Twilight in the Shadow von hatchepsut ================================================================================ Kapitel 11: Zweites Buch Kains ------------------------------ Zweites Buch Kains Noch lange saß ich an diesem Abend wach und beobachtete das Tal. Nichts hatte sich in meiner Abwesenheit geändert. Alles war noch immer so wie damals, bevor wir in den Krieg gezogen wahren. Nach einem fast endlos scheinenden Gespräch mit meinen Generälen, hatte ich mich schließlich mit Atrieleges zurück gezogen, aber auch er verabschiedete sich bald wieder und so hatte ich genug Zeit, über alles nachzudenken. Ich mochte zwar wieder hier sein, aber das hieß noch lange nicht, das ich endlich wieder dort war, wo ich hin gehörte. Die schwierigste Aufgabe lag noch vor mir. Morgen würde ich zu Kain gehen. Morgen würde sich entscheiden, ob ich hundert Jahre um sonst gelitten hatte. Noch lange nachdem ich mich hin gelegt hatte fand ich keinen Schlaf und auch, als die ersten Sonnenstrahlen das nahen des Tages ankündigten lag ich noch wach in meinem Bett. Schließlich stand ich auf, griff nach meinem Schwert und betrat den Balkon, von dem aus ich mein ganzes Schloss überblicken konnte. Die Klinge spiegelte sich in den frühen Strahlen der Sonne und ich wurde ruhiger, je öfter ich sie durch die Luft gleiten ließ. Erst als es an der Tür klopfte und Atrieleges herein kam, steckte ich sie wieder zurück und drehte mich um. „Reag hat mir gesagt, das du heute zu Kain gehen wirst.“ Ich nickte und Atrieleges atmete tief ein. „Willst du es wirklich tun?“ Die Sorge, die in seiner Stimme mitschwang war nicht zu überhören. „Es ist meine Pflicht und ich werde mich seinem Urteil beugen, egal wie es ausfallen wird. Aber mach dir keine Sorgen, Reag wird sich um dich kümmern und dich zurück nach Meridian bringen, falls mir etwas passieren sollte.“ „Nicht um mich mach ich mir Sorgen, sondern um dich Freund. Reag hat mir einiges über Turel erzählt und darüber, dass er im Moment die höchste Instanz ist. Was wenn er dich verurteilt?“ Ich legte ihm beruhigend die Hand auf die Schulter. „Turels Urteil werde ich mich nicht beugen, dass weiß er und ich glaube nicht das er, nachdem ich vor Kain getreten bin, es wagen wird mich zu vernichten, selbst wenn unser Gebieter weiterhin zurück gezogen bleibt. Kain ist der Einzigste, dem ich Rechenschaft schuldig bin und er ist der Einzigste, dem meine Treue gehört und vor niemand anderem werde ich mein Knie senken.“ Ich sah in die Sonne, die sich über die Berggipfel schob. „Niemand anderes wird mich sonst je wieder besitzen.“ Atrieleges zog hörbar die Luft ein, aber dann entspannte er sich wieder. „Ich sehe schon, um dich muss ich mir keine Sorgen machen. Ich werde hier auf dich warten und dir nicht folgen, dass ist es doch was du hören wolltest, oder?“ Ohne eine Antwort abzuwarten nickte er mir noch mal zu, dann verschwand er wieder und ich blickte nochmals zur Sonne. Es wurde Zeit. Reags bitte mich zu begleiten hatte ich vehement zurück gewissen. Es war zwar üblich, dass die obersten Generäle den Statthalter zum Heiligtum begleiteten, aber heute würde ich alleine reiten. Der einzigste, der mich erneut begleitete war Midnight, der mich am Morgen fröhlich begrüßt hatte. Diesmal ließ er sich ohne Scheu über den See der Toten führen und ich saß wieder auf. Es war ungewohnt in den alten Gewändern umher zu laufen, mit meinem Wappen auf der Brust und ein fast schon wiederstrebendes Gefühl machte sich in mir breit, als ich die breite Schlucht zu Kains Schloss hinauf ritt. Vorbei an den Bannern der Statthalter und vorbei an den Bannern, der besiegten Länder. Weiter, immer weiter, bis sich die Felsen erneut öffneten und ich das Heiligtum mit samt dem Vorplatz überblicken konnte. Ich hielt Midnight im Schatten der Felsen an und beobachtete das, was geschah. Vampire, die Pferde an den Zügeln hielten und sich in sechs Gruppen aufteilten. Sechs Gruppen, sechs Statthalter. Reag hatte mir nichts davon gesagt, dass sie sich heute versammeln würden. Also war es kein reguläres Treffen, falls sich meine Brüder in den letzten Jahren überhaupt hier eingefunden hatten, um mit seiner Göttlichkeit zu reden. Das würde die ganze Sache zwar nicht einfacher machen, kam mir aber auch nicht ungelegen. Die Frage war nur, warum ich plötzlich nervös wurde. Ich war der oberste Statthalter Kains und egal was die anderen sagten oder verbreiteten, solange Kain es nicht bestätigen würde, war es nichts weiter als Gerede. Ich stieß Midnight die Fersen in die Flanken, so das er sich protestierend aufbäumte und galoppierte auf den Vorplatz. Köpfe flogen herum und Hände griffen nach den Schwertern. Im vorbei reiten konnte ich erstaunte, zweifelnde und fast schon entsetzte Gesichter sehen. Aber das war mir egal, sollten sie doch denken was sie wollten. Vor dem Eingangstor zügelte ich Midnight und stieg ab, klopfte ihm nochmals den Hals und drehte mich um. Meine Augen wanderten über die acht Banner, die im Wind wehten und schließlich auf das Eingangsportal selbst. Die Zeit war gekommen. Ich schritt an den Soldaten Kains vorbei, die ihre Pflicht und Haltung vergaßen und mir fast mit offenen Mündern, unverhohlen neugierig hinterher blickten. Keiner von ihnen kannte mich, keiner von ihnen hatte mich je gesehen und doch erkannten alle das Wappen des ersten Statthalters und wagten deshalb nicht mich aufzuhalten. Schwachköpfe! Hätte es einer gewagt, hätte ich ihm den Kopf abgerissen. Ich trat durch ein weiteres Tor und kam auf einen kleinen Innenhof, indem eine Brücke über ein gefülltes Wasserbecken führte. Und wieder das selbe Bild der Soldaten. Neugier, Unglauben, Überraschung. Ich beachtete sie nicht. Schließlich teilte sich der Weg und ich wählte den linken Gang. Ebenso gut hätte ich den rechten nehmen können, das Ziel währe das selbe gewesen. Und so umrundete ich den Raum und kam schließlich an einem großen Portal an, an dessen Außenwänden das Zeichen von Kains Herrschaft abgebildet war. Der Soul Reaver. Die alles vernichtende Klinge aus grauer Vorzeit. Kains unzerstörbares Schwert. Ich richtete mich auf. Hinter diesen Türen erwartete mich meine Zukunft. Ob sie nun gut oder schlecht für mich ausgehen sollte, ich würde ihr mit Ehre und Stolz entgegentreten. Denn ich war der Erstgeborene, der oberste Statthalter. Mit einer entschlossenen Geste stemmte ich mich gegen die Pforten und blickte meinem Schicksal ins Angesicht! Die Pforten öffneten sich und ich betrat die Halle der Säulen. Im selben Moment, wo sich die Türen öffneten und ich meinen Fuß in diesen Raum setzte, flogen die Köpfe meiner Brüder herum, empört darüber, dass es ein Vampir wagte, diesen Ort zu betreten, an dem nur die Statthalter zutritt hatten. Wütende Blicke schlugen mir entgegen, die sich innerhalb weniger Wimpernschläge in Unglauben, dann in Verwirrung und schließlich zu absoluter Überraschung wandelte. Ich konnte ihre Blicke spüren, wie sie jede Einzelheit meiner Erscheinung musterten und nicht wahr haben wollten, was sie sahen. Ich spürte ihre Blicke, wie sie mir folgten, als ich hocherhobenen Hauptes durch die Halle der Säulen lief, sie alle ignorierend. Aber egal, wie sehr sie mich auch anstarrten, für mich gab es nur ihn. Meine ganze Aufmerksamkeit galt der Säule des Gleichgewichts, auf deren Bruchstücken Kain auf seinem Thron saß, den Soul Reaver angelehnt und den Blick in weite ferne. Ich stieg die wenigen Stufen zu einer Plattform hinauf und senkte Knie und Haupt. „Kain, oberster aller Vampire, erneut schwöre ich, Raziel oberster Statthalter, dir die Treue, auf das deine Macht ewig über Nosgoth herrschen möge und Ruhm und Ehre unserem Volk zu Teil werde.“ Die Antwort blieb aus, aber ich würde nicht mein Haupt erheben, oder es gar wagen aufzustehen, wie es meine Brüder getan haben mussten. Selbst wen Kains Seele nicht hier war, so hieß das nicht, dass er nicht wusste was geschah. Also blieb ich wo ich war, bis hinter mir ein fast schon mitleidiges Lachen erklang. „Ich hätte nicht gedacht, dass du so dumm bist hier bei den Säulen zu erscheinen, du dreckiger Verräter!“ Turels Stimme klang überlaut in meinen Ohren und am liebsten währe ich aufgesprungen, um sie ihm ins Maul zurück zu stopfen, aber ich beherrschte mich. „Nicht ich bin der derjenige der dumm ist Turel, sondern du. Glaubst du wirklich, das Kain nicht weiß was du aus Nosgoth gemacht hast. Du besitzt nicht mal ansatzweiße die Fähigkeiten, die es braucht, um erster Statthalter, Gehschweigeden Beherrscher unseres Reiches zu sein. Du kannst einem fast Leid tun!“ Das Lachen erstarb augenblicklich und ich merkte, wie Turel näher kam und seine Hand nach meiner Schulter ausstreckte. Er würde doch nicht so dumm sein, hier im Heiligtum handgreiflich zu werden? Aber in den letzten hundert Jahren schienen sich sogar die obersten Tabus geändert zu haben, denn er packte mich tatsächlich an der Schulter zerrte mich auf die Beine und zog mich herum. Mit einer entschlossenen Geste packte ich sein Handgelenk und stieß ihn zurück. „Bist du des Wahnsinns? Egal was zwischen uns stehen mag, du weißt was passiert wenn man es wagt im Säulenraum zu kämpfen!“ Ich stieg von der Plattform und fand mich in der Mitte meiner Geschwister wieder. „Es passiert gar nichts Raziel.“ Ich drehte mich zu Rahab um. „Du warst lange weg, hat es dir bei deinen menschlichen Freuden gefallen, Bruder?“ „Es sind nicht meine menschlichen Freunde. Und gefallen hat es mir bei ihnen ganz sicher nicht. Was soll die Frage Rahab?“ Er lachte. „Nun es weiß doch jeder Vampir, dass der ‚große Statthalter’ zum Schluss nichts weiter war als ein kleiner Verräter!“ Turel packte mich wieder an der Schulter und zwang mich ihm in die Augen zu sehen. „Vor dir muss ich mich nicht rechtfertigen Turel, du bist nichts weiter, als ein unfähiger Vampir! Ich habe gesehen, was du im letzten Jahrhundert aus Nosgoth gemacht hast! Und ich werde das nicht weiter zu lassen!“ Ich sah ihm fest in die Augen. „Du hast nichts mehr zu sagen Bruder. Ich bin jetzt der oberste Statthalter und gebiete über das Reich. Du bist nur ein kleiner Verräter, der sich an die Menschen verkauft hat!“ Diese Beleidigungen würde er mir bezahlen! Ich spannte meine Muskeln an. „Wenn wir nicht vor unserem Gebieter stehen würden Turel, dann würdest du deine Worte bereuen!“ Turel grinste nur gehässig und zog dann sein Schwert. „Na dann komm. Wir werden sehen, wer von uns im Recht ist!“ Und ohne ein weiteres Wort abzuwarten ließ er sein Schwert durch die Luft kreisen. Ich duckte mich unter seinem Schlag weg und zog mein eigenes Schwert. Er war wirklich wahnsinnig hier mit Schwertern aufeinander los zu gehen, im Raum der Säulen, wo Aktion und Reaktion die höchste Effizienz hatte! Seinen nächsten Schlag parierte ich und drückte ihn weg. Er war stärker geworden, aber das war ich auch und nach einigen schnellen Schwerthieben hatte ich ihm das Schwert aus der Hand geschlagen und steckte mein eigenes wieder weg. „Lass es Turel,“ forderte ich ihn auf, als er sich wieder nach seinem Schwert bückte. „Du kannst nicht gegen mich gewinnen, dass konntest du noch nie und hier werden wir unseren Streit nicht austragen!“ Wütend blickte er mich an. „Doch, das werden wir wenn auch nicht so!“ Er wandte sich zu Kain um. „Hier vor euch stehe ich, Turel oberster Statthalter eurer Göttlichkeit und klage meinen Bruder Raziel des Hochverrates an. Er hat euch und mich Verraten mein Gebieter und so fordere ich im Namen unseres Volkes Vergeltung! Ich werde ihn in eurem Namen hinrichten lassen, so lautet mein Urteil!“ Er drehte sich um und mit einem diabolischen Grinsen fügte er hinzu: „Nehmt ihn fest!“ Ich ließ mich auf den Boden fallen und rollte mich unter Rahabs Attacke weg, sprang wieder auf die Beine und schlug Melchiah das Schwert aus der Hand, packte ihn und stieß ihn gegen den heranstürmenden Zephon. Dann zog ich mein eigenes Schwert. „Glaubst du wirklich, dass du damit durchkommst Turel?“ „Ja, das glaube ich. Schau dich doch um. Du magst zwar der stärkste von uns sein, aber du hast keine Chance gegen uns alle. Füge dich in dein Schicksal Verräter und empfange dein gerechtes Urteil!“ Ich lachte auf. „Gerechtes Urteil? Pah! Ich beuge mich nur einem und das ist ganz sicher nicht so ein heruntergekommener Vampir wie du!“ Ich sah von Turel zu meinen anderen Brüdern, die mit gezogenen Schwertern vor mir standen. „Seid ihr auch schon so verblendet wie er? Seht ihr nicht, dass ihr offenen Auges in euer Unglück rennt?“ „Nein Raziel, Turel hat recht, du hast uns damals bei Meridian verraten. Wegen dir ist die Hälfte unserer Streitmacht drauf gegangen! Wir haben ein Recht darauf, Genugtuung zu fordern.“ Ich sah zu Dumah und konnte nicht glauben, dass sie es alle nicht erkannten und dann auf ein Zeichen Turels griffen sie an. Dem ersten Angriff konnte ich ausweichen, aber das brachte mich zwischen die Fronten. Ich parierte drei Schläge und wich einigen weiteren aus, duckte mich unter einem Hieb weg und wich zurück. Aus einem Schnitt an meinem Arm tropfte Blut. „Gib auf Raziel, du hast keine Chance!“ Ich ignorierte Turels Worte, obwohl er recht hatte. Ich konnte problemlos mit drei von ihnen fertig werden, aber nicht mit sechs! Trotzdem würde ich mein Schwert nicht nieder legen, wenn ich sterben muss, dann kämpfend! Also machte ich das, womit sie am wenigsten rechneten, ich griff an. Mit einem schnellen Sprung war ich bei Zephon, schlug ihm das Schwert aus der Hand und fing es aus der Luft auf, ein weiterer Schritt brachte mich zu Malek, dem ich eines der Schwerter zwischen die Schultern stieß. Er brach zusammen und ich musste mich erst mal nur mit fünf weiter kämpfen. Aber diese kurze Pause währte nicht lange und schließlich nahm ich nichts mehr war, außer den aufeinander prallenden Schwertern. Sah die Funken vor meinen Augen vorbeischwirren und hörte das Blut laut in meinen Ohren rauschen. Spürte die Klingen, die durch meine Abwehr drangen und wich Stück für Stück zurück. Irgendwann nahm ich am Rand war, das sich etwas verändere im Raum, als ob die Atmosphäre plötzlich dichter wurde und sich verdunkelte, aber es war mir egal, alles was zählte war der Kampf, auch wenn ich ihn schon längst verloren hatte. Ich wollte meine Brüder nicht töten, selbst Turel hätte ich nie eine ernste Wunde zugefügt und so kam was kommen musste, ich stolperte gerade zurück und ein gut gezielter Schwertstrich bohrte sich durch meine Schulter. Ich ließ mein Schwert fallen und sackte auf den Boden zusammen, mir die verletzte Schulter haltend. Im nächsten Moment fand ich mich wieder, wie ich auf dem Boden lag und das Schwert eines meiner Brüder an meinem Hals spürte. „Es ist vorbei Raziel! Gib dich geschlagen!“ Ich sah auf und blickte in die Gesichter meiner Brüder. „Ich gebe niemals auf!“ Turel lachte, dann gab er Rahab und Melchiah einen wink und sie zogen mich auf die Knie hoch, packten meine Arme und verdrehten sie mir auf den Rücken. Turel hob sein Schwert. „Hast du noch etwas zu sagen Bruder, bevor ich dich vernichte?“ Ich blickte auf und sah ihn einfach nur an. Was sollte ich ihm noch sagen? Glauben würde er mir eh nicht und jedes weitere Wort war Verschwendung. Ich ließ meinen Kopf wieder sinken und spürte das kalte Eisen von Turels Schwert in meinem Nacken. Also hatte ich treu zu Kain gehalten und seine Geheimnisse mit durch die Hölle genommen, nur um schließlich als ein elender Verräter enthauptet zu werden. Ich spürte den Luftzug, als Turel die Klinge hob und sie am höchsten Punkt halten ließ um sie im nächsten Augenblick wieder fallen zu lassen. Und in den wenigen Sekunden, die, die Klinge brauchte, um meinen Nacken zu erreichen schoss eine unglaublich dunkle Aura durch den Raum. Alt, düster und mächtig. Turels Schwert klapperte neben mir zu Boden und aller Augen richteten sich auf die Säule des Gleichgewichts, auf der Kain hoch erhoben stand, den Soul Reaver ausgestreckt vor sich und alles was man in seinen Augen lesen konnte, war Verabscheuung. Ein weiterer Blitz zuckte durch den Raum und schleuderte meine Brüder gegen die Wände und so schnell, wie der Sturm gekommen war, so schnell hatte er sich auch wieder gelegt. Kain ließ den Soul Reaver sinken und schritt auf uns zu. Erschöpft erhob ich mich auf die Knie und senkte mein Haupt. Ich hatte es geahnt, es war alles nur ein Spiel gewesen, in dem Kain testen wollte, was seine Söhne in seiner Abwesenheit machen würden. Kurz blieb er vor mir stehen, dann ging er vorbei und wandte sich zu meinen Brüdern, die sich mittlerweile alle auf die Knie nieder gelassen hatten. Er streifte jeden einzelnen mit einem kurzen Blick und wendete sich schließlich an Turel. „Du willst also Rache.“ Seine Stimme hallte kalt von den Säulen wieder. „Nein, mein Gebieter, nur Gerechtigkeit!“ Fast schon leise hörte sich dagegen die Stimme meines Bruders an. Kain fing an zu lachen. „Gerechtigkeit? Was ist schon gerecht oder ungerecht? Was ist schon richtig und was falsch? Selbst was dir in einem Augenblick als richtig erschein, kann sich im nächsten schon als Falsch erweißen.“ „Jedoch will ich für unser Volk und für euch, mein Gebieter, denjenigen Bestrafen, der für unsere Niederlage verantwortlich ist.“ Kain drehte sich um und ging wieder zurück zu den Säulen. „Du willst also deinen Bruder umbringen Turel? Und was hättest du damit erreicht?“ Er sah ihn direkt an. „Das wir wieder Stolz auf den Kreis der Statthalter sein können, ohne diesen Schand ... .“ Kain brach ihm das Wort ab. „Genug gesprochen Turel. Du hast dich schon sehr weit vorgewagt, schreite nicht so weit hinaus, dass du nicht mehr zurück kannst. Was bisher geschehen ist, lässt sich noch verschmerzen, aber zwinge deinen Bruder nicht dazu, von dir Genugtuung zu fordern.“ Turels Blick wurde trotzig und ich glaubte meinen Ohren kaum, als er fortfuhr. „Aber mein Gebieter. Raziel ist ein Verräter! Während wir treu zu euch gehalten haben und das Land in eurem Namen führten vergnügte er sich bei den Menschen und nun wo wir ihn endlich seiner gerechten Strafe zuführen können, verweigert ihr es uns!“ Kains Gesicht verfinsterte sich und man konnte förmlich spüren, wie sich die ganze Atmosphäre des Raums veränderte. Turel hatte es wirklich gewagt unserem Gebieter zu wiedersprechen. „Du behauptest also, dass euer Bruder den treue Eid gebrochen hat. Das er nicht nur euch sondern auch mich und Stolz und Ehre unseres Volkes verriet?“ Turel hob trotzig das Kinn. „Ja, das behaupte ich!“ Kains Gesichtszüge spannten sich noch mehr an und ich fragte mich, ob Turel überhaupt wusste, was für einen Sturm er im Begriff war herauf zu beschwören. Aber anstatt den Soul Reaver zu ziehen, wie ich es vermutet hatte, schritt er wieder auf mich zu und gab mir mit einer Geste zu verstehen, dass ich aufstehen sollte. „Euer Bruder hat uns also verraten? Gut, steht auf und kommt näher und ich werde euch zeigen, was mit denen geschieht die mich verraten und mit denen, die treu zu mir halten.“ Ich stand mit dem Rücken zu meinen Brüdern, immer noch den Säulen zugewandt, aber ich brauchte mich nicht herum zu drehen, um Turels zufriedenes Gesicht zu sehen. Aber selbst wenn Kain im nächsten Moment den Soul Reaver zücken würde um mich zu vernichten, so würde ich nicht zurück weichen. Aber etwas völlig anderes als das erwartete traf ein. Anstatt sein Schwert zu ziehen, fuhr seine Klaue nach oben und riss mir die letzten Reste meiner Tunika vom Leib. Auch wenn er mich nicht getötet hatte, so hatte er doch etwas getan, was fast noch schlimmer war. Diese Demütigung, dass meine Brüder die Narben sahen, die diese wertlose Menschenbrut auf meiner Haut hinterlassen hatte, war schlimmer als der Tod. Ich umklammerte mit meiner Hand meinen linken Oberarm. Demütigend genug, dass sie die Narben sahen, aber das Brandmahl, Belocks Zeichen, würde ich ihnen nicht auch noch Preis geben. Als Kain mir die Tunika herunter riss, wurde es still im Raum der Säulen und ich konnte regelrecht spüren, wie Turels zufriedenes Grinsen von seinem Gesicht verschwand und fragendem Unglauben platz machte. Kain ließ die Tunika fallen und wendete sich wieder an meine Brüder. „Wenn euer Bruder also ein Verräter ist, dann hat mir dieser Verräter in seinem hundertjährigem Tod mehr Treue bewissen, als das es meine sogenannten treuen Statthalter in ihrem anwesenden Leben jemals hätten tun können!“ Eine Pause entstand, in der Kain sich hinter Turel stellte. „Was glaubst du Turel? Was glaubst du ist nötig, um deinem Bruder solche Narben zuzufügen?“ Er umkreiste ihn und blieb neben mir stehen. „Euer Bruder ist für mich, für euch und für unser Volk hundert Jahre lang durch die Hölle gegangen und ihr habt nichts anders zu tun, als ihn einen Verräter zu nennen und ihn töten zu wollen! Weder hat Raziel mich verraten, noch hat er das Blut der Statthalter beschmutzt und deshalb, erlangt er seinen Titel und alle seine Besitztümer wieder. Er hat sich würdig verhalten!“ Kain löste mit einer Bewegung die Brosche, die seinen roten Mantel zusammenhielt und legte mir diesen um die Schultern. „Aber das ... .“ Turel war sprachlos und Kain wendete sich um. „Ich habe die letzen hundert Jahre nicht geschlafen Turel! Ich habe gesehen, was du aus meinem Reich gemacht hast und ich gebe dir einen guten Rat, überschreite nicht die Grenze, vor der du stehst. Es währe die Letzte!“ Mit einigen schnellen Schritten war er wieder bei der Säule des Gleichgewichts. „Ihr könnt jetzt gehen.“ Erst als ich mir sicher war, das sich meine Brüder schon umgedreht hatten wendete auch ich mich zum Ausgang. „Du nicht Raziel.“ Ich blieb stehen und drehte mich wieder um. Aber Kain stand immer noch mit dem Rücken zu mir vor den Säulen und betrachtete sie. Ich lenkte meine Schritte zurück auf die Plattform und kniete nieder. „Mein Gebieter.“ „Sag mir Raziel, wem gilt eigentlich deine Treue?“ Solch eine Frage überraschte mich doch etwas, nach den Worten, die ich gerade gehört hatte. „Euch göttlicher Kain, niemandem sonst.“ Kain nickte. „Und was ist mit dem Menschen, den du gewagt hast mitzubringen, hierher in das heilige Land der Vampire?“ Ich schluckte und ballte die Hände zu Fäusten. „Dieser Mensch rettete mich vor dem Tod und ich stehe in seiner Schuld.“ Kain drehte sich um. „Auch wenn ich es schätze, dass du selbst einem Menschen gegenüber deine Ehre behältst, ist dies ein vergehen, das ich nicht zulassen kann.“ Ich hörte wie er den Soul Reaver zog und um mich herum schritt. „Was wollt ihr, dass ich tue?“ Kain war hinter mir angekommen und ich spürte die kalte Klinge an meinem Nacken. „Würdest du ihn töten, wenn ich es dir befehlen würde?“ Meine Krallen gruben sich in meine Handflächen und ich konnte den süßen Geruch des Blutes war nehmen, der an ihnen herunter lief. „Gewiss.“ „Aber du würdest mich dafür hassen, hab ich recht Raziel?“ Kain trat wieder vor mich, hob mit der Spitze des Soul Reavers mein Kinn an und sah mir fest in die Augen. „Ja, das würde ich!“ Mittlerweile war das brennen in meinen Handflächen zu einem heißen Feuer geworden, dass mein Arme hinauf loderte. Und mit einem wissenden Lächeln nahm Kain den Soul Reaver wieder herunter. „Du wirst ihn also innerhalb der nächsten zwei Wochen zurück nach Meridian bringen. Das ist mein letztes Wort. Solltest du dieser Aufforderung nicht folge leisten, wirst du die Konsequenzen tragen müssen.“ Damit drehte er sich um. Ich verabschiedete mich und verließ die Halle. Als das Portal hinter mir zufiel lehnte ich mich dagegen und merkte plötzlich, wie angespannt ich die ganze Zeit gewesen war. Mit einem schnellen Griff befestigte ich die Spange am Mantel und zog diesen enger um mich. Nachdenklich aber auch erleichtert lenkte ich meine Schritte um das Rund der Säulen, bis sie mich hinaus auf den Innenhof führten, wo mich Dumah erwartete. Kurz verlangsamte ich meine Schritte und sah mich unauffällig um, aber die anderen schienen nicht in der Nähe zu sein, also schritt ich hinaus zu ihm. „Raziel, kann ich kurz mit dir sprechen?“ Ich blieb stehen und sah zu ihm hinüber. „Was willst du Dumah?“ „Es geht um die Sache mit Meridian. Auch wenn es mir schwer fällst es zuzugeben, so bin doch ich der Schuldige. Ich sagte Turel, dass du wohl ein Verräter bist. Als wir in dem Lagerhaus wahren und du mich weg schicktest, dachte ich, dass du nun zu den Menschen gegangen währst um ... .“ „Ich werde dich nicht fordern, um Genugtuung zu erhalten, falls das deine Sorge ist Dumah.“ Unterbrach ich ihn. Mein Gott, war das Erniedrigend! Ein Statthalter liebelt um nicht kämpfen zu müssen! Fast schon angeekelt drehte ich mich um und wollte meinen Weg fort setzten, als mich Dumah noch mal zurück hielt. „Raziel, was ich noch Fragen wollte, dass ... .“ Er stockte, dann schien er sich aber dich durchgerungen haben. „Das Zeichen auf deiner Schulter, ist es das, wofür ich es halte?“ Ich erstarrte, hatte er es wirklich genau gesehen? „Das geht dich nichts an!“ „Aber Raziel, ich will doch nur wissen, ob es das ist, wofür ich es halte.“ Ich wand meinen Kopf und sah ihn über die Schulter an. „Und ich wiederhole, dass es dich nichts angeht Dumah! Das ist nicht deine und auch nicht die Sache von Turel oder Rahab. Also hoffe ich für dich, dass du nicht den selben Fehler machst wie in Meridian!“ Damit drehte ich mich endgültig um und verließ den Innenhof und das Heiligtum. Kaum war ich aus dem äußersten Tor getreten, trabte mir Midnight entgegen und ich stieg auf. Kurz warf ich meinen Brüdern, die beisammen standen und zu denen sich auch Dumah gesellt hatte, einen Blick zu. Ich konnte regelrecht spüren, wie sie mich taxierten und abschätzten. Kain mochte mich zwar frei gesprochen haben, aber das hieß nicht, dass auch sie mich wieder mit offenen Armen empfangen würden. Wir hatten uns früher schon nicht gut verstanden, aber nun schien zwischen uns ein Abgrund zu sein, über den keine Brücke mehr führen würde. Mir war es egal. Sie hatten mich noch nie gemocht, alles was wichtig war, ist das sie mich als das respektierten, was ich nun wieder war. Der oberste Statthalter! Mit einer entschlossenen Bewegung lenkte ich Midnight in die Schlucht. Es wurde Zeit, nach Hause zu reiten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)