zu Abend gegessen. Für die aus Japan angereisten Gäste war es wegen der Zeitverschiebung eher wie ein verfrühtes Mittagessen gewesen. Inzwischen war es acht Uhr, und die von Hiroto angekündigte Party sollte nun stattfinden. Phil hielt Rick die Tür zu dem kleinen Festsaal auf, und beiden traten ein. „Wie schön!“, freute sich Tomoe. „Jetzt sind alle da!“ Er stand zusammen mit Kurokawa vor einem Tisch, auf dem eine große dreistöckige Torte mit zwei kleinen Bräutigam-Figuren auf der Spitze aufgebaut war. Einen Meter neben ihnen standen sein Bruder und Morinaga, und vor ihnen befand sich ebenfalls eine solche Torte. Auf einem anderen Tisch legten Rick und Phil ihre Geschenke zwischen vielen weiteren bunten Paketen und Päckchen ab. Tomoe nahm ein Messer vom Tisch, und Kurokawa legte seine Hand auf die seines Mannes. Unter dem Aufblitzen von Fotoapparaten und lautem Beifall schnitten sie die Hochzeitstorte an. Soichi, der nach einem zweiten Messer gegriffen hatte, beobachtete den Vorgang skeptisch. Er erinnerte sich an die Hochzeit von Kunihiro und Sayako. Dort war sie es gewesen, die das Messer gehalten hatte. Morinaga wollte es gerade Kurokawa gleichtun und die Führung beim Anschneiden übernehmen, als Soichi ihn fragte: „Wer hält denn eigentlich das Messer? Der Mann oder die Frau?“ „Das ist bei uns egal“, sagte Morinaga, der die Antwort wohl kannte. „Schließlich sind wir beide Männer.“ „Die Frau hält das Messer!“, rief Kanako fachkundig. Sie hatte sich zwischen die beiden Paare gestellt. „Und der Mann legt seine Hand obendrauf. Aber eigentlich ist es so, dass der, der die Hand oben hat, in der Ehe bestimmt. Und das ist ja meistens der Mann. Aber ich finde das nicht gut! Wenn ich mal heirate, sage ich, wo’s langgeht! Dann hält mein Mann das Messer und ich lege meine Hand obendrauf!“ „Danke, Kanako“, sagte Soichi und drückte seinem Mann das Messer in die Hand. „Schneid du.“ Morinaga umschloss den Griff, und Soichi führte das Messer, als sie gemeinsam das erste Stück aus ihrer Hochzeitstorte herausschnitten und dabei genauso bejubelt und fotografiert wurden. Allerdings weigerte sich Soichi anschließend, sich von Morinaga ein Stück davon in den Mund schieben zu lassen, so, wie es Kurokawa gerade bei Tomoe tat. Er zog es vor, selber zu essen. Als jeder ein Tortenstück auf seinem Teller liegen hatte, holte Vater Tatsumi einen Karton unter dem Geschenke-Tisch hervor und öffnete ihn. „Echter russischer Wodka!“, rief er und nahm ein paar Flaschen heraus, um sie unter den begeisterten Gästen zu verteilen. Isogai stellte die zuvor aufgebaute Stereoanlage an und sorgte für die richtige Musik. Es dauerte keine fünf Minuten, und die Party war in vollem Gange. Die beiden frisch vermählten Ehepaare eröffneten den Tanz, und bald mischten sich ihre Gäste dazu. Tomoe, der nach dem ersten Tanz den Rest des Tortenstücks mit einem Glas Wodka hinuntergespült hatte, ging zu Phil, der sich etwas abseits der Hochzeitsgesellschaft hielt. „Warum kommst du nicht zu uns?“ Er zeigte auf die anderen, die im ganzen Saal verteilt tanzten. Da entdeckte er endlich das Bild auf Phils Arm. „Wann hast du dich denn tätowieren lassen? Hattest du das gestern Abend auch schon?“ „Nein. Ich habe es heute Morgen machen lassen. Es brennt ziemlich. Ich will mich im Moment lieber nicht soviel bewegen.“ „Kann ich verstehen… Bist du deswegen gestern so früh weggegangen?“ Tomoe spielte auf den gestrigen Polterabend an, den Phil vorzeitig verlassen hatte. „Ja. Ich wollte den Termin um neun Uhr nicht verschlafen.“ In einem Club inmitten von San Francisco hatten sie gefeiert, Tomoe, Kurokawa, Soichi, Morinaga, Rick, Phil, Vater Tatsumi und Wang. Einzig und allein Kanako war im Hotel geblieben, da auf dem Polterabend auch eine von Tatsumi organisierte Stripshow stattgefunden hatte, zu der Personen unter achtzehn Jahren keinen Zutritt gehabt hatten. Zusammen mit Phil waren dann auch Soichi und Morinaga gegangen, weil der Stripper für Soichis Geschmack seinem Verlobten eindeutig zu nahe gekommen war. Außerdem hatte bei den beiden eine ziemlich trübe Stimmung geherrscht, was sich Tomoe nicht hatte erklären können. Er wusste ja nicht, was für Ereignisse dazu geführt hatten, dass die beiden nach Kalifornien zurückgekommen waren. Aber jetzt schien ja wieder alles in Ordnung zu sein. Soichi war sich vorher nicht darüber klar gewesen, dass auf dem Polterabend gestrippt werden würde. Ansonsten wäre er mit Morinaga gar nicht erst hingegangen. Und natürlich hätte er Tomoe verboten, sich „so etwas“ anzusehen. Tomoe überlegte, ob er Phil erzählen sollte, dass Rick am Ende des Abends noch mit dem Stripper nachhause gegangen war. Aber er entschied sich, das lieber nicht zu tun. Dafür fiel ihm nun etwas anderes ein. Er griff nach einem kleinen Blumenstrauß, der auf dem Tisch mit den Torten lag. „Bitte alle mal herhören!“ Sämtliche Köpfe drehten sich zu ihm um. „Ich werfe jetzt den Brautstrauß! Stellt euch alle auf, ja?“ Er sah sich nach seinem Bruder um. „Wo ist deiner?“ „Mein was?“ „Dein Brautstrauß. Oder hast du keinen?“ „Natürlich habe ich keinen Brautstrauß!“, sagte Soichi empört. „Wieso hast du überhaupt einen? Du bist keine Frau!“ „Ich weiß… Aber Kurokawa und ich fanden, dass das dazugehört.“ „Und warum spielt dann nicht Kurokawa die Braut?“ Tomoe zuckte mit den Schultern. „Wir dachten, ich kann besser die Braut spielen, weil ich ja auch unten liege…“ „Aaah, hör bloß auf!! Ich will das gar nicht wissen!!“ Tomoe drehte sich nun von den Gästen weg. In der Mitte des Raumes hatten sich Phil, Hiroto, Yashiro und Kanako aufgestellt. Zwar waren Rick, Isogai und Wang ebenfalls unverheiratet, aber sie wollten nicht bei diesem Spiel mitmachen. Kanako würde keine Chance haben, den Strauß für sich zu ergattern, da sie die kleinste war. Hiroto hatte da schon bessere Chancen. Aber letztendlich würden es wohl Phil und Yashiro, die beiden größten der vier, unter sich ausmachen. „Phil wird ihn fangen“, flüsterte Morinaga seinem Mann zu und legte einen Arm um ihn. „Wetten?“ „Der ist viel zu langsam“, wandte Soichi ein. „Yashiro macht das Rennen.“ Tomoe zählte laut von drei bis eins herunter und warf dann den Brautstrauß hinter sich. Kanako sprang so hoch sie konnte, aber ihre Finger berührten nicht einmal die Blumen. Hiroto ging es ebenso. Phil und Yashiro schnappten fast gleichzeitig nach dem Strauß. Aber Phil war einen Tick schneller. Unter tosendem Applaus hielt er die Trophäe siegreich in die Höhe. „Glaub nicht, dass ich dich deswegen heirate!“, gab Rick ihm vorsorglich zu verstehen. „Ich habe Recht gehabt“, sagte Morinaga zu Soichi. „Jetzt habe ich etwas gut bei dir.“ Dieser wollte gerade etwas entgegensetzen, als sein Blick auf seine kleine Schwester fiel, der sein Vater soeben ein Glas in die Hand gedrückt hatte. Schnell eilte er zu ihr, doch sie hatte den Inhalt bereits getrunken. „Du kannst doch dem Kind keinen Wodka geben!“ „Ach“, winkte Tatsumi beschwichtigend ab, „sie hat nur mal einen Schluck probiert.“ „Und wenn dieser Schluck sie nun auf den Geschmack gebracht hat? Wirklich, du hast keine Ahnung, was den Umgang mit Kindern angeht!“ Kanako hielt das leere Glas ihrem Vater hin. „Kann ich noch was haben?“ „Da siehst du, was du angerichtet hast!“, schimpfte Soichi. „Trink lieber etwas ohne Alkohol, Kleines“, sagte Tatsumi zu seiner Tochter und nahm ihr das Glas aus der Hand. „Okay“, willigte Kanako ein und schenkte sich eine Cola in ein anderes Glas ein. Morinaga, den sein Mann einfach hatte stehen lassen, wurde auf einmal von hinten auf die Schulter getippt. „Tolle Party, mein Kompliment!“ „Kunihiro! Schön, dass es dir gefällt.“ „Hast du mal einen Augenblick Zeit? Ich muss dir etwas erzählen.“ „Ja, klar. Was gibt es denn?“ Die beiden Brüder verzogen sich in eine Ecke des Saals. „Ich wollte es dir vor der Hochzeit nicht sagen, weil ich dir nicht die Stimmung verderben wollte, indem ich Masaki erwähne“, begann Kunihiro. Morinaga horchte auf. „Was ist mit Masaki?“ „Also, ich weiß es schon seit Mittwoch. Ich bin jemandem aus unserer ehemaligen Schulklasse begegnet. Tanaka. Du erinnerst dich an sie?“ „Ja, so ungefähr. Gehörte ihren Eltern nicht die Disco, in die wir früher ab und zu gegangen sind?“ „Genau. Sie mussten die Disco leider vor ein paar Monaten schließen, weil sie pleite waren. Also, Tanaka hat erzählt, dass Masaki in ein Kloster eingetreten ist.“ „In ein Kloster?“, wiederholte Morinaga ungläubig. „Klingt verrückt, was? Masaki war schließlich nie ein besonders religiöser Mensch.“ „Und du bist sicher, dass das stimmt?“ „Ja. Tanaka wohnt ja in der Nachbarschaft von Masakis Eltern. Er soll Ende letzten Jahres, also kurz nach der Hochzeit von Sayako und mir, einer Glaubensgemeinschaft beigetreten sein.“ „Einer Sekte?“ „Genaueres weiß ich nicht. So, wie ich Tanaka verstanden habe, soll es eine Art buddhistisch geprägter Orden sein. Yomanata-Bruderschaft oder so ähnlich.“ Morinaga schwieg. Das war allerdings eine Neuigkeit! „Bevor er das getan hat, hat es wohl einen ziemlich üblen Streit zwischen ihm und seinen Eltern gegeben. Masaki war ja kurz davor gewesen, genau wie sein Vater ein politisches Amt zu übernehmen. Deswegen war er auch ein paar Wochen vorher wieder zurück in sein Elternhaus gezogen, weil die Stelle bei ihnen im Ort war. Sein Vater hatte sie ihm natürlich besorgt.“ „Ja, richtig“, erinnerte sich der Jüngere. „Davon hat er mir erzählt, als er bei mir war. Er wollte das Amt am Jahresanfang antreten.“ „Aus irgendeinem Grund hat er sich dann aber anders entschieden und ist dieser Gemeinschaft beigetreten. Ich weiß nicht genau, was der Auslöser war. Entweder Sayakos und meine Hochzeit, oder der Streit, den er davor mit dir und deinem… na, ‚Mann’ muss ich jetzt wohl sagen, was?“ „Ja, Soichi ist jetzt mein Mann.“ „Also, der Streit, den er mit dir und deinem Mann hatte. Vielleicht war es alles zusammen.“ „Hm… und wo ist dieses Kloster?“ „Irgendwo hoch im Norden von Hokkaido. Jedenfalls hat er sich wohl sehr kurzfristig dazu entschlossen. Er hat den Beruf sausen lassen, nur die nötigsten Sachen eingepackt und ist mitten in der Nacht abgereist. Sein Vater soll stinksauer gewesen sein. Angeblich hat er ihn sogar enterbt.“ Kunihiro machte eine kurze Pause, dann sprach er weiter. „Im Kloster kann er dann natürlich nicht mehr so ein ungezügeltes Leben führen wie bisher.“ „Wie meinst du das?“ „Nachdem, was Tanaka mir so erzählt hat, hat Masaki in den letzten Jahren ständig die Partner gewechselt. Seine Beziehungen, wenn man das überhaupt so nennen kann, haben nie länger als ein paar Wochen überdauert.“ Morinaga nahm einen kräftigen Schluck Wodka aus dem Glas, das er schon die ganze Zeit in seiner Hand hielt. „Und mir hat er weismachen wollen, ich sei der einzige Mann in seinem Leben gewesen.“ „Da hat er dich anscheinend angelogen. Aber das kennen wir ja mittlerweile von ihm.“ Kunihiro sah seinen Bruder an. „Jetzt habe ich dir doch die Stimmung verdorben, oder?“ „Was? Nein… ist schon okay. Es war richtig, dass du es mir erzählt hast.“ „Sag mal, willst du wirklich deinen Namen ändern lassen?“, wechselte Kunihiro das Thema. „Ja. Nimm es nicht persönlich. Es geht nicht gegen dich oder Sayako. Aber nach allem, was Mutter mir und auch Soichi gesagt hat, will ich dieser Familie nicht mehr angehören. Und Vater denkt ja genauso wie Mutter.“ „Keine Sorge, ich nehme es nicht persönlich. Ich kann dich gut verstehen.“ Morinaga fiel etwas ein. „Was ich dich noch fragen wollte, als ich mit Mutter telefoniert habe, um sie und Vater für heute einzuladen, wusste sie schon von dir, dass ich heirate. Aber ich dachte, ihr würdet nicht mehr so viel miteinander reden?“ „Ja, das stimmt“, sagte Kunihiro. „Das war auch mehr ein Zufall. An dem Morgen, als du bei uns angerufen und uns eingeladen hast, hat Mutter auch angerufen. Ich dachte erst, das wärest du noch mal, weil der Anruf direkt kam, nachdem du aufgelegt hattest. Sie wollte etwas wegen Omas Geburtstag mit mir besprechen. Dabei habe ich nebenbei erwähnt, dass du heiraten willst.“ „Ach, so war das.“ „Übrigens soll ich schöne Grüße von Oma an euch beide ausrichten.“ „Oh, danke.“ „Sie sagte“, Kunihiro lachte auf, „dass deine Frau eine ganz liebenswürdige Person ist. Sie hätte sich auf unserer Hochzeit so gut mit ihr verstanden. Du weißt ja, sie kriegt nicht mehr alles so richtig mit.“ Morinaga nickte, lächelte aber dabei. Auch, wenn seine Großmutter sich nicht an alle Einzelheiten erinnern konnte, sie hatte Soichi eine liebenswürdige Person genannt. Und das war alles, was zählte. Kanako schenkte sich Cola nach und lief zu den beiden Amerikanern. Phil hatte sich inzwischen doch von Rick zum Tanzen überreden lassen, nachdem dieser keinen anderen Tanzpartner abbekommen hatte. Jetzt legten die beiden eine kurze Verschnaufpause ein und widmeten sich dem nächsten Glas Wodka. „Bist du echt auf einer Ranch groß geworden?“, wollte Kanako von Phil wissen. Tomoe hatte ihr das gerade erzählt. „Ja.“ „Und wo ist die? Auch hier in Kalifornien?“ „Ja, an der Grenze zu Oregon. Meine Eltern betreiben dort eine Pferdezucht.“ „Cool!“, rief sie voller Begeisterung. „Hast du auch ein Pferd? Ich will nämlich auch eins haben! Kannst du mich mal mit dahin nehmen?“ „Du sprichst wirklich sehr gut Englisch“, warf Rick ein. „Im Gegensatz zu Soichi.“ „Stimmt“, meinte Kanako. „Aber dafür weiß er ganz viele andere Sachen. Und sein Chinesisch ist viel besser als meins.“ „Ach, Chinesisch kannst du auch?“ Rick war sichtlich beeindruckt. Vater Tatsumi, der das Gespräch mitgehört hatte, gesellte sich zu ihnen. „Ja, sie ist in fast allen Fächern die Beste in ihrer Klasse. Das liegt an unseren guten Genen“, sagte er überzeugt. „Alle Tatsumis, Männer wie Frauen, zeichnen sich seit jeher durch eine überdurchschnittliche Intelligenz aus. Wir Männer haben durch diese genetische Anlage zwar auch den Nachteil, dass wir frühzeitig ergrauen, aber es gibt natürlich auch Vorteile.“ „Ach, und die wären?“, fragte Kunihiro, der mit seinem Bruder zu den vieren gekommen war. „Nun, dass wir zum Beispiel durchweg alle schwul sind.“ Kunihiro wollte zuerst anmerken, dass das doch kein Vorteil sei, ließ es dann aber bleiben. Als Heterosexueller war er hier eindeutig in der Minderheit. Aber Tatsumi redete schon wieder über seine Tochter. „Ja, unsere Kleine hier hat einen Intelligenzquotienten von 138.“ „Oh!“ und „Toll!“ kam es von allen Seiten. Sogar ein „Wie niedlich!“ war zu hören. Soichi, jetzt ebenfalls bei der kleinen Gruppe, hätte schwören können, dass Hiroto es gesagt hatte, denn der stand ganz in der Nähe. Phil, der die Aufregung um einen IQ von 138 nicht verstand, sagte gelassen: „Meiner ist 160.“ Erstaunt sahen ihn alle an, und so recht wollte ihm wohl keiner glauben. Tatsumi schien der einzige zu sein, den das nicht weiter verwunderte. „Hey, Phil ist nicht blöd, okay?“, verteidigte Rick seinen Freund, als die zweifelnden Blicke ringsum nicht abnahmen. Selig schloss Phil ihn daraufhin in die Arme. „Du bist so lieb.“ Umgehend wand sich Rick aus seiner Umarmung. „Ich habe das nicht gesagt, um dir einen Gefallen zu tun! Ich will nur nicht, dass die anderen denken, dass ich mich mit einem Idioten abgebe!“ Der Abend verging schnell. Die Stimmung wurde von Stunde zu Stunde ausgelassener, und die Kiste Wodka neigte sich allmählich dem Ende zu. Tomoe hatte am Vortag ein Buch mit Hochzeitsspielen gekauft, was für jede Menge Unterhaltung sorgte. Sogar Soichi, bei dem der Alkohol inzwischen Wirkung zeigte, ließ sich hinreißen, bei einigen Spielen mitzumachen. Um Punkt Mitternacht wurde ein kaltes Buffet aufgefahren, und auch dieses leerte sich in rasantem Tempo. „Ihr habt ja noch gar nicht eure Geschenke ausgepackt!“, rief Kanako plötzlich, woraufhin alle zu dem Tisch mit den Gaben eilten. Rick griff nach der kleinen Schachtel und überreichte sie Tomoe. „Hier, Darling!“ „Oh, wie schön“, staunte der Beschenkte nahm das goldene Herz heraus. „Du musst es durchbrechen. Die Hälfte mit deinem Namen gibst du mir zurück, und die andere trägst du selber. Dann ist immer ein Teil von mir bei dir. Und umgekehrt.“ Kurokawa sah mit Unwillen zu, wie sein Mann genau das tat, was Rick ihm gesagt hatte und sich dann zu allem Überfluss von diesem auch noch die Kette um den Hals legen ließ. „Vielen Dank, Rick“, sagte Tomoe strahlend. Phil hielt ihm und Kurokawa sein Paket hin. „Bitte. Die Verkäuferin meinte, das sei genau das richtige Hochzeitsgeschenk.“ Gespannt machte Kurokawa das Papier ab. „Ein Mixer!“ Rick stand mit verschränkten Armen daneben. Dieses Geschenk war ja nun wirklich alles andere als originell. Sicher würden die beiden heute noch das eine oder andere Haushaltsgerät geschenkt bekommen. „Das ist ja toll! Wir haben nämlich noch keinen Mixer! Danke!“, freute sich Tomoe und umarmte Phil, der sich ebenfalls freute, weil sein Geschenk so gut ankam. Nun war wieder Rick an der Reihe. Mit einem Augenzwinkern drückte er Morinaga das kleinere seiner beiden Geschenke in die Hand. Es war für seine Größe erstaunlich schwer, gab aber trotzdem weich nach, wenn man draufdrückte. Erwartungsvoll öffnete Morinaga es. „Das sind ja…“ „… neue Plüschhandschellen“, beendete Rick den Satz. „Als ihr am Freitag gelandet seid und du mir erzählt hast, dass sie euch die Handschellen bei der Gepäckkontrolle abgenommen haben, bin ich gleich in die Stadt gefahren und hab neue gekauft. Das sind richtig gute mit einer extra kräftigen Kette. Da musst du schon ein paar Mal mit einem Panzer drüber fahren, um die kaputtzukriegen. Und zwei Ersatzschlüssel sind auch dabei.“ Soichi schüttelte nur den Kopf, während Morinaga sich bei Rick bedankte. Da war er schon so froh gewesen, die Teile los zu sein, und nun das! „Und von uns bekommt ihr das hier.“ Vater Tatsumi nahm zwei Tüten vom Tisch und reichte seinen Söhnen jeweils eine davon. „Ein kleines Hochzeitsgeschenk von Wang und mir.“ „Aber du hast doch schon alles andere bezahlt“, sagte Tomoe sichtlich gerührt. „Es ist nichts Teures. Nur eine kleine Aufmerksamkeit für die Hochzeitsnacht.“ Tomoe griff in die Tüte, um das herauszunehmen, was sich darin befand. Soichi hingegen sah nur flüchtig hinein und reichte sie dann schnell an seinen Mann weiter. Kanako sprang vergnügt um sie herum und guckte, was der jüngere ihrer beiden Brüder aus der Tüte genommen hatte. „Was ist das für eine Tube? Ist das Sonnencreme?“ „Ha, ha, ha!“, lachte Tatsumi auf. „Kleines, das ist…“ „Kommst du mal kurz?!“, unterbrach Soichi seinen Vater schnell und nahm ihn zur Seite, sodass die anderen sie nicht hören konnten. „Was gibt es denn?“ „Also. Darüber, dass du uns vor allen Leuten so was gibst, will ich jetzt gar nicht reden!“ „Und worüber dann?“ „Dass du Kanako so was nicht erzählen sollst!“ „Ach, die Kinder von heute wissen über alles Bescheid.“ „Nein, eben nicht!“ „Meinst du?“ Er sah zu seiner Tochter hinüber. „Ich meine nicht. Ich weiß es! Sie denkt, dass es nur zwischen Mann und Frau geht.“ „Es?“ Wieder lachte Tatsumi auf. „Sex?“ Soichi errötete. „Ja!“ „Ach so…“ Der Vater nickte verständnisvoll. „Nun, dann werde ich ihr das mal erklären.“ Und damit ging er zurück zu Kanako. Starr vor Entsetzen sah sein älterer Sohn ihm nach. Morinaga kam zu ihm. In einer Hand hielt er die Tüte samt Inhalt, in der anderen Ricks Geschenk. „Alles klar? Du guckst so verstört.“ Soichi zeigte auf seine kleine Schwester. „Jetzt erklärt er ihr das…“ Sie sahen zu, wie Kanako in der gegenüberliegenden Ecke des Saals mit ihrem Vater redete. „Schlimm genug, dass sie im Flugzeug diese Verpackung gefunden hat“, flüsterte Soichi. „So was lässt man ja auch nicht einfach herumliegen!“ Erst auf dem Flug nach San Francisco hatte er von Morinaga die ganze Geschichte erfahren. Er hatte sich nämlich gewundert, weshalb seine Schwester während der Gepäckkontrolle plötzlich von einer Kondomverpackung geredet hatte. „Du hast auch nicht daran gedacht!“ Kanakos Gesichtsausdruck wechselte von neugierig zu ungläubig und dann zu belustigt. Grinsend sah sie zu ihrem großen Bruder herüber. „Komm, bloß weg hier!“, sagte Soichi und wollte mit seinem Mann die Feier verlassen. „Wait!“, rief Rick ihnen nach. „Ich habe doch noch ein zweites Geschenk für euch!“ Er zog Morinaga ein Stück von der Tür weg, durch die Soichi soeben gegangen war, und gab ihm das mit Servietten eingewickelte Päckchen. „Was ist denn da drin?“ „Erinnerst du dich noch, was in der Schublade war?“, fragte Rick leise. „Ja, klar“, antwortete Morinaga. Wie hätte er das auch vergessen können! „Halt, du… du meinst doch nicht etwa, dass…“ „Doch, genau das meine ich. Hat Phil vorgestern gekauft. Ist noch neu und originalverpackt.“ „Aber ich habe dir doch gesagt, dass Soichi…“ „Du hast gesagt, er dreht durch, wenn du so etwas kaufst.“ „Eben!“ „Aber du hast es ja nicht gekauft. Dein lieber Freund Rick hat es dir geschenkt. Also nimmst du es jetzt einfach mit auf euer Zimmer und packst es ganz unten in den Koffer. Und wenn ihr zuhause seid, überraschst du deinen Mann damit.“ „Ja, sicher. Soichi wird mich umbringen!“ Rick zeigte auf die Handschellen. „Dafür hast du ja die hier. Dann kann er nicht weg.“ „Aber… aber das kann ich doch nicht machen…“ Morinaga meinte diese Worte tatsächlich so. Gleichzeitig war er sich aber nicht sicher, ob er es schaffen würde, sich wirklich an diesen Vorsatz zu halten. „Das mach ich mit Phil auch so. Der mag das.“ Soichi steckte den Kopf zur Tür herein. „Komm endlich!“, rief er und zog sich wieder auf den Flur zurück. Morinaga drückte Rick schnell einen Kuss auf den Mund. „Danke“, sagte er und eilte dann mit den drei Geschenken nach draußen zu seinem Mann. „Er hat mich geküsst! Ja!!“, jubelte Rick und ging lachend zu den anderen zurück. Im achten Stock stieg das Ehepaar aus dem Fahrstuhl. In ihrem Zimmer warf Morinaga die Tüte auf das Bett. Ricks Geschenke hingegen verstaute er, wie es ihm geraten worden war, gleich im Koffer. Soichi griff in die Tasche seiner Jacke, die über der Lehne eines Stuhls hing, und nahm seine Zigaretten heraus. „Ich geh noch eine rauchen.“ „Okay. Warte, ich komme mit.“ Morinaga verschloss den Koffer und folgte dem anderen. Sie fuhren wieder hinunter ins Erdgeschoss, und Soichi nahm sofort Kurs auf den großen Haupteingang des Hotels. Doch kaum waren sie nach draußen getreten, schlugen ihnen auch dicke Regentropfen entgegen. Blitze zuckten am Himmel, und es donnerte gewaltig. „Und was jetzt?“, fragte Morinaga ratlos. Soichi sah sich um. In der benachbarten Hochzeitskapelle brannte noch Licht. Gerade wurde die Tür geöffnet, und jemand trat heraus. Im Schatten der Hotelmauer schlichen die beiden näher. Sie konnten die Person gut erkennen. „Ist das nicht der Alte von gestern?“, fragte Soichi flüsternd. „Ja, du hast Recht.“ Morinaga beobachtete, wie der Mann einen Putzeimer und einen nassen Wischmopp aus dem Gebäude trug, das Licht ausstellte und die Tür hinter sich zumachte. „Der arbeitet wohl hier. Ist vielleicht der Hausmeister.“ „Wenn der hier arbeitet, wieso hat der uns dann nach dem Weg gefragt?“, wunderte sich Soichi. Der Mann nieste ein paar Mal kräftig. Vermutlich hatte er sich in dem Regen gestern erkältet. Er kippte das Putzwasser einfach auf die Straße und ging dann mit dem leeren Eimer und dem Mopp durch einen Nebeneingang ins Hotel. Soichi überlegte nicht lange und lief zur Kapelle. Seine Haare wehten lose im Wind. Das Haarband war ihm schon vor Stunden auf der Party verloren gegangen. „Wusste ich’s doch“, sagte er, als sich die Tür problemlos öffnen ließ. Er winkte Morinaga zu sich. „Schnell! Bevor uns einer sieht!“ Als sie beide in der Kapelle waren und die Tür wieder geschlossen hatten, sagte Morinaga leise: „Bestimmt kommt der gleich zurück. Lass uns lieber von hier verschwinden!“ Etwas unsicher in seinen Bewegungen lehnte sich Soichi gegen den Traualtar, auf dem außer zwei elektrischen Kerzenleuchtern nichts anderes stand. Religiöse Symbole befanden sich in dem Gebäude keine. Es war eher mit einem Standesamt zu vergleichen, bot aber natürlich eine wesentlich romantischere Atmosphäre als ein solches. „Sei ruhig. Ich will jetzt rauchen.“ Soichi legte sein Feuerzeug auf dem Altar ab und wollte eine Zigarette aus der Packung holen. Doch da war sein Mann schon bei ihm und nahm sie ihm aus der Hand. „Gib die her! Das sind meine!“ Sein Atem roch stark nach Alkohol, was kein Wunder war, bei der Menge, die er getrunken hatte. Kurz, bevor sie vorhin angefangen hatten, die Geschenke auszupacken, hatten noch ein paar hochprozentige Drinks die Runde gemacht, die nun kräftig zu wirken begannen. Morinaga, der aus diesem Grund ebenfalls alles andere als nüchtern war, sagte unter dem Donnern, das draußen erklang: „Vorher hab ich noch was gut bei dir.“ „Was?“ „Ich habe gesagt, dass Phil den Brautstrauß fängt, und ich habe Recht gehabt.“ „Ja, herzlichen Glückwunsch… Gib mir jetzt sofort meine Zigaretten zurück!!“, schrie Soichi, wurde aber von einem weiteren Donnern übertönt. „Der Gewinner darf sich etwas wünschen.“ „Wünschen? Das haben wir vorher nicht ausgemacht! Gib jetzt…“ „Du hast mir heute Nachmittag was versprochen…“ Soichi blickte ihn fragend an. Ihre Gesichter wurden nur schwach vom Licht einer Laterne erhellt, das durch die bunten Fenster herein schien. „Ich hab dir gar nichts versprochen!“ „Doch. Du hast gesagt, du willst mich verwöhnen.“ „Das habe ich nicht gesagt! Du hast das gesagt!“ Er langte nach der Schachtel, die Morinaga in die Höhe hielt. Doch er kam nicht dran. „Wenn du das jetzt machst, gebe ich sie dir zurück.“ „Du bist gemein… ich will meine Zigaretten haben…“, murrte Soichi betrunken. Morinaga hielt weiterhin mit einer Hand die Packung hoch und zog mit der anderen den Reißverschluss seiner Hose auf. „Los… mach…“ Obwohl er nicht genau wusste, warum er überhaupt auf Morinaga hörte, ließ sich Soichi tatsächlich auf die Knie sinken. Es hätte ja auch gereicht, seinem Mann einmal ordentlich auf den Fuß zu treten, damit dieser die Zigaretten fallen ließ. Doch auf diese Idee kam Soichi in seinem momentanen Zustand nicht. Die Hände des anderen legten sich an seinen Kopf, wollten ihn näher an sich heran ziehen. „Ich will nicht…“, sträubte er sich. „Das ist eklig…“ In Morinagas Gedächtnis keimte eine Erinnerung an längst vergangene Zeiten auf. Zwar hatte Soichi diesen Satz schon sehr oft gesagt. Aber es hatte noch jemand anderen in seinem Leben gegeben, der ihm diese Bitte mit genau den gleichen Worten immer wieder abgeschlagen hatte. „Masaki…“, flüsterte er. Soichi sah hoch. „Was hast du gesagt? Hast du gerade ‚Masaki’ gesagt?“ „Ja, habe ich. Er wollte das ja auch nie machen.“ „Vergleichst du mich etwa mit ihm? Ich bin nicht wie Masaki!“ Morinagas Gesicht sah kalt und weiß aus wie das einer Marmorstatue, als mehrere Blitze kurz hintereinander aufzuckten. Seine Finger glitten durch die regennassen Haarsträhnen des am Boden knienden. War es der Vergleich mit Masaki oder der Alkohol, der Soichi hemmungslos machte und seine Meinung ändern ließ? Er rutschte auf den Knien ein wenig vor, griff nach den Hosenbeinen seines Gegenübers und wollte sie herunterziehen. „Warte“, sagte Morinaga. Er legte die Schachtel neben das Feuerzeug und öffnete den Knopf an seiner Hose, die sogleich nach unten rutschte. Gierig äugte Soichi nach den Zigaretten, aber er schaffte es, sich zu beherrschen. Um nichts in der Welt wollte er Masaki ähnlich sein! Seine Hände packten fest die Oberschenkel des anderen. Doch er zögerte noch immer. Er ließ sie wieder los und fasste stattdessen ein Stück weiter oben an. Morinaga durchfuhr ein Schauer, als er die warmen Handflächen auf der nackten Haut seines Gesäßes spürte. „Jaa…“, stieß er lang gezogen aus, als Soichi ihm nun gab, was Masaki nie getan hatte. Er wiederholte dieses Wort noch einige Male, doch es ging in dem draußen tobenden Gewitter unter. „Das machst du gut… sehr gut… ah… fantastisch…“ Es war noch viel besser als beim ersten Mal, viel besser als beim zweiten Mal! „Oh ja…!“, stöhnte er und wühlte mit den Händen wild durch Soichis Haare, dessen Fingernägel sich regelrecht in seine Haut krallten. Ein Blitz, einhergehend mit einem ohrenbetäubenden Krachen, fuhr vom Himmel, und Morinaga war, als ginge die von dieser Naturgewalt ausgehende Kraft direkt durch seinen Körper hindurch, als er befreit den Namen seines Mannes in die Leere der Kapelle schrie. Einige Sekunden verstrichen. Soichis Händen lösten sich von ihrem Platz, und er sank auf den Boden, lehnte sich mit dem Rücken an den Altar. Morinagas Atmung beruhigte sich etwas. Er sah zu Soichi, der die Beine angezogen hatte und sich eine Hand vor den Mund hielt. „Wow… so langsam kriegst du richtig Übung darin“, keuchte er. „Hör auf, so eklige Sachen zu sagen!“, gab Soichi wütend zurück. Er hatte die Hand kurz vom Mund genommen, fasste sich aber sofort wieder dorthin. Ein wenig zitternd griff Morinaga nach dem Feuerzeug und einer Zigarette und zündete sie an. Er rauchte so gut wie nie, aber jetzt tat er ein paar Züge und reichte sie dann an Soichi weiter, der sie begierig entgegennahm. Zufrieden setzte er sich neben ihn, legte einen Arm um seine Schultern und zog ihn dicht an sich heran. Er gab ihm dankbar einen Kuss auf die Wange und lächelte ihn einfach nur an. Soichi ließ sich davon nicht stören und zog weiter an seiner Zigarette. Nach einer Weile fiel ihm ein, dass er keinen Aschenbecher hatte und sah sich nach einem Ersatz dafür um. Sein Blick fiel auf eine kleine Metallschale, die auf einem der vielen Stühle lag. Er handelte sich wohl um eine Schale, in der die Eheringe überreicht werden konnten. „Hol die mal her“, sagte er und zeigte darauf. Morinaga tat ihm den Gefallen und setzte sich dann wieder genauso hin wie zuvor. „Das war so schön“, schwärmte er in Erinnerungen versunken. Soichi schwieg und klopfte nur von Zeit zu Zeit ein wenig Asche über der Schale ab. Er zündete eine zweite Zigarette an und blies den Rauch mit zurückgelehntem Kopf in Richtung Decke. Jetzt fiel ihm auf, dass das Gewitter fast abgeflaut war. Man sah zwar ab und zu noch einen Blitz, doch das Donnergrollen hatte sich in weite Ferne verzogen. Er drückte die Zigarette in der Schale aus, in der schon der Rest der ersten lag und machte sich daran, eine dritte anzuzünden. Als Morinaga gerade überlegte, ob er sich bei Soichi für dieses wunderbare Erlebnis auf die gleiche Weise revanchieren sollte, ließ ein lautes Piepen die beiden erschrocken zusammenfahren. Im ersten Moment konnte keiner von ihnen einordnen, wo das Geräusch herkam und wer oder was es verursachte. Aber ein Blick nach oben zu dem aufleuchtenden Lämpchen genügte, um es zu erkennen. „Mist, der Feuermelder!“, rief Morinaga und sprang auf. Offenbar war der Zigarettenrauch bis an die Decke gestiegen und hatte den Alarm ausgelöst. Er zog Soichi vom Boden hoch, steckte Feuerzeug und Zigarettenschachtel in die Hosentasche und schnappte sich noch die mit Asche angefüllte Schale. So schnell ihre Beine sie trugen, rannten sie aus der Kapelle in den jetzt sanft fallenden Regen. Auf der kurzen Strecke bis zum Hotel ließ er die Schale fallen, und auch Soichis Zigarette ging unterwegs verloren. Atemlos stießen sie die Tür zum Hotel auf und waren endlich im Trockenen. Wie durch ein Wunder hatte kein Mensch sie bemerkt. Was das Paar nicht sah, war, wie der vermeintliche Hausmeister kurz darauf zur Kapelle hetzte und den Alarm ausstellte, nachdem er sich vergewissert hatte, dass nirgendwo ein Feuer brannte. Er fluchte noch kurz etwas von dem verdammten Ding, das ständig kaputt sei und immer ohne Grund losgehe und lief dann wieder zurück ins Hotel. Wegen seiner starken Erkältung hatte er den Zigarettengeruch glücklicherweise nicht wahrgenommen. Die Stimmung auf der Party war noch immer unverändert gut. Zwar fehlten nun zwei der Hauptpersonen, aber das hielt keinen davon ab, laut und fröhlich weiterzufeiern. Rick schlenderte zu Isogai hinüber und stellte sich neben ihn. Gelangweilt sah er sich um. „Nichts für mich dabei, wie es aussieht.“ „Was meinst du?“, fragte Isogai. „Männer. Entweder zu alt“, er sah Soichis Vater an und dann Isogai, „nicht mein Typ oder verheiratet.“ Beim letzten Wort nickte er zu Tomoe hinüber, der es seinem großen Bruder nachmachte und zusammen mit seinem Mann und einem Berg von Geschenken den Saal verließ. „Aber du hast doch einen Freund. Den da.“ Isogai zeigte auf Phil. Dieser nahm gerade eine fast leere Flasche Wodka von einem der Tische setzte sich damit in einer Ecke auf den Boden. „Ach, der…“ „Stimmt es wirklich, dass er so einen hohen IQ hat? Er macht nicht gerade einen sehr… hellen Eindruck.“ „Doch, hat er. Er war kurz davor, sein Physikstudium zu beenden. Schwerpunkt Atomphys… phys…“ „Atomphysik?“, half Isogai aus. Es war nicht zu überhören, dass Rick genau wie die meisten anderen völlig betrunken war. Und auf ihn selbst traf das auch zu. Diese Drinks nach dem kalten Buffet hatten es wirklich in sich gehabt! Die kleine Kanako schien die einzige zu sein, die noch nüchtern war. „Genau, Atomphysik. Aber kurz vor der Abschlussarbeit hat er die Uni verlassen.“ „Warum denn?“ „Er hat mich kennen gelernt.“ „Und deswegen hat er aufgehört?“ „Ja. Er ist mir hoffnungslos verfallen. Er wollte nur noch für mich da sein.“ „Was für ein Spinner“, murmelte Isogai. „Und als ich dann mit ihm Schluss gemacht habe, hat er nicht weiterstudiert, sondern nur noch als Künstler gearbeitet. So hatte er sich vorher auch schon das Geld für sein Studium verdient.“ Rick stützte sich auf Isogais Schulter auf. „Well… Phil wird echt immer komischer, sag ich dir. Jetzt hat er sich sogar ein Herz und meinen Namen auf den Arm tätowieren lassen.“ „Ja, hab ich gesehen.“ „Und… ich hab letztens bei ihm übernachtet, und morgens hat er mir das Frühstück ans Bett gebracht.“ „Das ist doch sehr lieb vom ihm“, fand Isogai. „Ja, aber er hat es nicht von sich aus getan! Ich hab ihm nach dem Aufwachen gesagt: ‚Los, mach mir Frühstück!’. Du, und das hab ich ziemlich unfreundlich gesagt! Und…“, Er hielt sich schwankend an Isogai fest, „… und dann ist er sofort aufgestanden und hat welches gemacht. Das ist doch echt nicht normal, was meinst du, Taichiro?“ „Ach, dann ist er so einer, der auf Befehle steht? Ich war vor Jahren mal kurz mit einer Frau zusammen, die wollte auch immer, dass ich ihr alles befehle.“ „Das klingt nach Phil! Der ist auch so.“ „Ja, sie hat alles gemacht, was ich wollte.“ Isogai grinste versonnen vor sich hin. „Das war eigentlich gar nicht so schlecht… Aber wir haben uns nach ein paar Tagen schon wieder getrennt.“ „Du“, Rick tippte mit dem Zeigefinger auf Isogais Brust. „Stehst du echt auf Frauen?“ „Oh ja!“ Rick schüttelte den Kopf. „Das sieht man dir gar nicht an. Bist du dir sicher?“ „Was soll das denn heißen? Willst du damit sagen, ich sähe schwul aus?!“, regte sich Isogai auf. Nach einem kurzen Überlegen kam Rick zu dem Schluss: „Ja.“ „Ich bin es aber nicht! Ich liebe nur Frauen!! Klar?!“ Doch Rick ließ sich nicht so leicht überzeugen. „Sag mal, wie oft hast du schon mit einem Mann geschlafen?“ „Natürlich noch nie!“ „Da verpasst du was, Taichiro.“ „Ganz bestimmt nicht!“ „Doch, doch!“ Er musterte Isogai von oben bis unten. „Du bist zwar nicht unbedingt mein Typ, aber für einmal geht’s wohl…“ Er wollte ihn in Richtung Festsaaltür ziehen. „Geh’n wir zu mir oder zu dir?“ „Ich… Hast du mir nicht zugehört?! Ich stehe absolut nicht auf Männer!“ „Du hast es ja noch nie ausprobiert! Also kannst du das auch gar nicht wissen!“ Er schaffte es tatsächlich, Isogai hinter sich her zum Ausgang zu zerren. „Come on! Ich lass dich auch oben liegen…“ Überrumpelt von dieser direkten Anmache wusste Isogai nicht mehr, was er tun sollte. Verwirrt hielt sich am Türrahmen fest. Ihm wurde kurz schwarz vor Augen, doch zum Glück wurde es gleich darauf wieder besser. „Ich muss mich… mal kurz hinlegen…“, meinte er und stieß den Amerikaner von sich weg. Torkelnd bewegte er sich aus dem Saal hinaus und zum Fahrstuhl, den gerade Soichi und Morinaga betraten. Isogai und Rick, der ihm gefolgt war, stellten sich zu ihnen, und die Türen schlossen sich. Belustigt betrachte Rick die beiden Verheirateten. Morinagas Hosenknopf war offen, ein Zipfel seines Hemds im halbzugezogenen Reißverschluss eingeklemmt. Soichis Haare waren völlig wirr und triefnass. Waren sie bei dem Wetter etwa draußen gewesen? „Du bist ja ganz rot“, stellte er fest und sah Soichi dabei in die Augen. „Was habt ihr draußen gemacht?“ Der Angesprochene errötete noch mehr, was Rick zu einer Vermutung veranlasste. „Hast du Tetsuhiro verwöhnt?“ In dem Moment hielt der Fahrstuhl an, und die automatischen Türen öffneten sich. Sie waren im siebten Stock, wo Isogais Zimmer war. „Verschwinde!“, sagte Soichi schroff und schubste Rick aus dem Fahrstuhl. Dieser nahm Isogais Hand und schnurrte ihm zu: „Soll ich dich auch verwöhnen?“ Isogai ließ sich von ihm aus dem Lift ziehen. „Oh ja, verwöhnen…“, murmelte er und dachte dabei an eine entspannende Rückenmassage. Eine solche würde ihm nach dem langen Flug und der ausgelassenen Party sicher gut tun. Es wäre ihm zwar lieber gewesen, wenn das eine hübsche junge Frau übernommen hätte, aber zur Not musste er eben mit diesem aufdringlichen Amerikaner vorlieb nehmen. Im Zimmer ließ sich Isogai sogleich erschöpft auf das große Bett fallen. Er war nicht wirklich müde, aber er wollte sich für eine halbe Stunde ausruhen und ein wenig vor sich hindösen. „Hey, nicht einschlafen!“, rief Rick und machte sich daran, Isogai aus seiner Hose zu befreien. Dieser nahm das gar nicht richtig wahr und knöpfte sich seinerseits sein Hemd auf. Als er kurz darauf nur noch seine Unterhose trug, drehte er sich auf den Bauch und meinte: „Dann fang mal an.“ „Was, ich soll?“, wunderte sich Rick. „Okay… wie du willst.“ Er griff in seine Hosentasche und zog ein Kondom heraus. Gut, dass er immer welche bei sich hatte. Es war zwar eines von der beschichteten Sorte, aber ob das ausreichte? Dieser Japaner hatte ja behauptet, noch keine Erfahrung mit Männern zu haben. „Hast du irgendwas da?“ „… hm?“, machte Isogai. „Na, irgendwas, damit es leichter geht. Sonst tut es dir vielleicht weh, wegen der Reibung…“ „Ach so… ja… im Bad. Auf der Ablage unter dem Spiegel…“ Rick legte das Kondom auf das Bett und ging ins Badezimmer. Auf der schmalen Borte fand er zwischen Zahnputzzeug, Rasierapparat und Haarshampoo eine kleine Flasche Massagelotion. Ja, damit musste es gehen. Er zog sich rasch aus und kehrte zu Isogai zurück. „Was… machst du da?“, fragte dieser verwundert, als Rick ihm auch noch seine Unterhose ausziehen wollte. „Na, wenn du die anlässt, wird das wohl schlecht gehen“, entgegnete Rick spöttisch. Das sah Isogai ein. „Ja… richtig.“ Wenn der Amerikaner ihm den Rücken massierte, würde die Lotion vielleicht an die Unterhose kommen, und das musste ja nicht sein. Rick träufelte ein paar Tropfen der Lotion auf seine Hand, strich sanft über den Rücken des anderen und noch ein Stück weiter. „Hey!! Finger weg von meinem Hintern!!“, rief Isogai und schlug Ricks Hand weg, die auf der rechten Seite seines Hinterteils lag. „Fang einfach ganz normal an!“ „Keine Vorbereitung?“, fragte Rick erstaunt. „Einfach so?“ „Ja!“ „Na gut, wenn du das möchtest…? Dann entspann dich jetzt…“ Isogai hörte ein Knistern hinter sich, das ihm irgendwie bekannt vorkam. Es klang wie eine Verpackung aus Plastik. Wie eine Verpackung von einem… Kondom? Zu spät begriff Isogai, was los war. Er keuchte laut auf, als er das Gewicht von Ricks Körper auf sich spürte und dieser begann. Entsetzt drehte er den Kopf nach hinten, wollte etwas sagen, doch Rick deutete dies als eine Aufforderung zum Küssen und kam dem scheinbaren Wunsch auf der Stelle nach. Die Zunge des Amerikaners in seinem Mund, die Lippen versiegelt mit denen des anderen, krallte er sich stumm in das Kopfkissen vor ihm. Isogai hatte sich oft gefragt, wie Tomoe es wohl aushielt, wenn Kurokawa auf diese Weise mit ihm schlief. Und ob er starke Schmerzen dabei hatte. Aber jetzt, in diesem Augenblick, erkannte er, dass der Schmerz längst nicht so schlimm war, wie er vermutet hatte. Übte der Alkohol vielleicht eine betäubende Wirkung aus? Oder lag es an Rick, der genau wusste, was er tat? Jedenfalls war kaum ein Schmerz da. Das Schlimme aber war für Isogai, dass er kein Verlangen verspürte, den Amerikaner von sich wegzustoßen und ihn am Weitermachen zu hindern. Es fühlte sich einfach zu gut an! Jetzt hob Rick seinen Körper ein wenig an, fasste unter ihn und kniff ihn fest, aber nicht zu fest, in die Brustwarzen. Im nächsten Moment lösten sich ihre Münder voneinander, Rick stöhnte kurz auf, Isogai folgte bald. Erschöpft ließ sich Rick auf ihn sinken und küsste seinen Hals. Als er dort einen kleinen Knutschfleck hinterlassen hatte, flüsterte er dem sprachlosen, aber immer noch keuchenden Isogai ins Ohr: „Von wegen, ‚ich stehe nicht auf Männer’…“ Morinaga und Soichi waren inzwischen ein Stockwerk höher gefahren und standen nun vor ihrem Zimmer. Soichi schloss auf und öffnete die Tür, doch Morinaga hielt ihn davon ab, einzutreten. „Halt. Nicht weitergehen.“ „Was ist denn?“ „Du weißt doch, in der Hochzeitsnacht wird die Braut über die Schwelle getragen.“ „Lass den Quatsch! Oder siehst du hier irgendwo eine Braut?“ „Na ja, da müssen wir halt ein bisschen improvisieren.“ „Ich trag dich da nicht rüber! Du bist mir viel zu schwer. Und ich werde auf keinen Fall für dich die Braut spielen!“ Noch immer euphorisiert von dem Erlebnis in der Kapelle, ignorierte Morinaga die Worte seines Mannes. Er beugte sich ein wenig vor, griff mit einem Arm um Soichis Rücken herum und erfasste mit dem anderen dessen Beine. Mit Leichtigkeit hob er ihn hoch. Soichi zappelte hilflos, und er hätte beinahe das Gleichgewicht verloren. „Ah! Lass mich runter!“ Panisch umklammerte er Morinagas Hals, als dieser ihn gegen seinen Willen über die Schwelle trug, mit dem Ellenbogen den Lichtschalter betätigte und dann mit einem leichten Hüftschwung die Tür zum Zufallen brachte. Erst als sie das Bett erreicht hatten, ließ er ihn wieder los, und Soichi fiel aus einem halben Meter Höhe auf die weiche Matratze. Durch den Schwung fiel die Tüte mit dem Geschenk seines Vaters herunter, die noch dort gelegen hatte. Morinaga stürzte sich sogleich mit aufs Bett und fing an, seinem Angetrauten die Kleidung vom Leib zu reißen. „Pass doch ein bisschen auf!“, schimpfte Soichi, als zwei seiner Hemdknöpfe absprangen und quer durchs Zimmer flogen. „Mir egal“, gab Morinaga zurück, drückte ihn auf die Matratze und begann, ihn stürmisch zu küssen. Nebenbei warf er das Hemd zu Boden und sein eigenes gleich dazu, und wenige Sekunden später folgte auch der Rest der Sachen. Er wandte sich seinem Hals zu, leckte das Schlüsselbein entlang, über die Brust und ließ seine Zunge mit dem Piercing spielen. „Aaah…“, hörte er von Soichi, dem das offensichtlich gefiel. Eigentlich hatte Morinaga sich Zeit lassen und erst nach einem langen und ausgiebigen Vorspiel zur Sache kommen wollen. Dies war schließlich ihre Hochzeitsnacht und damit etwas Besonderes. Aber jetzt hielt er es nicht mehr länger aus. Zielstrebig hob er die Tube vom Boden auf, die aus der Tüte gefallen war. „Willst du etwa noch mal?“, fragte Soichi überflüssigerweise, denn es war ja klar, was er im Sinn hatte. „Hat dir das eben nicht gereicht?“ „Nein. Und dir hat es auch nicht gereicht“, antwortete Morinaga und klappte den Deckel auf. „Aber ich bin müde… ich will schlafen.“ „Ja, ich will auch schlafen. Mir dir.“ „So meinte ich das nicht!“, zeterte Soichi, als sein Mann sich zwischen seinen Beinen positionierte. Morinaga war sich nicht sicher, ob Soichi ihn absichtlich hinhielt oder ob er tatsächlich müde war. „Das ist unsere Hochzeitsnacht“, flüsterte er. „Und in der Hochzeitsnacht…“ Von einem lauten Stöhnen ein Zimmer weiter wurde er unterbrochen. Erschrocken setzte sich Soichi auf. „Das war Tomoe!“ Noch ein Stöhnen, gefolgt von einem weiteren. „Und das Kurokawa“, fügte Morinaga hinzu. „Was macht dieser Mistkerl da mit ihm?!“ „Bleib bloß hier!“, rief er, als Soichi aus dem Bett stürzen wollte. „Was glaubst du denn, was sie machen? Das gleiche, was wir jetzt machen!“ „Aber er tut ihm weh! Das hör ich doch!“ Wieder stöhnte Tomoe laut und genüsslich. „Klingt für mich nicht so.“ Als Soichi erneut etwas entgegnen wollte, knallte nebenan etwas Schweres ein paar Mal an die Wand. Das Bett. „Da geht’s aber zur Sache…“, meinte Morinaga grinsend. Bebend vor Wut hämmerte Soichi mit den Fäusten gegen die Wand. „Hört auf damit!!“, schrie er, doch das Paar nebenan reagierte nicht. „Was denken die sich eigentlich dabei?! Die wissen doch, dass wir das Zimmer neben ihnen haben!“ „Vielleicht haben sie nicht mehr daran gedacht?“ Er presste seinen Mann auf das Bett zurück, sodass der wieder mit dem Bauch zu ihm lag. „Was die können, können wir schon lange.“ Soichi war zu erschüttert über das, was sein kleiner Bruder nebenan tat, dass er nicht protestierte, als Morinaga seine Fußgelenke packte und ohne jeden Kraftaufwand seine Beine zum Kopfende hin drückte, sodass seine Knie fast die Schultern berührten. „So… dann wollen wir mal eins von unseren Hochzeitsgeschenken einweihen.“ Morinaga schloss die Tube wieder, aus der jetzt ein Teil des Inhalts fehlte und legte sie auf den Nachtschrank. Das Stöhnen und Schreien aus dem Nebenzimmer nahm etwas ab, und auch das dortige Bett bewegte sich nicht mehr. Dafür stöhnte nun Soichi auf, war dabei jedoch längst nicht so laut wie sein Bruder. Erstaunt warf Morinaga einen Blick auf ihn und dann einen auf die Tube, die mit dem Aufdruck „America’s Best!“ versehen war und sagte: „Oh, das ging ja leicht.“ „Oh… oh, ja…“, stimmte Soichi zu. „Ich werde deinen Vater mal fragen, wo er das gekauft hat. Wir könnten uns einen kleinen Vorrat davon mit nachhause nehmen.“ „Bist du verrückt? Dann weiß er, dass wir das benutzt haben!“ „Das kann er sich doch denken.“ Er fing jetzt an, sich auf ihm zu bewegen. Langsam zunächst, dann immer schneller. Während er sich, was die Lautstärke seiner Ausrufe betraf, nicht zurückhielt, schien Soichi um jeden Preis leise sein zu wollen. „Warum… ah… sagst du… nichts?“ „Weil… Tomoe… nebenan ist!“ „Na… und? Er… oh ja! Er… ist doch… auch nicht… gerade leise… ja!!“ „Scht!“, machte Soichi und versuchte vergeblich, Morinaga zu küssen, damit dieser keinen weiteren Laut von sich geben konnte. Aber es gelang ihm nicht. „Du… hast nichts… davon… wenn du deine Gefühle… nicht aus dir… herauslässt!“ Morinaga bewegte sich jetzt so stark, dass auch ihr Bett nicht mehr an Ort und Stelle stehen blieb. „Ah!!“, entfuhr es Soichi, als das Bett gleich zweimal hintereinander an die Wand schlug. „Siehst du? Es geht doch. Schrei noch mal!“, forderte Morinaga ihn auf. „Nein! Ich… will nicht schreien…“ „Dann werde ich dich eben… zum Schreien bringen.“ Er senkte den Kopf, aber nicht, um Soichi zu küssen, sondern um etwas tiefer seine rechte Brustwarze zwischen die Lippen zu nehmen und mit Zähnen und Zunge solange daran herumzuspielen, bis es seinem Mann zuviel wurde und ein lustvoller Aufschrei durch das Zimmer ging. Nun war es wohl auch Soichi egal, ob sein Bruder und das ganze restliche Hotel ihn hörten, denn er schlang unter weiteren ebenso lustvollen Schreien seine Beine um die Taille des anderen und verhakte seine Füße über dessen Rücken. Mit den Armen zog er seinen Oberkörper ganz nah an sich, und endlich war auch Morinaga dazu bereit, mit ihm in einen leidenschaftlichen Kuss zu versinken. Noch näher konnten sie sich nicht mehr kommen. Ihre Zungen trafen sich mal im Mund des einen, mal in dem des anderen, und wenn sie den Kuss kurz unterbrachen, ließen sie dem lautstarken Ausdruck ihrer Gefühle freien Lauf. Das Bett krachte noch ein paar Mal mit voller Wucht gegen die Wand, und unter einem letzten gemeinsamen Schrei sanken sie schließlich auf das zerwühlte Laken. „Ah… das war…“ „… wunderschön“, beendete Morinaga den Satz. „Ja…“ „Hörst du?“ „Was? Ich höre nichts.“ „Eben. Sie sind ganz ruhig, dein Bruder und Kurokawa.“ „Oh ja… Meinst du, sie haben uns gehört?“ „Ganz sicher. Und sie waren bestimmt nicht die einzigen. Du hast ganz schon geschrieen.“ „Und du erst“, sagte Soichi lächelnd und zog Morinagas Kopf näher zu sich, und sie küssten sich erneut. „Ich liebe dich“, flüsterte Morinaga danach und ließ seine Fingerspitzen durch das lange Haar des anderen gleiten. „Ich liebe dich“, flüsterte Soichi zurück, fasste neben das Bett und stellte das Licht aus. Noch immer ganz allein in der Ecke saß Phil und trank den Rest Wodka direkt aus der Flasche. Vater Tatsumi setzte sich zu ihm. „Na, Bill? Du guckst ja so bedrückt. Was ist denn los mit dir? Hast du Liebeskummer?“ Traurig nickte Phil. „Ich habe gedacht, dass Rick mir diesmal treu ist. Aber letzte Nacht war er schon wieder mit einem anderen im Bett. Mit dem Stripper. Das hat er mir vor Tomoes Hochzeit erzählt. Und eben ist er mit Mitsugus Freund weggegangen. Kann mir schon denken, was die jetzt machen. Und das, wo wir gerade erst wieder eine Woche zusammen sind.“ Tröstend legte Tatsumi einen Arm um ihn. „Armer Kleiner.“ Das ‚Kleiner’ war nicht wirklich zutreffend, denn Phil war einen Kopf größer als er. „Du liebst ihn sehr, nicht wahr?“ „Ja. Ich würde alles für ihn tun. Als wir das erste Mal zusammen waren, habe ich extra mein Studium aufgegeben, damit ich mehr Zeit für ihn habe. Sonst hätten wir uns nur an den Wochenenden sehen können.“ „So…“ „Und trotzdem betrügt er mich so oft. Aber er will sich nicht ändern.“ „Tja, dann musst du dich wohl entscheiden. Wenn er sich nicht ändern will, musst du ihn so nehmen, wie er ist. Eine andere Möglichkeit wäre, du trennst dich von ihm.“ „Nein! Ich könnte mich nie von ihm trennen. Er bedeutet mir alles.“ „Dann bleibt dir nur eins. Du musst ihn so akzeptieren, wie er ist.“ Es war Phil anzusehen, dass er das nicht so einfach konnte. „Würdest du dich denn für ihn ändern?“, fragte Tatsumi. „Natürlich!“ „Sehr gut. Erzähl doch mal. Was läuft nicht so gut in eurer Beziehung?“ „Er ist mir untreu. Aber das sagte ich ja eben schon“, seufzte Phil. „Dann lass ihm seinen Spaß. Und du kannst dir ja auch andere Männer nehmen.“ „Nein, das will Rick nicht. Als ich vor kurzem Soichi geküsst habe, ist er auch gleich sauer auf mich geworden.“ Tatsumi sah ihn erstaunt an. „Du hast meinen Sohn geküsst?“ „Habe ich.“ „Nun gut, wenn er das nicht will und du nicht möchtest, dass er sauer ist, dann solltest du dich das nächste Mal besser nicht erwischen lassen. Und, wie gesagt, mach ihm keine Vorwürfe mehr, wenn er sich nebenher noch anderweitig vergnügt.“ Phil stellte die leere Flasche neben sich. „Also gut“, sagte er entschlossen. „Ich werde nichts mehr sagen, wenn er mir untreu ist. Wenn ihn das glücklich macht…“ „Gut! So ist es richtig!“ Aufmunternd klopfte er dem jungen Amerikaner auf rechte Schulter. Bei der anderen wollte er es lieber nicht tun, da sich auf der linken Seite die frische Tätowierung befand. „Was gibt es sonst noch?“ „Er will, dass ich mir nicht alles von ihm sagen lasse. Aber… ich mag es, wenn Rick mir sagt, was ich tun soll“, sagte Phil, und seine dunkelblauen Augen glänzten dabei. „Ich verstehe“, meinte Tatsumi, und auch auf seine Augen legte sich ein leichter Glanz. „Weiter.“ „Rick meint, ich sei langweilig im Bett. Er sagt zwar immer, ich soll mich nicht zurückhalten, aber ich möchte ihm nicht wehtun. Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn ich ihn verletzen würde.“ „Du hast gerade gesagt, du tust gerne, was er sagt. Wenn er will, dass du dich nicht zurückhältst, dann höre auf ihn. Gibt es sonst noch etwas, was Nick an eurer Beziehung stört?“ „Er findet, dass ich zuviel in seiner Nähe bin. Aber wenn ich das nicht bin, weiß ich nicht, ob er mir treu ist.“ Dann fiel Phil wieder ein, was er vorhin gesagt hatte. „Ach so… ich wollte mich ja nicht mehr darüber beschweren, wenn er mich betrügt.“ „Genau.“ „Rick meint ja auch immer, dass ich weiterstudieren soll. Auch, wenn wir dann nicht mehr soviel Zeit füreinander haben.“ „Dann mach das doch“, sagte Tatsumi. „Meinen Sie? Oh…“ Phil fasste sich an den Kopf. „Ist dir nicht gut?“ „Nein, nicht besonders. Ich glaube, ich habe zuviel getrunken.“ „Vielleicht solltest du dich besser hinlegen.“ Er half Phil aufzustehen. „Komm, halt dich an mir fest.“ „Danke. Sie sind wirklich sehr freundlich.“ „Wenn du im Bett liegst, wird es dir gleich viel besser gehen“, sagte Tatsumi lächelnd und ging ein paar Schritte mit ihm. „Moment.“ Phil blieb stehen. „Rick hat den Schlüssel zu unserem Zimmer.“ „Keine Sorge. Ich habe schon den richtigen Schlüssel.“ Tatsumi geleitete ihn zum Ausgang und nickte im Gehen Wang viel sagend zu. Dieser stellte sein leeres Glas auf den Tisch, auf dem noch die Reste des kalten Buffets lagen und folgte den beiden. „Verdammter Kerl!“, fluchte Rick, als er im Fahrstuhl nach unten fuhr. „Schmeißt mich einfach raus… Erst seinen Spaß haben und mich dann vor die Tür setzen. Unverschämtheit!“ Trotz seines Ärgers über Isogai merkte er, wie er müde wurde. Er wollte ins Bett. Vorher wollte er aber noch Phil abholen. Als Rick wieder im Festsaal war, wunderte er sich, seinen Freund nicht wie erwartet in der Ecke sitzend vorzufinden. „Hast du Phil gesehen?“, sprach er Hiroto an. „Phil? Ich glaube, der ist vorhin mit Soichis Vater und Wang weggegangen.“ „Und wohin?“ „Keine Ahnung. Phil ging es nicht so gut, wie es aussah. Hat wohl zuviel getrunken. Wahrscheinlich haben sie ihn auf euer Zimmer gebracht.“ ‚Auf unser Zimmer also’, dachte Rick, ohne daran zu denken, dass er der einzige war, der einen Schlüssel zu ihrem Zimmer bei sich trug. „Danke.“ Er eilte aus dem Festsaal, fuhr mit dem Fahrstuhl in den zweiten Stock, rannte über den Flur und schloss die Tür zum Zimmer auf. „Phil?“ Keine Antwort. Er knipste das Licht an. Im Bett lag er nicht. Ob er im Badezimmer war? Er warf einen kurzen Blick durch die Tür. Nein, das Bad war leer. Phil war nicht hier. Rick sah auf die Uhr. Kurz vor zwei. Langsam drehte er sich um, verließ das Zimmer wieder und schloss ab. Was hatte dieser Hiroto gesagt? Phil war mit dem Vater von Tomoe und dem Chinesen weggegangen? Diese beiden würden doch nicht…? Rick überkam ein ungutes Gefühl. Die zwei Männer hatten während der Party mehrmals versucht, mit ihm zu flirten, worauf er jedoch nicht eingegangen war. Was sollte er auch mit zwei so alten Kerlen anfangen? Und nun hatten sie sich wahrscheinlich Phil gekrallt, um mit diesem ins Bett zu steigen. Wundern würde es ihn jedenfalls nicht. Phil war, was solche Dinge betraf, ja so schrecklich gutgläubig. Bestimmt hatten sie ihn unter einem Vorwand in ihr Zimmer gelockt und stellten nun sonst was mit ihm an. Und dabei hatte er Phil doch genau das verboten! Wenn er selbst mit anderen Männern schlief, war es etwas anderes, aber seinem Freund gestand er dieses Recht nicht zu. Aber es passte einfach nicht zu Phil, sich seinen Worten zu widersetzen. Dann hatten die beiden ihn womöglich gegen seinen Willen in ihr Zimmer gezerrt? Rick begann, sich in seiner Fantasie die schlimmsten Dinge auszumalen. Das Ganze ließ ihm keine Ruhe. Er musste Phil finden, vorher würde er nicht schlafen können. Wieder unten im Erdgeschoss nahm er gleich Kurs auf die Rezeption. Um diese Uhrzeit saß dort nur ein älterer Mann, der sich gerade an einer Schnapsflasche gütlich tat. Es handelte sich um den Mann, den Soichi und Morinaga für den Hausmeister gehalten hatten. Als er den späten Gast erblickte, ließ er die Flasche hastig unter seinem Jackett verschwinden und wandte sich Rick zu. „Womit kann ich Ihnen behilflich sein?“ „Ich brauche die Zimmernummer von Mr. Tatsumi.“ Wie der Freund von Tomoes Vater hieß, hatte er vergessen, aber es reichte ja, wenn er einen Namen hatte. „Augenblick, ich sehe mal nach. Wo ist denn…“ Der Mann suchte nach etwas. „Ich bin nicht der Portier, müssen Sie wissen. Ich vertrete ihn nur im Moment.“ Jetzt hatte er gefunden, wonach er suchte. Es war ein dickes schäbig aussehendes Buch. Er blätterte darin und suchte die Seiten ab. Eine ganze Menge Tatsumis war eingetragen. Wahrscheinlich war die gesamte Familie angereist. „Da gibt’s mehrere… Wie ist denn der Vorname?“ Rick grübelte. Hatte der Vater nicht den gleichen Namen wie Tomoes großer Bruder? Ja, richtig. „Soichi.“ „Soichi… Soichi…“ Er las noch einmal die Namen durch und unterstrich dabei jeden einzelnen Eintrag mit dem Finger. „Mr. Tomoe Tatsumi und Mr. Mitsugu Kurokawa… Zimmer 802“, redete er vor sich hin. „Nein… Ms. Kanako Tatsumi… ach, nein, Sie hatten ja nach einem Mann gefragt. Gott, mit diesen ganzen chinesischen Namen werde ich nie klarkommen“, brummte er. „Ah, hier. Mr. Soichi Tatsumi. Zimmer 801.“ „Zimmer 801“, wiederholte Rick. „Okay. Danke.“ „Keine Ursache.“ Der Hausmeister, oder was immer er war, klappte das Buch zu. Den Eintrag auf der nächsten Seite, der auf „Mr. Soichi Tatsumi, Mr. Wangxue Li, Zimmer 512“ lautete, hatte er übersehen. Als Rick verschwunden war, zog er wieder die Schnapsflasche hervor und genehmigte sich einen weiteren Schluck. „Zimmer 801… Zimmer 801…“, murmelte Rick immer wieder vor sich hin, um die Nummer bloß nicht zu vergessen. Er ging noch ein letztes Mal in den Festsaal, um zu überprüfen, ob Phil in der Zwischenzeit nicht doch wieder aufgetaucht war. Es war nicht der Fall. Frustriert griff Rick in die Kiste mit der kyrillischen Schrift darauf und nahm die letzte Flasche Wodka heraus. Im Gehen schraubte er sie auf, und als er mit dem Fahrstuhl im achten Stock ankam, war sie nur noch zu Dreivierteln gefüllt. Leise öffnete Rick die unverschlossene Tür von Zimmer 801. Etwas Mondlicht schien schwach durch die dünnen Vorhänge auf das große Bett. Ja, hier war er richtig. Der Mann mit den langen hellen Haaren, der dort schlief, musste Soichis Vater sein. Unglaublich, wie ähnlich er und sein Sohn sich sahen! Rick ging einen Schritt ins Zimmer und machte die Tür hinter sich zu. Was war das? Bewegte sich der Boden auf einmal? Er hielt sich an der Klinke fest, ihm war schwindelig. Die letzte Wodkaportion war ihm wohl nicht so gut bekommen. Da war noch eine weitere Person im Bett. War das Phil? Der Chinese konnte es jedenfalls nicht sein, dafür war die Person zu dünn. Schwankend bewegte sich Rick auf das Bett zu und stellte die Flasche auf dem Nachtschrank ab. Ach, er war so müde, und das Bett sah so schön weich und gemütlich aus… Er streifte sich sein Hemd, das sowieso schon geöffnet war, ganz vom Körper, stieg aus seinen Schuhen und der Hose und ließ sich, nur noch mit seiner Unterhose bekleidet, neben dem anderen Mann auf der Matratze nieder. „Phil?“, flüsterte er, bekam jedoch nur ein unzufriedenes Brummen als Antwort. ‚Das ist nicht Phils Stimme’, dachte er noch, dann schlief er ein. Die Sonne hatte den mittäglichen Höchststand bereits vor Stunden überschritten, als Morinaga langsam wach wurde. Er hatte die Augen noch geschlossen und spürte eine angenehme Wärme hinter sich. Sein Kopf schmerzte höllisch, und ihm war auch ziemlich schlecht, aber die Nähe seines Mannes ließ das alles in den Schatten rücken. Genüsslich kuschelte er sich mit dem Rücken an den Körper des anderen, der mit der Brustseite zu ihm lag. Dieser legte nun einen Arm um ihn und erwiderte das Kuscheln. Die Augen noch immer zu, wollte Morinaga nach der Hand fassen, stieß dabei aber an etwas anderes, das sich ebenfalls wie ein Körper anfühlte. Verwirrt blinzelte er und erblickte einen Rücken vor sich, der ganz eindeutig Soichi gehörte. Er sah auf seine Brust hinunter, auf der noch immer die Hand ruhte. Diese dunkle Haut kannte er doch? Er drehte sich um. „Rick!“ „Good morning“, begrüßte der Amerikaner ihn und rang sich dabei ein gequältes Lächeln ab. Die Nachwirkungen der nächtlichen Party machten sich auch bei ihm bemerkbar. Schwarze Ränder umgaben seine Augen, und auch sein übriges Gesicht wirkte trotz der Bräune eher fahl. „Was machst du hier?“ „Keine Ahnung…“ „Los, los“, flüsterte Morinaga verzweifelt, „verschwinde lieber schnell, bevor Soichi dich sieht!“ Beim Klang seines Namens erwachte nun auch Soichi. Umständlich drehte er sich um und blickte Morinaga an, der noch immer von Rick im Arm gehalten wurde. „Was…“, setzte er an, fasste sich aber gleich darauf mit einer Hand an den Mund und mit der anderen an den Bauch. Etwas unsicher stand er auf, eilte splitternackt wie er war ins Bad und knallte die Tür hinter sich zu. Unmittelbar danach hörten die beiden anderen, wie er sich übergab. Morinaga wollte gerade weiter auf Rick einreden, damit dieser das Zimmer verließ, als sein Blick auf den Nachtschrank fiel. Dort lag neben der Wodkaflasche noch immer die Tube. „Oh nein!“ Schockiert setzte er sich auf und sah Rick an. „Wir haben doch nicht etwa…“ Er konnte sich schwach daran erinnern, dass in der letzten Nacht irgendetwas in der Richtung gewesen war. Aber was genau, das wusste er nicht mehr. „Wir beide?“ „Ja!!“ Rick gähnte und rollte sich auf den Rücken. „No… ich glaube, da war nichts. Aber…“ „Aber?!“ „Jetzt, wo du es erwähnst… mit irgendeinem war ich gestern im Bett.“ Er dachte nach. „Ach ja! Der Freund von Mitsugu. Taichiro.“ „Isogai? Du hast mit Isogai geschlafen? Ja… richtig…“ Jetzt fiel ihm wieder ein, dass die vier sich auf dem Weg zu ihrem Zimmer begegnet waren und Rick etwas davon erzählt hatte, dass er Isogai verwöhnen wollte. „Oh, Mann… der hat vielleicht gekeucht. Dabei war ich echt vorsichtig. Das kann gar nicht wehgetan haben.“ Morinaga starrte ihn ungläubig an. „Guck doch nicht so! Ich habe ihn ja nicht dazu gezwungen. Er wollte es!“ Sie hörten die Toilettenspülung, und im nächsten Augenblick stürmte Soichi aus dem Bad. Um seine Hüften hatte er sich notdürftig eins von den großen hoteleigenen Duschtüchern gewickelt. „Schicker Rock“, scherzte Rick und stellte erstaunt fest, dass Soichi gepierct war. „Raus hier!! Oder ich schmeiß dich aus dem Fenster!!“ Rick setzte sich halb auf. Ihm war wieder eingefallen, wieso er eigentlich hier war. Er hatte Phil gesucht, und dieser seltsame Portier hatte ihm die falsche Zimmernummer gegeben. „Wir sind im achten Stock. Hier kann man die Fenster nicht öffnen.“ „Das hält ihn nicht davon ab“, sagte Morinaga warnend. „Ich… geh ja schon.“ Er setzte sich ganz hin und fasste sich an die Stirn. „Au… ich… lass mich fünf Minuten warten… okay?“ „Nein!“, lehnte Soichi ab. „Nun sei doch nicht so“, meinte Morinaga beschwichtigend. „Ich gehe mit dir ins Bad, und wenn wir fertig sind, ist Rick verschwunden. Ja, Rick?“ „Ja… danke“, ächzte Rick und ließ sich zurück auf das Laken fallen. Morinaga drängte den vergeblich protestierenden Soichi wieder ins Bad. Die Minuten vergingen, und Rick hörte nacheinander die Geräusche der elektrischen Zahnbürsten, der Rasierer und schließlich der Dusche. Da ging plötzlich die Tür auf, und jemand trat ein. Erschrocken setzte sich Rick auf. „Mann, Phil!“, stieß er aus. „Kannst du nicht anklopfen?!“ „Hallo“, sagte Phil, ohne auf die Frage einzugehen. „Ich wusste nicht, wo du warst. Also wollte ich Tetsuhiro und Soichi fragen, ob sie wissen, wo du bist.“ „Das ist ja nun nicht mehr nötig!“ Rick zitterte leicht, so sehr hatte er sich erschrocken. Um sich wieder etwas zu beruhigen, sah er sich nach etwas trinkbarem um. Beobachtet von Phil, griff er nach der Flasche auf dem Nachtschrank und trank einen Schluck. Der Alkohol brannte scharf in seiner Kehle und noch ein bisschen schärfer, als er im Magen ankam. „Wo warst du letzte Nacht?“ „Im Zimmer von Mr. Tatsumi und Mr. Li.“ „Also doch“, brummte Rick und setzte die Flasche abermals an. „Was hast du mit denen gemacht?“ „Nichts. Ich habe nur bei ihnen geschlafen.“ „Und sonst war da wirklich nichts?“ Er stellte die Flasche ab und stand langsam auf. „Nein. Ich weiß ja, dass du willst, dass ich dir treu bin. Also halte ich mich auch daran“, sagte Phil pflichtbewusst. „Mr. Tatsumi und Mr. Li sind sehr nett zu mir gewesen. Sie haben gemerkt, dass es mir nicht gut ging und meinten, dass ich mich besser hinlegen soll.“ Phil nickte überzeugt, als er hinzufügte: „Das sind hochanständige Leute.“ Er ließ sich vor Rick auf die Knie nieder. „Nein, Phil, ich will jetzt nicht. Du kannst mir nachher…“ „Rick?“ Phil ergriff die Hände des anderen. „Ich bitte dich, werde mein Mann! Bevor du antwortest“, sagte er schnell, „hör mir bitte erst zu. Ich habe eingesehen, dass ich viele Fehler gemacht habe.“ „Ach ja?“ „Ich verspreche dir, dass ich dir keine Vorwürfe wegen deiner Männergeschichten mehr machen werde. Du kannst mit so vielen Männern schlafen, wie du willst.“ „Sehr großzügig!“, sagte Rick bissig. „Und was ist mir dir?“ „Ich mache das natürlich nicht. Ich weiß auch, dass es dich stört, wenn ich zuviel in deiner Nähe bin. Darum habe ich beschlossen, mein Studium wieder aufzunehmen. Und außerdem“, Phil atmete tief durch, „werde ich nicht mehr so zurückhaltend sein, wenn wir miteinander schlafen. Aber nur, wenn du das willst.“ „Ja, ja, sicher will ich das…“ Rick ging es nicht in den Kopf, wieso sein Freund jetzt auf einmal zu all den Dingen bereit war, die er sonst immer abgelehnt hatte. „Woher dieser plötzliche Sinneswandel?“ „Mr. Tatsumi hat mir dazu geraten.“ „Ach, natürlich…“ Das sah Phil wieder mal ähnlich, auf das zu hören, was andere ihm sagten! „Wie ist deine Antwort?“ Rick verstand die Frage nicht ganz. Welche Antwort denn? Meinte Phil, ob er mit seinen Vorschlägen einverstanden war? Wahrscheinlich. „Okay“, sagte er. „Also ja?“, hakte Phil nach. „Ja.“ Soichi stampfte aus dem Bad, wieder mit einem großen Tuch, das er um sich gebunden hatte. Ein zweites hatte er sich turbanartig um den Kopf gewunden. Empört schnappte er nach Luft, als er Phil sah, der vor Rick kniete und deutete die Situation dementsprechend. „Das glaube ich einfach nicht!! Macht das gefälligst in eurem eigenen Zimmer!! Raus jetzt!!“ „Nun dreh nicht gleich durch! Ich gehe ja schon!“ Rick suchte schnell seine Sachen vom Boden zusammen und zog sich an. Dann schnappte er sich noch den Wodka und verschwand aus dem Zimmer. Phil verbeugte sich entschuldigend vor Soichi. „Ich bitte um Verzeihung für die Störung.“ Er drehte sich um und ging eilig seinem Freund nach. „Ich brauche einen Kaffee“, sagte Soichi, als er und Morinaga den Speisesaal des Hotels betraten. Sie steuerten auf ihren Tisch zu und gingen dabei an Vater Tatsumi und Wang vorbei, die in ein Gespräch vertieft waren. „Zu schade, dass dieser… wie hieß er noch? Will? Dass er gleich eingeschlafen ist“, sagte Tatsumi. „Ja.“ „Mit dem hätten wir unseren Spaß gehabt. Jemand so Unterwürfiges habe ich schon lange nicht mehr erlebt… Ach, da sind ja auch mein Sohn und mein Schwiegersohn!“ „Tag“, begrüßte Soichi die zwei. „Na, gut geschlafen?“, fragte sein Vater ihn. Er zwinkerte Morinaga zu. „Oder seid ihr gar nicht zum Schlafen gekommen? Wie hat euch denn unser Geschenk gefallen?“ Bevor Soichi eine Antwort geben konnte, rief Tomoe, der mit Kurokawa am Nebentisch saß: „Also, was uns betrifft, wir haben die halbe Tube verbraucht!“ Sein Bruder warf ihnen einen frostigen Blick zu. „War nicht nötig, das zu erwähnen. Ihr wart laut genug.“ Um weiteren Peinlichkeiten aus dem Weg zu gehen, setzte er sich auf seinen Platz und drehte den anderen den Rücken zu. „Tetsuhiro! Komm!“ Morinaga setzte sich zu ihm. Während er auf ein stilles Mineralwasser und sein Mann auf einen Kaffee warteten, hörten sie, wie Kurokawa sagte: „Komisch, diese Nachricht, die mir Isogai hinterlassen hat. Und dass er so einfach abgereist ist, ohne sich von uns zu verabschieden…“ Morinaga sah, dass Kurokawa ein auseinander gefaltetes Blatt Papier in der Hand hielt. „Ich verstehe das auch nicht“, meinte Tomoe. „Und warum hat er das an der Rezeption abgegeben? Er hätte es dir ja auch persönlich geben können. Oder sagen.“ Er nahm den Brief und las leise den einzigen Satz, der darin stand: „Wird mal von einem Mal schwul?“ „Lass mich endlich los!“, rief plötzlich jemand. Es war Rick, der von Phil an der Hand hinter sich hergezogen wurde. Erst vor dem Tisch, an dem Tomoe und Kurokawa saßen, blieben sie stehen. „Kommt bitte mit“, sagte Phil höflich. Er nahm Rick die Flasche weg, die dieser nach wie vor hielt und stellte sie auf den Tisch. „Ja, gerne. Aber wohin denn?“, fragte Tomoe. „Nach draußen“, antwortete Phil, drehte sich um und verließ mit Rick den Saal. Tomoe und Kurokawa erhoben sich von ihren Stühlen und folgten. „Phil, was soll das?!“, schrie Rick, als sie die Hotelhalle durchquerten. „Du hast es gesagt, also machen wir das jetzt“, sagte Phil, doch keiner der anderen drei verstand, was er meinte. Durch das große Eingangsportal gingen sie nach draußen. Die Sonne schien heller als sonst, zumindest kam es Rick so vor. Er hielt sich schützend die freie Hand vor das Gesicht und kniff die Augenlider fast ganz zusammen. Sein Kopf dröhnte, und es zog furchtbar durch seinen Magen. Ihm war auch wieder schwindelig, was darauf zurückzuführen war, dass er auf dem Weg vom achten Stock in den Speisesaal noch mehr Wodka in sich hineingeschüttet hatte. Die vier gingen ein Stück den Fußweg entlang, bis sie das Hotelgelände verlassen hatten und vor der Hochzeitskapelle standen. Mit entschlossenem Gesichtsausdruck trat Phil durch die geöffnete Tür, und Rick blieb nichts anderes übrig, als ihm zu folgen. Endlich ließ Phil ihn los. Rick rieb sich sein Handgelenk und ließ sich auf einen Stuhl in der ersten Reihe fallen. Er nahm gar nicht richtig wahr, wo er sich befand – eine weitere Nebenwirkung des Trinkens. Die Standesbeamtin, die auf dem Altar einige Papiere ordnete, sah erstaunt auf. Phil ging zu ihr, und sie beredeten leise etwas. Skeptisch sah sie zu Rick hinüber. Dieser war unrasiert und machte mit seinen ungekämmten Haaren und der zerknitterten Kleidung den Eindruck, als hätte er die Nacht draußen auf einer Parkbank verbracht. Außerdem roch man seinen alkoholisierten Atem bis zum Altar. „Sind Sie sicher, dass Sie das wollen? In ihrem Zustand?“, fragte sie ihn. „Was soll das heißen, in meinem Zustand?“, maulte Rick. Sie zuckte mit den Schultern. „Nun gut. Es ist Ihre Entscheidung. Mein Dienst beginnt zwar erst in einer halben Stunde“, sie sah auf ihre Armbanduhr, „aber für Sie will ich einmal eine Ausnahme machen“, fügte sie hinzu, als Phil sie flehend ansah. „Sie sind nicht angemeldet, nehme ich an?“, fragte sie. „Richtig“, antwortete Phil. Die Standesbeamtin suchte ein Formular heraus, ging zu Rick und hielt es ihm hin. „Füllen Sie das hier bitte aus. Name, Geschlecht, Wohnort, Staatsangehörigkeit und Geburtsdatum. Sowohl von Ihnen als auch von Ihren Trauzeugen. Ihre Ausweise brauche ich auch noch.“ Trauzeugen? Tomoe und Kurokawa sahen sich verblüfft an. Was um alles in der Welt ging hier vor? Rick überflog das Formular und gab es dann Phil. „Füll du das aus.“ Mit Freude tat Phil, was von ihm verlangt wurde und trug in Schönschrift ihre Daten ein. Rick fixierte derweil Tomoe, der ein angebissenes Sandwich in der Hand hielt. Er hatte es wohl vorhin ganz in Gedanken mitgenommen. „Ooh“, sagte er und starrte mit großen Augen auf das Sandwich. Das letzte Mal, dass er etwas gegessen hatte, war gegen ein Uhr morgens gewesen. „Möchtest du?“, bot Tomoe an und hielt es ihm hin. Rick ergriff es dankbar. „Ich liebe dich, Tomoe…“, sagte er kauend, und nach wenigen Bissen war das Sandwich verschwunden. „Unterschreiben Sie bitte hier.“ Die Standesbeamtin sah zu, wie die vier zum Altar kamen und unterzeichneten, kontrollierte ihre Ausweise und nahm das Formular wieder entgegen. „Jetzt bekomme ich noch eine Bearbeitungsgebühr von zwanzig Dollar von Ihnen, und dann können wir auch schon beginnen.“ Nachdem Phil bezahlt hatte, fragte ihn die Standesbeamtin: „Phil Lloyd, wollen Sie mit dem hier neben Ihnen stehenden Richard Coldman die Ehe eingehen? Dann antworten Sie mit ‚Ja’.“ „Ja, ich will!“, sagte Phil und strahlte dabei, was für ihn ungewöhnlich war, denn er zeigte eher selten Gefühlsregungen. „Ich frage Sie, Richard Coldman, wollen Sie mit Phil Lloyd die Ehe eingehen? Dann antworten Sie mit ‚Ja’.“ Rick kniff müde die Augen zusammen. Er war gar nicht ganz bei sich. Hatte diese Frau ihn eben gefragt, ob er eine Ehe eingehen wolle? Und wieso stand Phil neben ihm, hielt zärtlich seine Hand und strahlte ihn so glückselig an? Wozu sollte er ‚Ja’ sagen? Egal. „Ja“, sagte Rick. „Sie dürfen jetzt die Ringe tauschen und sich küssen.“ „Was für Ringe?“, fragte Rick. „Die Eheringe.“ „Wo soll ich so plötzlich Eheringe herhaben?“ Tomoe zog sich seinen Ring vom Finger und reichte ihn Phil. „Ihr könnt unsere geliehen haben.“ Kurokawa zögerte kurz, bevor er Rick seinen Ring in die Hand drückte. „Aber gleich wiedergeben!“ „Ja, ja“, murmelte Rick. Phil steckte ihm Tomoes Ring an den kleinen Finger. An den Ringfinger passte er nicht, dafür war er zu schmal. Da Rick von sich aus keine Anstalten machte, ihm auch einen Ring anzustecken, tat er es selbst. Auch hier musste der kleine Finger herhalten. Kaum war das geschehen, legte Phil seinen linken Arm um Rick Taille, fasste mit der rechten Hand an dessen Hinterkopf und riss Rick förmlich an sich. Willig öffnete Rick seine Lippen und gab sich Phils Kuss hin. Es war schon seltsam, wenn sie sich küssten, übernahm stets Phil die Führung. ‚Wenn er doch beim Sex auch mal so rangehen würde…’, dachte Rick. Hätte er gewusst, was ihm noch bevorstand, wären seine Gedanken sicherlich andere gewesen. Als Phil wieder von ihm abließ, sagte die Standesbeamtin zu den beiden: „Kraft meines Amtes erkläre ich diese Ehe hiermit für gültig.“ „Was?“, fragte Rick verständnislos. „Sie sind jetzt verheiratet. Herzlichen Glückwunsch.“ Rick schüttelte nur mit dem Kopf. Er musste sich wohl verhört haben. Aber eines wusste er, dieser Ring an seinem kleinen Finger störte ihn ziemlich! Er zog ihn sich ab und legte ihn auf den Altar. Tomoe nahm ihn an sich, und auch Kurokawa ließ sich den Ring von Phil wiedergeben. „Ich bin müde“, murrte Rick. „Ich gehe wieder ins Bett… Komm mit, Phil!“ Tomoe und Kurokawa sahen dem Paar nach, wie es die Kapelle verließ. Sie konnten einfach nicht fassen, was sich gerade vor ihren Augen abgespielt hatte. Rick und Phil hatten tatsächlich geheiratet! „Würden Sie dies hier bitte Mr. und Mr. Coldman geben?“, fragte die Standesbeamtin und hielt ihnen die Durchschrift des Formulars hin. „Gerne“, antwortete Kurokawa und nahm es entgegen. „Äh, was haben Sie gesagt? Mr. und Mr. Coldman?“, wunderte sich Tomoe. Sie nickte und zeigte auf eine Stelle auf dem Formular. „Mr. Phil Coldman hat angegeben, mit der Eheschließung den Nachnamen seines Gatten anzunehmen.“ „Oh.“ Mehr konnte Tomoe dazu nicht sagen. „Wollen wir jetzt zurück in den Speisesaal gehen?“, fragte er seinen Mann. „Ja.“ „Was war denn los?“, wollte Soichi von seinem Bruder wissen. Er hatte die erste Tasse Kaffee soeben getrunken und wartete nun darauf, dass die zweite abkühlte. Morinaga, der nicht begreifen konnte, wie man nach so einer Nacht starken schwarzen Kaffee herunterbekommen konnte, nippte nur hin und wieder an seinem Mineralwasser, in dem er sich eine Vitamin C-Tablette aufgelöst hatte. „Rick und Phil haben geheiratet!“, freute sich Tomoe und setzte sich neben Kurokawa an ihren Tisch. „Was?!“, fragten Soichi und Morinaga gleichzeitig. „Rick war total betrunken“, erzählte Tomoe weiter. „Ich glaube, er hat gar nicht mitgekriegt, was abgelaufen ist. Bestimmt hat er morgen wieder alles vergessen. Und Kurokawa und ich waren die Trauzeugen! Toll, was?“ „Ja“, meinte Morinaga. Tomoe sah sich um. „Wo sind Vater und Wang hin?“ „Die sind nach oben gegangen und packen“, antwortete Soichi. „Als ihr weg wart, hat Vater einen Anruf von seinem Kollegen aus Äthiopien gekriegt. Er war ganz aufgeregt. Die haben da irgendetwas gefunden, und er wird dort gebraucht. Er und Wang wollen gleich zum Flughafen und nach Addis Abeba fliegen.“ „Und Kanako?“, fragte Tomoe. „Mit der fliegen Tetsuhiro und ich heute Abend nach Japan zurück.“ „Kurokawa und ich fliegen erst Dienstag. Zusammen mit Rick und Phil.“ „Wo sind die beiden überhaupt?“, fragte Morinaga. „Auch nach oben gegangen. Rick wollte schlafen“, sagte Tomoe und aß das zweite Sandwich, das auf seinem Teller lag. Müde sank Rick auf das Bett. Dass er sich vor ein paar Minuten noch in der Kapelle befunden hatte, war schon wieder aus seinem Gedächtnis verschwunden. „Ist das hell… Zieh mal die Vorhänge zu.“ Phil schloss die Tür von ihrem Zimmer ab und verdunkelte wie gewünscht die Fenster. „So ist es besser. Oh, mein Magen… Es war ein Fehler, dieses fettige Sandwich zu essen…“ „Du hast dich an dein Versprechen gehalten“, sagte Phil und meinte damit Ricks Zusage, ihn zu heiraten, „also halte ich mich auch an meins.“ Er begann ohne Umschweife, seinem Mann die Hose auszuziehen. „Was machst du da?“ „Ich halte mich an mein Versprechen.“ Als Ricks Unterkörper entblößt war und er nun noch in seinem schwarzen Hemd vor ihm lag, zog Phil sich auch aus. „Wenn es wehtut, sag es mir. Ich höre dann sofort auf.“ Rick wusste nicht so recht, was er dazu sagen sollte, als Phil eine Tube und ein Kondom aus der Schublade des Nachtschranks nahm und sich neben ihn setzte. Sicher würde er gleich wieder auf ihm liegen, sich im Schneckentempo vor und zurück bewegen und ihn dabei wie immer zu Tode langweilen. Nur wunderte es ihn, dass Phil von sich aus aktiv werden wollte. Normalerweise musste er ihn immer dazu überreden. Er legte sich ein wenig bequemer hin, ergriff mit zwei Fingern den Ring in Phils linker Brustwarze und zog ihn daran näher zu sich. „Wenn du das schon machen willst, dann sorge dafür, dass ich nicht dabei einschlafe.“ „Das wird nicht passieren“, versicherte Phil und platzierte sich auf ihm. Seine langen dunkelbraunen Haare hingen Rick ins Gesicht, als er ihn zu küssen begann. Dann unterbrach er den Kuss und fragte: „Bist du bereit?“ Rick breitete seine Beine noch etwas weiter unter ihm aus. „Ja. Fang an.“ Und das tat Phil auch. Zuerst war es für Rick ganz normal, und er wollte sich schon bei Phil über die schwachen Bewegungen beschweren, aber dann legte dieser an Tempo zu. „Ja!“, entfuhr es ihm, und er legte seine Arme und Beine um den Oberen. Phil, ermutigt durch das „Ja!“ und die Umarmung, fing wieder an, ihn zu küssen. Dabei wurde er in seinen Bewegungen immer schneller, und Rick klammerte sich noch fester an ihn. Diesem war, als würde er träumen. War das wirklich Phil? Phil, der sonst immer übertrieben vorsichtig war? Er konnte es also doch! Und er war nicht nur gut, er war besser, als jeder andere zuvor. Phil kam ihm in diesem Augenblick absolut perfekt vor. Aber jetzt merkte Rick, wie es langsam zuviel wurde. Phil hatte vorher gemeint, er solle Bescheid geben, wenn es anfing, wehzutun. Doch wenn er es ihm sagte, würde Phil aufhören und es vielleicht nie wieder tun. „Geht es noch?“, fragte Phil, als er seinen verkrampften Gesichtsausdruck bemerkte. „Ja! Hör nicht auf!“, forderte Rick und versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Das war gar nicht so leicht, denn jetzt hatte er wirklich Schmerzen. „Au!“, rutschte es ihm heraus. Sofort stoppte Phil. „Hab ich gesagt, dass du aufhören sollst? Mach weiter!“, wies Rick ihn an, und Phil tat, was er wollte. Er war nicht mehr ganz so übereifrig wie zuvor, und Ricks entspanntes Gesicht zeigte ihm, dass er das richtige Tempo gefunden hatte. Ein weiterer Schrei entwich Rick, kein schmerzvoller, sondern einer der Erleichterung. Stumm wie immer folgte auch Phil. Er gab dabei nie einen Laut von sich. Rick drehte den Kopf zur Seite und leckte sich erschöpft über seine trockenen Lippen. „Phil?“ „Ja?“, antwortete dieser und fürchtete, wieder einmal nicht Ricks Erwartungen entsprochen zu haben. Er erhob sich von ihm und machte sich auf seine Beschwerde gefasst. Halbnackt und alle viere von sich gestreckt, lag Rick auf dem Bett und sah ihn an. „Das war… der beste Sex… den ich je hatte… ah…“ In nüchternem Zustand hätte er diesen Satz wohl kaum zu Phil gesagt. „Wirklich?“, fragte Phil, und dabei war wieder dieses Glänzen in seinen Augen. Rick hatte Schmerzen gehabt, das hatte er genau gemerkt. Und trotzdem hatte er es ausgehalten. Das konnte nichts anderes bedeuten, als dass Rick ihn genauso liebte! „Wirklich.“ „Oh, Rick… ich liebe dich!“ „Ich…“ „Ja?“ „Ich glaube, ich sollte mal duschen…“ Er wollte aufstehen, doch Phil sagte: „Warte. Wir sind noch nicht fertig.“ Und damit nahm er Ricks Hände in seine und legte sie an das Kopfende. Dieser wusste sofort, was er plante. „Du willst mich fesseln?“ „Darf ich?“ Rick tat so, als müsse er überlegen. Aber es gab nichts zu überlegen, er wollte Phil lediglich ein bisschen zappeln lassen. „Ja, du darfst“, erlaubte er es ihm schließlich. „Ist das Schloss in Ordnung?“ „Hab ich saubergemacht.“ Phil legte ihm die Handschellen um und ließ beide Seiten einrasten. Schwungvoll warf er seine Haare zurück, nahm ein Haargummi vom Nachtschrank und band sie sich zu einem Pferdeschwanz zusammen. Dann fasste er neben das Bett, zog erneut die Schublade auf und holte etwas heraus. Ricks Augen weiteten sich, als er sah, was der andere in der Hand hielt. „Phil…?“ „Du tust das auch mit mir, wenn du mich gefesselt hast. Also tue ich das jetzt auch.“ „Aber… aber ich habe nicht diese komischen Vorlieben, die du hast!“ „Du sagst sonst immer, dass du es magst.“ „Wenn ich das mit dir mache! Ja! Aber nicht, wenn du das machst!“ „Das kannst du erst hinterher wissen. Schließlich hast du es noch nie ausprobiert“, sagte Phil stur und hörte sich dabei fast wie Rick bei seinem Gespräch mit Isogai an. Es gab nur wenige Situationen, in denen Phil an dem festhielt, was er sich in den Kopf gesetzt hatte. Aber wenn es soweit war, schaffte nicht einmal Rick es, ihn von seinem Vorhaben abzubringen. „Also, ich weiß nicht, ob…“, startete Rick einen letzten Versuch. „Es wird dir gefallen“, beharrte Phil. „War das ein Schrei?“ Soichi sah nach oben. „Ja! Klang wie Rick“, sagte Tomoe beunruhigt. „Na, dann macht es ja nichts“, meinte Soichi kalt. Die beiden standen mit ihren Männern in der Hotelhalle. „Wir sollten jetzt auch packen“, sagte Soichi zu Morinaga. „Sonst wird uns nachher die Zeit zu knapp. Kurz nach zehn geht unser Flugzeug. Ich sage auch Kanako Bescheid, damit sie ihre Sachen zusammensucht.“ Als die beiden wenig später in ihrem Zimmer standen, nahm Morinaga seinen Mann liebevoll in die Arme. Der Koffer war bereits geschlossen und der Reißverschluss der Reisetasche zuzogen. „Weißt du, auch wenn die Umstände, durch die wir hierher gekommen sind, nicht schön waren, ist doch letztendlich alles gut ausgegangen.“ Soichi lehnte sich erschöpft an ihn und erwiderte die Umarmung. „Wenn du mit ‚gut ausgegangen’ fürchterliche Kopfschmerzen und Übelkeit meinst…“ Er spürte, wie Morinaga ihn sanft auf seinen Kopf küsste. „Jetzt besser?“ Er küsste ihn noch mal. „Etwas“, sagte Soichi und musste unwillkürlich lächeln. „Wo tut es noch weh?“, hauchte Morinaga und schob ihn sanft zum Bett. „In deinem Bauch?“ „Ja.“ Soichi legte sich auf das Bett und zog sein Hemd etwas hoch. Gerade so viel, dass sein Bauchnabel zu sehen war. „Hier.“ Morinaga näherte sich, schob das Hemd noch ein Stück weiter nach oben und berührte mit seinen weichen Lippen die heiße Haut. Genüsslich streckte sich Soichi unter seinen Küssen auf dem Bett aus. „Besser?“, fragte Morinaga wieder, fasste unter das Hemd und ließ die Spitze seines Zeigefingers über eine von Soichis Brustwarzen streifen. „Ja… ah…“ In dem Moment wurde die Tür aufgerissen und Kanako stand vor ihnen. „Ich bin fertig! Hab alles gepackt!“ Dann starrte sie ihren Bruder an, der rot anlief und wiederum sie anstarrte. „Es… ist nicht so, wie du denkst, Kanako!“, versuchte sich Soichi herauszureden und schubste Morinaga zur Seite. „Keine Sorge, es braucht dir nicht peinlich zu sein! Papa hat mir erklärt, wie ihr das ihr macht.“ „Wovon redest du denn?! Wir machen doch gar nicht…“ „Ist doch in Ordnung! Jetzt weiß ich auch endlich, was die in meiner Klasse meinten, als sie mich gefragt haben, wer von euch die Frau ist.“ „Wie bitte?!“ „Ich dachte, die wollten wissen, wer von euch den Haushalt macht. Also habe ich gesagt, Morinaga ist die Frau. Aber Papa hat mir erklärt, was die wirklich meinten. Und er hat gesagt, wenn sie mich noch mal fragen, soll ich sagen, dass du die Frau bist.“ „Was hat er?!“ „Also, macht ruhig weiter! Tschüß!“ Sie winkte ihnen fröhlich zu und lief auf den Flur. „Verdammt!“, fluchte Soichi und sah seiner kleinen Schwester nach. „Das ist wieder typisch mein Vater! Anstatt, dass er ihr diese Vorurteile ausredet, bestärkt er sie auch noch darin! Was soll ich denn jetzt machen?“ Morinaga stand auf, schloss die Tür, drehte den Schlüssel um und kam zurück ins Bett. „Das, was sie gesagt hat. Weitermachen…“ Mehr als zwei Wochen waren vergangen, und die beiden arbeiteten wie gewohnt in ihrem Labor. Der Alltag war wieder eingekehrt. „Was ist das für ein wirres Zeug, das Tomoe mir geschrieben hat?“ Soichi überflog noch einmal die E-Mail, die er heute Morgen erhalten hatte. Er hatte sie sich ausgedruckt und das Blatt mit in die Universität genommen, weil er hoffte, vielleicht im Laufe des Tages einen tieferen Sinn darin entdecken zu können: „Hallo großer Bruder! Phil hat wieder angefangen zu studieren und will bald den Abschluss machen. Rick ist total sauer auf ihn. Ich weiß nicht, warum. Weißt du, warum? Er war schon so, als wir nach Los Angeles zurückgeflogen sind. Ich habe Rick gefragt, ob es wegen der Hochzeit ist. Aber er sagt, er weiß nichts von einer Hochzeit. Ich schätze, es ist wegen des Studiums. Weil Phil jetzt weniger Zeit für ihn hat. Ich glaube, er liebt Phil, obwohl er das nicht zugeben will. Kurokawa hat letztens zu Phil gesagt, dass er sich von Rick nicht so schlecht behandeln lassen soll. Aber Rick hat Kurokawa gesagt, er soll sich da raushalten. Kurokawa und ich wollen bald in die Flitterwochen fahren. Rick hat mir erzählt, dass Phil ihm manchmal das Frühstück ans Bett bringt und dabei nur eine Schürze trägt und sonst nichts. Ich habe Kurokawa am Wochenende auch so das Frühstück gebracht. Das war witzig. Macht ihr das auch? Ich überlege, ob ich den Namen Kurokawa annehmen soll. Phil hat eins von seinen Bildern für 6000 Dollar verkauft! Davon hat er ganz teure Eheringe gekauft. Rick weigert sich aber, einen zu tragen. Vom restlichen Geld will Phil mit ihm in die Flitterwochen fahren. Kurokawa glaubt, dass Isogai schwul ist. Rick glaubt das auch. Ich glaube das nicht. Glaubst du das? Fahrt ihr auch in die Flitterwochen? Phil ist aus seiner Wohnung ausgezogen und bei Rick eingezogen. Aber Rick hat ihn gleich wieder rausgeschmissen. Jetzt schläft er in seinem Atelier. Aber das ist nicht beheizt. Deswegen hat er sich schon erkältet. Ich habe gesehen, dass ich ein paar graue Haare bekommen habe! Kurokawa hat ja auch ganz viele graue Haare. Seit Rick und Phil verheiratet sind, ist Rick noch nicht wieder fremdgegangen. Ich habe mir die Haare gefärbt. Sie sind jetzt insgesamt etwas dunkler als vorher. Rick hat mir dabei geholfen. Ich will nachher noch mal mit Rick reden, damit er Phil erlaubt, wenigstens in seiner Wohnung zu übernachten. Schade, dass ich nicht zu Kanakos Geburtstag kommen konnte! Ich habe Phil das Foto gezeigt, das sie mir gemailt hat. Das, wo das Pferd drauf ist, das Vater ihr zum Geburtstag geschenkt hat. Phil kennt sich ja mit Pferden aus. Viele Grüße! Auch von Kurokawa! Ich schreib bald wieder.“ Ärgerlich zerriss Soichi das Papier und warf es in den Mülleimer. „Schwachsinn“, brummte er. „War wahrscheinlich wieder betrunken, als er das geschrieben hat.“ „Das sagt der Richtige“, merkte sein Mann an, dessen Handy gerade klingelte. Soichi warf ihm einen eisigen Blick zu. Dieser hielt sich nun das Handy ans Ohr. „Ja?“ „Tetsuhiro?“ „Ah, Mutter“, sagte der Angesprochene knapp. „Was ist das für eine Überweisung?“ „Überweisung?“, fragte er mit gespieltem Unwissen. „Eine hohe, ja, eine riesige Summe von einem gewissen Tatsumi Soichi. Dein Vater hat es eben auf unserem Kontoauszug gesehen.“ „Ist es angekommen? Gut. Es sind die gesamten Studiengebühren, die ihr und Masakis Eltern für mich ausgelegt habt. Und sämtliche Mietkosten für meine alte Wohnung. Plus Nebenkosten.“ „Dieser Mann, mit dem du lebst, ist er kriminell? Woher hat ein Student soviel Geld?“ „Mein Ehemann ist nicht kriminell. Ein Student ist er auch schon lange nicht mehr. Und von ihm kommt die Überweisung auch nicht. Sie kommt von seinem Vater. Er hat den gleichen Namen.“ „Wir wollen das Geld nicht! Wir überweisen es ihm zurück. Oder dir.“ „Das wird nicht gehen. Wir haben unsere Banken veranlasst, keine Überweisungen von eurem Konto anzunehmen. Behaltet das Geld, und werdet glücklich damit. Ich will es nicht haben.“ „Ich verstehe nicht, wieso du uns das ganze Geld schenkst!“ „Wir schenken euch das Geld nicht. Es ist eine Rückzahlung.“ „Wir werden das Geld jedenfalls nicht behalten! Und wenn wir es verbrennen müssen!“ „Da hätte ich einen besseren Vorschlag. Spendet es doch den Yomanata-Brüdern.“ „Wem?“ „Frag am besten deine Freunde. Masakis Eltern meine ich. Die wissen schon, was gemeint ist.“ Er hörte, wie seine Mutter noch empört Luft in den Hörer blies, bevor sie auflegte. „Deine Mutter?“, fragte Soichi, ohne von seinem Mikroskop aufzusehen. „Ja. Du, ich bin wirklich froh, das Geld los zu sein. Ich hätte mich ihnen gegenüber sonst immer verpflichtet gefühlt.“ „Ja, ja“, machte Soichi und hörte sich dabei aus irgendeinem Grund ziemlich verstimmt an. „Dein Vater ist einfach ein Schatz!“ Er hatte es zuerst nicht gewollt, aber dann hatte Soichi seinem Vater schließlich doch die ganze Geschichte mit dem Geld von seinen und Masakis Eltern erzählt. Tatsumi hatte keinen Moment gezögert, und nachdem sie die Summe genau ausgerechnet hatten, hatte er die Überweisung aufgegeben. „Jetzt wissen meine Eltern, dass ich nicht mehr auf sie angewiesen bin. Damit habe ich sie am meisten getroffen. Oh, ich freue mich schon darauf, wenn sie in den nächsten Tagen die Anzeige in ihrer Dorfzeitung lesen.“ Er grinste. Sein Schwiegervater hatte ihm nicht nur das Geld gegeben, er hatte sich auch mit den Eltern von Tanaka, der ehemaligen Klassenkameradin seines Bruders, in Verbindung gesetzt. Weil Tatsumi nie lange überlegte und lieber gleich zur Tat schritt, hatte er ihnen das alte Gebäude, in dem sich früher die Diskothek befunden hatte, abgekauft. Er war jetzt dabei, es renovieren zu lassen, denn die Neueröffnung sollte schon in weniger als einem Monat stattfinden. Ein Pächter, der die Disco betreiben würde, war ebenfalls gefunden. Und eine ganzseitige Anzeige in allen Zeitungen der umliegenden Ortschaften war geschaltet. Auf einem regenbogenfarbigen Hintergrund würde neben einem Anfahrtsplan die kurze aber aussagekräftige Ankündigung stehen: „Wahre Liebe gibt es nur unter Männern – Besuche den exklusiven ‚Club Morinaga’ – Der neue angesagte Gay-Treff auf dem Lande – Eröffnung am 2. April!“ Schwere Schritte näherten sich vom Flur her. Die Person hielt vor dem Labor an, wartete kurz und trat dann ohne anzuklopfen ein. Es war Professor Suzuki. „Morinaga? Morinaga!“, wiederholte er, als keiner der beiden reagierte. „Antworten Sie, wenn Sie angesprochen werden!“ Tetsuhiro sah sich um. „Soichi?“ „Ja?“ „Siehst du hier jemanden mit dem Namen Morinaga?“ Suchend blickte sich Soichi im Labor um. „Nein.“ Der Professor starrte die beiden mit offenem Mund an. „Was…? Sagen Sie nicht, dass Sie das mit dem Schild draußen ernst meinen!“ Seit dem Morgen hing auf dem Flur neben der Labortür ein kleines Schild, auf dem die Namen der Personen eingetragen waren, die das Labor zurzeit benutzten: Dr. Tatsumi Soichi und Tatsumi Tetsuhiro. „Hören Sie, Morinaga! Ich verlange, dass Sie auf der Stelle wieder das alte Schild dort anbringen! Haben Sie mich verstanden? Sie sind schließlich dazu verpflichtet, Ihren richtigen Namen anzugeben.“ „Das ist mein richtiger Name. Ich habe ihn Anfang der Woche ändern lassen. Ganz offiziell und mit sofortiger Wirkung.“ „Und aus welchem Grund haben Sie das gemacht?“ „Ich habe mich entschieden, den Namen meines Ehemannes anzunehmen.“ „Ihres…“ Er sah von Tetsuhiro zu Soichi. „Sie haben doch nicht etwa…?“ Ein Blick auf die Hände der beiden genügte als Antwort, denn dort waren jetzt andere Ringe, als vor ihrer Reise nach Amerika. Zuerst wollte er fragen „Und? Wer von Ihnen hat das Brautkleid getragen?“, verkniff es sich dann aber doch. „Das sieht Ihnen wieder ähnlich! Das haben Sie doch nur gemacht, weil Sie mir eins auswischen wollen! Geben Sie’s ruhig zu!“ „Bilden Sie sich nur nichts ein“, sagte Soichi übertrieben gelassen. „Man heiratet aus Liebe und nicht, um andere zu ärgern.“ „Und was“, der Professor knallte zwei zusammengeheftete Blätter auf den Labortisch, „hat es bitte hiermit auf sich?“ „Steht doch drauf“, antwortete Soichi knapp. „Ein Antrag für die Neubildung der lesbisch-schwulen Studentenverbindung. Es fehlt nur noch Ihre Unterschrift.“ „Ich weiß, was draufsteht!“, polterte Suzuki los. „Wenn ich mich richtig erinnere, waren Sie es doch, der für die Auflösung dieser Gruppe gesorgt hat!“ „Ja. Aber jetzt habe ich es mir anders überlegt.“ „Wollen Sie sich wieder profilieren, ja? Warum sonst sind Sie und Morinaga… oder Tatsumi… ach, Sie bringen mich völlig durcheinander! Also, warum sind Sie beide als Gründungsmitglieder angegeben? Und vor allem, was soll mein Name da?“ Er zeigte auf den dritten Namen, der bei den Gründungsmitgliedern eingetragen war. „Nun, es macht sich immer gut, wenn jemand vom Lehrerstab in einer Stundentenverbindung Mitglied ist. Das verleiht dem Ganzen gleich einen offiziellen Charakter.“ „Aber warum ich? Warum nicht Professor Yamura? Oder Professor Wakada? Die ist bei solchen Themen eher… liberal eingestellt.“ Tetsuhiro legte liebevoll einen Arm um Soichis Taille. „Weil wir Sie persönlich gerne dabei haben möchten.“ „Das können Sie vergessen!“ „An Ihrer Stelle würde ich es mir überlegen, den Antrag zu zerreißen“, sagte Soichi, denn sein Vorgesetzter hatte genau das vor. Er nahm sein Handy, tippte etwas ein und hielt Suzuki das Display hin. „Oder soll Ihre Frau erfahren, dass Sie sich auf Hawaii mit Ihrer Geliebten herumgetrieben haben?“ Der Professor wurde bleich, als er die Telefonnummer seiner Frau vor sich sah. Soichi drückte ihm einen Kugelschreiber in die Hand und zeigte auf eine leere Stelle auf der zweiten Seite. „Dort unterschreiben.“ „Sie…!“ Wütend stampfte der Professor auf. Am liebsten hätte er diesen fürchterlichen Tatsumi von der Uni geworfen! Aber wenn er das tat, würde der Kerl mit Sicherheit seine Drohung wahr machen und seiner Frau alles erzählen, was er auf Hawaii gesehen hatte. Nein, er konnte nichts tun. Die zwei hatten ihn in der Hand. „Also gut! Sie kriegen Ihren Willen! Ich unterschreibe. Aber nur unter einer Bedingung!“ „Und die wäre?“, fragte Soichi. „Kein Wort zu meiner Frau!“ „Einverstanden.“ „Schwören Sie!“ „Von mir aus. Ich schwöre.“ „Sie auch!“, forderte er von Tetsuhiro. „Ich schwöre“, antwortete dieser. Der Professor setzte nach einem letzten Zögern seine unleserliche Unterschrift auf den Antrag. „So, wenn Sie uns jetzt bitte weiterarbeiten lassen würden?“ Tetsuhiro öffnete die Tür. „Wir haben nämlich noch zu tun.“ Suzuki steckte den Antrag ein und verließ wortlos das Labor. Soichi ging wieder zum Labortisch zurück. „Und schöne Grüße an Ihre Frau, Su-Su“, flüsterte er, bevor die Tür zufiel. „Das haben wir gut gemacht“, sagte Tetsuhiro und lachte siegreich. Wieder traf ihn ein eisiger Blick von Soichi. Er, der während der Anwesenheit des Professors noch gelächelt hatte, sah jetzt alles andere als freundlich aus. „Glaub nur nicht, dass alles wieder in Ordnung ist! Ich war gerade nur so nett, weil Suzuki hier war!“ „Bist du etwa immer noch böse?“ „Und ob ich das bin!“ „Aber Rick hat uns das doch geschenkt, damit wir es benutzen. Wäre es dir lieber, ich würde es als Dekoration in irgendeine Vitrine stellen? Komm schon, es hat dir doch so gut gefallen.“ Soichi wurde rot. „Es hat mir überhaupt nicht gefallen! Und dass du mich vorher auch noch mit Handschellen gefesselt hast, war einfach nur feige von dir!“ „Mit den Handschellen warst du einverstanden. Und mit dem anderen auch. Gegen deinen Willen hätte ich das nicht gemacht, das weißt du doch.“ „Ich habe mich nur darauf eingelassen, weil du mich vorher betrunken gemacht hast! Wäre ich nüchtern gewesen, hätte ich dem niemals zugestimmt!“ „Selbst schuld, wenn du zuviel trinkst.“ „Sei ruhig!“ Um nicht weiter darüber reden zu müssen, wies er ihn an: „Geh, und hol mir einen Kaffee!“ Tetsuhiro drehte sich lächelnd um und verließ das Labor. Soichi sah noch ein paar Sekunden auf die Tür, durch die er verschwunden war, dann wandte er sich wieder seinem Mikroskop zu. Ende Ich fand es passend, die Geschichte im Labor enden zu lassen. XD Das ist im Manga ja auch immer so. Was war bloß in der Schublade??? X3 Wir werden es nie erfahren… XD Da die Hochzeiten in den USA stattgefunden haben, waren sie im westlichen und nicht im traditionellen japanischen Stil. Auch deswegen, weil ich mich mit japanischen Hochzeiten noch weniger auskenne, als mit westlichen. ^^’’’ In Teil 2 hatte ich den Polterabend völlig vergessen… ^^’’’ Also habe ich den hier noch rückblickend mit eingebaut. Wäre der Polterabend in Teil 2, wäre er zwischen der Ankunft auf dem Flughafen von San Francisco und der Szene, in der Soichi und Morinaga sich auf dem Hinterhof herumtreiben. Passt also einigermaßen. XD Ich gehe davon aus, dass man in den USA nicht einfach so hingehen und mal eben schnell heiraten kann, wie Phil und Rick es getan haben (außer vielleicht in Las Vegas?). Auch nicht, dass Vater Tatsumi in ca. zwei Wochen 1. seinen Job in Afrika erledigt hat, 2. die Geldmenge locker gemacht hat und 3. die Disco gekauft, einen Pächter gefunden und alles andere in die Wege geleitet hat. XD Wenn mir noch was einfallen sollte, kann ich ja noch ein Kapitel schreiben, in dem die drei Ehepaare (alle gemeinsam?) in die Flitterwochen fahren. ^__^ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)