Dämonisch von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 23: Ein ereignisreicher Abend ------------------------------------- Ein ereignisreicher Abend Nervös strich Mai ihren Kimono glatt und warf einen letzten Blick zu Akemi. „Keine Sorge, du schaffst das schon. Immerhin musst du ja nur soweit angepasst sein, dass du nicht auffällst.“ meinte sie gutmütig lächelnd. „Außerdem sitzt dein Freund hinter dieser Tür und wartet ganz bestimmt schon auf dich. Also bleib einfach locker.“ Unsicher nickte Mai noch einmal und atmete tief durch. Im Moment kam ihr die ganze Idee ziemlich bescheuert vor- warum noch mal war es nötig, dass sie Prostituierte spielte? Überhaupt würde man sie doch sofort enttarnen! Und was sollte sie machen, wenn das passierte? Ob das dem Bordell wohl schaden würde? „Streck den Rücken durch und lächle!“ zischte ihr Akemi ein letztes Mal zu, bevor sie ohne weitere Vorwarnung in den Raum geschoben wurde. Ein Schwall warmer Luft wehte ihr entgegen, während sie das Bild in sich aufnahm: Sie befand sich in einem relativ großen Raum mit mehreren ausschließlich männlichen Gästen, die verschiedene Speisen und Getränke zu sich nahmen, wobei die Getränke überwiegend aus Sake bestanden, aber vereinzelt auch Tee. Zwischen den niedrigen Tischen bewegten sich mehrere Mädchen hüftschwingend und geschmeidig hin- und her und servierten allerlei Köstlichkeiten. Gerade fragte sie sich, wie die Klienten wohl ein Zeichen gaben um sich mit einem der Mädchen zurückzuziehen, als sie bemerkte wie es funktionierte: Ein älterer Herr überreichte einem der Mädchen eine Blume, die diese zwinkernd und mit einem verheißungsvollen Lächeln annahm, bevor sich beide zurückzogen. Auch Mai war klar was das bedeutete und lief sofort knallrot an. „Steh nicht da wie bestellt und nicht abgeholt. Bring das lieber deinem Freund.“ sagte Akemi sehr leise und mit einem eingemeißelten Lächeln im Gesicht. Mai nahm verwirrt den Tee auf, bevor sie ein Lächeln in ihr Gesicht zwang und Naru suchte. Als sie ihn fand, wäre sie am liebsten wieder umgekehrt. Er selbst hatte sie schon lange entdeckt und schien sie richtiggehend nieder zu starren, in einer Stimmung, die jeden Horrorfilm-Regisseur begeistert hätte. Tapfer hielt sie ihr Lächeln im Gesicht und fragte sich, was ihm wohl für eine Laus über die Leber gelaufen war, bevor sie sich Akemis Unterricht in Erinnerung rief und hüftschwingend auf ihn zukam. Naru hätte ihr hingegen leicht sagen können was ihn störte: Alles. Die ganze verdammte Situation störte ihn. Mai machte die Situation nicht besser: Mit langsamen lazissiven Hüftschwüngen schlängelte sie sich durch die Tische, mit einem verlegenem Lächeln im Gesicht. Nur Mai konnte es schaffen, gleichzeitig wie die reine Unschuld und doch unglaublich… nun ja… sexy zu wirken. Misstrauisch ließ er seinen Blick über den Raum schweifen, was ihn im nächsten Moment wieder ein klein wenig entspannte. Es waren genug Mädchen anwesend, um Mai nicht weiter auffallen zu lassen. Soweit er das beurteilen konnte, gafften alle Gäste einem anderen Kimonoärmel hinterher. Wenigstens ein positiver Punkt in diesem Wahnsinn hier. Jetzt war Mai bei ihm angekommen und stellte den Tee vor ihm ab, wieder mit ungewohnter Eleganz in ihren Bewegungen. Diese Kurtisane hatte die Zeit mit Mai scheinbar wirklich gut genutzt. Schnell holte er den Kopf aus den Wolken und unterdrückte alle aufkeimenden Gefühle, von Wut bis Eifersucht und Sorge. Er war hier um ein Auge auf sie zu haben, nicht um sich zu ärgern. Das konnte er auch später- im Moment musste er aufpassen, dass keiner dieser anwesenden alten Knacker seine Freundin auf ein Extrazimmer zerrte. Im Stillen noch einmal seiner ausgezeichneten Selbstbeherrschung dankend, schaffte er es alle ablenkenden Gefühle schlicht und einfach aus seiner Gefühlswelt zu drängen, sodass er von einer Sekunde auf die andere völlig ruhig wurde und auch die Horrorfilm-Aura verschwand, als hätte es sie nie gegeben. Zumindest äußerlich wirkte er völlig ruhig. „Ist im Moment alles in Ordnung?“ fragte er sie, weiterhin nur die Umgebung musternd. „Ja, ich denke schon.“ flüsterte sie leise zurück. „Falls du ein ungutes Gefühl bekommst, dann brich das Experiment sofort ab.“ murmelte er leise zurück, bevor Mai sich wieder entfernte und auf Akemi zusteuerte, die sie von der Weite beobachtet hatte. „Sehr gut.“ meinte die Kurtisane breit lächelnd, als Mai wieder bei ihr angekommen war. „Meinst du, du kannst auch anderen Gästen was zu trinken bringen?“ Mai atmete einen Moment lang nervös ein, bevor sie nickte. Als nächstes wurde ihr Sake in die Hand gedrückt. „Geh zu dem Tisch da hinten. Dort sind so viele Mädchen, dass du mit Sicherheit nicht weiter auffällst. Vergiss den Hüftschwung nicht.“ Mai nickte zaghaft, bevor sie ängstlich die Luft anhielt und sich auf den Tisch zubewegte. Ihr eigener Herzschlag dröhnte in ihren Ohren und sie konnte die aufkeimende Angst nicht ganz unterdrücken, als sie endlich beim Tisch ankam. Ängstlich kratzte sie das letzte bisschen Selbstbeherrschung zusammen und bemühte sich, ihre Hände nicht zittern zu lassen, während sie die Sakeflasche abstellte. Vorsichtig musterte sie den Klienten, der mit einer ganzen Mädchentraube abgelenkt war und sie gar nicht beachtete. Es war schon ein älterer Herr mit graumeliertem Haar, aber trotzdem noch nicht alt. Irgendwie kam er ihr bekannt vor und sie meinte sich erinnern zu können, sein Bild auch schon einmal in der Zeitung gesehen zu haben. War das nicht irgendein Politiker? Aber eigentlich war das egal. Und mit Politik kannte sie sich ja sowieso nicht aus, also trat sie den Rückzug an und ging wieder zu Akemi, die sie erneut zu irgendeinem Tisch schickte und sie weiterhin mit Argusaugen beobachtete. Und da auch Naru sie keine Sekunde lang aus den Augen ließ, merkte sie, wie sie sich zunehmend entspannte und anfing, sich allmählich sicherer zu fühlen. Eine Weile pendelte sie so zwischen den Tischen und Akemi hin und her, die sich mit der Zeit ebenfalls zu entspannen schien. Nach etwa einer Stunde des Hin- und Herpendelns, wurde sie von Akemi schließlich nicht sofort wieder zu einem anderen Tisch geschickt. „Du machst das wirklich gut. Ich denke, ich kann dich jetzt den wachsamen Augen deines Freundes überlassen und was anderes machen, oder?“ Mai wurde sofort wieder nervöser. „Meinst du? Ich- ich bin immer noch ein wenig unsicher…“ „Mach einfach weiter wie bisher, dann ist der Abend schneller um als du glaubst.“ Mai stieß nervös etwas Luft aus und strich, nun wieder zitternd, ihren Kimono glatt. „Keine Sorge, dein Freund lässt dich ja sowieso nicht aus den Augen. Schade nur, dass das mit dem eifersüchtig machen nicht geklappt hat, obwohl ich ganz am Anfang durchaus das Gefühl hatte, dass es funktionieren würde…“ Beide Mädchen ließen ihren Blick einen Moment auf dem völlig entspannt wirkenden Naru ruhen. Er wirkte nicht einmal annähernd beunruhigt, geschweige denn eifersüchtig. Mai grinste und winkte ab. „Ich habe ja sowieso nicht erwartet, dass Naru jemals eifersüchtig sein könnte. Dafür ist er viel zu sehr von sich selbst überzeugt.“ kicherte sie leise, und durchaus wieder gut gelaunt. Akemi stimmte in ihr leises Lachen ein. „Gut, ich werd dann Mal gehen. Die Küche ist da hinten, also hol dir von dort deine Aufgaben. Vergiss das Hüftschwingen und das Lächeln nicht, ich komm in einer halben Stunde noch einmal her und seh nach wie es dir geht. Also, lass dir keine Blume in die Hand drücken, man sieht sich.“ Mai konnte nur stumm hinterher winken, bevor sie ihren Mut sammelte und sich alleine ihre Aufgaben aus der Küche holte. Und da das immer noch ohne die geringsten Probleme funktionierte, entspannte sie sich wieder und die halbe Stunde verflog viel schneller als erwartet. Nach einer kurzen Sprechpause mit Akemi, die sich noch einmal rückversicherte, dass alles in Ordnung war, machte sie weiter, während der Abend voranschritt und sie schließlich auch die letzten Reste an Unsicherheit ablegte. Auch wenn sich ein Freier mit einem Mädchen auf die Räume zurückzog, geschah das so diskret, dass Mai es nicht einmal mitbekam, was zusätzlich für Erleichterung sorgte. So setzte sie in mittlerweile gewohnter Routine ein weiteres Glas vor einen Kunden, nicht wirklich erwartend, dass die Routiene durchbrochen wurde. Gedanklich schon wieder in der Küche wollte sie gerade den Rückweg antreten, als sie unerwarteter Weise aufgehalten wurde. „Nanu, wer bist du denn, Schönheit? Dich hab ich hier doch noch überhaupt nicht gesehen.“ Mai erstarrte zur Salzsäule und wandte sich dem Freier zu. Was sollte sie denn jetzt tun?! Fieberhaft wägte sie ihre Möglichkeiten ab- weglaufen ging ja wohl leider nicht. Also versuchte sie es mit distanzierter Höflichkeit. „Ich bin auch neu hier.“ sagte sie, verlegen den Blick zu Boden richtend. „Na so was. Ich bin erstaunt, dass du mir erst jetzt auffällst. Wie heißt du denn?“ Krampfhaft fixierte sie den Boden, während sie rot anlief. Irgendwie gefiel ihr sein Blick nicht. Er betrachtete sie ungeniert von Kopf bis Fuß, bevor er sie anlächelte. Mai konnte gerade so ein Würgen unterdrücken. Sie würde sich von diesem Tisch den Rest des Abends fern halten. Doch auch wenn sie nicht mehr in seine Nähe kam- im Moment musste sie höflich bleiben, zumindest so lange ihr das möglich war. „Ich… heiße Mai.“ „Mai-chan also. Wie wäre es, wenn du dich zu mir setzt?“ //Bitte WAS?!// Verlegen stammelte sie eine Entschuldigung, bevor sie die Flucht ergriff. Das konnte doch nicht wahr sein! Dieser Typ war doch leicht drei- bis viermal so alt wie sie! Schaudernd nahm sie die nächste Bestellung auf, um sie an einen anderen Tisch zu bringen, dabei immer einen großen Bogen um den Tisch des Freiers machend. Als das eine ganze Weile gut lief, entspannte sie sich wieder. Immerhin wusste sie nun, dass sie sich auch aus heiklen Situationen herauswinden konnte. Dieses Bewusstsein war an sich eigentlich nicht schlecht. Es half ihr, sich in dieser ungewohnten Situation sicherer zu fühlen. Und so machte sie wieder weiter wie bisher, sich nicht bewusst dass der eine Freier sie durchaus nicht aus den Augen gelassen hatte. Und so bemerkte sie nicht, wie der Freier sich fröhlich schwatzend mit einem anderen Mann unterhielt und auf sie deutete, und dieser nach einer Weile wieder ungezwungen ein paar Sätze mit einem anderen sprach, kurz, dass sich herumsprach, dass es in der aufgehenden Sonne ein neues Mädchen gab. Was sie allerdings nach einer Weile bemerkte, war, dass sie auf einmal öfter gemustert wurde, wobei sie vorher nur ignoriert worden war. Als ihr das ganze mit der Zeit unheimlich war, beschloss sie, das Experiment frühzeitig abzubrechen. „Hey, Mai-chan, bring mir doch noch etwas Sake!“ drang es auf einmal an ihre Ohren, und sie drehte sich überrascht um. Der Mann, der das verlangt hatte, war ihr völlig unbekannt. Woher also kannte er ihren Namen? Außerdem musterte er sie so… so… sie konnte es nicht ausdrücken. Jedenfalls stellten sich ihr alle Härchen auf ihrem Körper auf. „Bitte schön, ein Sake für Sie!“ tauchte auf einmal Akemis rettende Stimme auf. Sie betrachtete Akemi verwirrt, aber erleichtert. Doch die junge Kurtisane warf ihr einen Blick zu, und die lächelnde Maske verschwand einen Augenblick. Sie machte einem nervösen und besorgten Ausdruck platz, während sie kurz aber energisch zum Ausgang nickte. Das bedeutete eindeutig “nimm die Beine in die Hand und verschwinde!“ Dankbar kam Mai der Aufforderung nach und schlüpfte flink zur Tür hinaus auf den dunklen Flur. Mit zitternden Fingern lehnte sie sich an die Wand und fuhr sich fahrig durch die Haare. Wenn sie nach Akemis Gesichtsausdruck ging, war das ziemlich knapp gewesen. Überhaupt waren die Blicke der Männer ziemlich… nun ja… unangenehm gewesen. Herannahende Schritte ließen sie allerdings herumfahren. „So was, du bist doch die Neue, oder?“ lallte ein eindeutig schon betrunkener Freier. Sie brachte beim besten Willen kein Lächeln mehr zustande. „J-Ja. Aber ich mache gerade Feierabend.“ Schwankend kam der Gast näher und musterte sie anzüglich von oben bis unten. „Schon Feierabend? Na… ich glaub, da werden wir zwei vorher noch ein wenig Spaß haben, nicht wahr?“ Er kam noch einen Schritt näher, sodass sie den Sakegeruch an ihm wahrnehmen konnte. Dann noch einen und noch einen- bis er knapp vor ihr stand, und Mai sich ängstlich an die Wand presste. „So ein hübsches kleines Ding…“ murmelte er leise, während er ihr geistesabwesend eine Haarsträhne zurückstrich. „Die anderen sind auch hübsch- aber so was Entzückendes wie dich hab ich hier noch nie gesehen.“ Mai beschloss gerade, dass es Zeit wurde sich mit Händen und Füßen zu wehren, und überlegte, wo ein Schlag wohl die meiste Wirkung hatte, als sich eine eisige Stimme im Hintergrund einschaltete. „Ganz Recht. Darum waren wir auch gerade auf dem Weg zu meinem Zimmer.“ Naru! Himmel, sie war noch nie in ihrem Leben so erleichtert gewesen, ihn zu sehen. Es dauerte nur eine Sekunde, bis er seine Hand auf die Schulter des Klienten legte und ihm mit einem breiten Lächeln die Zähne zeigte. Nur wirkte er überhaupt nicht freundlich. Im Gegenteil, die Horrorfilm-Atmosphäre war wieder da. Seine Augen spießten seinen Gegenüber regelrecht auf, und Mai lief ein Schauer über den Rücken. Seine Augen hatten ihr schon oft kühle Blicke zugeworfen, doch diesmal waren sie anders. Diesmal waren sie eiskalt- wie die Augen eines Jägers. Überrascht wich der Freier ein paar Schritte zurück. „Gute Entscheidung.“ meinte Naru schon beinahe freundlich. Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, packte er Mai mit einem stahlharten Griff am Handgelenk und zog sie hinter sich her, weg von dem Raum voller Freier, mitten in ihr gemeinsames Zimmer. Erst dort ließ er sie los, drehte sich zu ihr um und verschränkte anwartend die Arme vor der Brust. Leider verschwand die Horrorfolm-Aura dabei nicht. Das Schweigen zog sich in die Länge und Mai biss nervös auf ihrer Lippe herum. Seine unnahbare Miene machte die ganze Situation nicht unbedingt besser. „So.“ sagte er leise. „Hast du jetzt genug von deinen Versuchen?“ Mai starrte geknickt zu Boden. „Ich hätte nicht gedacht, dass sie überhaupt Notiz von mir nehmen.“ murmelte sie niedergeschlagen. Einen kurzen Moment lang rangen die verschiedensten Gefühle in Naru um Vorherrschaft, als er sie so geknickt sah. Aber dann kamen die Erinnerungen an den ganzen vergangenen Tag dazu, und Wut behielt die Oberhand. „Du warst ja auch unglaublich unauffällig. Schließlich hat dich ja nur der gesamte Raum auf die anzüglichste Weise angestarrt.“ meinte er sarkastisch, aber immer noch völlig ruhig, was irgendwie noch viel unheimlicher war, als wenn er sichtbar wütend gewesen wäre. Obwohl, es war durchaus sichtbar. Nur brodelte das ganze unter einer Eisschicht. Zwar meldete sich kurz in ihrem Hinterkopf eine Stimme, die sich fragte, warum SIE sich vor IHM zu rechtfertigen hatte, wo doch offensichtlich sie Probleme bekommen hatte und nicht er- allerdings verschwand diese Stimme schnell, als sie versuchte, die richtigen Worte zu finden. Unsicher fixierte Mai den Boden und rang um Worte. „Naru… ich… ich weiß ja selbst nicht, was da passiert ist! Ich meine… alle Mädchen hier… ich meine… die anderen sind ja viel schöner als ich! Wie hätte ich wissen können, dass sie mich tatsächlich ansehen!“ So viel haarsträubende Unsinnigkeit, die allerdings typisch für Mai war, goss eher noch Öl ins Feuer. Viel schöner als Mai, von wegen! „Und es überrascht dich, dass du angebaggert wirst, wenn du hüftschwingend an einem Haufen von alten, geifernden Idioten vorbeigehst? Wirklich Mai, ich hätte dich für klüger gehalten.“ kam dann auch Narus giftiger Kommentar, obwohl er sich immer noch bemühte seine verschiedenen Emotionen im Zaum zu halten. Immerhin hatte er sie bis jetzt noch nicht an den Armen gepackt und durchgeschüttelt, um sie zur Vernunft zu bringen. Und das war schon schwer genug. Mai hingegen blinzelte einen Moment lang verwirrt, während ihr das gerade eben gesagte ins Bewusstsein sickerte. Nach Luft ringend starrte sie ihn an und hatte das Gefühl, als würde sie den Boden unter den Füßen verlieren. Er wirkte noch immer distanziert und kühl. Sie schwankte einen Moment, bevor sie sich mühsam fing. Er hatte schon öfter Anspielungen auf ihre Intelligenz, oder eher mangelnde Intelligenz, von sich gegeben, aber immer auf eine gutmütig-ironische Weise, die zwar durchaus Spottend war, aber eben nicht verletzend. Das hier war diesmal völlig anders. Das hier war verletzend- richtig verletzend. Sie blinzelte die plötzlich hochsteigenden Tränen beiseite, die sowohl der aufsteigenden Wut als auch der Verletztheit entsprangen, oder versuchte es eher. „Du hast kein Recht so was zu sagen!“ meinte sie erschüttert. „Ich habe kein Recht, die Wahrheit auf den Punkt zu bringen, Mai?“ Jetzt gewann auch bei ihr die Wut die Oberhand. „Egal ob dumm oder nicht dumm, du hast kein Recht mich zu beleidigen!“ Mai war bei jedem Wort lauter geworden und stampfte wütend mit einem Fuß auf. „In Anbetracht der Tatsache, dass ich dich aus dieser Situation wieder rausgehauen habe, denke ich sehr wohl, dass ich ein Recht dazu habe, dir meine Meinung mitzuteilen.“ sagte er gepresst, zum ersten Mal ebenfalls gereizt wirkend. Jetzt fingen die Tränen an zu rollen, was Mai aber nicht einmal bemerkte. Zu aufgewühlt war sie. „Ich wäre aus dieser Situation sehr wohl auch wieder alleine rausgekommen!“ „Ach, und wie wäre das deiner Meinung nach abgelaufen?“ Der spottende Unterton war noch verletzender als der vorhergehende Kommentar. „Er war nicht gewalttätig! Ich hätte mit ihm gesprochen und ihm erklärt, dass ich nur eine Aushilfe bin!“ Selbst in ihren eigenen Ohren klang das nach Blödsinn, aber sie würde sich eher die Zunge abbeißen als das in dieser Situation zuzugeben. Immerhin hatte sie, als sie an die Mauer gepresst vor dem betrunkenen Freier gestanden war, nicht im Entferntesten an eine zivilisierte Unterhaltung mit Argumenten und Gegenargumenten gedacht. Eher, an welcher Stelle ein Schlag mit ihrer nicht gerade überwältigenden Körperkraft die meiste Wirkung erzielen würde…. „Er war BETRUNKEN, Mai. Du glaubst ernsthaft, er hätte dir zugehört?!“ echote er auch wie erwartet genauso zynisch wie aufgebracht. „Dann hätte ich mich eben so gewehrt! Ich bin durchaus in der Lage, mich gehen einen Betrunkenen zur Wehr zu setzen!“ Er schnaubte. Und das brachte das Fass zum überlaufen. „Hör auf, mich so abfällig zu behandeln! Vielleicht war es ein Fehler, Akemis Angebot anzunehmen. Gut! Aber du hast KEIN RECHT, deshalb auf mich herab zu sehen! Wenn es dich stört, dass ich getan habe, was ich nun einmal getan habe, dann hättest du mich verdammt noch Mal einfach in Ruhe lassen sollen, als dieser Besoffene mich bedrängt hat! Im Übrigen war er sogar charmantere und im Moment auch angenehmere Gesellschaft als du im Moment!“ brach es gereizt aus ihr heraus, während sie ihn kampflustig anfunkelte, sich nicht bewusst, dass ihr immer noch Tränen die Wange hinabrollten, was ihre Worte nicht unbedingt auf beeindruckende Weise unterstrich. „Oh, dann tut es mir Leid, dass ich mich in deine Angelegenheit eingemischt habe. Das nächste Mal werd ich ihm viel Spaß wünschen und ihm ein nettes Zimmer anraten!“ erwiderte Naru, jetzt genauso hitzig. Wieder schnappte Mai nach Luft. „GUT. Dann geh ich jetzt eben wieder!“ In ihrer Wut hatte sie tatsächlich vor, wieder zurück zu den Freiern zu stapfen, einfach um ihre Worte zu beweisen. Und sie hatte wirklich nicht damit gerechnet, dass Naru sie aufhalten würde. Nicht, nach dem gerade erfolgten Gespräch. Doch das tat er- indem er erneut mit stahlhartem Griff ihr Handgelenk umfasste und fest hielt. „Du denkst doch nicht ernsthaft, dass ich dich jetzt alleine irgendwo hingehen lasse, oder?!“ „Doch! In meiner unendlichen Dummheit habe ich das angenommen!“ fauchte sie wütend. Er schloss einen Moment lang die Augen und atmete tief durch. Die drohende Gefahr, Mai in ihrer Wut zu einem Freier zurücklaufen zu sehen, bewirkte, dass die Wut für die Sorge platz machte. Zwar waren nach wie vor alle Gefühle vorhanden, die ihn schon den ganzen Abend über malträtiert hatten, aber irgendwie hatte die Sorge der Wut gerade den ersten Platz abgejagt. „Dir ist bewusst, dass dich dann wohl der nächste Freier anfällt?“ fragte er mit erzwungener Beherrschung. „DIE sind wenigstens höflicher zu mir als du! Von einem Freier angefallen zu werden ist im Moment weit weniger verletzend!“ fauchte sie, offensichtlich immer noch wütend. Er blinzelte einen Moment, ließ sie aber nicht los. Das hatte gesessen. Dann riss er sich wieder zusammen. „Wir sollten dieses Gespräch morgen weiter führen. Im Moment sind wir beide zu aufgebracht; Und dass du in deinem aufgebrachten Zustand dem nächsten Freier freiwillig entgegen rennst, wollen wir beide nicht.“ presste er zwischen seinen Zähnen hervor. Nein, das wollten sie wirklich beide nicht. Schniefend wischte sie sich mit ihrem freien Arm über ihre Augen und landete ebenfalls wieder auf dem Boden der Tatsachen. „Dann hör auf so gemein zu sein.“ erwiderte sie schwach und ebenfalls weit ruhiger als zuvor. Naru seuftste und seine Augen büßten ihre klirrende Kälte ein. „Es war nicht meine Absicht dir weh zu tun, Mai.“ Zur Hölle, das war sogar das letzte was er wollte. Irgendwie war er es absolut nicht gewohnt sich so zu fühlen, wie er sich gerade eben fühlte. Und zu dem kunterbunten Wirrwarr kam jetzt auch noch das schlechte Gewissen dazu, das sich zunehmend verstärkte, je länger er Mai beobachtete. In Erinnerung an ihr gerade eben erfolgtes Gespräch, fingen die Tränen wieder an zu laufen. „Das hast du aber. Mehr als so ein Freier das könnte.“ meinte sie vorwurfsvoll. Er presste seine Zähne zusammen und betrachtete sie. Erst jetzt fiel die Wut vollständig von ihm ab und er nahm wahr, wie erbärmlich verletzt sie im Moment wirkte. Es war wohl wirklich nicht besonders schlau gewesen, ihr in ihrem ohnehin schon leicht labilen Zustand, bedingt durch die Flucht aus einem Raum voller geifernder Freier und anschließender Bedrängung durch ein weiteres Exemplar, auch noch Vorwürfe zu machen und sich mit ihr zu streiten. Das war wohl sogar als alles andere als klug zu bezeichnen. Und er merkte, wie sich das schlechte Gewissen noch einmal verstärkte. Irgendwie fühlte er sich gerade generell hundsmiserabel. Jetzt wusste er also, dass er es mit absoluter Sicherheit hasste, sich ernsthaft mit ihr zu streiten. Also lenkte er endgültig ein. „Das tut mir Leid, Mai. Aber ich war wütend. Und zwar nicht ganz zu unrecht.“ Trotz der Erkenntnis, dass er Streit mit Mai hasste, konnte er sich den letzten Satz einfach nicht verkneifen. Aber sie hatte einfach keine Ahnung, wie es ihm den Abend über gegangen war. Er stockte und versuchte die richtigen Worte zu finden, um ihr seine Gefühle zu vermitteln. Versuchte, ihr zu vermitteln wie er den gesamten Abend stundenlang gespannt wie eine Sprungfeder auf seinem Platz gesessen hatte, um sie nicht eine Sekunde lang aus den Augen zu verlieren. Wie er mitbekommen hatte, dass die Stimmung genauso langsam wie unaufhaltsam kippte und sie völlig unbewusst immer mehr Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte. Wie er innerlich angefangen hatte zu brodeln, als er die Blicke bemerkte, die sie SEINER Freundin zuwarfen. Und schließlich, wie sie alles noch schlimmer gemacht hatte, in dem sie sich mit hüftschwingender Eleganz durch die Tische schlängelte, und nicht einmal bemerkt hatte, dass er durchaus versucht hatte sie zu warnen. Wie sie ihn nichteinmal bemerkt hatte und die Wut und Angst um sie angestiegen war, vor allem wegen der lechzenden Blicke die diese Freier seiner Freundin nachgeworfen hatten. Wie die Eifersucht ständig an seiner Selbstbeherrschung genagt hatte, und wie er versucht hatte dieses völlig neue Gefühl irgendwie unter Kontrolle zu halten- und wie er daran gescheitert war. Wenn er darin nur nicht so schlecht wäre… Müde fuhr er sich durch die Haare. „Ich wollte dich wirklich nicht verletzen. Aber Sorge, Wut und Eifersucht ist ein sehr explosiver Cocktail.“ brachte er schließlich lahm hervor. Explosive Mischung war da noch untertrieben. Das beschrieb seinen Zustand an diesem Abend nicht im Geringsten, aber besser konnte er es einfach nicht in Worte fassen. Vor allem die Eifersucht hatte es in sich. Sogar wenn er nur an den Abend zurückdachte, spürte er wie ihm fast die Galle hochkam. Ein wirklich mächtiges Gefühl. Ein letztes Mal mit dem Ärmel über die Augen wischend, kam sie einen halben Schritt näher. „Mir tut es Leid, dass der Versuch so daneben gegangen ist. Ich-… Ich dachte wirklich, dass mich neben den ganzen Schönheiten hier niemand wahrnimmt.“ murmelte sie ebenfalls einlenkend und sichtlich niedergeschlagen. Tatsächlich lächelte er schwach. Da war er wieder, ihr haarsträubender Unsinn. Wie hätte sie denn NICHT auffallen sollen?! „Da hätte ich dir gleich sagen können, dass diese Rechnung nicht aufgeht. Du stehst keinem dieser Mädchen in irgendetwas nach.“ Mai blinzelte überrascht. War das gerade ein Kompliment gewesen? Nach dem vorhergehenden Streit hatte sie damit eigentlich nicht gerechnet… „Naru? Du bist… nicht mehr böse auf mich?“ „Ich war nie böse auf DICH. Nicht wirklich. Nur so explosiv wie eine Knallgasmischung.“ entgegnete er trocken, und es schlich sich auch ein leises Lächeln auf ihre Züge. Sie machte einen weiteren zögerlichen halben Schritt auf ihn zu. „Warst du wirklich eifersüchtig?“ fragte sie jetzt schüchtern, aber auch offensichtlich neugierig. Er seuftste, und ein sehr müdes schiefes Grinsen schlich sich auf seine Züge. „Ich gestehe: Ja, total, wie nie in meinem Leben zuvor. Durchaus eine neue Erfahrung, wenn auch keine Schöne.“ Ihr Lächeln wurde breiter. Er war also tatsächlich eifersüchtig gewesen? Irgendwie war das… ja, gar kein so schlechter Gedanke. Fast schon ein wenig befriedigend. Jetzt wusste er wenigstens einmal, wie sich das anfühlte. „Können wir den Abend dann vielleicht einfach vergessen?“ fragte sie hoffnungsvoll. Vor allem den Schluss. Streit mit Naru war jetzt die neue Nummer eins von Dingen die sie hasste. Das hatte sogar “von einem mordlustigen Geist verfolgt werden“ von der Spitze verdrängt. „Vergessen wäre vielleicht keine gute Idee. Aber ad acta legen schon.“ Auch Naru hatte “sich ernsthaft mit Mai streiten“ an die Spitze seiner Hass-Liste gesetzt. Jetzt überwand er auch die letzte Distanz, indem er sie zu sich zog. Erleichtert schloss er seine Arme um ihren zierlichen Körper und steckte seine Nase in ihre verwuschelte braune Haarmähne. Er konnte spüren, wie sie sich an ihn schmiegte und ebenfalls erleichtert aufatmete. „Ich würde vorschlagen, dass wir diesen Versuch nicht noch einmal wiederholen. Du bist scheinbar einfach zu talentiert als Kurtisane.“ Mai seuftste darauf hin nur leise. So furchtbar das Experiment geendet hatte, so angenehm war der verbleibende Abend. Beide hatten einstimmig beschlossen die Arbeit einfach links liegen zu lassen, vor allem da anzunehmen war, dass sich wieder nichts getan hatte. Also lagen sie eng aneinander gekuschelt und warteten auf den Schlaf, der dank nicht vorhandener Zimmernachbarn auch nicht allzu lange auf sich warten ließ. Und so sank Mai in unzusammenhängende, aber angenehme Träume. Gestört wurde ihr angenehmer Schlummer allerdings mitten in der Nacht, in der sich ihre Blase unangenehm bemerkbar machte. Innerlich leise fluchend schlüpfte sie aus Narus warmer Umarmung und tapste in völliger Dunkelheit auf die Türe zu. Immer noch leise innerlich grummelnd schlich sie an einem offenbar noch besuchten Zimmer vorbei, in dem sie eine laute Männerstimme hörte. Sich schnell die Ohren zuhaltend lief sie weiter, bis sie am Ende des Ganges endlich die Toilette auffand. Auf ihrem Rückweg fiel ihr auf, dass die Männerstimme, die sie vorher auch schon gehört hatte, ziemlich aggressiv klang. Unwillkürlich die Stirn runzelnd trat sie ein wenig zaghaft einen Schritt näher heran. Wirklich, viel zu aggressiv für einen normalen Freier. Sie sollte Hilfe holen- vielleicht Naru, denn nach der Stimme zu Urteilen war der Kerl ein ziemlicher Klotz. Und notfalls mit seinen Kräften würde Naru wohl jeden Menschen mit Leichtigkeit von sich fern halten können. Dann allerdings splitterte Glas und eine junge Frau schrie auf, während ein dumpfer Schlag folgte und auch der Mann irgendetwas schrie. Entsetzt keuchte Mai auf, zögerte nurnoch einen winzigen Moment, bevor sie die Türe aufstieß und ängstlich in den Raum starrte. Darin befanden sich eine junge Frau, die offensichtlich bewusstlos auf dem Boden lag, und ein Gast, der genauso offensichtlich zu viel Alkohol erwischt hatte- und der die Statur eines Boxchampions hatte. Schwankend trat er einen Schritt auf Mai zu. „Was tust du hier?“ lallte er, erschreckend aggressiv klingend. „I-Ich…hab…nur…den Schrei-“ Langsam kam er, immer noch schwankend, näher, während Mai ängstlich zurückwich. Gut, die Zimmertüre zu öffnen war wohl eine wirklich ziemlich blöde Idee gewesen. Eine weitere ziemlich blöde Idee an diesem Abend. „Sie ist einfach ohnmächtig geworden. Hab’ nichts damit zu tun.“ grunzte er unfreundlich. Mai registrierte gar nicht richtig was er sagte. Im Moment hatte sie einfach nur Angst. Was darauf folgte, hatten weder Mai noch der Freier erwartet. Er erreichte das junge Mädchen und packte sie an den Armen- um auch ihr gegenüber gewalttätig zu werden oder einfach um seine Worte zu unterstreichen, zu welchem Zweck genau würde wohl keiner mehr erfahren- als sich genauso unerwartet wie plötzlich Mais Kräfte automatisch einschalteten. Binnen einer Sekunde weiteten sich seine Pupillen so stark, dass seine Augen völlig schwarz wirkten und Mai fühlte wie durch eine meterdicke Mauer hindurch die Gefühle des Mannes. Und das war wohl das seltsamste Gefühl, dass sie jemals gespürt hatte. Der Widerstand war deutlich massiver als bei dem Geist der Fliege, aber Mais Kräften war er nicht gewachsen. Vor allem auch durch den hohen Alkoholspiegel war er ein leichtes Opfer für derartige Angriffe, erkannte sie beinahe Abwesend. Alle Verteidigungsmauern wurden einfach so niedergerissen und Mai hatte plötzlich das Leben dieses Menschen in ihrer Hand. Sie konnte ihn nun Ballett tanzen oder von einem Hochhaus springen lassen- oder auch einfach gleich seine Psyche zerschmettern. Was auch immer sie wollte- er würde gezwungen sein es zu tun. Instinktiv taten ihre Kräfte aber das im Moment einzig richtige- und der große Muskelberg vor ihr klappte einfach zusammen und sank in einen tiefen Schlaf. Einen Moment völlig entsetzt starrte sie auf den außer Gefecht gesetzten Menschen, dann auf die bewusstlose Kurtisane, während ein Schauer nach dem anderen ihr Rückgrat hinauf und hinunter lief. Ohne einen weiteren klaren Gedanken zu fassen wirbelte sie herum und lief zu Naru zurück. Das eben passierte musste er einfach erfahren- er würde dann schon wissen, was weiter zu tun war, denn im Moment hatte sie nicht die geringste Ahnung. Hoffentlich war er nur nicht wieder sauer, dass sie so unbedacht gehandelt hatte. Der letzte Streit war ihr noch viel zu gut in Erinnerung… Als Naru dann auch plötzlich aus dem Schlaf gerissen wurde, brauchte er einen Moment um vollständig und klar bei allen Sinnen zu sein, bevor er registrierte, dass Mai völlig aufgelöst war. Stockend erzählte sie ihm schließlich, was passiert war. „Das war ziemlich gefährlich, Mai.“ sagte er auch sofort vorwurfsvoll. „Ich weiß.“ „Du hättest Hilfe holen sollen.“ „Aber die wäre vielleicht zu Spät gekommen.“ Naru seuftste nur, beschloss aber das Thema im Moment ruhen zu lassen. Auf noch einen Streit mit ihr konnte er einfach verzichten. „Weißt du, diese ganze Sache war ziemlich seltsam.“ sagte Mai kleinlaut. „Inwiefern?“ „Naja… ich habe ganz genau gespürt, was er gefühlt hat. Und da war zuerst einmal eine große Beeinträchtigung durch den Alkohol. Dann war da die Angst über das was ich gesehen habe und was ich daraus schließen könnte. Und letztendlich Verwirrung über das, was davor passiert ist. Es stimmt, dass er die Kurtisane angreifen wollte. Aber bevor er dazu gekommen ist, ist sie von selbst ohne sein Zutun in Ohnmacht gefallen. Das habe ich allerdings erst herausgefunden, nachdem ich ihn…übernommen hatte.“ Naru runzelte nachdenklich die Stirn. „Sie fiel in Ohnmacht, bevor er irgendetwas getan hat?“ „Ja. Einfach so.“ „Und wie hat er darauf reagiert?“ „Zuerst verwirrt, dann hab ich ihn unterbrochen.“ „Hm.“ Dann schwieg Naru, allerdings mit einer sehr nachdenklichen Mine. Und da er sonst nicht wütend wirkte, beschloss sie nachzuhaken. „Was denkst du?“ fragte Mai schließlich neugierig. Einen Moment schwieg Naru bevor er beschloss, doch zu antworten. Zwar behielt er normalerweise alle Vermutungen die einen Fall betrafen für sich, da sie sich genauso leicht als falsch herausstellen konnten- aber irgendwie war das bei Mai etwas anderes. „Nun… Dieser Ohnmachtsanfall hört sich an wie einer von denen, weswegen wir eigentlich hier sind.“ begann er doch etwas zögerlich. Normalerweise diskutierte und spekulierte er mit Lin wild an einem Fall herum, stellte eine haarsträubende Theorie nach der anderen auf und warf sie nacheinander alle wieder um- aber eben nur mit Lin. Das jetzt auch mit Mai zu tun, war doch noch ein wenig ungewohnt. „Das ist wahr.“ stimmte Mai zu, die nichts von seiner Zögerlichkeit bemerkte. Dadurch irgendwie ein wenig ermutigt, spann er seine Spekulation weiter. „Aber in diesem Fall hatte der Ohnmachtsanfall sehr wohl einen Grund: Ein wütender Freier, der drauf und dran war eine Kurtisane anzugreifen. Er war fast so etwas wie ein Schutzmechanismus. Zumindest ist sie so seinem Angriff entgangen.“ „Und worauf willst du hinaus?“ fragte sie neugierig. „Wenn die anderen Ohnmachtsanfälle nun einen ähnlichen Hintergrund haben? Natürlich würde ein Freier nie erwähnen, dass er kurz davor gewesen ist, eine Kurtisane anzugreifen, bevor diese in Ohnmacht fällt. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass hier nur sehr berühmte oder politisch bedeutende Männer ein- und ausgehen. Also Personen, die einen Skandal mit Sicherheit vertuschen wollen würden. Die Eingriffsweise dieses Geistes ist also sehr subtil: Wenn eine Kurtisane in Gefahr ist, versetzt er sie in Tiefschlaf. Die Freier sind so verwirrt oder geschockt oder überrascht, dass der Angriff abgebrochen wird. Niemand kommt zu Schaden. Die meisten Menschen haben nämlich eine instinktive Hemmung, auf eine ohnmächtige am Boden liegende Person einzuprügeln.“ schloss er seine Theorie. „Damit willst du sagen, dieses Bordell hat einen Schutz-Geist?“ scherzte Mai ungläubig. „Vielleicht. Wenn die Vermutung stimmt. Und sicher ist das noch überhaupt nicht. Aber es wäre immerhin eine erste Theorie, die passen könnte. Und es würde auch erklären, warum wir nicht die geringsten Aktivitäten vermessen konnten, immerhin war keiner von uns zu irgendeinem Zeitpunkt in akuter Gefahr. Und wenn doch, kam der Geist wohl nie dazu zu reagieren, weil sich vorher immer andere Leute eingeschaltet haben- zuerst ich, dann hast du den anderen Freier selbst außer Gefecht gesetzt.“ Unwillkürlich grinste er ein wenig. „Das hätte ich übrigens gerne gesehen.“ „Das mit dem Freier?“ „Ja. Immerhin ist er in deiner Schilderung ein wahrer Muskelberg.“ „Das ist er aber wirklich…“ „Wie auch immer, ich denke, wir sollten mal nach Beiden sehen. Immerhin ist die Kurtisane Ohnmächtig geworden, möglicherweise ist ja doch nicht der Geist daran schuld. Dann bräuchte sie wohl Hilfe.“ „Oh je! Das habe ich völlig vergessen…“ meinte Mai mit offensichtlich schlechtem Gewissen. „Hoffentlich sind beide in Ordnung.“ setzte sie kleinlaut hinterher. „Geh vor und zeig mir das Zimmer, dann werden wir es gleich wissen.“ Mai tat wie ihr geheißen und führte Naru zu dem fraglichen Zimmer. Als sie dort ankamen, warf er nur einen kurzen Seitenblick auf den außer Gefecht gesetzten Freier, während seine Mundwinkel verdächtig zuckten. Allerdings hielt er sich nicht weiter mit dem Mann auf und stieg einfach über ihn hinweg, bevor er kurz das Zimmer musterte und zur Kurtisane schritt. Dort angekommen legte er seine Finger auf ihre Halsschlagader. „Soweit ich das beurteilen kann, ist bei ihr alles in Ordnung. Ihre Atmung ist stabil und ihr Puls normal. Sie scheint wirklich nur zu schlafen.“ Unwillkürlich atmete Mai auf, obwohl ihr gar nicht bewusst gewesen war, dass sie die Luft angehalten hatte. „Trotzdem sollten wir die Klientin informieren. Und anschließend sowohl den Freier, als auch die Kurtisane zu dem Vorfall befragen.“ Mai nickte kurz, bevor sie sich auf den Weg machen wollte, wurde aber schon wieder von Naru aufgehalten, indem er ihr einmal mehr ans Handgelenk fasste. „Und wo denkst du, dass du hingehst?“ erkundigte er sich mit mildem Interesse. „Na, die Klientin informieren, oder nicht?“ Naru seuftste nur leise. „Mai. An diesem Abend hat ein ganzer Raum von alten, aber politisch durchaus mächtigen Knackern dich gedanklich schon auf das nächste Zimmer gezerrt. Anschließend, am selben Abend wohlgemerkt, wirst du zwei Mal von betrunkenen Freiern angegriffen. Glaubst du ernsthaft, dass ich dich einfach so alleine durch das Gebäude laufen lasse?“ Mai fiel daraufhin schlichtweg keine Antwort ein. Allerdings erwartete Naru auch keine und schüttelte leise den Kopf. „Also, ich werde gehen und du wartest hier und passt auf die Beiden auf, in Ordnung?“ Er wartete ihr nicken gar nicht erst ab und war kurz darauf am Gang verschwunden. Allerdings kehrte er nach kaum zwei Minuten auch schon wieder zurück. „Das war aber schnell.“ begrüßte Mai ihn überrascht. Naru zog eine Augenbraue in die Höhe, bevor er sich dazu herab ließ zu antworten. „Ich hatte das Glück, jemandem auf dem Gang zu begegnen.“ Die kurze Wartezeit verbrachten sie mit Schweigen, bevor schließlich die durchaus aufgeregt wirkende Klientin mit einer kleinen Mädchentraube im Schlepptau auftauchte. „Ist jemand verletzt worden?“ fragte sie offensichtlich besorgt. „Nein. Sehen diese Ohnmachtsanfälle immer so aus wie dieser hier?“ fragte Naru und deutete auf das bewusstlose Mädchen. Die Klientin presste nur einen Moment ihre Lippen zusammen, bevor sie sich hinunterbeugte und offensichtlich nach dem Puls fühlte. „Ja. Keine Verletzungen und eine so lange andauernde Ohnmacht, bis sie vom Grundstück hinunter getragen wird. Dürfte ich vielleicht erfahren, was hier passiert ist?“ Nachdem Naru Mai zunickte, fing sie stockend an über das Ereignis zu berichten, ließ die Gedanken-Kontrolle über den betrunkenen Freier aber aus. „Verstehe.“ meinte die Kurtisane schließlich leise und einen Moment lang schweifte ihr Blick über den schlafenden Freier, bevor sie sich wieder Mai und Naru zuwandte. „Nun, ich danke euch jedenfalls für die Information. Wir werden uns um die Beiden kümmern. Im Moment ist es sehr spät und ihr habt, soweit ich gehört habe, schon einen anstrengenden Abend hinter euch. Wir können alles andere auch noch Morgen bereden.“ Naru nickte kurz. „Ja, das ist eine gute Idee.“ Mit einem letzten Seitenblick auf Mai und einer kurzen Verabschiedung verließen sie das Zimmer wieder und kehrten auf ihr eigenes zurück, wo sie sich endlich und diesmal auch die ganze verbleibende Nacht, die schon lange ersehnte Ruhe gönnten. _______________________________________________________________________ Falls sich jemand über den Streit zwischen Naru und Mai wundert- ich wollte damit zeigen, dass sich beide in einer emotionalen Ausnahmesituation befunden haben und durch die schon vorher herrschenden Spannungen aneinander geraten sind. Schließlich ist Mai kurz vorher einfach verschwunden, ohne eine Nachricht zu hinterlassen, während Naru sich dumm und dämlich sucht und sich krank vor Sorge allerlei furchtbare Situationen ausmahlt. Dann wird er Praktisch zu dem kleinen Experiment gezwungen, was seinem aufgeladenem Gemüt nicht besonders die Spannung nimmt. Mai hingegen hat deutlich die Angst zu spüren bekommen, wie es ist in einem Raum voller Freier die Kontrolle über die Situation zu verlieren, nur um anschließend auch noch von einem bedrängt zu werden und, statt getröstet zu werden, Narus Vorwürfen und gereiztem Verhalten gegenüber steht- was dann letztendlich zum Streit führt. Ich hoffe, mit dieser kleinen Erklärung etwas Licht in die Sache gebracht zu haben. :) lg naias Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)