Ta Sho von Turbofreak (Wiedergeboren) ================================================================================ Kapitel 2: vor zweieinhalb Jahren --------------------------------- Verdattert und neugierig betrachtete sie an diesem Nachmittag die Post. Noch war es mucksmäuschenstill in der 3-Zimmer-Wohnug, ihr Sohn würde erst nach ihr nach Hause kommen. Der schlug sich die letzten Nachmittage noch in der Schule um die Ohren, bald würde er die Oberstufe abschließen und zu arbeiten anfangen. Sie ging mit dem großen Packen Post in die Küche und sortierte sie auseinander. Ein großer, weißer Briefumschlag blieb übrig. Adressiert an ihren Sohn. Hatte er bereits eine Ausbildungsstelle gefunden, ohne es ihr mitzuteilen? Neugierig beäugte Ai das Kuvert, drehte und wendete es. Auf dem Rücken des Umschlags prangten drei rote Karos eines in Japan wohl bekannten Automobilherstellers. Weshalb bekam ihr Sohn von ihnen Post? Werbung? Die Neugier und die Vernunft rangen in den nächsten Augenblicken in ihr um die Vorherrschaft. Die Vernunft ließ sie das Kuvert von sich schieben. Sie hatte eine Abmachung mit Shinji. Die mütterliche Neugier jedoch siegte letztendlich. Ai nahm das Kuvert wieder in die Hände und öffnete es schließlich. Sie zog einen zusammengehefteten Stoß Blätter heraus. Auf dem ersten Blick dachte Ai, Shinji hätte sich dort beworben und er hätte Unterlagen zugeschickt bekommen. Doch das waren keine Bewerbungsfragebögen, das hier war schon eine andere Stufe der Stellensuche. Erschrocken legte es Ai wieder auf den Tisch. Das war nicht sein Ernst! Es war ein Dienstvertrag. Wofür? Welche Stelle hatte Shinji angenommen? Hastig überflog sie den Vertrag. Ihr gefror das Blut in den Adern. Er war bereits unterschrieben. Shinji würde sie verlassen, schon bald. Ungläubig stand Ai auf und schob den Vertrag zur Seite. Im Augenblick konnte sie nur abwarten und sich unendliche Sorgen machen. An diesem Tag schien es ewig zu dauern, bis Shinji endlich nachhause kam. Er hatte die Tür noch nicht mal richtig aufgeschlossen, da vernahm er schon die Stimme seiner Mutter: „Shinji!!“ Ai war beinahe hysterisch. Beunruhigt setzte er seinen Weg in die Küche fort. Ansonsten wurde er freundlicher empfangen, wenn er später als sie nachhause kam. Er steckte den Kopf in die Küche und winkte leicht: „Hi, Ai. Was gibt’s denn?“ „Erklär mir das!“, aufgebracht deutete sie auf das große weiße Kuvert. Eigentlich hatte sie ruhig bleiben wollen, hatte sich die letzte halbe Stunde eingeredet, dass es keinen Sinn machte, laut zu werden, doch ihre Angst ließ sich nicht anders ausdrücken. Welchen Unsinn hatte er nur angestellt? Sie hatten doch ausgemacht, dass er sich hier einen Job suchte, nachdem er die Schule abgeschlossen hatte. Shinji ließ seine Schultasche auf den Stuhl sinken. Er hatte es kaum geschafft, seine Schuhe am Eingang auszuziehen und nun stand er mit der dunkelblauen Schuluniform in der Küche und hörte seine Mutter zum ersten Mal toben. Er blinzelte auf das Kuvert und erkannte sofort, dass der Brief geöffnet worden war. Seit wann ignorierte seine Mutter ihre Abmachungen? Argwöhnisch fragte er deshalb nach, ohne daran zu denken, dass sie sauer auf ihn war: „Wieso liest du meine Post?“ Ai schloss den Kochtopf schwungvoll und polternd wieder: „Weshalb kriegst du solche Post, Shinji?“ Ihr wollte immer noch nicht in den Kopf, dass Shinji das wirklich machen wollte. Oft genug hatten sie darüber gesprochen, waren deswegen aneinander geraten und waren zu der Einigung gekommen, es einem Hobby gleichzusetzen. Seit der Junge laufen konnte, interessierte er sich für alles, was einen Motor hatte. Diese Leidenschaft wollte er auf Biegen und Brechen offenbar zum Beruf machen. Aber es war gefährlich. Ai hatte Angst um Shinji. Er war ihr Sohn, die Wiedergeburt ihres Mannes, sie konnte nicht zulassen, dass sie ihn verlor. Patzig antwortete Shinji, während er das Schriftstück aus dem Umschlag heraus holte: „Weil ich meinen Arbeitsvertrag brauche.“ Er war böse auf seine Mutter, weil sie sich in seine Angelegenheiten einmischte. Sein Herz schlug für schnelle Autos, er hatte eine einmalige Chance für die Zeit nach der Schule bekommen. Er hatte nicht lange darüber nachdenken können oder es mit seiner Mutter abklären. Entweder er unterschrieb den Vertrag oder er ließ es bleiben. Wer hätte an seiner Stelle nicht so gehandelt? „Deinen Arbeitsvertrag? Wohl eher dein Todesurteil. Bist du von allen guten Geistern verlassen? Wir hatten ausgemacht, dass du dir einen Job suchst und nicht ein spektakuläres Harakiri.“, dieser Dickkopf machte ihr das Leben schwer. Noch schwerer. Ai hatte so sehr gehofft, dass Shinji vernünftig geworden war und aus dem bockigen Alter draußen war. Doch dem war nicht so. Er machte ihr wissentlich Sorgen, ohne darüber nachzudenken. Shinji war so unendlich eigensinnig, wie ihr Mann. Es brach der alleinstehenden Mutter das Herz. Shinji ließ sich nicht mehr umstimmen. Aber er war rational genug, um mit seiner Mutter noch einmal in Ruhe darüber zu reden. Er hatte sie zwar vor vollendete Tatsachen gestellt, aber ihre Meinung war ihm wichtig. Sie hatte ihn ein entscheidendes Stück in seinem Leben begleitet, nun, da er das elterliche Nest verlassen wollte, hoffte er auf den Zuspruch seiner Mutter. Er konnte nicht mit ihr schreien oder laut werden, aber er konnte sie daran erinnern, was sie ihm immer wieder bei diesen Diskussionen zugestanden hatte: „Aber du hast auch gesagt, ich soll mir einen Job suchen, den ich gerne mache. Das ist der Fall, der Verdienst ist auch nicht schlecht und ich krieg was von der Welt zu sehen.“ Damit hatte Shinji sie auf dem falschen Fuß erwischt. Angst um ihre Familie ließ Ai blind für vernünftige und logische Argumente werden. Sie schob den Topf von der Herdplatte und schaltete diese aus. Das Essen konnte angesichts der aufwühlenden Lage warten. Ai musste ihren Sohn davon überzeugen, dass es Unsinn war, Rennfahrer zu werden. Shinji war doch noch viel zu jung dazu, keine sechszehn Jahre war er. Jeder andere Junge in seinem Alter würde einen normalen und ungefährlichen Beruf ergreifen oder zu studieren anfangen. Ai nahm Shinji den Vertrag aus den Händen und legte das Stück Papier, das der Grund für ihre Unruhe war, auf den Stapel mit der Werbung, der nachher im Müll landen würde. Sie fuhr ihn ungehalten an: „Jedes Wochenende ein anderes Krankenhaus? Sehr sehenswert. Ich dachte, du suchst dir was in einer Werkstatt, wenn du es schon mit schnellen Autos hast.“ Genervt stieß Fireball die Luft zwischen seinen Zähnen aus. Für ihn war das keine Option mehr, das war es ohnehin nie ernsthaft gewesen. Fireball wollte weg, was von der Welt, vom Neuen Grenzland sehen, und etwas erleben. Dazu hatte er bisher keine Gelegenheit gehabt und nun versuchte ihm seine Mutter zu erklären, dass er hier bleiben musste. Mit allen Mitteln versuchte sie es ihm schlecht zu reden. Aber stur wie er nun mal war, stieß das auf taube Ohren. Er hatte sich entschieden und Punkt um. Shinji nahm den Vertrag wieder in die Hände und drehte sich zur Tür hin, er wollte ins Wohnzimmer gehen: „Ach, bitte. Wenn jeder Rennfahrer so oft im Krankenhaus läge wie du das behauptest, gäb’s den Beruf schon längst nicht mehr.“, er wischte alle Argumente mit einem Schulterzucken fort: „In einer Werkstatt kann ich immer noch versauern, wenn ich nicht mehr der Schnellste bin.“ Sorglosigkeit war eine Tugend, die Ai nicht gegeben war, ihrem Sohn anscheinend aber sehr wohl. Es schien, als hätte er sich gar keine Gedanken darüber gemacht, nicht nachgedacht, was der Beruf eines Rennfahrers bedeutete. Sie folgte ihrem Spross: „Hast du eine Idee davon, welche Konsequenzen dieser Job hat? Hast du eine Vorstellung, was da auf dich zukommt?“ Mit eben dieser Sorglosigkeit schnauzte er seine Mutter über die Schulter hinweg an: „Klar hab ich das. Was glaubst du denn?“ Zuhörer konnten glauben, ein Paar würde sich streiten. Fireball sprach mit seiner Mutter nicht wie man es von ihm erwartet hätte, viel eher standen sich die beiden gleichberechtigt gegenüber. Es gab keinen Altersunterschied zwischen den beiden, es gab die natürlichen Grenzen zwischen Mutter und Sohn nicht. Ai hatte ihren Sohn immer zu einem gleichberechtigten Partner erzogen, das wurde ihr nun zum Verhängnis. Egal, welches Argument sie fand, Fireball hatte ein Gegenargument parat und entkräftete ihre somit spielend. Nachdem er ihr vorwarf, sie würde anfangen, ihn in Watte packen zu wollen, riss Ai der Geduldsfaden. Sie hatte doch nur Angst um ihren Shinji. Sie verfluchte ihn dafür: „Musst du jeden Tag deines Lebens so verdammt unvernünftig und risikofreudig sein, wie dein…“, Ai schüttelte den Kopf. Sie würde das nicht machen, denn wie sollte sie Shinji mit seinem Vater vergleichen, wenn sie doch beide ein- und dieselbe Person waren? Jeder Blick, jede Geste und sogar jedes unbeherrschte Wort waren wie die seines Vaters. Ai biss sich auf die Lippen und brummte: „Wie dein Gemüt eben ist.“ „Ja, das Gemüt ist größtenteils angeboren.“, Fireball tat Ais Ausbruch damit einfach ab. Er wusste nichts über seinen Vater, über seine Herkunft. Deshalb kam ihm auch nicht ernsthaft in den Sinn, seine Mutter hätte nicht sein Gemüt gemeint. Er hatte mit ihr nie darüber gesprochen, Ai hatte Fireballs Vater niemals erwähnt. Aber sie glaubte wie alle Buddhisten an die Wiedergeburt und das hatte Fireball mit der Zeit schon bemerkt. Sie sah wohl etwas von seinem Vater in ihm, aber er war es nicht. Er versuchte, ihr die unnötige Besorgnis zu nehmen: „Was genau ist jetzt eigentlich das Problem, Ai?“ Die schlanke Frau wies auf den verhassten Umschlag: „Das da!“, Ai kreischte drohend: „Wenn du das da wirklich machen willst, kann ich dich gleich beerdigen lassen. Kommt aufs Selbe raus.“ Es war ihre größte Angst. Shinji noch einmal zu Grabe tragen zu müssen, es würde Ai um den Verstand bringen. Er hatte die Unvernunft niemals abgelegt. Gepaart mit dieser Sturheit sein Todesurteil. Shinji hatte nun genug davon. Er hatte sich Verständnis von Ai erhofft, war aber, seit er zu zuhause angekommen war, auf Widerstand und böse Worte gestoßen. Seine Entscheidung war gefallen. Letztendlich würde es keinen Einfluss darauf haben, was seine Mutter wollte, er würde fortgehen. Mit ihrem Einverständnis wäre es ihm leichter gefallen, keine Frage, aber auch ohne würde es gehen. Er war selten so mit Ai aneinander geraten, wie an diesem Tag. Aber er spürte nicht, dass er im Begriff war, mit seiner Mutter zu brechen. Funkelnd stand er auf und ging zur Tür: „Dann tu das von mir aus. Ich werde morgen trotzdem fortgehen.“ Die Wohnzimmertür fiel laut ins Schloss und Ai konnte ihre Tränen nicht mehr verbergen. Sie setzte sich an den Wohnzimmertisch und weinte bittere Tränen, direkt auf den Vertrag, den Fireball nun liegen gelassen hatte. Würde sie ihren Sohn, würde sie Shinji jemals wieder sehen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)