Days of Horror von Mikito (Bomben auf der Christopher Street) ================================================================================ Kapitel 50: Montag – 19. September ---------------------------------- ~~~~ In Black’s Büro ~~~~ Black schloss gerade eine weitere seiner Akten. Ein alter Kunde hatte um eine Gefälligkeit gebeten und Mick hatte ihm vor einer Stunde die neuesten Fakten rund um diesen Mann gebracht. Eben hatte er mit diesem Kunden eine erneute Vereinbarung getroffen und lehnte sich nun glücklich zurück. Das würde ihn erst eine Stange Geld kosten, doch der Profit überwog. Wenn Mick sich in diesem Punkt nicht getäuscht hatte. Aber das war bisher noch nie der Fall gewesen. Doch das war nicht seine wichtigste Sorge an diesem sonnigen Tag. Etwas hing in der Luft und das schon seit einigen Tagen. Doch mit dieser anderen Angelegenheit hatte er Steve Cotton beauftragt und dieser stand nun vor ihm und wollte seine neuesten Erkenntnisse an den Mann bringen. Wie es nun mal üblich war, wartete Cotton darauf, dass Black erst die Akte zur Seite legte. Erst als dies geschehen war, räusperte er sich. „Was gibt’s neues von der MacLane Front?“ fragte Black. Denn die Gerüchte, die sich zu ihm durchgeschlichen hatten, waren alles andere als gut. „Ryo wird morgen entlassen,“ berichtete Steve erst einmal etwas Positives. „Das ist gut, oder?“ Black war der besorgte Ausdruck auf dem Gesicht seines Angestellten nicht entgangen. „Ryo blockt ab. Seit letztem Donnerstag, wo er vor dem Staatsanwalt ausgesagt hat, darf Dee nicht mehr zu ihm. Er flippt regelrecht aus, wenn sich Dee auch nur in seiner Nähe befindet.“ „Weißt du näheres?“ Steve schüttelte den Kopf, knabberte kurz an der Innenseite seiner Lippe. Ein deutliches Zeichen für Black, dass sein Mitarbeiter zwar etwas ahnte, oder sogar wusste, es aber noch abwog wegen der engen Freundschaft zu der Familie MacLane. „Steve... Dir ist schon klar, dass ich in dieser Sache auch meine Finger drin hatte. Möglicherweise liegt es an mir. Wenn du schweigst, kann ich nicht interagieren, also raus mit der Sprache.“ „Boss... Ich weiß nichts genaues. Nur soviel, also das hat Sara gesagt, zieht Ryo wohl erst in ein Hotel oder aber Dee soll ausziehen.“ „Das ist doch...“ fuhr Black auf. Stand sogar bei dem Gehörten überrascht auf. So schnell brachte ihn eigentlich nichts aus der Ruhe. Aber dass sich so eine Wende angebahnt hatte, noch dazu ohne sein Wissen, gefiel ihm nicht. „Okay... Du sagst, er wird morgen aus dem Krankenhaus entlassen. Gut, dann werde ich erst einmal mit Dee reden und mir den anderen für später aufbewahren. Du fährst... hol den Wagen, bitte. Ich bin in 10 Minuten unten,“ erklärte Black ohne Umschweife. Etwas war passiert und so lange er noch die Finger mit ihm Spiel hatte, würde er nicht so dabei zusehen, wie die beiden sich trennten. Nicht, so lange er es verhindern konnte. ~~~~ Medical Center ~~~~ Ryo sah aus dem Fenster. Noch immer fühlte er sich verletzt. Obwohl er in den letzten Tagen reichlich Zeit gehabt hatte, über alles nachzudenken, wusste er doch, dass er Dee nicht so ohne weiteres verzeihen konnte. Der Blonde glaubte auch nicht mehr daran, dass sein Ehemann etwas davon gewusst hatte, das war der erste Zorn, die Wut gewesen. Dennoch, die Frage blieb, warum er es ihm verheimlicht hatte. Fühlte sich Dee vielleicht doch schuldig an allem? Schließlich war es der Ex-Lover gewesen, der Ryo entführt hatte. Ihn gefoltert und über Wochen vergiftet hatte. Das kühle Glas an seiner Stirn kühlte zwar, aber es bereinigte nicht seine Gedanken. Er hatte Dee ausrichten lassen, dass er vorläufig in ein Hotel ziehen würde, um mit sich klar zu kommen. Das alles brauchte Zeit. Auch wenn diese Verbindung zwischen Dee und McNear nicht gewesen wäre, musste er erst einmal Abstand von allem gewinnen. Das Klopfen an der Tür ließ ihn sich umdrehen. Ein ihm unbekannter Mann stand in der Tür. „Mr. MacLane. Ryo MacLane?“ Ryo nickte. Der Mann vor ihm trat ins Zimmer und schloss diese wieder hinter sich. Das dunkle Haar hatte er im Nacken zusammen genommen. Nur eine Strähne fiel ihm vorne über die rechte Gesichtshälfte. Der etwa 1,76 Zentimeter große stämmige Mann trug Jeans und ein blaues Hemd, welche seine blauen Augen zum Leuchten gebracht hätten, wären diese nicht hinter einer Nickelbrille verborgen gewesen. „Entschuldigen Sie bitte die Störung, aber ein Officer der NYPD 27. Revier brachte mich her und sagte mir, dass Sie mich sprechen wollten. Oh... mein Name ist Spalier, Cordalis Spalier.“ „Cordy?!“ entfuhr es Ryo, ohne dass es verhindern konnte. „Meine Freunde nennen mich so... Ja.“ „Setzten Sie sich bitte, Mr. Spalier. Ich habe schon lange auf Sie gewartet,“ erklärte Ryo und deutete auf einen der Stühle, die hier herumstanden. Auf alle Fälle würde ihn das nun folgende Gespräch von seinen eigenen Problemen ablenken, und dafür war er dankbar. Außerdem hatte er auch noch das Versprechen zu erfüllen, das er einem Sterbenden gegeben hatten. „Mein Name ist Ryo MacLane, ich bin ebenfalls Polizist im 27. Revier. Aber der Grund, warum Sie hier sind, ist Gary Logan!“ Ryo schwieg. Ließ das erst einmal so im Raum stehen. Cordy hatte sich ungewöhnlich gut unter Kontrolle. Kein Keuchen oder heftiges Atmen, nichts deutete eine Überraschung auch nur an. Ruhig lagen die Hände auf den Knien, obwohl es Ryo so schien, als ob die Augen kurz geflackert hätten. Aber da konnte er sich wegen der Brille nicht sicher sein. Das alles machte Ryo unsicher. Hatte man den Falschen gefunden? Mit Sicherheit gab es nicht so viele Menschen hier in New York, die diesen Namen trugen. „Sie kennen... oder kannten doch Gary Logan?“ Ryo musste sich sicher sein. Aber konnte er sich noch auf das, was Dee tat, verlassen? Doch da brauchte MacLane nicht zu überlegen. In dieser Hinsicht vertraute er seinem Ehemann. „Ja. Wir... wir waren befreundet.“ „Die Polizei... hat man Sie informiert. Ich meine...“ Ryo mochte so was nicht. Fühlte sich immer privat mit involviert. Egal, was er auch getan hatte. Einem Menschen mitzuteilen, dass ein geliebter Mensch nicht mehr zurückkam, war für ihn die Hölle. Das war auch der einzigste Punkt, den er an seiner Arbeit wirklich hasste. „Gary... soll ermordet worden sein. Mehr hat man mir nicht gesagt, als ich auf dem Revier eine Vermisstenanzeige aufgeben wollte.“ „Es tut mir so leid... Mr. Spalier. Gary war ein Opfer von unglücklichen Umständen.“ Unglückliche Umstände? Nannte man da so, weil man ihn ausgesucht hatte, weil er ihm ähnlich war? Wie sollte er dem anderen so was nur erklären? „Sie sehen ihm ähnlich...“ kam es da auch schon von dem Dunkelhaarigen. „Ja, ich weiß. Ich... ich bin indirekt schuld...“ „Ich verstehe nicht?“ Überrascht schaute Cordalis nun doch auf Ryo, der erst einen Satz anfing, dann stoppte, um mit einem anderen weiter zu machen. „Es ist eine lange Geschichte... Ich möchte Sie auch nicht mit allem behelligen, aber Sie sollten wissen... nein, ich soll Ihnen sagen, dass er Sie geliebt hat. Bis zum letzten Atemzug hat er an Sie gedacht.“ Ryo’s Stimme brach, als er daran zurückdachte, wie sich die Hand von Logan um seine gelegt hatte, wie ihn diese dunklen Augen angeblickt hatten und ihn immer wieder darum gebeten hatten, Cordy dies zu sagen. Auch in der Stimme von Spalier schwangen nun Emotionen mit. „Sie... Sie waren bei ihm? Was ist passiert, wie ist er gestorben? Keiner hat mir was gesagt. Ich durfte ihn identifizieren, aber sonst sagte man mir nichts,“ wurde der etwa Mittzwanzigjährige neugierig und sah Ryo bittend an, ihm das zu sagen, damit er endlich Ruhe finden konnte. „Ja, ich war bei ihm. Ich weiß es wird es nicht leichter machen, aber Ihr Freund... Ich muss etwas ausschweifen, entschuldigen Sie, aber Sie müssen das als Ganzes sehen.“ Ryo holte Atem und entschloss sich dann, so viel wie möglich zu sagen. „Sie haben bestimmt von dem Bombenleger gehört. Ich wurde von einem der beiden Täter entführt. Doch darum ging es nicht...“ Ryo blickte seitlich an dem ihm noch fremden Mann vorbei, als suchte er an der Wand die Worte, die er als nächstes sagen konnte. „Ich las davon. Dieser Kerl soll sich in die Luft gejagt haben?!“ „Ja. Der Bruder hat mich entführt. Wollte meinen Mann... darf ich mit Ihnen offen reden? Ich weiß, Sie wollen alles über Gary hören. Aber ich bin so durcheinander und vielleicht können Sie mir helfen, klarer zu sehen.“ „Sicher. Wenn Sie mir auch wirklich alles erzählen, was Gary betrifft.“ „Ich gebe Ihnen mein Wort, Mr. Spalier.“ „Cordy... Ich denke, dann redet es sich besser.“ Ryo setzte ein wehmütiges Lächeln auf. Würde dieses Cordy noch aktuell sein, wenn er gestand, dass er Gary umgebracht hatte? „Danke! Ryo... mein Name ist Ryo. Eigentlich Randy. Aber alle sagen nur Ryo zu mir,“ seufzte er. Ja, und wem er das verdankte, war ja klar. „Ich werde zuhören und Ihnen meinen Rat sagen, das wollen Sie doch?“ „Ja... Der... Mein Entführer war der Ex-Lover von meinem Mann. Er ist trotz allem für die Bombenanschläge verantwortlich. Doch hauptsächlich ging es ihm wohl darum, mich auszuschalten um Dee, meinen Mann, wieder für sich zu gewinnen.“ „Dee und Ryo... Sie haben eine Tochter, nicht wahr?“ unterbrach Cordy die schnellen Worte von MacLane. „Ich hab davon gelesen... vor Jahren. Gary und ich haben den Bericht verschlungen und irgendwann sagte er mal zu mir, dass er mich auch so lieben könnte, um sich zu verändern. Doch ich wollte Sie nicht unterbrechen,“ entschuldigte sich Spalier gleich. Lehnte sich nun etwas zurück, denn irgendwie hatte er das unbestimmte Gefühl, als ob er heute und hier noch einiges zu hören bekommen würde. Ryo schwieg, dachte zurück an die Zeit, wo er mit dem schlimmsten gerechnet hatte. Wo er sich um Dee gesorgt und dann umsorgt hatte, als sie sich mit der Tatsache abfinden mussten, dass der Jüngere schwanger war. Ja, es war eine schöne Zeit gewesen. Wenn er ehrlich zu sich selbst war, hatten sie viele schöne Stunden zusammen gehabt. Nicht nur Stunden, Monate, Jahre. Wenige, in denen sie sich stritten, und noch nie war ihm so wie jetzt zumute gewesen. War es dann fair von ihm, jetzt wegen einem Fehler so zu reagieren? Deswegen fand er es mehr als nur gut, mit jemandem zu reden. Dazu noch ein Außenstehender. Was Ryo sich jedoch vorstellte, was Cordalis tun konnte, wusste er nicht. Das würde er erst sehen und verstehen, wenn dieser seine Meinung zu dem allen äußern würde. Deswegen räusperte sich der Ältere und begann dann noch einmal. „Wie gesagt... Der Entführer wollte unsere Ehe vernichten, indem er mich als auch Sara von Dee trennte. Jedenfalls habe ich das so alles verstanden. Jedes Mal, wenn dieser Kerl in meine Zelle kam, höhnte er nur davon. Damals, dort habe ich es nicht verstanden. Doch nun, wo ich weiß, wer mein Peiniger war, da empfinde ich nur noch... Hass auf meinen Mann. Ich...“, tief atmete er durch, nur wenn Cordalis alles wusste, konnte er auch dementsprechend dazu Stellung nehmen. „...ich litt. Das können Sie sich vermutlich nicht ganz vorstellen. Immer wenn er drohte, Sara etwas anzutun. Er zeigte mir ein Bild... ein Bild, wo Dee klar zu sehen war. Wie er den Arm um einen anderen gelegt hatte... und dieser lachte... Und... und Dee sagt zu mir, dass... dass er immer nur an mich gedacht hätte... Ich weiß einfach nicht... wie ich mit all dem umgehen soll. Der körperliche Schmerz war schon unglaublich schwer zu verkraften, aber das, was ich nun in meinem Inneren spüre, lässt das alles, was ich dort überstanden habe, im Schatten stehen.“ Nach einer Minute, in der sie beide schwiegen, begann Spalier erst zu reden. Schließlich wollte er sicher sein, dass Ryo mit seiner Rede fertig war. „Es ist nicht das, was Sie jetzt fühlen, was Sie durcheinander bringt, es ist das, was Sie nicht wissen, Ryo. Haben Sie mit Ihrem Mann denn schon darüber gesprochen?“ Müde und geschlagen schüttelte Ryo den Kopf. „Ich kann es nicht.“ „Ich bin kein Psychiater, aber ich weiß, dass es einen unglaublich belasten kann, wenn man etwas nicht weiß und sich nur Vermutungen ausdenkt. Dabei kommt meist die beste Horrorstory raus. Glauben Sie mir, ich weiß, wovon ich rede. Ich stelle mir vor, wie Gary gestorben ist. Wie er gelitten hat, was er alles durchgemacht hat, bevor er diese Welt und damit auch mich verlassen hat.“ Ryo wusste, er musste es dem Dunkelhaarigen sagen, aber erst wollte er sein Problem fertig diskutieren. „Sie meinen, ich sollte wirklich mit ihm reden?“ „Es ist eine einfache Frage, Ryo. Lieben Sie Ihren Mann?“ Darüber brauchte der Cop nicht lange nachzudenken. „Ja.“ War das die Antwort auf all seine Fragen? War es wirklich so einfach? Hatte Cordy in dieser Beziehung nicht recht. Er wusste nur, was Barclay ihm gesagt hatte. Alles andere waren Vermutungen. Und je öfters er darüber nachdachte oder sich das Szenario ausmalte, desto schlimmer fand er es. „Danke! Danke, dass Sie mir zugehört haben. Cordy, ich weiß, es wird nicht leicht für Sie, was ich nun sagen werde, aber glauben Sie mir, ich tat es nicht aus freiem Willen. Mein Entführer... er fand Gary Logan, lief ihm über den Weg. Zufall... Schicksal, das weiß ich nicht. Vielleicht hat er auch nach einem Menschen gesucht, der mir ähnlich sieht. Ich weiß es einfach nicht. Als er Gary in meine Zelle schleppte, war er ohnmächtig. Es gab... dort einen Tisch. Einen, der sich... bewegen ließ. Alles war beweglich, nur ein Teil, wo der Körper direkt drauflag, war fest... dort drauf legte er Gary. Er befahl mir, ihn zu fesseln. Ich... er drohte mir... Ich konnte mich nicht wehren... Es tut mir leid. Ich bekam ein Messer und er sagte mir, dass ich ihm einen Schnitt... einen Schnitt oberhalb der Ferse... als ich mich weigerte... drohte er, es selbst zu tun, aber dann würde Gary leiden. Mir blieb keine Wahl... ich bin indirekt der Mörder von Gary Logan.“ „Hat er gelitten?“ kam es nun tonlos von dem jungen Mann. „Ich möchte Ihnen... gerne alles ersparen, aber ich gab ihm mein Wort, ehrlich zu Ihnen zu sein. In gewisser Weise ja. Gary wurde mehrmals vergewaltigt...“ „...von Ihnen?“ „Ja... ja, von mir. Während ich ebenfalls vergewaltigt wurde...“ Ryo hob den Blick, den er in den letzen Minuten gesenkt hatte, sah nun trotz der Nickelbrille, wie die Tränen auf der gebräunten Wange von Cordalis hinabliefen. „...irgendwann... wurde er bewusstlos... je mehr Blut aus dieser Wunde trat, desto weniger bekam er mit. Gary schlief irgendwann einfach ein. Ich hielt ihm die Hand, war bei ihm und gab ihm immer wieder mein Wort, dass ich Sie suchen und Ihnen von seiner Liebe zu Ihnen berichten würde. Gary starb wegen mir... es tut mir so leid...“ MacLane konnte nun ebenfalls nicht mehr seine Trauer über diesen Verlust verbergen und wischte sich einige Tränen fort. Cordalis kämpfte nun etwas mühsam um Fassung, nahm die Brille kurz ab und betupfte sich seine Augen, die nun rot schimmerten. „Ich danke Ihnen, Ryo, für Ihre Offenheit. Aber Sie tragen an seinem Tod keine Schuld.“ Mit allem hatte Ryo gerechnet, aber nicht mit diesen klaren und so ehrlich gemeinten Worten. „A...“ „Nein. Sie sind doch Polizist. Wer ist der Mörder und wer ist der Täter? Gibt es da nicht Unterschiede? Glauben Sie mir, auch ich kenne mich in diesem Metier durch meinen Beruf aus. Sie haben eine Tat begangen, aber der Mörder ist derjenige, der Sie dazu gezwungen hat... Denken Sie über meine Worte nach... Ich glaube, Sie werden Ihnen auch helfen, wieder etwas Glauben in Ihrer Sache zu sehen. Bitte entschuldigen Sie mich jetzt. Ich möchte gehen... ich...“ Cordalis stand überraschend langsam auf, so als müsste er sich erst vergewissern, dass ihn seine Beine auch tragen konnte. „Ich danke Ihnen... für Ihre Worte, Cordy... Sie bedeuten mir sehr viel.“ „Vielleicht darf ich mal wiederkommen?“ fragte dieser mit dem Rücken zu dem Cop. „Ich würde mich freuen.“ Ryo sah Cordalis nach, wie dieser nun die Tür hinter sich zuzog. ~~~~ Untersuchungsgefängnis ~~~~ Patrick McNear saß auf einem dieser unbequemen Stühle und wartete auf seinen Anwalt. Ihm wurde mitgeteilt, dass dieser nun die ganzen Fakten kannte und wollte mit ihm nun die Strategie durchsprechen. Patrick wusste, dass er wohl kaum eine Chance auf Freispruch hatte. Nicht, wenn alles auf ihn als Täter hinwies. Aber schließlich hatte Goro ihm den besten Anwalt von New York besorgt. Dem FBI-Agenten war klar, dass dies nicht so selbstlos geschah. Schließlich kannte Patrick einige Zusammenhänge in bezug auf diesen Mafiaboss, die man nicht an die Öffentlichkeit bringen sollte. Aber Patrick wäre damit auch nie hausieren gegangen. Immerhin hing er an seinem Leben und nur die Androhung von so was verkürzte das eigene Leben auf wenige Tage, und so dumm war er nun doch nicht. Doch dass er auch nicht der schlaueste gewesen war, sich auf so ein Spiel einzulassen, war ihm nun auch klar geworden. Eigentlich hätte sein Bruder alles untergeschoben bekommen sollen, aber dieser war für seinen Geschmack zu schnell enttarnt worden und da ihm in diesem Augenblick sogar die Hände gebunden waren, konnte er nicht so weitergehen, wie es geplant gewesen war. Und was hatte er davon. Eine Anzeige wegen Entführung, Körperverletzung und vermutlich sogar auf Mord. Dieser springende Punkt war es wohl auch, den sein Anwalt nun zum Anlass genommen hatte, ihn mal wieder hier aufzusuchen. Schon seit Tagen hatte er von Timber nichts mehr gehört. Deswegen hoffte Patrick nun auf eine positive Wendung. Als der fünfundfünfzigjährige Anwalt schließlich in das Zimmer trat, legte er seinen Mantel zuerst einmal über den Stuhl und machte es sich dann auf dem Stuhl Patrick’s gegenüber bequem. Aus der Aktentasche, die dieser immer bei sich trug, zückte er ein Aufnahmegerät und die Akte. „Sie werden gut behandelt, Mr. McNear. Oder haben Sie inzwischen irgendwelche Vorkommnisse zu melden?“ fing der Anwalt mit der gleichen Frage an wie immer, nachdem er das Aufnahmegerät gestartet hatte. „Ja, ja, mir geht’s gut. Was gibt’s neues?“ „Die Staatsanwaltschaft ist an mich herangetreten. Man wünscht eine Stimmaufnahme. Nun liegt es an Ihnen, Mr. McNear. Wollen Sie sich weigern oder gewähren Sie Ihre Zustimmung für diesen Antrag?“ Justin Timber kramte nochmals in der Aktentasche und holte ein etwas kleineres Aufnahmegerät hervor. „Wozu?“ „Der Staatsanwalt erklärt nicht viel. Jedoch liegt die Vermutung nahe, dass Ihr Zeuge Sie nicht identifizieren kann. Deswegen eine Stimmprobe. Diese wird dann dem Zeugen in den nächsten Tagen, mit mehreren anderen, vorgespielt. Selbstverständlich in meinem Beisein. Ich werde darauf bestehen, dass sich einige Stimmen der Ihren ähnlich anhören. Mit dieser Möglichkeit steht uns auch wieder ein Freispruch in Aussicht. Sie sollten sich jedoch vor Augen führen, dass dies kein Versprechen ist.“ „Wenn ich mich weigere, dieser Stimmprobe zuzustimmen?“ „Das würde alles in die Länge ziehen. Powder wird zum Richter gehen, ihm die Notwendigkeit erklären und dann werden Sie gezwungen, diese zu geben. Immerhin lastet dieser Verdacht schwer auf Ihnen. Hinzu kommt, dass eine Weigerung einem Schuldeingeständnis gleichkommt.“ Patrick stand auf, hätte am liebsten seinen Frust an den Stühlen ausgelassen, aber diese waren leider am Boden fest verankert. An alles hatte er gedacht. Ryo hatte nie sein Gesicht gesehen, nie einen Flecken seiner Haut. Aber an die Stimme hatte er nie gedacht. Er hätte ihn umbringen sollen, anstatt ihn mit seiner Samariter-Ader am Leben zu lassen. Und das auch nur, weil er noch weiter mit ihm spielen wollte. Wäre ja auch ein toller Spaß geworden, wenn er Dee zurückbekommen hätte und Ryo hin und wieder vergewaltigen konnte. Aber nun saß er im Knast und wartete auf seine Verhandlung, die alles andere als rosig aussah. „Gut, ich stimme zu... was soll ich sagen?“ „Lesen Sie einfach ein Stück aus diesem Märchen. Was genau sie hören wollen, wurde mir nicht gesagt. Nur dieses Kapitel.“ Timber reichte das Märchenbuch von ‚Schneewittchen und die sieben Zwerge’ über den Tisch, wartete, bis McNear es aufgeschlagen hatte und drückte dann die Aufnahmetaste. Patrick las das markierte Stück ruhig und gleichmäßig vor. Das Wort ‚Schneewittchen’, worauf es wohl ankam, betonte er nicht. Warum auch, wusste er doch, dass es dies war, was Ryo zu hören bekommen würde. Als Patrick fertig war, klappte er das Buch zu, wartete, bis Justin Timber alles, was die Stimmaufnahme betraf, wieder eingepackt hatte, als er ihm die Frage stellte, von der er hoffte, mildernde Umstände zugesprochen zu bekommen. „Was ist mit der Mordanklage?“ „Bisher ist dies noch nicht im offiziellen Anklageschriftsatz aufgenommen. Aber bis zur Verhandlung sind es auch noch einige Tage, wenn nicht sogar Wochen. Auch mein Gesuch, Sie auf Bewährung zu entlassen wurde abgelehnt. Haben Sie noch Fragen?“ Das, was er sich von diesem Besuch erhofft hatte, war in Rauch aufgegangen. Noch immer hing dieser Mord über ihm. „Nein...“ „Gut, dann sehen wir uns wieder, sobald ich was neues erfahre.“ Damit räumte der Anwalt alles wieder ein, erhob sich und nahm seinen Mantel. „Mr. McNear!“ Nach einem freundlichen, aber nichtssagendem Nicken verschwand der Anwalt. Der unter Anklage stehende FBI-Agent wurde auch wenige Minuten später zurück in seine Zelle geführt, wo Patrick wieder die Zeit hatte, um sich all seine Fehler vor Augen zu führen und er malte sich auch aus, wie er es hätte besser machen können. Keine Spielchen mehr. Das nächste Mal direkt. Eine, nein zwei Kugeln, und Dee wäre frei. Genauso würde er es machen. ~~~~ Medical Center ~~~~ Black ließ sich von niemandem aufhalten. Das fehlte ihm auch noch in seiner aufgebrausten Laune, dass sich ihm einer in den Weg stellte. Auf direktem Wege eilte er deswegen auch zu dem Zimmer, in dem er den älteren der MacLane wusste. Nach einem kaum hörbaren Klopfen trat er auch schon ein. Schlagartig verrauchte seine Wut, welches das Gespräch mit Dee zur Tage befördert hatte, als er den Hellhaarigen wie ein Häufchen Elend auf dem Bett zusammengekauert vorfand. „Ryo?!“ sagte er dementsprechend sanft. Eigentlich bekam nur einer diese Stimmart zu hören. Doch hier schien seine weiche, seine andere Seite weitaus besser angebracht als die energische, die er sonst zu tragen pflegte. Als sich der Angesprochene rührte, setzte sich Black einfach auf die Bettkante. „Du siehst scheiße aus, Mann,“ sagte er mitfühlend. Anders als das, was er eigentlich Ryo hatte alles an den Kopf werfen wollen. Gut, er trug mit Schuld an diesem Dilemma und nur deswegen mischte er sich überhaupt hier ein. „Danke... genau das wollte ich jetzt hören,“ kam es trüb von Ryo, der sich nun gänzlich zu Aaron umdrehte. „Was willst du?!“ Eine nur zu berechtigte Frage, wie er fand. „Mit dir reden.“ „Mach es kurz...“ „Dee! Ist das kurz genug?“ „Fuck!“ knurrte Ryo und drehte den Kopf wieder zu Seite. „Genau, das meinte ich auch, als ich von deinem Entschluss hörte, in ein Hotel zu ziehen.“ „Wie geht’s ihm?“ „Interessiert es dich wirklich?“ „Black... Bitte. Wie geht’s ihm?“ „Es geht ihm scheiße. Was erwartest du auch? Du knallst ihm nichts an den Kopf, nur, dass du ihn hasst, und damit soll er dann klarkommen? Nach dem, was er alles durchgemacht hat?“ „WAS ER DURCHGEMACHT HAT? Was ist mit mir? Alle reden nur von Dee!“ kam es verzweifelt zurück. Black blieb ruhig, angesichts dessen, was er aus dem hörte, und dem, was er vor sich sah. Ryo war nicht mehr der Mann, den er vor Monaten dazu überredet hatte, alleine, nur mit seiner Deckung, hinter dem Bomber herzuschnüffeln. Nein, das hier war ein ganz anderer Mann. Kurz vor dem Zusammenbruch. Tief verletzt nicht nur am Körper sondern hauptsächlich an der Seele, und der einzigste der ihm wirklich helfen konnte, war Dee, und dieser saß in einer Ecke und war ratlos über den Hass seines Mannes. „Keiner weiß, was du durchgemacht hast, Ryo. Wir kennen doch nur das, was der Arzt gesagt hat. Deine äußerlichen Wunden. Du redest nicht. Selbst bei deiner Aussage hast du so lange alles auf einen Punkt fixiert, bis du nicht mehr zu einer direkten Aussage, was dir angetan worden war, gekommen bist. Ryo... Ich kann ja verstehen, wenn du nicht mit einem Psychiater reden möchtest, aber dann rede wenigstens mit Dee. Er versteht deinen Hass nicht. Wenn es ist, weil du entführt wurdest, dann solltest du den Hass auf mich lenken... Denn betrachte es objektiv: ich habe dich dazu angestiftet. Dee wollte dich nicht in Gefahr bringen... Wir haben sogar gekämpft, als du entführt wurdest. Dee hat eine gewaltige Rechte, das kann ich dir flüstern,“ versuchte Black ein wenig, das Gespräch aufzulockern. Nicht um die Wichtigkeit in den Worten ins Lächerliche zu ziehen, sondern ganz allein, um Ryo ein wenig zum Lächeln zu bringen. „Dee hat dich geschlagen?“ So kannte Ryo Dee nicht. Dee war immer... Aber kannte er ihn denn überhaupt? „Ja, und er drohte mir, wenn dir weh getan wird, dass ich dafür gerade stehen muss. Aber bisher ist er noch ruhig. Weil er mit dem, was du ihm gesagt hast, nicht klar kommt, Ryo. Keiner versteht, warum du so reagierst,“ forderte er ihn indirekt dazu auf, ihm wenigstens einen Hinweis zu geben. „McNear...“ murmelte Ryo und machte somit Black wohl klar, worum es hier wirklich ging. „McNear?! Klar. Wie sollte es auch anders sein. Es ist Tatsache, dass er dich entführt hat. Steve wird wohl für dich aussagen. Mick ebenfalls. Wo sie dich gefunden haben. Den Kontakt, woher dieser McNear von dem geheimen Ort kannte, können wir ebenfalls aufweisen. Aber das ist wohl nicht der springende Punkt. Habe ich recht?“ Aaron machte eine Kunstpause, ließ Ryo gerade so viel Zeit zum Nicken. „McNear... der Ex-Lover von Dee. Darum geht es. Soll er es noch im Nachhinein schaffen, und euch auseinander bringen? Traust du Dee wirklich zu, dass er dich verraten hätte?“ „Er hat doch mit einem anderen rumgemacht...“ „Was? Wer sagt das?“ wurde Black nun doch ein wenig sauer. Wer konnte Ryo nur so weh tun, dass man ihm so was auftischte. „McNear... Er zeigte mir ein Bild... Da war Dee und hielt einen Mann im Arm... Es war deutlich zu sehen.“ „Und du glaubst das?“ „Ja...“ „Dann ist dir nicht zu helfen. Dee ist am Boden. Weißt du... Dich einmal zu verlieren, war für ihn die Hölle. Doch zu wissen, dass du lebst und ihn hasst für etwas, woran er keine Schuld trägt, wird ihn zerstören. Euch beide zerstören. Denkt auch an Sara... Aber wenn du dich wirklich von Dee trennen willst, werde ich dich nicht aufhalten können. Keiner kann das. Aber denk dran: Dee hat immer nach dir gesucht. Du kannst Chris fragen. Er ist mein Halbbruder. Du hast ihn ja bei einem Treffen kennen gelernt... Wenn du wirklich wissen willst, wie Dee McNear gegenüber war, dann frag ihn, wenn du mir schon nicht glaubst. Wenn du deinem Herzen nicht vertrauen kannst. Es tut mir alles so leid, Ryo. Noch nie habe ich so etwas Blödes in meinem Leben getan. Ich habe mich das erste Mal wirklich überschätzt und diejenigen, die darunter leiden, sind meine besten Freunde. Ich geh dann wieder. Ich wollte dir den Kopf waschen, aber ich bin der, der an allem Schuld hat. Tja... gib Dee... dein Leben mit ihm, nicht wegen etwas auf, was du nicht benennen kannst, Ryo.“ Etwas zögerlich legte er seine Hand auf Ryo’s Schulter, drückte sie knapp, bevor er sich erhob. „Aaron?!“ Black drehte sich an der Tür noch mal um. „Ja?“ „Sagst du ihm, dass er mich morgen abholen soll?“ „Mach ich...“ Etwas erleichtert, dass Ryo es wohl doch noch mal versuchen wollte, verließ er das Krankenzimmer. **** TBC Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)