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Iverion

von

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Kapitel 2
 

Ania und Telon sahen die Staubwolke ihrer Verfolger gegen den Horizont, doch sie hörten sie noch nicht. Obwohl die Sonne so niedrig stand, war es immer noch unerträglich heiß. Doch die Pferde waren diese Temperaturen gewöhnt, zumindest waren sie besser angepasst als ihre Reiter. Anders als die Kaltblüter des Nordens waren diese Tiere in der Lage die tödlichen Temperaturen der Wüste auszuhalten. Das Paar konnte nur hoffen, dass sich keines der Tiere ein Bein brach, denn sonst wären sie verloren.

Ania sah hinter sich. Es würde noch eine Weile dauern bis die Sonne vollständig unterging. Die Tage in diesen Gegenden waren lang.

Vor ihnen breiteten sich am Horizont lange Schatten aus. Das Gebirge. Wenn sie es erreichten, wären sie sicher. Dort gab es viele kleine Pfade und ein vernetztes Höhlensystem. Jeder, der diese Höhlen nicht genau kannte und sich dennoch hinein wagte, wäre verloren. Telon, so wusste Ania, kam aus dieser Gegend. Er kannte das Gebirge. Er würde sie beide in ein ruhiges, gemeinsames Leben führen.

Als sie sich nach einiger Zeit wieder umwandte, sah sie, dass ihre Verfolger den Abstand zwischen ihnen beträchtlich verringert hatten. Was konnten sie bloß tun? Obwohl sie beide über beträchtliche magische Fähigkeiten verfügten, wäre es ihnen nicht möglich gegen solch eine Übermacht anzukommen. Außerdem war sich Ania sicher, dass sich auch Feuster unter ihnen befand und gegen ihn allein, so war sie sich sicher, hätten sie schon keine Chance. Sie hatte in den vergangenen Jahren lernen müssen, welche Kräfte er besaß und auch, dass er nicht zögerte diese anzuwenden, um andere Menschen zu quälen.

Einmal hatte der Sohn einer seiner vielen Nebenfrauen es gewagt ein Ei zu stehlen. Es war ein einzelnes Ei gewesen, doch der Junge hatte es von Feusters persönlicher Henne gestohlen. Jedes der Eier, welches dieses Tier legte, war speziell für den Anführer des Stammes gedacht. Der kleine Junge, welcher nicht älter als vier oder fünf Jahre gewesen war, hatte wohl wissen wollen, was denn so besonders an diesen Eiern sei und hatte eins gestohlen. Doch er war in flagranti erwischt und zu seinem Vater gebracht worden. Die Szene war furchtbar mitanzusehen gewesen: Das kleine wimmernde Kind, welches sich vor Schmerzen auf der Erde krümmte; die Mutter, welche Feuster angeflehte doch Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Ja, selbst sie, welche von den anderen Frauen nichts als Spott empfing, hatte ihn gebeten seinem Sohn doch zu verzeihen. Doch nichts hatte genützt. Im Endeffekt hatte all das Bitten und Betteln nichts bewirkt. Der Junge war noch am selben Abend im heißen Wüstensand beerdigt worden.

Trotz der Hitze lief es ihr kalt den Rücken herunter als ihr die Erinnerungen kamen. Ihr Mann hatte nicht einmal davor zurückgeschreckt seinen eigenen Sohn zu töten, was also würde er ihnen antun, sollte er sie erwischen.

Plötzlich strauchelte Telons Pferd. Es war ungünstig auf einen Stein getreten, der im heißen Sand verborgen gelegen hatte. Obwohl Telon ausgesprochen sattelfest war, konnte er sich nicht mehr halten als das Tier stürzte. Er rollte einige Meter durch den Sand und blieb dann reglos liegen. Ein rotes Rinnsal floss unter seinem Haarschopf hervor.

„TELON!!!“

Ania sprang von ihrem Pferd und rannte auf ihn zu. Das zweite Pferd hatte sich inzwischen wieder aufgerappelt, doch der Reiter lag noch immer am Boden ohne ein Lebenszeichen von sich zu geben.

Sie kniete neben ihm und fühlte nach seinem Puls, horchte nach seinem Atem und hoffte zu erkennen, dass sich der Brustkorb hob und senkte. Doch sie spürte, hörte und sah nichts durch ihre tränenverschleierten Augen. Nein. Sie konnte jetzt nicht aufgeben. Er musste noch am Leben sein. Konnte nicht tot sein. Sie wollte nichts mehr verlieren. Hatte in den letzten Jahren so unter ihrem Mann, den sie nicht liebte, gelitten. Ein Leben ohne Telon war für sie nicht mehr vorstellbar.

Plötzlich fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Warum war sie darauf bloß nicht früher gekommen? Vorsichtig streckte sie ihre magischen Sinne aus. Dort war er. Gut. Sie spürte seinen Herzschlag. Er lebte also noch. Was war nur los mit ihm? Sie suchte seinen ganzen Körper nach inneren Verletzungen ab. Er schien Glück gehabt zu haben. Abgesehen von der Kopfwunde, welche ihm die Besinnung geraubt hatte, aber ansonsten keine Schäden hinterlassen würde, ein paar Rippenbrüchen und einigen Quetschungen schien ihm nichts weiter passiert zu sein. Soweit sie es beurteilen konnte, waren keine lebenswichtigen Organe verletzt worden.

Die Spitze eines langen, bedröhlichen Schattens fiel auf sie. Und sie sah, erleuchtet von den letzten Strahlen der untergehenden Sonne, Feuster mit seinen Gefolgsleuten auf sich zu kommen.
 

Feusters Schatten fiel auf Ania, die über Telon gebeugt am Boden kniete.

„So, du dachtest also, du könntest mir entkommen. Ich werde diesen Bastard, der dich entehrt hat, durch die Hölle schicken. Hattest du Angst, er könnte sterben?“ Er lachte bitter als er ihr entsetztes Gesicht sah. „Er wird sich wünschen, er hätte die Möglichkeit zu sterben. Ja, selbst du wirst dir wünschen tot zu sein, um nicht mit anzusehen, wie er leidet. Du wirst es bereuen vor mir geflohen zu sein. Wirst es bereuen dich auf diesen Bastard eingelassen zu haben.“

Sein Blick war wutverzehrt. Er packte sie an der Kehle und riss sie zu sich hoch. Kam mit seinem Gesicht immer näher an das ihre, bis sich ihre Nasenspitzen fast berührten. Er hielt einen Moment inne, dann wisperte er: „Wie kannst du mir das antuen? Ich liebe dich, Ania!“

Die letzten Strahlen erhellten Anias Gesicht und Feuster bewunderte ihre Schönheit. Wie konnte dieses gottgleiche Wesen ihn verraten.

Dann verschwand die Sonne vollständig hinterm Horizont und rabenschwarze Nacht legte sich über das Land.
 

* * *
 

Weide folgte dem ältlichen Soldaten durch einen langen Flur. Man bezeichnete ihn hier als Aruc, was die Anrede für eine höher gestellte Persönlichkeit war. Es war ganz anders als er es kannte. In Oralia gab es abgesehen von der Königin keine Klassenunterschiede und keine Steingebäude. Wenn es so etwas wie Häuser gab, so standen diese nicht auf dem Erdboden und waren folglich auch nicht aus Stein. Hier war alles aus weißem Marmor an dem Wasser hinunter lief. Es glitzerte im Licht, das, wie es schien, von einigen Steinen selbst abgestrahlt wurde.

Sie kamen an einen Wasservorhang. Es war ein seltsamer Anblick. Wasser lief von der Decke hinab und bildete eine undurchsichtige Wasserwand. Sein Führer blieb nicht stehen, sondern ging einfach weiter, ungeachtet der Gefahr nass zu werden. Doch noch bevor er den nassen Vorhang erreichte, teilte sich dieser, um ihn durchzulassen. Weide folgte schnell und hinter ihm schlug das Wasser zusammen.

Sie durchquerten einen runden Saal, dessen Wände, wie es schien, aus Wasser bestanden. Für jemand Fremdes war nicht zu erkennen, wo ein Durchgang war und wo sich hinter dem Wasser nur nackter Stein verbarg. Trotzdem vermutete Weide, dass es hier mehr als eine Tür gab, wenn man die nassen Barrieren so bezeichnen konnte.

Sie wandten sich etwa 60° nach rechts und folgten, nachdem sie den Vorhang ohne nass zu werden durchquert hatten, einem weiteren Flur.

Sie passierten noch einige dieser Räume und Gänge bis sie an einen riesigen Wasserfall kamen, vor welchem der Soldat stehen blieb und wartete.
 

Quareak wandte den Kopf zum Eingang.

Wie ein Hund dachte Agnem. Quareak zeigte ihm an, dass jemand kam. Es war immer so. Agnem wusste nicht, ob sein Leibwächter auch so offensichtlich reagiert hätte, wenn er selbst einen Fremden hätte spüren können. So war er ihm nur dankbar, dass er ihn nicht jedesmal auf sein Handicap aufmerksam machte. Und obwohl Quareak sehr verschlossen war und kaum sprach, waren sie ein eingespieltes Team und er vertraute ihm. Ihre Beziehung war gezwungenermaßen sehr eng, da der Aracuner sein einziger Leibwächter war und er ihn, wie er ungern zugab, bitter nötig hatte. Es war seltsam, dass dieser Mann nun seit über zwei Jahren rund um die Uhr an seiner Seite war.

Es hatte viel Missgunst gegeben, damals als Quareak zu seiner Leibwache ernannt worden war, denn er hatte alle anderen getötet. Ungern erinnerte sich Agnem an den Tag des Wettbewerbs. Er hatte erwartet alle Kandidaten munter aus dem Wald spazieren zu sehen, doch nur Quareak war gekommen. Wie er es geschafft hatte, gegen ein Dutzend magisch hochbegabter junger Leute anzukommen, war vielen unklar und sie vermuteten, dass er sie in einen Hinterhalt gelockt hatte. Doch da der Sieger zu einer der angesehensten Familien gehörte, hatte sich niemand getraut, die Verdächtigungen laut auszusprechen. Außerdem war Quareak sehr ruhig, so dass die meisten seine Anwesenheit schon nach kurzer Zeit vergessen hatten. Trotzdem, Agnem hatte bald bemerkt, dass dieser Mann sich zu vielen Themen seine Gedanken machte und schätzte ihn inzwischen nicht nur als Leibwächter, sondern auch als Berater und Vertrauten, was allerdings eine sehr einseitige Beziehung war.

Agnem bemerkte, dass derjenige, über den er gerade nach gedacht hatte, ihn erwartend ansah. Er nickte. Das war das Zeichen. Langsam glitten die schweren Wassermaßen auseinander.

Dass er nicht einmal seine eigene Tür bedienen konnte...
 

Es dauerte einen Moment, der Weide ewig vorkam. Er war von sehr ungestümer Natur und alles andere als geduldig.

Der Soldat, welcher ihn geführt hatte, blieb stehen, gab ihm allerdings ein Zeichen weiterzugehen. Weide gehorchte.

Der Saal, in den er jetzt trat, war prächtig. Hatte er sich bisher schon von der Schönheit des Palastes verzaubern lassen, so hatte er im Vergleich zu diesem Saal noch nichts gesehen, was seiner Bewunderung würdig gewesen wäre. Auch hier lief an den Wänden das Wasser hinunter, doch selbst die Möbel schienen aus Wasser zu bestehen.Und, was ihm plötzlich auffiel, er ging über das Wasser. Es war hart, wie Stein, doch es war Wasser.

In dem Raum befanden sich nur zwei Personen, was Weide wunderte, da er sich überlegte, wie leicht es doch sein musste, einen Attentat auf den König auszuüben. Vor allem, da doch jeder wusste, dass dieser König kaum magisches Potential besaß. Man bräuchte nur...

Plötzlich spürte er einen stechen den Blick. Der junge Mann, der an der Wand stand, schien ihn mit seinen Blicken zu durchbohren. Hatte er etwa seine Gedanken gehört?

Der Gedanke ängstigte ihn, so dass er beschloss, sich wieder der Inneneinrichtung des Raumes zu widmen.

Geradezu, nahe der rückwärtigen Wand stand ein Schreibtisch, der wie alles andere aus Wasser zu bestehen schien. Und an diesem Schreibtisch saß der König. Ein sehr junger König und ein ausgesprochen gut aussehender König. Wie die meisten Aracuner trug er sein langes Haar offen. Es war silbern, enthielt aber einen Ton der aus einer Mischung von blau und grün bestand. Und Weide musste sich selbst eingestehen, dass es ihm gefiel. Auch besaß der König für einen Aracuner erstaunlich breite Schultern, da diese doch insgesamt eher zierlich gebaut waren.

Er musste damit aufhören. Schließlich konnte dieser ausgesprochen verdächtig anmutende Mann an der Wand Gedanken lesen. Zumindest vermutete Weide das, obwohl er noch nie von solch einer Art Gedanken zu lesen gehört hatte. Allerdings lag Oralia sehr abgeschieden. Was wusste er schon von dem, was außerhalb seiner Landesgrenzen vorging?!

Langsam ging er auf den König zu.

„Ihr müsst müde sein von der langen Reise.“, sprach ihn der König an und er hatte, wie Weide feststellen musste, eine wunderbare Stimme. „Ich schlage vor, dass Ihr euch in euren Gemächern ausruht und heute Abend mit uns speist.“

„Wie Ihr wünscht, Majestät. Ich werde mich bemühen ein angenehmer Gast zu sein.“

„Das seit Ihr uns jetzt schon. Ich freue mich auf unser gemeinsames Mahl.“

Weide fing einen kurzen mentalen Befehl auf, der durch den Raum flog und kurz darauf erschien an der rechten Wand ein Junge, welcher schnell auf ihn zu kam.

„Folgt mir, bitte.“

Nach einer kurzen Verabschiedung entfernte sich Weide, dem Diener folgend, noch ganz in Gedanken versunken.
 

„Er scheint ein netter Kerl zu sein und ausgesprochen klug und vernünftig.“

Agnem wusste, dass Quareak viel mehr über die Leute wusste, die zu ihm kamen, als er. Also hatte er sich angewöhnt ihn nach seiner Meinung zu fragen. Natürlich empfand er seine nicht vorhandene magische Kraft als Schwäche. Trotzdem war er nicht so dumm aus falschem Stolz keinen Rat von jenen anzunehmen, die es besser wussten. Im Gegenteil, er suchte ihre Hilfe und ihren Rat, was auch der Grund war, warum er trotz seiner Jugend als weise galt.

„Wir wissen kaum etwas über ihn.“

Die Antwort war sehr vorsichtig ausgesprochen. Mochte Quareak den jungen Oralier nicht? Weide hieß er und war ihnen von einem Boten, der vom Stützpunkt kam, angekündigt worden.

Der Stützpunkt war die einzige Siedlung, die dem Rest von Iverion auf oralischen Boden bekannt war. Man wusste kaum etwas über dieses Volk und einen von ihnen zu sehen, geschweige denn mit ihnen zu sprechen, war außerhalb ihrer Landesgrenzen nahezu unmöglich. Man wusste nicht einmal, ob sie überhaupt Städte hatten. Selbst im Stützpunkt, dem letzten sogenannten zivilisierten Ort, den man erreichte bevor man in Oralia eindrang, lebten kaum Einwohner aus Oralia selbst. Ein Bote aus Oralia war dem zu Folge eine besondere Ehre.

Was also machte Quareak so misstrauisch? Hatte er Vorurteile? Das konnte nicht sein. Es war schon öfters vorgekommen, dass sie Besucher von außerhalb Aracus empfangen hatten und jedes Mal hatte sein Leibwächter ihm klar und offen gesagt, was er von der entsprechenden Person hielt. Warum also drückte er sich nun so undeutlich aus?

Und was sollte dieser seltsame Blick bedeuten?

Irgendetwas schien vorgefallen zu sein. Irgendetwas von dem er nichts wusste. Wieder verfluchte er es kaum magische Kräfte zu haben. Wenn er stärker wäre, dann würde er sich auf sich selbst verlassen können. Wäre nicht auf die Informationen Dritter angewiesen, wenn es darum ging seinen Gegenüber richtig einzuschätzen. Aber er konnte es nicht ändern und hatte sich auch mehr oder weniger damit abgefunden. Nur genau jetzt hätte ihn doch interessiert, warum Quareak so skeptisch war. Was hatte Weide getan, um sein Misstrauen zu erregen? Vielleicht würde er es beim gemeinsamen Abendessen herausfinden.
 

Wieder wurde Weide durch die endlosen Weiten des Palastes geführt. Langsam kam er sich vor wie in einer Unterwasserwelt. Wer auch immer behauptet hatte, dass Oralier Exoten waren, war eindeutig noch nie in diesem Palast gewesen.

Seine Gemächer, welche er nun verlassen hatte, da ihn ein Page zum Abendessen abgeholt hatte, waren wunderschön. Zwar hätte er es vorgezogen unter freiem Himmel in einer Baumkrone zu schlafen, trotzdem glaubte er sich an diese Gemächer gewöhnen zu können. Sie waren wunderbar weitläufig. Man hatte ihm erklärt, dass er, da der Palast momentan keine anderen Gäste beherbergte, dass gesamte Stockwerk für sich hatte.

Auch hier gab es erstaunlich viel Wasser, jedoch war die Inneneinrichtung größtenteils aus festerer Materie. Viel war aus Stein, aber es gab auch Holz und Stoffe, wobei zumindest Holz hierzu Lande eine Rarität zu seien schien.

An die Türen hatte er sich inzwischen gewöhnt. Anfänglich hatte er versucht wie die Aracuner das Wasser zu spalten. Das war ihm jedoch kläglich misslungen. Da er sich gerne umsehen wollte, hatte er beschlossen, dass es ihm nichts ausmachen würde nass zu werden. Schließlich wollte er nicht jedesmal einen der Soldaten oder Pagen bitten, wenn er eine Tür durchqueren wollte. Er hatte sich also der Tür genähert mit der Absicht einfach durch sie hindurch zu treten. Nach mehreren vergeblichen Versuchen hatte er es auch irgendwann geschafft, sah dafür allerdings aus wie ein begossener Pudel. Er hatte nicht gewusst, welche Macht Wasser hatte. Und als er durch die Tür gegangen war, wäre er fast ertrunken. Auch war ihm bisher nicht klar gewesen, welch` mächtigen Schutz diese Türen doch darstellten, nun hatte er es am eigenen Leib erfahren müssen. Ihm schauderte, wenn er an das große Tor dachte, welches zum Saal des Königs führte. Er glaubte nicht, dass er aus diesen Wassermassen alleine wieder lebend heraus gekommen wäre. Die Türen hier begrenzten nur die Gästezimmer, welche normalerweise nicht so einen starken Schutz brauchten. Wenn das wirklich so war, konnte er seine Streifzüge durch den Palast vergessen. Außerdem wusste er nicht genau, was dieser böse guckende Leibwächter ihm antun würde, sollte dieser ihn irgendwo erwischen, wo er nicht sein durfte. Und das zweite war, dass er doch gerne vermeiden würde, dass er wie vorhin schon nach der ersten Tür, wie eine halb ertränkte Katze da stand. Während er sich noch überlegt hatte, wohin er nun gehen sollte, war einer der Pagen mit Handtüchern angerannt gekommen. Dieser hatte ihn zurück in sein Zimmer bugsiert und ihm empfohlen die Kleidung zu wechseln. Danach war ihm die Lust am Umherschnüffeln auch erst einmal vergangen.

Nun folgte er also einem der Pagen und war froh darüber, dass dieser die Türen öffnete. Wieder ging es durch Gänge und Säle. Langsam fragte er sich echt, wie diese Menschen es schafften sich zurecht zu finden. Für ihn sah hier alles gleich aus. Alles voller Wasser.
 

Sie kamen an das Ende des Ganges, dem sie gerade gefolgt waren und der Page stoppte abrupt ab. Er öffnete keinen neuen Durchgang, so dass Weide fast in ihn hinein rannte.

„Einfach gerade durch.“, meinte der Page und verschwand in der Wand.

Gerade durch?! Das sollte wohl ein Scherz sein. Vor ihm lag eine zumindest für ihn undurchdringliche Wasserwand. Vielleicht brauchte er ja einfach nur zu warten und dann würde sich der Vorhang von ganz alleine spalten. Aber nichts geschah und er war nun leider nicht sonderlich gut im Warten. Er hibbelte von einen Fuß auf den anderen.

Plötzlich fiel ihm auf, was dieser Palast für ihn war. Wenn ihm keiner half, so war er gefangen. Es war ein Gefängnis. Für ihn war es unmöglich diesem Gebäude, was nur aus Wasser bestehen zu schien, zu entkommen. Der Gedanke machte ihn fast wahnsinnig. In Oralia war man frei. Man sah den Himmel, hörte die Bäume und spürte den Wind. Hier war er hilflos.

Weide beruhigte sich. Wenn die Aracuner das Wasser spalten konnten, so konnte er das auch. Er stellte sich vor die Stelle, die er durchqueren wollte und schloß die Augen, um sich besser konzentrieren zu können.

Er atmete ein paar Mal langsam und bewusst tief ein und aus. Ohne sich zu bewegen streckte er seine Sinne aus. Da war das Wasser. Durchtränkt mit Magie. Es zog an ihm vorbei wie der Wind, den er so gut kannte.

Plötzlich war ihm klar, was er tun musste. Er öffnete seine Augen. Warum war er solch ein Dummkopf gewesen?! Er konnte das Wasser nicht spalten wie die Aracuner, denn er war keiner von jenen, die mit dem Wasser reden konnten. Er sprach mit der Luft und dem Wind. Und genau von diesen alten Freunden würde er sich nun helfen lassen.
 

Agnem wartete. Wo blieb sein Gast blos? Normalerweise waren hier alle immer sehr pünktlich und nun war, seit er nach Weide hatte schicken lassen, bestimmt schon eine Stunde vergangen. Er überlegte, ob er einen der Pagen fragen sollte. Nein, so nötig hatte er Weides Gesellschaft nun auch nicht. Obwohl er enttäuscht war, dass dieser ihn so warten ließ.

Sein Blick fiel auf Quareak. Er war sich sicher, dass dieser wusste wo Weide war. Aber nach ihrem Gespräch, welches sie geführt hatten, nachdem Weide den Raum verlassen hatte, beschloss er Quareak lieber nicht zu fragen.

Ob dieser vielleicht sogar etwas mit Weides Verschwinden zu tun hatte? Nein, der Gedanke war abwegig. Er konnte sich nicht vorstellen, dass sich sein Freund zu solch einem kindischen Streich hinreißen lassen würde.

Die Vorstellung, Quareak könnte so etwas Albernes tun wie Streiche spielen, belustigte ihn. Doch plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen. An der Tür tat sich etwas. Das Wasser bewegte sich, allerdings wurde es nicht wie normal einfach gepalten.

Schnell sah Agnem zu Quareak. Dieser wandte nicht einmal seinen Kopf in Richtung Tür, obwohl Agnem sich sicher war, dass er den Gebrauch von Magie gespürt haben musste.

Da Quareak keine Anstalten machte Notiz von ihm zu nehmen, beschloss er weiterhin die Tür zu beobachten.

Das Wasser spritzte von etwas Unsichtbarem ab. Tropfen flogen durch den Raum, spritzten ihm ins Gesicht und wurden sofort von seiner Haut absorbiert. Die unsichtbare Kugel schob sich weiter in den Raum hinein und Agnem erkannte, dass ein Mensch sich darin befand.

Weide.

Dieser hatte jetzt die Tür völlig durchquert. Und er war zufrieden mit sich. Zwar hatte es ihn viel Kraft gekostet und es war lange nicht so elegant, wie das einfache Teilen der Wasserwände. Trotzdem hatte er nun eine für sich praktikable Möglichkeit gefunden. Die seltsamen Türen zu durchschreiten. Er schuf eine Luftkugel um sich herum. Blies Wind gegen das Wasser und gelangte so trocken auf die andere Seite. Er war sich zwar nicht sicher, ob das bei jeder Tür funktionierte, aber zumindest bei den kleineren.

Agnem sah Quareak an. Warum hatte Weide die Tür alleine öffnen müssen. Normalerweise wurden Gäste überall hingeleitet. Hatte sein Leibwächter etwa etwas damit zu tun? Sein Gesichtsausdruck verriet keine Gefühlsregung. Aber Agnem war sich sicher, dass er gewusst hatte, dass Weide vor der Tür stand.
 

„Setzt Euch doch.“, forderte der König Weide auf.

Es war ein kleiner Raum. Eigentlich zu persönlich für einen Fremden doch Agnem hatte es so gewünscht und auch die Größe des runden Tisches deutete eher auf eine kleine Familie als auf ein formelles Abendessen hin. Wieder waren die Einrichtungsgegenstände aus Wasser.

„Was verschafft mir die Ehre Eures Besuches? Schließlich kommt es nicht oft vor, dass man die Möglichkeit hat Gastgeber eines Oraliers zu sein.“, wagte es Agnem endlich zu fragen, als sie mit der Hauptspeise begannen. Diese Frage hatte ihm schon seit heute Mittag auf der Zunge gelegen, doch er hatte nicht gewagt zu fragen aus Angst unhöflich zu sein.

„Ich komme im Auftrag von Birke. Sie wünscht euch zu sprechen.“ Eine kurze, klare Antwort und trotzdem wusste Agnem nicht mehr als vorher.

„Birke?“, fragte er nach.

Weide sah ihn verwirrt, ja fast beleidigt an.

„Birke, Ihre Majestät von Oralia!“

Agnem hatte nicht einmal gewusst, dass es in Oralia einen König gab. Natürlich sollte ihm als Herrscher diese Information eigentlich vorliegen, aber kaum jemand wusste etwas über Oralia und das Luftvolk.

„Darf ich erfahren, was Birke mit mir zu besprechen wünscht?“ Nun war er interessiert. Was konnte der König von Oralia von ihm wollen.

„Sie...“

„Sie? Ich dachte, Birke wäre ein Mann.“ Agnem grinste verlegen.

Weide nickte nur ungeduldig. „Sie bietet Euch Ihre Hilfe an. Denn verzeiht, aber Ihr erfüllt nicht alle Erwartungen, die man in einen König setzt.“

Das war unhöflich, doch Agnem hatte sich daran gewöhnt mit Vorurteilen kämpfen zu müssen, denn für die meisten Menschen bedeutete kein magisches Potential kein Verstand. Er war es auch gewohnt beleidigt zu werden. Meistens überging er es und tat so als hätte er es nicht gehört, da es ihm zu lästig war jeden zurecht zu weisen.

„Ich meine damit nicht, dass Ihr kein guter König seid.“, sprach Weide hastig weiter und Agnem erkannte aus seinem Tonfall, dass ihm jetzt erst klar geworden war, was er gesagt hatte. „Ich meine ja bloß, dass jegliche Abwesenheit von magischen Fähigkeiten...“

Der junge Mann ihm gegenüber schien zu bemerken, dass er sich gerade um Kopf und Kragen redete, schien allerdings nicht zu wissen, wie er die Situation noch retten sollte. Agnem lachte in sich hinein und beschloß den Oralier zu erlösen.

„Das ist sehr freundlich von Birke. Wir würden uns freuen ein Bündnis mit Eurem Volk einzugehen.“, unterbrach er den immer noch hastig redenden Weide. „Darf ich fragen, welchen Vorschlag Birke gemacht hat, wo und wann wir uns treffen? Ich nehme doch an, dass sie einen Vorschlag hat.“

Weide, sichtlich erleichtert, das Thema zu wechseln, antwortete: „Birke würde sich freuen Euch, wenn es Eure Arbeit zulässt, als Gast empfangen zu dürfen. Wann immer Ihr wollt.“

„Ich schätze mich glücklich in Genuss dieser Ehre zu kommen und nehme dankend an. Doch zuvor hoffe ich, Euch noch eine Weile meinen Gast nennen zu dürfen.“ Dann richtete er sich an Quareak: „Wann wird es Uns möglich sein die Einladung anzunehmen?“

„Nicht vor Sommer.“ kam die präzise Antwort. Das war noch mehr als ein halbes Jahr. Der Winter hatte noch nicht einmal begonnen.

„Dürfen Wir Euch also solange Unseren Gast nennen?“

„Es wäre mir eine Ehre.“
 

Den restlichen Abend unterhielten sie sich über die Unterschiede ihrer Länder und Kulturen. Es stellte sich heraus, wie wenig sie doch über das fremde Land wussten. Für beide war es bisher mehr ein Mythos gewesen als reale Nachbarn, die dort nahe und doch so fern lebten.

Das Interesse an dem fremden Land wuchs mit jedem Gespräch. Es war zur Gewohnheit geworden, dass Agnem mit Weide zu Abend speiste, wenn er nicht zu viel zu tun hatte. Agnem merkte Quareak an, dass dieser die Entwicklung ihrer Beziehung misstrauisch beobachtete. So dass der König sich alle Mühe gab, Quareak keinen Grund zu geben sich zu beschweren. Er schätzte den stillen Mann und wollte keine Konkurrenz oder gar Feindseligkeit zwischen ihm und dem jungen Oralier aufkommen lassen.

Trotzdem lud er Weide eines Tages dazu ein, einen Jagdausflug zu unternehmen, so dass dieser das Land etwas besser kennen lernen konnte. Agnem wusste, dass Weide das Schloß kaum verlassen hatte. Obwohl er, wie ihm berichtet worden war, aktiv im Palast umherschnüffelte. Zuerst hatte er nur sein Zimmer inspiziert, dann hatte er sich die Etage vorgenommen und war inzwischen beim ganzen Schloß angelangt. Agnem wusste, dass Weide die Türen immer noch schwer zu schaffen machten und außerdem war er sich sicher, dass Quareak ein strenges Auge auf Weide hatte, so dass dieser nicht all zu viel Freiraum bekam.

Agnem hatte eine Vermutung, warum Weide den Palast nicht verließ, wenn es nicht sein musste. Er war auch eine auffällige Erscheinung. Schon die komischen Ohren, doch das würde er wohl genau so auch über ihn sagen. Aber auch die Hautfarbe, welche mehr ins Rosane als ins Bläuliche ging, zeichnete Weide als einen echten Oralier aus und eindeutig nicht als Aracuner. Der komische Aspekt an der ganzen Geschichte war, dass Weide im Vergleich zu den anderen Ländern nicht sonderlich von den Einwohnern Aracus abwich. Den stärksten Kontrast zu ihnen stellten wohl die Firrainier da, denn ihre schwarze Haut und ihr starker Bartwuchs, den sie sich meistens nach ihrer derzeitigen, was zur Zeit lang bedeutete, Mode trugen, waren sehr kennzeichnend. Doch obwohl die Firrainier viel auffälliger waren, konnten sie sich in Aracu frei bewegen ohne dass ihnen eine Menschenmenge hinterherlief, wie es bei Weide der Fall war. Trotz Weides vollkommen anderen Aussehens, konnte Agnem nicht behaupten, dass Weides Aussehen ihm missfiel. Er mochte das exotische Aussehen und die glockenhelle Stimme des Mannes, die allen Oraliern zu eigen war.

Er hatte sich gefreut als Weide unter missmutigen Blicken Quareaks dem Vorschlag eines Jagdausfluges begeistert zugestimmte.
 

Drei Wochen später verließen sie Aracu auf dem Rücken der landestypischen, kräftigen Kaltblüter. Es hatte so lange gedauert bis sie den Hof verlassen konnten, da Agnem in seiner Funktion als König noch einiges hatte regeln müssen. Zwar standen ihm fähige Verwalter zur Verfügung, doch trug er die Verantwortung und ihm war klar, dass er besser sein musste als alle Könige vor ihm, um anerkannt zu werden. Dieser dämliche Mangel an Fähigkeiten. Er hasste seinen Körper dafür. Jedes Mal wenn im dieser Gedanke kam, wurde er nachdenklich. War es überhaupt sein Körper? Magische Fähigkeiten waren mentaler Natur. Angenommen er könnte den Körper wechseln, hätte er dann entsprechende Kräfte? Er wusste es nicht.

Der Anblick Weides lenkte ihn ab. Da keine akute Gefahr drohte, hatten sich die Reiter über eine weite Fläche verteilt. Die aufgehende Sonne schickte gerade ihre ersten Strahlen durch den Nebel. Es nieselte leicht, doch für Aracu waren das sehr trockene Verhältnisse. Seine Haut saugte die Feuchtigkeit auf, so dass er wie auch sein Gefolge komplett trocken war. Weide hatte diese Fähigkeit jedoch nicht. Er ritt ein Stück entfernt ein bisschen weiter vorne, so dass Agnem einen guten Blick auf ihn hatte, ohne den Kopf großartig drehen zu müssen. Das Ziel ihrer Reise waren die Sümpfe nordwestlich der Hauptstadt. Denn dort gab die besten Bedingungen für einen ausgedehnten Jagsausflug.

Weide ritt links vor ihm, so dass er sich genau vor der aufgehenden Sonne befand. Das Licht brach sich im Nebel und schien den jungen Oralier an. Seine hellblonden Haare waren im Nacken zu einem Zopf zusammengebunden, welcher nicht einmal ganz bis zu seinen Schultern reichte. Das blonde Haar wippte leicht im Rhythmus des Pferdes auf und ab. Im Hintergrund bildete sich ein Regenbogen. Die Farben waren kräftig und reichten über das komplette Spektrum von violett bis zu einem tiefen rot. Hätte Agnem darauf geachtet, hätte er hinter Weide einige vereinzelte, krumm gewachsene Bäume und Sträucher erkennen können. Doch er war in den Anblick des jungen Mannes versunken, der wie ein Gemälde anmutete. Agnem bemerkte, dass die Kleidung des Oraliers von Nebel und Nieselregen durchnässt war. Und obwohl er wusste, dass selbst er die Kleidung in einigen Sekundenbruchteilen hätte trocknen können, dauerte es noch eine ganze Weile bis die Sonne hoch am Himmel stand und er sich dazu durchringen konnte seinen Blick von dem jungen Mann abzuwenden um der Jagdgesellschaft einen Frühstückshalt vorzuschlagen. Da er nun mit großer Wahrscheinlichkeit einen Vorwand finden würde dem Oralier nahe genug zu kommen um einer kältebedingten Krankheit seines Gastes vorzubeugen.

Agnem lenkte seine Schritte zu Weide, während einige seiner Gefolgsleute das Essen vorbereiteten. Für einen Fremden wäre das wohl ein komischer Anblick gewesen, doch die Aracuner kannten es nicht anders. Reiste man, so bestand die Nahrung aus einer Art Kleister. Das war deshalb so, weil sie dafür nichts als das Pulver mitnehmen mussten. Da der König unter ihnen war, benutzte man Schalen. Doch die einfachen Leute schütteten sich nur etwas Pulver in die Hand. Man brauchte nicht viel, da es, wenn es mit Wasser in Berührung kam, kräftig aufquol. Und sich Wasser zu beschaffen war für einen Aracuner noch nie ein Problem gewesen. Ihre Körper schienen Unmengen des nassen Elements aufnehmen und nach Belieben auch wieder abgeben zu können. Auch die Temperatur war in gewissem Maße regulierbar, sodass sich bei der Temperatur des Kleisters sehr unterschiedliche Vorlieben heraus gebildet hatten.

Inzwischen stand Agnem vor Weide. Der junge Mann sah aus als hätte man ihn in einen See geschubst, doch das tat seiner Schönheit keinen Abbruch. Die nasse Kleidung klebte an seinem Körper, so dass dessen Konturen deutlich zu erkennen waren. Hoffentlich hat er sich nicht schon erkältet, dachte Agnem. Er beschloß seinen Freund zu trocknen. Er legte seine Hand auf die Brust des Oraliers. Erschreckt zuckte dieser bei der Berührung zurück. Schnell zog auch Agnem seine Hand wieder zurück. Weide sah ihn an.

„Verzeih, ich wollte nicht, dass du dich erkältest.“

Immer noch sah Weide fragend zu ihm auf. Und Agnem, der sich inzwischen wieder etwas gefangen hatte, erklärte: „Wir können eurer Kleidung das Wasser entziehen. Verzeiht, wir hätten vorher fragen sollen.“

„Nein, ihr wart im Recht. Meine Reaktion war nicht angemessen. Ich war zuvor nur so in Gedanken, dass ich euch nicht bemerkte.“

Hoffentlich glaubte ihm der König das. Ja, er war in Gedanken gewesen, doch welcher Art diese gewesen waren, sollte der König besser nie erfahren. Auch hatte er gerade eben gelogen. Er hatte Agnem bemerkt und trotzdem war er zurückgezuckt aus Angst, der König könne seinen schnellen Herzschlag bemerken. Momentan begrüßte er es, dass es dem König unmöglich war seine Gedanken zu lesen, denn...

Plötzlich legte sich eine Hand auf seine Schulter. Er beherrschte sich dieses Mal und zuckte nicht zurück. Als er den Kopf drehte, erkannte er Agnem, der ihn anlächelte.

„Wir können doch nicht zulassen, dass unser geschätzte Gast sich in der Kälte den Tod holt.“

Weide spürte, dass seine Kleidung trocknete. Es war angenehm. Die Wärme und die Nähe des Königs. Bedauern breitete sich aus als der Aracuner seine Hand zurückzog.

„Wo werden wir jagen?“, erkundigte sich Weide, um ein Gespräch in Gang zu bringen.

„In den Sümpfen. In ein bis zwei Tagen werden wir sie erreichen.“

„Dann verzeiht, aber wie werden wir jagen?“

Agnem sah ihn kurz verständnislos an bevor er antwortete: „Wir werden am Rand der Sümpfe ein Lager aufschlagen. Dort werden einige unserer Gefährten zurückbleiben, um das Lager und die Pferde zu bewachen. Wir jagen vor allem Heidschnuppen...“

„Heidschnuppen?“

„Sie sind nicht sonderlich groß.“, meinte Agnem, sich über die Unkenntnis seines Gefährten wundernd, „Die größten werden Euch bis zum Oberschenkel reichen. Man könnte sie auch als niedlich bezeichnen, doch lasst euch von ihrem harmlosen Aussehen nicht täuschen. Zwar sind die meisten dieser Wollknäule ungefährlich, doch Ihr solltet euch von Weibchen fernhalten, die trächtig sind oder Junge bei sich haben.“

„Warum?“, fragte Weide und kam sich immer dümmer vor.

„Obwohl Heidschnuppen normalerweise friedliche Pflanzenfresser sind, haben sie eine sehr effektive Methode gefunden ihre Jungen zu schützen. Ein trächtiges Weibchen wechselt sein Gebiss.“

„Häh?“, entfuhr es Weide.

„Heidschnuppenmütter ändern all ihre Gewohnheiten. Sie bekommen ein Raubtiergebiss und verlassen ihre Herde. Bevor sie werfen ernähren sie sich von anderen kleinen Tieren. Bis sie ihre Nachkommen zur Welt bringen, verdoppeln sie ihr Gewicht fast. In dieser Zeit sind sie sehr gefährlich. Haben sie geworfen, suchen sie sich eine Herde und bleiben bei dieser. Etwa ein dreiviertel Jahr fressen sie gar nichts. Dann wechselt ihr Gebiss wieder und sie sind ungefährlich.“

Weide sah ihn entsetzt an.

„Macht Euch keine Sorgen. Es passiert so gut wie nie etwas. Wir haben gelernt uns von einzelnen Tieren und Tieren mit Jungen fern zu halten.

Wir werden Euch schon beschützen.“

Der König lächelte sanft und Weide beschloss, dass er ihm vertrauen würde. Mehr noch wenn Ihre Majestät es wünschte.

In ihrer folgenden Unterhaltung sprachen sie über die verschiedenen Jagdmethoden, die in Iverion Brauch waren. Über Firein und Terrania konnte keiner der beiden etwas genaueres berichten. Doch über Oralia wusste Weide natürlich bestens Bescheid. In Oralia pirschte man sich nicht an die Beute an, sondern man wartete. So saßen die Oralier, wenn es zur Jagd ging stundenlang in ihren Baumverstecken und warteten darauf, dass sich Wild zeigte. Weide musste zugeben, dass er ein ausgesprochen schlechter Jäger war, da ihm, was für seine Rasse sehr ungewöhnlich war, die Geduld fehlte. Agnem lachte bei diesen Worten. Er erzählte Weide von einer weiteren Jagdmethode in Aracu, doch er ging nicht näher darauf ein. Obwohl Weide ihn drängte, ihm doch weiteres zu enthüllen, verriet der König nichts. Allerdings versprach er Weide, ihn mitzunehmen, sobald er eine Möglichkeit gefunden hatte. Die Tatsache, dass er diese Jagdart nicht ohne weiteres ausführen konnte, reizte Weides Neugier weiter. Und er hoffte, dass der König bald eine Möglichkeit finden würde ihn mitzunehmen und außerdem sein Versprechen nicht vergaß. Da Weide nicht wagte weiter in ihn zu dringen.

Bald darauf musste seine Majestät sich entschuldigen, da seine Untergebenen ihn baten, ihnen den weiteren Reiseverlauf zu schildern. Weide sah mit Bedauern wie der König den Aracunern folgte. Und plötzlich, als seine Aufregung über die Nähe des Königs verschwand, fühlte er sich einsam. Auf einmal wurde ihm schmerzlich bewusst, wie weit entfernt von zu Hause er sich befand und dass er sich von allen anderen deutlich unterschied. Ihn beschlich das unangenehme Gefühl, dass er sehr genau beobachtet wurde. Im Schloß hatte ihn das nie gestört. Agnem war sehr freundlich zu ihm und die Diener wagten es nicht sich ungebührlich zu verhalten. Sie schienen Gäste aus anderen Teilen Iverions gewohnt zu sein. Doch hier war es anders. Abgesehen von ihm, Agnem und Quareak befanden sich noch fünf Frauen und acht Männer in ihrer Gesellschaft und von diesen waren sieben Vertreter angesehener Familien. Plötzlich musste er lächeln, als er sich überlegte, dass die Oralier noch viel fremdenfeindlicher waren. Doch das Lächeln verschwand sofort wieder, denn er hatte einen scharfen, ihn durchbohrenden Blick gespürt. Weide fuhr herum und sah direkt in Quareaks Augen. Das dunkle Blau schien kälter als das Meer. Erschrocken wandte er den Blick ab. Warum hasste dieser Mann ihn so. Er konnte es nicht verstehen. Hegte der junge Mann vielleicht selbst unangebrachte Gefühle für den jungen Herrscher?
 

Die weitere Reise verlief ereignislos. Nur dass Weide das unangenehme Gefühl nicht loswurde, dass Quareak eine tiefe Abneigung gegen ihn hegte. Doch auch das hielt Weide nicht davon ab seine geliebten Gespräche mit dem König fortzusetzen, welcher seine Gesellschaft zu genießen schien. Und langsam schienen auch die anderen ihn zu akzeptieren. Er merkte es daran, dass sie es zuließen, dass er sich in ihre Nähe setzte oder dass sie ihm gar ein paar interessierte Fragen zu Oralia stellten. Der einzige, der nicht mit ihm sprach, war Quareak. Doch Weide war aufgefallen, dass dieser mit niemandem freiwillig zu sprechen schien. Selbst seine Gespräche mit dem König waren rar. So rar dass Weide sich entschloß seine Theorie, dass Quareak in Agnem verliebt sei, wieder zu verwerfen.

Als das Lager aufgeschlagen war, entschieden sie sich, da die Sonne schon unterging, die Jagd auf das Morgengrauen des nächsten Tages zu verschieben. Agnem hatte es sich zur Gewohnheit gemacht seinen Freund, der offensichtlich nicht an das feuchte Klima angepasst war, mehrfach täglich zu trocknen. Und Weide achtete genau darauf, dass der König nicht mitbekam, dass er sich den Regen durch ein einfaches Luftschild selbst vom Leib halten konnte. Er nutzte es nur nachts, so dass er nicht auf dem feuchten Boden schlafen musste. Momentan fand er sein Leben wie es war perfekt.

Es war noch dunkel als Agnem Weide weckte. Dieser hätte vor Schreck fast sein Luftschild fallen lassen, was zu einem ziemlich unangenehmen Zusammenstoß mit der feuchten Erde geführt hätte.

„Es geht los.“, flüsterte Agnem ihm zu. „Die Heidschnuppen sind vor allem in der Dämmerung aktiv.“

Kurze Zeit später krochen sie lautlos durch die Dunkelheit. Weide spürte das Agnem sich nah bei ihm befand. Er hätte nur die Hand ausstrecken müssen, um ihn zu berühren, doch das wagte er nicht. Er konnte die Aura jedes einzelnen spüren. Er wusste, wo sie waren. Er hätte sogar ihre Bewegungen beschreiben können.

Da er durch die Präsenz des Königs abgelenkt war, bemerkte er erst, als sich auch dieser entfernte, dass sich die anderen in einem weiten Halbkreis anordneten. Sie krochen weiterhin in einem unglaublichen Tempo vorwärts. Weide hatte Mühe ihnen zu folgen, da ihn der lange Speer, von dem jeder einen bei sich trug, behinderte. Er stellte sich ziemlich ungeschickt an und bemerkte deshalb wieder erst etwas verspätet, dass seine Gefährten verschwunden waren. Das hieß nicht, dass sie wirklich verschwunden waren, aber sie hatten ihre Aura versteckt. Das legte die Vermutung nahe, dass Heidschnuppen zu einer der zahlreichen Tierarten gehörten, welche Magie spürten. Er seufzte. Das hieß dann wohl auch, dass er weiterhin durch den nassen Schlamm kriechen musste. Er hatte geplant, ein Luftkissen zu erschaffen und auf diesem zu schweben. Doch das fiel im wahrsten Sinne des Wortes ins Wasser. Er konzentrierte sich und kurz darauf hätte jemand, der die Gegend nach Menschen absuchte, keinen mehr gefunden, zumindest wenn er dieses mit magischen Methoden versucht hätte.

Immer noch hatte die Sonne sich nicht dazu durchringen können am Horizont zu erscheinen. Weide begann in seinen nassen Sachen zu frieren. Er fluchte innerlich. Warum hatte er überhaupt mitkommen wollen. Den König hätte er auch im Palast gesehen. Aber jetzt sah er ihn den ganzen Tag... Plötzlich fühlte er sich für einen kurzen Moment amüsiert. Was war das gewesen? Er kroch durch den Schlamm. In diesem Augenblick hatte er nun wirklich keinen Grund für jegliche positive Gefühle. Waren es überhaupt seine eigenen gewesen?

Er wurde aus seinen Gedanken gerissen als vor ihm mehrere weiße Wollknäule auftauchten. Sie waren nicht sonderlich groß und schienen die gesuchten Heidschnuppen zu sein.

Da seine Jagdgefährten geübte Jäger waren, konnte er sie weder sehen noch hören. Und auch sein magischer Sinn war im Moment zu nichts mehr nutze. Er musste also auf gut Glück in Richtung der Heidschnuppen kriechen und hoffen, dass es das war, was sie von ihm erwarteten. Ansonsten hätte er wohl ernsthafte Probleme sie in dieser Einöde wiederzufinden.

Im schnellsten Tempo, welches ihm fehlende Übung und der hinderliche Speer erlaubten, bewegte er sich auf die Tiere zu. Seine Kleidung klebte inzwischen an seinem Körper und seine Knie waren wund geschubbert. Noch immer konnte er nicht einmal etwas rosa am Himmel erkennen, welches die Ankunft der wärmenden Sonne ankündigen würde.

Er machte kurz Halt, um sich seine geschundenen Knie zu besehen und sich etwas in Selbstmitleid zu üben. Zumindest seine Knie anzusehen, gestaltete sich schwieriger als geplant, da der lange Speer ihn immer noch behinderte und er es nicht wagte sich aufzusetzen. Doch ohne jegliche Bewegung wurde es noch schlimmer und er beschloß sich weiter in Richtung ihrer Beute zu bewegen, da er gerade das Gefühl hatte, dass er, wenn er noch etwas läger hier liegen blieb, seine Glieder nicht mehr bewegen könne. Doch schon nach ein paar Metern schreckte ihn ein Schnauben aus seiner Apathie auf. Nur etwa zwei Meter von ihm entfernt stand eine Heidschnuppe. Irgendetwas hatte Agnem ihm über vereinzelte Heidschnuppen erzählt, aber er konnte sich nicht mehr daran erinnern. Er war wohl etwas zu abgelenkt gewesen... Aber er war sich sicher, dass man ihm mitgeteilt hatte, dass Heidschnuppen friedfertig seien. Nur irgendwie sah dieses Tier alles andere als friedfertig aus. Er wagte es nicht einmal die Hoffnung aufkommen zu lassen, dass das Tier ihn möglicherweise nicht bemerkt hatte, da das Monster ihm direkt in die Augen starrte.

Langsam begann Weide sich rückwärts zu bewegen, um sich von der Gefahrenquelle zu entfernen. Doch jedes Mal wenn er sich ein bisschen entfernt hatte, machte sein Verfolger einen Schritt auf ihn zu. Plötzlich hielt er die Anspannung nicht mehr aus. Er riss sich den Speer vom Rücken und schleuderte ihn der Gefahr entgegen. Der Speer flog einen halben Meter durch die Luft bevor er in einem flachen Winkel wieder auf dem schlammigen Boden auftraf und über diesen weiterschlitterte. Das Tier nahm an dem langen Gegenstand, welcher es weit verfehlte nicht einmal Notiz. Seine schwarzen Knopfaugen blieben unnachgiebig auf Weide geheftet.

Die Panik wollte nicht nicht nachlassen und Weide wurde schmerzlich bewusst, dass dieses Biest zwischen ihm und seiner einzigen Waffe stand. Das Tier zog die Lefzen hoch und offenbarte eine Reihe nadelspitzer Zähne. Weide, der immer noch auf dem Boden lag, trieb dieser Anblick fast in den Wahnsinn. Er sah wie das Tier sich in Bewegung setzte, spürte, dass er automatisch Energie freisetzte und Luft mit ungeheurem Druck auf die schwangere Heidschnuppe zujagte. Er sah, dass das Tier nur einmal den Kopf schüttelte, wie um eine lästige Fliege zu verscheuchen, als die Auswirkungen seiner Kräfte es erreichten. Er wusste nun, dass es zu spät war, dass das Tier ihn töten würde. Aber er wollte noch nicht sterben. AGNEM!!!

Das Biest rannte auf ihn zu. Sein Maul geöffnet, um ihm die spitzen Zähne in die Kehle zu schlagen. Er spürte noch, wie er reflexartig einen Luftstrom auf den Boden richtete, der ihn in die Luft schleuderte, bevor die Heidschnuppe ihn erreichte, und wie er wieder auf nasser Erde landete. Dann wurde ihm schwarz vor Augen.
 

Als er Stunden später erwachte stand die Sonne schon hoch am wolkigen Himmel. Dicke Regentropfen fielen auf sein Gesicht. Er wusste nicht wie spät es war oder ob es überhaupt noch der selbe Tag war. Was für eine unüberlegte Reaktion. Er fühlte sich ausgepowert und er ärgerte sich über sich selbst. Es war kein Problem für ihn sich durch ein Luftkissen einige Meter über den Boden zu erheben, aber durch seine panische Reaktion hatte er all seine Energie verbraucht, so dass er nun keine Reserven mehr hatte. Natürlich hatte er sich in der Zeit als er geschlafen hatte einigermaßen regeneriert, doch wagte er es nicht mal sich gegen den Regen zu schützen für den Fall, dass weitere angriffslustige Heidschnuppen auftauchten. Er musste nun erst einmal abwarten bis er genug Energie hatte um zu schweben, damit er sich einen Überblick verschaffen konnte. Denn momentan hatte er keine Ahnung wo er war.

So eine Scheiße!!! Er schlug mit der Faust in den nassen Schlamm, welcher-gemäß seiner Natur- in alle Himmelsrichtungen spritzte, so dass Weide nun nass und dreckig war. Er schloß seine Augen und spürte die Regentropfen, die auf ihn trafen, sich langsam ihren Weg an ihm herunter suchten und den Schmutz mitfort nahmen. Sie verbanden sich zu kleinen Flüssen und vermischten sich mit dem salzigen Wasser seiner Tränen.
 

~ ~ ~
 

„Wo ist Weide?“

Niemand hatte den sonst so ruhigen König jemals so aufgebracht gesehen.

„Wie könnt ihr Unseren geschätzen Gast verlieren. Hat hier irgendjemand überhaupt eine Ahnung, welche diplomatischen Verwicklungen die Folgen eures Fehlers sein könnten. Das könnte als Auslöser für einen Krieg reichen.

Findet ihn!!!“

Agnem drehte sich auf dem Absatz um und stürmte in sein Zelt. Wo konnte Weide nur sein?! Warum hatte er ihn überhaupt mitgenommen?! Wenn ihm nun etwas passiert wäre, das würde er sich nie verzeihen!

Die schweren Vorhänge seines Zeltes fielen hinter ihm zusammen. Wie ein wildes Tier im Käfig lief er auf und ab.

Warum war er nicht bei ihm geblieben? Er hätte ihm mehr erklären müssen! Wo konnte er nur sein?

Furchtbare Szenarien malten sich vor seinem inneren Auge. Eine Heidschnuppenmutter, die sich bedroht fühlte. Weide, der im schlammigen Untergrund versank. Eine Gruppe Galocerose, welche ihn zu Tode trampelten.

Agnem fuhr herum als die Vorhänge am Eingang sanft auseinander geschoben wurden und Quareaks hagere Gestalt ins Zelt eindrang. Wieso war es nur Quareak? Er hatte so gehofft Weide zu erblicken. Er hatte es nicht einmal gemerkt, doch der Oralier hatte sich in sein Herz geschlichen. Jetzt erst wurde ihm bewusst wie wichtig Weide ihm doch war. Auch Weide war in Aracu ein Außenseiter-genau wie er selbst. Zwar betrachtete er auch Quareak als Freund, doch dieser sprach kaum mit ihm und hielt eine gewisse Distanz aufrecht. Weide war meist fröhlich gewesen und schien sich jedes Mal über seine Gesellschaft und eine Unterhaltung zu freuen. Er vermisste ihn, sorgte sich und war wütend auf sich selbst. Eigentlich richtete sich seine Wut gegen alles und ihm gegenüber stand Quareak. Quareak, der ihn beschützen sollte. Quareak, der ein mächtiger Magier war. Quareak, der Weide nicht ausstehen konnte.

„Bist du nun zufrieden? Du konntest Weide ja nie leiden! Bist du nun zufrieden? Jetzt ist er weg.“, Agnem begann Quareak anzuschreien. „DU HÄTTEST AUF IHN AUFPASSEN MÜSSEN ODER REICHT DEINE KRAFT DAZU NICHT AUS?! DU KÖNNTEST IHN AUCH JETZT NOCH OHNE WEITERES AUFSPÜREN! NEIN, DU WEISST WO ER IST, ABER DU WILLST ES MIR NICHT SAGEN.“

„Ihr überschätzt meine Kräfte, Majestät“

Agnem machte einen Schritt auf Quareak zu. „Nein! Ich weiß genau zu was du fähig bist. Du hast damals all die anderen umgebracht und es waren die Mächtigsten aus ihren Familien! Sie waren alle tot. Du wirst mir nicht ernsthaft weißmachen wollen, dass du nicht in der Lage bist ihn zu finden. Jetzt hab ich's.“ Er lachte gekünstelt. „Du hast Angst! Angst davor, dass er dich vom Hof vertreiben könnte. In Wirklichkeit willst du die Macht an dich reißen. Ich bin nur eine Marionette und er ist ein Hindernis. Ist es nicht so?!“

Agnem sah auf Quareak hinab. Dieser senkte seinen Kopf und begann leise zu sprechen: „Es stimmt mich traurig zu hören, dass ihr mir solch einen Verrat zutraut. Zwar misstraue ich Weide, doch war es nie mein Wunsch ihm Leid zuzufügen. Ich werde mein Möglichstes tun um Euren geschätzten Freund zu finden.“

Mit diesen Worten verließ Quareak mit gesenktem Kopf rückwärts gehend den Raum. Agnem brach, sobald sein Berater den Raum verlassen hatte, auf seinem Bett zusammen.
 

~ ~ ~
 

Weide lag immer noch mit dem Rücken auf der Erde. Er fror erbärmlich. Zwischendurch hatte der Regen einmal kurz aufgehört. Doch die Pause hatte nicht lange gewährt. Er war oft eingeschlafen nur um dann wieder aufzuschrecken, weil er geglaubt hatte ein Tier zu hören. Ihm war so kalt. Wo war Agnem bloß, warum fand ihn niemand? Aber er traute sich auch nicht seine magische Aura wieder sichtbar zu machen. Was wusste er schon, welch gefährliche Tierarten es hier noch gab.

Er sah zu, wie die Sonne langsam am Horizont versank. Irgendwo dort musste das Meer sein. Er hätte es gern einmal gesehen. Obwohl ihm Wasser langsam auf die Nerven ging. Aber dort am Meer. Dort, wo der Wind über das freie Wasser fegte. Dort, wo Wind und Wasser sich verbanden. Zwar hatte auch Oralia eine Küste, doch er hatte es noch nie geschafft dorthin zu kommen.

Der bewölkte Himmel wurde an manchen Stellen rosa und lila, so dass es fast aussah als ob er brannte. Weide hoffte, dass das vollständige Verschwinden der Sonne keinen Temperatursturz nach sich zog, doch er vermutete es nicht, da er den ganzen Tag noch keinen Blick auf sie erhascht hatte. Vögel zogen vereinzelt vorbei und er hörte die Schreie anderer Tiere, doch kein menschlicher Laut drang an sein Ohr. Am liebsten hätte er auf einem Baum gelegen. In einem der großen, knochigen Bäume, die man in Oralia fand. Es gab sogar welche, die Wärme spendeten. Ein heftiger Hustenanfall unterbrach seinen Traum. Er krümmte sich im Schlamm zusammen und spuckte etwas dunkles aus. Doch durch die aufkommende Dämmerung konnte er nicht mehr genau erkennen was es war, obwohl er wie alle Oralier besonders gute Augen hatte, die darauf ausgelegt waren auch im Zwielicht des Waldes etwas zu erkennen. Doch sein Verstand sagte ihm, dass es Blut sein musste.

Wenn ihn nicht bald jemand fand, war das sein Tod. Aber wer sollte ihn in der mondlosen Dunkelheit, welche bald herrschen würde schon finden. Er lachte innerlich bei dem Gedanken, dass er früher immer der schlechteste beim Versteckspielen gewesen war. Er war einfach zu unruhig. Und nun, da er es nicht wollte, hatte er ein Versteck gefunden, dass keiner finden konnte, und verhielt sich ruhig. Was für eine Ironie.

Die letzten Strahlen der Sonne verloren sich am Horizont. Es war dunkel. Nicht ein Stern war zu sehen. Er spürte wie der Schlaf ihn übermannte und wusste, dass er nicht mehr erwachen würde. Eine Hand in der perfekten Schwärze. Das war das letzte, was er realisierte, bevor er das Bewusstsein verlor.
 

~ ~ ~
 

Agnem wälzte sich unruhig auf seinem Lager hin und her. Er machte sich furchtbare Sorgen und Vorwürfe. Inzwischen nicht nur wegen Weide. Warum hatte er sich vorhin nicht beherrschen können? Er fühlte sich so schlecht, weil er Quareak beschuldigt hatte. Dieser war ihm immer treu und hatte niemals versucht ihm etwas anzutun. Agnem hasste sich selbst dafür, dass er seinem Berater so etwas an den Kopf geworfen hatte, obwohl er es ihm nicht einmal zutraute.

Plötzlich hörte er außerhalb des Zeltes mehrere Stimmen unruhig miteinander flüstern, dann Schritte. Die Vorhänge flogen auseinander. Im schein der Kerzen erkannte Agnem einen der jüngeren Bediensteten.

„Majestät“, er kniete sich nieder und senkte den Kopf, „Aruc Weide wurde gefunden. Aruc Quareak hat ihn soeben ins Lager gebracht. Doch es scheint ihm nicht gut zu gehen...“

Schon nach dem zweiten Satz war der König aufgesprungen. Er ignorierte den Diener und stürmte hinaus. Doch auf dem runden Platz, den die Zelte abgrenzten, war keine Menschenseele zu erblicken. Er wandte sich um und schrie den Jungen an: „Wo sind sie?“

Der Adressierte wich erschreckt zurück. „In A...Aruc Wei...des Z...Zelt, Majestät.“, stotterte er. Bevor er noch etwas sagen konnte, war der König auch schon verschwunden.

Agnem stand vor dem besagten Zelt und atmete mehrmals tief durch. Als er glaubte sich wieder etwas unter Kontrolle zu haben, trat er ein. Fast alle standen um Weides Lager herum, so dass er nichts erkennen konnte. Er machte ein paar Schritte und stieß dabei mit dem Fuß gegen einen Krug. Dieser fiel auf einen Stein und zersprang lautstark in tausend kleine Teile. Das Wasser ergoss sich über den sandigen Untergrund. Alle Augen wandten sich ihm zu.

Aus der Menge löste sich Quareaks Gestalt. Er trat auf den König zu.

„Majestät“, flüsterte er, „euer Gast schläft nun, doch hat er sich während seiner Abwesenheit stark unterkühlt. Er sollte so schnell wie möglich zu einem Arzt.“

Agnem musste bei diesen Worten mehrfach schlucken. Immernoch sahen ihn alle an. Er ging auf das Kopfende des Bettes zu.

„Raus hier! Alle!!!“, zischte er. Und niemand wagte es diesem klaren Befehl nicht Folge zu leisten, so dass er ein paar Sekunden später mit dem schlafenden Weide allein war.

Der Oralier schlief unruhig und schrie im Schlaf, doch Agnem konnte keine Worte verstehen. Als er ihm die Hand auf die Stirn legte, erschrack der junge Herrscher furchtbar, denn sie war glühend heiß. Einmal war er aufgestanden und hatte Quareak geholt, doch dieser hatte ihm versichert, dass er momentan auch nichts für den Kranken tun konnte und dieser vor allem viel Schlaf brauchte. Er hatte außerdem vorgeschlagen einige Reiter nach Aracu zu senden, um einen Arzt zu konsultieren und selbst nachzukommen, sobald sich Weides Zustand stabilisiert hatte. Dann hatte er den König, wie als hätte er es in des Herrschers Gedanken lesen können, dass dieser es wünschte, wieder allein gelassen.
 

Als Weide nach einem langen Schlaf erwachte, fühlte er sich immer noch matt. Doch komischer Weise war es nun trocken um ihn herum. Er konnte sich nicht dazu durchringen seine Augen zu öffnen. Plötzlich bemerkte er, dass neben ihm etwas schweres war, was den Boden nach unten absinken ließ. Immernoch nicht vollständig wach, begann er danach zu tasten.

Nach einigen Zentimetern stieß seine Hand gegen etwas hartes. Als er weiter fühlte, bemerkte er, dass es rund war. Rund?! Nun rang er sich doch dazu durch seine Augen zu öffnen. Verschwommen erkannte er, dass dort wohl ein Mensch bei ihm war und außerdem schien er in seinem Zelt zu sein. Der Mensch, der dort bei ihm wachte, schien selbst dem Schlaf verfallen zu sein. Und irgendwie kam er ihm bekannt vor. Es war niemand aus seiner Familie. So viel stand fest, diese seltsam anmutenden Ohren konnten nur einem Aracuner gehören. Die Haare des Aracuners waren weder grün noch blau, sondern irgendetwas dazwischen und sie sahen wunderschön aus. Sie erinnerten ihn an Wasser, in dem sich grüne Bäume wiederspiegelten. Doch wer besaß solch eine Haarpracht, die nun über den Rand des Lagers floss.

Plötzlich fiel es ihm wieder ein. Er lächelte, schloß die Augen und versank wieder in seinen tiefen, traumlosen Schlaf, hoffend, dass diese Person noch lange so bei ihm sitzen würde. Doch als er erneut erwachte, hatte er es schon wieder vergessen.
 

Agnem wich während der Heimreise, welche ihm vorkam wie eine Ewigkeit, nicht von der Seite seines Gastes. Manche der Reisenden waren verärgert über den plötzlichen Abbruch der Jagd, doch der Großteil zeigte Verständnis. Agnem scherte sich nicht um ihre Meinung. Der Arzt hatte ihm versichert, dass Weides Zustand stabil war. Trotzdem sorgte er sich. Sein Gast erwachte mehrfach, war jedoch nie bei klarem Verstand und auch das Fieber ging nur sehr langsam zurück. Auch als sie die Wasserstadt schon erreicht hatten, weigerte sich Agnem das Zimmer des Kranken, dessen Zustand sich einfach nicht verbessern wollte, zu verlassen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  countess-caine
2007-02-23T14:10:46+00:00 23.02.2007 15:10
Aaaalso... ich als dritte im Bunde (und ganz schön verplante Tuse) schreib erst jetzt meinen Kommi... und versuche mich (und die anderen) nicht allzusehr zu wiederholen... oder doch... mal gucken. ^_~

Ich muss zustimmen. Quareak ist mit unsympathisch... und dann wieder nicht, weil ich ja allgemein die eher bösen mehr mag, also gefällt mir der Chara wieder total gut, ich muss mich nur ständig daran erinnern, dass da ja dieses Mädel drinsteckt! >__<°
Und du hast das ja total absichtlich gemacht, dass wir als dumme Leser nicht wissen, warum er so handelt! Warum mag er (sie?) Weide denn nicht?? Der arme Knuddel! Ich stell ihn mir ja soooo niedlich vor! ^////^°

Ach noch was, das mit dem "Wasser und Wind verbinden sich" hab ich ja auch sofooort so gesehen wie Sandra... und du hast es absichtlich gemacht, du kleine miese... -___-
Und irgendwie liebe ich dich doch dafür. Ich verdammte Shonen-ai-Denkerin... schrecklich...

Die Verbindung mit Feuster und so seh ich noch nicht wirklich (eigentlich garnicht) und hoffe mal, es bringt auch was, dass ich versuche mir auch diese Namen zu merken (wehe, du tötest sie im nächsten Pitel!)... joar... allgemein finde ich des dadurch etwas verwirrend geschrieben, aber irgendwie mag ich den Stil dadurch auch... ich dumme Nuss frag dich zwar ständig völlig bescheuerte Fragen... aber dazu bist du ja schließlich da! ^___~

Also schreib schön weiter (von mir aus auch im Unterricht ^__^°) und poste das hoch, dann les ich des auch sofort!
Von: abgemeldet
2007-02-23T12:18:35+00:00 23.02.2007 13:18
Ich habs doch tatsächlich hinbekommen es gestern Abend fertig zu lesen und als ich svenis kommi grad gelesen hab dachte ich gibts ja nicht genau das hab ich gestern aufgeschrieben(hab alles was mir eingefallen ist in ein word doku getan...)Also dann mal los:

Joa also wie ich dir ja schon gesagt hab, find ich Feuster schon mal sehr interessant auch wenn er in dieser Geschichte ja wohl den Bösewicht spielt.
Zu Weide und Agnem kann ich nur sagen *stimme anheb*„Oh wie süüüüüüüüüüß“
Mmmh ansonsten mach ich’s mal jetz so wie damals bei sveni:
Zitat:„Er war wohl etwas zu abgelenkt gewesen...“ hrhrhrhr *dämlich grins*

Zitat:„Sie verbanden sich zu kleinen Flüssen und vermischten sich mit dem salzigen Wasser seiner Tränen.“ Ohhh Weide is ja so putzig, irgendwie war er mir von Anfang an sympathisch ebenso Agnem. Ich glaube sogar mehr als Kythra, oh gott ich glaub wir lesen echt zu viel Shonen-Ai *sniff*

Mmmhhh also mit Quareak (ich weiß das es kythra is) kann ich mich ja so gar nicht anfreunden, selbst wenn er/sie unsicher ist, was finde ich eher nicht so rüberkommt, mag ich ihn/sie momentan nicht...böhhhh weiß auch nicht. Obwohl ein bisschen tut er mir ja leid, dass Agnem jetz sauer auf ihn is und so...

„Meer. Dort, wo der Wind über das freie Wasser fegte. Dort, wo Wind und Wasser sich verbanden.“ Hallooooo? Scheiße denk ich einfach nur so verquer? Alles Claus und Svenis schuld...wo sich Wind und Wasser verbanden...*drop* naja Agnem hat zwar keine magischen Kräfte aber er hat ja was mit Wasser zu tun...wind und wasser verbanden....ich verzweifel... das hast du sicher nicht so gemeint wie ich’s verstanden hab *träller*

Oh nein der arme Weide, mein Schnuffi (ja pech gehabt das is jetz meiner *“I claim Weide my own“ rumposaun* ) hoffentlich wird der wieder gesund. Und was ist mit Ania und Telon? Was wird Feuster ihnen antun?
Fragen über Fragen die hoffentlich bald geklärt werden ; P
Von: abgemeldet
2007-02-18T12:11:41+00:00 18.02.2007 13:11
Harharhar!
...das ist das erste, was mir dazu einfällt. ...armselig, was?


Das Kapitel ist toll!

Was mich nur ein wenig verwirrt, ist der erste Abschnitt. Das spielt doch nicht zeitgleich, oder? Und deshalb finde ich (bis jetzt), dass es etwas aus dem logischen Zusammenhang gerissen scheint. Aber wer weiß, wie sich die Geschichte noch weiterentwickelt. Vielleicht ist es ja noch wichtig für den späteren Verlauf oder es erschließen sich noch Parallelen. Ich warte also gespannt!

Den Weide hab' ich übrigens lieb! *knuddl* ...und an den Namen gewöhne ich mich auch langsam aber sicher. Und gedanklich ist er bei mir längst mit Agnem verkuppelt! (Und du kannst NICHTS dagegen zun! Muharhar!)

Allerdings ist mir Quareak unsympatisch... ich weiß auch nicht warum. Aber ich bin mir sicher, dass es ausnahmsweise mal nicht daran liegt, dass er eigentlich weiblich ist. Er ist ein interessanter Charakter, der super in die Story passt. Der typische stumme Schatten zur Rechten des Herrschers (oder wo steht er bei dir?). ...aber irgendwie kann ich ihn halt nicht leiden.

Die Beschreibungen sind dir auch wieder gut gelungen. Und irgendwie fühle ich mich mittlerweile nass und aufgeweicht...das könnte allerding auch daran liegen, dass ich mir gerade die Haare gewaschen habe.

Einige Rechtschreibfehler sind noch drin, aber die stören nicht wirklich.
Allerdings war ich überrascht, dass mein Word das Wort "geschubbert" nicht unterkringelt hat. Ich hätte nicht gedacht, dass es das kennt. Natürlich gibt es das Wort, aber ich hätte eher "wund gescheuert" gesagt. Bei "geschubbert" sträuben sich irgendwie meine Nackenhaare und ich krieg 'ne Gänsehaut...

Und jetzt noch 'ne Inhaltliche Frage, dann bin ich auch schon fertig.
Sitzt Agnem an bzw. auf Weides Lager oder liegt er? Ich hatte nämlich schon den ganzen "er liegt neben ihm und wärmt ihn mit seinem Körper"-Sermon in meinem kranken Hirn anrollen lassen. Deshalb auch die leicht dreckige Lache am Anfang des Kommis.
Aber selbst, wenn du jetzt sagst:"Nein, er saß mit völlig reinem Gewissen NEBEN seinem Bett", dann werde ich dich trotzdem angrinsen und flöten:"Die Gedanken sind frei...dumdidummmmm!"

Joah...*das Kommi noch mal les* Hui ist das lang...
Fazit: WEITERSCHREIBEN!!!



Wir sehen uns nachher! Ich werde dann jetzt mal die Heizung aufrehen. Dieses feuchtkalte Klima, das plötzlich in meinem Zimmer herrscht, bekommt mir nicht..^^


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