Cas - Die Geschichte eines Irken von abgemeldet (...der aus dem Kollektiv ausgegliedert wurde) ================================================================================ Kapitel 8: Pläne schmieden -------------------------- Ich bahnte mir, so oft es ging, meinen Weg durch die Seitenstraßen, denn ich verspürte nicht das Verlangen, noch einmal angegriffen zu werden, zumal mein Rücken wieder anfing zu schmerzen. So verfiel ich in einen schweigsamen Dauerlauf, bei dem ich zwischendurch immer wieder nach potenziellen Feinden und Segg Ausschau hielt, schließlich wollte ich ihn nicht abhängen. Noch bevor der erste Mond über Leta aufging, der fast immer bei Nacht zu sehen war, blieb ich zwei Häuserblocks von der verhältnismäßig großen Schutzeinheit von Kubo stehen, sodass Segg, der mit seinen längeren Beinen immer dichter hinter mir hergelaufen war, fast mit mir zusammen prallte. Er zischte wütend, doch ich hob schnell die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. „Also? Was jetzt?“ „Das fragst du mich? Wer ist denn hier der große Pläneschmied?“, flüsterte er zurück. Ich knirschte mit den Zähnen. „Da er vermutlich zwei Ebenen selbst besetzt und auf der dritten die Kanalisation ist, hält er die Gefangenen vermutlich auf der vierten oder tiefer.“ Der Großteil der Bewohner von Leta wohnte unterirdisch. Das hatte die verschiedensten Gründe, die zum Teil mit dem Flüchtlingsdasein derselben zu tun hatte oder auch mit der ausgeklügelten Lüftungsanlage, die die Erbauer dieses Komplexes vermutlich mit eingefügt hatten und die heute noch funktionierte. Am beliebtesten war die erste Ebene, die direkt unter der Oberfläche lag, dann kam die zweite und dann die Kanalisation, die allerdings bedauerlicher Weise nicht mehr so gut intakt war wie das Lüftungssystem. Dort lebten jene Kreaturen mit amphibischen Eigenschaften, die Kommunikation mit ihnen war meistens unmöglich, da sie einen anfielen, bevor man auch nur Luft geholt hatte. An der Oberfläche waren sie scheu und zurückhaltend, aber etwas in dieser Unterwelt ließ sie aggressiv und äußerst gefährlich werden, so hieß es. Ich vermutete jedoch, dass diese Gerüchte von diesen Kreaturen selbst stammten, mit dem Zweck, in Ruhe gelassen zu werden. Khan hatte jedoch beteuert, diese Information bisher nur von nicht-amphibischen Kreaturen erhalten zu haben. Er hatte ein Talent dafür, Informationen aus den Köpfen der Wesen heraus zu kitzeln. Unter der Kanalisation befanden sich noch mehr Ebenen, niemand wusste, wie viele, ich schätzte sieben bis 20 und blendete dabei sorgfältig die Struktur meines Heimatplaneten Irk aus. Die Marodität dieser Ebenen war allerdings nicht der Grund, warum niemand freiwillig dort hinunter zog: Mal ganz abgesehen von den wilden Gerüchten, die zu dieser unterirdischen Welt kursierten, kamen manchmal Kreaturen an die Oberfläche, die wirklich gefährlich und von bizarrem Aussehen waren- schlimmer als die Bewohner auf diesem an bizarren Wesen nicht armen Planeten. Ich hatte einmal gesehen, wie man eine Kreatur ans Licht gezogen hatte, die bis zur zweiten Ebene vorgedrungen und von dessen lebenden Inhalt aufgeschreckt worden war: Aufgerichtet wäre sie so groß wie Segg mit hochgereckten Armen gewesen, doch war ihr Rücken gebeugt und sie hielt das Kinn merkwürdig vorgereckt. Vergeblich hatte es versucht, sich mit dem Arm vor der stechenden Mittagssonne zu schützen. Es hatte die Überreste einer Art schwarzen Uniform über seiner kränklich blassgrünen Haut getragen und sein Körper war zwar relativ schmal gewesen, war aber sehr zäh und muskulös erschienen. Die Beine waren lang und die Fußknochen verlängert gewesen. Es hatte sich zum Teil auf zwei, zum Teil auf vier seiner Extremitäten bewegt. Was mich jedoch am Meisten getroffen hatte, war der Anblick seines Gesichts, genauer gesagt, der Augen und Antennen: Sie hatten genau so wie die meinen ausgesehen. Ich war zurück gewichen und das Wesen hatte mir ganz langsam das Gesicht zugewandt, seine Hand mit vier schmalen, mit scharfen Krallen bewehrten Fingern in meine Richtung ausgestreckt und etwas in einer kehligen Sprache, die keiner der Umstehenden verstand, gesagt. Währenddessen schien eine Kreatur mit nur spärlich verknüpften Synapsen seine Fassung wieder erlangt zu haben: „Das ist ein Irke!“ Bevor jemand reagieren konnte, war die Kreatur herumgefahren, hatte den Sprecher mit einem gewaltigen Sprung umgeworfen und ihm sauber die Kehle durchgeschnitten. Dieser riss -zu spät- die Augen auf und ihm entwich ein überraschter Gurgellaut. Die Kreatur hatte bereits wieder von dem rasch verblutendem Körper abgelassen und sich in geduckter Haltung umgesehen, wachsam. Als die Menge endlich begriffen hatte, was geschehen war, stürzten sie sich auf das Wesen, das die ersten mich schnellen Bewegungen jeweils tödlich verletzte. Fasziniert und gleichzeitig irritiert hatte ich zugesehen, wie es sich scheinbar spielerisch gegen die blind wütende Masse zu wehren gewusst hatte, immer wieder hatte es zugeschlagen, jeder Hieb saß, keine Bewegung schien überflüssig oder willkürlich zu sein. Es hatte einen tödlichen Tanz aus präzisen Bewegungen vollführt, der die ganze Straße in Aufruhr versetzt hatte und Streitsüchtige, Neugierige, Ignoranten, Kämpfer -kurz: die gesamte Bevölkerung herbei gelockt hatte. Der behände Kampf des Wesens hatte zunächst nicht an Geschmeidigkeit eingebüßt, doch hatte es letztendlich keine Chance gehabt und war schließlich unter der blütdürstigen Menge begraben worden. Seine schrillen Schreie waren über die Hauptstraße gehallt, als ich wieder auf dem Weg zu meinem Nachtlager gewesen war. „Hey! Noch einer da?“ Ich schreckte hoch. Segg sah mich wütend an, es war schon fast Besorgnis erregend, wenn er das nicht tat. „Ich hatte nach einem Plan gefragt, nicht nach Vermutungen!“ „Wie wäre es, wenn du mal zur Abwechslung selbst einen Plan entwirfst?“ Er ignorierte meine Bemerkung. „Wie sollen wir jetzt da unten rein kommen?“ Ich sah ihn direkt an. „Über die unteren Ebenen.“ Mit geweiteten Augen wich er zurück. „Das ist nicht dein Ernst.“ „Doch.“ Nun wurde er wirklich wütend: „Das darf doch nicht wahr sein! Nicht genug, dass wir einen Gefangenen von Kubo befreien wollen, nein, es muss wenn schon auf dem gefährlichsten Wege, den man auf dieser dreckigen Kugel einschlagen kann, getan werden!“ Ich lächelte böse. „Hast du etwa Angst im Dunkeln?“ Segg wurde noch blasser. „Das hat nichts mit Angst zu tun! Nur weil du über keinen Selbsterhaltungstrieb zu verfügen scheinst, heißt das noch lange nicht, dass das bei anderen auch der Fall ist! Weißt du eigentlich, was du da von dir gibst?!“ „Es gibt keine andere Möglichkeit. Es sei denn, du kannst deine Materie verflüssigen, um an der Technik und den Wachen vorbei zu kommen, aber davon durfte ich leider noch nie Zeuge werden. Den Weg von oben antreten zu wollen ist noch viel irrwitziger als selbst die Kanalisation zu nehmen, weil Kubo weiß, dass es niemand wagen würde, den unteren Weg zu nehmen und den gesamten oberen Bereich absichern lässt.“ Der Spott war aus meiner Stimme gewichen. Segg spreizte langsam seine Flügel. „Bist du dir da absolut sicher? Weißt du, worauf du dich da möglicherweise einlässt?“ Ich blickte ihn ungerührt an. „Wenn dir etwas anderes einfällt, so lass es mich wissen. Ich habe genau so wenig Lust, da runter zu gehen wie du. Ich sehe nur keine bessere Möglichkeit.“ Mein Gegenüber knurrte und bedachte mich mit dem vernichtendem Blick einer Kreatur, die in die Ecke gedrängt wurde. „Nun?“ „Wie willst du überhaupt da rein kommen?“ „Das ist doch klar: über eines der umliegenden Häuser können wir durch die Schächte nach unten und so bis zu Kubos Basis.“ Offenbar hatte ihm die aufgeschobene Zeit für einen Einfall nicht gereicht. Er zitterte kurz vor Wut, bevor er nachgab. „Wenn du unbedingt sterben willst, na gut.“, zischte er, „Aber wenn du da drinnen von was-auch-immer angegriffen wirst, werde ich nicht den Kopf für dich hinhalten.“ „Das habe ich auch nicht erwartet.“ „Gut.“ „Schön.“ „Und jetzt?“ „Werden wir die umliegenden Häuser observieren, um das für den Einstieg am besten geeignete zu finden. Wenn der zweite Mond aufgegangen ist, treffen wir uns wieder hier.“ Ohne ein weiteres Wort drehte Segg sich um und verschwand in der Dunkelheit. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)