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Red and Blue

von

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For the Heart I Once had

Es war heiß. Die Luft über dem hellen, sandigen Boden flimmerte, schien fast flüssig.

Es war schon einige Stunden her, dass sie die Wüste hinter sich gelassen hatten, aber es schien nicht wirklich kühler geworden zu sein.

Wasser... ein Fluss... ein Wasserfall... so kühl, so erfrischend...

Er schüttelte den Kopf und versuchte, sich auf den Weg zu konzentrieren. Seine Tunika klebte ihm unangenehm am Körper, die Haut spannte und juckte. Er sah zur Seite, blickte in dunkle Augen, die zu ihm hinüber sahen. Der andere wandte sich abrupt ab. Wie beim letzten Mal. Und dem Mal davor. Er runzelte die Stirn. Es tat weh. Sein ganzes Gesicht schmerzte.

Wann hört das endlich auf...?
 

Das Bild änderte sich.

Es war Abend. Die Luft war kühl, so kühl... der Himmel konnte nicht schöner sein. Er spürte, wie der Wind über seine nackte Haut strich. Die feinen Härchen auf seinen Armen richteten sich auf, Schauer liefen über seinen Rücken.

Ein leises Geräusch, ein Husten. Er drehte sich um. Wieder diese Augen, dieser seltsame Blick. Diesmal wandte er sich nicht ab. Er sah zurück. Seine Lippen waren leicht geöffnet, er atmete schwer. Er kam auf ihn zu, langsam, als würde er jeden Schritt abwägen.

Er stand vor ihm, nah, so nah. Er hob den Arm, streckte die Hand aus. Er berührte ihn, langsam, sacht, als wäre er aus Glas. Er strich ihm über die Schulter, den Hals.

Die Kühle schien auf seltsame Weise zu verschwinden. Es war heiß, so heiß! Er sog scharf die Luft ein.

Die Hand verschwand. Ein Lächeln auf dem Gesicht des anderen, leicht wie der Wind auf seiner Haut.

„Grashalm.“ Seine Stimme war dunkel, dunkel wie seine Augen.

Er antwortete nicht. Seine Haut schien in Flammen zu stehen...
 

Ein Geräusch weckte ihn. Er stieß einen leisen Fluch aus. Langsam erhob er sich und sah sich um, versuchte sich zu orientieren. Er lag auf einem schmalen Feldbett. Seine dünne Decke war herunter gerutscht und lag auf dem Boden.

Erneut erklang das Geräusch, diesmal lauter. Es klang wie Metall, dass auf Metall traf. Laute Rufe gesellten sich zu den Geräuschen. Er versuchte auszumachen wie spät es wohl war. Durch die feinen Risse in der Wand seines Zeltes drangen Sonnenstrahlen.

Na, auch endlich wach? Einen Stein kann man leichter wecken als dich! Und dabei schläfst du nicht einmal richtig...

Eragon knurrte leise.

Ich hab nur... geträumt...

Die Erinnerungen kamen zurück, ganz plötzlich und so klar als wäre all das erst wenige Minuten zuvor geschehen. Die Wüste, die Sonne, der Sand, der Wind und... er.

Eragon spürte erneut ein vertrautes Ziehen in der Brust. Er hatte es oft gefühlt in der letzten Zeit. Er wusste nicht was es bedeutete. Er hoffte nur dass es aufhörte. Er hoffte es so sehr...

Eragon stand langsam auf, streckte sich, gähnte ausgiebig, versuchte die letzten Spuren der Nacht abzuschütteln. Dann bückte er sich und hob die Decke vom Boden auf. Dabei fiel sein Blick auf ein Stück Stoff, dass unter dem Bett hervorlugte. Er hielt inne und runzelte die Stirn. Einen Moment lang wünschte er sich nichts mehr, als das Stück Stoff, oder vielmehr das was es enthielt, unter dem Bett hervor zu holen. Es in den Händen zu halten, sich von den Erinnerungen, die es stets in ihm weckte, durchströmen zu lassen. Eragon streckte die Hand aus und strich über den Stoff, fühlte den schmalen, harten Gegenstand darin. Einen Moment lang schien es ihm fast als könnte er die Kühle des Metalls durch das schwere Tuch hindurch spüren.

Es kostete ihn Überwindung, die Hand wieder zurückzuziehen.

Es ist nur ein Schwert... schalt er sich selbst. Nur ein Stück Metall, nichts weiter!

Entschlossen schob er das Päckchen tiefer unter das Bett. Er fühlte sich schlecht, schämte sich für seine Schwäche.

Wenn er wüsste, dass du es hast und dass du es unter deinem Bett versteckst, wie die Beweise eines Kinderstreichs... Er würde dich auslachen, dich als Schwächling beschimpfen...
 

Eine Stimme holte Eragon aus seinen Gedanken. Er hob den Kopf und sah einen Schatten vor dem Eingang seines Zeltes. Langsam stand er auf und griff nach der Tunika, die er am Vortag achtlos auf einen Hocker geworfen hatte.

„Einen Moment.“ rief er zum Zelt hinaus. Schnell zog er sich an und schlüpfte in seine Stiefel. Er band den Gürtel mit seinem Schwert Brisingr um seine Hüfte und atmete einmal tief ein und aus. Sein Blick glitt ein letztes Mal durch sein spartanisch eingerichtetes Zelt, wobei er sein Feldbett entschieden mied.

Dann wandte er sich um, schlug die helle Stoffplane zurück und trat hinaus in die Morgensonne.
 

Draußen wurde er bereits von einem kleinen Trupp Soldaten erwartet. Der vorderste, ein Mann von vielleicht 25 Jahren mit schulterlangen, hellbraunen Haaren, lächelte ihn freundlich an: „Guten Morgen. Lady Nasuada schickt uns. Sie erwartet Euch in ihrem Zelt, so schnell wie möglich.“

Eragon sah ihn an. Er spürte wie sich sein Herzschlag beschleunigte.

„Gab es einen Angriff?“

Der Soldat vor ihm lächelte nicht mehr, in seinem Gesicht war nun deutlich ein Ausdruck von Sorge zu sehen: „Ich weiß nichts Genaues, tut mir leid. Wenn Ihr mir nun folgen wollt...“

Eragon nickte stumm. Er hatte nichts anderes erwartet. Wo er auch hin kam, mit wem er auch sprach, alle begegneten sie ihm mit einer Ehrfurcht, die man Eragons Meinung nach nur noch als lästig bezeichnen konnte. Nicht einmal eine simple Frage konnte er stellen, in seiner Gegenwart schienen die Zungen seiner Gegenüber wie gelähmt.
 

Sie gingen zügig durch das Lager. Wo man auch hinsah, überall herrschte geschäftiges Treiben. Menschen liefen zwischen den Zelten umher, trugen Waffen, Holz, Verpflegung. Jeder schien ein Ziel zu haben, jeder schien in Eile zu sein.

Und einmal mehr erinnerte es Eragon an einen der Ameisenhaufen, die er in den Wäldern gesehen hatte.

Er ignorierte die Menschen um sich herum, die stehen blieben und ihn anstarrten als er vorbeiging. Sein Kopf war voller Fragen, voller nervöser Anspannung.

Weißt du was hier los ist?

Nein, kam prompt die Antwort seiner Drachendame, aber ich glaube nicht dass es ein Angriff ist. Das hätte ich bemerkt.

Eragon knurrte leise. Er hoffte, dass Nasuada einen guten Grund dafür hatte, ihn so früh zu wecken und durch das Lager zu scheuchen.
 

Nasuadas Zelt war um einiges prachtvoller ausgestattet als sein Eigenes. Eragon sah sich suchend um, aber Nasuada schien allein zu sein. Das überraschte ihn und steigerte seine Neugier noch mehr. Saphira hatte scheinbar recht, hier ging es nicht um einen Angriff.

Nasuada hielt sich nicht mit einer Begrüßung auf: „Eragon. Es tut mir leid, dass ich dich wecken lassen musste. Ich weiß, die letzten Tage waren sehr hart für dich.“

Eragon nickte nur. Er war erst vor kurzem mit Saphira von einer längeren Mission zurückgekommen. Sie hatten es fast im Alleingang mit einer ganzen Truppe bestens ausgebildeter Krieger aufgenommen, die einige Meilen nördlich einen ihrer Außenposten überfallen und nahezu alle ihrer Soldaten getötet hatten. Sie waren nicht auf einen Kampf vorbereitet gewesen, hatten es aber geschafft, ihre Gegner zurückzuschlagen.

Nasuada zögerte einen Moment, bevor sie weiter sprach.

„Einer unserer Späher hat einen Boten abgefangen, der versucht hat, sich ins Lager zu schleichen. Wie sich herausstellte, kam der Bote direkt aus Uru'baen.“

Eragon runzelte die Stirn. Das war merkwürdig. Es passte nicht zu Galbatorix. Verhandlungen waren keines seiner Mittel...

„Ich weiß was du denkst.“ fuhr Nasuada fort. „Ich habe dasselbe gedacht. Aber der Bote kam nicht von Galbatorix.“ Erneut zögerte sie. Dann ging sie zu einem Tisch hinüber und hob ein Stück Papier auf. Sie wandte sich wieder an Eragon: „Er kam von Murtagh.“.

Eragon starrte sie an. Er war fassungslos. Wieso schickte Murtagh ihnen einen Boten? Welchen Plan verfolgte er jetzt schon wieder?

„Was will er? Will er dich erpressen? Will er dir drohen? Will er...“

Nasuada unterbrach ihn und streckte ihm die Hand mit dem Brief entgegen: „Nein. Seine Nachricht gilt nicht mir. Sie gilt dir.“

Eragon hatte das Gefühl jemand würde einen Eimer eiskalten Wassers über ihm ausschütten. Zitternd streckte er die Hand aus und griff nach dem Brief. Er versuchte zu lesen, aber seine Gedanken waren so aufgewühlt, dass er Schwierigkeiten hatte sich auf die Zeilen vor sich zu konzentrieren.

Die Schrift war klein, die Buchstaben fein und eng geschrieben. Eragon war fast enttäuscht, denn der Brief bestand nur aus wenigen Worten.
 

Eragon

Ich weiß was du jetzt denkst, aber bitte glaube mir wenn ich dir sage, dass es nicht so ist.

In drei Tagen, dort wo Blut zu Feuer wird.

Bitte.

Murtagh
 

Eragon las die Zeilen erneut, dann ein drittes Mal. Es schien keinen Sinn zu machen. Wieso sollte Murtagh ihm schreiben? Als sie sich das letzte Mal gesehen hatten, hatten sie wieder gegeneinander gekämpft. Eragon hatte ihn, von wildem Hass angetrieben, schwer verletzt, fast getötet. Nur durch eine Unachtsamkeit seinerseits war es ihm auch dieses Mal gelungen zu entkommen.
 

Nur mühsam konnte er seinen Blick von dem Brief in seiner Hand lösen.

„Eine Falle?“ Er sah Nasuada an. Ihrem Blick konnte er entnehmen, dass sie denselben Gedanken hatte.

Er dachte nach. Aber wie er es auch drehte und wendete, es passte nicht zusammen.

„Aber das hier... ist so völlig untypisch für ihn...“ sagte er langsam.

Nasuada nickte: „Das denke ich auch. Und deswegen wirst du dort nicht hingehen.“

Sie sah auf den Brief in Eragons Hand als wäre er ein giftiges Tier.

„Wo immer 'dort' auch sein mag.“

„Was sollen wir tun?“

Nasuada seufzte. Sie ging zu ihrem Stuhl hinüber uns ließ sich darauf nieder. Eragon wartete darauf dass sie fort fuhr.

„Wir tun gar nichts. Ich habe den Boten von unseren besten Magiern befragen lassen, aber nichts was er sagte konnte uns helfen. Er hat die Nachricht von einem Soldaten bekommen, mit dem Auftrag sie herzubringen. Das war sein ganzer Befehl. Ich habe die letzten Stunden damit verbracht, zu versuchen, mir einen Reim darauf zu machen, aber ich bin gescheitert. Aber was immer er damit bezweckt, ich bin sicher dass es nichts Gutes ist. Und deswegen wirst du hier bleiben. Wir können nichts riskieren.“

Eragon nickte. Nasuada sah ihn an und lächelte dann.

„Das war auch schon alles. Aber wenn dir irgendetwas dazu einfällt.“ Sie deutete auf den Brief,“ Bitte sag es mir. Jeder Hinweis auf Galbatorix' Pläne kann uns helfen!“

Eragon verbeugte sich, dann wandte er sich um und verließ das Zelt.
 

~
 

Sein Magen machte sich mit einem lauten Knurren bemerkbar und Eragon blieb stehen. Das erste Mal, seit er Nasuadas Zelt verlassen hatte, sah er sich bewusst um. Er hatte das Lager fast einmal komplett durchquert. Vor ihm lagen die abgezäunten Wiesen, auf denen ihre Pferde grasten. Er drehte sich um und schaute zurück in die Richtung aus der er gekommen war. Wie lange war er schon unterwegs?

Noch immer hielt er den Brief in der Hand. Er las ihn erneut, hoffte fast dass er diesmal andere Worte vorfinden würde, Worte der Erklärung, der Rechtfertigung, der Entschuldigung...

Doch die Zeilen blieben dieselben, tiefschwarz auf weißem Papier. So klein waren sie. Und dennoch vermochten sie alles zu verändern, von einem Moment zum nächsten.

Fast enttäuscht ließ er das Blatt wieder sinken und machte sich auf den Rückweg.
 

Was hat das alles bloß zu bedeuten...?

Encounter

Eragon, du solltest das nicht tun... Saphiras Stimme war lauernd.

Das ist meine Sache! erwiderte Eragon ärgerlich. Aber er konnte nicht verhindern, dass Schuldgefühle in ihm aufstiegen. Nasuada hatte so erschöpft ausgesehen...

Er hatte es ihr nicht gesagt, aber er wusste genau, wo dieses 'dort' aus Murtaghs Nachricht war. Und er hatte vor, dorthin zu gehen. Er konnte es nicht erklären, aber tief in seinem Inneren spürte er, dass er es tun musste.

Ist es nicht. Eragon, sei vernünftig! Es ist eine Falle, das ist doch mehr als offensichtlich! Wahrscheinlich wird er dort mit einer ganzen Truppe auf dich warten und dich zu Galbatorix schleifen! Oder dich sogar töten!

Saphira gab sich nun keine Mühe mehr, ihren Zorn zu verstecken.

Eragon blieb stehen. Überblickte seine Möglichkeiten. Und er musste zugeben, dass sie recht hatte. Das Ganze roch geradezu nach einer Falle. Aber dennoch, irgendetwas in ihm flüsterte, dass es keine Falle war. Vielleicht war es die Tatsache dass Murtagh etwas getan hatte was er noch nie getan hatte. Vielleicht war es die Tatsache, dass er ihn um etwas gebeten hatte.

Aber vielleicht war es auch nur sein eigener Wunsch...

Ich werde hingehen... sagte er langsam.

Er spürte Saphiras Wut. Ihr Zorn brannte in ihr wie ein loderndes Feuer.

Nein.

Jetzt war es an ihm, zornig zu werden.

Saphira, ich bin kein kleines Kind mehr! Das ist meine Entscheidung!

Wenn das deine Entscheidung ist, dann bist du ein kleines Kind! Ein dummes kleines Kind! Das ist verrückt! Du riskierst nicht nur dein Leben, sondern das Leben aller hier!

„Das ist mir egal!“ Eragon schrie fast. Er bemerkte aus den Augenwinkeln, dass die Menschen in seiner Hörweite unsicher stehen geblieben waren und ihn anstarrten. Er erschrak über sich selbst.

Es tut mir leid...

Saphira antwortete nicht.

Es tut mir leid... ich kann es selbst nicht erklären. Aber ich spüre einfach, dass er es ernst meint. Ich muss hingehen. Er... braucht mich!

Saphira schwieg eine ganze Weile. Als sie antwortete, wählte sie ihre Worte mit Bedacht.

Und du bist sicher, dass du das nicht nur tust, weil du dir wünschst, es wäre so?

Eragon fiel darauf keine Antwort ein. Er wusste dass sie recht hatte. Er hatte dieselben Zweifel, aber er versuchte, sie in die hintersten Ecken seines Verstandes zu verbannen.

Ich werde gehen... du kannst mich begleiten wenn du willst, aber ich werde gehen...
 

Eragon lief seit Stunden unruhig durch die Zeltreihen. Mittlerweile gab es wohl keinen Teil des Lagers mehr, den er noch nicht kannte. Er wollte rennen, er wollte kämpfen, er wollte schreien... irgendwas tun, was die Anspannung löste, die ihn seit Stunden gefangen hielt.

Nach dem Gespräch mit Nasuada wäre er am Liebsten sofort los geflogen, aber er wusste, dass er warten musste. Nasuada würde Verdacht schöpfen wenn er sich jetzt aus dem Staub machen würde. Also hatte er beschlossen, bis zum Abend zu warten und dann unauffällig aus dem Lager zu verschwinden.

Aber die Stunden bis zum Abend schienen zäh wie Pech, die Sonne über ihm schien stehen geblieben zu sein...
 

Irgendwann kam er wieder bei seinem Zelt an. Er seufzte und betrat sein Lager. Langsam ließ er sich auf das schmale Feldbett sinken. Sein Blick schweifte ziellos durch den kleinen Raum, blieb mal hier und mal da hängen, ohne wirklich etwas wahrzunehmen.

Wieder und wieder ließ er Murtaghs Zeilen vor seinem geistigen Auge vorbeiziehen.

Was willst du... was ist passiert dass du das tust... was hat er dir angetan...?

Ein eisiges Gefühl ergriff von ihm Besitz. Eine Kälte die ihn fast lähmte. Drei Tage... drei Tage... drei Tage, in denen soviel passieren konnte...
 

Die Luft war kühl. Es war windstill. Nichts war zu hören bis auf das leise Rauschen eines Baches irgendwo hinter den Bäumen. Die grünen Blätter warfen Schatten auf sein Gesicht. Die Sonne spiegelte sich in seinen Augen. Sie erschienen ihm hell, mit einem leichten goldenen Schimmer. Gerne hätte er gewusst was sie sahen, diese goldenen Augen.

Er räusperte sich. Murtagh drehte sich zu ihm herum und sah ihn an. Sein Blick bohrte sich in seinen, schien ihn festzuhalten, machte ihn bewegungsunfähig. Aber es machte ihm nichts aus...

Er kam auf ihn zu, seinen Blick auf ihn geheftet. Er hob die Hand, strich ihm leicht über die Wange, lächelte, trat dann an ihm vorbei, löste damit die unsichtbaren Fesseln...

Seine Hand fühlte sich so warm an...
 

Eragon schrak aus seinen Tagträumen hoch. Er spürte Saphiras Geist, ganz nah.

Wenn du bei deinem Plan bleiben willst, solltest du dich jetzt auf den Weg machen.

Sofort war Eragon hellwach. Er sprang auf, zu schnell, wie ein Schwindelgefühl ihm kurz darauf klarmachte. Er schüttelte den Kopf und griff nach Umhang und Tasche, die er für den Fall einer plötzlichen Mission von Nasuada stets bereithielt. Sein Blick fiel auf sein Schwert. Er zögerte einen Moment, doch dann hob er es hoch und band den Gürtel um seine Hüfte.

Du kommst also mit? fragte er vorsichtig.

Natürlich. Ich kann dich doch nicht alleine in dein Verderben rennen lassen.

Eragon musste grinsen.

Dann trat er an eine Wand seines Zeltes und horchte hinaus in die anbrechende Nacht. Es war still. Und dennoch spürte Eragon jemanden, ganz in seiner Nähe.

Nasuada hat Wachen geschickt.

Es überraschte ihn nicht. Er hatte fast erwartet dass Nasuada ihm nicht ganz vertraute.

Ich bin wohl doch zu leicht zu durchschauen... stellte er grimmig fest.

Saphira ließ ein Geräusch wie ein Lachen erklingen.

Mein Kleiner, du bist ein offenes Buch.

Eragons Grinsen erstarb. Entschlossen trat er von der Wand weg und versuchte es an der gegenüberliegenden Seite. Hier war niemand. Er wartete noch ein paar Minuten angespannt in der Dunkelheit, aber es blieb still.

Er murmelte ein paar magische Worte, Worte, die ihn mit den Schatten der Nacht verschmelzen lassen würden, dann ließ er sich auf die Knie herab und schlüpfte schnell und so gut wie geräuschlos unter der Plane hindurch nach draußen.
 

Er ließ sich Zeit für den Weg, auch wenn er am Liebsten gerannt wäre so schnell ihn seine Beine nur tragen konnten.

Es war mitten in der Nacht als er das Lager hinter sich gelassen hatte. Er spürte Saphira in der Ferne. Sie war voraus geflogen. Eragon wusste, dass er viel schneller gewesen wäre, wenn er mit ihr geflogen wäre, aber wenn sie jetzt gelandet wäre, hätte einer der Außenposten sie sicher gesehen. Und das letzte was er jetzt gebrauchen konnte waren lästige Soldaten, die ihm pflichtbewusst überall hin folgten.
 

Je weiter er sich vom Lager entfernte, desto schneller rannte er. Er hatte ein schlechtes Gewissen, dass er sich einmal mehr den Befehlen der Varden und seines eigenen Verstandes widersetzte. Aber ein Teil von ihm schrie danach. Und dieser Teil würde keine Ruhe geben, bis er es getan hatte. Diese plötzliche Entschlossenheit überraschte ihn. Sicher, sein schlechtes Gewissen war da und es war stark, schien ihn in die entgegengesetzte Richtung zu ziehen. Aber er widerstand dem Drang und es fiel ihm erstaunlich leicht. Es gab ihm ein Gefühl der Freiheit, ein Gefühl, dass er schon so lange nicht mehr gehabt hatte. Er hatte es satt, so satt, immer nur das zu tun, was andere von ihm verlangten. Woher sollten sie wissen, ob das der richtige Weg war? Dass das, was sie ihm sagten, das Richtige für ihn war?

Die Antwort war einfach: sie wussten es nicht und hatten es nie gewusst.

Und vielleicht war jetzt der Zeitpunkt gekommen, sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Zumindest versuchte er, sich das einzureden...
 

Die Sonne ging bereits auf, als er endlich so weit vom Lager entfernt war, dass er Saphira erlaubte zu landen und ihn aufzunehmen.

Schweigend flogen sie Richtung Norden.

Eragon wusste, dass sie noch immer sauer auf ihn war. Aber er konnte, und wollte, darauf keine Rücksicht nehmen.
 

Irgendwann tauchten in der Ferne zwischen den Bäumen die Rauchsäulen auf, nach denen er den Horizont die ganze Zeit abgesucht hatte. Die Feuer brannten schon seit ein paar Tagen, fanden scheinbar aber immer noch genug Futter.

Kein Wunder... dachte er schmerzvoll.
 

Der Anblick des Schlachtfeldes erinnerte ihn schmerzhaft an das, was wenige Tage zuvor hier passiert war. Der größte Turm der kleinen Verteidigungsanlage stand noch, von den übrigen Gebäuden waren nur noch schwarze, rauchende Reste geblieben, die sich wie Gerippe in den vom Rauch grauen Himmel streckten.

Eragon sah sich suchend um. Einige Dutzend Soldaten waren noch immer hier, versuchten, die Spuren des Kampfes zu beseitigen und die Anlage wieder aufzubauen. Ein halbes Dutzend großer Feuer brannten und spien dicke, schwarze Rauchwolken in den Himmel. Der ekelhafte Gestank von brennendem Fleisch stieg ihm in die Nase.

War er wirklich am richtigen Ort?

Dort wo Blut zu Feuer wird.

Diese Stelle war der erste Ort der ihm eingefallen war. Frisches Blut, erst vor wenigen Tagen vergossen, wurde hier verbrannt, wurde eins mit dem Feuer...

Sein Blick glitt suchend über die Umgebung. Der Boden war uneben, hohe Felsen und viele kleine Baumgruppen boten zahlreiche Verstecke. Er entdeckte ein kleines Felsplateau, nicht weit vom Schlachtfeld entfernt, verborgen hinter meterhohen Tannen.

Er konnte nicht sagen wieso, aber er spürte einfach, dass das der richtige Ort war. Er teilte Saphira seine Gedanken mit und der Drache drehte bei und steuerte die Stelle an.
 

Saphira flog einen großen Bogen und verbarg sie beide hinter dicken Rauchwolken. Der Gestank war so beißend, dass Eragon die Luft anhielt. Nach wenigen Minuten landeten sie auf dem felsigen Boden des Plateaus und Eragon stieg ab. Er sah sich suchend um, entdeckte aber niemanden. Enttäuschung stieg in ihm auf, aber er kämpfte sie nieder.

In drei Tagen... er hat drei Tage gesagt! Er kann noch nicht hier sein...

Wieder und wieder sprach er diese Worte in Gedanken aus, wie ein Mantra. Aber dennoch blieb ein flaues Gefühl zurück.
 

Es schien zu schön um wirklich real zu sein. Die Sonne versank hinter den Bäumen, tauchte die Lichtung in goldenes Licht. Er stand vor ihm, so nah dass er nur die Hand heben musste um ihn berühren zu können.

Er lächelte, lächelte dieses Lächeln, dass seine Knie weich werden ließ. Ihre Gesichter berührten sich fast, er spürte seinen warmen Atem auf seinen Lippen. Nah, so nah. Doch jedesmal, wenn er versuchte, den letzten Abstand zwischen ihnen zu überwinden, zog er sich zurück. Es war ein Spiel, mit Regeln die nur sie beide kannten. Nichts weiter als ein Spiel...
 

Die Sonne ging langsam hinter den Bäumen unter. Es erinnerte ihn an etwas, an wirre Gedanken, einsame Träume, die verschwammen, bevor er sie richtig greifen konnte...

Seit Stunden saß er da. Saphira war direkt neben ihm, die Augen wachsam in die Ferne gerichtet. Seine Hand ruhte auf ihrem Kopf, streichelte wieder und wieder über ihre tiefblauen Schuppen.

Er schluckte. Und dann stellte er die Frage, die seit Stunden in seinem Kopf kreiste.

Was, wenn er nicht kommt...?

Saphira seufzte. Sie blieb ihm die Antwort schuldig.
 

Gedankenverloren drehte er den Brief in seinen Händen. Er versuchte, sich vorzustellen wie Murtagh die Zeilen verfasste. Wie er wieder und wieder seine Worte durchstrich, nur um einen Moment später dasselbe nochmal zu schreiben... wie er sich umsah, voller Angst, man könnte ihn dabei beobachten...

Ein Kloß bildete sich in Eragons Hals.
 

Ein Geräusch ließ sie beide aufschrecken. Eragon sprang auf und griff nach seinem Schwert. Doch die Lichtung war leer. Hatte er sich das Rascheln nur eingebildet? Nein, jemand war hier, ganz in der Nähe...

Auch Saphira war aufgestanden. Ihr Blick glitt unstet über den Himmel, suchte nach einem fernen Schatten. Doch auch sie schien nichts zu entdecken.
 

„Eragon...“

Eragon fuhr herum, so schnell, dass er fast das Gleichgewicht verlor. Er stand direkt hinter ihm, so plötzlich als wäre er gerade aus dem Boden gewachsen.

Eragons Hände zitterten mit einem Mal so stark, dass er fast das Schwert fallen ließ.

Murtagh sah ihn an. Er versuchte zu lächeln, aber es gelang ihm nicht ganz. Hinter ihm landete Thorn, geschmeidig wie eine Katze. Seine Drachenaugen waren auf Saphira gerichtet.

Fassungslos starrte Eragon den roten Drachen an. Wo war er hergekommen? Und wieso hatte er ihn nicht kommen hören? Angst beschlich ihn. Er wollte etwas sagen, aber es schien, als hätten alle Worte ihn verlassen. Er konnte sie vor sich sehen, aber keines von ihnen packen.

Murtagh sah ihn an, wartend. Als der Blonde schwieg, seufzte er leise.

„Eragon...“ Schon alleine der Klang seines Namens aus Murtaghs Mund jagte ihm einen Schauer über den Rücken. Sein Körper war wie gelähmt. Wenn Murtagh ihn jetzt angreifen würde, würde er sich nicht wehren können...

Was ist nur los, verdammt, was ist nur los?!

„Es... es tut mir leid, dass ich diesen Weg wählen musste... es ging nicht anders...“ Murtagh sprach langsam, zögernd, als hätte er Angst dass jedes Wort eines zuviel sein könnte. Das gab Eragon die Gelegenheit, ihn genauer anzusehen. Und bot einen schrecklichen Anblick. Er war leichenblass, seine Wangen waren eingefallen und unter seinen Augen lagen tiefe, dunkle Schatten. Es schien ihm fast wie ein Wunder, dass er überhaupt noch aufrecht stehen konnte. Was immer in den letzten Tagen und Wochen mit ihm passiert war, es hatte ihn an seine körperlichen Grenzen geführt.

Dann erinnerte Eragon sich an Murtaghs Kampf gegen seinen Meister, Oromis. Murtagh hatte, nein, Galbatorix, er hatte Murtaghs Körper benutzt, seine Hand geführt, als er Oromis...

Nein, er wollte nicht daran denken.

Er sah Murtagh an.

War es das, was aus Menschen wurde, die nicht länger Herr über ihren eigenen Körper waren? Wurden sie zu hilflosen Marionetten? Zu nichts weiter als den Schatten ihrer selbst?

Eragon spürte eine lähmende Angst in sich aufsteigen. Diese Macht über jemanden, die Macht ihn vollkommen zu unterwerfen, seelisch, körperlich... nein, niemand sollte diese Kraft besitzen!
 

„Hör zu... ich hab nicht viel Zeit... aber ich musste... mit dir reden...“ Murtaghs Stimme war leise geworden, dennoch riss sie Eragon aus seinen Gedanken. Er starrte Murtagh an.

„Weiß... weiß er dass du hier bist?“

Murtagh verzog die Lippen zu einem humorlosen Lächeln.

„Was denkst du...?“

Eragon schüttelte langsam den Kopf. Die Frage war dumm gewesen. Aber Murtaghs Antwort hatte auch seine letzten Zweifel davon geschwemmt. Was immer Murtagh hier tat, es hatte nichts mit Galbatorix zu tun. Er war heimlich hierher gekommen, nur um mit ihm zu reden.

Und dieser Gedanke war so süß...
 

„Du musst weg von hier, ihr alle müsst weg von ihr. Dieser Krieg ist vorbei.“

„Was meinst du damit?“ fragte Eragon verwirrt.

Murtagh sah ihn ernst an: „Es ist vorbei, ihr habt keine Möglichkeit mehr, diesen Kampf zu gewinnen. Galbatorix hat... er hat...“

Er versuchte, weiterzusprechen, aber seine Zunge schien plötzlich wie gelähmt. Er schien mit sich zu ringen, doch den Kampf zu verlieren. Er senkte den Kopf, starrte auf den Boden und begann leise zu murmeln. Eragon machte einen Schritt auf ihn zu, streckte eine Hand aus, wollte seine Schulter berühren.

„Murtagh... was ist los?“

Murtaghs Kopf schnellte so schnell nach oben, dass Eragon erschrocken zurückwich. Seine Hand schloss sich instinktiv fester um den Griff seines Schwertes. Murtaghs Blick war gequält, etwas schien ihm schreckliche Schmerzen zu bereiten.

„Es ist vorbei.“ sagte er noch einmal.

„Ich verstehe nicht...“

„Ihr könnt ihn nicht mehr töten, er hat...“

Erneut brach er ab und vergrub das Gesicht in den Händen.

Und Eragon verstand plötzlich. Es war wie bei Sloan. Er hatte den wahren Namen des Mannes erraten und ihn gezwungen, seinem Befehl zu folgen. Aber im Gegensatz zu Galbatorix hatte er das nur getan um ihm zu helfen.

Aber er wusste, niemand konnte einem Befehl widerstehen, der von dem kam der seinen wahren Namen kannte. Niemand. Und scheinbar hatte Galbatorix Murtaghs Stimme gelähmt.

Es dauerte einen Moment, bis Murtagh die Hände wieder sinken ließ. Sein Gesicht glänzte schweißnass.

„Erinnerst du dich an das was er zu dem Elfen gesagt hat?“

Eragon antwortete nicht. Wieso fing er wieder damit an? Er wollte sich nicht erinnern...

„Er hat gesagt, er würde ein Gott werden.“

Jetzt horchte Eragon auf. Er erinnerte sich an die Worte des Königs, hatte sie aber als Unsinn, als Übertreibung, abgetan. Niemand, nicht einmal Galbatorix, könnte ein solche Macht erlangen. Das war nicht möglich...

Murtagh schien seine Gedanken gelesen zu haben, denn er nickte.

„Doch, er hat es getan. Er... er... ich kann nicht sagen wie... aber er kann... er kann nicht mehr sterben!“

Eragon blickte ihn ungläubig an. Nur langsam wurde ihm klar was das bedeutete. Wenn Murtagh wirklich recht hatte und Galbatorix nicht mehr getötet werden konnte... dann waren sie verloren...

Nein, das konnte nicht sein, das war unmöglich!

Glaub ihm nicht!

Die ganze Zeit über hatte Saphira geschwiegen, aber nun platzen die Worte aus ihr heraus und mit ihnen ein unverhohlener Hass. Eragon musste sie nicht einmal ansehen um zu erraten, dass sie Murtagh und seinen Drachen am liebsten auf der Stelle in Stücke gerissen hätte.

Als er nicht antwortete, wiederholte sie ihre Worte, diesmal noch eindringlicher.

Eragon, er lügt uns an! Er ist der Feind, wir können ihm nicht glauben!

Eragon versuchte, ihre Gedanken auszublenden. Er wusste, er verletzte sie damit, aber im Moment gab es wichtigeres! Wenn Murtagh recht hatte... dann war alles, was sie getan hatten, umsonst gewesen...
 

„Und wieso sagst du mir das? Wieso hast du mir diesen Brief geschrieben?“

„Ich habe den Brief nicht geschrieben.“

Eragon erinnerte sich an seine wirren Fantasien und kam sich plötzlich unglaublich dumm vor...

„Selbst wenn ich gewollt hätte, ich hätte dir nicht schreiben können. Nicht mit meiner eigenen Hand. In dem Moment in dem ich es versucht hätte...“ Murtagh brach ab und sein Blick fiel auf das Stück Papier, das Eragon bei seiner Ankunft achtlos hatte fallen lassen.

Eragon nickte knapp. Das hätte er eigentlich wissen müssen. Galbatorix überließ nichts dem Zufall. Und nachdem Murtagh schon einmal seinen Befehl missachtet hatte...

Und plötzlich wurde im bewusst, in welcher Gefahr er sich befand, sie beide sich befanden. Wenn der König erfahren würde, was Murtagh getan hatte, würde er ihn...
 

„Ich glaube nicht, dass ich Nasuada davon überzeugen kann, aufzugeben.“ begann Eragon langsam. Murtagh runzelte die Stirn.

„In dem Fall werdet ihr sterben.“ sagte er schlicht.

Eragon schüttelte den Kopf: „Nein. Ich bin sicher, dass wir einen Weg finden werden. Die Elfen...“

Murtagh lachte auf. Als er weitersprach, war seine Stimme mit Verachtung erfüllt.

„Die Elfen! Was haben die Elfen in diesem Krieg bisher geleistet?! Gar nichts! Und sie werden mit euch untergehen!“

Eragons Augen weiteten sich.

„Das stimmt nicht und das weißt du. Wir werden einen Weg finden, auch er muss einen Schwachpunkt haben! Es ist noch nicht zu spät! Und mit deiner Hilfe...“

Murtaghs hasserfüllter Blick ließ ihn verstummen.

„Glaubst du das wirklich? Glaubst du, ich würde noch hier stehen und mit dir reden wenn er einen Schwachpunkt hätte?“ Seine Stimme war ein leises Zischen geworden. Er trat langsam auf Eragon zu.

„Ihr hattet eure Chance, du und dein chaotischer Haufen von Möchtegernkämpfern. Aber ihr habt zu lange gewartet und jetzt ist es zu spät. Ihr habt die Wahl, ihr könnt aufgeben und eure kümmerlichen kleinen Leben retten, oder hier bleiben und sterben.“

Seine Augen funkelten gefährlich. Eragon wich unwillkürlich einen Schritt zurück und umschloss den Griff seines Schwertes fester. Innerlich kochte er vor Wut. Was Murtagh da sagte, war vollkommen absurd...!

„Es wäre besser für dich, wenn du tust was ich dir sage.“

„Woher willst du wissen, was besser für mich wäre, du kennst mich nicht!“ Eragon schrie ihn jetzt an, die Stimme von einer Wut erfüllt, die er von sich selbst bisher nicht gekannt hatte.

„Du hast ja keine Ahnung, wovon du da redest und was du da verlangst! Und wenn das alles ist, was du zu sagen hast, dann brauche ich dich nicht!“

Das Funkeln verschwand aus den Augen seines Bruders. Und an seine Stelle trat...nichts.

Eragon bereute seine Worte plötzlich. Und wusste nicht einmal genau wieso.

„Ja... vielleicht hast du recht.“ Murtaghs Stimme war wieder leise geworden, aller Zorn war aus ihr gewichen.

Er drehte sich langsam um und ging zurück zu Thorn. Eragon spürte wie Saphira sich hinter ihm bewegte.

Tu es, töte ihn!

Eragon antwortete nicht.

Eine bessere Gelegenheit findet sich vielleicht nie wieder!

Sie war angespannt. Ihre Krallen bohrten sich tief in den felsigen Boden.

Eragon..!
 

„Es tut mir leid!“ rief Eragon ihm hinterher.

Murtagh reagierte nicht.

„Lass mich dir helfen!“ Seiner Stimme war seine Hilflosigkeit deutlich anzumerken. Er hoffte nur dass Murtagh es nicht hörte.

Endlich blieb er stehen, aber er sah Eragon nicht an als er antwortete: „Du kannst mir nicht helfen.“

„Aber... vielleicht gibt es einen Weg!“

Jetzt wandte er sich doch um. Sein Blick war hart.

„Du hast es doch selbst gesagt: ich kann mir nur selbst helfen.“

Eine stumme Verzweiflung schien von Eragon Besitz zu ergreifen.

„Ja... aber wenn es einen anderen Weg gibt...“

„Es gibt keinen anderen Weg...“

„Aber...“

„NEIN!“ schrie Murtagh so heftig, dass Eragon zusammenzuckte. Hinter sich konnte er Saphira bedrohlich knurren hören.

„Glaubst du, ich hätte nicht alles versucht?! Glaubst du, ich hätte nicht alles getan, um eine Lösung zu finden?! Aber jede noch so kleine Hoffnung die ich hatte ist am Ende doch zu Staub zerfallen!“

Eragon schluckte. Er öffnete den Mund, wollte etwas entgegnen, aber er musste erkennen, dass es nichts gab was er noch hätte sagen können.

Murtagh sah ihn lange an. Ein trauriges Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

„Denk daran was ich dir gesagt habe. Denn wie es aussieht...“ Er schenkte ihm einen düsteren Blick. Eragon schluckte.

„Wie es aussieht, werden wir uns wohl nicht wiedersehen...“

Er wandte sich wieder um und ging zu seinem Drachen. Geschickt stieg er in den Sattel und wenige Augenblicke später erhob Thorn sich schon mit ein paar kräftigen Flügelschlägen in die Luft.

Noch können wir sie aufhalten!

Saphira machte ein paar Schritte vorwärts, wartete auf sein Einverständnis. Doch Eragon hörte ihre Worte gar nicht. Wie hypnotisiert starrte er dem dunkelhaarigen hinterher, der am Himmel immer kleiner und kleiner wurde.

Murtagh drehte sich kein einziges Mal zu ihm um.
 

~
 

Die Wälder und Wiesen flossen unter Eragon dahin wie ein unendlicher grüner Strom, verschwommen, ohne klare Konturen.

Stunden vergingen, aber er spürte es kaum. Wieder und wieder ließ er seine Begegnung mit Murtagh in seinen Gedanken Revue passieren, wieder und wieder hörte er seine Worte, sah sein Gesicht, von heftigen Emotionen verzerrt.

Und wieder und wieder stellte er sich die Frage, ob das alles wirklich wahr war. Sein ganzes Wesen sträubte sich gegen den Gedanken, dass alles, wofür sie gekämpft und gelitten hatten, dass all die Opfer die der Krieg sie schon gekostet hatte, dass all dies umsonst gewesen sein sollte. Es konnte, es durfte nicht so sein!

Doch auch wenn er tief in seinem Inneren wusste, dass es die Wahrheit war, wünschte er sich in diesem Moment doch nichts sehnlicher als dass jedes Wort aus Murtaghs Mund nichts weiter als eine Lüge gewesen war...
 

~
 

Laufen, rennen, immer weiter. Einen Fuß vor den anderen setzen, keine Geräusche hören bis auf das stetige dumpfe Stampfen der eigenen Stiefel auf dem ausgetrockneten Boden.
 

Als Eragon das Lager endlich erreichte, kam es ihm vor, als sei er Tagen oder Wochen weg gewesen. So viel schien passiert zu sein. Hier waren sie, schliefen in ihren Zelten, schärften ihre Waffen, schürten ihren Hass. Und nur sie standen Galbatorix noch im Weg. Sie waren alles, was dieses Land noch hatte...

Und dann spürte er sie, eine kriechende Angst, die sich wie lähmendes Gift um seinen Gedanken legte. Verloren, alles verloren...

Er lief schneller, dann begann er zu rennen. Als er sein Zelt endlich erreichte und die dünne Plane hinter sich fallen ließ, hatte er das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Keuchend blieb er stehen und schloss die Augen. Doch die Angst verging nur langsam, quälend langsam.
 

Er war so mit sich selbst beschäftigt, dass er die Gestalt nicht bemerkte, die auf seinem Feldbett saß und schweigend zu ihm hinüber sah.

Look into the Mirror of your Soul

Hier ist es endlich, das neue Kapitel.

Es tut mir furchtbar leid, dass ich euch so lange habe warten lassen, das hatte diverse Gründe und wird hoffentlich nicht wieder vorkommen.
 

Ich hoffe, dass das nun folgende extralange Kapitel euch ein wenig entschädigt, =)
 

+++
 

„Wieso kannst du nicht einmal tun was man dir sagt...?“

Eragon zuckte heftig zusammen und fuhr herum. Arya saß auf seinem Bett und sah zu ihm hinüber. Unwillkürlich glitt sein Blick unter das Bett, suchte nach dem Stoff, in den er Murtaghs Schwert gewickelt hatte. Das Päckchen war nicht mehr da.
 

Als er nicht antwortete, stand Arya langsam auf. Sie sah sich in dem kleinen Zelt um, ihr Blick schien etwas zu suchen aber nicht zu finden.

Ihre Stimme war leise, als sie fortfuhr: „Du solltest dir langsam darüber klar werden, was dir wichtig ist, Eragon. Es steht zu viel auf dem Spiel um egoistische Entscheidungen zu treffen.“

Eragon runzelte die Stirn. Dasselbe hatte Saphira zu ihm gesagt, an dem Tag als er sich davongeschlichen hatte. Andere Worte, aber dieselbe Bedeutung. Trotz stieg in ihm auf. Wieso glaubte eigentlich jeder, dass er wüsste was für ihn am Besten sei?

„Und wenn ich egoistisch sein will?“ Er hatte Mühe seine Stimme ruhig zu halten.

Arya hob den Kopf und sah ihm direkt in die Augen. Eine Weile sagte sie nichts, sah ihn nur an. Eragon fühlte sich unter ihrem bohrenden Blick immer unwohler. Wie ein kleiner Junge, den man beim Naschen aus der Zuckerdose erwischt hatte...

Sie seufzte.

„Wieso machst du es mir so schwer, Eragon. Ich versuche doch nur, dir zu helfen.“

In das Gefühl von Trotz mischte sich Zorn.

„Nein. Du versuchst nur, dir selber zu helfen. Dir und den Varden.“

Aryas schmale Augen verengten sich zu Schlitzen. Eragon zuckte unwillkürlich zusammen. Noch nie hatte er so mit ihr geredet. Er widerstand dem Drang, sich zu entschuldigen.

„Du hast recht.“

Seine Augen weiteten sich vor Überraschung.

„Ich helfe den Varden. Weil das meine Aufgabe ist. Und es ist ebenso die deine.“

Er sah sie nicht an, als er antwortete: „Und was ist mit dem was ich will?“

Arya lächelte ein trauriges Lächeln.

„Leider können wir nicht immer das tun was wir wollen. Du wirst das eines Tages verstehen.“

„Ich hab es ihm versprochen.“ sagte er hilflos.

Arya seufzte erneut.

„Eragon, wir können ihm nicht helfen.“

Eragon schüttelte den Kopf.

„Nein. Ihr könntet ihm helfen, aber ihr wollt es nicht!“

„Er hat sich für die falsche Seite entschieden, er...“

„Nein, er hat sich nicht entschieden, er wurde gezwungen und das weißt du ganz genau!“ unterbrach Eragon sie barsch.

Aryas Blick wurde hart.

„Ich werde darüber nicht mit dir diskutieren, Eragon.“

Eragon schnappte nach Luft. Zu gerne hätte er sie angeschrieen. Aber er wusste, dass er bereits viel weiter gegangen war als ihm zustand. Er atmete langsam ein und aus, versuchte, sich nur auf die Luft zu konzentrieren, die durch seine Nasenlöcher strömte. Erleichtert spürte er, wie sein Zorn sich etwas legte.

„Verzeih mir. Ich... habe die Beherrschung verloren.“ presste er zögernd hervor. Doch selbst in seinen Ohren klangen die Worte nicht ehrlich.

Ein Hauch von Traurigkeit schlich sich in Aryas Gesicht, als sie antwortete: „Hör mir zu, Eragon. Ich verstehe deine Gefühle. Er ist dein Bruder und du willst ihm helfen. Aber es ist zu spät, wir können nichts mehr für ihn tun. Er ist verloren.“

Eragon schloss die Augen. Es lag viel Wahrheit in ihren Worten. Und es hatte eine Zeit gegeben, in der er genauso gedacht hatte.

Doch das war lange her.

Arya schwieg, schien darauf zu warten, dass er etwas sagte. Doch Eragon blieb stumm. Er hatte alles gesagt, was er sagen konnte und wollte. Jedes weitere Wort wäre Verschwendung.
 

„Also war er wirklich dort?“ fragte sie nach einer Weile.

Eragon nickte.

„Was hat er von dir gewollt?“

Eragon hatte sich vor dieser Frage gefürchtet. Wie konnte er ihr klarmachen, dass sie möglicherweise ihre letzte Chance, den Tyrannen zu stürzen, vertan hatten?

„Er...“ begann er zögernd. „ Er hat mich gewarnt. Er sagt, es ist Galbatorix gelungen, unsterblich zu werden...“

Eragon sah Arya an, versuchte an ihrem Gesicht abzulesen, was sie jetzt wohl dachte. Aber wie so oft war das Gesicht der Elfe ausdruckslos und machten es ihm unmöglich zu erkennen was in ihr vorging.

Eine kleine Ewigkeit lang sah sie ihn nur an.

„Bist du dir sicher, dass er... das gemeint hat?“ War da ein Zittern in ihrer Stimme?

Eragon nickte zögerlich und wiederholte Murtaghs Worte. Arya hörte ihm zu, unterbrach ihn kein einziges Mal.

„Das muss es sein, was Galbatorix die ganze Zeit gesucht hat. Der Grund aus dem er bisher nicht selbst in den Krieg eingegriffen hat. Aber ich...“ Eragon stockte und rang mit den Worten.

„Ich verstehe das nicht. ... Wie kann das sein? Woher hat er diese Kräfte?“

Arya schloss für einen Moment die Augen. Als sie sprach, war ihre Stimme sehr leise: „Ich weiß es nicht, Eragon. Die Magie ist ein großes Mysterium, für jeden von uns. Und egal wie lange wir leben, es wird uns wohl niemals gelingen, ihre ganze Kraft zu erfassen und zu verstehen. Die Magie ist so alt wie diese Welt und mächtiger, als du oder ich es uns vorstellen können. Galbatorix hat so viele Jahre damit verbracht, sie zu studieren. Er hat Schriften gesammelt, Geschichten studiert. Niemand kann sagen, auf welche Geheimnisse er dabei gestoßen sein könnte.“

Eragon runzelte die Stirn und dachte über ihre Worte nach. Tausend Fragen schwirrten ihm durch den Kopf.

„Aber wie kann das sein... wie kann es sein, dass es diese Dinge gibt? Wie konnte man zulassen, dass ein Mensch... ein Reiter, eine derartige Macht erlangt?“

Arya sah zu Boden. Als sie sprach, klang ihre Stimme seltsam alt.

„Schon früher hat es Magier gegeben, die sich mit der alten und vergessenen Magie beschäftigt haben. Magier, die verbotene Zauber erlernten, Worte nutzten, die niemand jemals kennen sollte. Und die Aufzeichnungen darüber anfertigten, was sie taten. Aber ihr Streben nach unendlicher Macht, nach Unsterblichkeit und den Geheimnissen dieser Welt hat sie früher oder später vernichtet, einen nach dem anderen. Doch auch wenn sie selbst starben, es gab immer etwas, was zurückblieb.“

„Das ist diesmal anders. Diesmal können wir nicht darauf hoffen, dass Galbatorix sich selbst vernichtet,“ sagte Eragon müde. „Wir haben versagt. Murtagh hat recht, wir haben zu lange gewartet.“

„Es ist noch nicht zu spät.“ Arya blickte ihn ernst an.

„Noch ist nichts verloren. Und wir haben einen großen Vorteil ihm gegenüber.“

„Und der wäre?“ fragte Eragon langsam.

Arya lächelte: „Er unterschätzt uns. Das ist unser größter Trumpf und wir müssen ihn nutzen. Und... wir haben dich. Eine wahr gewordene Legende. Die Speerspitze unseres Widerstandes.“

Eragon lächelte schief. In seinen Augen war das keine wirkliche Beruhigung.

Arya trat auf ihn zu und legte eine Hand auf seine Schulter.

„Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben. Denn in dem Moment, in dem wir es tun, hat er gewonnen.“

Dann trat sie an ihm vorbei. Eragon drehte sich noch einmal zu ihr um.

„Was wirst du jetzt tun?“

Arya blieb stehen und sah ihn über die Schulter hinweg an.

„Ich werde mit Nasuada sprechen. Vielleicht können wir deine neuen Informationen zu unserem Vorteil nutzen.“

Sie wandte sich wieder um und schob die Zeltplane zur Seite. Doch bevor sie hindurchtrat, blieb sie noch einmal stehen.

„Eragon? Versprichst du mir etwas?“ Sie sah ihn nicht an.

„Bitte gehe nie wieder alleine fort. Egal was passiert. Versprichst du mir das?“

Eragon zögerte, wohl wissend, was sie meinte.

„Ja.“ sagte er schließlich.

Ich versuche es...
 

Arya verließ das Zelt und ließ ihn alleine zurück. Er seufzte tief, fühlte sich plötzlich unendlich erschöpft und müde. Dann fiel sein Blick auf ein Stück Stoff auf dem Feldbett. Er erkannte es sofort. Die helle Zeltplane spiegelte sich auf der blanken Klinge des Breitschwertes. Eragon trat an sein Feldbett, hob das Schwert auf und drehte es langsam in den Händen. Die Klinge war schwer, schwerer als seine eigene. Der dunkle Stoff, der um den Griff gewickelt war, war an einigen Stellen abgewetzt und schmutzig. Eragon umfasste den Griff fester, drehte sein Handgelenk und ließ die Klinge einmal im Kreis sausen.

Dann griff er nach dem Stoff, wickelte das Schwert wieder darin ein und schob das Päckchen zurück unter das Bett.
 

Hoffnung.

Arya hatte recht, Hoffnung war ihre größte Waffe. Ohne sie waren sie verloren. Und mit ihnen vielleicht die einzige Möglichkeit einer besseren Zukunft.

Dennoch fiel es ihm immer schwerer, noch zu hoffen.

Als er da draußen mit Murtagh gesprochen hatte, war ihm ihr ganzer Kampf absurd vorgekommen, hoffnungslos, dumm...

Wie sollten er, ein paar Soldaten und Magier es schaffen, den mächtigsten und grausamsten Drachenreiter zu besiegen, den es jemals gegeben hatte? Wie sollten sie das schaffen, was schon so vielen vor ihnen nicht gelungen war?
 

Indem wir nicht aufgeben. Indem wir für das einstehen, was gut und richtig ist.
 

Ja, in einem Punkt irrte sich Murtagh. Es war noch nicht vorbei. Sie waren noch hier. Und sie hatten ein Ziel.

Ein Ziel, für das es sich zu kämpfen lohnte. Für dass es sich zu sterben lohnte.

Nein, sie würden niemals aufgeben...
 

~
 

Als Eragon ein paar Stunden später zwischen den Wachen hindurch trat und das Zelt hinter sich ließ, hatte er das Gefühl, eine schwere Last würde ihm von den Schultern genommen.
 

Sie hatten ihm nicht geglaubt, hatten Murtaghs Worte als Lügen abgetan, als Teil eines weiteren teuflischen Plans des Königs. Natürlich, Eragon konnte es ihnen nicht verdenken. Es fiel leichter, das schreckliche zu verleugnen als anzuerkennen, dass sie möglicherweise versagt hatten.

Doch bei all ihren Versicherungen, bei all den starken Worten und mächtigen Argumenten, stand ihnen ihre Angst und Unsicherheit überdeutlich ins Gesicht geschrieben.
 

Sie sollten aufhören zu diskutieren und endlich anfangen zu handeln. schnaubte Saphira in seinen Gedanken.

Lass sie.... antwortete Eragon erschöpft. Er erinnerte sich nur zu gut daran wie schwer es ihm selbst gefallen war, es zu glauben.

Er spürte ihren heißen Atem in seinem Nacken und drehte sich zu ihr um. Die blaue Drachendame hatte der Versammlung wie immer durch eine Lücke in einer Wand des Zeltes beigewohnt und kam nun mit langsamen Schritten auf ihn zu.

Sie lassen? Du hast es doch selbst gesagt: wir haben keine Zeit mehr. Und jede Moment, den wir verstreichen lassen, ist ein verschwendeter Moment.

Eragon sah sie nachdenklich an.

Aber wir brauchen einen Plan. Wir haben schon genug Fehler gemacht... ich habe schon genug Fehler gemacht.

Saphiras Brüllen in seinen Gedanken ließ ihn zusammenfahren.

Kein Wort mehr! Du hast keinen Fehler gemacht. Ohne dich hätten wir diese Informationen gar nicht!

Eragon lächelte schief. Normalerweise hätten ihre tröstenden Worte die düsteren Gedanken aus seinem Kopf vertrieben, doch diesmal wollte es nicht recht klappen...

Er drehte ihr den Rücken zu und streckte sich ausgiebig. Er hatte das absurde Gefühl, in den letzten Stunden um Jahre gealtert zu sein. So viel schien passiert zu sein und er schien immer mehr die Kontrolle über alles zu verlieren.

E warf über die Schulter einen Blick zu Saphira und sah sie nachdenklich an.

„Saphira, lass uns fliegen.“ sagte er schließlich.

Die Drachendame senkte ihren Kopf, bis sie sich auf seiner Augenhöhe befand.

Eine gute Idee. Fliegen befreit die Gedanken. sagte sie und ließ ein zufriedenes Schnurren erklingen.

Eragon musste gegen seinen Willen grinsen. Dann trat er an ihre Seite und zog sich auf ihren Rücken. Einen Sattel brauchte er nicht. Er hatte nicht vor, besonders lange in der Luft zu bleiben. Aber im Moment fiel ihm das Atmen am Boden seltsam schwer...
 

Mit wenigen Flügelschlägen erhob Saphira sich in die Lüfte. Die Wände der Zelte um sie herum erbebten im von ihr erzeugten Luftzug. Eragon beobachtete fasziniert, wie die Zelte unter ihnen langsam immer kleiner und kleiner wurden. Gesichter verschwammen zu hellen Flecken, ausgetretene Wege bildeten ein riesiges Labyrinth, Zeltplanen wurden zu sandfarbenen Ebenen, die sich im Wind wie Dünen in der Wüste bewegten.

Hier oben war es kalt. Schon nach kurzer Zeit begann er zu zittern, dennoch genoss er den Flug. Er vermisste es, einfach nur mit Saphira zu fliegen.

Die Drachendame sagte irgendetwas zu ihm, doch Eragon hörte ihr nicht mehr zu.
 

Seine Gedanken wanderten zurück zu dem Gespräch mit Nasuada und ihren Vertrauten. Es schien eine Ewigkeit gedauert zu haben. Unter ihren bohrenden Fragen und Vorwürfen wegen seiner Leichtsinnigkeit war er sich wie ein Angeklagter vor Gericht vorgekommen.

Und Nasuada hatte ihn nicht einmal angesehen, die ganze Zeit nicht.

Scheinbar unberührt hatte sie seinen Ausführungen zugehört, den Blick gesenkt, als würde sie das gehörte abwägen. Aber er hatte in ihren Augen gesehen, wie schwer es ihr fiel, diese Fassade aus Selbstbeherrschung aufrecht zu erhalten. Und er war sich sicher, wäre er nicht der Drachenreiter der er war, sie hätte ihn für seinen Verrat schwer bestraft.

Er hatte sie hintergangen. Er fühlte sich schlecht deswegen, aber er klammerte sich an den Gedanken, dass es womöglich das beste für sie gewesen war.

Und sie würde ihm verzeihen. Hoffentlich...
 

~

Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung verließ Arya Nasuadas Zelt. Die Anführerin der Varden und einige ihrer Hauptmänner würden auch noch die nächsten Stunden grübelnd und diskutierend über ihren Karten und Plänen verbringen, aber sie hatte für einen Tag genug gehört. Und sie wusste, dass es noch weitere Tage und Nächte dauern konnte, bis sie zu einem brauchbaren Ergebnis kommen würden.
 

Nachdem Eragon gegangen war, hatte es hitzige Diskussionen gegeben, in denen es nicht zuletzt Zweifel an Eragon selbst und seiner Position als Drachenreiter gegeben hatte. Unter anderen Umständen hätte Arya sich für ihn eingesetzt, aber dieses Mal musste sie zugeben, dass Nasuada und ihre Männer gute Gründe dafür hatten, wütend auf den jungen Reiter zu sein.

Anfangs hatte sie noch Zweifel gehabt, Hoffnung, dass Eragons Verschwinden nichts mit der angeblichen Nachricht seines Bruders zu tun hatten, doch diese Zweifel waren verschwunden, als sie in seinem verlassenen Zelt das versteckte Schwert gefunden hatte. Sie kannte die Klinge nicht, wusste aber sofort, dass es die des feindlichen Reiters gewesen war. Und sie war wütend gewesen, dass Eragon sie versteckt hatte, dass er offenbar Geheimnisse vor ihnen, vor ihr, hatte.

Dann hatte sie gewartet, Stunde um Stunde, war immer wieder in sein Zelt hinein- und hinausgegangen, nur um wieder und wieder festzustellen, dass der Junge und Saphira noch immer nicht zurück waren. Nasuada hatte sofort Truppen entsenden wollen, die ihn suchen und zurückbringen sollten, aber Arya hatte sie davon abgehalten. Ein dummer Fehler, wie sie mittlerweile glaubte. Sie hatte eine Panik verhindern wollen. Die Stimmung im Lager war eh schon angespannt genug. Aber vielleicht hätte das Auftauchen von mehreren Dutzend Soldaten Eragon wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Und ihm endlich klargemacht, auf welcher Seite er in diesem Krieg stand, wer seine Freunde, und vor allem, wer seine Feinde waren.
 

Murtagh. Immer wieder Murtagh. Wie ein dunkler Schatten lag sein Geist über dem von Eragon.

In der letzten Zeit hatte er kaum noch von ihm gesprochen und sie hatte fast gehofft, dass er ihn endgültig aus seinen Gedanken verbannt hatte. Sich endlich damit abgefunden hatte, dass er ihn nicht würde retten können. Der Kampf gegen ihn würde ihm viel leichter fallen, wenn er sich nicht mehr von seinen Emotionen leiten lassen würde.

Aber sie hatte sich geirrt. Dabei glaubte sie nicht einmal, dass Eragon es mit Absicht tat. Nein, wahrscheinlich war er selbst sich gar nicht darüber im klaren, wie stark seine Bindung zu seinem ehemaligen Mitstreiter noch immer war. In seinen Augen tat er wohl einfach nur das, was er immer tat. Er versuchte, denen zu helfen, die litten.

Doch seine Gefühle für Murtagh, waren es nun Freundschaft, Mitleid oder das Gefühl, ihn im Stich gelassen zu haben, schwächten ihn. Machten ihn zu einem leichten Ziel für seine Feinde.

Und der König wusste das, dessen war sie sich sicher. Und Eragon war so blind, dass er nicht einmal bemerkte wie leicht er sich durch seine Gegner manipulieren ließ. Murtaghs Nachricht und seine heimliche Flucht waren dafür das beste Beispiel. Es war nur eine Frage der Zeit, bis ihm diese Gefühle zum Verhängnis werden würden. Alles, was ihr übrig blieb, war an seine Vernunft zu appellieren. Und zu versuchen, an seiner Seite zu sein, wenn es eines Tages zum entscheidenden Kampf kommen sollte. Ihm den Rücken freizuhalten und ihn aufzufangen, wenn die Situation es erforderte.
 

Nachdenklich ging sie über den Zeltplatz. Es wurde langsam dunkel und am Himmel konnte man die ersten Sterne sehen. Sie warf einen schnellen Blick auf den Hügel, auf dem Eragon sein kleines Zelt errichtet hatte. Es war leer. Scheinbar waren er und Saphira zu einem abendlichen Flug aufgebrochen.

Sie hoffte inständig, dass Saphira die Gelegenheit nutzen würde, ihm ins Gewissen zu reden.

Früher hätte sie selbst vielleicht noch mit ihm sprechen können. Es hatte eine Zeit gegeben, in dem ihm kaum eine Meinung wichtiger gewesen wäre als ihre. Er hatte ihr vertraut wie kaum jemand anderem. Doch nach und nach hatte sich das geändert. Langsam, schleichend, so dass sie es erst gemerkt hatte, als es wohl schon längst zu spät war.

Vielleicht hätte die Geschichte eine andere Wendung genommen, wenn sie seine Gefühle für sie erwidert hätte. Sie genutzt hätte, um ihn auf den richtigen Weg zu führen. Aber dafür war es jetzt zu spät. Eragon war nicht mehr der Bauernsohn, den sie kennengelernt hatte. Er wurde erwachsen und entfernte sich langsam aber sicher immer weiter von ihr. Und irgendwann würde sie die Hand ausstrecken und ihn nicht mehr erreichen können.

Die Zeit rann ihnen davon wie Sand durch ihre bloßen Finger. Jeder Tag brachte sie näher an das Unausweichliche heran.

Alles was ihr blieb, war die Hoffnung, dass Eragon an jenem Tag bereit sein würde...
 

~
 

Langsamer als nötig ging Murtagh durch die ihm so vertrauten Korridore von Uru'baen. Sein Magen zog sich bei dem Gedanken an die Begegnung die ihm bevorstand schmerzhaft zusammen. Am liebsten hätte er sich umgedreht und wäre davongerannt. Doch er wusste nur zu gut, dass er keine Möglichkeit hatte, dem zu entkommen, was hinter den dicken Mauern auf ihn wartete.
 

Er hatte es versucht, anfangs. Als er noch Hoffnung hatte, Hoffnung auf Flucht, auf Rettung, Hoffnung darauf, dass alles schon irgendwie gutgehen würde.

Die Wunden aus dieser Zeit schmerzten bis heute.
 

Seine Gedanken wanderten zurück zu seiner Begegnung mit seinem Bruder.

Noch immer kam es ihm wie ein Wunder vor, dass er es geschafft hatte, Eragon zu treffen, ohne dass irgendjemand etwas mitbekommen hatte.

Es hatte ihn einige Anstrengungen und sehr viel List gekostet, eine Nachricht bis zum Lager der Varden zu schicken. Und selbst als er das geschafft hatte, war er sich noch fast sicher gewesen, dass die Zeilen seinen Bruder nie erreichen würden. Stunde um Stunde, Tag um Tag hatte er gewartet und dabei beinahe alle Hoffnung verloren. Doch dann war einer der Boten zurückgekehrt, und mit ihm die Nachricht, dass der Brief seinen Bestimmungsort erreicht hatte. Die bloße Erinnerung daran ließ sein Herz einen Sprung machen, wie ein Echo des Gefühls, was er in dem Moment gehabt hatte.

Natürlich hatte er gewusst, dass er sich damit in Lebensgefahr brachte. Nein, nicht nur sich, auch Eragon und jeden, der sonst davon wusste, jeden, dem die Nachricht in die Hände gefallen sein mochte. Und ein jeder von ihnen hätte ihn verraten können...

Trotzdem. Die Tatsache, dass Eragon seinen Brief gelesen hatte und wirklich gekommen war, dass er auf ihn gewartet hatte, sie war so unendlich tröstlich. Er wusste, er hatte keinen Grund, sich deswegen irgendwelche Hoffnungen zu machen. Sein Verstand sagte ihm, dass es nichts bedeutete. Es war Neugier, allenfalls Mitleid. Das was sein Herz sich wünschte, mehr als alles andere, war unerreichbar...

Dennoch schlug es bei dem Gedanken an ihre Begegnung schneller und erfüllte ihn mit einem Gefühl von Glück, dass er schon verloren geglaubt hatte.

Idiotisch.
 

Er spürte Thorns Anwesenheit in seinen Gedanken. Warm und tröstend legten sich die Gedanken seines Drachen um seine eigenen.

Murtagh stieß ihn von sich. Er wollte, brauchte keinen Trost. Trost bedeutete Schwäche.

Und er konnte nicht schwach sein, nicht hier, nicht heute.
 

Er trat unter einem hohen Bogen hindurch und sah vor sich die großen Flügeltüren zu Galbatorix' Thronsaal. Die Jahrhunderte hatten das wertvolle Holz fast schwarz werden lassen. Die riesenhaften geschnitzten Figuren wirkten wie Ungeheuer aus einer Albtraumwelt...

Murtagh schüttelte energisch den Kopf. Das war vollkommen albern. Es waren nur alte Schnitzereien, nichts weiter. Seine Angst trübte seine Sinne.

Langsam trat er auf das Tor zu. Er hob die Arme um die gewaltigen Torflügel aufzustoßen, doch bevor er sie berühren konnte, glitten sie von selbst auseinander. Völlig lautlos öffnete sich das Tor und gab den Blick auf den riesigen Thronsaal frei. Und auf Galbatorix.
 

Der Tyrann saß auf seinem Thron, einem gewaltigen Massiv aus Stein und Holz, dass sich perfekt in den großen Saal einfügte und jedem, der ihn betrat, unmissverständlich klarmachte, wie klein und unbedeutend er angesichts des Königs war.

Murtagh trat zögernd auf ihn zu, doch der König beachtete ihn gar nicht. Eine leise Hoffnung regte sich in ihm. Vielleicht hatte es nichts zu bedeuten. Vielleicht wollte er ihn nur auf eine neue Mission schicken, ihn eine neue Schlacht für sich kämpfen lassen, eine...
 

Dann drehte der König den Kopf und sah ihm direkt in die Augen.

Und Murtagh erstarrte.

Er wusste es. Galbatorix wusste, was er getan hatte.

Wie zur Antwort erschien auf Galbatorix' Gesicht ein grausames Lächeln und verwandelte sein Gesicht in eine grässliche Fratze. Sogar das Lächeln schien sich vor diesem Mann zu fürchten.

Murtaghs Hals fühlte sich plötzlich wie ausgetrocknet an. Es fiel ihm schwer zu schlucken. Sein Herz raste. Verzweifelt versuchte er, die aufsteigende Panik niederzukämpfen. Versuchte, sein Gesicht ausdruckslos erscheinen zu lassen. Hektisch suchten seine Gedanken nach einem Ausweg, einer Möglichkeit zur Flucht.

Galbatorix beobachtete ihn, mit diesen grausamen Augen. Die ihn verspotteten, verhöhnten. Er wusste genau, was er dachte, was er fühlte. Und er ergötzte sich daran als wäre es ein interessantes Theaterstück.
 

„Ich habe...“ begann Murtagh langsam. Seine Stimme war kaum mehr als ein Krächzen. Er widerstand dem Drang zu husten.

„Sei still.“ Galbatorix' Stimme war erschreckend ruhig, klang sogar fast gelangweilt. Murtagh senkte den Blick, starrte auf den schwarz glänzenden Boden zu seinen Füßen.

„Es war nur...“ begann er erneut, doch er kam nicht weit.

Der Angriff kam so schnell, dass Murtagh zurückprallte und fast gestürzt wäre. Galbatorix' Geist drang brutal in den seinen ein, rissen seinen Widerstand nieder wie eine Wand aus dünnem Papier. Als der König sprach, schien seine Stimme durch Murtaghs Körper zu hallen wie durch eine Kathedrale. Jede Faser seines Bewusstseins zog sich schmerzhaft zusammen. Er konnte Thorn brüllen hören. Der Drache versuchte, ihm zu Hilfe zu eilen, seinen Geist durch seinen eigenen zu stärken. Doch er schien weit weg, so weit weg...
 

NENNE MIR NUR EINEN GRUND DAFÜR, WIESO ICH DICH NICHT AUF DER STELLE TÖTEN SOLLTE! GLAUBST DU, DU KANNST MICH VERRATEN? GLAUBST DU, DU KANNST GEHEIMNISSE VOR MIR HABEN?

Durch die grellen Blitze aus Schmerz, die seinen Blick trübten, konnte Murtagh das Gesicht des anderen Mannes sehen. Noch immer war es vollkommen unbewegt, fast als wäre es nicht er, der ihn gerade in seinen Gedanken quälte, als wäre er nur ein zufälliger Beobachter.

Doch Murtagh wusste, wie es wirklich war...
 

GLAUBST DU, ICH LASSE ZU, DASS SICH MEINE DIENER MIT DEM FEIND TREFFEN? IHM MEINE GEHEIMNISSE ANVERTRAUEN? IST ES DAS, WAS DU DENKST?

Die Stimme tat weh. Jedes einzelne Wort bohrte sich wie eine Klinge in seinen Verstand. Es fiel ihm schwer, nicht laut loszuschreien.

Dann verwandelte sich seine Stimme in ein bedrohliches Flüstern.

Nein, ich habe es gewusst. Ich habe es schon gewusst, bevor du selbst es tatest.
 

Dann ließ er ihn los. Die Wucht seines Geistes ließ Murtagh stolpern. Keuchend schüttelte er den Kopf, versuchte, die Spuren seiner Anwesenheit abzuschütteln. Das Gefühl in seinem Kopf war widerwärtig, als hätte etwas fremdes, böses seinen Geist verklebt. Ein zähes Gift, dass überall seine Spuren hinterließ und sich nicht wegwischen ließ...

Doch Murtagh wusste, dass das erst der Anfang war.

Er bewegte sich nicht von der Stelle, als sich Galbatorix langsam von seinem Thron erhob und auf ihn zu kam. Der schwere Stoff des Umhangs, der um seine Schultern lag, raschelte leise als er über den glatt polierten Boden strich.

Murtagh sah starr an ihm vorbei, versuchte, sich auf die Steine neben einem der vielen Fenster des Saals zu konzentrieren. Sie waren dunkel, fast schwarz und von hellen Linien durchzogen, die im Licht sanft schimmerten, wie heller Quarz...

Wenn es ihm gelang, sich völlig von seinem Körper zu lösen, würde er es leichter ertragen können. Der Schmerz wäre nicht so schlimm, würde vorbeigehen ohne das er es wirklich merken würde...

Galbatorix stand nun vor ihm. Er hob eine Hand und legte sie auf Murtaghs Stirn. Sie war kalt und rau. Murtagh kämpfte den Drang, sie wegzuschlagen, nieder. Starrte weiter auf die Wand neben dem Fenster. Die hellen Linien bildeten feine Muster in den Steinen, zart wie Federzeichnungen. Wenn man nur lange genug hinsah, konnte man Bilder in ihnen erkennen...

Galbatorix Finger bohrten sich in seine Schläfen. Sofort explodierte ein heftiger Schmerz in seinem Kopf. Murtagh wusste, dass diese Berührung nicht nötig war, um seine Gedanken zu lesen. Aber Galbatorix nutzte sie gerne. Sie machte seinem Gegenüber klar, wo es sich befand. In wessen Gewalt. Für den König war dies nur eine weitere Möglichkeit, ihn zu unterwerfen...

Er spürte etwas warmes, das langsam an seinen Fingern hinabtropfte. Er hatte nicht gemerkt, dass er seine Fingernägel so tief in das Fleisch seiner Handflächen gedrückt hatte, dass sie zu bluten begonnen hatten. Doch dieser Schmerz war gut. Ein Schmerz, den nur er kontrollierte. Ein Schmerz, der sein Bewusstsein in dieser Welt festhielt, damit er nicht den Verstand verlor...
 

Da Murtagh wusste, was ihn erwartete, war er auf die nächste Attacke auf seinen Geist besser vorbereitet. Dennoch traf sie ihn auch diesmal wie ein Hammerschlag.

Er konnte Galbatorix' Kraft nur einen Augenblick lang standhalten, dann stürzte sein Widerstand in sich zusammen und sein Geist lag völlig frei und ungeschützt vor ihm.

Und der König begann zu suchen. Er durchwühlte seinen Verstand wie eine Kiste, zog hier und da etwas heraus, nur um es achtlos und ungeordnet wieder fallenzulassen.

Doch diesmal suchte er nichts bestimmtes. Er hatte längst gefunden was er sehen wollte. Nein, diesmal war es nur Folter.
 

Bilder durchzuckten Murtaghs Geist, tauchten vor seinen Augen auf und verschwanden wieder in der Dunkelheit. Der König zwang ihn, Zeuge all dessen zu sein, was er tat. Degradierte ihn zum bloßen Zuschauer in seinen eigenen Gedanken.

Er sah sich selbst als Kind. Er stand auf dem Hof. Es regnete, seine Haare klebten ihm im Gesicht. Er blickte zum Tor und wartete. Wartete auf...

Willst du wissen, wieso ich zugelassen habe, dass du gehst? hallte die Stimmes des Königs in seinem Kopf. Jedes seiner Worte schmerzte wie ein Nadelstich.

Murtagh schüttelte schwach den Kopf, wohl wissend, dass der Tyrann an seiner Antwort nicht das geringste Interesse hatte.

Ich habe dich gehen lassen, um dir endlich klarzumachen, wo dein Platz ist.
 

Murtagh versuchte, die Stimme auszublenden, doch der König zerrte ihn immer wieder zurück, zurück auf das Trümmerfeld seines eigenen Verstandes.

Vor seinen Augen tauchten immer neue Bilder auf. Er sah die Hauptstadt, die Burg. Lange Gänge mit glattpolierten Wänden und in der Sonne schwarz glänzendem Boden. Hohe Türme, weite Hallen, luxuriöse Gemächer, Diener in edlen Stoffen, Soldaten in silbern schimmernden Uniformen...

Das ist es. Das hier ist deine Welt. Das dort draußen ist... Wildnis. Ein wüster Ort, ein Ort der Anarchie und des Chaos!
 

Nein...!

Murtagh biss die Zähne zusammen, versuchte, die Stimme aus seinem Kopf zu vertreiben. Er kämpfte mit aller Macht, doch so sehr er es auch versuchte, sie blieb. Sie saß irgendwo hinter seinen Augen und bohrte sie sich immer tiefer in seine Gedanken. Wühlte und suchte, fand selbst die Bilder und Erinnerungen, die er so tief in sich verborgen hatte, dass sogar er selbst sie fast vergessen hatte.

Der König fand sie. Zerrte sie an die Oberfläche und breitete sie vor ihm aus, wie Seiten aus einem Buch. Und er zwang ihn, sie anzusehen, wieder und wieder.
 

Er erinnerte sich an Thorn und daran, wie entsetzt er bei seinem Anblick gewesen war. Er wollte kein Reiter sein! Er wollte nicht kämpfen, er wollte nicht töten, nein, alles was er wollte, war frei sein!

Er wollte nur frei sein...

Du willst frei sein? Wer frei sein will, muss stark sein. Ich gebe dir diese Stärke.

Lüge... das ist eine Lüge...!

Leise Worte, so leise, dass er nicht einmal sicher war, ob er sie wirklich gesagt hatte, ob er sie wirklich gedacht hatte... Lüge... aber war es eine Lüge...? Was war Lüge, was Wahrheit?
 

Dann sah er Eragon. Er sah ihn so klar und deutlich, dass er für einen Moment fast glaube, er stünde wirklich vor ihm. Er sah blaue Augen, weiche Haare, vom Wind leicht zerzaust, helle Haut, von der Sonne leicht gerötet... so nah, so real, dass er fast glaubte, sie berühren zu können...

Nein... flehte Murtagh stumm. Er wollte ihn nicht sehen! Er konnte es nicht ertragen.
 

Galbatorix' Fingerspitzen bohrten sich in seine Schläfen. Der Schmerz raubte Murtagh fast die Sinne. Langsam hob er die Arme und versuchte, die fremde, kalte Hand wegzustoßen. Doch der König beachtete seine Gegenwehr gar nicht, wenn er sie überhaupt bemerkte.

Dieser... Junge, dieses Kind...dieser Bauernsohn...

Was haben er und sein jämmerlicher Haufen von Kriegern für dich getan? Haben sie dich gesucht? Haben sie für dich gekämpft? Haben sie irgendetwas getan um sich für das zu revanchieren, was du für sie geleistet hast? Nein. Sie haben dich im Stich gelassen, dich gejagt, dich bekämpft. Sie hassen dich, verachten die Ideale für die du stehst, weil sie sie nicht verstehen. Diese Menschen sind es nicht wert, für sie zu kämpfen oder für sie zu sterben. Sie haben den Tod verdient, sie gehören ausgelöscht!
 

Soldaten. Wie Tiere fielen sie übereinander her. Schwerter durchbohrten Körper, Schreie hallten über das Schlachtfeld. Die Stiefel versanken in blutgetränkter Erde...

Sie sind schuld daran, dass dieses Land im Krieg versinkt. Sie, die nicht einsehen können, dass ihre Zeit vorbei ist. Und du bist für sie nichts weiter als ein Hindernis. Wenn sie könnten, würden sie dich auf der Stelle töten. Selbst er würde dich töten. Willst du das zulassen?

Hör auf... flehte Murtagh hilflos.

Die Stimme in seinem Kopf verwandelte sich in ein Zischen.

Du bist hier, um für mich zu kämpfen. Um dieses Land von dem Ungeziefer zu befreien, das es besetzt hält. Nur aus diesem Grund existierst du noch. Du gehörst mir. Jeder einzelne Gedanke in deinem Kopf gehört mir. Du bist nur noch in dieser Welt um meine Befehle auszuführen. Und nichts, was du oder dieses Kind versuchen wird daran jemals etwas ändern können!

Murtagh schrie vor Schmerzen, doch die eiskalte Hand, die seinen Geist umklammert hielt, blieb. Erbarmungslos bohrten sich seine schwarzen Gedanken in seine Seele, wühlten sich durch seine Erinnerungen, suchten, fanden, zerrissen. Und hinterließen nur Scherben. Scherben die sein Inneres langsam in Stücke schnitten.

Ein metallischer Geschmack breitete sich in seinem Mund auf. Er schluckte mehrmals, doch er wurde ihn nicht los. Er spürte, wie seine Kraft ihn verließ. Er würde nicht mehr lange durchhalten.

Du bist schwach, Murtagh. Schwach wie dein Vater. In Galbatorix' grausame Stimme mischte sich Hohn.

Das ist nicht wahr... rief er lautlos.

Schwach... schwach und wertlos...

Das ist nicht wahr, das ist nicht wahr! Murtagh schrie.

Das ist nicht wahr! Ich bin nicht wie mein Vater... ich bin nicht wie er! In seinen Gedanken schrie er ihm die Worte entgegen, wieder und wieder. Doch Galbatorix sah ihn nur an, in seinem Gesicht ein kaltes Lächeln.

Murtagh spürte etwas warmes, klebriges, was seinen Kopf hinablief. Der Geruch von Blut stieg ihm in die Nase. Sein Magen zog sich zusammen. Er wollte sich übergeben, das Gefühl loswerden...
 

Dann ließ der Druck in seinem Kopf plötzlich nach. Kraftlos sank Murtagh in sich zusammen. Langsam ging er vor dem König in die Knie und stütze sich mit zitternden Armen auf dem Boden ab. Alle Kraft schien aus seinem Körper gewichen zu sein, fast als hätte er ihn ausgesaugt und kaum mehr zurückgelassen als eine leere Hülle. Blut tropfte auf die blanken Steine unter ihm. Glänzende Tropfen auf glänzendem Stein...

Er versuchte aufzustehen, doch seine Beine gehorchten ihm nicht. Innerlich verfluchte er sich und seine Schwäche. Er wollte jetzt nicht schwach sein und ihm auch noch diesen Triumph geben!
 

Doch sein Körper hatte aufgegeben. Eine scheinbar endlose Ewigkeit hockte Murtagh einfach nur da und spürte, wie der Schmerz quälend langsam nachließ.

Erneut versuchte er, sich aufzurichten, und diesmal schaffte er es und kam zitternd auf die Beine. Er musste einen jämmerlichen Anblick bieten, denn als er den König anblickte, sah er ein amüsiertes Lächeln in seinem Gesicht. Angewidert wollte Murtagh sich abwenden, doch plötzlich schoss Galbatorix' Hand nach vorne, umfasste sein Kinn und zwang ihn so, ihm direkt ins Gesicht zu sehen.

„Wage es nicht, dich abzuwenden wenn ich mit dir rede.“ Seine Stimme war kalt und schneidend wie Eis und Murtagh erstarrte.

Endlose Minuten blickte ihm der König in die Augen, sah durch sie hindurch, tief in ihn hinein. Langsam begannen Murtaghs Augen zu brennen, aber er wagte es nicht, auch nur zu blinzeln.

Plötzlich begann Galbatorix zu lachen. Er ließ sein Kinn los und Murtagh stolperte reflexartig einen Schritt zurück.

„Willst du wissen, woran du mich erinnerst? An einen Hund. Gerade gut genug, um einfache Befehle auszuführen, aber für mehr nicht zu gebrauchen.“

Murtagh starrte ihn nur an. Eine seltsame Kälte breitete sich langsam in ihm aus. Er begann zu zittern.

Galbatorix' Lachen verstummte so abrupt wie es begonnen hatte.

„Nun, auch wenn ein Hund wohl gehorsamer wäre als du es bist.“

Murtagh versuchte, die offensichtlichen Beleidigungen an sich abprallen zu lassen. Es hatte keinen Sinn, sich deswegen seiner Wut und seinem Hass hinzugeben. Das würde alles nur noch schlimmer machen.

Trotzdem schmerzte es, diese Dinge zu hören. Er fühlte sich erniedrigt, ein Gefühl, dass er kaum ertragen konnte...

Doch diese Gefühle verblassten, als der König einen Schritt auf ihn zutrat und mit fast vertraulich anmutender Stimme flüsterte: „Du bist so armselig. Was, denkst du, wird er tun wenn er von deinen... kranken Fantasien erfährt?“ Seine Stimme klang angewidert.

Murtagh konnte spüren, wie er erbleichte.

„Denkst du wirklich, er würde dir nochmal in die Augen sehen? Denkst du, er würde auch nur einen weiteren Gedanken daran verschwenden, dein kümmerliches, kleines Leben zu retten?“

Alle Luft schien aus Murtaghs Lungen zu weichen. Jedes Wort des anderen Mannes war wie ein Dolchstoss, der ihn tief in seiner Brust traf. Er konnte fast spüren, wie sie sein Herz in Stücke schnitten...

Seine Augen brannten wie Feuer, heiße Tränen liefen sein Gesicht hinab. Verzweifelt presste er die Augen zusammen, doch der Strom schien unaufhaltsam. Es war, als hätte sich irgendwo tief in ihm ein Tor geöffnet. Eine Tür, hinter der alles lag, was er hasste und verfluchte. Und all das strömte nun heraus, stürzte über ihm zusammen wie eine Flutwelle.

Der König sprach weiter, doch Murtagh konnte seinen Worten kaum noch folgen. Es fiel ihm schwer, sich überhaupt noch auf den Beinen zu halten. Um ihn herum schien es immer kälter zu werden. Er hatte das Gefühl, der Boden unter ihm würde weicher und weicher werden, ihn langsam hinunterziehen.

Er versuchte erst gar nicht, dagegen anzukämpfen, nein, er hieß die Dunkelheit in sich willkommen wie einen alten Freund. Mittlerweile schmerzte jeder einzelne Atemzug.

Es war zuviel, zuviel von allem, zuviel für ihn. Worte verschwammen zu sinnlosem Gemurmel, Gedanken zu wirren Visionen.
 

Plötzlich schien alle Kraft, die noch in ihm gewesen war, wie Wasser aus ihm herauszufließen. Die hohen Steinwände verschwammen vor seinen Augen, die hellen Linien in den großen Steinblöcken bildeten seltsam wirre Muster...

Dann kam endlich die Ohnmacht und er ließ sich in das Schwarz fallen wie auf ein weiches Bett...
 

~
 

Murtagh lag auf der harten Matratze und versuchte, sich auf sein Atmen zu konzentrieren. Es fiel ihm schwer, denn der Schmerz in seinem Kopf lähmte jeden Gedanken. Die Erinnerungen an die letzten Stunden waren verschwommen und unscharf. Aber er wusste dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie zurückkamen. Ihn erneut quälten. So war es das letzte Mal gewesen. Und das Mal davor...
 

Langsam öffnete er die Augen. Das Licht in dem Zimmer schien unerträglich hell zu sein. Stöhnend schloss er die Augen wieder. Wie war er hier hergekommen? Wie lange war er schon hier? Er versuchte, Thorn zu erreichen, aber der Schmerz vernebelte seine Sinne. Er konnte ihn spüren, weit weg, aber er konnte ihn nicht fassen. Aber auch das würde vergehen.

Er konzentrierte sich auf das stetige Heben und Senken seiner Brust. Etwas beruhigendes lag in dem gleichmäßigen, langsamen Rhythmus.
 

Irgendwann ließ der Schmerz nach. Nicht viel, aber genug um sich zu bewegen ohne das Gefühl zu haben, dass der Kopf jede Sekunde bersten würde. Langsam und zögerlich stand er auf und streckte seine verkrampften Glieder. Seine Knochen knackten und seine Muskeln schmerzten. Es würde noch Tage dauern, bis er sich wieder völlig davon erholt haben würde. Sicher, er könnte sich mit Hilfe von ein paar magischen Worten heilen, aber er würde es nicht tun. Es zu tun würde bedeuten, dass er recht hatte. Dass er schwach war. Dass er aufgab...

Nein, das war ein Schmerz, den er ertragen musste.
 

Erschöpft beugte er sich nach vorne und vergrub das Gesicht in den Händen.

Es war lange her, dass er bei einer von Galbatorix' Attacken das Bewusstsein verloren hatte.

Viel Zeit war vergangen und er war stärker geworden. Das hatte er zumindest geglaubt. Doch wie so vieles, an das er einmal geglaubt hatte, löste sich auch das nun in Nichts auf.
 

Langsam stand er auf und trat ans Fenster. Der Himmel war grau und wolkenverhangen, fast als wollte er sich seiner düsteren Stimmung anpassen. Es roch nach Regen und nasser Erde. Hinter den Hügeln am Horizont zog ein Gewitter auf.
 

Er wandte sich um, sah sich in dem großen Zimmer um, in das man ihn gebracht hatte. Sein Quartier in Uru'baen bestand aus drei miteinander verbundenen Räumen. Im hinteren lag sein Schlafzimmer, dessen Mitte von einem großen Bett eingenommen wurde. Wertvolles Holz, feine Stoffe und exotische Möbel machten seine Räume zu einem Quartier, dass eines Prinzen würdig gewesen wäre.

Doch so luxuriös der Raum auch war, in seinen Augen war er nichts weiter als ein Kerker. Ein Gefängnis ohne Gitterstäbe, schön angemalt und ausstaffiert, aber immer noch ein Gefängnis.

Doch das war noch leicht zu ertragen im Gegensatz zu dem, was Galbatorix persönlich ihm immer wieder antat. Er wandte sich ab, sah wieder aus dem Fenster.

Das war Galbatorix' Art, ihn zu bestrafen. Ihn sehen lassen, was er nicht sehen wollte, ihn fühlen lassen, was er nicht fühlen durfte. Das war sein größter, wenn nicht sein einziger Schwachpunkt. Und Galbatorix ließ keine Gelegenheit aus, ihn daran zu erinnern. Er wusste, dass er ihn mit seinen Worten viel mehr verletzten konnte als mit allen körperlichen Schmerzen.

Er hätte jede Zelle der Welt mit Freuden gegen diesen Schmerz eingetauscht.

Wie hatte er nur so dumm sein können, zu glauben, dass er Geheimnisse vor ihm haben könnte? Er sollte es mittlerweile eigentlich besser wissen!

In blinder Wut auf sich selbst rammte er die Faust gegen den groben Stein, der das hohe Fenster einrahmte. Er konnte spüren wie die Haut über seinen Fingerknöcheln aufplatze und warmes Blut seine Hand hinab floss. Es tat weh. Aber was machte das schon? Er hatte sich daran gewöhnt. Der Schmerz war zu einem Teil von ihm selbst geworden.

Wieder einmal fragte er sich, wie er hierher gekommen war, in diesen Raum, in diese Zeit, in dieses Leben...
 

Als er geboren wurde, schien ein Leben wie tausende andere auf ihn zu warten. Er würde aufwachsen, eine gute Erziehung genießen. Vielleicht würde er irgendwann das Kämpfen lernen...

Doch eines Tages änderte sich alles. Er wusste, dass es inzwischen viele Jahre her war, dennoch hatten sich die Erinnerungen an diesen Tag tief in seinen Gedanken eingebrannt. Und selbst heute schien es ihm manchmal so, als könne er noch immer den heißen Schmerz auf seinem Rücken spüren. Das furchtbare Gefühl, in zwei Teile gerissen zu werden. Noch immer konnte er Schreie hören, Schreie eines Kindes, seine Schreie. Er sah seine Mutter, durch einen Schleier aus tiefem Rot. Hilf mir, hilf mir!

Doch sie lief davon und ließ ihn zurück. Alleine mit sich, mit seinem Vater und mit der Frage nach dem Warum...

Die Nachricht vom Tod seines Vaters hatte Hoffnung in ihm geweckt. Er hatte geglaubt, dass er nun sein Erbe abschütteln könnte und endlich das Leben leben konnte, das er wollte. Doch ein grausames Schicksal schien andere Pläne mit ihm zu haben. Es folgten Jahre, die er wie ein Gefangener in einem goldenen Käfig verbracht hatte. Er hatte lernen müssen, dass die Welt unter ihrer manchmal glänzenden Oberfläche langsam vor sich hinfaulte. Lügen und Intrigen bestimmten seinen Alltag, es gab niemanden dem er vertrauen konnte, niemanden mit dem er reden konnte. Er lebte in vollen Räumen und war doch ganz allein.
 

Dann war er geflohen. Und zum ersten Mal in seinem Leben wirklich frei. Zumindest hatte er sich das eingebildet, anfangs. Zu spät hatte er erkannt, welchen Preis er dafür bezahlt hatte. Jetzt klebte Blut an seinen Händen. Und er hatte den wichtigsten Menschen seines bisherigen Lebens verloren, seinen Mentor, seinen Freund, den einzigen, der jemals ehrlich zu ihm gewesen war.

Er war weitergelaufen, immer weiter. Fort von den Erinnerungen, den Schuldgefühlen, der ständigen Angst...

Und für einen kurzen Moment hatte er wirklich geglaubt, dass er es geschafft hatte.
 

Dann war er plötzlich dagewesen, einfach so. Und mit ihm Gefühle, von denen er nicht gewusst hatte dass es sie überhaupt gab. Er wusste, dass es falsch war. Er konnte, durfte, nicht mit ihm gehen. Er war gefährlich, er zog ihn in einen Kampf, der nicht der seine war. Und er würde ihn unweigerlich wieder zurück zu Galbatorix führen.

Aber als er das erkannt hatte, war es längst zu spät gewesen. Und selbst wenn er gewollt hätte, er hätte nicht mehr flüchten können. Zu stark waren seine Gefühle für den Jungen geworden, zu tief und zu verboten. Und je mehr er versuchte, sie abzustoßen, je mehr er sie verleugnete, vor der Welt, vor sich selbst, desto mächtiger wurden sie.

Er war da wenn er schlief, er war da wenn er wach war. Er erfüllte jede Zelle seines Körpers, jeden Gedanken in seinem Kopf. Alles in ihm verzehrte sich nach ihm. Er wollte ihn sehen, er wollte seine Stimme hören, er wollte die Finger ausstrecken und ihn berühren...

Und dieses Gefühl, diese... Gier, schien ihn langsam von innen aufzufressen.
 

Als er erfahren hatte, dass sie Brüder waren, dass sie dasselbe Blut hatten, hatte er für einen seligen Moment gehofft, dass dieses Wissen seine Gefühle ändern würde. Dass er nur verwirrt gewesen war.

Doch nichts hatte sich geändert, rein gar nichts.

Und als er ihn das nächste Mal gesehen hatte, inmitten von Rauch und Flammen, bereit, sein Schwert gegen ihn zu erheben, hatte er sich gefühlt als hätte sich ein Abgrund unter seinen Füßen aufgetan. Ein schwarzer Abgrund, der ihn hinab zog, gnadenlos und unaufhaltsam.

Und das falsche Gefühl in ihm verwandelte sich in Wahnsinn, in einen Albtraum aus dem es kein Entrinnen gab.
 

Es begann zu regnen. Feine Tropfen trafen sein Gesicht, aber es kümmerte ihn nicht. Er schloss die Augen.

Konnte es sein, dass er verflucht war? Welchen anderen Grund könnte das Leben sonst haben, ihn so zu quälen? Hatte er irgendetwas getan, dass dieses Leid rechtfertigte? War er in einem früheren Leben ein schlechter Mensch gewesen? Oder war er vielleicht einfach nur zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen?
 

In diesem Moment hasste er sich selbst fast mehr als Galbatorix. Hasste seine Gedanken, hasste seine Gefühle, hasste seine Schwäche...

Sollte das sein Schicksal sein?

Zu rennen ohne voranzukommen.

Zu leiden ohne eine Hoffnung auf Rettung.

Zu kämpfen und doch alles zu verlieren.
 

Zu lieben und dafür gehasst zu werden...
 

Murtagh trat vom Fenster zurück, drehte sich um, sah sich erneut in seinem Zimmer um, ohne wirklich etwas zu sehen.

Das hier war seine Welt. Alles was er hatte, alles was er war, hier. Noch.

Er machte sich keine Illusionen. In der neuen Welt, die Galbatorix aufzubauen versuchte, war kein Platz für ihn. Er würde sein Leben verlieren, so oder so. Ein Leben, dass sowieso nie sein eigenes gewesen war...

Wieso also hielt er immer noch so verzweifelt daran fest? Hatte er einen Grund anzunehmen, dass es irgendwann einmal bessere Zeiten geben würde? Oder war es wegen Thorn? Verdammte er ihn nicht gemeinsam mit sich selbst?

Oder war er einfach so an dieses Leben gewöhnt, dass er sich nicht vorstellen konnte, dass es irgendwann enden könnte...

Wieso... wieso...
 

Er war müde, so müde. Er wollte nicht mehr atmen, er wollte nicht mehr denken, er wollte nicht mehr fühlen.

Er wollte nur einschlafen. Einschlafen und nie wieder aufwachen.

How Can You Mend A Broken Heart (Part I)

Was lange währt wird endlich gut…?

Hier kommt endlich die lang versprochene Fortsetzung meiner kleinen Fic. Es ist nicht so, dass ich die ganze Zeit gar nichts geschrieben hab. Eigentlich hab ich sogar sehr viel geschrieben. Die 16 Kapitel plus Epilog umfassen schon beinahe 100 Seiten. Aber leider ist nur wenig davon wirklich komplett ausformuliert und fertig. Deswegen dauert das auch immer so lange. Ich muss in der richtigen Stimmung sein und Ideen haben...
 

Ich habe dieses Kapitel in zwei Teile gesplittet weil ich gemerkt habe, dass es einfach viel zu umfangreich wurde.

Es ist sehr frei, aber es ist so geworden wie ich es haben wollte. Zumindest größtenteils.

Viel Spaß beim Lesen! =)
 

+++
 

Eragon seufzte erleichtert und lächelte, zum ersten Mal seit Tagen. Er ließ sich auf seinem Stuhl zurücksinken und merkte erst jetzt, wie verkrampft seine Haltung in den letzten Stunden gewesen war. So entspannt blieb er einen Moment sitzen. Die lauten und hektischen Stimmen um ihn herum verschwammen zu einem Klangteppich, der in seinem Kopf immer leiser und leiser wurde. Langsam atmete Eragon ein und aus und versuchte, innerlich zur Ruhe zu kommen.

Diese Übung machte er in letzter Zeit öfter. Und sie schien von Tag zu Tag nötiger zu werden. Die Zeiten änderten sich, wurden dunkler und dunkler. Innere Ruhe und kühle Gedanken waren jetzt wichtiger als je zuvor...
 

Er spürte eine Berührung an seinem Unterarm und schlug die Augen auf. Arya, welche die ganze Zeit neben ihm gesessen hatte, nickte ihm kurz zu und wandte sich wieder der Rednerin Nasuada zu, die wohl gerade aufgestanden war, um ihre Diskussion mit ein paar abschließenden Worten zu beenden. Nasuadas dunkle Augen waren dabei auf Eragon gerichtet. Ihr Blick war müde, aber auch entschlossen. Eragon beneidete sie nicht um ihre Position und die Verantwortung, die sie mit sich brachte. Sie schlief nie mehr als eine Handvoll Stunden pro Nacht, wenn überhaupt. Aber Eragon hatte es aufgegeben sich um sie zu sorgen. Sie wollte und brauchte keine Sorge, sondern Unterstützung und Vertrauen in ihre Fähigkeiten und Entscheidungen.
 

„Auch wenn es mir immer noch schwer fällt, zu glauben was du mir erzählt hast, wir sollten uns auf das schlimmste vorbereiten.“ sagte sie mit klarer Stimme. Zustimmendes Gemurmel kam von den anderen am Tisch. Eragon nickte, froh darüber, dass Nasuada zum selben Ergebnis gekommen war wie er. Auch wenn er sich gewünscht hätte, dass dies schneller geschehen wäre. Die endlosen Diskussionen hatten ihn fast wahnsinnig gemacht!

„Was werden wir tun?“ fragte er und warf einen forschenden Blick in die Runde. Die anderen Teilnehmer der kleinen Versammlung waren über Pläne und Karten gebeugt, kaum jemand sah ihn an. Alle schienen darauf zu warten, dass Nasuada ihre Entscheidung verkündete. Einen Moment lang fühlte er sich beinahe überflüssig. Er wusste, dass dieses Gefühl unbegründet war, eine einfache und dumme menschliche Schwäche. Dennoch spürte er von Zeit zu Zeit diesen Drang, aufzustehen und sich selbst das Gehör zu verschaffen, dass er seiner Meinung nach verdient hatte...!

Mühsam kämpfte er diese Gedanken nieder und versuchte, sich wieder auf Nasuadas Worte zu konzentrieren.

„Wir haben lange genug gewartet. In sieben Tagen werden wir vorrücken. Ich habe Nachricht von den Truppen in Gil'ead erhalten, sie werden auf dem Weg in die Hauptstadt zu uns stoßen. Gemeinsam werden wir Galbatorix direkt angreifen. Königin Islanzadi hat mir ihre volle Unterstützung zugesagt. Zusammen werden wir es schaffen. Wir werden diesem Krieg ein Ende setzen, ein für allemal.“

Die Überzeugung in ihrer Stimme überraschte Eragon. Aber sie freute ihn auch. Endlich war es soweit, endlich näherten die sich dem Ende ihrer Reise! Dieser Gedanke erfüllte ihn mit Erleichterung, mit Vorfreude, aber auch mit Anspannung und Angst.

Diesmal ging es um alles. Kein Training, keine endlosen Diskussionen, kein Warten mehr. Nein, dieser letzte Kampf würde anders sein. Größer, gewaltiger, blutiger, gefährlicher und schwerer als jede Schlacht zuvor würde er alles in den Schatten stellen, was Eragon bisher erlebt hatte.

Jetzt gab es kein Entrinnen mehr. Das Ende würde kommen, so oder so.

Und er würde in der ersten Reihe stehen und um sein Leben kämpfen.
 

~
 

Dunkelgraue Augen blickten ins Leere, bewegungslos verharrten sie, wie Teiche an einem nebligen Morgen im Herbst. Es fiel ihm schwer, in diese Augen zu blicken. Eine Leere und Kälte schien aus ihnen herauszutreten, kam auf ihn zu, nahm ihn gefangen. Gleichzeitig zogen sie ihn an, diese Augen, und ließen ihn in grauen Nebelschleiern versinken. Beinahe vergaß er selbst die Frage, die er ihm gestellt hatte, gerade eben, vor Minuten, vor Stunden… wann?
 

Der Nebel lichtete sich, fast konnte er die Sonne erahnen, die durch den Dunst brach. Das Grau richtete sich auf ihn.
 

„Ich bin schon immer alleine gewesen...“ sagte der andere leise.
 

Verwirrt dachte er einen Moment über diese Worte nach. Und über die Gefühle, die sie in ihm auslösten und die er nicht in Worte fassen konnte.
 

„Bis jetzt.“
 

Er wusste nicht mehr ob er diese Worte wirklich gehört hatte oder ob sie nur in seinem Kopf entstanden waren.
 

Die Sonne hatte den Nebel nun gänzlich vertrieben...
 

Eine amüsierte Stimme ganz in seiner Nähe riss ihn aus seinen Gedanken.

„Was sitzt du hier herum und grübelst? Das passt ja gar nicht zu dir!“

Eragon sah auf und blickte in ein vertrautes Gesicht.

„Angela!“

Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Er stand von der kniehohen Holzkiste auf, auf der er sich niedergelassen hatte, und strich seine Tunika glatt. Er verspürte einen kurzen Anflug von Schuld, denn eigentlich hatte ihn Nasuada gebeten, die Fortschritte der Arbeit der Bogenschützen zu begutachten. Jetzt, da ihr Plan feststand, herrschte im Lager geschäftige Betriebsamkeit. Truppen wurden aufgestellt, Aufgaben verteilt, Waffen geschärft. Die Männer und Frauen gingen entschlossen, aber ruhig und konzentriert ans Werk. Dennoch konnte man in den unzähligen Gesichtern Anspannung, und hin und wieder auch Angst, erkennen.
 

„Ich wusste nicht, dass du hier bist!“ sagte Eragon stotternd. Die Hexe lächelte nur.

„Du weißt doch, ich bin immer da wo ich sein sollte.“ Sie blickte ihn geheimnisvoll an. Eragon runzelte die Stirn.

„Und das ist ausgerechnet bei mir?“ Er grinste schief.

Sie nickte und betrachtete ihn von oben bis unten. Eragon verschränkte aus einem plötzlichen Reflex die Arme vor dem Körper und sah zur Seite. Er mochte es nicht, wenn sie ihn so ansah. So wie auch Arya es manchmal tat. Mit diesem Blick der ihn fürchten ließ, sie wüssten Dinge über ihn die der selbst nicht wusste...

Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen zwischen ihnen. Ein Schweigen, dass Eragon immer peinlicher wurde. Er zwang sich dazu, die Arme sinken zu lassen und Angela ins Gesicht zu sehen.

Dann kam ihm plötzlich ein Gedanke. Nein, eigentlich war der Gedanke schon die ganze Zeit da gewesen. Aber bisher hatte er sich geweigert, ihn an die Oberfläche treten zu lassen...

„Es gibt da etwas, bei dem ich Hilfe gebrauchen könnte...“ begann er zögernd.

Angela atmete einmal tief ein und aus und nickte.

„Na endlich. Ich dachte schon, du würdest nie fragen.“

Eragon schaute sie verwirrt an.

„Ich frage jetzt.“

„Ja, das tust du.“ pflichtete sie ihm bei. Dann trat sie einen Schritt zur Seite und machte eine einladende Handbewegung.

„Wir sollten uns einen ruhigeren Platz zum reden suchen.“

Eragon konnte nur nicken und folgte der Hexe stumm über den Zeltplatz. Angela ging zügig und zielstrebig in Richtung der Lagerzelte, eine der Ecken des riesigen Geländes, die wenigstens nachts ruhig waren. Aus diesem Grund hatte auch Eragon sich hier einen Platz für sein Quartier gesucht.

Nachdenklich betrachtete er die Hexe. Wieder einmal hatte er das Gefühl, dass sie schon genau wusste, was er fragen und sie antworten würde. Dabei hatte er doch selbst bis vor wenigen Minuten noch nicht gewusst, dass er mit ihr sprechen würde! Wie konnte sie es dann wissen?

Wieder einmal wurde ihm klar, dass er im Grunde nichts über Angela wusste. Und wenn es nach ihr ginge, würde sich das wohl auch so schnell nicht ändern.
 

Nach einigen Minuten, endlosen Biegungen und verwirrenden Abkürzungen zwischen scheinbar endlosen Zeltreihen erreichten sie schließlich ihr Ziel, ein recht großes, rundes und ziemlich buntes Zelt. Inmitten der ansonsten grauen oder schmutzig braunen Lagerzelte wirkte es ziemlich fehl am Platze. Aber das überraschte Eragon nicht wirklich. Alles an der geheimnisvollen Hexe wirkte fremd und seltsam unpassend in dieser Umgebung. Doch sie schien es entweder nicht zu merken oder schlicht als gegeben zu akzeptieren, fast schon zu genießen. Eragon beschloss, nicht länger darüber nachzudenken. Er war sicher, dass er darüber nur Kopfschmerzen bekommen würde. Der Gedanke ließ in grinsen.
 

Als er nach ihr in ihr Quartier eintrat, hatte er das Gefühl einen Wald zu betreten.

Es gab beinahe keinen Fleck in dem kleinen Raum, der nicht von irgendwelchen Pflanzen eingenommen wurde. Manche waren klein und zu Dutzenden in Schalen und Töpfen untergebracht. Andere reichten vom Boden bis unter die Decke und verdeckten mit ihren Blättern fast den gesamten bunten Stoffhimmel. Eragon fragte sich einen Moment lang, wie Angela diese Menge an Grün wohl hierher transportiert hatte. Doch dann erinnerte er sich an seinen Entschluss und verwarf den Gedanken.

Verschiedenste Gerüche lagen in der Luft, einige lieblich und süß, andere scharf und unangenehm. Dabei war es unmöglich festzustellen, welcher Geruch woher kam.

Ich frage mich, wie sie hier schlafen kann... sandte er nachdenklich an Saphira. Er konnte einfach nicht anders. Jede Ecke, jeder Gegenstand, jeder Geruch weckte Fragen und verlangte nach Erklärungen. Es fiel ihm schwer, sich dabei auf sein eigentliches Anliegen zu konzentrieren.

Saphira antwortete mit einem Glucksen in seinen Gedanken.
 

„Nimm Platz.“ sagte Angela und deutete auf den Boden, auf dem verschiedene Kissen verteilt waren. Eragon ließ sich nach kurzem Zögern auf einem davon nieder.

„Also,“ begann sie dann und sah ihn fröhlich an. „Du wolltest mit mir reden. Nun denn, ich höre zu. Womit kann ich dir helfen?“

„Äh...“ Eragon stockte. Er hatte damit gerechnet, dass sie das Thema anschneiden würde und er bloß antworten müsste. Das wäre ihm auch viel lieber gewesen, denn er hatte keine Ahnung, wie und womit er anfangen sollte. Sein Anliegen kam ihm plötzlich furchtbar dumm vor. Wie konnte er in dieser Situation, an dieser Stelle, auch nur in Betracht ziehen, mit irgendjemanden darüber zu sprechen? Oder gar Hilfe zu erbitten?!
 

Eragon fuhr erschrocken zusammen, als Angela plötzlich in die Hände klatschte und sich erhob.

„Also gut, genug davon. Ich werde uns etwas Tee holen. Ich habe da eine ganz besondere Mischung. Sie lockerte schon so manchem die Zunge.“ Mit einem Augenzwinkern verschwand sie irgendwo hinter Pflanzen und Regalen. Eragon hörte sie mit Dosen, Kannen und Tassen hantieren. Kurze Zeit später kam sie zurück und stellt ein Tablett mit einer kleinen Kanne und zwei Bechern vor Eragon ab. Dann ließ sie sich wieder auf ihrem Kissen nieder und goss ihnen beiden aus der kleinen, bauchigen Kanne ein. Eragon sah verwundert auf die himmelblaue Flüssigkeit in dem hellen Becher. Sie erinnerte ihn ein wenig an die Farbe der Schuppen von Saphira.

„Was ist das?“ fragte er unsicher. Noch nie zuvor hatte er einen Tee in dieser ungewöhnlichen Farbe gesehen.

Auf Angelas Gesicht erschien ein breites Lächeln: „Ich könnte es dir erklären. Allerdings säßen wir dann wohl noch morgen hier. Ich kann dir aber sagen, dass es sich um eine sehr seltene Mischung aus einem weit entfernten Land handelt. Sehr schwer zu bekommen. Aber überaus bekömmlich.“

Wie zur Bestätigung griff sie nach ihrem Becher und trank einen Schluck.

„Ahhh... wunderbar. Ein Jammer, dass ich nur noch so wenig davon habe.“ murmelte sie genüsslich.

Eragon hörte ein ungeduldiges Schnauben in seinen Gedanken. Schuldbewusst beugte er sich nach vorne und griff nach seinem Becher. Die merkwürdig leuchtende Flüssigkeit erschien ihm noch immer sehr seltsam, aber aus Höflichkeit beschloss er, wenigstens einmal daran zu nippen.

Zögernd führte er den Becher an die Lippen und nahm einen Schluck. Ein seltsam fremder aber überraschend guter Geschmack breitete sich in seinem Mund aus. Er versuchte, ihn mit etwas zu vergleichen was er kannte, aber es gelang ihm nicht. Der Tee schien sauer, süß, bitter, scharf, alles auf einmal und doch keins davon zu sein.

„Gut, was?“ meinte Angela lachend. Eragon nickte und trank den Rest des Gebräus mit einem Zug leer. Ein angenehm warmes Gefühl breitete sich langsam in seinem Körper und in seinem Kopf aus.

„Jetzt können wir reden.“ sagte Angela dann und schaute ihn erwartungsvoll an.
 

Eragon senkte den Blick und starrte auf die kunstvoll bemalte Teekanne zwischen ihnen. Noch immer war er unsicher, ob er wirklich mit ihr darüber reden sollte, aber das Gefühl war längst nicht mehr so stark wie noch vor wenigen Momenten. Ob das wohl von dem geheimnisvollen Tee kam?

„Also gut... es geht um... ich komme wegen meinem... es ist wegen Murtagh...“

Seine Stimme war immer leiser geworden und schließlich brach er ganz ab. Er verspürte die absurde Angst, belauscht zu werden und warf einen schnellen Blick zum Eingang des Zeltes. Dort regte sich jedoch nichts. Dennoch... was würden die anderen, würden Arya oder Nasuada wohl tun, wenn sie wüssten was er hier tat? Wo er mit seinen Gedanken war, wo sie doch vor der größten Schlacht ihres Lebens standen?

Unsicher hob er den Blick und blickte in Angelas unergründliche schwarze Augen. Er erwartete Protest, eine Standpauke, doch sein Gegenüber sah ihn nur ruhig an.

„Es fällt dir schwer, darüber zu reden, oder?“ fragte sie langsam. Eragon nickte. Ein plötzliches Gefühl von Erleichterung breitete sich in ihm aus. Er konnte es nicht erklären, aber Angelas ruhige Worte und ihr Blick, in dem keinerlei Ablehnung lag, beruhigten ihn auf eine seltsame Weise.

Angela seufzte und sah ihn lange an. In ihrem Blick lagen Verständnis und Mitleid.

„Ich bewundere deine Loyalität, Eragon, und deinen Mut. Das tue ich wirklich. Aber du weißt, was er tun muss. Und er weiß es auch. Das ist ein Weg, den er nur alleine gehen kann.“

Eragon seufzte resigniert. Er wusste das alles! Und er hatte so sehr gehofft, dass sie ihm etwas anderes sagen würde...

„Gibt es denn nichts...“ begann er zögernd. „Gibt es nichts, was ich tun kann?“ Seine Gedanken in Worte zu fassen, sie auszusprechen, machten sie realer als Eragon es wollte. Und diese ganze Situation, Murtaghs ganze Situation, kam ihm plötzlich ausweglos vor. Angela hatte recht, er hatte Murtagh gesagt was er tun musste um sich aus den Fängen des Königs zu befreien. Dass er versuchen musste, seinen wahren Namen zu ändern, sein Wesen, sich selbst. Doch das war leichter gesagt als getan, so viel leichter. Seinen wahren Namen zu verändern bedeutete zu verändern wer man war. Und der erste Schritt auf dem Weg dorthin war, sich selbst zu erkennen. Mit allen Stärken, allen Fähigkeiten, aber auch mit allen Schwächen und mit allen Fehlern. Es war ein schwerer, furchtbarer Weg. Und niemand konnte sagen, dass es am Ende wirklich gelingen würde. Murtagh hatte gezweifelt. Und Eragon konnte ihm deswegen nicht einmal wirklich böse sein. Ihm selbst war es erst einmal gelungen, den wahren Namen eines Menschen zu erkennen. Und es war eine einschneidende Erfahrung gewesen, die er so am liebsten nie wieder erleben würde. Es war grausam, falsch und niemand sollte gezwungen sein, das erleben zu müssen. Oder es gar selbst tun zu müssen.

Seinen wahren Namen zu erkennen und ihn dann zu ändern war Murtaghs einzige Chance. Eragon wünschte sich so sehr, dass es seinem Bruder gelang. Gleichzeitig wünschte er sich aber auch, dass es einen anderen, einfacheren Weg gäbe. Denn wer konnte sagen, dass es funktionierte? Wer konnte sagen, dass Murtagh danach wirklich frei war? Dass Galbatorix ihn nicht sofort wieder unterwerfen würde?

Und wer konnte sagen, dass er danach immer noch er war?
 

„Du kannst ihm nicht helfen, Eragon.“

Angelas ruhige Stimme riss ihn aus seinen Gedanken.

„Und wieso willst du es überhaupt versuchen?“ fuhrt sie fort. „Er hat dich belogen, dich verraten. Er ist auf der Seite deiner Feinde, er ist der größte und wichtigste Krieger in Galbatorix' Diensten und das wohl größte Hindernis auf deinem Weg zum Sieg. Er hat versucht dich zu entführen, versucht dich zu töten. Wieso also willst du ihm immer noch helfen?“

„Wieso? Was soll die Frage, ich...“ Eragon stockte und sah Angela hilfesuchend an. Doch die Hexe schwieg und sah ihn nur wartend an. Eragon spürte, wie sein Mund trocken wurde. Es tat weh, diese Worte zu hören, so direkt, so wahr. Murtagh war sein Feind. Ein Hindernis auf dem Weg zur Erfüllung seiner Mission. Und er hatte schreckliche Dinge getan. Dinge, die selbst Eragon ihm nie würde verzeihen können. Und er wusste, würde es seinem Bruder nicht gelingen sich aus den Fängen des Königs zu befreien, es würde auf den Tod von einem von ihnen hinauslaufen.

Dennoch, hinter all dem Hass, hinter all den Lügen und der Gewalt, gab es auch noch etwas anderes. Zumindest war es früher einmal da gewesen. Damals, als sie noch auf einer Seite gestanden hatten, Schulter an Schulter in den Kampf gezogen waren, einem gemeinsamen Feind entgegen, den Sieg vor Augen und Hoffnung im Herzen. Es war nur eine kurze Zeit gewesen, ein flüchtiger Moment im Angesicht des allumfassenden Wahnsinns ihrer Welt, dennoch klammerte sich etwas in Eragon an diese Erinnerungen wie ein Ertrinkender an einen Fels in einem reißenden Fluss.
 

„Du hast recht, “ begann Eragon langsam. Es fiel ihm schwer, seine Gedanken in Worte zu fassen. „Er ist mein... unser Feind. Und er hat uns hintergangen. Aber da ist auch noch eine andere Seite. Er hat... er hätte so viele Gelegenheiten gehabt mich gefangen zu nehmen, oder mich zu töten!“ Jetzt sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus und seine Stimme wurde immer lauter: „Er hätte es tun können, aber er hat es nicht getan! Er hat mich gehen lassen! Er mag Galbatorix' Diener sein, aber ich glaube... nein, ich weiß, dass noch etwas Gutes in ihm steckt! Ich hab es gesehen! Und vielleicht ist es immer noch dort.“

So schnell wie die Worte gekommen waren, verschwanden sie auch wieder. Eine seltsame Kälte breitete sich in Eragon aus.

„Er kann das nicht alleine tun. Er braucht meine Hilfe.“

Er hatte lange gebraucht um das zu erkennen. Viel zu lange, wie ihm jetzt schmerzvoll bewusst wurde. Wenn er früher reagiert hätte, hätte er seinem Bruder möglicherweise viel Leid ersparen können...
 

Unsicher blickte Eragon in das Gesicht der dunkelhaarigen Frau vor ihm, die ihn mit einem nachdenklichen Ausdruck musterte. Und wie immer war es Eragon auch dieses Mal nicht möglich zu erkennen, was in ihr vorging. Dann nickte sie plötzlich und ein seltsames Lächeln erschien auf ihrem dunklen Gesicht. Eragon wusste nicht was es war, was sie überzeugt hatte, aber irgendwie hatte er es wohl geschafft. Erleichterung durchströmte ihn und nährte die stumme Hoffnung in seinem Inneren.

Angela holte tief Luft, sprach aber nicht sofort. Sie schien zu überlegen, nach den richtigen Worten zu suchen. Eragon versuchte, sich in Geduld zu üben, auch wenn er sich so aufgewühlt fühlte wie schon lange nicht mehr.

„Jemanden zu befreien, der von einem anderen psychisch und physisch kontrolliert wird, ist beinahe unmöglich,“ begann sie schließlich. „Die Stärke, der Wille sich zu befreien, muss aus dem eigenen Inneren kommen, wie du bereits festgestellt hast. Ein Außenstehender hat nahezu keine Möglichkeit, in diese Verbindung einzugreifen. Allerdings...“ Sie zögerte plötzlich und runzelte die Stirn. Eragon versteifte sich und spürte wie sein Herz zu rasen begann. Hatte sie es sich im letzten Moment doch anders überlegt? Würde sie ihn jetzt, wo er so kurz vor seinem Ziel zu sein schien, doch im Stich lassen?

Doch Angela hatte nichts dergleichen im Sinn, sondern sprach nach einer kurzen Pause weiter, wenn auch deutlich leiser als zuvor: „Allerdings gibt es Mittel und Wege, gewisse Dinge zu... vereinfachen, wenn man es so sagen will. Obwohl es das nicht einmal ansatzweise ausdrückt.“ Ein schiefes Grinsen umspielte ihre Lippen. Eragon biss sich auf die Lippen um nicht mit all den Fragen herauszuplatzen, die in diesem Moment durch seinen Kopf rasten. Er ballte die Hände zu Fäusten und versuchte, ruhig und gefasst auszusehen, auch wenn er am liebsten aufgesprungen wäre um sie zu schütteln und anzuschreien, damit sie nur endlich weitersprach...!

Seine jämmerlichen Versuche schienen allerdings kläglich zu scheitern, denn plötzlich spürte er eine Hand auf seinem Knie und blickte in nun warm lächelnde Augen.

„Es tut mir leid, Eragon. Ich verstehe, dass du ungeduldig bist. Und ich wünschte ich könnte dir so helfen wie du es dir erhoffst. Aber das kann ich nicht und das muss dir klar sein. Das was ich dir bieten kann, ist allenfalls eine vage Idee. Sie kann dir helfen, sie kann sich aber auch von einem Moment auf den anderen wie eine Seifenblase in Nichts auflösen.“

Wieder verfiel die Hexe in Schweigen und stellte die Geduld des jungen Reiters erneut auf eine harte Probe. Ihre vorsichtigen Worte hatten einen Unterton, der ihm nicht gefiel. Zuviele Zweifel, zuviel vielleicht, steckte in ihnen.

„Das was ich dir nun sage, ist alleine für deine Ohren bestimmt. Ich kann dir nicht verbieten darüber zu sprechen, aber ich bitte dich, es nicht zu tun. Es würde nur zu... Aufruhr führen.“

„Ja, natürlich!“ nickte Eragon hastig. „Ich kann es dir schwören, wenn du es willst! Vel ei...“

Weiter kam er nicht, denn Angela beugte sich nach vorne und legte ihm ihren Zeigefinger auf die Lippen.

„Das musst du nicht. Ich vertraue darauf, dass du das Richtige tust, Eragon.“

Eragon nickte stumm und sie lehnte sich wieder zurück.

Wieder vergingen einige Minuten voller Schweigen.

„Es ist ein Zauber,“ sagte Angela dann. „Ein Zauber und gleichzeitig keiner. Es ist eine Art Kraft, die, einmal freigesetzt, eine enorme Macht entwickeln kann.“

Ein seltsames Glänzen schlich sich in ihre Augen. Derselbe Blick wie kurz zuvor, als würde sie etwas sehen was für seine Augen unsichtbar war.

„Mit den richtigen Worten ist es möglich, diese Kraft zu lenken. Auf diese Weise könnte sie zum Beispiel dazu genutzt werden, dich vor denen zu verbergen, die in deinen Geist eindringen und deine Gedankenwelt kontrollieren wollen.“

„Wie funktioniert das?“ platzte Eragon heraus. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Zum einen war da diese beinahe schon verzweifelte Hoffnung auf eine Form von Rettung. Zum anderen waren da die nagenden Zweifel die er einfach nicht verdrängen konnte. Zweifel die zu Fragen führten, die er nicht beantworten konnte. Wie konnte es sein, dass es eine derartige Form von Macht gab und er nichts davon wusste? Niemand hatte sie je auch nur erwähnt, weder Brom noch Oromis, noch Arya, niemand! Und er konnte nicht glauben dass sie alle nichts davon wussten. War es weil er so jung war? Weil er seine Ausbildung nie vervollkommnen konnte, nun, da er keinen Lehrer mehr hatte? Oder hatten sie es ihm womöglich verschwiegen weil sie nicht wollten, dass er sie auf diese Weise nutzen würde...?

Eragon schüttelte die quälenden Gedanken ab und versuchte, sich auf das zu konzentrieren was Angela gesagt hatte. Diese Kraft, was immer sie auch war, konnte einen Menschen verstecken, seine Gedanken verbergen und ihn so befreien.

Plötzlich erinnerte er sich an das Amulett, dass ihm das Clanoberhaupt Gannel einst geschenkt hatte und welches ihn vor einem Eindringen fremder Mächte in seine Träume schützen sollte. Er erzählte Angela davon, doch die schüttelte den Kopf.

„Nein. Dieser Zauber ist anders. Und sehr viel mächtiger. Er kann dich nicht nur vor der Traumsicht verbergen, sondern von jeglichem Einfluss. Er macht dich gewissermaßen unsichtbar.“

Eragon sah sie staunend an.

„Wie ist das möglich?“ fragte er flüsternd.

Angela hob abwehrend die Hände: „Es ist keinesfalls so einfach wie es klingt. Leider. Denn in diesem Fall wäre das Wissen um die Möglichkeiten dieser Macht wohl nicht derart in Vergessenheit geraten.“

Eragon nickte verstehend.

„Nein, es gibt gute Gründe dafür, dass diese Macht so selten genutzt wird. Wieso das Wissen verborgen und vergessen wird,“ fuhr Angela fort. „Zum einen haben nur die wenigsten überhaupt die Möglichkeit, sie zu nutzen. Wenn man erst einmal der Macht eines anderen Menschen unterworfen ist, ist es schwierig bis unmöglich, sich weit genug davon zu befreien um einen Zauber von dieser Tragweite aussprechen zu können. Denn diesen Schritt kann dir dieser Zauber nicht abnehmen. Er kann dir helfen, aber ob du dich wirklich befreien kannst hängt alleine von dir ab.“

Eragon schluckte. Doch Angela fuhr unbarmherzig vor.

„Und zum anderen wirkt diese Magie anders als die Zauber die du kennst. Einmal ausgesprochen nimmt er dir nicht nur die Energie deines Körpers. Er nimmt dir deinen Geist, deine Gedanken, deine Erinnerungen. Dieser Zauber ernährt sich von deiner Seele. Und wenn du zu lange wartest oder es dir nicht gelingt dich völlig zu befreien, verschlingt er alles was du bist, bis nichts mehr übrig bleibt außer einer leeren Hülle.“

Eragon riss überrascht die Augen auf.

„Davon habe ich noch nie gehört! Ich habe geglaubt, dass ein zu starker Zauber den, der ihn ausspricht, tötet!“

„Ja,“ nickte Angela. „So ist es für gewöhnlich auch. Aber nicht in diesem Fall,“ Ein ungewöhnlicher Ernst schlich sich in ihren Blick: „Und ich denke, dass der langsame Verlust der eigenen Seele schlimmer ist als jeder noch so schmerzvolle Tod. Du verlierst alles was dich ausmacht, alles was du bist. Und du kannst nichts dagegen tun, nur zusehen wie du dich langsam aber sicher in etwas geistloses, leeres verwandelst...“

Eragon schaute zu Boden und ließ sich ihre Worte durch den Kopf gehen. Seine Zuversicht sank immer mehr.

„Das klingt ziemlich...“ begann er dann.

„Gefährlich?“ Angela lachte auf. „Ja, das ist es. Aber ich habe nie gesagt, dass es einfach wird, oder?“

Eragon schwieg betreten. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Diese neue Möglichkeit weckte Hoffnung, aber auch Angst. Plötzlich gab es tausend Dinge die er sagen, tausend Fragen, die er stellen wollte. Fieberhaft versuchte er, das Für und Wider dieses Gedankens zu betrachten. Es schien eine Handvoll Gründe dafür zu geben. Und tausende dagegen. Er könnte Murtagh helfen, ihm womöglich das Leben retten. Aber genauso könnte er sein Untergang herbeiführen und irgendwann die Schuld daran tragen, dass seinen Bruder ein schlimmeres Schicksal als der Tod ereilte. Konnte er das tun? Hatte er das Recht dazu?

Nagende Zweifel schienen sich wie Dornen in seinen Geist zu bohren. Noch war es nicht zu spät. Vielleicht schaffte Murtagh es ja auch ohne seine Hilfe. Und vielleicht wollte er seine Hilfe ja gar nicht.

Und wenn nicht? fragte eine leise Stimme in seinem Kopf. Was, wenn er in diesem Kampf das Zünglein an der Waage sein könnte? Derjenige, der die Entscheidung herbeiführte?

Und was würde er tun wenn er scheiterte, wenn sie beide scheiterten? Könnte es nicht sogar so am besten sein, so wie es war? Murtagh wäre ein Sklave, möglicherweise noch eine lange Zeit. Aber er würde leben...!

Eragon, hör auf damit. Saphira sprach sanft, doch Eragon entging die Spannung in ihrer Stimme trotzdem nicht. Ein dumpfer Schmerz breitete sich in seinem Kopf aus. Und so schwer es ihm auch fiel, er musste zugeben, dass er keine Ahnung hatte was er tun sollte. Er hatte die Lösung vor sich, konnte sie deutlich sehen, aber er hatte gleichzeitig furchtbare Angst vor dem was passieren könnte. Und er fühlte sich so alleine wie schon lange nicht mehr...
 

„Ich... ich weiß nicht ob ich das tun kann.“ Die Worte rutschten Eragon einfach so heraus. Sofort biss er sich auf die Lippen, doch es war zu spät.

Angela jedoch nickte nur auf die ihr eigene Art und zeigte ihm damit wieder einmal, dass sie ihn wohl besser verstand als irgendjemand sonst. Besser als er selbst.

„Ich verstehe deine Gefühle, deine Zweifel, Eragon. Aber das ist leider alles, was ich dir anbieten kann.“

Eragon schaute sie unglücklich an.

„Dieser Zauber kann Murtagh Zeit geben, nicht mehr,“ fuhr sie fort. „Aber vielleicht ist genau das die Zeit die er braucht, sich selbst zu befreien.“

Angela beobachtete ihn eine Weile, doch Eragon fiel nichts ein was er antworten könnte. Schließlich streckte sie erneut eine Hand aus und legte sie tröstend auf seinen Unterarm.

„Ich verstehe dich, Eragon, wirklich. Und aus diesem Grund sorge ich mich um dich. Du darfst nicht all deine Hoffnungen in diesen Zauber setzen. Oder in ihn. Er ist nicht mehr der Mann den du kanntest. Seine Gedanken wurden verpestet, sein Wille gebrochen. Und selbst wenn es ihm gelingt seine Fesseln abzustreifen wird er vielleicht nie wieder der sein den du dir erhoffst.“ Angela lächelte traurig.

„Ich überlasse dir die Entscheidung, ob du es tun willst oder nicht. Denk darüber nach.“
 

Ihre letzten Worte fegten schließlich all seine Zweifel fort und er antwortete sofort: „Was müssen wir tun?“

Angela lächelte.

„Nun, das führt mich zum schwierigen Teil. Eigentlich müsste ich direkt vor ihm stehen und die Worte persönlich aussprechen. Aber dazu wird es wohl nicht kommen. Und außerdem bin ich nicht so verrückt, mich einem Drachenreiter in den Weg zu stellen.“

Jetzt lachte sie, doch Eragon konnte ihre Freude nicht ansatzweise teilen.

„Kann ich das nicht tun?“ fragte er stattdessen. „Ich bin wohl der einzige, der nahe genug an ihn herankommt, um...“

Angelas erneutes Auflachen unterbrach ihn.

„Nein. Ich werde dich diese Worte nicht lehren, Eragon. Sie sind zu mächtig für einen so jungen Reiter.“

Eragon schwieg verletzt.

„Bitte verzeih mir, Eragon,“ fuhr sie versöhnlicher fort. „Sei versichert, ich tue das nicht um dir wehzutun. Aber mein Wissen verleiht mir eine große Macht und bringt damit auch eine Verantwortung mit sich. Und auch wenn ich dich schätze und deinen Fähigkeiten vertraue, ich kann und werde dir diese Bürde nicht auferlegen.“

Eragon senkte den Blick und brütete vor sich hin. Es fiel ihm schwer, seine Verzweiflung und seine aufkeimende Wut zu unterdrücken. Er wusste, dass er ihr unrecht tat, immerhin hatte sie ihm ihre Hilfe angeboten, was alleine schon mehr war als er sich je erhofft hatte. Dennoch, das Gefühl, so kurz vor dem Ziel noch zu scheitern war beinahe mehr als er ertragen konnte...
 

„Und pass auf mein Kissen auf, es war ziemlich teuer, es wäre ein Jammer es zu verlieren.“ unterbrach sie seine trüben Gedanken. Eragon blickte sie verständnislos an, dann schaute er nach unten und erschrak. Vor lauter Ungeduld und Anspannung hatte er angefangen, die langen goldenen Zotteln, die das Kissen zierten auf dem er saß, herauszureißen. Mittlerweile hatte sich auf diese Weise ein kleiner goldener Haufen neben ihm gebildet. Hastig zog er die Hand zurück.

„Tut mir leid.“

„Schon gut.“ lachte Angela amüsiert.

Eragon schwieg betreten. Angela griff nach der Kanne und goss sich mehr Tee in ihre Tasse.

„Im Übrigen habe ich nicht ganz die Wahrheit gesagt.“

Eragon sah sie fragend an.

„Das Kissen,“ sagte sie und deutete in seine Richtung. „Ich habe es gar nicht gekauft, sondern gewonnen.“

„Aha.“ antwortete Eragon verwirrt. Es gab nicht viel was ihn im Moment weniger interessierte als ein Kissen...

Angela seufzte: “Ich sehe schon, du bist heute kein besonders unterhaltsamer Gast.“

„Tut mir leid,“ sagte Eragon erneut. „Es ist... mir geht ziemlich viel im Kopf herum.“

Angela stieß ein Kichern aus, ein Geräusch, dass aus ihrem Mund ziemlich seltsam klang.

„Es gibt noch eine andere Möglichkeit,“ sagte sie dann. „Ich könnte versuchen, die Worte in einen Gegenstand zu bannen.“

Eragon legte den Kopf schief, wieder einmal überrascht von ihren plötzlichen Themenwechseln.

„Und das würde funktionieren?“ fragte er unsicher.

„Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht,“ gab Angela zu. „Ich habe es noch nie versucht.“

Eragon breitete die Hände aus.

„Dann versuchen wir es doch jetzt! Ich werde dir dabei helfen, sag mir was ich tun muss!“

„Langsam, langsam,“ sagte Angela und lächelte. „So einfach ist es nun auch wieder nicht. Ich habe eine Idee, wie ich es tun kann. Und ich könnte tatsächlich deine Hilfe brauchen. Aber zuvor brauche ich eine Verbindung zu ihm. Einen Gegenstand, irgendetwas, worin sein Geist seine Spuren hinterlassen hat, irgendwas, in dem ich ihn erkennen kann.“

Eragon runzelte die Stirn und dachte angestrengt nach. Hatte er irgendetwas, was sein Bruder einmal besessen hatte? Hatte er irgendetwas, was er einmal in den Händen gehalten hatte? Zu dem er irgendeine Form von Verbindung gehabt hatte...?

Eragon, meldete sich Saphira in seinem Kopf zu Wort. Das Schwert.

Eragons Augen weiteten sich vor Überraschung. Wie hatte er das vergessen können?!

„Ich habe etwas,“ rief er aus und war schon halb auf den Beinen. „Warte, ich... ich werde es holen!“

Er war so aufgeregt, dass er Angelas verdutztes Gesicht gar nicht bemerkte. Ohne noch ein Wort zu sagen drehte er sich um und lief aus dem Zelt.
 

~
 

Er flog beinahe über den Zeltplatz, nahm nichts um sich herum wahr, rannte nur, sein Ziel fest vor Augen. Endlich hatte er Hoffnung, endlich sah er eine Lösung vor sich.

Und er würde alles tun, um sie zu verwirklichen...
 

Wenige Minuten später kehrte er zurück, keuchend, schweißgebadet, mit dem Gegenstand seiner stummen Hoffnungen in den Händen.

Er ließ sich Angela gegenüber nieder und legte das längliche Bündel auf seinen Knien ab. Dann löste er langsam das Band, welches den Stoff um das Breitschwert zusammen hielt. Übertrieben vorsichtig wickelte er die Klinge aus. Die feuchte Luft hatte sie stumpf werden lassen, er konnte sein eigenes Spiegelbild nur noch schemenhaft auf dem Metall erkennen.
 

Er sah auf und blickte in tiefe, unergründliche Augen.

Angela hatte ihn die ganze Zeit über schweigend beobachtet. Und plötzlich fühlte er sich schrecklich unwohl unter ihrem wissenden Blick. Als lägen all seine Gedanken vor ihr ausgebreitet, nackt und ungeschützt. Und wieder hatte er das Gefühl, dass sie mehr über ihn wusste als er selbst.

Sie streckte die Hand aus und griff nach dem Schwert. Sie wog es in der Hand, prüfend, strich mit langen Fingern langsam über die zerfurchte Klinge. Die ganze Zeit über sprach sie kein Wort, fragte ihn nicht, woher er die Klinge hatte oder wieso er sie in seinem Zelt aufbewahrt hatte.

Dann, nach einer scheinbaren Ewigkeit, nickte sie und legte die Klinge auf ihren Knien ab.

„Ich denke, das wird gehen.“
 

Eragon sank in sich zusammen, mit einem Gefühl so tiefer Erleichterung wie er es nur selten in seinem Leben empfunden hatte. Er hatte eine Lösung gefunden! Und ein Teil von ihr hatte die ganze Zeit ganz in seiner Nähe gelegen! Seltsame Gedanken von Schicksal und Vorbestimmung kamen ihm plötzlich. War es Schicksal, dass Murtagh Zar’roc genommen hatte und Eragon dafür sein eigenes Schwert hinterlassen hatte?

Eragon wusste es nicht. Aber ob es nun so war oder nicht, er war unendlich dankbar dafür.
 

Was nun folgte war eine Reihe seltsamer Prozeduren, von denen Eragon nur wenig verstand und Angela ihm noch weniger erklärte.

Mit leiser Stimme murmelte sie vor sich hin, mal verständlich, mal in der Alten Sprache und mal in Worten die Eragon noch nie in seinem Leben gehört hatte. Er versuchte, sie sich zu merken, scheiterte aber sehr bald und ging dazu über, die dunkelhaarige Frau stumm zu beobachten und darauf zu warten, dass sie ihm sagte was er zu tun hatte.

Irgendwann nahm sie seine Hände, legte sie auf die stumpfe Klinge zwischen ihnen und ihre darüber. Eragon konnte die Energie spüren die von ihrer Haut abstrahlte und seine Finger kribbeln ließ. Angela hob den Blick und sah ihn an. Dann sprach sie weitere Worte, diesmal laut und direkt in sein Gesicht und plötzlich spürte Eragon, wie auch aus seinem Körper die Energie herausströmte. Er verkrampfte sich und versuchte automatisch, den Strom zu stoppen, doch Angela schüttelte heftig den Kopf. Und so ließ er zu, dass die Kraft weiter aus ihm herausströmte und seine Augen und seine Glieder langsam schwerer und schwerer wurden. In seinem Kopf hallten die Worte der Hexe wider. Ein ferner Teil seines Verstandes schien zu verstehen was sie sagte, doch diese Gedanken drangen nicht zu ihm durch.
 

Nach einer gefühlten Ewigkeit ließ Angela ihn los und Eragon richtete sich müde auf. Die Hexe schien von der seltsamen Magie in keiner Weise mitgenommen worden zu sein, denn sie stand geschwind auf und verschwand hinter Regalen. Bald darauf kehrte sie zurück, in ihrer linken Hand einen kleinen Gegenstand, den Eragon bald als Anhänger an einem dünnen Lederband erkannte.

„Jetzt kommen wir zum schwierigen Teil.“ sagte sie dann und Eragon starrte sie entsetzt an. Wenn jetzt der schwierige Teil kam, was war dann das gerade gewesen...?!

Doch die Hexe ignorierte ihn, ließ sich wieder ihm gegenüber nieder und konzentrierte sich voll auf ihre Aufgabe. Noch immer sprach sie vor sich hin, doch ihre Stimme wurde langsam immer lauter, als wäre sie wütend über irgendetwas. Eragon hätte sie gerne gefragt was das zu bedeuten hatte, doch er wagte es nicht, sie zu unterbrechen.

Irgendwann hob Angela die linke Hand und ließ das kleine Amulett zwischen ihnen in der Luft baumeln. Sie verzog das Gesicht, als sei sie über irgendetwas furchtbar sauer und stieß sogar einen leisen Fluch aus. Eragon starrte wie hypnotisiert auf den kleinen Anhänger vor sich, wartete darauf, dass irgendetwas passierte. Doch es tat sich nichts. Er öffnete den Mund, wollte gerade etwas sagen, als Angela die andere Hand hob und ihn so zum Schweigen brachte. Erneut umschloss die den Anhänger mit der linken Hand, dann legte sie auch die andere darum und schloss die Augen. Als sie wieder zu sprechen begann, bewegten sich ihre Lippen kaum und machten es Eragon unmöglich, auch nur ein einziges Wort zu verstehen. Schweißperlen erschienen auf ihrer dunklen Stirn und ihr Griff um die Kette wurde immer verkrampfter.
 

Dann, irgendwann, öffnete sie die Hände und ließ den Anhänger auf das Kissen vor sich fallen. Sie schlug die Augen auf und schaute auf den kleinen Stein, als würde sie ihn gerade zum ersten Mal sehen.

Eragon hielt es nicht mehr aus.

„Und...?“ fragte er vorsichtig. „Hast du... hat es geklappt...?“

Angela blickte auf und sah ihn an, lange, schweigend.

„Ich weiß es nicht.“ sagte sie dann und ihre Stimme klang heiser.

Sie schaute auf die Kette hinab als wagte sie es nicht, sie zu berühren.

„Ich habe es versucht. Aber es ist schwierig. Sehr schwierig,“ sie schaute ihn ernst an. „Ob es wirklich funktioniert hat, werden wir erst sehen wenn du ihm das gegeben hast.“ Sie hob die Kette auf und reichte sie ihm. Eragon blickte einige Momente unschlüssig zwischen ihr und der Kette hin und her, doch schließlich griff er nach dem Anhänger und betrachtete ihn eingehend.

„Und damit...“ begann er unsicher.

„Damit könnte er sich befreien. Wenn das sein Wunsch ist.“ beendete Angela seinen Satz.

Eragon befühlte den Stein. Er war warm von Angelas Händen. Sonst konnte er nichts feststellen.

„Die Magie wird sich alleine ihm offenbaren. Wenn er es will.“ erriet Angela seine fragenden Gedanken. Dann beugte sie sich nach vorne und schloss Eragons Hände um die Kette.

„Gib ihm das wenn du ihm das nächste Mal gegenüberstehst. Sag ihm was er tun muss. Aber bitte...“ sie suchte seinen Blick. „Bitte denke daran: es kann nur die retten, die auch gerettet werden wollen. Und wenn er es nicht will, kannst du nichts tun. Dann ist er für immer verloren.“

„Dazu wird es nicht kommen.“ antwortete Eragon sofort und zog die Hände an die Brust.

Seine Stimme klang sicherer als er sich fühlte...
 

Eragon wäre gerne noch länger bei Angela geblieben. Hier fühlte er sich aufgehoben und verstanden. Doch er war zu rastlos um noch länger auf ihren bunten Kissen sitzen zu bleiben. Zuviel ging ihm durch den Kopf, zuviele neue Eindrücke und Gedanken, die er verarbeiten musste und wollte.

Aus diesem Grund verabschiedete er sich bald, erhob sich und wandte sich zum gehen. Angela geleitete ihn lächelnd zum Eingang ihres Zeltes. Als er sich dort noch einmal umdrehte sah er, dass ihr dunkler Blick auf ihm ruhte. Ein seltsamer Ausdruck lag in ihrem Gesicht. Nachdenklich, mitleidig, aber auch...

Eragon schüttelte den Kopf, wandte sich ab und ging davon.

Es kostete ihn Beherrschung, nicht einfach loszurennen.
 

~
 

Angela sah ihm nach bis er in der Dunkelheit zwischen den endlosen Zeltreihen verschwunden war. Dann wandte sie sich mit einem leisen Seufzen um und ging zurück in ihr Zelt. Ein leises Schnurren in ihrer Nähe machte sie darauf aufmerksam, dass sie nicht mehr alleine war. Gut, dachte sie sich. Etwas Gesellschaft würde sie hoffentlich aufmuntern.

Es tat weh, den Jungen so leiden zu sehen. Und es machte ihr wieder einmal klar, wie jung Eragon noch immer war. Viel zu jung für die gewaltige Bürde, die man ihm gegen seinen Willen auf die Schultern geladen hatte. Und niemand konnte sagen, welchen Schaden seine unschuldige Seele davontragen würde.
 

Nachdenklich trat sie an das kleine Feuer im hinteren Teil ihres Zeltes und hängte den Wasserkessel über die prasselnden Flammen. Ein Tee würde ihr jetzt guttun. Sie spürte weiches Fell an ihren Beinen und lächelte Solembum an, der erwartungsvoll zu ihr hinaufblickte.

„Und? Was hältst du davon?“ fragte sie ihn, wohl wissend, dass er ihr nicht die Antwort geben konnte oder würde, die sie sich erhoffte.
 

Erneut seufzte sie. Und wünschte sich sie hätte Eragon alles sagen können. Aber er war noch nicht bereit für dieses Wissen, würde es vielleicht nie sein.
 

Alles was sie tun konnte war darauf zu hoffen, dass er es verstand bevor es zu spät war.
 

~
 

Zitternd lehnte Eragon sich zurück, zog den Umhang fester um seine Schultern und ließ sich von Saphiras Körper aufwärmen. Die Nächte hier draußen konnten verdammt kalt werden. Er hätte in sein warmes Zelt gehen können, doch er zog es vor, die Nacht bei seinem Drachen zu verbringen.

Träge ließ er seinen Blick über das Lager schweifen, beobachtete Soldaten an mannshohen Feuern, das immer wieder kurze Aufblitzen von Metall und die im Halbdunkeln hastig umherlaufenden Gestalten. Doch er nahm nichts von alldem wirklich wahr.

Lange Zeit hatte er geschwiegen, war das Gespräch mit Angela wieder und wieder in Gedanken durchgegangen. Hatte nach Anhaltspunkten gesucht, nach versteckten Hinweisen, irgendetwas, was ihm erklärte, was genau da eigentlich passiert war.

Doch wie er es auch drehte und wendete, er kam zu keinem Ergebnis...
 

Saphira? fragte er schließlich.

Der Drache antwortete mit einem leisen schnurrenden Geräusch.

Was glaubst du, wieso sie uns hilft? Sie hat nicht den kleinsten Zweifel geäußert... Selbst in seinen Gedanken zitterte seine Stimme.

Bist du dir sicher, dass du die Antwort wissen willst? Vielleicht würde sie dir nicht gefallen, gab Saphira zurück. Du hast erreicht, was du wolltest. Freu' dich darüber. Alles andere ist unwichtig.

Darauf fiel ihm keine Erwiderung ein. Sie hatte recht, wieder einmal.

Eragon musste gegen seinen Willen lächeln. Er hob einen Arm und legte seine Hand auf Saphiras mächtige Schulter.

Du hast ja recht. Ach, Saphira, was würde ich nur ohne dich tun...

Saphira drehte den Kopf und sah ihn mit einem großen blauen Auge an.

Soll ich dir darauf wirklich eine Antwort geben?

Ihr höhnischer Unterton entging Eragon nicht, doch er fühlte keinen Zorn.

Langsam ließ er sich auf das von unzähligen Stiefeln und Drachenkrallen arg in Mitleidenschaft gezogene Gras sinken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Über ihm leuchteten die Sterne, unzählige winzige weiße Lichter, die unendlich weit weg waren und deren Licht ihre Welt trotzdem Nacht für Nacht erreichte und erhellte.

Erst jetzt spürte er das Rasen seines Herzens, die Anspannung die schon den ganzen Nachmittag und Abend von ihm Besitz ergriffen hatte. Die ganze Zeit war ihm nicht aufgefallen, sie sehr ihn das alles mitnahm. An diesem einzigen Tag, in nur wenigen Stunden, hatte sich soviel verändert. Und es würde sich erst zeigen müssen, ob diese Veränderungen Gutes oder Schlechtes hervorbringen würden. Dieser Gedanke sollte ihm Angst machen, aber merkwürdigerweise spürte er nichts dergleichen. Stattdessen empfand er eine seltsame Euphorie.

Er hatte es geschafft, er hatte eine Lösung gefunden! Er konnte Murtagh retten!
 

Wenn es dafür nicht schon zu spät war...
 

~
 

Murtagh trat auf den weitläufigen Hof hinaus und blinzelte in der plötzlichen Helligkeit. Er hob eine Hand um seine Augen abzuschirmen und sah sich um.

Der Hof war voller Menschen. Das Licht spiegelte sich in unzähligen Rüstungen, Kettenhemden, Schwertern und Schilden. Unzählige Stimmen verschmolzen zu einem lauten Summen, wie bei einem Bienenschwarm.

Sein Erscheinen ließ viele der Gespräche verstummen, Gesichter wandten sich ihm zu, unsicher, ungeduldig, wartend. Murtagh ließ langsam seinen Blick über die Reihen an Männern schweifen, die sich hier zusammengefunden hatte um den Worten ihres Befehlshabers zu lauschen. Seinen Worten. Doch Murtaghs Blick ging durch sie hindurch, als wären sie nichts als Schatten, Geister.
 

In seinem Kopf hörte er wieder und wieder die letzten Worte des Königs.
 

„Ich gebe dir noch diese eine Gelegenheit, dich zu bewähren. Beweise mir, dass du nicht so wertlos bist wie du in der letzten Zeit gezeigt hast.“
 

Schon beim bloßen Gedanken an die eiskalte Stimme Galbatorix', an die grausamen Befehle, die er ihm ohne jede Emotion gegeben hatte, schnürte sich ihm die Brust vor Hass zusammen.
 

„Wir haben lange genug zugelassen, dass dieses Kind und seine Soldaten alles in Chaos stürzen. Es wird Zeit, dass wir ihrem Treiben Einhalt gebieten und diesem Zirkus ein Ende machen!“
 

In seinen Gedanken rammte Murtagh Galbatorix sein Schwert in den Leib, so tief wie es die Klinge zuließ. Und er stand über ihm, blutüberströmt, und sah ihm dabei zu, wie er langsam sein verfluchtes Leben aushauchte. Und er empfand nichts, nur Befriedigung.
 

„Meine Spione haben mir berichtet, dass unsere Feinde ihre Truppen zusammenziehen und in unsere Richtung führen. Sie verlassen also endlich ihr dunkles Rattenloch und zeigen sich.“

Sein hässliches Lachen hallte laut von den hohen Wänden wider.

„Ich will, dass du ihnen entgegen ziehst. Ich gebe dir genug Männer mit, um ihren Angriff im Keim zu ersticken. Sie mögen glauben, dass sie hier tatsächlich etwas erreichen können. Aber du wirst sie vom Gegenteil überzeugen.“

Er beugte sich auf seinem Thron nach vorne, sein Blick bohrte sich in Murtaghs.

„Und ich will, dass du den Reiter und seinen Drachen herbringst, koste es was es wolle!“
 

Murtagh presste die Lippen zusammen um nicht loszuschreien...
 

„Herr...“

Unwillig blickte Murtagh auf. Vor ihm stand einer seiner Kommandanten, der einen Teil der Truppen in Murtaghs Namen befehligte. Der Mann war deutlich älter als Murtagh und hatte in seinen zahlreichen Kämpfen nicht nur wertvolle Kampferfahrungen sondern auch einige Narben gesammelt. Er schien schon eine Weile auf Murtagh eingeredet zu haben ohne dass der ihm zugehört hatte. Aus diesem Grund hatte sich auf seinem Gesicht mittlerweile ein deutlicher Ausdruck von Missfallen ausgebreitet.

„Geht es euch gut, Herr?“ fragte er, nun da er sicher war, dass Murtagh ihn endlich bemerkt hatte. Das Lächeln auf seinem Gesicht war so falsch, dass Murtagh ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte.

„Natürlich,“ antwortete er mit einiger Verspätung und wandte sich zum Rest der Soldaten um, die auf dem Hof standen und noch immer mit einer Mischung aus Erwartung und Unsicherheit zu ihm heraufsahen. Wie lange hatte er dagestanden ohne sich zu rühren?

„Wie weit seid Ihr mit den Vorbereitungen?“ fragte er den Mann hinter sich ohne ihn anzusehen. Ein eindeutig respektloses Verhalten, doch Murtagh verschwendete keinen Gedanken daran. Auch der Angesprochene ließ sich nichts anmerken, als er antwortete: „Sehr gut. Wie der König und Ihr befohlen habt, haben wir die ersten drei Regimente Eurer Männer hier versammelt. Weitere Soldaten warten draußen vor der Stadt. Wir sind bereit zum Abmarsch und warten nur noch auf Euer Kommando.“

Murtagh nickte grimmig: „Gut. Dann sollten wir sie nicht länger warten lassen.“

Anschließend wandte er sich mit lauter Stimme an die Krieger auf dem Hof und brüllte: „Was steht ihr hier noch herum? Ihr habt eure Befehle, also bewegt euch endlich!“

Unter den lauten Rufen der anderen Kommandanten setzten sich die Männer geordnet in Bewegung. Laut hallte der metallische Klang ihrer Waffen und Rüstungen von den hohen Mauern der Burg wider. Murtagh beobachtete, wie sich die kraftstrotzenden Männer zum inneren Tor der Stadt bewegten. Die neuen, die erst seit wenigen Wochen dabei waren, fügten sich gut ein und waren kaum noch von den anderen zu unterscheiden...
 

„Herr, es gibt da noch etwas...“ begann der Mann neben ihm erneut. Murtagh brummte einen Fluch und sah ihn wieder an. Das falsche Lächeln war verschwunden.

Glück für ihn... dachte Murtagh grimmig.

„Was ist denn noch?“ fragte er und versuchte erst gar nicht, den genervten Unterton in seiner Stimme zu verstecken.

„Herr, der Reiter,“ fuhr der Kommandant fort. „Die Spione im Lager unserer Feinde haben gesagt, dass er bei ihrem Angriff dabei sein wird. Ich schlage vor, dass wir...“

Murtaghs eisiger Blick ließ ihn verstummen. Langsam trat der junge Drachenreiter auf den Kommandanten zu und bemerkte zufrieden, dass dieser vor ihm zurückwich.

„Der Reiter und sein Drache haben Euch nicht zu interessieren,“ zischte er zornig. „Ihr habt Eure Befehle. Kümmert Euch um die feindlichen Soldaten, haltet sie auf, was immer dazu nötig sein sollte. Aber der Reiter und der Drache gehören alleine mir. Wenn Ihr sie seht, will ich, dass Ihr mir augenblicklich Bericht erstattet, sonst werdet Ihr nichts tun. Ich werde eigenhändig jeden töten der es wagt sich ihnen auch nur zu nähern! Habt Ihr das verstanden?“

Der andere Mann nickte schnell.

„Verstanden, Herr.“ Er sah Murtagh noch einen Augenblick lang an, dann wandte er sich um und folgte den Soldaten.
 

Nachdenklich blickte Murtagh ihm hinterher, als er zwischen die Männer trat und ihnen in gewohnt herrischem Ton mitteilte was sie zu tun hatten. Einige schauten zu Murtagh auf, doch als sie seinen Blick bemerkten, wandten sich die meisten rasch wieder ab.

Er wusste genau was in diesen Momenten in den Männern vorging, verstand ihre Augen, die ihn mit einer Mischung aus Bewunderung, Abneigung und Furcht ansahen.

Er war anders als sie, er war kein einfacher Soldat, nicht einmal ein einfacher Mensch. Er besaß eine Macht, die sie sich nicht einmal in ihren kühnsten Träumen vorstellen konnten.

Und er hatte es genossen, anfangs. Das Gefühl, über ihnen zu stehen und sie alles tun lassen zu können was er wollte. Er hatte sich wie ein Auserwählter gefühlt, als Galbatorix ihn in den magischen Künsten unterwiesen, ihn in seine Pläne eingeweiht, ihm riesige Heere unterstellt hatte, die jedem seiner Befehle widerstandslos folgten. Er war sein Schwert gewesen, sein Prinz.

Doch irgendwann hatte er erkennen müssen, dass das, was er für Ehrfurcht gehalten hatte, in Wirklichkeit nicht mehr als Angst und Hass war. Und er wusste, wenn sie die Gelegenheit hätten, die meisten seiner Krieger würden ihn auf der Stelle töten. Sie konnten es nicht ertragen, Befehle von ihm entgegenzunehmen, von ihm, der so viel jünger war als viele von ihnen, und so viel unerfahrener. Von Galbatorix' einzigem Schüler, der ihn in den Künsten der Magie unterwies, dunkler, mächtiger Magie, aus Gründen, die sie weder kannten noch verstanden.

Wenn sie wüssten, was das bedeutet, würden sie wahrscheinlich anders denken... dachte Murtagh düster.

Hör auf, dich zu grämen, Murtagh. Thorns ruhige Stimme riss ihn aus seinen düsteren Gedanken. Er wandte sich um und sah den roten Drachen an, der einige Meter von ihm entfernt auf einem freien Stück des Hofes stand. Die verbliebenen Soldaten hielten einen großzügigen Sicherheitsabstand zu dem riesigen Drachen.

Bist du bereit? fragte der Drache in seinen Gedanken.

Murtagh nickte stumm und ging die breite Treppe hinunter und zu Thorn hinüber. Langsam und bedächtig ließ es eine behandschuhte Hand über die raue Haut des Drachen gleiten, als er um ihn herumging und sich kurz darauf in den ledernen Sattel auf seinem Rücken schwang.

„Na los, bringen wir es hinter uns.“ murmelte er leise.

Thorn schüttelte den Kopf. Murtagh streichelte ihm über das Stück Hals, das er von seiner Position aus erreichen konnte.

Ich weiß... aber wir müssen es tun.

Ich wünschte es wäre nicht so. Ich wünschte ich könnte dir das ersparen. antwortete Thorn und Murtagh konnte seinen Schmerz spüren wie seinen eigenen.

Das kannst du nicht. war seine einzige Antwort.
 

„Ich werde tun, was immer Ihr von mir verlangt. Ich bin nur hier, um Euch zu dienen. Ich werde Euch nicht noch einmal enttäuschen.“

Langsam und mit gesenktem Blick erhob er sich langsam aus seiner knienden Position und richtete sich auf. Ohne ein weiteres Wort drehte sich der Reiter um und verließ den Thronsaal. Dem Kampf, dem Schmerz, dem Tod entgegen.
 

~
 

Der kalte Wind trieb ihm Tränen in die Augen, die er immer wieder wegblinzelte. Angespannt ließ Murtagh seinen Blick erneut über das Heer am Horizont gleiten, das sich langsam aber stetig weiter in seine Richtung bewegte.

Sie waren der Stadt nah gekommen. Zu nah, wenn es nach ihm ging. Doch Galbatorix schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein, wenn er sie so tief in sein Gebiet ließ. Und auch wenn nicht einmal Murtagh genau wusste, wie groß seine Truppen waren und über welche geheimen Reserven der Tyrann noch verfügte, so wusste er doch eines mit Sicherheit: es würde eine Schlacht werden, wie das Land sie noch nie erlebt hatte.
 

Erneut erwischte er sich dabei, dass er den Himmel absuchte. Nach einem hellen Blitzen, einer Bewegung, dem Schein saphirblauer Schuppen.
 

Und er betete so sehr, dass der Himmel leer blieb...
 

+++
 

Der zweite Teil wird noch länger. Und ist zu etwa ¾ fertig. =)

How Can You Mend A Broken Heart (Part II)

Die Truppen unter ihnen marschierten in zügigem Tempo über die Ebene, dennoch hatte Eragon das Gefühl, dass sie sich nur quälend langsam fortbewegten. Genervt rutschte er in seinem Sattel hin und her und stöhnte immer wieder auf.

Wenn du nicht bald aufhörst, auf meinem Rücken herumzuzappeln, werfe ich dich ab. erklang Saphiras schnippische Stimme in seinen Gedanken.

Verzeihung, Mylady. erwiderte er trocken. Saphira lachte glucksend.

Ich vergebe dir. Doch das ist das letzte Mal. sagte sie mit gespielter Strenge.

Eragon versuchte zu lächeln, doch ihm war nicht wirklich danach zumute.
 

Seit sie am Morgen aufgebrochen waren, fühlte er eine nervöse Anspannung in sich. Und das Gefühl wurde stärker und stärker. Es ging ihm einfach viel zu langsam!

Er wusste, dass sich die unzähligen Krieger alle Mühe gaben und dass sie sich nur selbst schaden würden, wenn sie sich noch mehr beeilten. Es war schließlich niemandem geholfen, wenn ihr Heer völlig entkräftet auf die Truppen des Königs treffen würde...

Dennoch hatte er immer wieder den quälenden Gedanken, dass sie sich trotz allem keinen Schritt vorwärts bewegten.
 

Eragon schaute nach unten und ließ seinen Blick über die Soldaten am Boden schweifen.

Der scheinbar endlose Strom ihrer Truppen reichte bis an den Horizont. Wie ein lebendig gewordener Fluß bewegte er sich über die grasbewachsenen Ebenen, ein Strom von Menschen, Tieren und Gefährten, der sich einer Lawine gleich scheinbar unaufhaltsam seinem Ziel näherte. Der Anblick jagte Eragon einen Schauer über den Rücken. Das war das größte Heer, dass er jemals gesehen hatte und es war in den letzten Wochen stetig größer geworden. Beinahe jeder Mann, jede Frau und jedes Kind wussten mittlerweile, dass die finale Schlacht gegen Galbatorix unmittelbar bevorstand und dieses Wissen hatte die Menschen scheinbar beflügelt. Von überall her stießen größere und kleinere Gruppen zu ihnen, manchmal aus Gegenden, von denen Eragon noch nie etwas gehört hatte. Sie alle kamen, um zu kämpfen. Und wenn sie ihre Truppen erst einmal mit denen vereinen würden, die Wochen zuvor die Stadt Gil'ead eingenommen hatten und nun ebenfalls auf dem Weg zur Hauptstadt des Reiches waren, würde ihre Anzahl noch einmal gewaltig steigen. Es war Eragon ein Rätsel, wie Nasuada, Orrin und die wenigen anderen Anführer dieses riesige Heer befehligen wollten. Andererseits war er sich sicher, dass das gemeinsame Ziel die tapferen Männer auf den richtigen Weg leiten und ihre Schwerter führen würde.
 

Ziemlich beeindruckend, nicht wahr? meldete Saphira sich in seinem Kopf.

Ja... stimmte Eragon ihr langsam zu.

Ich hoffe nur, dass es genug sind. Saphira klang unsicher.

Eragon wandte sich von den Soldaten ab und starrte nach vorne auf ihren Kopf.

Was meinst du damit? Es sind tausende... nein, zehntausende!

Saphira schüttelte ihren riesigen Kopf.

Das mag sein. Aber Galbatorix wird uns mit ebensovielen Männern erwarten.

Eragon dachte darüber nach. Es erschien ihm absurd. Soviele Menschen, soviele Krieger... überstiegen einfach seine Vorstellungskraft.

Und dann waren da noch die quälenden Gedanken über...
 

Eragon schüttelte den Kopf, versuchte, die Gedankenflut zurückzudrängen die seinen Verstand wieder einmal zu überschwemmen drohte. Doch wie so oft zuvor gelang es ihm nicht und die Erinnerungen bahnten sich unaufhaltsam ihren Weg durch seine Gedanken. Er krallte die behandschuhten Finger fester in die Lederriemen, mit denen er sich auf dem Rücken von Saphira hielt, und presste die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.
 

Als er zu seinem heimlichen Treffen mit seinem Bruder aufgebrochen war, hatte Eragon keinerlei Erwartungen gehabt. Zumindest keine die ihm bewusst gewesen waren, wie ihm heute klar war.

Murtaghs Nachricht hatte ihn völlig aus der Bahn geworfen und wildes Chaos in seinen Gedanken und Gefühlen hinterlassen. Nur eine Sache schien in diesen Momenten wichtig gewesen zu sein: Murtagh wollte ihn sehen. Und Eragon musste zu ihm.

Erst viel später war ihm klar geworden, dass es viel mehr gab, was ihn aus dem Lager und zu seinem ehemaligen Mitstreiter getrieben hatte. Simple Neugier war sicher einer der Gründe gewesen, doch viel mehr als das waren es die unzähligen Fragen, die Eragon noch immer quälten. Die Fragen nach dem Wieso, wieso... wieso hatte Murtagh das getan, wieso war er zurückgekehrt, nach allem was der König ihm bereits angetan hatte, wieso hatte er sich gegen ihn, Eragon, gestellt, nach allem was sie zusammen durchgestanden hatten? Und wieso kam er zu ihm zurück, jetzt, wo beinahe alles zu spät war?

Zuletzt war es wohl vor allem Hoffnung gewesen, die Eragon zu ihm geführt hatte. Die fast schon verzweifelte Hoffnung, dass Murtagh sich gegen den König und für den Widerstand entschieden hatte. Dass endlich alles wieder so werden würde wie vor so langer Zeit, dass sie zusammen kämpfen würden, wenn es sein musste bis zum Tod...

Doch Murtagh hatte ihn enttäuscht, wieder einmal, und hatte sich von ihm abgewandt, vielleicht für immer. Das schmerzte Eragon mehr als jeder Vorwurf aus dem Mund des anderen es getan hätte. Und es machte ihm wieder einmal klar, dass die anderen möglicherweise recht hatten. Dass Murtagh das Vertrauen nicht wert war, dass Eragon noch immer in ihn setzte.
 

Eragon biss sich so fest auf die Lippen dass er den kupfernen Geschmack seines eigenen Blutes auf der Zunge spürte. Erst durch diesen Schmerz gelang es ihm, die quälenden Gedanken in den Hintergrund zu schieben und sie wieder in die hintersten Ecken seines Verstandes zu verbannen. Sie führten ohnehin zu nichts, waren nur ein weiteres Hindernis auf seinem langen Weg.

Und der einzige, der seine vielen Fragen wirklich beantworten könnte, würde wahrscheinlich nie wieder ein Wort mit ihm sprechen...
 

Eragon schaute wieder nach unten und beobachtete den Strom von Menschen, der sich unter ihm bewegte. Er drehte sich im Sattel und versuchte erneut, ein Ende in ihm auszumachen, doch es gelang ihm nicht. Jede Minute drangen mehr Menschen auf die Ebenen vor, schmutzig braune Flecken auf dunkelgrünen Wiesen. Fast schien es, als würden sie aus der Begegnung von Himmel und Erde selbst geboren. Eragon lächelte schief über diesen absurden Gedanken.
 

Er hat gesagt, dass wir ihn nicht wiedersehen.

Die Worte verließen seinen Mund noch bevor er wirklich merkte, dass er sprach und er bereute sie sofort. Angestrengt und mit der wilden Hoffnung, dass Saphira ihn nicht gehört hatte, starrte Eragon weiter Richtung Horizont. Saphira tat ihm den Gefallen und sagte nichts. Dennoch konnte Eragon spüren, dass sie in Gedanken leicht zusammenzuckte. Er wandte sich von den Soldaten ab und starrte hilflos auf ihren geschuppten Hinterkopf. So sehr er auch Angst vor ihrer Reaktion hatte, ihr Schweigen schmerzte ihn mit einem Mal fast noch mehr.

Vielleicht ist er... begann er zögernd, brach dann jedoch ab. Wieder begegnete ihm nur Schweigen. Ein Windstoss kam auf und wirbelte seine Haare durcheinander. Eragon schloss die Augen und atmete tief ein. Die Luft roch nach Erde, nach Rauch und hinterließ einen metallischen Geschmack auf seiner Zunge. Er kümmerte sich nicht darum, sondern sog sie tief ein, konzentrierte sich nur auf das Heben und Senken seiner Brust...

Doch die Gedanken blieben. Die schrecklichen Gedanken, dass Galbatorix erfahren hatte, was Murtagh getan hatte. Und dass sein Bruder vielleicht längst tot war...

Eragon hatte einmal gehört, dass man es spüren konnte, wenn jemandem, der einem sehr nahestand, etwas zustieß. Ob das auch auf ihn und Murtagh zutraf? Immerhin waren sie Halbbrüder! Würde er es spüren, wenn dem anderen etwas passierte? Oder hatten sie nicht genug Zeit miteinander verbracht, um eine solche Bindung zu entwickeln? Schließlich hatte Eragon ihn auch vorher nie gespürt, hatte nicht gewusst, dass er damals nicht gestorben war...
 

Ein plötzliches Flackern am Rande seines Gesichtsfelds erregte seine Aufmerksamkeit. Ein helles Blitzen, tiefrot, irgendwo hinter den tief hängenden Wolken. Eragon blinzelte und starrte angestrengt auf die Stelle. Doch er sah nichts als Wolken. Hatte er sich das Blitzen nur eingebildet...?

Hast du das gesehen? fragte er schnell und fuhr fort, den Himmel abzusuchen.

Ja. antwortete Saphira grimmig und bestätigte seinen Fund damit.

Er ist hier! rief Eragon.

Er ist hier...

Eragons Herz machte einen Sprung. Sein Bruder war hier! Er lebte! Und er war zurückgekehrt!

Zurückgekehrt um...
 

~
 

Murtagh spürte die Anwesenheit des anderen Reiters schon, bevor er ihn sah und wünschte sich im nächsten Moment nichts mehr, als dass er sich entgegen aller Logik irrte.

Doch das Schicksal spielte erneut sein Spiel mit ihm und so dauerte es nicht lange, bis er das strahlende Blau von Saphiras Schuppen am Himmel sehen konnte. Thorn reagierte sofort und tauchte nach oben in eine der tief hängenden Wolken ein. Eiskalte Nässe schlug über ihnen zusammen, aber Murtagh spürte sie kaum.

Um möglichst lange unentdeckt zu bleiben waren Thorn und er in großer Höhe hergeflogen, höher als der Drache es normalerweise wagte wenn er seinen Reiter trug. Doch Murtagh hatte darauf bestanden, auch wenn er sich schon nach wenigen Minuten vor Kälte kaum noch rühren konnte und ihm das Atmen schwer fiel. So war ihm nichts anderes übrig geblieben als sich fest in seinen viel zu dünnen Umhang einzuwickeln, sich möglichst klein zu machen und darauf zu vertrauen, dass Thorn in der weißen Masse um sie herum den richtigen Weg finden würde.

Und tatsächlich hatten sie es auf diese Weise bis tief in die feindlichen Reihen geschafft. Ein Angriff kam jedoch nicht infrage, denn auch wenn Murtagh es bis hierher geschafft hatte, seine eigenen Krieger waren weit weg. Und alleine würde selbst ein mächtiger Drachenreiter wie er den feindlichen Kämpfern unterliegen. Er war ohnehin aus anderen Gründen hier...
 

Murtagh strich sich mit zitternden Fingern eine feuchte Haarsträhne aus dem Gesicht und richtete sich auf. Seine von der Kälte steifen Muskeln wehrten sich heftig gegen die Bewegung, doch Murtagh ignorierte den Schmerz. Wenn er seinem Gegner gegenübertrat musste er im Vollbesitz seiner Kräfte sein. Leise murmelte er ein paar magische Worte und spürte eine plötzliche Welle von Wärme in seinem Körper, die jedoch von einer ebenso spürbaren Welle von Schwäche begleitet wurde. Es war ihm zuwider, seine magische Energie für so etwas zu verschwenden, doch ihm blieb keine andere Wahl.

Thorn schien seine Entschlossenheit zu spüren, denn er spannte ebenfalls seine Muskeln an und stieg mit wenigen kräftigen Flügelschlägen nach oben. Murtagh schloss geblendet die Augen, als sie aus den Wolken hinaus schossen und das gleißende Licht der Sonne sie traf. Murtagh ließ seinen Augen einen Moment Zeit um sich an das plötzliche Licht zu gewöhnen, dann zog er mit einem Ruck sein Schwert Zar'roc. Seine Hand zitterte merklich und Murtagh ahnte, dass der Grund dafür nicht alleine die Kälte hier oben war. Eine erneute Flut von Gedanken und Gefühlen drohte ihn zu überschwemmen, doch Murtagh drängte sie mit aller Kraft, die er aufbringen konnte zurück. Er hatte einen Auftrag. Und dieses Mal würde er nicht scheitern. Es würde enden.

Es musste enden!
 

Los... sagte Murtagh schließlich und der rote Drache gehorchte.
 

~
 

Eragon streckte seinen Geist aus, so weit er konnte. Er musste mit Murtagh reden. Er musste ihm sagen, was er entdeckt hatte!

Tatsächlich fand er ihn, auch wenn er ihn noch immer nicht sehen konnte. Und wie befürchtet stieß er gegen eine Mauer. Er versuchte es noch einmal, mit mehr Nachdruck, doch das Ergebnis blieb dasselbe. Murtagh stieß seine Präsens mit aller Kraft von sich.

Er lässt mich nicht. sagte er zu Saphira. Verzweiflung stieg in ihm auf. Und Wut.

Dieser verdammte Mistkerl macht es einem wirklich nicht leicht... dachte er düster. Alles in ihm brannte darauf, mit seinem Bruder zu sprechen und ihm von seiner Entdeckung zu berichten. Doch wieder einmal entzog Murtagh sich ihm und ließ ihn alleine mit seinen verzweifelten Hoffnungen...
 

Sollen wir ihm folgen? fragte er Saphira, auch wenn er ihre Antwort bereits ahnte.

Doch die blaue Drachendame überraschte ihn.

Eragon entfuhr ein überraschtes Keuchen, als Saphira plötzlich den Kopf herumwarf und sich umdrehte. Sie streckte die himmelblauen Flügel beinahe senkrecht nach oben und ließ es zu, dass sie in rasantem Tempo nach unten sank. Eragon musste sich mit beiden Händen festkrallen um nicht den Halt zu verlieren oder vom starken Wind von ihrem Rücken gerissen zu werden.

Was soll das, was tust du?! sandte er verwirrt, doch Saphira antwortete ihm nicht.

Sie sanken immer tiefer und tiefer und wurden dabei immer schneller. Der Sog war mittlerweile so stark, dass er Eragon die Tränen in die Augen trieb.

Irgendwann fing der Drache sich ruckartig ab. Eragon wurde auf ihren Rücken gepresst und stöhnte auf, als ein heftiger Schmerz seinen verkrampfen Körper durchfuhr. Erneut rief er sie in Gedanken, doch Saphira ignorierte ihn.

Ihr Flug wurde ruhiger und Eragon konnte endlich wieder die Augen öffnen.

Sie flogen jetzt direkt über dem sich stetig bewegenden Strom von Kriegern und folgten ihm langsam in entgegengesetzter Richtung. Eragon schaute sich verwirrt um, versuchte, einen Grund für Saphiras plötzliche Flucht zu finden, jedoch ohne Erfolg.

Saphira, was... begann er zögernd, wurde aber sofort unterbrochen.

Schau nach unten, Eragon. Saphiras Ton war ungewohnt befehlend. Eragon gehorchte und sah nach unten. Die Soldaten bewegten sich langsam, aber stetig. Sie flogen jetzt so tief, dass Eragon ihre Schritte hören konnte, ein stetes Stampfen und Klappern. Dunkel und unheilverkündend brachten die unzähligen Füße und Hufe den Boden zum Beben. Die Erde war aufgewühlt, teilweise sanken die Männer, Frauen und Pferde fast knietief in Erde und Staub ein. Doch auch das konnte sie nicht aufhalten. Eragon empfand plötzlich eine tiefe Bewunderung für die Soldaten. Er hatte sich schon so daran gewöhnt, stets auf dem Rücken seines Drachen zu sitzen, dass er manchmal vergaß, dass der größte Teil ihrer Soldaten zu Fuß ging und sich jeden Schritt hart erkämpfen musste. Eragon erinnerte sich an seine Ungeduld und schämte sich mit einem Mal dafür.

Sieh es dir genau an. befahl Saphira erneut. Eragon ließ seinen Blick weiter wandern, die endlosen Reihen von Menschen und Tieren entlang. Einmal erblickte er sogar einige Urgals, die sich, schwere Äxte und Knüppel haltend, an der Seite der Soldaten bewegten.

Wieso soll ich... Er blickte auf, schaute nach vorne, auf Saphiras Hinterkopf. Was soll das alles?

Saphira knurrte.

Tu' einfach was ich dir sage. Schau nach unten.

Eragon gehorchte, wenn auch mit deutlichem Widerwillen. Doch was immer Saphira wollte dass er sah, er fand es nicht. Alles was er sah waren Soldaten, Krieger, herbeigeeilt aus allen Gegenden des Landes, zusammengeführt von ihrem gemeinsamen Hass auf den Tyrannen, der ihr Land an den Rand des Untergangs trieb.

Ich weiß nicht, was du meinst, gab er schließlich zu und schaute wieder auf. Was immer Saphira vorhatte, es ermüdete ihn und machte ihn wütend. Wenn ich dich verärgert haben sollte, tut es mir leid. Aber ich muss jetzt zurück, ich bitte dich, ich muss...

SIEH NACH UNTEN! Saphiras plötzlicher Zorn ließ Eragon erschrocken innehalten. Ihre Wut umfloss seinen Geist wie kochendes Wasser. Schau nach unten und sag mir was du siehst!

Eragon musste wohl oder übel einsehen, dass er nichts tun konnte. Saphira war wütend auf ihn. Und auch wenn er den Grund dafür nicht kannte, wusste er doch, dass es manchmal besser war, sich dem Willen eines Drachen zu unterwerfen.

Also schaute Eragon erneut nach unten. Überrascht bemerkte er einige Elfen zwischen den menschlichen Kriegern. Sie ritten auf hellen Rössern und stachen aus der schmutzig braunen Masse der Menschen heraus wie leuchtende Wesen aus einer fernen Traumwelt.

Was siehst du? fragte Saphira erneut.

Ich sehe... Soldaten. sagte Eragon.

Gut. Was noch?

Eragon starrte nach unten. Suchte. Nach einem Anhaltspunkt, nach etwas, was er übersehen haben könnte.

Ich sehe Menschen. Und Urgals. Und Elfen. Pferde. Waffen. Saphira, wenn das ein Spiel ist, dazu haben wir jetzt keine Zeit, ich will...

Was noch? fragte Saphira stoisch.

Eragon schüttelte den Kopf. Dann drehte er sich erneut um, schaute nach hinten. Inzwischen waren sie so weit weg von der Spitze ihres Zuges, dass er die Kämpfer nicht mehr sehen konnte. Und Eragon wusste, wenn sie noch weiter flogen, würden sie irgendwann die glänzende Oberfläche des Leona Sees am Horizont erblicken.

Was siehst du noch? Saphiras zornige Stimme holte ihn wieder zurück. Erneut ließ er seinen Blick über die Reihen schweifen. Doch das Bild blieb dasselbe.

Ich... ich weiß es nicht. sagte er ungeduldig. Dieses Gespräch zerrte an seinen Nerven. Er war nicht hergekommen um Saphiras Rätsel zu lösen. Sie waren hier um in den Krieg zu ziehen. Er war hier um zu kämpfen. Verdammt, er war hier um Galbatorix zu stürzen! Und er war hier um...

Doch, du weißt es, Eragon!

Soldaten... wiederholte Eragon.

Gut, konterte Saphira erneut. Was noch?

Ich weiß es nicht. Ich sehe... verdammt, ich weiß es nicht! Eragon raufte sich verzweifelt die Haare. Saphira, was immer du mir sagen willst, ich verstehe es nicht! Ich sehe da unten nur Soldaten, ich sehe Menschen, ich sehe Elfen, ich sehe Urgals. Ich sehe Krieger der Varden, Soldaten aus Surda...

Weiter. sagte Saphira nur. Ihr Ton war einen Hauch versöhnlicher geworden.

Ich sehe... Eragon starrte weiter nach unten. Seine Augen weiteten sich überrascht, als sein Blick auf eine kleine Gruppe bekannter Gesichter stieß. Tatsächlich waren unter den Kriegern einige der Bewohner seines Heimatdorfes Carvahall. In den letzten Tagen vor ihrer Abreise hatte er sie kaum mehr zu Gesicht bekommen, war er doch selbst voll in die Vorbereitungen eingesponnen gewesen. Es war seltsam, sie hier zu sehen, inmitten unzähliger Krieger und Soldaten, und zu wissen, dass diese Menschen, die einmal seine ganze Welt waren, dabei waren in einen Krieg zu ziehen der alles übertreffen würde was sie in ihren bisherigen Leben erlebt hatten. Doch sie zeigten keinerlei Angst, keinerlei Zweifel, auch wenn sie sicher wussten, dass viele von ihnen diese Schlacht nicht überleben würden. Sie kämpften trotzdem, für ihre Zukunft, für ein neues Leben in ihrem Dorf, für ihre Söhne und Töchter, die es einmal besser haben sollten als sie selbst.

Und langsam sickerte Erkenntnis in Eragons Verstand.

Ja, Eragon, sagte Saphira und bestätigte damit seine Gedanken. Das ist es, was ich dir zeigen wollte.

Eragon verstand. Diese Gefühle, die so klein schienen, diese Hoffnungen, die so dumm schienen, das war es, was diese Krieger, Freunde wie Fremde, hierher geführt hatte. Die sie kämpfen ließ, Seite an Seite.

Aber ich weiß das alles doch, begann Eragon jetzt. Ich weiß wieso wir hier sind. Wieso wir kämpfen.

Tust du das wirklich? fragte Saphira sofort. Eragon schaute verständnislos nach vorne, sein Blick traf eins ihrer Drachenaugen.

Natürlich. Wir sind hier um den König zu stürzen, um Galbatorix zu töten!

Saphira wandte sich wieder ab. Es dauerte einige Augenblicke ehe sie wieder sprach.

Ja. Deswegen sind wir hier. Aber sag mir... Sie zögerte einen Moment. Sag mir, Eragon, wieso du all das so leichtfertig aufs Spiel setzt?

Langsam begriff Eragon, worauf dieses Gespräch hinauslaufen sollte. Und es machte ihn wütend.

Hast du mich deswegen hierher gebracht? fragte er finster und versuchte nicht einmal, seine aufkeimende Wut zu verbergen.

Ja. bestätigte Saphira. Dann zögerte sie plötzlich. Ich weiß, ich tue dir unrecht. Ich habe dich die ganze Zeit unterstützt, bei allem was du getan hast. Doch...

Erneut zögerte sie, schien sich ihrer Worte nicht mehr sicher zu sein.

Doch ich kann nicht länger schweigen und zusehen wie du in dein Unglück rennst. Ich liebe dich, mein Kleiner, und deswegen muss ich dich davor beschützen. Vielleicht hat Arya recht. Du musst damit aufhören, ihm ... , Eragon, du...

Nein! brauste Eragon auf. Er konnte seinen Zorn und seine Enttäuschung nicht länger verbergen. Die grausamen Gefühle fraßen sich durch seine Gedanken wie Säure.

Wieso... sag mir wieso, Saphira! Die ganze Zeit warst du an meiner Seite und jetzt, wo wir so kurz davor stehen sie beide zu retten, sagst du mir, dass ich aufhören soll?!

Ich tue das nur um dich zu schützen! widersprach Saphira. Ihrer Stimme haftete Verzweiflung an. Sieh dich doch an! Du bringst dich wegen ihm in Lebensgefahr!

Eragon schwieg. Saphiras Worte machten ihn betroffener als er es zulassen wollte.

Als er wieder sprach, fiel ihm jedes Wort unendlich schwer.

Und was soll ich tun? Soll ich ...ihn aufgeben? Murtagh aufgeben? Ist es das was du willst?

Saphira schwieg.

Ich kann das nicht. Das kannst du nicht von mir verlangen. Eragons Augen begannen zu brennen.

Langsam stieg der blaue Drache wieder höher. Eragon beobachtete wie die Menschen, Elfen, Zwerge, Urgals und Tiere unter ihnen langsam kleiner und kleiner wurden. Gleichzeitig wurde die Luft um ihn herum kühler, der Himmel immer stiller. Gerne hätte er etwas gesagt, doch er fand nicht die richtigen Worte. Er hasste es, mit Saphira zu streiten. Die blaue Drachendame bedeutete ihn mehr als alles andere, er liebte sie und es tat schrecklich weh sich von ihr zu entfernen, aus welchen Gründen auch immer. In der kurzen Zeit die sie sich erst kannten, hatten sie mehr erlebt als andere in ihrem ganzen Leben. Saphira war der Grund dafür, dass er sein altes Leben verloren hatte. Und sie hatte ihm dafür ein neues geschenkt, das größer war als alles, was er sich jemals hatte vorstellen können. Binnen kürzester Zeit hatte er sich von einem unschuldigen Bauernjungen zu einem mächtigen Krieger entwickelt, einem Kämpfer, der sein Leben für ein ganzes Land aufs Spiel setzte. Aber das konnte er nicht alleine tun...
 

Ich weiß. sagte Saphira schließlich und beendete damit die kleine Ewigkeit des Schweigens. Beinahe bewegungslos glitt die Drachendame durch die Luft, ließ sich von den warmen Winden tragen.

Erschöpft von dem anstrengenden Flug und dem anschließenden Streit ließ sich Eragon nach vorne auf Saphiras Hals sinken und streichelte mit beiden Händen über die kühlen Schuppen. Seine Gedanken verschmolzen mit denen Saphiras und machten jedes weitere Wort überflüssig. Er konnte ihre Sorge spüren, ihre Sorge um ihn, und er konnte sie verstehen, besser als ihm lieb war.

Und genauso konnte er ihre bedingungslose Liebe spüren. Und wusste, dass sie ihm folgen würde, wohin auch immer sein Weg ihn führen würde.

Es tut mir leid. murmelte er schließlich.

Das muss es nicht, Eragon. Ich kenne dich, ich weiß was du denkst. Und wenn das der Weg ist für den du dich entschieden hast, werde ich das akzeptieren. Ich werde immer an deiner Seite sein.

Eragon hatte das seltsame Gefühl, dass mehr hinter ihren Worten steckte. Doch sie gab ihm keine weiteren Erklärungen und er verwarf den Gedanken.

Langsam richtete er sich wieder auf und versuchte, sich wieder auf sein Ziel zu konzentrieren.
 

~
 

Saphira drehte sich wieder, dieses Mal sanfter, und flog wieder zum Beginn des Zugs zurück. Auf dem Weg dorthin konnte Eragon irgendwann die Banner der Anführerin der Varden Nasuada in den endlosen Reihen unter sich erkennen. Auch Saphira hatte sie bemerkt.

Wir sollten ihnen sagen, dass Murtagh und Thorn hier sind. Und dass Galbatorix uns mit ihm sicher einen Vorgeschmack auf seine Armee entgegen schickt.

Du hast recht. nickte Eragon. Suchend glitt sein Blick über die Gruppe schwer gepanzerte Pferde und Krieger unter sich, die in fester Formation um ihre Anführerin herum verteilt waren. Von oben war es schwer, einzelne Personen zu erkennen, doch schließlich fand Eragon, wen er gesucht hatte. Die Anführerin des Magierzirkels der Varden ritt an Nasuadas Seite.

Trianna. sprach er sie in Gedanken an. Sofort hob sie den Kopf und schaute nach oben. Schnell teilte ihr Eragon seinen Fund mit. Die Zauberin hörte ihm schweigend zu und wandte sich dann sofort an Nasuada. Eragon konnte ihr Gespräch nicht verstehen, ahnte aber dessen Verlauf, als Nasuada sich, begleitet von energischen Gesten, an ihre Begleiter wandte. Ein halbes Dutzend von ihnen wendete daraufhin die Pferde und preschte an den Reihen der Soldaten vorbei, zurück in Richtung Leona See. Als sie außer Sicht waren, trieb auch Nasuada ihr Pferd an und ritt, dicht gefolgt vom Rest ihrer Leibwache, nach vorne zur Spitze ihres Heers.

Trianna blieb zurück und wandte sich wieder an Eragon.

Nasuada wird sich mit den anderen Anführern besprechen. Wenn der Reiter hier ist, werden auch seine Soldaten nicht weit sein. Wir müssen uns auf den Angriff vorbereiten um ihnen zuvorzukommen.

Eragon nickte und warf einen Blick in die Richtung in welcher er die Hauptstadt Uru'baen wähnte. Die trockenen Graslandschaften lagen verlassen vor ihm, doch Eragon wusste, dass sich das jeden Moment ändern konnte.

Noch kann ich niemanden entdecken, sagte Eragon. Was soll ich tun?

Nasuada wünscht, dass du den Reiter suchst. antwortete Trianna knapp.

Eragon schluckte.

Versuche, ihn zu uns zu bringen, fuhr sie fort. Ich werde die anderen zu mir rufen, gemeinsam können wir ihn überwältigen.

Eragon schob die Frage, was sie dann tun würde, beiseite. Trianna ließ ihm ohnehin keine Möglichkeit der Antwort mehr, denn die Zauberin wendete bereits ihr Pferd und ritt im Galopp davon.

Eragon sah ihr hinterher bis sie in der Masse verschwunden war, dann bedeutet er Saphira, ebenfalls loszufliegen.
 

~
 

Saphira flog so hoch, dass Eragon das Gefühl hatte, die grauen Wolken mit den Händen greifen zu können. Es war kalt hier oben und Eragon vergrub sich tiefer in seinem wollenen Umhang. Konzentriert ließ er seinen Blick über den Himmel wandern, entdeckte aber bis auf einige Vögel, deren plötzliches Auftauchen ihn stets zusammenzucken ließ, nichts. Langsam verließ ihn der Mut. Vielleicht hatten Murtagh und Thorn sich zurückgezogen nachdem sie von Saphira und ihm entdeckt worden waren?

Inzwischen fanden sie sich fast an der Spitze ihres Heeres wieder. In der Ferne konnte Eragon bereits die ersten Spuren der nahen Hauptstadt erahnen. Die Straßen wurden breiter und fester, immer wieder gab es kleine Ansammlungen von niedrigen Gebäuden. Ihm entging auch nicht, dass sie seltsam verlassen schienen. Sicher hatten sich die Bewohner bereits vor Tagen in Sicherheit gebracht. Und wenn sie zurückkehrten, würde von ihren Häusern wahrscheinlich nur noch ein Häufchen Asche übrig sein...
 

Plötzlich erklang ein lautes Brüllen, irgendwo hinter ihnen. Sofort drehte Eragon sich im Sattel herum und suchte mit zusammengekniffenen Augen den Himmel ab. Saphira reagierte ebenso schnell und drehte sich in der Luft, den Kopf in Richtung des Brüllens. Es wurde für einen Moment still, dann erklang es erneut.

Es kommt näher. bemerkte Saphira knapp.

Meinst du, er will uns angreifen? fragte Eragon unsicher. Er hatte das Brüllen sofort als Thorns erkannt. Saphira schüttelte den Kopf.

Nein. Wenn er das gewollt hätte, hätte er sicher versucht, sich im Stillen an uns heranzuschleichen. Nicht, dass er das geschafft hätte...

Eragon musste über ihre Worte lächeln, war sich jedoch nicht sicher, ob sie damit recht hatte. Aber er kannte Murtagh und wusste, dass sein Bruder ihn nicht feige von hinten angreifen würde.

Erneut suchte er den Himmel ab, konnte die Quelle des Brüllens aber nicht ausmachen. Schließlich holte er tief Luft und rief so laut er konnte: „Murtagh! Ich weiß, dass du hier bist! Zeig dich!“

Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Wie ein Ungeheuer aus einem Alptraum brach der tiefrote Drache nur einen Moment später aus einer Wolke vor ihnen hervor, Murtagh auf seinem Rücken. Eragon hätte gerne sein Gesicht gesehen um zu erkennen was er vorhaben könnte, doch sein Bruder trug einen Helm und machte es Eragon damit unmöglich, ihn einzuschätzen.
 

Eragon öffnete den Mund, wollte ihn ansprechen, doch ein weiteres gewaltiges Brüllen von Thorn erstickte jedes Wort. Ohne ein Wort von Murtagh stürzte sich der rote Drache auf Saphira und ihren Reiter, das Maul weit aufgerissen und die Reihen rasiermesserscharfer Zähne entblößend.

Eragon fluchte lautlos, als Saphira sich mit einem eleganten Manöver unter dem Angriff hinweg duckte und ihrerseits zum Gegenangriff bereit machte. Was immer Murtagh vorhatte, dieses Mal schien er nicht zum reden gekommen zu sein.

Wie zur Bestätigung seiner Gedanken zog der Reiter in der dunkel schimmernden Rüstung seine blutrote Klinge hervor und zog dann den Arm zurück, bereit, jederzeit mit der Klinge zuzustoßen.

Beinahe automatisch zuckte auch Eragons Hand zum Griff seines Schwertes an seiner Seite, doch er zwang sich dazu, die Waffe stecken zu lassen.

Er musste sich fest an die Lederriemen an Saphiras Sattel klammern, als sie einem erneuten Angriff Thorns auswich.

Als die Drachen sich wieder ein Stück voneinander entfernten, versuchte Eragon erneut, den anderen Reiter anzusprechen. Laut rief er Murtaghs Namen, doch sein Bruder zeigte keinerlei Reaktion. Auch Thorn unterbrach seine Serie von Angriffen nicht und stürzte sich erneut auf Saphira. Saphira wich ihm aus, konterte ihrerseits blitzschnell und schleuderte dem roten Drachen einen gewaltigen Feuersturm entgegen. Eragon verschloss die Augen vor der plötzlichen Helligkeit und der Hitze ihres Feuers, öffnete sie aber sofort wieder, um einen schnellen Blick auf ihre Gegner zu werfen. Thorn hatte dem Strahl nur knapp ausweichen können und schleuderte Saphira nun sein eigenes Feuer entgegen. Für einen kurzen Moment verwandelten die beiden Drachen den Himmel in eine brennende Hölle und zwangen ihre Reiter dazu, ihre Gesichter hinter ihren Händen und Armen zu verbergen.

Saphira wartete nicht ab bis die Flammen sich auflösten, sondern fiel nur Sekunden später über den anderen Drachen her. Mit einem gewaltigen Krachen prallten die beiden Drachen aufeinander. Saphira schlug mit ihren gewaltigen Krallen nach dem kleineren Drachen, der seinerseits versuchte, sie mit seinen Zähnen zu fassen zu kriegen.
 

Eragon war so auf den Kampf der Drachen konzentriert, dass er die blanke Klinge erst sah, als sie ihn schon beinahe erreicht hatte. Mit einem erstickten Schrei warf er sich im Sattel zur Seite und wich Murtaghs Angriff damit nur knapp aus. Sofort zog er sein Schwert und suchte nach Murtagh. Saphira und Thorn stoben wieder auseinander und begannen, einander in weiten Kreisen zu umfliegen. Nun, da Thorn den Überraschungsmoment verloren hatte, wurde er vorsichtiger und versuchte, eine Lücke in Saphiras Deckung zu finden.

Eragon nutzte die Gelegenheit, Saphiras Körper mit schnellen Blicken auf Verletzungen zu untersuchen. Trotz der brutalen Angriffe war Saphira allem Anschein nach unverletzt.

Es geht mir gut, Kleiner, bestätigte sie kurz darauf. Er wird schon mehr auffahren müssen um mich zu beeindrucken.

Eragon lächelte freudlos. Seine Erleichterung darüber, seinen Bruder lebend wiederzusehen, wich langsam hilfloser Wut. Unten am Boden bereiteten Trianna und die anderen Magier bereits den Angriff vor und Eragon wusste, dass ihm nicht viel Zeit blieb, wenn er Murtagh wirklich dazu bringen wollte, aufzugeben. Er seufzte tief. Wenn Murtagh nicht auf ihn hören wollte musste er ihn eben dazu zwingen...
 

Los... sandte er an Saphira, die seinem Befehl sofort Folge leistete. Mit wenigen starken Flügelschlägen war sie über Thorn, dann stürzte sie sich, eine gewaltige Feuersalve vorausschickend, erneut auf den roten Drachen.

Thorn warf sich zur Seite und wich ihrem Angriff aus. Er nutzte den Schwung seiner Bewegung, um sich herumzuwerfen und sich auf Saphira zu stürzen.

Erneut prallten die Drachen aufeinander und die Wucht des Aufpralls war so heftig, dass es die beiden Reiter beinahe aus den Sätteln riss.

Saphira schlug mit ihren Krallen nach dem anderen Drachen, doch der wich ihr im letzten Moment aus. So abgelenkt bemerkte Thorn ihren Schwanz erst, als dieser ihn mit voller Wucht traf und zur Seite schleuderte. Saphira setzte ihren Angriff mit brutaler Härte fort und stürzte sich mit weit aufgerissenem Maul auf ihren taumelnden Gegner.

Thorn konnte nicht mehr ausweichen. Saphiras Zähne bohrten sich tief in seinen Hals und rissen eine schreckliche Wunde in sein Fleisch. Der rote Drache brüllte vor Schmerz und Wut auf und versuchte, sich aus Saphiras Biss heraus zu winden. Doch die Drachendame war stark. Immer tiefer und tiefer verbiss sie sich im Hals von Thorn. Tiefrotes Blut benetzte ihre blauen Schuppen, einige Spritzer landeten gar auf Eragons behandschuhten Händen. Es war ein schrecklicher Anblick. Der Gedanke, einen anderen Drachen zu töten widerte ihn zutiefst an, auch wenn er wusste, dass dies womöglich erst der Anfang war...
 

Der Himmel schien erfüllt von Schreien der Wut und der Qual und Eragon wurde plötzlich klar, dass nicht nur der schwer verletzte Drache schrie, sondern auch sein Reiter.

Murtagh riss sein Schwert nach oben und ließ es dann auf Eragon hinabsausen. Der konnte den Angriff abwehren, auch wenn die Stärke von Murtaghs Schlag seinen Arm taub werden ließ. Hastig zog Eragon sein Schwert zur Seite und konterte mit einem schwächeren, aber überraschenden Schlag. Hart traf die flache Seite der Klinge Murtaghs Helm und warf seinen Kopf zur Seite. Murtagh stieß einen erstickten Schrei aus und ließ Zar'roc beinahe fallen. Nur mühsam gelang es ihm, sich wieder aufzurichten. Scheinbar hatte Eragon ihn wirklich verletzt. Das sollte ihn erleichtern, aber stattdessen fühlte Eragon sich seltsam leer...
 

„Gib auf!“ brüllte er laut und versuchte damit erneut, den schrecklichen Kampf zu beenden. Doch Murtagh schüttelte nur den Kopf.

Saphira nahm all ihre Kraft zusammen und schleuderte den roten Drachen von sich. Thorn wich hilflos taumelnd vor ihr zurück und begann dann erneut, sie zu umkreisen.

Nur Augenblicke später griff er wieder an, wenn auch mit deutlich weniger Kraft als zuvor.

Saphira wehrte ihn mit einem weiteren Feuerstoss ab. Die Hitze trieb Eragon die Tränen in die Augen. Der rote Drache heulte auf, unterbrach seinen Angriff aber nicht. Saphira tauchte unter seinen Krallen hinweg und brachte sich so hinter Thorn. Sie drehte sich blitzschnell und packte den anderen Drachen erneut. Thorn versuchte, sich zu befreien und schlug mit Krallen und Schwanz nach ihr. Ein schmerzerfülltes Brüllen von Saphira verriet Eragon, dass einer seiner Schläge sie tatsächlich traf. Saphira spannte alle Muskeln an und schleuderte den roten Drachen und seinen Reiter erneut von sich. Thorn stürzte in rasantem Tempo unkontrolliert einige Dutzend Meter nach unten ehe es ihm gelang, sich abzufangen.

Eragon erwartete, dass der andere Drache erneut versuchen würde sie anzugreifen, doch scheinbar waren seine Verletzungen schwerwiegender als Eragon geglaubt hatte. Thorn verharrte einen Moment reglos in der Luft, dann legte er die Flügel an und ließ sich weiter hinabsinken.
 

Saphira wollte ihm folgen, doch Eragon hielt sie zurück.

Unschlüssig blickte er seinen Gegnern hinterher, die mittlerweile den Boden fast erreicht hatten und in einer von Bäumen gesäumten Senke verschwanden.

Saphira knurrte leise und Eragon konnte spüren, dass alles in ihr darauf brannte dem roten Drachen zu folgen und zu beenden, was sie angefangen hatte. Nur seinetwegen hielt sie sich zurück.

Bist du verletzt? fragte Eragon, um Zeit zu schinden.

Mach dir um mich keine Sorgen, erwiderte Saphira knurrend. Sie sind es, über die du nachdenken solltest!

Eragon zögerte.

„Vielleicht ist es eine Falle...“ murmelte er dann, auch wenn er selbst keine Sekunde daran glaubte. Murtagh würde Thorn nicht zum Landen raten wenn er es nicht für absolut notwendig halten würde. Dennoch wehrte sich etwas gegen ihm dagegen, den beiden zu folgen. Saphira hatte Thorn verletzt, wie schwer, das konnte Eragon nur raten. Dennoch würde das nicht gerade für ihn sprechen, wenn er wirklich versuchen wollte, mit Murtagh zu sprechen.

Saphira schüttelte den gewaltigen Kopf und stieß ein halblautes Brüllen aus.

Das glaube ich nicht. Ich habe ihn ziemlich schwer verletzt. Grimmiger Stolz hallte in ihren Worten wider.

Also folgen wir ihnen? Und dann? Eragon hoffte, dass sie ihm die Entscheidung abnahm.

Saphira jedoch schwieg, auch wenn Eragon spüren konnte wie ihre Gedanken rasten.

Wir folgen ihnen. sagte sie schließlich und ging in den Sinkflug über. Das beantwortete Eragons Fragen nicht vollständig, gab ihm aber ein paar weitere wertvolle Momente um über eine Lösung nachzudenken.

Denn wenn Murtagh nicht endlich bereit war mit ihm zu sprechen und ihn womöglich erneut angreifen würde... würde Eragon keine Wahl mehr bleiben.
 

~
 

Kurz darauf landete Saphira auf dem staubigen Boden unweit des bewaldeten Hügels, hinter dem Thorn und Murtagh gelandet waren. Eragon stieg steif von ihrem Rücken und streckte sich.

Erst jetzt bemerkte er einen Schmerz am rechten Bein und schaute prüfend an sich hinab. Sein Hosenbein war blutverschmiert und an mehreren Stellen zerfetzt. Vorsichtig taste Eragon über die Muskeln und verzog schmerzhaft das Gesicht als seine Finger einen Schnitt fanden. Doch auch wenn es wehtat, die Verletzung war nicht schlimm und der Schnitt nicht tief.

Alles in Ordnung? fragte Saphira und trat zu ihm.

Ja, ist nur ein Kratzer. antwortete Eragon und machte zur Bestätigung ein paar vorsichtige Schritte. Dann steckte er sein Schwert zurück in die Scheide und drehte sich zu Saphira um.

Bist du bereit?

Er wusste, dass er die Frage nur stellte um Zeit zu schinden. Zeit, die sie eigentlich nicht hatten. Denn auch wenn ihr Kampf sie fort von den Soldaten geführt hatte, jeder Mann und jede Frau im Umkreis von Kilometern hatte ihr Duell am Himmel gesehen und nicht wenige von ihnen waren sicher bereits auf dem Weg zu ihnen.

Saphira würdigte ihn keiner Antwort und Eragon schaffte es schließlich, den ersten Schritt zu tun.
 

~
 

Zusammen überquerten sie den Hügel, folgten dem leisen Knurren, das ihnen von der anderen Seite entgegenhallte.

Vor ihnen senkte sich die trockene Wiese sanft in eine Art Kessel hinab. Ein paar niedrige Büsche hatten versucht, den Boden für sich zu erobern, waren in der Hitze aber zu braunen Skeletten verdorrt. Der Boden war sandig und aufgewühlt, dort, wo der rote Drache unsanft gelandet war.
 

Thorn erblickte sie sofort und stieß ein wildes Fauchen aus. Eragon zögerte und blieb stehen, Saphira dicht hinter sich.

Der rote Drache bot einen schrecklichen Anblick. Noch immer troff Blut aus der tiefen Bisswunde, die Saphira ihm beigebracht hatte. Bereits jetzt hatte sich auf dem Boden unter ihm eine rote Pfütze gebildet. Auch aus den zahlreichen anderen Wunden, die ihm Zähne, Krallen und Klinge zugefügt hatten, lief Blut und hinterließ ein seltsames Glänzen auf den ebenso roten Schuppen.

Es tat Eragon weh, den Drachen so verletzt zu sehen, auch wenn es nicht sein eigener war.

Murtagh, der neben seinem Drachen stand, schaute auf und blickte in Eragons Richtung. Sein verbeulter Helm lag neben ihm im trockenen Gras. So konnte Eragon zum ersten Mal das Ausmaß seiner Verletzungen sehen.

Murtaghs gesamte linke Gesichtshälfte war blutüberströmt. Es war unmöglich zu sagen, wie schwer die Kopfwunde tatsächlich war, doch alleine der starke Blutverlust musste ihn deutlich geschwächt haben. Dennoch machte Eragon nicht den Fehler, den anderen Reiter zu unterschätzen. Auch verletzt ging noch immer Gefahr von ihm und seinem Gefährten aus und Eragon wusste aus eigener Erfahrung, dass Wut und Verzweiflung mitunter allen Schmerz vergessen machen konnten.
 

Murtagh warf den Kopf zurück und musterte Eragon mit einem Blick, der unverhohlenen Hass zeigte.

„Bist du hergekommen um mich zu töten? Ich muss dich enttäuschen, auch wenn du uns... geschwächt hast, solltest du dir nicht einbilden, dass du uns alleine besiegen könntest.“

„Ich bin nicht deswegen hier.“ widersprach Eragon mit ruhiger Stimme und ging ein paar Schritte weiter auf den Reiter und seinen Drachen zu. Thorns Krallen bohrten sich tiefer in den aufgewühlten Boden und sein verstümmelter Schwanz bewegte sich unruhig hin und her. Sein Reiter zog sein blutrotes Schwert Zar'roc und hob es drohend in Eragons Richtung.

„Keinen Schritt näher.“ knurrte Murtagh drohend und Eragon blieb tatsächlich stehen. Jetzt, wo er seinen Bruder vor sich stehen sah und so endlich die Gelegenheit hatte mit ihm zu sprechen, wusste er plötzlich nicht, wie er beginnen sollte.
 

Murtagh schien sein Zögern auf seine Weise zu deuten, denn er umfasste den Griff seines Schwertes fester und fixierte Eragon als erwarte er jede Sekunde, dass der ihn angreifen würde.

Eragon schluckte, wohl wissend, dass er jedes seiner Worte sorgfältig wählen musste damit der andere ihm überhaupt lange genug zuhörte.

„Ich habe einen Weg gefunden, dich zu befreien!“ sagte er schließlich.

Und so schlicht sie auch waren, Murtaghs Gesicht verriet, dass er mit diesen Worten nicht gerechnet hatte.

„Was soll dieses... Spiel, Reiter?“ zischte er heiser. In seine Stimme hatte sich ein Zittern geschlichen. Und Eragon entging auch nicht, dass Murtagh es vermied, ihn beim Namen zu nennen.

„Ich habe einen Weg gefunden, dich zu befreien!“ wiederholte er und ging weiter auf Murtagh und seinen Drachen zu.

Murtagh schüttelte langsam den Kopf, schien diese unbewusste Bewegung jedoch gar nicht wahrzunehmen.

„Was... was redest du da?“

Eragon war so erleichtert darüber, dass Murtagh ihm tatsächlich zuhörte, dass er alle Vorsicht fallen ließ. Er ging weiter auf seinen Bruder zu und nahm nur am Rande wahr, dass dieser nicht weiter vor ihm zurückwich.

„Es war schwer... sie hatte es fast vergessen, aber dann fiel es ihr wieder ein!“ Die Worte sprudelten nur so aus ihm heraus, ungeordnet, wirr. Er hoffte nur dass sein Bruder ihn verstand...

„Es ist ein Zauber, ein uralter Zauber. Aber sie kannte ihn. Und er kann dich retten! Er wird dich verstecken, so dass dich niemand mehr finden kann, dass der König dich nicht mehr finden kann!“

Murtagh erbleichte. Langsam, als würde ihn jeder Schritt große Anstrengung kosten, kam er auf ihn zu, bis sie nur noch wenige Meter voneinander entfernt standen. Noch immer hielt er sein Schwert fest in der Hand.

„Das kann nicht sein... “ Seine Stimme klang seltsam hoch.
 

Eragons Stimme überschlug sich fast, als er Murtagh von seinem Treffen mit Angela erzählte und von dem Zauber, der ihn möglicherweise retten konnte.

Murtagh hörte ihm schweigend zu, doch seine Augen waren so voller Unglauben und deutlichem Misstrauen, dass Eragon irgendwann abbrach. Murtagh starrte ihn an, wortlos, das Schwert noch immer erhoben.

„Du lügst.“ presste er schließlich hervor.

Eragon schüttelte den Kopf.

„Nein, es ist die Wahrheit! Sie hat mir davon erzählt, damit ich dich retten kann. Bitte, ich...“

Er trat einen weiteren Schritt auf Murtagh zu, doch diesmal wich sein Bruder vor ihm zurück.

„Du lügst!“ Murtagh schrie jetzt. Seine Hände zitterten mittlerweile so stark, dass es ihm kaum noch gelang, seine Klinge festzuhalten. „Wieso tust du das... wieso sagst du mir, dass ich mich nur selbst retten kann... und dann erzählst du mir das? Glaubst du wirklich, dass ich dir auch nur ein Wort glaube?!“

Eragon stöhnte angestrengt. Er wusste, dass es schwierig werden würde. Dennoch hatte er fast verzweifelt gehofft, dass sein Bruder ihm dieses eine Mal vertrauen würde.

„Es ist ein alter Zauber. Er ist unglaublich mächtig. Die Worte... sie wollte sie mir nicht sagen, aber sie hat mir etwas gegeben...“ Eragon griff mit der freien Hand in den Lederbeutel an seinem Gürtel und ertastete bald das dünne Lederband. Langsam zog er die Kette hervor und streckte Murtagh die Hand entgegen.

„Das hier. Es kann dir helfen. Bitte, nimm es an.“

Murtagh starrte einige Augenblicke wortlos auf die Kette auf Eragons Handfläche. Er machte keinerlei Anstalten, nach ihr zu greifen.

„Wie... ich habe überall gesucht... wieso habe ich davon nie ein Wort gelesen?“

Eragon hob hilflos die Schultern.

„Ich... ich weiß es nicht,“ begann er stotternd.

Die Zweifel am Plan der seltsamen Hexe, die er in den letzten Tagen so sorgsam in die hintersten Ecken seines Verstandes verbannt hatte, drängten nun wieder mit aller Macht an die Oberfläche. Wie konnte er auch nur einen Augenblick erwarten, dass Murtagh ihm vertraute, wenn er selbst nicht wusste, was er ihm anbot und welche Folgen dies für seinen Bruder haben würde...?!
 

Hoffnung keimte in ihm auf als Murtagh langsam auf ihn zukam, das Schwert leicht gesenkt, die Augen fest auf die Kette in seiner Hand gerichtet. Alleine diese Bewegung, dieser Blick, schienen die Rechtfertigung für alle Unsicherheiten und Risiken zu sein...
 

Doch als Murtagh den Kopf hob und ihn ansah, erkannte Eragon, dass er sich geirrt hatte. Unglauben und Zweifel waren aus seinem Blick verschwunden, die Kälte zurückgekehrt.

„Murtagh, bitte...“ versuchte er es wieder, doch Murtaghs eisiger Blick brachte ihn zu verstummen. Murtaghs Hand umfasste den Griff seines Schwertes fester als er langsam auf Eragon zuging.

„Ich glaube dir kein Wort...“ begann er leise und Eragon konnte an seiner Stimme erkennen, dass er seinen Zorn nur mühsam zurückhalten konnte.

„Und wieso sollte ich auch?“ fuhr Murtagh fort und lächelte kalt. „Damit du mir wieder unnötig Hoffnungen machst und mir dann die nächste Lügengeschichte auftischst? Ich lasse dieses Spiel nicht länger zu!“

„Es ist die Wahrheit.“ sagte Eragon ruhig, auch wenn er ahnte, dass Murtagh ihm nicht glauben würde.

Der sah ihn einen Moment lang schweigend an, dann seufzte er.

„Sei es wie es ist, es ist sowieso zu spät.“

Eragon schluckte. Murtaghs Worte klangen erschreckend endgültig.

Der andere Reiter blieb schließlich wenige Schritte von ihm entfernt stehen und hob langsam seine Klinge. Sie waren sich so nah, dass die Spitze Eragons Brustpanzer fast berührte.

„Ich gebe dir eine letzte Chance, Eragon.“ Aus Murtaghs Mund klang sein Name wie ein Fluch. „Begleite mich freiwillig in die Hauptstadt und ich verspreche, dass deinen Leuten kein Leid geschehen wird.“

Seine Worte waren so absurd, dass Eragon beinahe hysterisch aufgelacht hätte. Langsam wich er vor Murtagh zurück.

„Ich werde nicht mit dir kommen. Niemals.“

„Dann werde ich dich zwingen.“ sagte Murtagh kalt.

Eragon schüttelte den Kopf.

„Ich werde nicht mit dir gehen. Und ich werde nicht gegen dich kämpfen.“ Um seine Worte zu unterstreichen trat er einen weiteren Schritt zurück.

Murtaghs Lippen verzogen sich zu einem hässlichen Grinsen.

„Mach dich nicht lächerlich. Wir beide wissen, dass dir keine andere Wahl bleibt. Du kämpfst oder du stirbst. Ich kann dich nicht gehen lassen, selbst wenn ich es wollte. Diesmal nicht. Er lässt mich nicht.“

Sein Blick bohrte sich in Eragons wie eine Klinge aus Eis. Eragon versuchte, die aufkeimende Angst herunterzuschlucken, doch sein Hals fühlte sich rau und trocken an. Die Welt um ihn herum schien sich seltsam zusammenzuziehen und von allen Seiten gegen ihn zu drängen. Das Atmen fiel ihm schwerer und schwerer.

Was er auch versuchte, es gelang ihm nicht, den schrecklichen Kreislauf zu durchbrechen, der ihn und seinen Bruder gefangenhielt, sie wieder und wieder aufeinander hetzte und sie zwang, einander zu verletzten.

Von Mal zu Mal wurden die Wunden tiefer, der Schmerz größer. Und am Ende würden sie einander vielleicht sogar töten.

Und wofür...?
 

Er schüttelte den Kopf und trat weiter zurück, an die Seite von Saphira, welche die ganze Zeit schweigend hinter ihm gestanden hatte. Ihre Anwesenheit machte ihm Mut, bestärkte ihn in seinem Entschluss.

„Ich werde nicht mit dir gehen, Murtagh. Ich glaube daran, dass wir eine Wahl haben, wir beide. Ob du das wahrhaben willst oder nicht...“

Murtaghs Blick war unleserlich, doch er unterbrach ihn nicht.

„Ich habe genug,“ fuhr Eragon fort. „Genug davon, gegen dich kämpfen zu müssen, wieder und wieder. Ich ertrage das nicht mehr.“ Den letzten Teil hatte er so leise gesagt, dass er nicht sicher war ob Murtagh ihn überhaupt gehört hatte.
 

Dann standen sie da, still, schweigend, und sahen einander an. Zwei Männer, die ein Schicksal teilten, das sie beide kaum verstanden. Ein Schicksal, das sie hierher geführt hatte, in diese Zeit, an diesen Ort, und das Dinge von ihnen verlangte, die so weit weg waren von allem, was sie tun konnten oder wollten.

Ein Schicksal, dem sie trotz allem nicht entrinnen konnten...
 

Der Angriff kam so plötzlich, dass Eragon ihm gerade noch ausweichen konnte.

Die rote Klinge verfehlte ihn nur knapp und zwang ihn dazu, sich mit einem fast schon verzweifelten Sprung in Sicherheit zu bringen.

Eragon nutzte seinen Schwung für eine schnelle Drehung und zog mit einer fließenden Bewegung sein eigenes Schwert. Er machte ein paar schnelle Schritte zur Seite, brachte Abstand zwischen sich, Saphira und seinen Gegner. Er öffnete den Mund, doch Murtagh erstickte jeden Versuch, erneut mit ihm zu reden, im Keim und sprang erneut auf Eragon zu.

Diesmal sah Eragon seinen Angriff kommen und brachte sich mit einer geschickten Drehung erneut außer Reichweite seines Bruders. Er hob sein Schwert vor den Körper, bereit, den nächsten Schlag abzuwehren.

„Hör auf!“ rief er hilflos, auch wenn er ahnte, dass es sinnlos war.

Tatsächlich reagierte Murtagh nur mit einer Serie weiterer brutaler Angriffe. Und auch wenn er verletzt war, waren seine Attacken noch immer stark und präzise. Die kurzen Pausen zwischen seinen Schlägen ließen Eragon kaum Zeit für einen Gedanken, geschweige denn ein Wort.

Klirrend prallten die beiden Klingen aufeinander und brachten die beiden Kämpfer immer wieder so nah zusammen, dass Eragon das Blut riechen konnte, das auf Murtaghs Haut langsam trocknete.

„Murtagh, ich bitte dich, hör auf damit!“ rief Eragon verzweifelt. Ein Flackern schlich sich in dessen Blick, verschwand aber sofort wieder, als er nur noch fester gegen Eragon drückte. Eragon spürte, dass der sandige Boden unter seinen Füßen langsam nachgab.

„Bitte...!“ versuchte er erneut und Murtagh ließ tatsächlich von ihm ab. Kurz darauf zerstörte er Eragons Hoffnungen jedoch sofort wieder und setzte zu einem weiteren Angriff an. Mit einem lauten Brüllen riss er sein Schwert nach oben und zielte auf Eragons Gesicht.

„Ich kann nicht aufhören...“ presste er gequält hervor. Es klang beinahe schon entschuldigend.

Eragon warf sich zur Seite. Die rote Klinge zischte so nah an ihm vorbei, dass er den Luftzug auf seiner Haut spüren konnte.

„Doch, du kannst. Wenn du es wirklich willst, dann kannst du dich dagegen wehren!“

„Ich kann nicht!“ schrie Murtagh und griff ihn sofort wieder an. Sein Schwert bewegte sich so schnell, dass es nur noch als verschwommene Bewegung in der Luft zu erkennen war.

Eragon wich dem Hieb aus und konterte mit einem heftigen Gegenangriff. Murtagh drehte sich blitzschnell herum und schlug erneut zu, zielte auf Eragons Schwertarm. Doch Eragon hatte seinen Angriff vorausgesehen und wich zurück.

Murtagh stieß einen zornigen Schrei aus.

„Was soll das werden, Bruder? Sei kein Feigling und wehr' dich endlich!“

Eragon schüttelte den Kopf.

„Nein. Ich habe dir gesagt, dass ich nicht gegen dich kämpfe.“

Murtagh starrte ihn an. In seine Augen hatte sich ein Ausdruck geschlichen, den Eragon mittlerweile nur allzu gut kannte: Verzweiflung.

Verwirrt starrte er seinen Bruder an und wünschte sich wieder einmal, dass er in ihn hineinblicken könnte, erkennen könnte, was in ihm vorging. Eragon spürte, dass Murtagh den Kampf genauso wenig wollte wie er. Aber wieso wehrte er sich dann so gegen seine Hilfe? Wieso ließ er es zu, dass der König derart über ihn verfügte? Wieso...
 

Ein erneuter Angriff von Murtagh riss Eragon aus seinen Gedanken. Er riss seine blaue Klinge nach oben und schlug Murtaghs Schwert zur Seite. Langsam erkannte er, dass Murtagh nicht aufhören würde. Was immer Eragon da vor wenigen Minuten noch in seinem Blick gesehen hatte, es war erloschen wie eine Kerzenflamme in einer stürmischen Nacht. Auch wenn sich alles in ihm dagegen wehrte, dass Murtagh möglicherweise recht hatte und er keine andere Wahl hatte als zu kämpfen...
 

Eragon wartete Murtaghs nächsten Angriff ab, drehte sich dann plötzlich und griff seinerseits an.

Murtagh schien von seinem plötzlichen Sinneswandel völlig überrumpelt und wich seinen ersten Schlägen mehr schlecht als recht aus.

Ihre Klingen sprühten goldene Funken als sie aufeinander prallten. Eragon drückte mit aller Kraft gegen ihn und stellte mit Befriedigung fest, dass sein Bruder Mühe hatte, ihm zu widerstehen.

Eragon versetzte ihm einen heftigen Stoß und bemerkte zufrieden, dass er Murtagh damit aus dem Gleichgewicht brachte. Sofort stürzte Eragon nach vorne und riss sein Schwert nach oben. Murtagh jedoch ließ sich zur Seite fallen und Eragons Schlag ging ins Leere. Sofort wirbelte Eragon herum, drehte sein Schwert und riss es erneut nach oben. Murtagh jedoch erwartete seinen Schlag.

Die beiden Klingen prallten so hart aufeinander, dass Eragon zurückgeworfen wurde und versehentlich seine Hand öffnete. Sein Schwert flog ihm aus der Hand und landete einige Meter entfernt auf dem Boden.

Murtagh reagierte sofort.

Seine freie Hand schnellte nach vorne und schloss sich um Eragons Hals.

Eragon keuchte erschrocken auf, versuchte, die eiserne Faust um seine Kehle wegzustoßen, doch Murtagh drückte unbarmherzig zu. Panische Angst breitete sich in Eragon aus. Er versuchte zu schreien, doch über seine Lippen drang nur ein atemloses Röcheln. Hilflos schlug er nach Murtagh, doch der begegnete seiner Gegenwehr mit einem kalten Lächeln und drückte nur noch fester zu.

Weiße Flecken stahlen sich in Eragons Blickfeld und er wusste instinktiv, dass ihm nicht mehr viel Zeit blieb. Verzweifelt schrien seine Lungen nach Luft, doch die kam nicht. Er spürte, wie ihm heiße Tränen in die Augen stiegen, doch er hielt seinen Blick fest auf seinen Bruder gerichtet.

Und tatsächlich schien etwas in seinem Blick Murtagh zu erreichen. Der Griff um seinen Hals lockerte sich etwas und erlaubte Eragon einen einzelnen, verzweifelten Atemzug. Seine Kehle brannte wie Feuer, als die Luft durch sie hindurchströhmte.

„Bitte...“ stieß er mühsam hervor.

Murtagh starrte ihn an und Eragon meinte, durch die weißen Blitze hindurch erneut dieses seltsame Flackern in seinem Blick zu sehen. Doch noch immer zögerte er, ließ ihn nicht los.

Langsam verschwamm die Welt vor Eragons Augen. Er würde nicht mehr lange durchhalten...
 

Ein markerschütterndes Brüllen ließ die beiden Kämpfer zusammenzucken.

Saphira stieß sich vom Boden ab und stieg mehrere Meter in die Höhe. Dabei schlug sie so heftig mit den Flügeln, dass die beiden Reiter von den Windstößen von den Füßen gerissen wurden. Eragon prallte hart auf dem sandigen Boden auf und keuchte schmerzvoll. Der Druck um seinen Hals war verschwunden, aber noch immer hatte er das Gefühl zu ersticken. Sein Hals brannte wie Feuer und ihm war so schwindelig, dass er glaubte, sich jeden Moment übergeben zu müssen.

Schwerfällig erhob er sich und suchte nach Murtagh. Der hockte mehrere Meter entfernt von ihm. Den Blick fest auf Saphira gerichtet, richtete er sich langsam auf und hob Zar'roc.

Eragon schluckte und versuchte, sich zu beruhigen. Doch die Schmerzen und der Schwindel ließen nur langsam nach. Entsetzt registrierte er, dass Saphira ihm womöglich das Leben gerettet hatte. Auch wenn alles in ihm sich gegen den Gedanken wehrte, dass Murtagh ihn wirklich getötet hätte...
 

Taumelnd kam Eragon auf die Füße und breitete die Arme aus.

„Saphira!“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Krächzen, doch sie verfehlte ihre Wirkung nicht. Saphira drehte sich zu ihm herum und war nur einen Moment später bei ihm. Sie senkte den Kopf bis er sich beinahe auf Augenhöhe mit Eragons befand und betrachtete ihn von oben bis unten.

Mir geht es gut... sagte Eragon abwehrend, doch Saphira knurrte nur.

Nein, tut es nicht. Und es ist meine Schuld. Ich hätte nicht zulassen dürfen, dass er dir so nahe kommt!

Ihr Atem war so heiß, dass er Eragons Gesicht zu verbrennen schien, doch er wandte sich nicht ab.

Ich hab dich darum gebeten... bemerkte er schwach.

Und ich hätte nicht auf dich hören dürfen! Saphira erhob sich und schaute über ihre Schulter zu Murtagh hinüber. Der stand noch immer dort, wo er nach Saphiras Attacke gelandet war und klopfte den Staub von seinem Umhang.

Dieser Verräter hätte dich fast getötet! Dafür sollte ich ihn auf der Stelle in Stücke reißen!

Nein...! krächzte Eragon und schlang die Arme um Saphiras Hals. Noch immer brannten ihr Zorn und auch ihre Angst wie flüssiges Feuer in ihr.

Er wird mich nicht töten, er braucht mich lebend. Das war die Wahrheit. Zumindest hoffte Eragon das...

Bitte...
 

Saphira schwieg.

Auch als Eragon sie losließ und ein paar Schritte in Murtaghs Richtung ging.

Der begegnete ihm mit einem kalten Lächeln.

„Hast du noch nicht genug?“

„Sei still.“ Eragon wünschte sich, seine Stimme würde nicht so furchtbar heiser klingen.

Murtagh lachte auf: „Was denn... du willst mir Befehle erteilen? Für wen hältst du dich?!“

Herausfordernd streckte er seine Klinge in Eragons Richtung.

„Deine letzte Chance, Bruder. Triff deine Entscheidung.“

Eragon straffte sich.

„Das habe ich bereits. Und ich bitte dich noch einmal: hör auf damit!“ Sein Hals fühlte sich wund an, er schmeckte Blut.

Murtagh rührte sich nicht. Eragon spürte eine Welle heißer Wut durch seinen Körper fließen.

„Verflucht nochmal, ich versuche dir zu helfen!“ brüllte er so laut er noch konnte.

„Ich will deine Hilfe nicht!“ schrie Murtagh zurück.

Dann sprang er nach vorne, griff ihn mit immer schneller werdenden Schlägen an. Eragon wich seinen Angriffen mit geschickten Bewegungen aus und versuchte, in die Nähe seiner eigenen Klinge zu kommen, die noch immer im Staub lag.

Murtagh schien seinen Blick zu bemerken, denn plötzlich unterbrach er sich und trat einen Schritt zurück.

„Los,“ befahl er und deutete mit seiner eigenen Klinge auf Brisingr. “Nimm es.“

Eragon starrte ihn an.

„Nimm dein Schwert!“ sagte Murtagh erneut, diesmal lauter. „Ich kämpfe nicht gegen einen Unbewaffneten!“

Diesmal gehorchte Eragon und hob sein Schwert auf. Das sonst so strahlende Metall war matt und schmutzig geworden. Langsam drehte er die Klinge in der Hand und betrachtete sie.

Dann wirbelte er herum und stürzte sich mit einem wilden Schrei auf Murtagh.

Ihre Klingen prallten heftig aufeinander, doch diesmal hielt Eragon dem Druck stand. Er machte einen schnellen Schritt nach vorne und ließ seine Klinge an der seines Bruders entlang nach unten gleiten.

Plötzlich waren sie sich so nah, dass er Murtaghs heißen Atem auf seinem Gesicht spüren konnte. Der zögerte plötzlich und Eragon nutzte die kurze Schwäche sofort. Er drehte sich blitzschnell herum und riss sein Schwert zur Seite.

Er traf Murtagh am Arm, durchstieß seine Rüstung und riss eine tiefe Wunde in sein Fleisch. Sein Bruder keuchte erschrocken auf und wich mehrere Schritte zurück. Er blickte auf die klaffende Wunde und schien erst langsam zu begreifen was passiert war.

Eragon wusste, dass er Erleichterung fühlen sollte, Euphorie. Mit einer derartigen Verletzung würde Murtagh ihn nicht mehr besiegen können und er würde ihm nicht die Gelegenheit geben, sich zu heilen! Aber erneut fühlte er nur dumpfe Leere...
 

Er schüttelte den Kopf und griff wieder an, seine Schläge schnell und präzise. Murtagh fiel es immer schwerer, seine Angriffe abzuwehren. Sein verletzter Arm hing schlaff an seiner Seite und zwang ihn dazu, sein Schwert mit nur noch einer Hand zu führen. Die rote Klinge erzitterte unter der Wucht von Eragons Schlägen. Eragon konnte jetzt immer öfter einen Treffer landen, wenn seine Rüstung Murtagh auch vor dem Schlimmsten bewahrte.
 

„Hör endlich auf, du kannst mich nicht besiegen.“ presste Eragon zwischen zwei Schlägen hervor.

Murtagh antwortete mit einem wütenden Brüllen und griff ihn wieder an.

Eragon prallte zurück, wich Murtaghs zornigen Schlägen aber geschickt aus. Seine Wut ließ Murtagh unvorsichtig und leichtsinnig werden. Eragon traf ihn erneut und zerschlug den Panzer über seiner Brust. Murtagh wurde zurückgeworfen und Eragon setzte ihm sofort nach, fest entschlossen, den Kampf mit seinem nächsten Schlag zu beenden.

Er war so auf seinen Angriff konzentriert, dass er nicht merkte, dass Murtaghs Zurückweichen nur eine Finte gewesen war. Murtagh fing sich im letzten Moment ab, rollte zur Seite und sprang wieder auf die Füße.

Plötzlich war er hinter Eragon und rammte ihm einen Ellbogen in den Rücken. Eragon wurde nach vorne geschleudert und stürzte zu Boden.

Murtagh lächelte grimmig und trat langsam auf ihn zu, siegessicher.

Zu siegessicher...

Eragon wartete, bis Murtagh direkt vor ihm stand, dann stieß er sich kraftvoll vom Boden ab und trat nach ihm. Er traf sein Schienbein mit voller Wucht und spürte, wie die Knochen bedrohlich knackten. Murtagh brüllte auf und fiel nach vorne. Im letzten Moment ließ er sein Schwert fallen und fing sich mit der unverletzten Hand ab. Sofort wollte er sich aufrichten, doch Eragon hob blitzschnell sein Schwert und setzte ihm die Klinge direkt an die Kehle.

Murtagh erstarrte in der Bewegung.

Langsam bewegte er den Kopf, soweit es die scharfe Klinge zuließ, und sah Eragon an.

„Es ist vorbei.“ sagte dieser.

Murtagh presste die Zähne zusammen. Er warf einen schnellen Blick zu seinem Schwert, welches noch immer neben ihm lag. Mit einem gezielten Griff würde er es erreichen können.

Doch Eragon bemerkte seinen Blick und schob die rote Klinge mit seinem Fuß beiseite.

„Es ist vorbei, Murtagh.“ wiederholte er erneut.

Murtagh starrte ihn wütend an. Langsam hob er die unverletzte Hand in Eragons Richtung.

„Lass das.“ zischte Eragon und Murtagh zögerte tatsächlich, als Eragon die Klinge fester gegen seine Haut drückte.

„Zwing mich nicht dazu dich zu töten.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.

Ein dünnes, rotes Rinnsal lief an Murtaghs Hals hinab und hinterließ eine ebenso rote Linie auf Eragons blauer Klinge.

„Na los, tu' es...“ sagte er langsam.

„Sei still.“ fuhr Eragon ihn an.

Murtagh schwieg tatsächlich. Seine grauen Augen waren fest auf Eragon gerichtet, aber sein Blick flimmerte leicht. Eragon konnte sehen, dass er starke Schmerzen haben musste. Er musste mehrere gebrochene Knochen haben, außerdem verlor er viel Blut aus der tiefen Wunde an seinem Arm. Wie zur Bestätigung entfuhr Murtagh ein angestrengtes Keuchen.

Doch Eragon schob alles Mitleid von sich und zwang sich dazu, seine Möglichkeiten zu überdenken.

Er hatte einen Auftrag, das wusste er, und ein Teil von ihm wollte ihn erfüllen, jetzt, da sein Gegner beinahe hilflos vor ihm auf dem staubigen Boden hockte.

Doch ein anderer Teil von ihm wehrte sich nach Kräften dagegen, auch nur daran zu denken, was das für ihn bedeuten würde und brachte seine Hände zum zittern.
 

Wenn sich seine Gedanken in seinem Gesicht abzeichneten konnte Murtagh sie glücklicherweise nicht erkennen. Er hatte den Kopf gesenkt und schien angestrengt auf etwas hinter Eragons Füßen zu starren. Die Adern an seinen Schläfen traten deutlich hervor, die Wunde an seinem Arm blutete mittlerweile heftig. Und auch an seinem Gesicht liefen wieder frische rote Rinnsale herunter. Bei diesem Blutverlust war es nur noch eine Frage der Zeit, bis er das Bewusstsein verlieren würde.

Eragon wusste, dass er etwas tun musste. Doch er wusste nicht was...was... was sollte er tun...? Er musste ihn töten, er sollte ihn töten... doch je länger er darüber nachdachte, desto absurder erschien ihm der Gedanke. Am liebsten hätte er hysterisch aufgelacht! Er konnte Murtagh nicht töten! Er wollte ihn nicht töten!
 

Schreie erklangen. Die ersten Soldaten mussten sie entdeckt haben. Es war nur noch eine Frage von Minuten, bis sie die Reiter und ihre Drachen erreicht haben würden. Die Zeit rannte ihnen davon und noch immer war Eragon wie erstarrt.

Murtagh wurde immer unruhiger. Immer wieder schloss und öffnete er die Augen, doch sein Blick schien mehr und mehr zu verschwimmen. Unter seinem Arm hatte sich eine rote Pfütze gebildet. Sein Atem ging schnell, keuchend.

Der Anblick berührte etwas in Eragon. Etwas, was er nicht näher bestimmen konnte, was ihn aber sein Schwert ein Stück senken ließ.

„Wir waren einmal Freunde, Murtagh.“ begann er langsam. „Ich habe das nicht vergessen. Und ich will dich nicht töten...“

„Du hast keine Wahl.“ sagte Murtagh mit vor Schmerzen verzerrter Stimme.

Eragon hatte das Gefühl, dass diese Worte etwas in ihm an die richtige Stelle rückten. Er senkte das Schwert und trat einen Schritt zurück. Murtagh hob den Kopf und starrte ihn an, ungläubig, ängstlich.

„Wir haben immer eine Wahl.“ sagte Eragon mit fester Stimme.

Saphira trat an seine Seite, Eragon spürte ihren Blick in seinem Rücken. Mit der freien Hand griff er an seinen Gürtel, seine Finger fanden die Kette, die Angela ihm gegeben haben. Langsam zog er sie hervor und betrachtete sie einen Moment lang. Dann warf er sie in Murtaghs Richtung.

Die Kette landete im Staub zu seinen Füßen, doch Murtagh rührte sie nicht an.

„Was ist das?“ fragte er kraftlos.

„Das ist deine Entscheidung.“ antwortete Eragon.

Murtagh runzelte die Stirn.

„Betrachte es als... Wiedergutmachung,“ fuhr Eragon fort. „Jetzt liegt es bei dir. Ich bin dir nichts mehr schuldig.“ Seine Stimme klang mit einem Mal seltsam unbeteiligt.

Murtagh zögerte noch einen Moment, dann beugte er sich ungelenk nach vorne und zog die Kette aus dem Staub. Er drehte den Anhänger in seiner Hand, wieder und wieder, schien sich völlig in dem kleinen Stück schimmernden Metalls zu verlieren.

Er sah auf, betrachtete Eragon einen Moment.

„Bitte benutze es.“ sagte der noch, dann drehte er sich um und ging an Saphira vorbei zum Rand der Senke. Die blaue Drachendame folgte ihm.

Eragon sah nicht zurück.

Dead Promises

Und da bin ich auch schon wieder. =)

Diesmal hab ich mich wirklich sehr bemüht, schnell zu schreiben und euch nicht wieder so lange warten zu lassen. Was nicht einfach war, da sich auch dieses Kapitel zwischendurch ziemlich gesträubt hat. Die nächsten werden einfacher, zum Glück! Und länger. Und epischer! Hoffentlich. *lach*
 

Ein klein wenig Statistik: mein Dokument mit dem unglaublich kreativen Titel „fanfic.odt“ (als ich angefangen hab hatte ich den Titel noch nicht) umfasst bisher 119 Seiten. Ich schreibe in Arial und der Schriftgröße 10 mit einfachem Zeilenabstand.
 

Das Kapitel „Dead Promises“ startet auf Seite 44 und endet auf Seite 51. Das nächste Kapitel, das bisher mit dem Wort „Murtagh“ beginnt, ist bereits jetzt länger als „Dead Promises“ und wird noch um einiges wachsen.
 

Lalala, das wollten auch alle wissen. XD

Viel Spaß beim Lesen!
 

+++
 

Murtagh starrte auf das Amulett in seiner Hand. Zum wievielten Mal, das konnte er längst nicht mehr sagen. Dennoch hoffte er noch immer beinahe verzweifelt, dass sich der Anblick beim nächsten Hinsehen irgendwie verändert haben würde. Wie, das konnte er selbst nicht sagen. Er wusste nicht, was er erwarten, was er hoffen sollte. Und dennoch war er jedes Mal beinahe enttäuscht, wenn er wieder nur den kleinen Anhänger an dem abgewetzten Band vor sich sah.

Er war so klein, so unscheinbar. Nicht einmal der Stein schien besonders zu sein. Im fahlen Licht der Sonne glänzte er schwach, erinnerte ihn an die stille Oberfläche eines Teichs an einem düsteren Herbsttag... Dennoch, wenn er Eragons Worten Glauben schenkte, war das alles was er brauchte um die grausamen Fesseln abzustreifen die ihn schon so lange gefangenhielten.
 

Erneut wandte Murtagh seinen Blick von der Kette ab, starrte auf den langsam dunkler werdenden Himmel, der sich über ihm ausbreitete wie ein schweres Tuch, das langsam die Welt unter sich begrub.

Alles in ihm wehrte sich gegen das, was Eragon ihm gesagt hatte. Sein Verstand sagte ihm, dass es nichts veränderte, dass es ihm nicht helfen würde. Dass es nichts weiter war als eine weitere kindische Hoffnung, die der König früher oder später zwischen seinen Fingern zu Staub zermahlen würde, wie so viele Male zuvor.

Trotzdem zögerte er. Hielt den Anhänger in seiner Hand, drehte ihn hin und her, wieder und wieder. Unfähig, ihn von sich zu schleudern, unfähig, nicht daran zu denken es zu tun.

Freiheit...

Dieses eine Wort, dieser eine Gedanke, waren alles was ihn dazu brachte, weiter zu kämpfen, weiter zu atmen. Und dennoch schien er sich weiter und weiter davon zu entfernen. Bis der Gedanke an Freiheit nur noch eine vage Idee war, die ihm durch die Finger glitt bevor er sie richtig greifen konnte.

Wie konnte er sich nach etwas sehnen, von dem er nicht einmal wirklich wusste wie es sich anfühlte?
 

Murtagh schluckte schwer und schloss die Augen.

Illusionen, nichts als Illusionen...

Er war niemals frei gewesen. Und er würde niemals frei sein...
 

Nie zuvor war er so nah dran gewesen, sich vollkommen zu fühlen. Sich frei zu fühlen...
 

Der laue Wind blies rauschend durch die tiefgrünen Kronen der Bäume um ihn herum. Die Geräusche erinnerten ihn an den Klang von Wellen, die auf Steine trafen. Unbeherrscht, kraftvoll, aber doch so vertraut, dass alle Gedanken und Gefühle sich ihnen nur allzu bereitwillig anschlossen.
 

Die Welt schien so weit weg, unwirklich, wie ein seltsamer Traum, den sie am Morgen langsam abschüttelten. Als wären sie die einzigen Menschen die es noch gab. Als würden das Gras, die Bäume, die Blätter, der Wind, nur ihnen gehören.
 

Murtaghs Blick glitt über das Gras. Und blieb an ihm hängen. Wieder einmal.

Er lag auf der Wiese, die Arme neben sich ausgebreitet, reglos. Nur seine Augen, in denen sich der blaue Himmel spiegelte, verrieten, dass er nicht schlief.

Er drehte den Kopf, als er Murtagh bemerkte, und das Blau richtete sich auf ihn, als er lächelte.

„Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr zurück.“

Murtagh hätte aufgelacht, wäre sein Hals nicht plötzlich wie ausgetrocknet gewesen.

Und er wusste, er würde immer zurück kommen...
 

Er konnte nicht sagen, wann es angefangen hatte, oder wie.

Er wusste nur eins: es wurde schlimmer.

Jeder Tag mit ihm, jeder einzelne Moment, riss die Wunde in seinem Inneren weiter auf, ließ sie tiefer und tiefer werden.

Es hatte eine Zeit gegeben, in der er noch eine Wahl gehabt hatte. In der er sich dazu entscheiden konnte zu gehen.

Doch er war geblieben. Und hatte es zugelassen, dass sich dieser Junge in seine Gedanken schlich, in seine Träume, und ihm damit jeden Tag vor Augen führte, wie grausam das Schicksal sein konnte.

Sein Verstand schrie. Lauf, lauf, so weit du kannst!

Doch er blieb.

Bis sich auch der letzte Ausweg hinter ihm verschloss und er wusste, dass es kein Zurück mehr geben würde.
 

Und der warme Wind verwandelte sich in einen Sturm, der alle seine Hoffnungen und Wünsche mit sich riss und ihn allein in tiefer Dunkelheit zurück ließ...
 

Seltsam, dass er jetzt daran dachte. An diesen Moment, der ihm so klein und unbedeutend erschienen war, dass er ihn beinahe schon vergessen hatte.

Murtagh lächelte freudlos. Vielleicht hatte der König recht und er war tatsächlich verrückt. Wie sonst war es zu erklären, dass ein Teil von ihm sich in Gedanken an Augen wie Himmel verlor...

... und ein anderer Teil von ihm sich nichts sehnlicher wünschte, als dass genau diese Augen es wären, die ihn endgültig in den Tod schicken würden.
 

Langsam hob er eine Hand und tastete nach der Wunde, die Eragons Schwert an seinem Hals hinterlassen hatte. Der schmale Strich war verkrustet und würde wohl spurlos verheilen. Er hätte ihn sofort verschwinden lassen können, doch er schaffte es nicht, die magischen Worte auszusprechen. Hütete die kleine Wunde stattdessen wie einen Talisman, ein Brandzeichen, eine letzte Erinnerung...
 

Als er die blaue Klinge seines Bruders an seinem Hals gespürt hatte, hatte er sich einen Moment lang gewünscht, Eragon würde es tun. Die Klinge tief in sein Fleisch treiben und ihn endlich erlösen. Er hätte es seinem Bruder nicht vorgeworfen, er wäre nicht einmal wütend auf ihn gewesen. Er hätte in seine blauen Augen gesehen während er starb, und es wäre gewesen wie in jenem Moment vor so langer Zeit.

Und er hätte ihm gedankt, dafür, dass er etwas tat, was Murtagh selbst nicht fertig brachte.

Doch Eragon hatte es nicht getan. Er vertraute ihm, vertraute darauf, dass er das richtige tun würde. Nach all der Zeit, nach allem was passiert war, vertraute Eragon ihm noch immer. Aus Gründen die Murtagh nicht einmal erahnen konnte.

Und er gab ihm eine allerletzte Chance, auch wenn Murtagh der letzte Mensch war, der diese Güte verdient hatte.
 

Murtagh ließ die Hand sinken. Das alles war so verrückt...

Er musste über sich selbst lachen, auch wenn ihm die Tränen über das Gesicht liefen.

Er war verloren, so verloren...
 

~
 

Eragon musste nicht weit gehen.

Noch während die Flügelschläge des roten Drachen hinter ihm leiser wurden und schließlich verklangen, konnte er vor sich bereits die ersten Soldaten erkennen. Ihre galoppierenden Pferde wirbelten so viel Staub auf, dass Eragon einen Moment den Eindruck hatte, direkt in einen heranrasenden Sandsturm zu blicken.

Sie brüllten ihm irgendetwas zu, aber Eragon konnte sie durch den Lärm, den die unzähligen Hufe verursachten, nicht verstehen.
 

Saphira war dicht neben ihm. Er streckte eine Hand aus und legte sie auf ihren Hals. Ihre Nähe tröstete ihn.

Saphira drehte den Kopf und betrachtete ihn mit einem riesigen Auge.

Sie werden eine Erklärung verlangen. bemerkte sie nüchtern.

Ich weiß. sagte Eragon und konnte ein Seufzen nicht unterdrücken. Er hatte keine Ahnung, wie er Nasuada erklären sollte, dass der feindliche Reiter erneut entkommen war. Nein, nicht entkommen, erinnerte sich Eragon schmerzvoll. Er hatte ihn gehen lassen. Obwohl er kurz davor gewesen war, ihn zu besiegen und diesem Kampf endlich ein Ende zu setzen.

Noch immer spürte er das Gewicht seines Schwertes in seiner Hand, auch wenn die Klinge längst wieder an seinem Gürtel hing. Und noch immer sah er Murtagh vor sich, der mit weit aufgerissenen Augen zu ihm hinaufstarrte. Es wäre so einfach gewesen, den schrecklichen Kampf zu beenden. Doch er hatte es nicht getan.
 

Ein Teil von ihm hatte diese Entscheidung schon bereut, als er Murtagh den Rücken zugewandt hatte. Er war enttäuscht gewesen, verletzt. Er hatte erwartet, dass Murtagh sein Geschenk anders aufnehmen würde. Dass es ihn dazu bringen würde, sich wieder für ihre Seite zu entscheiden, die richtige Seite.

Stattdessen hatte er Eragon wieder einmal vor Augen geführt, wie wenig er seinen Bruder eigentlich kannte.

Vielleicht war der Graben zwischen ihnen inzwischen wirklich zu tief geworden, um ihn noch überwinden zu können...
 

Die kleine Gruppe schwer bewaffneter Krieger erreichte sie und brachten eine Welle von Staub mit sich, die Eragon husten ließ. Sofort brach eine Flut von Rufen über ihn herein, doch ihr Anführer brachte die Soldaten mit einer herrischen Handbewegung zum Schweigen. Schwerfällig stieg er von seinem Streitross und kam auf Eragon zu. Seine inzwischen nur noch schwach glänzende Rüstung knirschte von Staub und Dreck. Sein Name war Jacub, glaubte Eragon sich zu erinnern.

Jacub blieb wenige Schritte von Reiter und Drache entfernt stehen. Er hielt sich nicht mit einer Begrüßung auf: „Jörmundur schickt uns. Wir haben den roten Drachen fortfliegen sehen. Was ist passiert?“

„Er ist entkommen.“ antwortete Eragon knapp. Er seufzte kaum hörbar. Er wollte den Mann nicht belügen, doch er wusste, dass er die Wahrheit nicht verstanden hätte. Er verstand sie ja nicht einmal selbst...
 

Die anderen Soldaten begannen zu tuscheln, doch die Miene des großgewachsenen Kriegers vor ihm blieb unbewegt. Eragon schaffte es nur mühsam, seinem Blick standzuhalten. Jacub war schon sehr lange bei den Varden und genoss das Vertrauen von Nasuada und den anderen Befehlshabern. Und Eragon war sicher, dass er bereits jetzt seine eigenen Schlüsse zog.

„Ich verstehe,“ sagte Jacub nach einem kurzem Zögern und drehte sich halb zu der Gruppe hinter sich um. „Dem Reiter und dem Drachen geht es gut!“

Einer der Reiter löste sich aus der Gruppe und ritt wieder zurück zum Heer, um die Nachricht weiterzugeben.

Dann wandte Jacub sich wieder an Eragon: „Ihr solltet uns begleiten. Die Anführer müssen erfahren was passiert ist.“

Eragon schüttelte den Kopf.

„Nein, ich bleibe bei Saphira.“ Saphira schlug wie zur Bestätigung seiner Worte knapp mit den Flügeln und machte sich abflugbereit.

Jacub runzelte die Stirn und betrachtete die Drachendame einen Moment. Dann schien er eine Entscheidung zu treffen.

„Wie Ihr wünscht.“ Er drehte sich erneut um und deutete in die Richtung, in die der Reiter kurz zuvor verschwunden war. „Lady Nasuada und ihre Krieger sind stehen geblieben. Jörmundur ist auf dem Weg zu ihr. Sie warten auf Euch, gleich hinter den Hügeln.“

Eragon nickte.

Jacub betrachtete ihn noch einen Moment lang, dann drehte er sich um und ging zu seinem Pferd zurück. Schwerfällig zog er sich auf den Rücken des Tieres und griff nach den Zügeln. Dann gab er einen knappen Befehl und die Soldaten setzten sich wieder in Bewegung.
 

Eragon wartete, bis sich die Staubwolke gelegt hatte und betrachtete die blassgrüne Ebene vor sich. Die Reiter waren schnell und es dauerte nicht lange, bis sie hinter den Hügeln verschwunden waren.

Mit einem tiefen Seufzer sank er in sich zusammen. Noch immer wusste er nicht, wie er Nasuada und den anderen erklären sollte, was er getan hatte. Und dass er inzwischen selbst nicht mehr sicher war, ob es nicht ein Fehler gewesen war.

„Was mache ich hier bloß...“ murmelte er leise.

Saphira stieß ihm ihre Schnauze in den Rücken und warf ihn beinahe um. Eragon drehte sich zu ihr um und zwang sich zu einem Lächeln.

Na los, bringen wir es hinter uns.

Saphira nickte nur und senkte den Kopf, damit er sich auf ihren Rücken ziehen konnte.

Dann stieß sie sich vom Boden ab und stieg langsam in die Höhe.
 

~
 

Als Eragon einige Zeit später das Quartier der Heerführer verließ, war es bereits dunkel. Unzählige Feuer warfen seltsame Schatten an die Wände der Zelte und auf den zertrampelten Boden. Die Stimmen aus dem Zelt hinter ihm wurden leiser und leiser, als er sich langsam auf den Weg durch das Lager machte. Ein besonderes Ziel hatte er nicht, er wollte einfach nur weg.
 

Nachdem er und Saphira Nasuada und ihren Begleitern entgegen geflogen und direkt vor ihnen gelandet waren, hatte er einen Moment lang mit dem Gedanken gespielt, einfach zu lügen. Ihnen zu erzählen, dass Murtagh ihn überlistet, überrumpelt hatte und dann entkommen war. Vielleicht hätte er auch sagen können, er habe ihn schwer verletzt fortgeschickt, um Galbatorix einen Beweis seiner Macht zu senden.

Doch als die Anführer vor ihm zum stehen kamen und sich Nasuadas bohrender Blick auf ihn richtete, entschied er sich doch für die Wahrheit. Oder zumindest einen Teil davon.
 

Glücklicherweise hatten sie die Nachricht von Murtaghs Entkommen besser aufgenommen als er gefürchtet hatte. Nasuada hatte sogar ein wenig Stolz darüber gezeigt, dass er ihn beinahe besiegt hatte. Ihre Worte waren gewählt und ruhig, doch Eragon entging der stumme Vorwurf in ihren Augen keinen Moment lang. Er wusste, dass das Thema für sie noch lange nicht erledigt war.
 

Und tatsächlich, als sie am frühen Abend ihr Lager in einer breiten Senke unweit eines verlassenen Dorfes errichteten, ließ sie ihn erneut zu sich kommen. Eragon hatte sich den ganzen Tag davor gefürchtet, aber irgendwie war er auch erleichtert, das Gespräch jetzt endlich hinter sich bringen zu können.
 

Entgegen seiner Erwartung war Nasuada nicht alleine, als er ihr Zelt in der Mitte des Lagers betrat. Ein halbes Dutzend ihrer engsten Vertrauten waren bei ihr. Die Mehrzahl stammte aus den Reihen der Varden, doch Eragon erkannte auch eine Frau aus Surda. Außerdem stand auch Jacub an Nasuadas Seite. Sein Blick verriet Eragon, dass er mit seiner Vermutung richtig gelegen hatte. Der Mann hatte das Ende ihres Kampfes offenbar auf seine Weise gedeutet und es nicht versäumt, Nasuada seine Ansichten mitzuteilen.
 

„Eragon,“ begann Nasuada und erhob sich aus ihrem Sessel. Mit schnellen Blicken musterte sie ihn. „Wie ich gehört habe, geht es dir gut?“

Eragon verschränkte aus einem plötzlichen Impuls heraus die Arme vor der Brust.

„Du hast mich doch nicht hergerufen, um mich nach meinem Befinden zu fragen, oder?“ Seine Stimme klang schärfer als gewollt.

„Nein,“ entgegnete Nasuada und runzelte die Stirn. „Ich habe dich hergerufen, weil ich wissen will, was da draußen passiert ist. Ich habe euren Kampf gesehen. Saphira hat den Drachen schwer verletzt. Wieso hast du ihn nicht gefangen genommen? Oder ihn getötet?“

Selbst wenn Eragon lügen wollte, spätestens jetzt wären alle Worte aus seinem Kopf verschwunden, egal wie gut er sie vorbereitet hätte. Nasuadas Fragen waren simpel, trotzdem lösten sie einen Sturm von Emotionen in ihm aus. Wieder sah er sich auf der sandigen Wiese stehen, das tiefblaue Schwert in der Hand, seinen Bruder vor sich, blutend, besiegt. Doch seine Hand bewegte sich nicht...

„Wieso hast du es nicht beendet?“ fragte Nasuada erneut. „Wieso ist dieser Verräter nicht tot?“

Eragon hob den Kopf und starrte sie an. Sie hatte Mühe, ihre Wut zu verbergen.

„Ich... „ begann er langsam, wurde jedoch überraschend von Jacub unterbrochen.

„Er hat ihn gehen lassen. Ich war mit meinen Männern ganz in der Nähe. Wir wollten ihm helfen, aber wir kamen zu spät.“ Er machte einen Schritt nach vorne und deutete auf Eragon. „Der Reiter und sein rotes Monster sind fortgeflogen und er hat sie nicht aufgehalten!“

Eragon wollte aufbegehren, doch Nasuadas eisiger Blick brachte beide Männer zum schweigen. Nur schwer gelang es Eragon, die Fassung zu bewahren. Der offene Vorwurf machte ihn wütend, auch wenn jedes einzelne Wort der Wahrheit entsprach.

Er hat kein Recht, so mit mir zu reden... zischte er in Gedanken. Saphira versuchte, ihn zu besänftigen, doch es gelang ihr nur bedingt.

Nasuada richtete ihren Blick wieder auf Eragon.

„Ist das wahr?“

„Ich...“ er zögerte. „Ja.“ Zumindest darin war er sich sicher.

„Und wieso hast du das getan?“

Eragon schwieg und starrte zu Boden. Die Wut schwelte noch immer in ihm und machte es ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen.

„Wieso hast du ihn gehen lassen?“

Eragon antwortete noch immer nicht.

„Sag es mir, Eragon! Wieso hast du zugelassen, dass er uns wieder entkommt?“ Die letzten Worte hatte sie fast geschrieen.

„Ich weiß es nicht.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Und Nasuada hatte ihn entweder nicht gehört oder ignorierte seine erbärmliche Antwort.

Sie wiederholte ihre Fragen wieder und wieder, befahl ihm, drohte ihm, doch Eragon konnte ihr keine befriedigendere Antwort liefern. Wie auch, wo er doch selbst nicht verstand, wieso er so gehandelt hatte?

„Ich habe ihn besiegt und ich kann ihn wieder besiegen. Er ist keine Gefahr mehr für uns.“ war alles, was er hervorpressen konnte.
 

Und irgendwann verstanden sie, dass sie nicht mehr aus ihm herausbringen würden. Nasuada entließ ihn mit einem knappen Wink. Eragon entging nicht, dass sie ihn ansah wie einen Fremden. Alles in ihm schrie danach, sich bei ihr zu entschuldigen. Doch als er sich am Eingang des großzügigen Zeltes noch einmal zu ihr und ihren Begleitern umdrehte, brachte er kein Wort über die Lippen.
 

Eragon hörte Schritte hinter sich und erkannte Aryas Gang sofort. Ihr Erscheinen wunderte ihn, war sie doch nicht bei seinem Gespräch mit Nasuada anwesend gewesen. Vielleicht hatte sie aber auch im Verborgenen gewartet, um ihn jetzt in Nasuadas Auftrag erneut auszufragen. Der Gedanke machte ihn wütend und erinnerte ihn einmal mehr daran, wie tief der Riss zwischen ihm und seinen Mitstreitern inzwischen geworden war. Wie wichtig die Pflichten im Vergleich zu alten Freundschaften...
 

Trotzdem blieb Eragon nicht stehen und drehte sich nicht um. Er wusste nur zu genau, was sie sagen würde und er hatte nicht die Kraft, mit ihr zu streiten. Saphira meldete sich in seinen Gedanken und äußerte ihre Zweifel über sein Verhalten.

Ich finde, ich habe mir genug Feinde für einen Tag gemacht... war alles, was er sagte, bevor er seine Gedanken vor ihr verschloss.

Dass sein kindischer Trotz seine Lage auch nicht verbessern würde, ignorierte er gekonnt.
 

Die Schritte hinter ihm wurden schneller und Sekunden später wurde er gepackt und herumgerissen.

„Was war das, Eragon?“ Aryas Augen brannten vor Zorn.

„Hat Nasuada dich geschickt?“ fragte Eragon und blickte sie trotzig an. Er versuchte, sich aus ihrem Griff zu befreien, doch Arya packte ihn noch fester.

„Das tut nichts zur Sache.“ sagte sie spitz.

Also hatte ich recht... dachte Eragon.

„Ich will wissen, was da draußen passiert ist!“

„Ich hab alles gesagt, was ich weiß.“ entgegnete Eragon genervt.

„Lüg' mich nicht an, Eragon! Was hast du getan? Du verschweigst etwas!“ Aryas Wut traf ihn wie kochendes Wasser. Eragon öffnete die Lippen, wollte etwas sagen, doch sein Mund war mit einem Mal wie ausgetrocknet.

Arya hatte kein Erbarmen. Ihre schmalen Hände schlossen sich so fest um seine Oberarme, dass es schmerzte. Erneut fragte sie ihn und hielt ihre Stimme nur noch mit Mühe unter Kontrolle.

Eragon schluckte und starrte an ihr vorbei. In seinem Kopf drehte sich alles. Ein Teil von ihm wollte es ihr sagen, wollte, dass sie ihn verstand. Doch würde sie das?!

„Ich habe...“ begann er schließlich. Aryas Blick bohrte sich in seinen und sein Widerstand bröckelte immer mehr. Mühsam befreite er sich aus ihrem Griff. Einen Moment lang hasste er sie beinahe dafür, dass sie es nach wie vor perfekt verstand, ihn tun zu lassen was sie wollte.

„Du hast recht, ich hab' nicht alles gesagt. Ich...“ Eragon fixierte ihr Gesicht. Ihre Augen waren eisige Seen. Sie wartete.

„Ich habe Murtagh weggeschickt und ich... ich habe ihm etwas gegeben, einen Anhänger, den ich von...“ Er brach ab, besorgt, was passieren würde, wenn Arya erfuhr, dass Angela einen Beitrag zu seinem Geheimnis geleistet hatte.

Saphira schien seine Sorge nicht zu teilen. Die blaue Drachendame kam plötzlich aus der Dunkelheit zwischen zwei Zeltreihen hervor und wandte sich an Arya, ohne Eragon auch nur anzusehen. Mit ruhiger Stimme erzählte sie Arya von Eragons Treffen mit der Hexe, von dem Zauber, von dem Amulett, von der Hoffnung, was es bewirken könnte.

Eragon ballte die Hände zu Fäusten und biss sich auf die Lippen. Er wusste, dass Arya die Wahrheit verdient hatte. Dennoch fühlte er sich von Saphira verraten. Auch wenn er selbst sie erst vor wenigen Augenblicken aus seinem Kopf ausgesperrt hatte.
 

Arya hörte zu und als Saphira geendet hatte, schwieg sie eine ganze Weile. Eragon begann zu hoffen, dass sie nicht so wütend werden würde wie er befürchtet hatte. Doch als sich die Elfenfrau zu ihm umdrehte und ihn ansah, wusste er, dass er sich irrte.

Ihre Augen loderten vor Zorn.

„Was... wie konntest du das tun, Eragon?“ fragte sie fassungslos.

Eragons Augen weiteten sich. Er schluckte schwer. Er konnte sich nicht erinnern, Arya jemals so wütend gesehen zu haben. Alles in ihm schrie danach, sich zu entschuldigen, zu rechtfertigen! Ihr zu sagen, dass er einen Fehler gemacht hatte, einen schrecklichen Fehler, und dass er es bereute! Doch seine Stimme weigerte sich, ihm zu gehorchen.

„Ich...“ krächzte er hilflos.

Arya kam auf ihn zu, eine Hand halb erhoben, so dass Eragon einen absurden Moment lang fürchtete, sie würde ihn schlagen.

Stattdessen blieb sie vor ihm stehen, so dicht, dass er ihren Atem auf seinem Gesicht spüren konnte. Er wollte sich abwenden, ihrem Blick entkommen, doch ihre schlanken Finger umfassten blitzschnell sein Kinn und zwangen ihn dazu, ihr in die Augen zu sehen.

„Sag es mir, Eragon. Sag mir, wieso du das getan hast!“

Er wollte antworten, doch sein Hals war wie ausgedörrt. Ihr Griff wurde fester, tat weh.

Als er nicht antwortete, ließ sie ihn schließlich los und wandte sich von ihm ab.
 

Eragon atmete langsam aus. Erst jetzt merkte er, dass er die Luft angehalten hatte. Sein Hals brannte und erinnerte ihn einmal mehr an den Kampf mit Murtagh.

Aryas Reaktion schürte seine Zweifel, ließ sie auflodern wie einen Waldbrand.

Er sah zu Arya, beobachtete sie. Die Elfe hatte ihm den Rücken zugewandt und schien nachzudenken. Einen seligen Moment lang glaubte er tatsächlich, dass ihre Wut sich gelegt hatte.

„Ich denke nicht, dass...“ begann er vorsichtig, doch Arya unterbrach ihn sofort.

„Sei still, Eragon.“ Ihre Stimme war eine eisige Klinge. Langsam drehte sie sich zu ihm um.

„Wie konntest du das tun, Eragon?“ fragte sie erneut. Er wollte antworten, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Wieso, Eragon? Wir stehen kurz vor der entscheidenden Schlacht gegen den König! Wir haben Jahrzehnte gebraucht, um so weit zu kommen wie wir jetzt sind! Unzählige Menschen vertrauen auf uns! Sie vertrauen darauf, dass es uns endlich gelingt, den Tyrannen zu stürzen und sie aus der Sklaverei zu befreien! Du hattest die Gelegenheit, deinen Teil dazu beizutragen und du hast sie verstreichen lassen! Sag mir wieso! Sag mir, wieso du uns im Stich lässt!“
 

Eragon starrte sie an, entsetzt, fassungslos. Ihr Ausbruch hatte alle Gedanken aus seinem Kopf gefegt und nur eisige Leere hinterlassen.

„Ich musste es tun!“ keuchte er hilflos. „Du ... du hast mich gefragt ob ich bereit bin, ihn zu töten! Und ich habe es versucht. Aber... ich bin nicht bereit dafür. Ich kann ihn nicht töten, verdammt, ich kann es einfach nicht!

„Dann lass es einen von uns tun, lass es mich tun!“ gab Arya zurück, plötzlich erschreckend ruhig.

Eragon schüttelte nur schwach den Kopf.

„Willst du...willst du uns alle für sein Leben opfern?“

Die Kälte breitete sich weiter aus, fraß sich durch seine Gefühle, seine Seele.

„Nein... nein!“ Seine Stimme bebte.

Arya blickte ihn wortlos an.

„Es war doch nur... Angela hat mir von einem Zauber erzählt und ich habe...“ Eragon sah zur Seite, war nicht länger fähig, ihrem Blick standzuhalten. „Ich... ich bin kein Mörder.“

Stille breitete sich zwischen ihnen aus.
 

„Aber ein Verräter?“

Etwas in Eragon schien bei ihren Worten zu zerbrechen. In Aryas Stimme hatte sich eine Kälte geschlichen, die er von ihr nicht kannte.

„Was... was redest du denn da?“ fragte er heiser.

„Du bist ein Krieger, Eragon. Du bist den Varden, den Elfen, den Zwergen und den Menschen gegenüber eine Verpflichtung eingegangen. Sie vertrauen auf dich, sie brauchen dich. Und du wirfst dieses Vertrauen weg für einen Mann, der mehr als einmal versucht hat, dich zu töten und deine Güte mit Füßen tritt.“

Arya verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn an wie einen Fremden.

„Ich habe dir vertraut, Eragon, wir alle haben das. Du bist der letzte Drachenreiter, unsere größte Hoffnung. Ich habe geglaubt, dass dir das klar ist. Stattdessen verrätst du uns, wieder und wieder. Und überlässt unseren Feinden einen Zauber, von dem keiner von uns sicher sagen kann, welche schreckliche Wirkung er haben könnte.“

„Ich...“ begann Eragon leise, doch Arya brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen.

„Nein, Eragon. Ich habe genug gehört. Und ich weiß, dass du dir darüber keine Gedanken gemacht hast,“ Sie schenkte ihm ein trauriges Lächeln. „Leider macht das deinen Verrat nicht ungeschehen.“

Ihre Worte trafen ihn wie ein Schlag in die Magengrube.

Das war es also, was sie von ihm dachte. Dass er ein Verräter war, genau wie Murtagh.

„Nasuada wird es dir nicht sagen, denn sie weiß, dass wir dich brauchen. Aber manchmal denke ich, dass wir ohne dich vielleicht besser dran wären. Ich habe dir zum letzten Mal vertraut.“

Eine schreckliche Leere ergriff von ihm Besitz.

Arya sah ihn noch einen Moment lang an, dann wandte sie sich an Saphira.

„Du hättest ihn aufhalten müssen.“ sagte sie düster. Saphira knurrte zur Antwort und blies kleine Rauchwölkchen aus.

Dann drehte sich die Elfe um und verschwand in der Dunkelheit.
 

Eragon sah ihr nach, auch als sie schon längst nicht mehr zu sehen war.

Sein Körper hatte zu zittern begonnen und ihm war schrecklich kalt. Er schlang die Arme um den Körper, doch auch das wollte nicht helfen.

Das war es also, was Arya von ihm dachte, was sie alle von ihm dachten. Und der einzige Grund, wieso sie ihn dafür nicht bestraften, war, dass sie seine Fähigkeiten brauchten. Das sollte ihn erleichtern, aber eigentlich tat es nur weh.
 

Wann hatte er sich derart von ihnen abgewandt?

Was war nur aus ihm geworden?!
 

Mit einem Gefühl vollkommener Hilflosigkeit sank er auf die Knie.
 

~
 

Das Pferd unter ihm bewegte sich auf und ab, auf und ab, auf und ab...

Es lag etwas Einlullendes in diesem stetigen Rhythmus, doch er konnte sich nicht darin verlieren. Er vermisste die Höhe, den Wind, das Gefühl glatter Schuppen unter seinen Beinen...
 

Eragon ritt an Nasuadas Seite. Offiziell, weil Saphira sich von ihren Verletzungen erholen sollte. Aber Eragon wusste, dass der wahre Grund ein völlig anderer war. Die Anführerin wollten ihn im Auge behalten.

Wie einen kleinen Jungen... dachte Eragon düster und schaute sich suchend nach Saphira um.

Sie flog hoch über ihnen und ihre blauen Schuppen verschmolzen beinahe mit dem Blau des Himmels. Der Anblick versetzte ihm einen Stich. Er gehörte nach da oben, zu ihr...
 

Der Klang eines Horns riss ihn aus seinen Gedanken. Suchend sah er sich nach dem Verursacher um und erblickte einen Botschafter, der sich ihnen in schnellem Galopp näherte.

Eragon runzelte die Stirn. Er kannte den rotgelockten jungen Mann und er wusste, dass sein Eintreffen stets eine besonders wichtige Nachricht bedeutete.
 

Die Gruppe von Reitern kam zum stehen und wartete auf den Botschafter. Der wandte sich direkt an Nasuada und reichte der Anführerin der Varden eine schmale Schriftrolle. Nasuada entrollte sie sofort und las einige Minuten lang konzentriert. Dann hob sie den Blick und betrachtete den jungen Mann einen Augenblick lang.

„Ist das wirklich sicher?“ fragte sie dann.

„So wahr ich hier stehe.“ antwortete der junge Mann sofort und hob eine Hand an die Stirn.

„Was ist passiert?“ rief Eragon neugierig, doch Nasuada ignorierte ihn. Eine weitere Strafe, dachte Eragon beleidigt.

Sie las die Nachricht erneut, dann drehte sie sich endlich zum Rest ihrer Gruppe um.
 

„Der Reiter ist verschwunden.“

Eragon starrte sie einen Moment verständnislos an. Ihr strenger Blick richtete auf ihm, als erwarte sie, dass er ihr die Erklärung dafür liefern könnte.

„Verschwunden... was soll das heißen?“ fragte Eragon stattdessen. Er war völlig verwirrt.

Lautes Getuschel breitete sich aus und Nasuada hob die Hand, um für Ruhe zu sorgen. Noch immer sah sie Eragon an. Als er nicht weitersprach, wandte sie sich an ihre Begleiter.

„Wir haben heute Nachricht von mehreren unserer Spione erhalten. Alle sagen dasselbe. Der Drachenreiter ist verschwunden. Der König soll außer sich vor Wut sein.“

Chaos brach aus, doch Eragon war wie gelähmt.

Murtagh war verschwunden...
 

Hatte er es geschafft? Hatte er ihn retten können?
 

Aber wenn es so war, wieso war er dann nicht hergekommen? Wieso kämpfte er nicht mit ihm?

Wieso lief er davon...?
 

Nur an Rande nahm er wahr, dass eilige Befehle gebrüllt wurden und einige der Krieger und Elfen die Gruppe verließen. Irgendwann stand Nasuadas Pferd neben ihm.

„Wenn du eine Erklärung dafür hast, verlange ich von dir, dass du sie mir mitteilst.“ sagte sie so leise, dass nur er sie hören konnte.

Eragon schüttelte nur den Kopf.

„Ich wünschte ich wüsste es.“

Das war die Wahrheit.
 

+++
 

Ich werde mich bemühen, Kapitel 6 in spätestens 2 Monaten hochzuladen. Hoffentlich pack ich das... o_O/

The Beginning of the End

Willkommen zu Kapitel 6.

Beim letzten Kapitel hatte ich ja zwei Monate Wartezeit angekündigt und theoretisch war ich auch so schnell fertig. Aber dann hab ich es kurz vor Schluss doch nochmal überarbeitet. Und Version 2.0 gefällt mir persönlich auch besser. =)
 

Kapitel 7 ist bereits in Arbeit und kommt ganz bald.
 

Zum Hören empfehle ich den Soundtrack von 'Inception'. Außerdem bin ich grad sehr verliebt in das neue Album von Evanescence.
 

+++
 

Murtagh saß auf einem mannshohen Felsen und blickte auf das Dorf hinab, das sich in dem kleinen Tal vor ihm zwischen einen schmalen, ausgetrockneten Fluss auf der einen, und hellbraune Felswände auf der anderen Seite zu quetschen schien. Der Großteil der Häuser war aus dem gleichen dunklen Holz gebaut und machte einen stabilen Eindruck. Es gab auch einige wenige Bauten aus dem sandigen Stein, für den diese Gegend bekannt war. In ihnen lebten vermutlich die Vorsteher und wohlhabenden Händler der kleinen Gemeinde. Auf der gegenüberliegenden Seite des Tals, nicht weit von den Häusern entfernt, erblickte Murtagh den Eingang zu eine großen Höhle. Er vermutete, dass sie zu einer unterirdischen Quelle führte, die den Bewohnern das Wasser lieferte, dass sie während der Trockenperioden für sich und die Bewässerung ihrer Felder benötigten.

Früher war es sicher einmal ein schöner Ort zum leben gewesen...
 

Ein Windstoß kam auf und brachte den Gestank von Rauch mit sich.

Murtagh stand auf und sprang von dem Felsen hinunter. Der Boden war weich und nur karg bewachsen, das Gras trocken und brüchig. Er richtete sich auf und klopfte sich flüchtig den Staub von seinem Umhang.

Dann stieg er langsam den Hang hinab und ging auf das Dorf zu.
 

~
 

Es fühlte sich seltsam an, derart unbehelligt durch die Straßen zu gehen. In der Hauptstadt war er niemals alleine gewesen, auch wenn er seine Verfolger nicht immer sehen konnte. Der König ließ seine Untergebenen niemals wirklich unbeobachtet. Besonders ihn nicht, wie Murtagh nur zu genau wusste.

Langsam ging er weiter, beobachtete die Menschen, die hastig an ihm vorbei liefen, und die keine Ahnung hatten, wer der Fremde war, der sich da durch ihr Dorf bewegte. Die keine Ahnung hatten, dass er mit schuld daran war, dass sie ihre Heimat verlassen mussten und wahrscheinlich nie wieder zurückkehren konnten...
 

Schon von weitem hatte er die Flüchtlinge beobachten können, die sich in größeren und kleineren Gruppen von dem Dorf entfernten, fort, in Richtung...

... ja, wohin eigentlich? Murtagh hatte seit seiner kopflosen Flucht vollkommen die Orientierung verloren und konnte nur raten, wo Thorn und er sich gerade befanden. Die sandigen Ebenen ließen ihn vermuten, dass sie noch immer in der Wüste waren. Die Berge aber, die hier und in der Ferne in den Himmel ragten, legten die Vermutung nah, dass sie sich tief im Süden befanden. Vielleicht waren sie aber auch ganz woanders...

Murtagh strich sich eine dunkle Strähne aus dem Gesicht und schob den Gedanken beiseite. Es war ohnehin nicht von Bedeutung wo er war. Er konnte sich nicht vor Galbatorix verstecken...
 

Er wich einer kleinen Gruppe Menschen aus, die sich mit eiligen Schritten an ihm vorbei durch die enge Straße presste, und stahl sich in eine schmale Gasse zwischen zwei Häusern. Schwer lehnte er sich gegen eine der Hauswände. Der Stein, über den seine Hände glitten, war rau und von der Sonne aufgeheizt. Murtagh blieb noch einen Moment lang so stehen, dann stieß er sich von der Wand ab und durchquerte die kleine Gasse, die ihn direkt zum zentralen Platz des kleinen Dorfes führte.
 

Weitere Gruppen von Flüchtlingen kamen ihm entgegen, als er sich langsam über den Platz bewegte. Einige von ihnen hatten Pferde, Esel oder sogar Ziegen, die sie vor eilig vollgepackte Karren gespannt hatten. Andere, die weniger wohlhabend waren, trugen ihre wenigen Habseligkeiten auf dem Rücken. Manche trugen so schwer, dass sie unter dem Gewicht beinahe zusammenbrachen.
 

Murtagh ließ seinen Blick über die Häuser schweifen, die in beinahe quadratischer Anordnung um den Platz herum standen. Es waren hübsche, gepflegte Häuser. Zumindest waren sie das früher einmal gewesen. Jetzt waren viele Fenster und Türen eilig mit Brettern vernagelt, um Plünderer abzuhalten.

Murtagh lächelte müde, wohl wissend, dass diese Schutzmaßnahmen nicht verhindern würden, dass die Häuser bis auf die letzte Ecke durchwühlt werden würden.

Er erreichte die Mitte des Platzes und blieb stehen. Noch immer kamen ihm Menschen entgegen, doch sie waren so in ihre eigenen Angelegenheiten vertieft, dass sie den Unbekannten in ihrer Mitte gar nicht wahrnahmen. Der Boden unter seinen Füßen war aufgewühlt von unzähligen Schritten. Überall fanden sich Spuren der überstürzten Flucht. Ein kaputter Becher, eine fallengelassene Stoffpuppe, ein zerbrochenes Holzbrett.

Murtagh hob den Kopf und schloss die Augen. Die Sonne war warm, doch auch sie konnte die quälende Kälte nicht vertreiben, die er tief in sich spürte.

„Was tue ich hier eigentlich...?“ fragte er halblaut.

Doch die Antwort blieb aus. Nicht, dass er etwas anderes erwartet hätte.

Er zwang sich dazu, weiterzugehen.
 

Irgendwann erreichte er ein kleines Wirtshaus am anderen Ende des Platzes. Auch dieses Gebäude war beinahe komplett mit Brettern vernagelt, die sogar recht stabil aussahen und fachmännisch verarbeitet worden waren.

Sein eigenes Spiegelbild in einem freien Stück der staubigen Fensterscheiben ließ ihn innehalten.
 

Die Kälte in seinen müden Augen überraschte ihn selbst. Langsam ließ er eine Hand durch seine dunklen Haare gleiten. Sie waren lang geworden und bildeten einen wilden Rahmen um sein abgekämpftes Gesicht. Wie viel Zeit war vergangen, dass er sich das letzte Mal selbst gesehen hatte? Es musste eine kleine Ewigkeit her sein, denn er erkannte sich selbst kaum wieder...

Murtagh ließ die Hand sinken und betrachtete den Mann, der ihm aus der trüben Scheibe entgegensah. Er sah nicht aus wie ein Drachenreiter, wie ein Krieger. Nein, das Gesicht, dass er dort sah, gehörte einem gebrochenen Mann, einem Menschen, der einmal zu oft gekämpft und verloren hatte.

Vielleicht hatte Galbatorix die ganze Zeit recht gehabt. Murtagh war schwach. Unfähig als Soldat und Kommandant. Unfähig als Reiter. Unfähig als Bruder, als Freund, als Mensch. Was er auch anfasste, alles schien in seinen Händen zu kalter Asche zu zerfallen. So war es sein ganzes Leben lang gewesen und so würde es immer bleiben...
 

Nur mühsam gelang es ihm, den Blick von seinem Spiegelbild in der schmutzigen Scheibe loszureißen.

Eine ungewohnte Stille lag über dem Platz. Mittlerweile hatten die meisten Bewohner ihr Dorf hinter sich gelassen. Murtagh erwischte sich dabei, dass er sich wünschte ihre Flucht möge gelingen. Töricht, wenn man bedachte, dass er womöglich er derjenige sein würde, der sie brutal beendete. Ob sie ihn wiedererkennen würden? Er bezweifelte es.

Er hob den Kopf und ließ seinen Blick über den Himmel schweifen. Thorn war nicht zu sehen.

Wo bist du? fragte er in Gedanken.

Auf einer Anhöhe, nicht weit von hier. Verlasse das Dorf, ich führe dich her. antwortete sein Gefährte sofort und schickte ihm das gedankliche Bild einer hinter Felsen verborgenen Senke.

Murtagh sah sich ein letztes Mal auf dem Platz um, dann verließ er das Dorf durch eine der Seitenstraßen.
 

Es war bereits Nachmittag, als Murtagh den Hang hinter dem Dorf erklomm und dabei den Hinweisen seines Drachen folgte. Er ließ sich Zeit für den Aufstieg, genoss die Ruhe, den warmen Wind auf seiner Haut.

Absurd, dass es in Zeiten wie diesen noch immer solche Momente des Friedens gab. Als ob die Welt kein Interesse an ihnen und ihren Kämpfen hätte. Sie drehte sich weiter, langsam und unparteiisch. Und sie würde sich noch drehen, wenn sie alle längst zu Staub zerfallen waren.
 

Nach einer knappen Stunde erreichte er den Platz, auf dem Thorn gelandet war. Der rote Drache hatte sich unter ein paar niedrigen Bäumen zusammengerollt, richtete sich aber auf, als Murtagh auf ihn zukam.

Erschöpft ließ der Reiter sich neben seinem Gefährten ins trockene Gras sinken.

„Die Bewohner flüchten. In wenigen Stunden wird das Dorf vollkommen verlassen sein.“

Murtagh wusste, dass er das nur erzählte um überhaupt etwas zu sagen. Die Stille hier oben, die er vor wenigen Momenten noch als angenehm empfunden hatte, schien mit einem Mal schwerer und schwerer zu werden.

Mit ruhiger Stimme erzählte er dem Drachen von seinen Beobachtungen. Thorn hörte ihm schweigend zu. Als er geendet hatte, ließ Murtagh sich gegen Thorns mächtigen Körper sinken und starrte gedankenverloren in die Berge hinaus.

Sein Besuch in dem kleinen Dorf hatte ihm vor Augen geführt, welche Ausmaße der Krieg bereits angenommen hatte. Ihm war nicht entgangen, dass die Gruppen der Flüchtlinge, die ihm begegnet waren, vor allem aus Frauen, Kindern und alten Menschen bestanden hatte. Wo immer er hier auch war, Galbatorix' Truppen waren bereits lange vor ihm hier gewesen und hatten die Männer des Dorfes für seine Truppen rekrutiert. Die meisten von ihnen würden wohl nie zurückkehren...
 

Murtagh seufzte leise und schloss die Augen. Die Wärme machte ihn müde und er bemerkte nur am Rande, dass er langsam eindöste. Die Bilder aus dem Dorf verschwammen vor seinen Augen und vermischten sich mit anderen Bildern, anderen Erinnerungen...
 

Ich kann ihn spüren.
 

Thorns Worte rissen Murtagh in die Realität zurück. Der rote Drache drehte sich zu ihm um betrachtete seinen Reiter eingehend, wartete auf eine Reaktion auf sein Geständnis.

Murtagh schwieg lange. Nachdenklich ließ er seine linke Hand über das Gras neben sich streichen, fühlte die rauen Halme unter seiner Haut, hörte das leise Rascheln, das seine Bewegungen verursachten.
 

Thorns Worte überraschten ihn nicht. Er hatte es gewusst, die ganze Zeit. Es war ihm in der Sekunde klar gewesen, als er nach seinem Kampf gegen Eragon auf Thorns Rücken gestiegen und mit ihm davongeflogen war. Völlig kopflos hatten sie den einzigen Weg eingeschlagen, der ihnen eingefallen war. Weg, nur weg. Es war sinnlos, das wussten sie beide. Doch genauso wussten sie, dass sie keine andere Wahl mehr hatten.

Wenn ihn etwas überraschte, dann die Tatsache, dass er immer noch atmete. Dass der König ihn noch nicht zu sich gerufen hatte, mit Worten, mit Bildern, mit Schmerzen. Doch das würde kommen. Und die Strafe für ihren Ungehorsam würde fürchterlich sein...
 

Unbewusst tastete seine Hand zu seiner Brust, suchte den kleinen Anhänger, der an einem schmalen Lederband um seinen Hals hing. Der Stein war warm und fühlte sich feucht an. Sonst nichts.

Murtagh ließ den Anhänger wieder los und steckte ihn zurück unter sein Hemd. Wahrscheinlich sollte er sich jetzt bestätigt fühlen. Schließlich hatte er doch von Anfang an nicht an die Macht von Eragons Geschenk geglaubt, oder?

Stattdessen fühlte er eine seltsame Gleichgültigkeit.

Was tun wir jetzt? fragte Thorn leise und bettete seinen riesigen Kopf neben seinem Reiter. Murtagh hob eine Hand und streichelte ihm über die roten Schuppen. Sie wussten, dass es keine Antwort auf diese Frage gab. Es war völlig bedeutungslos, was sie dachten, was die planten, was sie wollten. Sie konnten nicht entkommen. Und sie konnten nicht zurückkehren. Wie sie es auch drehten, am Ende ihrer Reise stand der Tod.

Lass uns aufbrechen, sagte der Reiter schließlich und erhob sich mühsam. Es wird bald dunkel.

Thorn betrachtete ihn einen Moment lang, dann nickte er und richtete sich auf. Murtagh stieg wortlos in den Sattel und nur Augenblicke später waren die Häuser des kleinen Dorfes bereits so weit weg, dass er sie kaum noch voneinander unterscheiden konnte.
 

Dann flogen sie weiter.
 

~
 

Die Landschaft unter ihnen änderte sich langsam. Aus sandigen Hügeln wurden felsige Berge, die sich bedrohlich in den Himmel erhoben und deren Gipfeln in den Wolken verschwanden. Es war kühler geworden und einige weiße Berghänge verrieten Schnee.

Was dem erschöpften Reiter auf dem roten Drachen aber wirklich Sorge bereitete, war der Himmel über ihnen.

In den letzten Stunden war es stetig kälter geworden. Riesige Wolkenberge türmten sich über ihnen auf und es wurde rasch dunkler. Es roch nach Sturm und Regen. Hier, am Rande der großen Wüste, regnete es nur selten und Murtagh wusste aus Erfahrung, dass ihnen ein gewaltiges Unwetter bevorstand.

Wir sollten nach einem Versteck suchen. sagte Thorn besorgt.

Murtagh antwortete nicht sofort. Er wusste, dass Thorn recht hatte. Dennoch kämpfte er mit sich. Er wollte nicht landen. Er wollte fliegen, weiter, immer weiter. Irgendwohin, die Richtung war egal. Weg, nur weg...!
 

Als er nicht antwortete, gab Thorn ein leises Knurren von sich und ließ sich ein gutes Stück hinabsinken. Sie flogen jetzt dicht über die Felsen hinweg. Murtagh konnte schmale Wege und tiefe Schluchten erkennen. Ein erster Blitz erhellte die Umgebung, gefolgt von einem mächtigen Grollen, das erste Felsbrocken aus den steinigen Wänden löste, die unter gewaltigem Gepolter in die Tiefe hinabstürzten. Er hob den Kopf und starrte in die schwarzen Wolken über sich.

Du hast recht... presste er mühsam hervor. Der rote Drache nickte erleichtert und stieg wieder ein Stück nach oben, um in der zerklüfteten Landschaft einen geeigneten Landeplatz zu suchen.
 

Dennoch dauerte es noch beinahe eine Stunde, bis sie in den felsigen Hängen eine Stelle fanden, die groß genug war, um den Drachen aufzunehmen. Das Unwetter war inzwischen direkt über ihnen und der Schleier aus eisigem Regen war bereits jetzt so dicht, dass Murtagh nahezu blind war und sich voll auf die Sinne seines Drachen verlassen musste.

Sie hatten den schmalen Hang beinahe erreicht, als Thorn plötzlich unter ihm zusammenzuckte. Dann verschwamm die Welt vor seinen Augen und Murtagh hatte das Gefühl, in einen schwarzen Abgrund zu stürzen...
 

~
 

Es passierte so schnell, dass Murtagh kaum reagieren konnte. In einem Moment noch blickte er in den grauen Himmel, im nächsten versank sein Bewusstsein in Finsternis. Er kämpfte noch einige verzweifelte Augenblicke gegen den dunklen Strudel an, doch dann ergab er sich und ließ zu, dass sein Verstand in tiefe Schwärze gezogen wurde. Es fühlte sich schrecklich an. Murtagh hatte das Gefühl, von der Schwärze um ihn herum zerdrückt zu werden. Sein Atem ging heftig, unkontrolliert, als er angestrengt versuchte, die Dunkelheit von sich fernzuhalten. Doch sein Widerstand blieb völlig wirkungslos. Immer tiefer und tiefer wurde er hineingesogen, verlor mehr und mehr die Kontrolle über seine Gedanken, die in wildes Chaos zu stürzen schienen.

Du kannst nicht davonlaufen.

Und plötzlich wusste er mit schrecklicher Gewissheit, was ihn am Ende des Strudels erwartete...
 

Genauso schnell wie das Gefühl kam, so schnell verschwand es auch wieder.

Murtagh riss die Augen auf und schrie. Er hob die Hände und presste sie gegen seine Schläfen. Es tat weh, doch er nutzte den Schmerz, um sich wieder in die Realität zurück zu reißen. Nur quälend langsam ließ das furchtbare Gefühl nach.

Thorn, bist du da?! fragte er hilflos.

Ich bin hier, antwortete der Drache sofort und stützte ihn mit seinen Gedanken. Es ist vorbei. Beruhige dich.

Was war das?! Jedes Wort kostete Murtagh enorme Anstrengung. Er ließ die Hände vorsichtig sinken. Der Schmerz ließ nach. Dennoch war ihm so schwindelig, dass er fürchtete, jeden Moment aus dem Sattel zu rutschen.

Ganz ruhig. sagte Thorn erneut, doch Murtagh spürte das gleiche Chaos in ihm, was er selbst empfand. Er presste die Lider fest aufeinander und versuchte, sich auf seinen Atem zu konzentrieren.

„Was... was war das?!“ wiederholte er keuchend. Seine Stimme klang schrill, sein Hals schmerzte.

Galbatorix...
 

Murtagh starrte auf Thorn hinab.

Der Klang dieses Namens war ein Schock für ihn. Er hatte es gewusst, die ganze Zeit, hatte darauf gewartet, dass der König nach ihnen griff. Dennoch brachte dieser Name, einmal ausgesprochen, die Mauern um seinen Verstand beinahe zum Einsturz.
 

Thorn landete ungelenk auf der kleinen Anhöhe zwischen hohen Felsen und bodenlosen Tiefen und wandte ihm seinen riesigen Kopf zu. Murtagh wollte absteigen, doch sein Körper zitterte noch immer so heftig, dass er sich kaum bewegen konnte.

Der König hatte sie also gefunden. Nein, wahrscheinlich hatte er die ganze Zeit gewusst wo sie waren, war ihnen gefolgt, ohne, dass sie etwas dagegen tun konnten. Zu Angst und Hilfslosigkeit gesellte sich Wut, als Murtagh klarwurde, dass der König einmal mehr mit ihm spielte. Wie sonst konnte man erklären, dass er ihre Flucht zuließ und sie in falscher Sicherheit wog, nur um sie dann mit umso härterer Gewalt zurückzurufen?!
 

Murtagh stieg langsam von Thorns Rücken und tat einen ersten unsichereren Schritt. Seine Beine gehorchten ihm kaum und erst jetzt merkte er, dass er vollkommen durchgefroren war. Ungelenk stolperte er weiter, suchte nach etwas ohne wirklich zu sehen. Weiter, immer weiter, weg von hier, weg von überall.

Er sah grauen Fels vor sich, spärlich bewachsen mit blassem Moos...
 

... in der nächsten Sekunde tat sich unter ihm ein Abgrund auf und zerrte ihn erbarmungslos in schwarze Leere.

Dann kamen die Bilder.
 

Der sandige Boden war rot, tiefrot. Er konnte das Blut riechen, der Gestank war beinahe übermächtig. Er hob den Kopf und blickte über die Ebenen. Tod, er sah nur Tod. Tausende von Leichen bedeckten den Boden, ihr Leben durchtränkte die Erde wie blutroter Regen. Stille lag über dem Schlachtfeld, grauenvoll, anklagend. Der Anblick war so entsetzlich, dass er ihn nur einen Moment lang ertrug. Aus rot wurde tiefschwarz, als er auf dem blutigen Sand zusammenbrach...
 

Es war genauso wie so viele Male zuvor. Der Schmerz bohrte sich in seinen Kopf und schien ihn zersprengen zu wollen. Murtagh schrie bis seine Stimme brach, doch er konnte es nicht aufhalten. Die Gedanken und Bilder bohrten sich erbarmungslos in seinen Verstand und ließen ihn würgen. Und auch wenn er ahnte, was er sehen würde, brachten sie ihn beinahe um den Verstand.
 

Er kannte diesen Boden, hatte unzählige Male auf ihm gestanden und sein eigenes Gesicht in den spiegelglatten Steinen betrachtet. Doch so hatte er ihn noch nicht gesehen. Schwarz glänzend von frischem Blut, besudelt, schmutzig. Mittendrin lag ein regloser Körper. Die Glieder waren unnatürlich verrenkt, das Gesicht seltsam bleich.

Jemand beugte sich über die Gestalt, den jungen Mann, der dort lag wie ein fallen gelassenes Spielzeug. Der schwere Umhang des Mannes raschelte leise, als er den Arm ausstreckte und mit schlanken Fingern über die blasse Wange des Jungen strich.

Der Anblick versetzte ihn in unbändige Wut.

Rühr' ihn nicht an! schrie er so laut er konnte. Der Mann erhob sich und drehte ihm das Gesicht zu. Auf seinen Zügen lag ein Ausdruck perversen Vergnügens.

Sieh' es dir genau an. Das ist deine Schuld.
 

Die eisige Hand um seine Gedanken verschwand und warf ihn zurück in die Wirklichkeit. Murtagh schüttelte den Kopf und versuchte, die Bilder aus seinem Kopf zu verbannen.

Die Vision hatte geendet, bevor er sehen konnte, wer dort auf dem Boden gelegen hatte. Er war auf absurde Art dankbar dafür, auch wenn die Bilder auch so schon furchtbar genug gewesen waren.

Denn er wusste genau, in wessen Gesicht er geblickt hätte.
 

Thorn kam zu ihm und stieß ihn sanft mit der Schnauze an.

Es ist nicht real... begann der Drache ruhig.

Seine Sorge hätte Murtagh trösten sollen, stattdessen erschien sie ihm wie blanker Hohn.

„NEIN,“ Murtagh wirbelte herum und schlug nach Thorn. „Denkst du, das wüsste ich nicht?! Denkst du, ich wüsste nicht, wieso er mir diese Bilder zeigt?!“

Der Drache fuhr unter seinen lauten Worten zusammen und zog sich zurück. Murtagh bemerkte seine Reaktion nicht einmal. Er riss sich den vom Regen schwer gewordenen Umhang von den Schultern und schleuderte ihn zu Boden. Dann griff er nach dem erstbesten Stein, den er auf dem schlammigen Boden zu fassen bekam, und schleuderte ihn mit aller Kraft die er noch aufbringen konnte in die Tiefe. Die hilflose Wut in seinem Inneren wurde schier übermächtig. Er lief hierhin und dorthin, ohne Ziel, ohne Ausweg, wie ein gefangenes Tier. Er brüllte Flüche in die graue Dunkelheit, auch wenn seine Stimme längst nur noch ein heiseres Krächzen war, verfluchte den Regen, die Kälte, den König, sich selbst. Er schlug mit den Fäusten gegen die nass glänzenden Felsen bis sein Blut sich mit dem eisigen Regen vermischte. Doch nichts, was er tat, konnte die Bilder von ihm fernhalten, nichts, nichts, nichts...!
 

Diesmal stand er über ihm und konnte sein bleiches Gesicht vor sich sehen. Er blickte in blaue Augen, die jetzt schrecklich leer waren. Tot.

Es waren Eragons Augen.

Und auch wenn er wusste, dass es nicht real war, dass es nicht real sein konnte, schmerzte der Anblick so sehr, dass er glaubte daran sterben zu müssen.
 

Erneut schleuderte ihn die eisige Hand in die Realität zurück und er fand sich hilflos zitternd auf dem schlammigen Boden wieder. Thorn war bei ihm und Murtagh ließ sich von ihm auf die Füße ziehen.

Es ist eine Lüge, er ist nicht tot. Trau diesen Bildern nicht! warnte der Drache ihn eindringlich.

Murtagh nickte kraftlos. Die unbändige Wut, die er nur Augenblicke zuvor empfunden hatte, war aus ihm herausgeflossen wie Wasser aus einem zerschnittenen Wasserschlauch und schien auch noch den letzten Rest Kraft aus seinem Körper gesaugt zu haben.

Er sah sie nicht zum ersten Mal, diese Bilder von Eragons Tod. Der König hatte sie ihm schon früher gezeigt, ihn gezwungen, die Leere in seinen blauen Augen zu sehen. Doch auch wenn sein Verstand ihm sagte, dass es nichts weiter als Visionen waren, waren sie schlimmer als jede Folter, zeigten sie ihm doch, was den Jungen erwartete, würde er den eingeschlagenen Weg bis zum Ende gehen. Eragon konnte nicht gewinnen. Er würde sterben. Und es gab nichts, was er dagegen tun konnte...
 

Was ist mit dem Zauber? fragte Thorn in die düstere Stille seiner Gedanken.

Murtaghs Hand tastete unbewusst nach dem kleinen Stein, der noch immer um seinen Hals hing. Er zog die Kette unter seinem Hemd hervor. Drehte den Stein in der Hand, wieder und wieder. Wartete. Zweifelte. Nichts geschah.

Du solltest es benutzen. sagte Thorn vorsichtig.

Murtagh verengte die Augen: Ich weiß nicht wie...

Versuch es. fuhr Thorn fort, diesmal drängender.

„Ich weiß nicht wie!“ Mit einem Ruck zog Murtagh die Kette von seinem Hals, ignorierte den scharfen Schmerz als seine Haut riss. Kalt und leer lag der Stein in seiner Hand. Das dünne Lederband sog sich langsam mit Regenwasser voll.

„Wahrscheinlich funktioniert es gar nicht. Wahrscheinlich ist es nur ein weiterer Trick...“

Thorn trat zu ihm und senkte den Kopf, bis seine Schnauze Murtaghs Hand mit dem Amulett darin beinahe berührte. Er musste nichts sagen, Murtagh verstand sein stummes Flehen auch so. Der Drache zweifelte, genau wie er. Doch er hoffte auch.
 

Murtagh hob die Hand und hielt den Stein dicht vor sein Gesicht. Im fahlen Licht der Gewitterwolken wirkte er trübe wie der wolkenverhangene Himmel. Erneut durchzuckte ein Blitz die Wolken und für einen Moment war die Welt taghell erleuchtet. Murtagh schloss geblendet die Augen, als der Stein das Licht reflektierte, plötzlich strahlend wie Mondlicht auf der stillen Oberfläche eines Sees. Der Donner grollte nur Augenblicke später über ihnen. Laut polternd lösten sich weitere Felsbrocken aus den Hängen und stürzten in die Täler hinab.

„Das hat doch alles keinen Sinn...“

Seine Stimme war tonlos.

Thorns Geist legte sich tröstend um seinen, doch seine Wärme erreichte den Reiter nicht.

Gib' nicht auf. sagte der Drache leise.

Murtagh wollte auf ihn hören, doch sein Verstand weigerte sich.

Es war nicht so, dass er glaubte, dass Eragon ihn belogen hatte. Nein, wahrscheinlich glaubte sein Bruder wirklich an diese geheimnisvolle Macht, so töricht es auch war.

Bitte...

Murtagh öffnete die Augen wieder. Der Stein leuchtete noch immer, ein winziges weißes Licht vor dem Grau des Himmels. Für einen Moment sah Murtagh sein eigenes Spiegelbild auf der glänzenden Oberfläche, fast, als wäre er selbst ein Teil des Schmuckstücks geworden.

Dann sah er sie.

Worte.

Sie hallten in seinem Kopf wider, als seien sie schon immer da gewesen. Er konnte sie greifen und festhalten, einfach so.

Murtagh begann zu sprechen. Erst kamen die Worte langsam und stockend, dann immer schneller und flüssiger, schienen sich aus eigenem Willen einen Weg ins Freie zu bahnen.
 

Er hörte einen Schrei und bemerkte nur Augenblicke später, dass es seine eigene Stimme war. Es schien als wäre tief in ihm ein Damm gebrochen, durch den seine Lebenskraft aus ihm herausfloss, plötzlich, gewaltsam, unaufhaltsam. Und da war noch etwas anderes, tiefer, furchtbarer, wichtiger. Etwas, was er auf keinen Fall verlieren durfte. Murtaghs Hände begannen zu zittern, beinahe ließ er die Kette fallen. Er lehnte sich nach vorne und stützte die Hände auf die Knie auf der verzweifelten Suche nach Halt.

Nicht... bitte nicht!

Der Energiestrom verebbte, quälend langsam. Schwer richtete er sich wieder auf. Die Kette lag noch immer in seiner Hand, fest umklammerten seine Finger den kleinen Stein. Noch immer konnte er die Worte sehen, spürte sie, tief in sich. Er streckte seinen Geist aus, wollte nach ihnen greifen, zögerte aber doch. Lähmende Angst ergriff von ihm Besitz. Was, wenn diese Macht ihn erneut attackierte? Was, wenn er sie nicht mehr aufhalten konnte?
 

Was, wenn er sie nicht mehr aufhalten wollte?
 

Murtagh riss die Augen auf und starrte auf den Stein in seiner Hand hinab. Der Gedanke war seltsam fremd, doch einmal ausgesprochen ließ er sich nun nicht mehr fortwischen. Er verstand sich selbst nicht mehr. Die Lösung schien ganz nah, lag vor ihm. Worte, wundervolle Worte, die alle Qualen beenden könnten, wenn er es nur zuließ. Doch er zögerte. Zweifelte. Und stieß diese Möglichkeit mit aller Macht von sich.

Und er sollte es tun. Er hatte keinerlei Garantie dafür, dass es wirklich funktionierte. Das Risiko war zu groß. Und der Preis könnte ein furchtbarer sein...
 

Ist es nicht vielmehr so, dass du gar nicht willst, dass es funktioniert?
 

Der Gedanke tat weh. Weil es die Wahrheit war. Die Wahrheit...
 

Du bist schwach. Du kannst es nicht. Und du verdienst es nicht.
 

Er hatte recht.

Die Worte waren da, noch immer, direkt vor ihm. Doch sie verblassten, verschwammen vor seinen Augen als wären sie nichts weiter als ein ferner Traum, der sich immer weiter von ihm entfernte. Er wollte sie packen, sie zurückholen, doch sein Geist hatte alle Kraft verloren. Und es war ihm gleich. Es gab nichts, was er tun konnte, nichts, was ihm helfen könnte.
 

Für dich gibt es keine Rettung. Ich werde dich überall finden und ich werde dich brechen, wieder und wieder. Und du weiß, dass du nichts dagegen tun kannst. Niemand kann das.
 

Jetzt erkannte Murtagh die Stimme, die in seinen Gedanken sprach, so deutlich als stünde Galbatorix direkt vor ihm. Kraftlos sank er in sich zusammen. Der König hatte recht. Und ein Teil von ihm hatte es gewusst, von Anfang an. Es war absurd zu glauben, dass ein simpler Stein etwas an seinem Schicksal ändern könnte. Er hatte es versucht und er hatte versagt. Was blieb, war ein schales Gefühl, eine kalte Gewissheit. Er war schwach, so schwach.

Seine klammen Finger schlossen sich um die Kette in seiner Hand. Alles was er tun konnte war warten. Warten auf den nächsten Angriff, warten auf den Schmerz, warten auf das Ende.

Und die Worte in seinem Mund verwandelten sich in Asche, nutzlos, tot.
 

Murtagh nahm den Stein und schleuderte ihn von sich. Mit einem leisen Platschen traf die Kette auf den schlammigen Boden und begann zu versinken. Verschwand in Wasser und Staub und nahm seine Hoffnungen mit sich.
 

Er glaubte, noch immer den Schock über das Geschehene in Eragons Gesicht sehen zu können. Blut verklebte seine hellen Haare und trocknete auf seiner Stirn. Davon abgesehen war er beinahe unverletzt. Galbatorix vermochte es, seine Gegner zu töten, ohne sie auch nur zu berühren. Eragons blaue Klinge lag auf dem Boden, weit weg von ihm, unerreichbar. Er hatte keine Chance gehabt.

Der König streckte beide Arme aus und packte den schlaffen Körper. Langsam hob er ihn hoch, als hätte er gar kein Gewicht. Eragons Kopf fiel haltlos nach hinten, seine Arme und Beine hingen hinab wie die Glieder einer Marionette.

Ein zufriedenes Lächeln erschien auf dem Gesicht des Königs, als er sich umwandte und mit Eragons leblosem Körper auf den Armen durch das gewaltige Tor nach draußen schritt...

Murtagh hörte sich selbst schreien.

Nein! Du kriegst ihn nicht!

Doch niemand hörte ihn.
 

Murtagh erwachte erneut, zusammengesunken an Thorns schuppigem Körper. Er versuchte, sich aufzurichten, doch sofort schien alles um ihn herum zu verschwimmen.

Bleib liegen, sagte Thorn bestimmt. Es wird gleich vergehen.

Der Drache bewegte sich vorsichtig, drehte sich ein wenig, und breitete einen seiner Flügel über seinem Reiter aus. Murtagh gehorchte stumm. Er war ohnehin zu geschwächt um zu widersprechen. Langsam ließ er sich wieder nach unten sinken und versuchte, seine verkrampften Glieder zu entspannen. Er atmete schwer, jeder Atemzug brannte wie Feuer in seinem Hals.

Was ist mit dir? fragte er schwach. Er wusste, dass Thorn die gleichen Bilder wie er gesehen, die gleichen Schmerzen gespürt hatte.

Der rote Drache schüttelte den Kopf.

Mach dir um mich keine Sorgen, mir geht es gut.

Murtagh hörte seine Antwort kaum noch. Erschöpft lehnte er den Kopf gegen Thorns Körper und schloss die Augen. Die Attacken hatten ihn völlig ausgelaugt. Mittlerweile fror er so heftig, dass seine Zähne zu klappern begonnen hatten. Er zog die Beine an den Körper und umfasste sie mit seinen zitternden Armen.

Das letzte, woran er sich erinnerte, war das Geräusch von Regen auf Thorns Flügel und sein stummes Flehen um Gnade...

... dann löschte ein erneuter Angriff sein Bewusstsein endgültig aus.
 

~
 

Er rannte, auch wenn er wusste, dass er zu spät kommen würde.

Eragon gab einen fast schon überraschten Laut von sich, als die schwarze Klinge ihn durchbohrte. Er senkte den Kopf und starrte verwirrt auf das nass glänzende Metall, das aus seiner Brust ragte. Er keuchte auf, als Galbatorix ihn mit einem Arm umschlang und die Klinge noch tiefer in seinen Leib trieb.

Nein, nein, nein!

Eragon drehte den Kopf und sah ihn an. In seinen blauen Augen lag Überraschung, Verwirrung. Und ein stummer Hass, der Murtaghs Seele wie Säure zu zerfressen schien. Hass auf ihn.

Es ist deine Schuld. Deine Schuld! Du solltest derjenige sein, der stirbt!
 

Das Bild änderte sich.

Diesmal war er es, der Eragon in den Armen hielt, den leblosen Körper des Jungen an sich drückte. Jetzt waren es seine Finger, die sanft über Eragons Haut glitten. Noch immer schienen seine blauen Augen auf ihn gerichtet. Und noch immer sah er den stummen Vorwurf, die Enttäuschung, die Wut.

Du solltest derjenige sein, der stirbt!

Seine Tränen vermischten sich mit Eragons Blut, tropften auf den Boden.

Eragon würde nie erfahren, dass er alles gegeben hätte, um ihm diesen Wunsch zu erfüllen.
 

Eisige Tropfen trafen sein Gesicht und rissen ihn aus seinen wirren Träumen. Mühsam richtete Murtagh sich auf und versuchte, sich daran zu erinnern wo er war und wie er hierhergekommen war.

Wie lange war ich...begann er langsam.

Ein paar Stunden, antwortete Thorn und schmiegte sich enger an ihn. Wie fühlst du dich?

Murtagh hätte über diese Frage gelacht, hätte er die Energie dazu gehabt. Noch immer fühlte er sich so schwach, dass er glaubte, sich nie wieder aufrichten zu können. Wenigstens die Kälte hatte ein wenig nachgelassen. Seine Kleider waren klamm, aber nicht mehr völlig durchnässt. Thorn hatte mit seinen Flügeln den gröbsten Regen von ihm ferngehalten.

Murtagh schloss die Augen und rollte sich an Thorns Seite zusammen. Er war müde, so müde. Wen kümmerte es schon, wenn er einfach hier liegen blieb? Einfach hier blieb und einschlief, alles hinter sich ließ, für immer.
 

Es ist deine Schuld!
 

Wen kümmerte es schon, was passierte? Galbatorix hatte ihm gezeigt, wie dieser Krieg enden würde und es gab nichts, was er dagegen tun konnte.
 

Deine Schuld!
 

Erneut sah er sich selbst, über Eragons leblosen Körper gebeugt. Seine blauen Augen blickten ihn an, doch diesmal lag keine Wut in ihnen, sondern nur unendliche Traurigkeit und die Frage nach dem Warum.

Warum bist du nicht hier? Warum lässt du zu, dass das passiert? Warum rennst du davon? Warum, warum, warum...
 

Warum...
 

Er wusste keine Antwort auf die Fragen und ein Teil von ihm wollte sie auch nicht.

Murtagh öffnete die Augen und starrte auf seine Hände hinab, ballte sie zu Fäusten und versuchte vergeblich, das Zittern zu vertreiben.

War er tatsächlich so schwach geworden? Hatte er tatsächlich aufgegeben und hingenommen, dass Eragon seinetwegen starb?
 

Nein...
 

Murtagh riss die Augen auf und richtete sich mühsam auf.
 

Nein!
 

Thorn beobachtete ihn, als er sich langsam auf die Beine kämpfte.
 

Das durfte nicht das Ende sein! Nicht so, nicht... Eragon.
 

Was willst du jetzt tun? fragte der Drache vorsichtig.

Murtagh sah ihn an. Als er endlich sprach, war seine Stimme kraftlos: „Ich kann nicht zulassen, dass das passiert. Ich muss ihm helfen.“

Thorn sagte nichts, als Murtagh seinen durchnässten Umhang vom Boden aufhob und ihn um seine Schultern legte. Murtagh war ihm dankbar dafür. Denn die Wahrheit war, dass er Angst hatte. Furchtbare Angst. Doch er wusste auch, was ihn erwarten würde, wenn es ihm jetzt nicht gelang, sich ein letztes Mal aufzurichten. Der stumme Hass in Eragons Augen würde ihn auf ewig verfolgen und er könnte sich das niemals verzeihen. Selbst wenn es bedeutete, dass er sein eigenes Leben für ihn opfern musste.
 

Er bemerkte ein schwaches Glänzen am Boden. Das Amulett. Langsam ließ er sich auf ein Knie sinken und zog die Kette aus dem schlammigen Boden. Der Stein war wieder kalt, die Worte waren verschwunden.

Murtagh richtete sich auf und band sich die Kette wieder um den Hals.
 

Galbatorix würde versuchen ihn aufzuhalten. Seine Attacken würden fürchterlich sein. Vielleicht würden sie ihn sogar töten.

Doch das war jetzt gleichgültig. Es gab nur noch eins, was zählte. Und er würde dafür kämpfen, was es auch kostete.
 

Thorn schwieg, als Murtagh langsam auf seinen Rücken stieg und sich die nasse Kapuze über den Kopf zog. Mit wenigen kräftigen Flügelschlägen waren sie in der Luft und ließen die dunklen Felsen hinter sich.
 

~
 

Mit kraftvollen Flügelschlägen bewegte sich der rote Drache hoch über den sandigen Ebenen. Die Luft war trocken und klar und die Winde trugen seinen mächtigen Körper, als wäre er leicht wie eine Feder. Die Sonne schien hell durch die Wolken hindurch und wärmte seine Flügel. Das Unwetter war weitergezogen, die dunklen Wolkenberge entfernten sich von Stunde zu Stunde weiter von ihnen.

Er hätte den Flug genossen, hätte er nicht die düsteren Gedanken seines Reiters gespürt.
 

Seit seinem Anfall hatte Murtagh nicht mehr gesprochen und sich so tief in seinen Geist zurückgezogen, dass Thorn ihn kaum noch erreichen konnte. Er hatte seine Entscheidung getroffen, doch mit jeder Minute die verging, schienen seine Zweifel größer zu werden. Thorn hätte ihn gerne getröstet, ihm beigestanden in seinen stummen Kämpfen, doch er wusste, dass Murtagh ihn von sich stoßen würde.

Diese Hilfslosigkeit tat weh. Thorn hatte so lange auf ihn gewartet, seinen Reiter, seinen Partner, sein Schicksal. Und er wollte bei ihm sein, für ihn kämpfen, ihn beschützen. Doch je mehr es es versuchte, desto heftiger stieß Murtagh ihn von sich.
 

Er hatte es bereits gespürt, als Murtagh ihn das erste Mal berührt hatte, damals, vor so unendlich langer Zeit. Er konnte noch immer sein Gesicht sehen, eine bleiche Maske aus abgrundtiefer Fassungslosigkeit. Thorn wusste, dass es nicht an ihm lag, dennoch hatte es furchtbar wehgetan, ihn so zu sehen, den jungen Mann, mit dem er von nun an sein Leben teilen sollte.

Murtagh hatte ihn angestarrt, einen Moment, eine Ewigkeit. Sein Körper hatte so heftig gezittert, dass er sich kaum auf den Beinen halten konnte. Seine Lippen bewegten sich, murmelten die gleichen Worte, immer wieder.

„Nein...bitte, nein...“
 

Es hatte lange gedauert, bis Murtagh akzeptiert hatte, dass er ein Drachenreiter war. Dass sein Leben und das Thorns von nun an untrennbar miteinander verbunden war. In einer anderen Zeit hätte ihn dieses Schicksal vielleicht mit Freude erfüllt. Jetzt aber schien es wie eine Strafe, und auch wenn er es nicht wollte, spürte der Drache diese Tatsache doch jeden Tag aufs neue.

Ihre Bindung war lange nicht so stark wie sie hätte sein können oder wie der Drache es sich gewünscht hätte und sie würde es vielleicht niemals sein. Thorn hatte es akzeptiert. So fremd sie sich auch waren, Murtagh war der Mensch, den er sich erwählt hatte und er würde alles für ihn opfern, wenn es ihm die Chance geben würde, Murtaghs Leiden zu beenden.
 

Seine Gedanken wanderten zu dem Amulett, das der andere Reiter Murtagh gegeben hatte, in der Hoffnung, dass es ihn retten würde.

Und auch Thorn hatte sich einige verzweifelte Augenblicke lang gewünscht, dass es Murtagh gelingen würde, den Zauber zu benutzen. Doch als sein Reiter die fremden Worte gesprochen hatte und seine Lebenskraft einer Flutwelle gleich aus ihm herausgeströmt war, waren seine leisen Hoffnungen von einer Angst vertrieben worden, wie Thorn sie noch nie zuvor empfunden hatte. Einen schrecklichen Moment lang hatte er gesehen, was der Zauber war, was er bewirken würde und was der Preis dafür war. Er hatte seinen Reiter gesehen, frei, aber zerstört für immer.

Thorn stieß ein wildes Fauchen aus und beschleunigte seinen Flug. Nein, er würde nicht zulassen, dass das passierte!
 

Irgendwann schlief der Reiter auf seinem Rücken ein. Der Drache flog weiter. Dem Kampf, dem Ende entgegen.
 

~
 

Es regnete. Seit Stunden schon, ohne Pause. Die Wolken hingen tief über dem Lager, so tief, dass Eragon fast damit rechnete, dass sie sich gänzlich hinabsenken und die Zelte einfach unter sich begraben würden.

Er schaute unter seiner Kapuze hervor zum Himmel und seufzte. Der andauernde Regen und die unangenehme Kühle, die er mit sich brachte, nagten an ihm, machten ihn nervös und reizbar.

Und es ging nicht nur ihm so. Das ganze Lager war von einem allgemeinem Unmut erfüllt. Die Soldaten waren müde und erschöpft, das schlechte Wetter forderte sie bis an die Schmerzgrenze. Und nicht einmal im Lager hatten sie Ruhe und Zeit, sich zu erholen. Viele Zelte waren unter dem Gewicht des Wassers in sich zusammengefallen und wurden hektisch geflickt. Ihre Rüstungen, Waffen und Schilde waren nass, vieles war nur noch schwer zu gebrauchen. In der vergangenen Nacht hatten sie außerdem eines ihrer Vorratszelte an Regen und Schlamm verloren und das bedeutete kleinere Rationen für alle und damit Hunger.

Noch nahmen die Soldaten diese Einschränkungen hin. Aber wie lange noch?

Eragon beobachtete die sinkende Stimmung unter den Männer besorgt. Lange würde es nicht mehr so ruhig bleiben. Irgendwann würde die Stimmung umschlagen und es würde zu unschönen Szenen kommen. Er hoffte von Herzen, dass sie das nicht würden erleben müssen.
 

Vielleicht ist es ein Zeichen... murmelte er in Gedanken.

Ein Zeichen? Für was? fragte Saphira. Sie drehte den Kopf und schaute ihn an. Dicke Tropfen liefen auf ihrer Haut entlang und brachten ihre Schuppen zum glänzen. Das Wasser störte sie nicht, worum Eragon sie beneidete. Er war erst wenige Minuten hier draußen bei ihr, trotzdem war seine Kleidung bereits jetzt klatschnass und klebte unangenehm an seiner Haut.

Ich weiß nicht... vielleicht dafür, aufzugeben.

Saphira ließ ein leises Knurren ertönen.

Sag so etwas nicht. Ich will so etwas niemals von dir hören.

Eragon vergrub sich tiefer in seinem Umhang, wohl wissend, dass auch der nichts gegen die kalte Nässe ausrichten konnte. Er seufzte tief.

Natürlich meinte er das nicht ernst. Dennoch konnte er die düsteren Gedanken nicht aus seinem Kopf vertreiben. Der schwarze Himmel und der andauernde Regen erschienen ihm wie ein dunkles Omen für etwas weit schrecklicheres...
 

Er wischte sich mit einem Ärmel das Wasser aus dem Gesicht und stand auf.

Ich denke ich werde mit ein trockeneres Plätzchen suchen... murmelte er und musste wie zur Untermalung seiner Worte schniefen.

Saphira lachte glucksend.

Tu' das. Niemand will einen Drachenreiter mit Erkältung.

Haha. machte Eragon und stieß sie scherzhaft an.

Dann zog er sich die klamme Kapuze tiefer ins Gesicht und machte sich auf dem Weg zu seinem Zelt.
 

Das kleine Zelt empfing ihn mit wohliger Wärme und dem wunderbaren Versprechen von trockener Kleidung und weichen Decken. Eragon zog sich den tropfnassen Umhang von den Schultern und schmiss ihn auf einen Hocker. Dann ließ er sich schwer auf sein schmales Bett sinken und versuchte, seine von der nassen Kälte verkrampften Glieder zu entspannen. Missmutig registrierte er, dass auch sein eigenes Zelt den Kampf gegen den unaufhörlichen Regen zu verlieren schien. An mehreren Stellen drangen Tropfen durch den Stoff, hier und da hatten sich sogar kleine Rinnsale gebildet. Er streckte eine Hand aus und berührte den vor Nässe dunkel gewordenen Stoff neben seinem Lager. Leise murmelte er ein paar Worte. Augenblicklich hörte das Tropfen auf. Zufrieden streifte er die nassen Stiefel von den Füßen, zog er die Knie an den Körper und umschlang sie mit seinen Armen. Noch immer prasselte der Regen unaufhörlich auf sein Zelt. Fast schien es, als hätten sich alle Mächte dort draußen gegen sie verschworen.

Eragon ließ sich auf den Rücken sinken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Der Stoff über ihm war dunkel und schwer von Wasser. Sein Zauber konnte den kalten Regen zwar für eine Weile fernhalten, dennoch schien es, als würde sich die Dunkelheit auch über seine Gedanken legen.

Gegen seinen Willen musste er wieder an Arya denken. Es hatte in den letzten Tagen kaum einen Moment gegeben, an dem er nicht an sie und ihre Worte gedacht hatte. Noch nie zuvor hatte sie so mit ihm gesprochen, so unverblümt ihre Gedanken über ihn zum Ausdruck gebracht. Schon beim bloßen Gedanken an ihre Worte spürte er wieder die eisige Kälte, die ihn in jenem Moment gelähmt hatte.

Er drehte sich auf die Seite und starrte auf den aufgewühlten Boden neben seinem Lager. Das feuchte Gras war plattgedrückt und schlammig.

Hatte sie womöglich recht gehabt? War er wirklich so dumm? Er hatte sie doch niemals verraten wollen, er wollte nur helfen! Er war doch auf ihrer Seite!

Oder nicht?
 

Eragon schloss die Augen und seufzte. Was er auch versuchte, am Ende schien er alles nur schlimmer zu machen. Doch durfte er deswegen aufgeben?

Es muss doch einen Weg geben, irgendetwas was ich tun kann um ihnen zu helfen, ihnen allen! sagte er frustriert und rieb sich die Augen.

Leider ist es nicht so einfach, Eragon.

Dann gibst du ihr also recht? Betrachtest du mich auch als Verräter?

Saphira schnaubte: Diese Frage würdige ich keiner Antwort, Kleiner. Du weißt, dass ich immer auf deiner Seite bin.

Es tut mir leid... sagte Eragon zaghaft. Aber das alles hier ist so schrecklich...

... ausweglos. beendete Saphira seinen Gedanken. Sie zögerte plötzlich.

Aber in einem Punkt hatte Arya möglicherweise recht. Wir hätten mit jemandem sprechen müssen.

Eragon verfiel in brütendes Schweigen.

Dieser ganze Krieg, dieses ganze Leben, erschien ihn wie ein Knoten, in dem er sich immer mehr und mehr verstrickte, ohne eine Möglichkeit, ihn jemals zu lösen.

So oder so, sagte Saphira schließlich. Es war nicht gerecht von ihr, so mit dir zu reden. Und wenn es jemand anderes gewesen wäre, hätte ich ihn dafür... Sie schwieg und überließ das Ende ihres Satzes Eragons Interpretation.

Der Reiter hätte gelächelt, wäre da nicht diese tiefe Verzweiflung gewesen.
 

~
 

Arya trat aus dem schmalen Gang zwischen zwei Zeltreihen heraus und fand sich vor der Anhöhe wieder, auf der Eragon sein kleines Zelt aufgebaut hatte. Sie hatte ihn bei Saphira erwartet, doch der starke Regen hatte selbst den jungen Reiter nach drinnen getrieben.

Sie atmete tief durch und ordnete ihre Gedanken, bevor sie die Anhöhe hinaufstieg. Dieses Gespräch war überfällig. Ein Teil von ihr hätte es schon viel früher geführt, wären da nicht das leise Flüstern in ihrem Kopf gewesen, das ihr sagte, dass Eragon es verdient hatte, dass sie ihn im Ungewissen ließ.

Irgendwann jedoch war ihr klar geworden, dass ihr Wunsch nach Bestrafung lächerlich war. Sie war wütend auf ihn, das stimmte. Wütender als je zuvor. Dennoch gab ihr diese Wut nicht das Recht, so mit ihm zu sprechen. Sie hatte die Beherrschung verloren, vor ihm, vor Saphira, und, was am schlimmsten war, vor sich selbst. Eine Reaktion, die sie selbst überrascht hatte. Und die ihr leidtat, auch wenn das nichts an ihrem Zorn über Eragons unüberlegtes Verhalten änderte.
 

Sie erreichte das kleine Zelt und straffte sich.

„Eragon? Darf ich eintreten?“

Sie hörte einen überraschten Laut von drinnen, gefolgt von einem Rascheln, bevor Eragon sie hereinbat.
 

Der Junge sah müde und abgekämpft aus. Seine Haare waren zerwühlt, seine Kleidung unordentlich. Sie empfand einen Anflug von Mitleid, drängte das Gefühl aber zurück.

Sie sah sich in seinem Zelt um. Hier war es überraschend trocken. Scheinbar hatte der junge Reiter einen Zauber benutzt, um den Regen von sich fernzuhalten. Sie lächelte leicht.
 

„Darf ich offen sprechen?“ begann sie höflich.

Eragon nickte nur.

„Ich bin gekommen, um mich bei dir zu entschuldigen.“

Eragons blaue Augen weiteten sich. Offenbar hatte er nicht mit einer Entschuldigung gerechnet.

„Ich nehme meine Worte nicht zurück. Aber ich weiß, dass es nicht richtig war, so mit dir zu reden. Du bist ein Drachenreiter und hast einen dieser Position angemessenen Respekt verdient. Das schließt auch mich mit ein. Aus diesem Grund bitte ich dich um Verzeihung.“

Eragon schüttelte verwirrt den Kopf und erhob sich schließlich.

„Nein. Ich bin derjenige, der sich entschuldigen muss. Ich... ich habe nicht nachgedacht,“ Einmal freigesetzt, sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus. „Ich wollte Murtagh nur helfen. Ich... ich ertrage es einfach nicht, ihn so zu sehen. Niemand, nicht einmal er, hat dieses Schicksal verdient.“

Er stockte, eher er deutlich leiser fortfuhr.

„Und ich bin zum Teil mit schuld an dem, was er durchleiden muss. Ich habe ihm nicht beigestanden, als er mich gebraucht hat. Ich bin ihm etwas schuldig. Es ist meine Pflicht, als Drachenreiter und als Mensch.“

Arya schwieg überrascht. Sie hatte nicht gewusst, dass er sich wegen Murtagh so schuldig fühlte. Er hatte diese Gefühle sorgsam verborgen, war sich möglicherweise nicht einmal selbst darüber im Klaren gewesen.

Aufmerksam betrachtete sie den jungen Mann vor sich. In seine Augen hatte sich eine Traurigkeit geschlichen, die sie nicht von ihm kannte. Nein, was Eragon belastete war mehr als Schuld. Seine Gefühle für den anderen gingen weit tiefer als das. Und wahrscheinlich tiefer als er selbst es wusste...

Der Gedanke hinterließ einen bitteren Geschmack in ihrem Mund.
 

„Und vielleicht...“ begann er wieder und sah auf. „Vielleicht ist es noch nicht zu spät.“

Sein trauriges Lächeln berührte Arya.

„Eragon...“

Er schüttelte den Kopf.

„Nein, du brauchst nichts zu sagen. Ich... ich weiß, dass du recht hast. Und es tut mir leid, dass ich euch so enttäuscht habe.“

Die Traurigkeit verschwand und an ihre Stelle trat die wilde Entschlossenheit, welche die Elfe gleichzeitig bewunderte und verabscheute, brachte sich Eragon doch ihretwegen ständig in Gefahr.

„Dennoch werde ich mich nicht für meine Entscheidung entschuldigen. Ich werde weiter kämpfen. Denn wenn ich es nicht tue, werde ich am Ende wie einer von ihnen.“

Seine Worte trafen sie hart, aber sie konnte dennoch nicht verhindern, ihn zu bewundern. Er verfügte über eine große Macht und eine noch größere Verantwortung, doch nichts vermochte seinen Charakter zu verändern.
 

„Ich verstehe.“ sagte sie verspätet und konnte die Erleichterung in Eragons Gesicht sehen. Offenbar hatte er nur darauf gewartet, ihr diese Dinge sagen zu können.

„Ich werde dich jetzt allein lassen,“ fuhr sie fort. „Du solltest dich etwas ausruhen.“

Sie wandte sich um und ging Richtung Eingang, als Eragon sie noch einmal zurückhielt.

„Arya.“

Sie blieb stehen und drehte sich zu ihm um.

„Ich danke dir dafür, dass... du hergekommen bist,“ sagte er leise. „Ich ertrage den Gedanken nicht, mit dir zu streiten.“

Sie zwang sich zu einem Lächeln und verließ das Zelt.
 

~
 

Am Morgen darauf brachen sie wieder auf, auch wenn der Regen nur wenig nachgelassen hatte und der Boden einem schlammigen Moor glich.

Nasuada, Orrin und die anderen Anführer ihres Heeres hatten sich bis tief in die Nacht beraten und waren zu dem Entschluss gekommen, dass sie ihren Angriff trotz des anhaltenden Regens fortsetzen würden. Schließlich, so sagte sie, würden Galbatorix' Soldaten mit denselben Problemen zu kämpfen haben. Und vielleicht würde sich gar eine Möglichkeit finden, die Umstände zu ihrem Vorteil zu nutzen.
 

Sie waren schon einige Stunden unterwegs. Eragon schätzte, dass es bereits Mittag war, auch wenn sich das in der grauen Dunkelheit kaum mit Gewissheit sagen ließ.

Auf dem völlig aufgeweichten Boden kamen sie nur quälend langsam voran und ihr Heer schien mit jedem Schritt unruhiger zu werden. Der Beginn der finalen Schlacht stand unmittelbar bevor. Die Truppen aus Gil'ead waren ganz in ihrer Nähe, würden aber bald nach Norden schwenken und die Hauptstadt von der anderen Seite aus angreifen. Gemeinsam würden sie versuchen, die feindlichen Krieger in die Wüste zu treiben. Anschließend, so ihre gemeinsame Hoffnung, würde die Stadt ihrem kollektiven Angriff nichts mehr entgegenzusetzen haben. Der Plan schien erfolgversprechend, doch Eragon bezweifelte, dass diese klassischen Angriffsmuster den König beeindrucken würden. In der Vergangenheit hatte er mehr als einmal bewiesen, dass er zu furchtbaren Dingen fähig war. Sie konnten nur erahnen, was er ihnen entgegenschicken würde, wenn sie ihn tatsächlich direkt angriffen.
 

Und wir stapfen durch den Schlamm... sagte Eragon düster.

Ja, aber das tun sie auch. bemerkte Saphira.

Nasuada hatte ihm wieder gestattet, mit ihr zu fliegen. Jetzt, wo der Angriff unmittelbar bevorstand, mussten Reiter und Drache jederzeit kampfbereit sein.

Eragon schaute auf ihren Hinterkopf und seufzte tief. Er wollte ihren Worten glauben, doch er konnte es nicht. Zu präsent waren die Gedanken an schreckliche Kämpfe gegen schier übermächtige Gegner. Gegner, die selbst den Tod besiegt haben zu schienen.

Ich hoffe, dass du recht hast...

Eragon schaute nach oben.

Das Gewitter hatte sich noch immer nicht vollkommen verzogen. Gigantische Wolkenberge verhüllten noch immer den Himmel, türmten sich über ihnen auf, vor ihnen. Es roch nach Regen und Rauch...
 

Eragon stockte und starrte auf die riesige dunkelgraue Wolke vor ihnen.

„Das ist...“ begann er atemlos.

... keine Wolke. beendete Saphira seinen Satz.

Eragon fuhr zusammen und zog reflexartig seine Waffe. Wie hatten sie so dumm sein können?! Das, was in all dem Regen wie eine weitere tief hängende Wolke ausgesehen hatte, entpuppte sich als gigantische Rauchwolke. Die Flammen, die diesen Rauch erzeugten, mussten riesig sein!

Sie wollen uns die Sicht nehmen. bemerkte Saphira kühl. Eragon gab ihr recht, doch er bezweifelte, dass dies der einzige Grund für die Feuer war.

Saphira ließ sich nach unten sinken und brachte sie unter die Wolke. Eragon bediente sich ihrer Drachenaugen und sah sich um. In der Ferne tauchten Hügel auf, hellgrau und noch kaum zu sehen. Sie hatten die Hauptstadt fast erreicht.

Dann sah er etwas anderes.

Feuer. Riesige Feuer, die in langen Reihen brannten und eine Linie aus tödlichen Flammen erzeugten.

Verdammt... fluchte er und drehte sich nach hinten. Ihre Truppen waren einige Meilen hinter ihnen, aber auch sie würden die Flammen bald bemerken.

Was willst du tun? fragte Saphira knurrend.

Eragon drehte sich wieder nach vorne. Seine Gedanken überschlugen sich. Die Feuer standen nicht so dicht beieinander, dass sie sie nicht überwinden konnten. Dennoch stellten sie ein Hindernis da und konnten ihren Angriff entscheidend schwächen.

Sie wollen uns zwingen, unser Heer aufzuteilen und uns dadurch zu schwächen. Kleinere Gruppen sind schwächere Gegner als große.

Saphira nickte zustimmend.

Das dürfen wir nicht zulassen, fuhr Eragon fort. Wir müssen die Feuer löschen.

Saphira stieß ein kurzes Brüllen aus.

Arya und die Magier sind dazu möglicherweise in der Lage. Es wird sie schwächen, aber wir dürfen nicht riskieren, dass Galbatorix uns derart in die Enge treiben.

Eragons Augen verengten sich zu glühenden Schlitzen.

Wir müssen herausfinden, was genau uns erwartet.

Seine Gedanken verschmolzen mit Saphiras und die Drachendame zögerte keinen Moment. Mit wenigen Flügelschlägen stieg sie wieder nach oben und versank in der Rauchwolke. Schon nach wenigen Augenblicken konnte Eragon nichts mehr sehen und musste die Augen schließen. Saphira flog unermüdlich weiter. Der Rauch wurde dichter und dichter. Eragon konnte ihn auf seiner Zunge schmecken und hustete.

Irgendwann durchbrachen sie die Rauchwolke erneut und sahen unter sich das Schlachtfeld.

Und Eragon erstarrte.
 

~
 

Noch nie zuvor hatte er so viele Soldaten gesehen.
 

Es mussten zehntausende sein, wenn nicht noch mehr. Sie hatten hinter den riesigen Feuern Aufstellung genommen, bereit, den Feind zu empfangen. Eragon erblickte gewaltige Gruppen von Reitern auf muskulösen Pferden, riesige hölzerne Verteidigungsanlagen, von denen ihm nicht wenige völlig unbekannt waren, und mehr Krieger als er je zuvor gesehen hatte. Die tobenden Flammen wurden von unzähligen Rüstungen und Waffen reflektiert, tauchten Pfeile, Klingen und Schilde in grelles Licht und ließen die Männer wie Dämonen erscheinen, die jeden verschlingen würden, der sich in ihre Nähe begab. Der Anblick war so faszinierend und furchtbar zugleich, dass Eragon einen absurden Moment lang glaubte, dass es nur einer seiner Träume war. Doch der Geruch nach Kriegern, Tieren, Feuer... der Gestank des Krieges, machte ihm klar, dass es grauenvolle Realität war.
 

Eragon riss seinen Blick mühsam von den Reihen der Soldaten los und ließ ihn weiter über die Ebenen wandern. Das Heer des Tyrannen zog sich meilenweit dahin. In der Ferne konnte er die Stadt erkennen. Wie ein von Menschen geschaffener Berg ragte sie über den sandigen Ebenen auf. Unzählige Häuser aus hellem Sandstein reflektierten das Sonnenlicht und verliehen der Stadt einen beinahe goldenen Schein. Der Palast, ein riesiger Bau, der sich in mehreren Ebenen über der Stadt türmte, bot einen nicht weniger beeindruckenden Anblick. Jede Ebene war von einer eigenen, riesigen Mauer umgeben und zahlreiche Türme ließen erahnen, wie gut bewacht Galbatorix' Herrschaftssitz war.

Eragons Hoffnung schwand.

Auch wenn er die Stadt bereits sehen konnte, schien sie doch unendlich weit weg zu sein. Ihre eigenen Heere erschienen ihm plötzlich winzig und hilflos, die Übermacht des Feindes dagegen gewaltig. Und selbst wenn sie es in die Stadt schafften, der Palast schien uneinnehmbar.
 

Saphira meldete sich mit einem leisen Fauchen in seinen Gedanken.

Sie haben uns entdeckt. Wir sollten umkehren.

Eragon stieß einen leisen Fluch aus. Er war so in seine Beobachtungen vertieft gewesen, dass er keinen Gedanken daran verschwendet hatte, dass man sie entdecken könnte. Saphira drehte sich in der Luft und flog zurück.

Eragon wandte sich noch einmal um und starrte zurück in Richtung der Stadt, die langsam wieder hinter dunklen Rauchwolken verschwand.

Nein, er hatte keine Ahnung, wie sie diesen Krieg gewinnen sollten...
 

~
 

Sie flogen schnell und Eragon konnte schon bald die Reihen ihrer eigenen Soldaten unter sich erkennen. Er hatte die Zeit des Rückfluges genutzt, um den Magiern der Varden und der Elfen von seinen Beobachtungen zu berichten. Grimmig hatten sie ihm zugehört. Seine Berichte deckten sich mit denen ihrer eigenen Beobachter und Spione. Scheinbar hatte Galbatorix seine Soldaten dazu angehalten, auf ihren Angriff zu warten, aber sie wussten, dass diese Informationen trügerisch sein konnten. Niemand konnte mit Sicherheit sagen, was im Kopf des Tyrannen vor sich ging.
 

Saphira suchte tief in ihren eigenen Reihen nach einem geeigneten Landeplatz und ließ sich zu Boden sinken. Eragon stieg nur widerwillig von ihrem Rücken. Er wollte dabei sein, wenn sie ihren ersten Angriff starteten! Doch Nasuada hatte ihm mehr als deutlich gemacht, was sie von ihm erwartete. Auch wenn ihre Befehle ihm immer absurder erschienen. Während alle anderen sich in den Kampf stürzten, sollte er hier hinten sitzen bleiben und darauf warten, dass er eine Gelegenheit bekam, im Palast nach der Quelle von Galbatorix' Macht zu suchen? Was, wenn er Gelegenheit niemals bekam? Was, wenn er nichts fand?

Ich verstehe nicht was das soll. Ich sollte da vorne sein und kämpfen... versuchte er seinem Ärger Luft zu machen.

Saphira schnaubte.

Du weißt, dass es mir genauso geht. Aber sie haben Recht, deine Aufgabe ist eine andere.

Aber vielleicht schaffen sie es nicht ohne uns. sagte Eragon lahm.

Sie sind stärker, als du denkst. sagte Saphira und richtete sich wieder auf. Du solltest mehr Vertrauen in sie setzen. Und wenn wie uns wirklich brauchen, können wir ihnen immer noch helfen.

Eragon nickte widerwillig und lehnte sich mit verschränkten Armen an ihren Körper. Er gab sich keine Mühe, seine schlechte Laune zu verbergen.
 

Im Lager herrschte hektisches Treiben. Jetzt, da der Angriff kurz bevorstand, war die Anspannung unter den Kämpfern beinahe fühlbar.

Wann werden sie wohl losziehen? fragte er.

Saphira drehte den Kopf und sah ihn an.

Lange wird es sicher nicht mehr dauern. Sobald sie einen Weg gefunden haben, die Feuer zu umgehen.

Eragon ließ sich an ihrem Rücken entlang zu Boden sinken. Die Untätigkeit machte ihn halb wahnsinnig! Er hatte sie gesehen, die gigantische Streitmacht des Königs! Er hatte ihre furchtbaren Waffen gesehen und er ahnte, dass die über weitere schreckliche Fähigkeiten verfügten, magische Fähigkeiten, denen normale Menschen nichts entgegenzusetzen hatten! Und sie hatten...
 

Eragon stockte.

Er war nicht da.

Er sprang auf die Füße, trat um Saphira herum und sah ihr direkt in die Augen. Die Drachendame musterte ihn und schüttelte dann den Kopf.

Ich weiß, was du denkst und die Antwort ist Nein.

Saphira, begann Eragon aufgeregt. Wir müssen es tun! Murtagh und Thorn waren nicht dort! Das muss etwas zu bedeuten haben und wir müssen herausfinden, was!

Saphira senkte den Kopf und funkelte ihn an.

Er ist verschwunden, das ist alles was wir wissen. Und wir sollten froh darüber sein.

Aber vielleicht ist es nicht wahr! Vielleicht versteckt er sich da draußen! Und wenn es so ist, müssen wir ihn finden!

Saphira stieß fauchend eine kleine Rauchwolke aus. Dann richtete sie sich auf und ließ den Reiter auf ihren Rücken klettern.

Irgendwann fress' ich dich auf, ich schwöre es...
 

Sie stiegen in die Luft, höher und höher. Der Wind trieb die Rauchwolken noch immer in ihre Richtung und versperrte ihnen die Sicht. Saphira nutzte sie als Deckung und hoffte, dass diese sie vor neugierigen Blicken verbargen, auch wenn diese Taktik bedeutete, dass sie selbst nicht sehen konnten was am Boden vor sich ging.
 

Bald hatten sie die Spitze ihres Heeres erreicht und tauchten aus den Wolken hervor.

Eragon hatte das Gefühl, alle Luft würde aus seinen Lungen gepresst.

Die Schlacht hatte begonnen.
 

~
 

Die Heere bewegten sich unaufhaltsam aufeinander zu und kollidierten unter schrecklichem Krachen und Kreischen. Schwerter trafen auf Schwerter, Pfeile auf eiserne Schilde und bereits jetzt war der Boden von reglosen Körpern bedeckt. Die noch immer hoch lodernden Feuer taten ihr übriges und verbrannten immer wieder hilflose Krieger zu Asche. Der Lärm der Schlacht war so gewaltig, dass Eragon die Schreie der unzähligen Männer selbst hier oben, auf dem Rücken von Saphira, hören konnte. Doch als noch schlimmer als dieser grauenhafte Klang der tobenden Kämpfe unter sich empfand er den Anblick der grausamen Schlacht, die sich da unter ihm abspielte. Die Männer gingen erbarmungslos aufeinander los, verstümmelten und töteten ohne einen Moment des Zögerns, grausam, unmenschlich. Ein Teil von ihm konnte den schrecklichen Anblick kaum ertragen und wäre am liebsten auf der Stelle mit Saphira davongeflogen. Doch ein anderer, und zum Glück stärkerer Teil von ihm wusste, dass er es ertragen musste. Und dass er ein Teil des Geschehens war, unwiderruflich.
 

Langsam riss er den Blick von den Kämpfen am Boden los und suchte den Himmel ab. Saphira lieh ihm ihre Augen und sorgte so dafür, dass er mit geschärftem Blick beinahe bis zum Horizont sehen konnte. Eine dunkle Masse bewegte sich dort, langsam, wie ein Welle schlammigen Wassers. Und sie kam auf sie zu. Soldaten. Noch mehr Soldaten.

Was meinst du, wieviele sind es? fragte er Saphira in Gedanken. Der Drache legte den Kopf schief.

Ich kann es nicht genau sagen. Es sind viele. Einige zehntausend, möglicherweise noch mehr. Sie verbergen sich zwischen den Hügeln.

Wir sollten Nasuada davon berichten. sagte Eragon dann und Saphira begann sofort mit dem Sinkflug.

Sobald Eragon in Reichweite eines der Elfenmagier war, welche die Soldaten begleiteten, teilte er einem von ihnen mit was er gesehen hatte.

Ich denke, sie werden noch etwa einen halben Tag brauchen bis sie hier sind. Vielleicht auch weniger. schloss er seine Beschreibung. Der angesprochene Magier nickte ihm kurz zu, dann drehte er sich um und verschwand zwischen den Soldaten.
 

Eragon wollte gerade wieder zurück zu seinem Beobachtungsposten fliegen, als gequälte Schreie ganz in der Nähe seine Aufmerksamkeit erregte. Sofort ließ er seinen Blick suchend über die unzähligen Leiber unter sich schweifen und entdeckte bald den Ursprung der Schreie.

Einige Soldaten der Varden waren eingekreist worden. Von drei Seiten drängten die feindlichen Krieger gegen sie, in ihrem Rücken loderte eines der gewaltigen Feuer. Sie saßen in der Falle.

Eragons Augen verengten sich zu Schlitzen.

Wir müssen ihnen helfen. sandte er an Saphira.

Der Drache schüttelte den Kopf.

Nein. Erinner dich daran was Nasuada zu uns gesagt hat. Du bist zu wertvoll um deine Kräfte in solchen kleinen Kämpfen zu vergeuden. Denk daran was uns erwartet.

Wie zur Bestätigung ihrer Worte hörte Eragon ein vertrautes Surren in der Luft. Er beugte sich zur Seite und sah, dass einige der feindlichen Bogenschützen in ihre Richtung zielten und auf sie schossen. Eragon und Saphira waren immer noch viel zu weit oben um ernsthaft in Gefahr zu sein getroffen zu werden, doch das hielt ihre Feinde nicht davon ab, es weiter zu versuchen. Und ihnen klar zu machen, was sie erwartete wenn sie sich weiter nach unten wagen sollten.

Siehst du was ich meine? meinte Saphira und stieg noch ein wenig höher.

Doch Eragon hörte ihr kaum zu. Mit Grauen beobachtete er, wie die feindlichen Soldaten den Kreis immer enger zogen und immer mehr ihrer Leute fielen.

Bitte... sagte er eindringlicher. Bitte flieg runter. Wir können nicht zulassen, dass sie das tun!

Wir sind im Krieg, Eragon. Das gehört dazu! versuchte Saphira erneut, ihn zu überzeugen.

Bitte!

Saphira wartete noch einen quälend langen Moment, dann ließ sich tatsächlich hinabsinken.

Na gut, mein Kleiner. Für dich. Einen Angriff.

Eragon nickte heftig und zog den Bogen von seinem Rücken.

Ich bin bereit.
 

Saphira flog einen weiten Bogen und raste schließlich so tief über das Schlachtfeld hinweg, dass Eragon die Pfeile sehen konnte, die dicht an ihnen vorbeiflogen. Saphira flog jedoch so schnell, dass die Feinde sie kaum zu treffen vermochten. Nur wenige Male war Eragon gezwungen, Geschosse mithilfe seiner Magie abzuwehren.

Schließlich fiel Eragons Blick auf ihr eigentliches Ziel. Von den Kriegern ihrer Truppen standen nur noch ein knappes Dutzend und auch wenn sie sich nach Kräften wehrten und einige ihrer Feinde getötet hatten, sah es nicht gut für sie aus.

Die Ankunft des saphirblauen Drachen unterbrach den schrecklichen Kampf. Die feindlichen Krieger wirbelten herum und versuchten, den Drachen zu attackieren, doch Saphira konnte ihnen ausweichen. Eragon hatte gehofft, dass ihr Angriff ihren Feinden soviel Angst einflößen würde, dass sie die Flucht ergreifen würden, doch die Männer blieben wo sie waren, bereit zum Kampf.

Saphira flog einen schnellen Bogen und griff die Männer nun direkt an. Die Flammenstürme, die sie ausstieß, waren nicht weniger gewaltig als die Flammen des Feuers in ihrem Rücken. Eragon brüllte triumphierend, doch als die Drachenflammen erstarben, verschwand seine Freude so schnell wie sie gekommen war.

Saphiras Angriff hatte einige der feindlichen Kämpfer von den Füßen gerissen, doch nicht wenige standen noch immer, ihre Rüstungen zerfetzt, ihre Körper blutig. Eragon starrte fassungslos auf sie herab.

Sie müssten tot sein. Wieso stehen sie noch?! Er wusste genau, wie die Antwort auf diese Frage lautete und sie machte ihm Angst.

Wir müssen uns etwas einfallen lassen! rief er in Gedanken und zog seinen Bogen vom Rücken. Mit geübten Bewegungen legte er einen Pfeil auf die Sehne und zielte in Richtung des gewaltigen Feuers. Wenn es ihm gelang, die Flammen hinter ihren eigenen Soldaten zu löschen, würde ihnen das die Flucht ermöglichen.

Saphira stieß ein Brüllen aus als sie spürte, was ihr Reiter vorhatte.

Doch sie konnte ihn nicht mehr aufhalten. Eragon zielte und murmelte ein paar magische Worte. Dann ließ er den Pfeil los. Das Geschoss raste auf das Feuer zu und verschwand in den Flammen. Eragons Hände sanken kraftlos nach unten, als der Zauber seinen Tribut von ihm forderte. Schlagartig schien es kühler zu werden. Die Flammen loderten noch immer, doch ihre Farbe veränderte sich von einem leuchtenden Orange zu einem hellen Blau.

Die Soldaten schienen die Veränderung zu bemerken und reagierten sofort. Sie begannen zu rennen, bevor die feindlichen Krieger verstanden hatten was passiert war.

Wir haben... es geschafft! keuchte Eragon erschöpft und band sich den Bogen mit zitternden Händen wieder auf den Rücken.

Ja, aber das war sehr dumm von dir! knurrte Saphira beunruhigt.

Erneut surrte ein Schwall von Pfeilen auf sie zu und wurde von der Magie des Drachenreiters abgewehrt. Ihres eigentlichen Angriffsziels beraubt, hatten die feindlichen Soldaten scheinbar beschlossen, nun den Drachen und seinen Reiter zu attackieren. Saphira stieg mit kräftigen Flügelschlägen nach oben, um den Geschossen zu entgehen.

Wie kannst du einen solchen Zauber durchführen, ohne mich vorher zu warnen?! keifte sie weiter.

Eragon ignorierte sie. Sein Blick war noch immer auf den Boden geheftet. Überall gab es blutige Gefechte und immer wieder waren es ihre eigenen Soldaten, die in Bedrängnis gerieten.

Saphira, wir müssen...

Nein, Eragon!

Er hob endlich den Kopf und sah sie an.

Du weißt, dass ich nichts lieber tun würde, als diese schrecklichen Menschen zu zerreißen, doch wir dürfen es nicht! Du hast gesehen wozu sie fähig sind!

Eragon wollte protestieren, doch ihr hilfloser Tonfall brachte ihn zum Schweigen. Er presste die Augen zusammen und atmete tief aus.

Das hier war der Krieg, auf den er in den letzten Jahren vorbereitet worden war. Und er hatte ihn herbeigesehnt, immer wieder. Jetzt wollte er nur noch fort von hier.

Schreie, Schmerzen, blutgetränkte Erde, Tod.

Das alles war so falsch.

Und er war mit schuld daran.
 

~
 

Der rote Drache verlangsamte seinen Flug und betrachtete die dahinziehenden Ebene unter sich. Er erkannte sie wieder. Sie kamen der Hauptstadt immer näher. Und mit jeder Meile wuchs sein ungutes Gefühl.
 

Auch wenn Thorn sich Murtagh gegenüber nichts anmerken ließ, es kostete ihn beinahe seine ganze Beherrschung, die Entscheidung seines Reiters zu akzeptieren. Ein Teil von ihm wäre am liebsten sofort umgedreht und davongeflogen, über Ebenen, Wälder, Meere, weg, nur weg. Vielleicht gab es irgendwo auf dieser großen Welt einen Ort, an dem der König sie nicht finden konnte, an dem sie sicher waren!

Murtagh schlief noch immer, erholte sich langsam von den furchtbaren Angriffen auf seinen Geist. Er hätte es nicht einmal gemerkt, hätte der Drache die Richtung geändert.

Doch er wusste, Murtagh würde ihm niemals verzeihen.
 

Thorn stieß ein Knurren aus. Auch wenn er Murtaghs Gefühle teilte, sie spürte als wären es seine eigenen, verstand er doch nur einen Bruchteil von dem was der Reiter empfand.

Alles schien sich um den Jungen zu drehen, den anderen Reiter, Eragon. Jeder Gedanke, jede Emotion, jede Faser von Murtaghs Körper schien von ihm erfüllt, auf eine Weise, die zu tief war um sie in Worte fassen zu können.

Diese Gefühle sollten wundervoll sein, waren sie doch das, was die Menschen sich von allem am meisten zu wünschen schienen, was sie glücklich machte.

Doch das hier war anders. Und es war nicht alleine das Wissen, dass Murtagh und der andere Reiter zu Feinden geworden waren. Nein, diese Gefühle für ihn lösten eine Verzweiflung aus, die unendlich tiefer ging. Sie waren vom selben Blut und das machte diese Gefühle verboten. Murtagh wusste das, mit einer Gewissheit, die ihn beinahe wahnsinnig machte. Dennoch konnte er den Jungen nicht aus seinem Verstand verbannen. Er hatte es versucht, so viele Male, bis seine Seele blutig war und seine Träume ihm Angst machten. Doch nichts hatte sich geändert.

Thorn brummte leise. Er verstand es nicht. Wieso konnten diese Gefühle, die für so viele Menschen so wunderbar waren, gleichzeitig so schrecklich sein? Wieso war Murtagh dazu gezwungen, es wieder und wieder zu fühlen, jeden Tag, und daran zu verzweifeln? Wieso suchten sie ihn in seinen Träumen heim, Träumen, die wunderschön waren, bis er am Morgen erwachte?

Und wieso war Thorn dazu verflucht, Murtagh an diesen Gefühlen zerbrechen zu sehen, ohne etwas dagegen tun zu können...?
 

Thorn warf einen kurzen Blick über seine Schulter und betrachtete seinen Reiter. Er bewegte sich im Schlaf, die Augen hinter seinen geschlossenen Lidern zuckten hin und her. Thorn konnte sich denken was er sah, auch wenn der Reiter seinen Geist verbarg.

Nein, er konnte ihm nicht helfen. Murtaghs Herz gehörte dem blonden Jungen mit den stechend blauen Augen, unwiderruflich. Selbst wenn es Murtagh dazu zwang, für ihn zu kämpfen, für ihn zu sterben. Und Thorn hasste Eragon dafür, hasste ihn für die Gefühle, die er in Murtagh auslöste, für die Qualen, die sie stets begleiteten. Hasste ihn dafür, dass er nichts verstand, gar nichts. Und die Wunde in Murtaghs Innerem weiter aufriss, unbarmherzig, grausam. Murtagh würde alles für ihn aufgeben. Für den Jungen, den er liebte und den er dafür hasste. Und der andere Reiter würde nie davon erfahren.
 

~
 

Eragon starrte auf die grauen Schatten des gewaltigen Stadtberges vor sich und betrachtete die dunklen Massen der Krieger, die sich gleich Flutwellen aus der Stadt ergossen. Aus der Ferne sahen sie aus wie Farbtupfer auf einem trüben Teich, die sich ausbreiteten und zusammenzogen und dabei immer wieder neue Muster bildeten.

Er hatte es längst aufgegeben, sie zählen zu wollen oder auch nur zu schätzen wie viele es waren. Es war im ein völliges Rätsel woher Galbatorix diese gewaltige Armee hatte. Er hatte nicht einmal gewusst, dass es so viele Menschen gab!
 

Sie waren der Stadt näher gekommen, langsam, aber stetig. Ihre Gegner waren stark, doch der schiere Kampfeswillen ihrer eigenen Truppen schien sie langsam aber sicher zurückdrängen zu können. Bis jetzt. Wenn diese neuen Truppen die Plätze der gefallenen Soldaten einnehmen würden, würde sich das Blatt möglicherweise wenden.
 

Eragon widerstand der Versuchung, einen Blick auf das Schlachtfeld zu werfen.

Irgendwann in den letzten Stunden hatte er es tatsächlich geschafft, sich von den Kämpfen am Boden zu lösen und sich in sein Schicksal ergeben. Doch er konnte sie immer noch hören, die unzähligen Schreie, sowohl von ihren eigenen Kriegern als auch denen ihrer Feinde. Es waren schreckliche Schreie, Schreie des Schmerzes, Schreie des Todes. Doch er blendete sie aus und drängte die Schuldgefühle, die das bei ihm auslöste, mit aller Macht zur Seite. Trotzdem fühlte er sich wie ein Verräter, dass er sich hier oben verbarg und zuließ, dass ihre Krieger unter den Schwertern und Pfeilen der Feinde fielen...
 

Gräme dich nicht, Eragon. Unsere Zeit wird kommen. versuchte Saphira, ihn zu besänftigen.

„Ich weiß.“ antwortete er tonlos, auch wenn er seine eigenen Worte kaum noch wahrnahm.

Er schüttelte den Kopf und versuchte, seine Gedanken auf das zu fokussieren, was vor ihnen lag.

Die Schlacht dauerte nun schon mehr als einen Tag. Und bisher kamen sie besser voran, als sie es gehofft hatten. Die Stadt schien nun tatsächlich erreichbar! Dennoch hatten sie noch immer einen langen Weg vor sich. Die Stadt war von mehreren breiten Verteidigungsringen umgeben. Die gewaltigen Feuer waren nur der erste von ihnen gewesen. Eragon gestattete sich etwas Zuversicht, doch er ahnte, dass es ein Fehler sein konnte, sich bereits jetzt in Sicherheit zu wiegen.
 

Der König selbst hatte sich noch immer nicht gezeigt.

Eragon runzelte die Stirn. Das konnte alles und nichts bedeuten. Vielleicht verbarg sich der Tyrann. Vielleicht fürchtete er sie tatsächlich.

Oder er betrachtete ihren Angriff nicht als ernsthafte Gefahr.

Der Gedanke tat weh, doch Eragon spürte, dass er mehr Wahrheit enthielt als ihm lieb war.

Noch immer hatte er keine Vorstellung davon, was ihn jenseits der Mauern der Hauptstadt erwartete. Über welche Macht der König und sein Drache tatsächlich verfügten. Die Elfen waren sich ihrer Sache sicher. Gemeinsam würden sie, die Magier und Eragon als Reiter über genug Kraft verfügen um ihn zu besiegen. Sie würden ihm seine Geheimnisse entreißen und sie zu ihrem Vorteil nutzen. Sie würden ihm die Eldunarí stehlen und ihm so die Quelle seiner unvorstellbaren Macht entziehen. Sie würden erst aufgeben, wenn Galbatorix tot zu ihren Füßen lag...

Zumindest sagten sie das. Doch Eragon erkannte langsam, dass sie diese Zuversicht wohl vor allem dazu nutzten, sich selbst Mut zuzusprechen. Wenn Galbatorix nur annähernd der war, für den Eragon ihn hielt, dann war jeder Angriff von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Er ballte die Hände zu Fäusten und fluchte lautlos.

So oder so, zum Aufgeben war es längst zu spät. Sie mussten weitermachen. Weitermachen, bis einer von ihnen starb.
 

Eragon war so auf seine düsteren Gedanken konzentriert, dass er das Brüllen in der Ferne erst hörte, als Saphira ihrerseits ein lautes Gebrüll ausstieß und so schnell losflog, dass der Reiter fast von ihrem Rücken gestürzt wäre.
 

~
 

Das Brüllen wurde schnell lauter.

Eragon erkannte es sofort. Er hatte es schon einmal gehört, nein, mehr als einmal!

Er zog mit einer schnellen Bewegung sein Schwert und suchte fieberhaft den Himmel ab.

Und da war er. Rot wie die untergehende Sonne in der Ferne.

„Thorn!“
 

Der rote Drache kam schnell näher, wurde größer und größer.

Dann sah Eragon ihn. Seine Rüstung schimmerte im Sonnenlicht, das sie so rot färbte wie die Haut des Drachens, auf dem er saß. Seine rote Klinge surrte über seinem Kopf durch die Luft. Murtagh.
 

Eragon war so überrascht, dass er ihn nur anstarren konnte.

Thorn kam in seine Richtung, aber bevor er Saphira und ihn erreichte, schwenkte er zur Seite und flog eine weite Schleife. Schließlich ging er in den Sinkflug über.

Er fliegt zum Lager. erkannte Eragon. Thorns Verhalten verwirrte ihn zutiefst. Hatte Murtagh ihm tatsächlich befohlen, mitten ins Lager der Feinde vorzudringen, völlig allein und ungeschützt? Das war reiner Irrsinn!

Saphira reagierte sofort. Sie legte die Flügel an und raste dem roten Drachen hinterher. Eragon keuchte auf, als der Luftzug ihn mit voller Wucht traf.

Sie holten rasch auf, doch Saphira attackierte den roten Drachen nicht sofort.

Ich will sehen was er vorhat. Wenn er nur eine falsche Bewegung macht, zerfetze ich ihn!
 

Als er den Boden beinahe erreicht hatte, flog Thorn erneut einen Bogen und bewegte sich diesmal in die entgegengesetzte Richtung. Eragon blickte ihm verwirrt hinterher. Saphira flog erneut ein elegantes Manöver und folgte Thorn.

Es dauerte nicht lange, bis der rote Drache sein Ziel erreicht hatte.

Saphira stieß ein wildes Fauchen aus und beschleunigte ihren Flug. Nach nur wenigen Augenblicken hatte sie den Drachen erreicht. Sie wollte sich auf ihn stürzen, doch Thorn entging ihrem Angriff knapp.

Unter den Soldaten am Boden hatte sich bereits Panik ausgebreitet. Die Männer schrien und rannten durcheinander, etliche griffen zu Schwertern, Bögen und Armbrüsten, bereit, den Feind anzugreifen und zu töten.

Thorn vertrieb sie mit einem gewaltigen Feuerstoß und landete schließlich rutschend auf dem matschigen Boden. Saphira landete kurz nach ihm und stieß ein drohendes Fauchen aus.

WAS WILLST DU HIER, VERRÄTER?

Ihr Brüllen in seinen Gedanken war so laut, dass Eragon das Gefühl hatte sein Kopf würde gesprengt.

Thorn wandte ihr den Kopf zu und betrachtete sie mit stolzem Blick.

Sprich nicht so mit ihm, Drachenweib!

Saphira schnaubte und wandte sich von ihm ab.

Ich sollte ihn zerreißen, jetzt und hier!

Eragon kletterte von ihrem Rücken und legte ihr beschwichtigend eine Hand auf die Schulter.

Wir sollten hören was sie zu sagen haben.

Er hielt sein Schwert noch immer in der Hand, bereit, sich dem Kampf zu stellen. Auch wenn er hoffte, dass es nicht dazu kommen würde.
 

Sie befanden sich tief in den eigenen Reihen, fernab der Kämpfe. Ganz in ihrer Nähe befanden sich die Quartiere der Anführer. Eragons Gefühl sagte ihm, dass sie das Ziel seines Bruders gewesen waren. Doch was wollte er hier? Wollte er sie angreifen? Wollte er sich ergeben? Oder war sein Auftauchen Teil eines der teuflischen Pläne des Königs?
 

Eragon bemerkte Nasuada. Ihre dunklen Haare wehten im Wind, als sie mit entschlossenen Schritten auf den feindlichen Reiter zukam. Er blickte sie überrascht an. Sie trug noch ihre Rüstung und war mit Blut und Ruß beschmiert. In einer Hand hielt sie ein elegantes Kurzschwert. Offenbar hatte sie den Reiter am Himmel gesehen und hatte sich sofort aus den Kämpfen zurückgezogen.

Sie blieb in einiger Entfernung von Reiter und Drache stehen, ihre Leibgarde aus Soldaten und Magiern um sich versammelt.
 

Murtagh bemerkte sie ebenfalls. Er stieg von Thorns Rücken und ging ein paar Schritte in ihre Richtung. Sein Schwert hielt er noch immer in der Hand, die Klinge gesenkt. Eragon lief auf ihn zu, doch Murtagh sah ihn nicht einmal an. Er blickte starr an ihm vorbei, beobachtete Nasuada und die Krieger um sie herum.
 

„Wieso seid ihr noch hier?!“ brüllte er dann, seine Stumme wutverzerrt.

Nasuada starrte ihn feindselig an.

Dann trat sie einige Schritte in seine Richtung, schob die Wachen vor sich zur Seite. Eragon kam nicht umhin, ihren Mut zu bewundern.

„Das sollte ich dich fragen! Was willst du hier, Verräter?“

Sie hob den Arm, ihre blanke Klinge wies direkt auf Murtagh.

„Nenne mir nur einen Grund, wieso ich dich nicht auf der Stelle töten sollte.“

Ihre Stimme war schneidend wie Glas. Die beiden Wachen hinter ihr zogen ihre Schwerter und traten an ihre Seite.

Murtagh grinste herausfordernd und breitete die Arme aus: „Ihr könnt es gerne versuchen.“

Mehrere Soldaten aus Nasuadas Wache traten auf ihn zu, bereit, seine Provokation mit ihren Schwertern zu bestrafen.

Murtagh rollte mit den Augen.

„Ihr solltet Eure Wachhunde zurückpfeifen, wenn Euch ihre Leben am Herzen liegen. Ich bin nicht hergekommen um mich mit Fußsoldaten herumzuschlagen,“ Ein kaltes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. „Wenn ich Euch töten wollte, hätte ich es längst getan. Ihr hättet es nicht einmal gemerkt. Aber Ihr seid noch immer hier, oder?“

„Sprich nicht so mit ihr!“ brüllte eine der beiden Wachen plötzlich, und noch bevor Nasuada reagieren konnte, löste sich der Mann aus der Formation der Wachen und stürmte auf den feindlichen Drachenreiter zu.

Murtagh beobachtete seinen Angriff beinahe gelangweilt. Der Mann holte aus und ließ sein Schwert auf seinen Gegner hinabsausen. Wenn der Schlag treffen würde, er hätte den Reiter sofort getötet.

Doch Murtagh wich seinem Schlag im letzten Moment beinahe spielend aus, vollführte eine blitzschnelle Drehung, die ihn hinter den Angreifer brachte und rammte ihm seinen Ellbogen so heftig in den Nacken, dass der Mann wie vom Blitz getroffen zu seinen Füßen zusammenbrach.

Das alles geschah so schnell, dass keiner der Umstehenden, Eragon eingeschlossen, reagieren konnte.

Chaos brach los. Unter lauten Kampfschreien stürzten sich nun beinahe ein Dutzend weiterer Soldaten auf Murtagh, der ihnen mit kalten Augen entgegensah.
 

„Hört auf!“ Nasuadas Brüllen beendete den Angriff der Soldaten augenblicklich. Schwer atmend wichen die Soldaten vor Murtagh zurück. Eragon war entsetzt über den Ausdruck in ihren Augen. Es war die pure Mordlust.
 

Murtagh hatte sich nicht von der Stelle bewegt. Sein Blick war auf Nasuada gerichtet, und noch immer hatte er ein geradezu unverschämtes Grinsen im Gesicht.

Nasuada hielt seinem Blick stand. Ohne die Augen von ihm abzuwenden, wandte sie sich an einen der Soldaten und deutete auf den reglosen Soldaten zu Murtaghs Füßen.

„Sieh' nach ob er noch lebt.“

Der Mann gehorchte, wenn auch widerwillig.

Murtagh legte den Kopf schief.

„Er atmet noch,“ sagte er mit ruhiger Stimme „Und er wird in ein paar Stunden wieder ganz der alte sein. Aber ihr solltet ihm etwas kaltes Wasser besorgen. Er wird es brauchen.“

Der Soldat, der nun neben seinem Kameraden kniete, nickte.

„Er sagt die Wahrheit.“

Murtagh lachte kalt.

„Ja, sogar ich bin dazu fähig.“

„Wieso bist du hier,“ wiederholte Nasuada erneut. Ihre Stimme war fest. „Hat Galbatorix dich geschickt?“

Das Lachen erstarb, als Murtagh seine Klinge hob und in ihre Richtung wies: „Galbatorix hat nichts damit zu tun, dass ich hier bin. Ich entscheide für mich selbst.“

Nasuadas zog die Augenbrauen in die Höhe.

„Ist das so?“ Ein seltsam fremder Hohn schwang in ihren Worten mit. „Wieso sollte ich dir auch nur ein Wort von dem glauben, was du sagst?“

„Weil Euch keine andere Wahl bleibt.“ Ein grausamer Ausdruck breitete sich auf Murtaghs Gesicht aus. „Entweder Ihr vertraut mir und habt damit zumindest den Hauch einer Chance, diesen Krieg zu gewinnen, oder aber Ihr tötet mich und fahrt mit mir gemeinsam zur Hölle. Eure Entscheidung, Lady Nasuada.
 

Seine eisigen Worte ließen alle um ihn herum verstummen.

Nasuada starrte ihn an, schweigend. Eragon konnte erahnen, welche Kämpfe in diesem Moment in ihrem Inneren ausgefochten wurden. Ein Teil von ihr wusste, dass sie ihn brauchten, dass er eine Trumpfkarte in diesem Krieg sein konnte. Doch ein andere Teil von ihr wollte ihn tot sehen, für alles was er getan hatte. Eragon hatte keine Ahnung, welche dieser Seiten den Sieg davontragen würde...
 

Nach einer gefühlten Ewigkeit schien die Anführerin der Varden zu einer Entscheidung zu kommen. Doch es war nicht die, die Eragon sich erhofft hatte.

„Nehmt ihn gefangen.“

Eragon fuhr herum und starrte sie fassungslos an. Das konnte sie doch nicht ernst meinen!

Doch Nasuada hatte sich entschieden. Wie aus dem Nichts tauchten um sie herum weitere Krieger und die Magier der Elfen, angeführt von Blödhgarm, auf und bildeten einen weiten Kreis um den feindlichen Reiter.

Murtagh machte keine Anstalten zu flüchten.

Nasuada trat einen Schritt auf ihn zu und hob ihr Kurzschwert erneut in seine Richtung.

„Murtagh Morzansson, im Namen unserer Allianz nehme ich dich und deinen Drachen gefangen. Wenn du versuchst zu fliehen, ist das dein Todesurteil.“
 

„Nicht, bitte!“

Eragon hatte kaum wahrgenommen, dass er sich bewegt hatte, doch plötzlich fand er sich zwischen Nasuada und Murtagh wieder, die Arme ausgebreitet.

„Tu' das nicht.“

Nasuada sah ihn überrascht an.

„Wir brauchen seine Hilfe,“ sagte Eragon beschwörend. „Gefangen nützt er uns nichts!“

Die Überraschung im Gesicht der Anführerin der Varden verschwand so schnell wie sie gekommen war.

„Geh aus dem Weg, Eragon. Ich habe meine Entscheidung getroffen.“

Eragon wollte aufbegehren, doch Nasuadas eisiger Blick ließ ihn verstummen. Widerwillig ließ er die Arme sinken.

„Das ist ein Fehler.“

Seine Stimme war nur noch ein Flüstern.
 

Sechs der elfischen Magier traten an ihm vorbei nach vorne und bildeten einen Kreis um den feindlichen Reiter. Die anderen taten dasselbe bei Thorn. Der Drache knurrte leise, wehrte sich aber nicht.

Nasuada wandte sich erneut an Murtagh.

„Gib' deine Waffen heraus.“ befahl sie kalt.

Murtagh betrachtete sie einen Moment lang. Dann hob er sein Schwert und warf es vor sich auf den Boden.

„Ich hoffe Ihr wisst was Ihr tut.“

Nasuada ignorierte seine Worte. Sie winkte zwei ihrer Soldaten herbei.

„Durchsucht ihn.“

Die beiden Männer traten auf den Reiter zu, doch sie wagten es nicht, ihn anzurühren.

Murtagh betrachtete sie beinahe belustigt.

„Eure Männer sind sehr mutig, Lady Nasuada.“

Er griff an seinen Gürtel und zog mehrere Dolche hervor, die er den Soldaten vor die Füße warf. Weitere Waffen zog er aus seinen Stiefeln und aus einem Gurt um Brust und Rücken.

„Ich habe nichts weiter bei mir.“ sagte er dann und verschränkte die Arme vor der Brust.

Die Soldaten griffen nach den Waffen und zogen sich zurück. Scham und Erleichterung fochten einen ungleichen Kampf in ihren Gesichtern aus.
 

Die Magier zogen den Kreis um ihn enger. Gleichzeitig hoben sie die Arme, so dass sich ihre Hände fast berührten.

Dann begannen sie zu sprechen, ein melodischer Singsang in der alten Sprache. Zuerst noch ungeordnet, fanden sie schon bald einen gemeinsamen Rhythmus.

Murtagh beobachtete sie aufmerksam, rührte sich aber nicht.

Einen Moment lang meinte Eragon, dass ihre Zauber bei ihm nicht wirkten.

Doch plötzlich entfuhr seinem Bruder ein Keuchen und er begann wie unter heftigen Fieberkrämpfen zu zucken.

Die Magier verstärkten ihren Gesang, immer lauter und lauter wurden ihre Stimmen. Eragon konnte ihre Worte jetzt verstehen. Es waren mächtige, schreckliche Worte, einige davon hörte er zum ersten Mal. Angst stieg in ihm auf, als ihm klar wurde, was passieren würde, wenn die Magier ihre gesamte Energie freisetzten. Nasuada musste das hier beenden, bevor es zu spät war!
 

Murtaghs Körper bebte immer heftiger, es fiel ihm immer schwerer, sich auf den Beinen zu halten. Sein Gesicht war vor Anstrengung verzerrt, als er versuchte, die Zauber abzuwehren. Doch die Magie der Elfen war stärker.

Dann entfuhr ihm plötzlich ein heiserer Schrei und er brach wie vom Blitz getroffen zwischen den Elfen zusammen.

Eragon schrie entsetzt auf, und noch bevor es es wirklich registrierte, war er losgestürzt.

Er hatte Murtagh fast erreicht, als der sich plötzlich wieder aufrichtete.
 

Er war schweißgebadet. Dunkle Strähnen klebten ihm wirr im Gesicht. Er musste große Schmerzen haben, atmete nur noch keuchend.

„Ich muss zugeben, dass ich beeindruckt bin.“ presste er mühsam hervor und richtete seinen angestrengten Blick auf die Anführerin der Varden. „Eure magische Leibgarde ist stärker als ich dachte.“

Er lachte auf, doch sein Lachen ging schon bald in einen Hustenanfall über, der ihn erneut in die Knie zwang.

Nasuada nahm seine Reaktion gelassen hin.

„Deine Arroganz wird dir noch leidtun, Reiter.“

Erneut lachte Murtagh, auch wenn seine Stimme beinahe brach. Er hustete erneut und diesmal spuckte er Blut.

Die elfischen Magier traten erneut einen Schritt nach vorne und schlossen den Kreis um den feindlichen Reiter endgültig. Die von ihnen ausgehende magische Energie war so gewaltig, dass Eragon sie körperlich spüren konnte. Es erschien ihm wie ein Wunder, dass Murtagh noch immer in der Lage war, ihrer geballten Macht zu widerstehen.

Doch seine Macht schwand. Die Magier verstärkten ihre Zauber, webten einen Bann nach dem anderen. Murtaghs Körper zitterte unkontrolliert und er hatte die Augen fest geschlossen.
 

Kurz bevor er endgültig das Bewusstsein verlor, unterbrach Nasuada den Angriff.

„Das reicht jetzt.“

Blödhgarm nickte knapp und seine Kameraden gehorchten.

Eragon starrte fassungslos auf Murtaghs zusammengesunkenen Körper in ihrem Kreis. Alle Erleichterung darüber, dass die Magier ihre Attacken noch rechtzeitig beendet hatten, wurde von dem überwältigenden Entsetzen über ihre Grausamkeit in weite Ferne gedrängt. Wenn Nasuada sie nicht aufgehalten hätte, sie hätten Murtagh getötet, ohne auch nur einen Moment zu zögern. Der Gedanke war so grauenvoll, dass er Eragon dem Atem raubte...
 

Nasuada trat zwischen zwei der Magier und blickte mit abschätzendem Blick auf Murtagh hinab.

„Ich weiß nicht, ob du sehr mutig oder nur sehr dumm bist. Aber jetzt bist du unser Gefangener und dein Schicksal liegt von nun an in unserer Hand.“

Mit diesen Worten wandte sie sich von ihm ab und sah Blödhgarm an.

„Und jetzt schafft ihn mir aus den Augen, bevor ich es mir anders überlege.“

Erneut nickte der Elf.

Zwei der Magier packten den Reiter und richteten ihn auf. Eragon trat zu ihnen, doch Blödhgarm legte ihm eine Hand auf die Schulter und drückte ihn mit sanfter Gewalt beiseite.

„Überlasse ihn uns. Wir haben ihn sehr geschwächt, er hat uns nichts mehr entgegenzusetzen.“

„Aber ich will...“ begann Eragon protestierend, doch der Elf schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab.

„Wir werden uns um ihn kümmern. Du solltest zu Nasuada und den anderen Anführern gehen. Sie entscheiden jetzt über sein Schicksal.“

Eragon wollte erneut aufbegehren, doch der Elf wandte sich von ihm ab und schloss sich seinen Kameraden an, die Murtagh fortbrachten. Die anderen Magier blieben bei dem roten Drachen.

Keiner der beiden wehrte sich.
 

~
 

Auch wenn er darauf brannte herauszufinden, wieso Murtagh zu ihnen gekommen war, blieb Eragon vorerst nichts anderes übrig, als Blödhgarms Ratschlag zu folgen und sich zu den Anführern zu begeben.
 

Die Nachricht vom plötzlichen Auftauchen des Feindes schien sich in Windeseile verbreitet zu haben, denn auf dem großen Platz vor den Zelten der Heerführer hatte sich bereits eine Ansammlung von Kriegern versammelt, die aufgeregt durcheinanderbrüllten. Sogar König Orrin, Arya und Jörmundur waren hier. Eragon hatte sie seit Beginn der Kämpfe nicht zu Gesicht bekommen.
 

Arya erblickte ihn und kam auf ihn zu.

„Eragon, was ist passiert? Wieso ist Murtagh hier?“

Eragon erzählte ihr knapp was passiert war. Arya hörte zu, ihr Augen wurden schmal.

„Ich verstehe das nicht. Was kann er jetzt wieder vorhaben?“

„Ich weiß es nicht,“ gab Eragon zu. „Aber wir müssen versuchen, es herauszufinden.“

Arya nickte zögerlich. Eragon spürte, dass sie noch etwas auf dem Herzen hatte. Fragend sah er sie an.

„Eragon...“ begann sie schließlich. „Ich weiß was du jetzt denkst. Ich kann es in deinen Augen sehen. Aber du solltest dich keinen kindischen Hoffnungen hingeben.“

Sie sah an ihm vorbei und betrachtete die Anführer und Krieger, die sich immer zahlreicher auf dem Platz einfanden.

„Was immer er plant, hierherzukommen war der größte Fehler den er machen konnte. Sein Schicksal liegt jetzt in den Händen derer, die seinen Tod wünschen...“

Eragon hielt den Atem an. Arya hatte recht. Jetzt lag es an den Anführern, über Murtaghs Leben zu entscheiden.

Er musste etwas tun, bevor es zu spät war...
 

Eragon wandte sich von Arya ab und trat zu den anderen.

Die Diskussionen waren hitzig, alle waren völlig aufgewühlt. Das Eintreffen des feindlichen Drachenreiters hatte ihrem Feldzug eine unfreiwillige Unterbrechung bereitet. Die Kämpfe an der weit entfernten Front tobten noch immer, aber in ihre Reihen hatte sich Chaos geschlichen. Die Befehlshaber ihres buntgemischten Heers machten mehr als offen deutlich was sie von der Unterbrechung hielten und wie man ihrer Meinung nach mit dem Eindringling umgehen sollte. Eragon schnappte mehr als ein widerliches Szenario aus ihren Mündern auf und Murtagh im Kampf zu besiegen und zu töten war noch die harmloseste ihrer Ideen.

Seine Hoffnungen ruhten auf der Anführerin der Varden, denn im Gegensatz zu ihren Mitstreitern verhielt Nasuada sich ungewöhnlich ruhig. Eragon kannte sie gut genug um zu wissen, dass sie den anderen bereits einen Schritt voraus war und darüber nachdachte, welche Vorteile man aus dieser Situation ziehen konnte.

Zumindest hoffte er, dass es so war.
 

Als Eragon an ihre Seite trat, hatte sie sich gerade zu Jörmundur hinübergebeugt.

„Das gefällt mir nicht,“ sagte der Krieger gerade. „Wir müssen etwas tun bevor hier das totale Chaos ausbricht. Nicht wenige wollen den Kopf des Reiters rollen sehen. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich ihn vor ihnen beschützen will...“

Nasuada legte ihm eine Hand auf den Arm und sah ihn beschwörend an.

„Wir dürfen nichts überstürzen. Unsere erste Aufgabe wird es sein, herauszufinden was er weiß, und wenn wir es aus ihm herauspressen müssen.“

Jörmundur betrachtete sie zweifelnd.

„Ich denke nicht, dass er mit uns sprechen wird. Und selbst wenn, wird jedes seiner Worte eine Lüge sein.“

„Vielleicht ist er aber auch gekommen um uns zu helfen.“ mischte Eragon sich ein.

Nasuada wandte sich von Jörmundur ab und sah ihn an. Ihr Blick war feindselig, als sie den Kopf schüttelte.

„Ich werde ihn nicht in unsere Pläne einweihen. Und ich verlange von dir, dass du dasselbe tust.“

Ihr befehlender Ton machte ihm mehr als deutlich, dass sie keinerlei Widerspruch dulden würde. Eragon nickte widerwillig.

„Ich traue ihm nicht,“ fuhr sie fort. „Er ist ein Sklave des Königs. Und solange wir nicht wissen was er vorhat tun wir gar nichts. Vielleicht ist sein Hiersein nur ein weiterer teuflischer Plan des Königs! Wir dürfen kein Risiko eingehen.“

„Und was, wenn es nicht so ist? Wieso sollte Galbatorix zulassen, dass wir ihn gefangennehmen?“

Nasuadas Augen wurden schmal.

„Ich weiß es nicht. Aber es ist nicht deine Aufgabe, das herauszufinden. Du weißt, was du zu tun hast.“

„Nein,“ widersprach Eragon gereizt. „Ich kann euch nicht damit alleine lassen, während ich nach etwas suche, von dem ich nicht einmal weiß, ob ich es überhaupt finden kann.“

Nasuada sah auf, ihr Blick bohrte sich in seinen.

„Und doch wirst du es tun. Ich befehle es dir. Um den Reiter werden wir uns kümmern.“

Eragon biss sich auf die Lippen.

„Lass mich mit ihm reden.“

Nasuada schüttelte den Kopf.

„Nein, Eragon. Du... du hast schon genug Schaden angerichtet. Ich lasse dich nicht in seine Nähe.“

Ihre Worte waren wie ein Schlag ins Gesicht. Eragon konnte spüren, wie seine Hände zu zittern begonnen.

„Ich... ich schaffe das nicht alleine,“ presste er mühsam hervor. „Ich bin nicht stark genug. Ich weiß das, und du weißt das auch. Ich... wir brauchen ihn!“

Nasuada betrachtete ihn lange, dann schüttelte sie den Kopf und seufzte.

„Ich habe meine Entscheidung getroffen, Eragon. Und du solltest sie akzeptieren.“

Sie sah an ihm vorbei, betrachtete die anderen Krieger, die noch immer in hektische Diskussionen vertieft waren. Eragon stellte überrascht fest, dass sogar Angela am Rand des Platzes aufgetaucht war und zu ihnen hinübersah.

„Wenn es nach mir ginge, würde ich ihn auf der Stelle töten lassen.“ fuhr Nasuada fort. Eragon sog scharf die Luft ein.

„Sein Wissen um Galbatorix ist der einzige Grund, wieso er immer noch lebt. Wir haben ihm schon einmal vertraut und er hat uns hintergangen. Das wird mir nicht noch einmal passieren.“

Eragon widerstand dem Drang, ihr zu widersprechen.

Nasuada sah ihn wieder an.

„Er bleibt unser Gefangener, solange er uns nützlich ist. Danach werden wir ihn vor Gericht stellen und über eine angemessene Strafe für seine Taten verhandeln. Auch wenn ich bezweifele, dass es eine gibt.“

„Bitte, lass es mich versuchen. Wenn ich ihn zum reden bringe...“ versuchte er es erneut.

„Eragon, wieso machst du es mir so schwer...“ Nasuada fuhr sich mit der freien Hand über das Gesicht und betrachtete ihn. Eragon wich ihrem Blick nicht aus.

Nach einer quälenden Ewigkeit nickte sie schließlich.

„In Ordnung. Versuche es.“

Eragon entfuhr ein Seufzen.

„Aber wenn er nicht mit dir redet...“ Nasuada ließ das Ende des Satzes offen. Eragon wusste auch so, was sie sagen wollte.
 

~
 

Es war bereits dunkel, als Eragon endlich den Mut fand, zu Murtagh zu gehen. Er fürchtete sich vor der Begegnung, auch wenn er gar nicht recht wusste wieso.

Murtaghs Auftauchen hatte ihn völlig überrascht und sein seltsames Verhalten hatte ihn zutiefst verwirrt.

Er hatte geglaubt, Murtagh wäre einfach geflohen. Dass es ihm irgendwie gelungen war, sich aus den Fängen des Königs zu befreien. Und Eragon musste zugeben, dass er sogar Verständnis dafür gehabt hätte.

Stattdessen war Murtagh zurückgekommen und hatte sich mitten in die Reihen seiner Feinde begeben. Er hatte zugelassen, dass man ihn folterte, dass man ihn gefangennahm. Und er hatte sich kein einziges Mal gewehrt.

Vor ihm erschien das Zelt, in dem man Murtagh gefangenhielt und Eragon konnte plötzlich nicht mehr weitergehen.

So sehr er es auch versuchte, er verstand das Verhalten seines Bruders nicht. Und Murtagh schien auch nicht daran gelegen zu sein. Er hatte Eragon nicht ein einziges Mal angesehen, geschweige denn angesprochen. Sein Bruder riskierte alles, um ihm eine Nachricht zukommen zu lassen und ihn vor dem König zu warnen. Er wehrte sich gegen seine Befehle und ließ ihn entkommen, wieder und wieder. Und plötzlich beachtete er ihn nicht mehr?

Eragon schüttelte den Kopf. Wie er es auch drehte und wendete, Murtagh war ein einziger Widerspruch für ihn. Alle Gesetze, alle Regeln, schienen bei ihm ihre Macht zu verlieren. Immer wenn Eragon glaubte, ihn endlich verstanden zu haben, gab es neue Rätsel, neue Fragen. Und Eragon war sich längst nicht mehr sicher, dass sich das jemals ändern würde.
 

Irgendwann schaffte er es, das Quartier seines Bruders zu betreten. Das weitläufige Zelt war bis auf ein schmales Bett, einen Stuhl und einen tief in die schlammige Erde gerammten Pfahl leer und wirkte trostlos.
 

Sie hatten Murtagh in Ketten gelegt. Ein rein symbolischer Akt, das wusste Eragon. Die elfischen Ketten würden dem anderen Reiter nicht einen Moment lang standhalten, würde er wirklich versuchen sich zu befreien.
 

Murtagh hob den Kopf als er ihn hörte und erhob sich umständlich. Die feingliedrigen Ketten rasselten leise, als er aufstand und auf ihn zukam soweit es seine Fesseln zuließen.

Die Wut in seinen Augen traf Eragon wie ein Faustschlag.

„Was willst du noch, Eragon? Ich hab dir gesagt, was du tun sollst! Aber ich hätte es wohl wissen müssen, oder? Es ist vollkommen sinnlos mit dir zu reden, du tust ja doch das Gegenteil! Und was immer hier geschehen wird ist allein deine Schuld!“

Eragon blieb stehen und starrte ihn an.

„Ist... ist das alles was du mir zu sagen hast?“

Murtagh lachte auf und wandte sich ab.

„Für dich ist das sehr einfach, was?“ Seine Überheblichkeit machte Eragon wütend. „Bist du gekommen, um mich zu verhöhnen?“

Das Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden, als Murtagh sich wieder zu ihm umdrehte.

„Nein, Eragon. Ich bin hier, um euch die Wahrheit zu sagen. Ihr kennt ihn nicht. Er wird kein Mitleid haben. Mit keinem von euch, am allerwenigsten mit dir.“

Der Jüngere starrte ihn bestürzt an.

Murtagh beugte sich in seine Richtung, bis die Ketten, die seine Handgelenke in seinem Rücken zusammenhielten, straff gespannt waren.

„Hast du dir nie darüber Gedanken gemacht, was Galbatorix mit dir machen wird, wenn er dich jemals in die Finger kriegen sollte?“ fragte er weiter. „Er wird dir nicht den Gefallen tun und dich einfach töten. Er wird ein Exempel an dir statuieren. Er wird dich foltern. Er dich brechen. Er wird dich zu seinem Diener machen, seinem Spielzeug. Alle werden es sehen. Und anfangen, dich zu hassen.“

„Nein!“ unterbrach ihn Eragon. Sein Körper hatte zu zittern begonnen. Murtaghs Worte trafen ihn bis ins Mark und er hasste ihn dafür.

Murtagh schien seine Reaktion zu bemerken, denn auf seinem Gesicht erschien ein Ausdruck, den man beinahe als sanft bezeichnen konnte.

„Du weißt, dass ich recht habe, Eragon.“ Er trat einen Schritt zurück um den Druck auf seine Arme zu verringern. „Du solltest auf mich hören und aufgeben solange du noch kannst. Du würdest das nicht überstehen und das weißt du.“

„Soweit wird es nicht kommen,“ sagte Eragon und bemühte sich um eine feste Stimme. „Ich werde das nicht zulassen.“

„Dir wird nichts anderes übrigbleiben,“ konterte Murtagh. „Das hier ist kein Märchen, Eragon. Das hier ist Krieg. Und es gewinnen nicht immer die Guten.“

„Dann hilf uns! Du kannst doch nicht einfach aufgeben!“

„Ich bin nicht deswegen hier, Eragon.“ sagte Murtagh leise und zog sich noch weiter zurück.

Eragon öffnete den Mund, doch er wusste nicht was er noch sagen sollte. Er wollte Murtagh packen, ihn anschreien, ihm sagen, dass er sich irrte! Doch auch das hätte die Angst nicht besiegt die er tief in sich spürte, wie ein kaum spürbares Zwicken in seinen hintersten Gedanken. Er durfte nicht zulassen, dass sie die Oberhand über ihn gewann. Wenn das passierte, wäre er verloren...
 

„Wofür das alles?“ fragte er schließlich langsam. „Wieso bist zu zu uns gekommen, wenn du nicht kämpfen willst?“

„Ich will nur Galbatorix,“ sagte Murtagh. „Er soll bluten, für alles was er Thorn und mir angetan hat. Und ihr seid der einfachste Weg, an ihn heranzukommen.“ Die so bekannte Kälte war in seine Augen zurückgekehrt und ließ Eragon keinen Zweifel daran, dass er jedes seiner Worte ernst meinte.

„Also geht es hier nur um Rache? Das ist alles?“ fragte Eragon bestürzt.

„Für mich ist es genug.“ sagte Murtagh langsam.

Eragon schüttelte den Kopf.

„Ich glaube dir nicht. Das kann... nicht alles sein.“

Zumindest hoffte Eragon das. Er betrachtete seinen Bruder. Murtagh wich seinem Blick aus und starrte auf einen Punkt irgendwo hinter ihm. Das Schweigen stand wie eine Mauer zwischen ihnen.
 

„Das Amulett...“ begann Eragon erneut. „Hast du es benutzt?“

Murtagh verzog das Gesicht und sah ihn endlich an.

„Ja, das habe ich. Es hat nicht funktioniert. Aber das sollte mich wohl nicht überraschen, wie?“

Eragon biss sich auf die Lippen.

„Ich habe dich nicht belogen.“

Auch wenn das stimmte, fühlte er sich schrecklich schuldig.

„Mh...“ machte Murtagh statt einer Antwort und lehnte sich gegen den Pfahl in seinem Rücken. Sein Blick glitt wieder in die Ferne.

Eragon machte ein paar Schritte in seinem Richtung.

„Ich weiß, dass das schwer ist...“ begann er zögerlich, auch wenn er nicht sicher war, ob sein Bruder ihn überhaupt hörte. Murtagh sah noch immer starr an ihm vorbei, sein Blick verloren. Eragon ballte die Hände zu Fäusten. Die kalte Abwehr des anderen traf ihn.

„Murtagh, sieh mich an.“ Er musste sich zwingen, seine Stimme ruhig zu halten.

Murtagh zögerte, dann drehte er widerwillig den Kopf und schaute ihn an.

„Ich weiß, dass es schwer werden wird, glaub mir, ich weiß es!“ fuhr Eragon fort. „Aber wir haben nur diese eine Chance. Ich bin der Einzige, der das tun kann. Und ich werde nicht aufgeben.“

Murtagh antwortete nicht, also redete Eragon weiter: „Ich verlange viel von dir, das ist mir klar. Du hast keinen Grund, uns zu vertrauen. Aber ich bitte dich: hilf uns. Wie du gesagt hast, du kennst ihn besser als jeder andere von uns. Mit dir an unserer Seite können wir diesen Krieg vielleicht gewinnen. Hilf uns. Hilf mir.“

Murtagh öffnete den Mund, schien etwas sagen zu wollen, schwieg dann aber doch.

Eragon versuchte, sich seine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen.

„Und wenn du jetzt mit uns kämpfst,“ versuchte er es ein letztes Mal. „Dann beweist du allen, dass du anders bist, dass du wirklich auf unserer Seite bist! Sie werden dir vergeben und alles wird wieder wie früher!“

„Glaubst du das wirklich, Eragon?“ Murtagh blickte ihm direkt in die Augen. Seine Stimme klang müde.

„Na ... natürlich!“ antwortete Eragon, viel zögerlicher als er eigentlich wollte. Murtagh bemerkte es und grinste schief.

„Nein. Wir wissen beide, dass es nicht dazu kommen wird. Du bist hier der Held, Eragon Schattentöter. Ich bin nur... ein notwendiges Übel.“

Eragon sah ihn betroffen an, dann trat er einen Schritt zurück.

Er hatte gehofft, Murtaghs Rückkehr würde bedeuten, dass er für sie kämpfen würde. Dass sie sich Seite an Seite in die Schlacht stürzen würden, die beiden letzten freien Drachenreiter, gemeinsam gegen Galbatorix. Wie Freunde, wie Brüder... wie früher.

Doch offensichtlich hatte er sich getäuscht.

Ich verstehe das nicht. Wieso ist er zurückgekommen? fragte er Saphira hilflos.

Ich weiß es nicht... antwortete sie zögerlich. Es tut mir leid.
 

~
 

Murtagh sah ihm nach, bis er zwischen den Zelten draußen verschwunden war.

Dann sank er langsam in sich zusammen. Erst jetzt merkte er, dass er seine Finger so fest in seine Handflächen gebohrt hatten, dass seine Fingernägel schmerzhafte kleine Wunden hinterlassen hatten.
 

Eragons Besuch hatte ihn aufgewühlt, mehr als er wollte.

Es tat weh, die wenige Hoffnung, die Eragon noch hatte, zu zerstören. Der Schmerz in den blauen Augen des Jüngeren traf ihn und machte seine ohnehin schwere Aufgabe zu einer Folter.

Doch Murtagh hatte keine Wahl. Wenn er Eragon wirklich vor dem bewahren wollte, was er in seinen finsteren Visionen gesehen hatte, musste er ihn dazu bringen, aufzugeben, endlich aufzugeben, und davonzurennen, so weit er nur konnte. Auch wenn das bedeutete, dass Murtagh den Glauben an das Gute in seinem Herzen zerschlagen musste. Alles wäre besser als zuzulassen, dass Galbatorix ihn langsam zerbrach und nichts mehr bleiben würde außer einer seelenlosen Hülle...

Murtagh konnte, er durfte das nicht zulassen! Eragon musste fort von hier, so weit wie möglich. Egal, was dazu nötig war, egal, was das für ihn bedeuten würde. Murtagh würde alles ertragen, die Vorwürfe, den Hass, die Trauer, wenn Eragon nur sicher war. Und dafür gab es nur einen Weg, nur diesen einen Weg.

Und Murtagh konnte nur beten, dass Eragon ihm seine Worte glaubte und die richtige Entscheidung traf bevor es zu spät war.
 

Ich hoffe, dass du weißt was du tust, Murtagh. meldete sich Thorn in seinem Kopf.

Murtagh senkte den Kopf. Mit einem mal spürte er wieder den kleinen Stein auf seiner Haut, kühl und leer.

Das hoffe ich auch.
 

~
 

Eragon hörte Schreie und rannte los, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Das plötzliche Chaos im Lager konnte nur eines bedeuten und alles ihm betete darum, dass er sich irrte.
 

Doch sein ungutes Gefühl wurde bestätigt, als er den Platz erreichte, auf dem Murtagh gefangen gehalten wurde. Etwa ein Dutzend Männer lagen vor dem Zelt auf dem Boden, manche vor Schmerzen stöhnend, andere erschreckend reglos. Die Magier waren verschwunden, ob sie verletzt waren oder dem Flüchtigen folgten, vermochte Eragon nicht zu sagen.

Er wirbelte herum und rannte los, während er Saphira zu Hilfe rief.
 

Er hatte wohl instinktiv die richtige Richtung eingeschlagen, denn es dauerte nicht lange bis Eragon die ersten Verfolger seines Bruders entdeckte.

„Was ist passiert?“ fragte er atemlos, als er den ersten der Magier erreichte.

Der hochgewachsene Elf drehte sich um und musterte ihn grimmig.

„Der Reiter versucht zu entkommen,“ Ein unheilvolles Funkeln erschien in seinen Augen. „Dafür werden wir ihn töten.“

Es dauerte eine quälende Ewigkeit, bis Eragon sich von dem Schock dieser Worte so weit erholt hatte, dass er antworten konnte. Er legte dem Magier eine Hand auf die Schulter.

„Das müsst Ihr nicht. Ich werde ihn finden.“

Er ließ dem anderen keine Zeit für eine Erwiderung und rannte los.
 

Ich werde ihn finden!
 

+++
 

Wer sich bis hierhin durchgequält hat, ruft Drachenscheisse! XD

I Love You... I'll Kill You

Willkommen zu Kapitel 7.

Ich bin superglücklich, dass ich es noch vor Erscheinen von Band 4 geschafft habe, auch wenn es wirklich hart war. Ich habe selten so viel in so kurzer Zeit geschrieben!

Das Ende von Kapitel 7 und der Anfang von Kapitel 8 gehören übrigens zu den allerersten Szenen, die ich überhaupt geschrieben habe! Und ich freue mich sehr, dass ich sie beinahe unverändert übernehmen konnte.
 

Ein besonderer Dank geht auch diesmal an Andromeda und abgemeldet, die es nicht müde werden, meine 'Ergüsse' zu lesen und mir mit ihren Anmerkungen immer wahnsinnig helfen. Ohne sie wäre diese Fanfic nicht das was sie ist! :)
 

+++
 

Von dem Hügel aus hatte Murtagh einen guten Blick über den größten Teil des Lagers. Die Zeltreihen standen dicht an dicht, einer Herde Schafe gleich, die sich auf der Suche nach Geborgenheit zusammendrängte. Es war überraschend ruhig. Das Chaos, das sein unerwünschtes Auftauchen ausgelöst hatte, war schnell wieder verschwunden.

Dennoch suchten sie noch immer nach ihm. Murtagh konnte die Soldaten sehen, die in kleinen Gruppen durch das Lager streiften und dabei auch seinem Versteck immer wieder nahe kamen. Keiner der Krieger entdeckte ihn.
 

Murtagh lehnte sich an einen der rauen Baumstämme und sandte seinen Geist auf die Suche nach Thorn. Beinahe augenblicklich begann es hinter seinen Schläfen schmerzhaft zu pochen. Er biss die Zähne zusammen und versuchte es weiter.

Nach seiner Gefangennahme am Tag zuvor hatte man ihn von seinem Drachen fortgebracht. Nachdem er sich wieder halbwegs von den Attacken der Elfenmagier erholt hatte, hatte Murtagh versucht, seinen Gefährten zu erreichen, doch starke magische Banne hatten das nahezu unmöglich gemacht. Erst nach quälenden Stunden voller Ungewissheit hatte er endlich soviel Kraft aufbringen können, die Barrieren zu überwinden und Kontakt zu seinem Drachen herzustellen.

Thorns Gedanken trafen ihn hart. Der Drache hatte Angst um ihn und seine Zweifel wuchsen mit jedem Moment, den er Murtagh in dieser Situation wusste. Zweifel, die auch Murtagh selbst empfand, die er sich aber nicht eingestehen konnte, nicht mehr...
 

Murtagh entdeckte den Geist seines Drachen, weit weg von sich, auf der anderen Seite des Lagers. Er wollte ihn ansprechen, doch die wirbelnden Nebel um seinen Verstand trübten seine Sinne.

Er richtete sich langsam auf, sank jedoch stöhnend wieder in sich zusammen, als sein Körper schmerzhaft protestierte. Er schloss die Augen und wartete, bis die plötzliche Übelkeit verging.

Die Magier waren stark gewesen. Es hatte ihn enorme Kraft gekostet, ihren Bann von sich abzuschütteln. Noch jetzt spürte er die Nachwirkungen seines Widerstandes. Seine Muskeln brannten und ihm war so schwindelig, dass es ihm schwer fiel, sich zu konzentrieren. Es war nicht leicht es sich einzugestehen, aber wenn sie es wirklich versuchten, würden sie ihn töten können.

Ein Teil von ihm fragte sich noch immer, wieso sie es nicht getan hatten...
 

Murtagh öffnete die Augen wieder und starrte auf seine Hände hinab. Noch immer konnte er die winzigen Wunden sehen, die er sich vor lauter Anspannung selbst zugefügt hatte. Hellrot hoben sich die kleinen Schnitte von seiner Haut ab und schmerzten bei jeder Bewegung seiner Hände. Ein weiterer Beweis seiner Hilflosigkeit...
 

Er ballte die Hände zu Fäusten und hob den Kopf.

Was tat er hier eigentlich?

Er hatte es gewusst, eben, vor Stunden, als er plötzlich mit an Wahnsinn grenzender Gewissheit gespürt hatte, dass er nicht bleiben konnte. Er erinnerte sich an Mondlicht, Schreie, Blut, den dumpfen Klang schwerer Körper, die auf sandigen Boden aufschlugen.

Doch jetzt, nachdem das warme Licht der Sonne die düsteren Schatten der Nacht vertrieben hatte, kam ihm seine Flucht nur noch töricht vor.
 

Eragon...
 

Murtagh war hergekommen, um ihn zu retten und ein Teil von Eragon schien seine Hilfe tatsächlich zu wollen. Auch wenn er alles daransetzte, es seinen Bruder nicht merken zu lassen, Murtagh hatte die Angst in seinen Augen gesehen. Diese Angst sollte ihm Hoffnung machen, war es doch genau das was er gewollt hatte. Wieso fiel es ihm dann plötzlich schwer zu atmen? Und wieso hatte er das furchtbare Gefühl, etwas unverzeihliches zu tun...?!
 

~
 

Irgendwann hörte er Schritte hinter sich.

Murtagh drehte sich um und war nicht überrascht, Eragon langsam auf sich zukommen zu sehen.
 

„Das war ziemlich beeindruckend.“ sagte der blonde Drachenreiter spitz. Sein Blick war lauernd.

Er trat an Murtaghs Seite und betrachtete das schmale Tal, das sich zu ihren Füßen erstreckte. In der Ferne ließen schwarze Rauchsäulen erahnen, dass die Schlacht um die Hauptstadt des Reiches noch immer tobte.

Murtagh sah ihn an, wartete darauf, dass er weitersprach, doch der schwieg.

Seite an Seite standen sie auf dem kleinen Hügel und blickten über die Ebenen. Graue Wolken zogen über ihnen dahin. Ihre langen Schatten wanderten über den Boden wie Flecken aus schmutziger Dunkelheit.
 

„Obwohl ich mich frage, wieso du noch immer hier bist.“ fuhr Eragon endlich fort und sah ihn nun direkt an.

Seine Augen ließen Murtagh zusammenfahren. In ihnen lagen stumme Vorwürfe, Vorwürfe, die Murtagh nur zu gut kannte. Es war dieser Blick gewesen, der ihn in seinen Visionen hatte zerbrechen lassen wie gesprungenes Glas...
 

„Was soll das alles, Murtagh?“ fragte Eragon leise. „Du kommst hierher und lässt zu, dass sie dich derart behandeln. Und dann verschwindest du plötzlich, nur um dann hier zu stehen und darauf zu warten, dass man dich findet? Ist ... ist das ein Spiel für dich?“

Sein ehrlich verletzter Tonfall traf Murtagh. Er schüttelte schwach den Kopf, doch Eragon schien es nicht zu bemerken. Er wollte etwas sagen, irgendetwas, was die Vorwürfe aus Eragons Augen wischen würde, doch jedes Wort hätte wie eine Lüge geklungen. Was hätte er auch sagen sollen? Die Wahrheit war, dass er selbst nicht wusste, was er hier tat. Er hatte geglaubt, es zu wissen. Doch hier draußen unter den grauen Wolkenschleiern schien dieses Wissen mit einem Mal so unendlich weit weg zu sein...
 

Du bist schwach.
 

Da waren sie wieder. Diese Gedanken, so klein, scheinbar harmlos, die in seinen Verstand schnitten wie heiße Klingen. Murtagh spürte, wie seine Knie weichen wurden und zu zittern begannen.

Es war die Wahrheit. Er konnte es nicht. Und der König wusste es, wusste es...
 

Als er nicht antwortete, wandte Eragon sich ab und starrte wieder in Richtung Horizont. Der Wind trug die fernen Geräusche der Schlacht zu ihnen, verzerrte sie zu einer unheimlichen Symphonie des Grauens.
 

„Du hast gesagt, dass wir dir vertrauen sollen,“ sagte Eragon zögernd. „Aber du machst es mir nicht gerade leicht.“

„Und woran liegt das wohl, was glaubst du?“

Murtaghs Stimme war härter als er wollte. Eragon drehte sich zu ihm herum, seine blauen Augen blickten anklagend.

„Sag du es mir. Du bist derjenige, der uns im Stich gelassen hat und der sich jetzt davor scheut, endlich auf der richtigen Seite zu kämpfen.“

„Der richtigen Seite?“ Murtagh verzog den Mund zu einem schiefen Grinsen. „Du begreifst es einfach nicht, oder? Hier geht es nicht um richtig und falsch. Hier geht es darum, wer überlebt und wer stirbt. Und leider ist das Glück nicht auf eurer Seite.“

„Du könntest dazu beitragen, dass sich das ändert,“ sagte Eragon und sah ihm nun direkt in die Augen. „Du weißt, dass du es kannst, so sehr du dich auch dagegen wehrst. Du bist ein Drachenreiter und...“

„Ich hab' nicht darum gebeten.“ unterbrach Murtagh ihn barsch.

Eragon fuhr unter seinen Worten wie unter einem Schlag zusammen. Murtagh genoss den Anblick beinahe. Eine kleine Ewigkeit lang starrte sein Bruder ihn nur an, suchte nach der Lüge in seinen Augen. Als er nichts fand, sank er sichtbar in sich zusammen.

„Das kann nicht dein Ernst sein...“ sagte er heiser.

Murtagh drängte den Anflug von Mitleid, den Eragons Anblick bei ihm auslöste, beiseite.

Was blieb war Wut, geschürt durch Eragons verständnislosen Blick.

„Ich... ich verstehe dich nicht...“

„Dieses Schicksal ist nicht für jeden ein Segen, Eragon,“ sagte Murtagh böse. „Aber es hat wohl keinen Sinn, darüber mit dir zu sprechen...“

Er wandte sich ab, konnte die blauen Augen plötzlich nicht mehr ertragen. Die Stille zwischen ihnen wurde dunkel und schwer wie Blei.
 

Eragon schluckte schwer, rang mit den Worten. Als er endlich wieder sprach, war seine Stimme kaum mehr als ein Krächzen.

„Ich verstehe nicht, wie du so darüber sprechen kannst. Als wäre es eine Strafe...“

„Für mich ist es das.“ sagte Murtagh kalt.

Eragon schüttelte ungläubig den Kopf.

„Ich glaube dir nicht. Thorn... er hat dich auserwählt. Und es ist deine Aufgabe, dich dieser Verantwortung zu stellen. Du bist ein Drachenreiter und egal was du tust, du kannst vor dieser Pflicht nicht davonlaufen.“

„Und das ausgerechnet aus deinem Mund...“

Der Zorn in seinen Augen ließ Eragon einen Schritt zurückweichen.

„Ich versuche wenigstens, den richtigen Weg zu finden,“ sagte er schrill. „Und du willst es doch auch! Schließlich bist du hergekommen!“

Murtagh starrte ihn an. Sein Mund war mit einem Mal wie ausgetrocknet.

Da waren sie wieder, die Zweifel, die Fragen.

Was wollte er eigentlich hier?

„Ein weiterer Fehler wie es scheint...“ sagte er schließlich.

Es war, als lege sich ein Schatten über Eragons Gesicht. Sein Bruder sah ihn an, einen Moment, eine Ewigkeit, bis Murtagh seinen Blick nicht mehr ertragen konnte.

„Es tut mir leid.“ sagte er noch, dann drehte er sich um und begann, den Hügel hinabzusteigen.
 

~
 

Er kam nicht weit.

Wie aus dem Nichts war Eragon plötzlich hinter ihm und zerrte ihn grob herum. Seine blauen Augen schienen zu lodern. Ein tiefblaues, wildes Feuer, dass sich direkt in seine Seele brannte, schrecklich und wunderschön.

Murtagh blieb stehen, doch Eragon ließ ihn nicht los, umklammerte seinen Arm als fürchtete er, dass sein Bruder davonrannte, würde er ihn loslassen. Und er sollte es tun, sollte es tun...

Unwillkürlich wich Murtagh zurück. Der Druck von Eragons Hand um seinen Arm verstärkte sich.
 

„Wieso...“
 

Wieso...

Es war als würden seine schlimmsten Visionen wahr. Schwer legten sie sich über seine Wirklichkeit, erstickten sie unter ihrer Last.

Wieso...

Ein Wort nur, doch in ihm schienen all die Fragen, Vorwürfe und Zweifel zu stecken, die Eragon in diesem Moment fühlte. Und die Murtagh schwach machten, so schwach, dass ein Teil von ihm dem anderen alles sagen wollte, alle Wahrheiten, so entsetzlich sie auch sein mochten.

Doch er schwieg.
 

Eragon zog ihn zu sich, sein Blick bohrte sich in Murtaghs, unbarmherzig.

„Sieh' mich an, verdammt. Ich rede mit dir!“

Sein heißer Atem traf Murtaghs Gesicht. Nah, viel zu nah.

Und plötzlich wusste er wieder, wieso er hier geblieben war, wieso er gewartet hatte, wieso sein Körper sich weigerte auch nur einen Schritt zu tun.

Wieso, wieso...

Eine einfache Frage und eine einfache Antwort.
 

Weil ich dich nicht auch noch verlieren darf...
 

Eragon sprach weiter, doch Murtagh hörte ihn gar nicht mehr.

Er wollte nur noch weglaufen. Das alles hier war so falsch.

Er hätte niemals zurückkommen dürfen...
 

~
 

Murtagh entfernte sich von ihm, mit jedem Atemzug ein wenig mehr. Sein Blick ging durch ihn hindurch, verlor sich in unbekannter Ferne, irgendwo, wo Eragon ihn nicht erreichen konnte. Es tat weh. Eragon kämpfte das Gefühl beiseite.

Murtagh war noch hier, hatte auf ihn gewartet. Und Eragon eine letzte Chance gegeben, ihn zu überzeugen.
 

„Wieso... wieso tust du das alles... wieso sagst du mir nicht einfach was mit dir los ist?“ begann er erneut.

Murtaghs Blick klärte sich. Er sah ihn an als hätte er ihn gerade erst bemerkt.

„Weil du das nicht verstehen würdest...“ antwortete er langsam.

„Wie kannst du das wissen, wenn du es nicht versuchst?“

Murtagh starrte auf den Boden und grinste.

Eragon biss die Zähne zusammen. Er hasste es, wenn Murtagh sich über ihn lustig machte.

„Ich muss es wissen,“ presste er mühsam hervor. „Bitte.“

Murtaghs Blick schien zu flackern. Einen Moment lang hoffte Eragon, dass er gewonnen hatte. Doch dann befreite Murtagh sich mit überraschender Kraft aus seinem Griff.

„Du weißt nicht, was du da verlangst...“

Eragon entging das Zittern in seiner Stimme keinen Moment lang.
 

Was wirst du jetzt tun? fragte Saphira vorsichtig.

Die ganze Zeit über hatte sie ihrem Gespräch im Stillen beigewohnt. Doch jetzt konnte sie sich nicht länger zurückhalten.

Ich weiß es nicht... antwortete Eragon langsam. Ich wünschte, ich würde verstehen was in seinem Kopf vorgeht...

Es ist nicht deine Schuld. erwiderte die Drachendame sanft.

Können wir ihm trauen?

Saphira zögerte.

Höre auf dein Gewissen.

Du bist mein Gewissen. antwortete Eragon langsam und lächelte traurig.

Saphira musste nichts sagen, Eragon kannte ihre Antwort auch so.

Es tut mir leid...
 

Murtagh sah ihn noch immer an, doch sein Blick war wieder leer. Eragon erkannte, dass sie erneut in einer Sackgasse gelandet waren. Ein Gefühl, was er mittlerweile nur zu gut kannte. Und fürchtete. Die Niederlage schmeckte bitter.
 

„In Ordnung...“ sagte er schließlich und blickte zurück zum Lager. „Ich werde jetzt gehen und dich alleine lassen. Entscheide dich für uns und beweise damit, dass du nicht der bist für den sie dich halten. Oder flieh' von hier und beweise das Gegenteil. Ich werde dich nicht mehr aufhalten.“

Eragon ließ Murtagh keine Zeit für eine Erwiderung. Er drehte sich um und ging den Hügel hinab, zurück zu den Menschen, die noch immer hofften.
 

Irgendwann hörte er Schritte hinter sich. Er widerstand der Versuchung, sich umzudrehen.

Ein Lächeln umspielte seine Lippen, als er die Zeltreihen erreichte.

Murtagh folgte ihm.
 

~
 

Sie wurden bereits erwartet.
 

Als Eragon das Zentrum des Lagers erreichte, hatte sich die Zahl ihrer bewaffneten Begleiter bereits auf etwa drei Dutzend erhöht und Jörmundur empfing sie mit weiteren Soldaten. Eragon bemerkte besorgt, dass sich auch einige der elfischen Magier hier eingefunden hatten. Er presste die Lippen aufeinander und warf einen schnellen Blick auf seinen Bruder, der noch immer dicht hinter ihm war und die Männer aufmerksam musterte.

Hoffentlich mach er keinen Unsinn... sandte er an Saphira, die in diesem Moment den Platz erreichte. Die Drachendame knurrte nur.
 

Jörmundur kam auf die beiden Reiter zu und verschränkte die muskulösen Arme vor der Brust.

„Wie ich sehe hast du dein Versprechen gehalten und ihn zurückgeholt, Eragon.“

Er nickte den Männern an seiner Seite zu und die zogen sofort ihre Klingen.

„Das wird nicht nötig sein,“ sagte Murtagh kühl und hob abwehrend die Arme. „Ich werde nicht mehr fliehen.“

Jörmundur stieß ein verächtliches Schnauben aus.

„Und das sollen wir dir glauben?“

„Er ist freiwillig mit mir gekommen,“ mischte Eragon sich ein. „Er... er wollte niemals fliehen.“

Jetzt, da er diesen Gedanken ausgesprochen hatte, merkte er, dass es die Wahrheit war. Auch wenn er noch immer nicht verstand wieso, Murtagh hatte niemals ernsthaft versucht zu entkommen.
 

Jörmundur hob den Kopf und musterte Murtagh verächtlich.

„Wenn das so ist, habt Ihr doch sicher nichts dagegen, mir zu folgen, Reiter?

Seine Worte waren der blanke Hohn, doch Murtagh ignorierte seinen Tonfall. Er betrachtete den älteren Mann noch einen Moment, dann ließ er die Arme sinken und nickte.
 

Der Blick des Kriegers war noch immer skeptisch, doch nach kurzem Zögern setzten sich tatsächlich mehrere Soldaten in Bewegung, bereit, Murtagh erneut in Ketten zu legen, während die Magier wie zufällig einen weiten Kreis um die Gruppe bildeten.

Eragon wollte sich schützend vor ihn stellen, doch Murtagh schüttelte den Kopf.
 

So musste der junge Reiter erneut hilflos dabei zusehen, wie Murtagh gefesselt und fortgezogen wurde.

Kurz bevor Eragon ihn endgültig aus den Augen verlor, drehte Murtagh sich noch einmal zu ihm um. In seinen grauen Augen lag ein Ausdruck, der sich direkt in Eragons Seele zu brennen schien. Für einen kurzen Augenblick hatte Eragon das Gefühl, einen Blick in sein Inneres werfen zu können und was er sah, schockierte ihn zutiefst.

Dann war Murtagh verschwunden und nahm den Gedanken mit sich.
 

~
 

Es war bereits spät am Nachmittag, als Eragon ihn wiedersah.
 

Murtagh saß am anderen Ende des langen Holztisches, der den größten Teil des Zeltes ausmachte, in welchem die Anführer und Kommandanten der Rebellen ihre Konferenzen abhielten. Um ihn herum standen mehrere Magier der Elfen und der Varden, angewiesen, ihn sofort zu töten, sollte er auch nur ungebeten husten.

Nasuada und ihre Leibgarde standen ihm gegenüber, so weit weg wie der lange Tisch es zuließ.

Der Blick der Kriegerin war ruhig, nichts deutete mehr auf den Ausbruch hin, mit dem sich Eragon nur wenige Stunden zuvor konfrontiert gesehen hatte.
 

Wie erwartet war sie beinahe rasend vor Zorn gewesen, als sie von Murtaghs Flucht erfahren hatte.

Als die Nachricht sie erreichte, hatte sie sich gerade mitten in heftigen Kämpfen an vorderster Front befunden, doch sie war sofort umgekehrt, um das Lager wieder unter Kontrolle zu bringen.

Was ihr glücklicherweise gelungen war. Es hatte nur wenige Verletzte gegeben, keine Toten, wie zuvor befürchtet worden war. Eragon war sich mittlerweile sicher, dass Murtagh sich absichtlich zurückgehalten hatte. Ein weiteres Indiz dafür, dass er nie wirklich hatte fliehen wollen, auch wenn Eragon den Grund dafür noch immer nicht verstand. Er hoffte nur, dass Nasuada das ebenfalls sah. Sie hatte ihn über ihre Pläne mit dem gefangenen Verräter im Dunkeln gelassen. Was seine eigene Schuld war, hatte er doch erneut verhindert, dass Murtagh seine in den Augen der Rebellen „verdiente Strafe“ erhielt.
 

In der angespannten Stille, die das Zelt jetzt erfüllte, schien sein rasender Herzschlag Eragon unnatürlich laut. Er ballte die Hände zu Fäusten und schaute zu Nasuada.
 

Die Anführerin der Rebellen stand still da, schien nachzudenken. Dann stieß sie plötzlich ein tiefes Seufzen aus. Langsam griff sie an ihren Gürtel und zog einen langen, gebogenen Dolch hervor. Mit einem fast schon liebevollen Blick betrachtete sie die Klinge, bis sie sie schließlich auf den Tisch vor sich legte.
 

„Ich will ehrlich mit dir sein, Murtagh,“ begann sie und richtete ihre dunklen Augen auf den feindlichen Reiter. „Wenn es nach mir ginge, würde ich diese Klinge nehmen und sie in dein verfluchtes Herz stoßen.“

Ein Zischen ging durch den Raum. Eragon biss die Zähne zusammen. Nur mühsam gelang es ihm, sich zurückzuhalten. Alleine Nasuadas Drohung, ihn sofort aus dem Zelt zu werfen wenn er sich einmischte, hielt ihn davon ab, ihr die Waffe fortzureißen, bevor sie ihre Drohung wahr machen konnte.
 

Murtagh zeigte sich unbeeindruckt.

„Ihr wisst genauso gut wie ich, dass Ihr das nicht tun werdet.“

„Was macht dich da so sicher?“ gab Nasuada zurück.

„Wenn Ihr es wirklich wolltet, würde ich jetzt nicht hier sitzen.“ Murtaghs Stimme hatte wieder den ihm eigenen eisigen Ton angenommen. Er lehnte sich zurück und verschränkte die Arme vor dem Körper.

Ein allgemeines Murmeln breitete sich aus, doch Nasuada brachte die Anwesenden mit einer Handbewegung zum Schweigen. Eragon war überrascht, als er das Lächeln auf ihrem Gesicht sah.

„Du hast recht.“ gab sie zu.
 

„Beeindruckend...“

Arya war so leise hinter ihn getreten, dass Eragon sie gar nicht bemerkt hatte.

„Was meinst du?“ flüsterte er zurück.

Arya deutete mit dem Kopf in Nasuadas Richtung.

„Er will sie vorführen. Doch sie nimmt ihm den Wind aus den Segeln.“
 

Sie hatte recht, wie Eragon jetzt feststellte. Murtagh versuchte, es zu verbergen, doch das Feuer in seinen Augen verriet seine Wut.

„Also,“ sagte er mit dunkler Stimme. „Wollt Ihr mir nicht endlich sagen, wieso ich hier bin?“

Nasuada wog ihre nächsten Worte genau ab.

„Du bist hier, weil wir Informationen brauchen. Informationen, die du als Galbatorix' Sklave uns geben kannst.“

Murtagh legte den Kopf schief.

„Und was habe ich davon?“

Nasuada lächelte kalt.

„Mach dir keine Illusionen. Wenn dieser Krieg vorbei ist, wirst du vor ein Gericht gestellt und verurteilt. Und nichts, was du sagst oder tust, wird daran etwas ändern.“

Murtagh erwiderte ihr Lächeln ebenso eisig.

„Ihr versteht es, Eure Gefangenen zu motivieren.“ sagte er böse.

„Betrachte es als Wiedergutmachung für deine Taten. Beruhige dein Gewissen. Falls du so etwas besitzt.“

Nasuada griff nach dem Dolch und drehte ihn in der Hand. Das Metall blitzte immer wieder hell auf.

„Und wenn du es nicht freiwillig tust, werden wir dich zwingen müssen.“

Sie blickte ihn an und Murtagh sah zurück. Die Spannung zwischen ihnen war beinahe greifbar. Eragon erwartete weitere Beleidigungen und leere Drohungen, doch sein Bruder überraschte ihn.
 

„In Ordnung,“ sagte er und richtete sich auf. „Ich werde euch helfen. Allerdings habe ich eine Bedingung.“

„Du hast keine Bedingungen zu stellen!“ mischte sich einer der Krieger am Tisch ein.

Murtagh warf ihm einen bösen Blick zu.

„Wollt ihr meine Hilfe oder nicht?“

Der Krieger verfiel wieder in Schweigen.

„Entscheidet euch,“ fuhr Murtagh an Nasuada gewandt fort. „Ihr braucht mich, das wisst Ihr.“

Er beugte sich verschwörerisch nach vorne.

„Ich weiß wonach ihr sucht.“
 

Dieses Mal konnte die Anführerin der Varden ihre Überraschung nicht mehr verbergen. Murtagh sah sie belustigt an, schien mit dieser Reaktion gerechnet zu haben.

„Habt Ihr etwa wirklich geglaubt, der König wüsste nicht, was ihr vorhabt?“ Er schüttelte den Kopf. „Galbatorix weiß mehr über euch als ihr ahnt.“

Nasuada starrte ihn an. Es war unmöglich, zu erkennen ob sie ihm glaubte oder nicht. Eragon tat es, ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. Doch im Gegensatz zu Murtagh sah er darin nicht ihr zwangsläufiges Scheitern.
 

„Und wie sieht deine Hilfe in dieser Sache aus?“ fragte Nasuada schließlich argwöhnisch.

Murtagh zuckte beiläufig die Schultern.

„Wenn ihr euren lächerlichen Plan tatsächlich umsetzen wollt, habt ihr nur zwei Möglichkeiten. Entweder ihr schafft es, die Stadt einzunehmen. Was angesichts von Galbatorix'... Möglichkeiten der Verteidigung absolut unmöglich ist. Oder aber ihr versucht, auf anderem Weg in den Palast zu gelangen.“

„Wie?“ fragte Nasuada kühl.

Murtagh sah zur Decke, als würde er dort die Antwort lesen können.

Für seine Schauspielerei sollte Nasuada ihn auspeitschen... bemerkte Saphira in Eragons Gedanken. Der Reiter warf einen schnellen Blick hinter sich. Im Schatten der grauen Zeltplanen glühten die Augen der Drachendame wie tiefblaue Kohlen.

Er kam nicht umhin, ihr recht zu geben. Zumindest was den Punkt der Schauspielerei betraf. Murtagh bereitete das Ganze eine Spur zu viel Vergnügen...
 

„Da gibt es verschiedene Wege,“ sagte der nach einer Pause. „Aber ich persönlich würde nur einen empfehlen. Es ist ein geheimer Weg, der von den äußeren Siedlungen durch die Stadt führt, direkt in den Palast hinein. Nur wenige Menschen wissen von seiner Existenz.“

„Und du gehörst zu diesen Menschen.“ Es war keine Frage.

Murtagh grinste.

„Das tue ich.“

So ist er damals geflohen! schoss es Eragon durch den Kopf.

Murtagh hatte ihm nur wenig von seiner Flucht erzählt. Damals hatte er seinen Lehrmeister verloren, Tornac, nach dem er später sein Pferd benannt hatte. Wenn dieser geheime Weg tatsächlich noch immer existierte, bot sich ihnen damit eine einmalige Chance!
 

„Wenn Galbatorix abgelenkt ist, würde es vielleicht gelingen, jemanden hineinzuschmuggeln.“

„Und wer sagt mir, dass der König nicht von diesem Geheimnis weiß?“ fragte Nasuada.

„Niemand.“ sagte Murtagh knapp.

Nasuadas dunkle Augen verengten sich zu Schlitzen.

„Und dennoch willst du, dass wir das Risiko eingehen, diesen... geheimen Weg zu benutzen?“

„Es ist eure einzige Chance.“

Die Kriegerin presste die Lippen zusammen.

„Und wie sieht deine Bedingung für diese... Hilfe aus?“

Ein grausamer Ausdruck schlich sich in Murtaghs Gesicht.

„Ich will dabei sein, wenn ihr dem König gegenübertretet.“
 

Seine Worte berührten etwas in Eragon und hinterließen ein bitteres Gefühl. Murtagh hatte ihm bereits deutlich gemacht, dass es nur noch eins gab, was ihn antrieb. Rache. Ein Gefühl, was er verstehen konnte, was ihn aber auch enttäuschte. Er hatte gehofft, dass da noch etwas anderes war, etwas edleres...
 

„Wieso sollte ich dir glauben? Du bist ein Lügner und Verräter.“

Murtagh schaute sie an.

„Es ist Eure Entscheidung. Glaubt mir oder glaubt mir nicht, mir ist es gleich. Alles was ich von euch erwarte ist, dass ihr Galbatorix lange genug ablenkt damit ich zu ihm gelangen kann.“

Nasuada hob die Brauen.

„Ich bin nicht länger sein Diener,“ fuhr Murtagh fort. „Und ich werde ihn töten, mit oder ohne euch.“

Die eisige Endgültigkeit in seiner Stimme verfehlte ihre Wirkung nicht. Einige der Anwesenden wichen vor dem Reiter zurück, Hände wanderten zu Schwertgriffen.
 

„Wie willst du das schaffen? Du hast gesagt, dass er nicht mehr sterben kann.“ mischte sich Eragon ein. Murtaghs graue Augen richteten sich auf ihn, einen Moment, eine Ewigkeit.

„Ich finde einen Weg.“ sagte er dann. Das Flackern in seinen Augen strafte seine Worte Lügen.

Eragon starrte ihn an.

„Und wenn nicht?“ Seine Stimme war leise geworden.

Murtagh zuckte die Schultern und wandte sich ab.
 

„Genug davon.“

Nasuadas Stimme zerriss die unangenehme Stille und Eragon war ihr auf absurde Art dankbar dafür.

Sie betrachtete Murtagh. Ihr Blick bohrte sich in den seinen, als versuche sie, auf diesem Weg direkt in ihn hinein zu blicken. Murtagh hielt ihrem Blick stand.

Nach einer scheinbaren Ewigkeit wandte sie sich ab und deutete mit einer Hand auf einen der Männer, der in ihrer Nähe stand.

„Kannst du ihm den Weg erklären?“

„Ja.“ kam es knapp von Murtagh. Seine Stimme war noch immer ruhig und beherrscht. Eragon bewunderte seine Ruhe. Nichts schien ihn aus der Fassung zu bringen, nicht das Misstrauen, nicht der kaum verhohlene Hass, nicht einmal die Drohungen.

„Moment mal,“ mischte sich einer der anderen Krieger am Tisch ein. „Dieser... Geheimgang ist ja schön und gut. Aber wird Uru'baen nicht durch irgendwelche Zauber geschützt?“

Murtagh blickte überrascht auf, scheinbar hatte über diese Frage noch gar nicht nachgedacht. Sofort richteten sich die Augen aller Anwesenden auf ihn.

„Natürlich gibt es Zauber,“ sagte Murtagh und betrachtete den Mann. „Oder habt Ihr etwa geglaubt, Galbatorix lässt seinen Herrschaftssitz ungeschützt?!“

„Wie soll es uns dann gelingen, in die Stadt einzudringen?“ fragte Nasuada sofort.

Murtagh sah sie an.

„Ihr werdet es drauf ankommen lassen müssen. Galbatorix mag ein unvorstellbar mächtiger Magier sein, doch selbst seine Macht ist begrenzt. Wenn die Schlacht vor den Toren der Hauptstadt ihn lange genug ablenkt...“
 

„Schluss damit!“ brüllte einer der Kommandanten plötzlich und schlug krachend seine Fäuste auf den Tisch. Nasuada betrachtete ihn missbilligend.

„Ich hoffe Ihr habt einen guten Grund für diese Unterbrechung.“

„Natürlich habe ich den!“ fuhr der Mann fort. Nur schwer gelang es ihm, seine Stimme ruhig zu halten.

„Dieser Mann...“ Er deutete mit einer Hand auf Murtagh. „Dieser Mann ist unser Feind! Aber Ihr sprecht mit ihm, als sei er unser Verbündeter! Wir dürfen ihm nicht vertrauen! Jedes seiner Worte wird eine Lüge sein!“

Nasuada richtete sich auf. Ihr Blick war so schneidend, dass der Mann hörbar nach Luft schnappte.

„Wer hat hier das Kommando“? fragte sie mit ruhiger Stimme.

Der Mann schluckte.

„Ihr, aber...“ sagte er zögernd.

Nasuada nickte.

„Richtig, ich. Und Ihr solltet meinen Entscheidungen vertrauen, wie auch immer sie lauten mögen. Habe ich mich klar ausgedrückt?“

„Ja...“ murmelte der Mann erneut.

„Gut,“ fuhr Nasuada fort und wandte sich dann an die anderen Männer und Frauen am Tisch. „Hat sonst noch jemand etwas an meinen Methoden auszusetzen?“

Niemand antwortete.
 

Eragon sank spürbar in sich zusammen und merkte erst jetzt, dass er die Luft angehalten hatte.

Auch wenn Nasuada sich nichts anmerken ließ, sie bewegte sich auf hauchdünnem Eis und wusste das nur zu gut. Es war gefährlich, Murtagh in ihre Pläne einzuweihen. Er konnte die Schlacht zu ihren Gunsten wenden oder sie alle verdammen. Und auch wenn Eragon das unbestimmte Gefühl hatte, dass Murtagh ihnen helfen wollte, ob sie ihm wirklich vertrauen konnten, stand auf einem ganz anderen Blatt. Zu stark waren die Fesseln gewesen, mit denen der König ihn an sich gebunden hatte. Fesseln, die Murtagh vielleicht nie würde gänzlich abstreifen können...
 

„Also,“ begann Nasuada erneut und deutete auf die Männer zu ihrer rechten. „Du wirst diesen Männern zeigen, wie man in die Stadt kommt. Du wirst ihnen sagen, was sie tun müssen und du wirst ihnen sagen, was sie dort erwartet.“

Murtagh nickte knapp.

„Und du wirst sie begleiten.“

Murtaghs Augen weiteten sich vor Überraschung.

„Was...?“

„Du wirst sie begleiten,“ wiederholte Nasuada. „Du wirst sie führen. Und du wirst unbewaffnet sein.“

Die Überraschung in seinen grauen Augen wich lodernden Hass, als Murtagh klarwurde, was sie da von ihm verlangte. Mit ihrem Befehl nahm sie ihm jede Chance auf Vergeltung.

„Wieso...“ zischte er leise.

Die Anführerin der Varden richtete sich auf und breitete die Arme aus.

„Du hast uns schon einmal betrogen und ich lasse nicht zu, dass das noch einmal passiert. Du wirst ihr Führer sein und meine Soldaten in den Palast bringen. Wenn dir das gelungen ist, ist deine Aufgabe erledigt und du kommst zurück in Gefangenschaft. Meine Soldaten werden dich keinen Moment aus den Augen lassen. Ich werde ihnen den Befehl geben, dich auf der Stelle zu töten, wenn sie das Gefühl haben, dass du sie betrügst,“ Ihr Blick wurde grausam. „Ich denke, Galbatorix wird es mir nicht übel nehmen.“
 

Eragon keuchte leise. Er wusste, dass es eine leere Drohung war. Murtagh war ein Drachenreiter. Auch ohne Klinge hatte er die Macht, Dutzende von Menschen zu töten, alleine durch eine knappe Bewegung seiner Hand oder ein paar kleine Worte. Dennoch verfehlten die Worte von Nasuada ihre Wirkung bei seinem Bruder nicht. Er konnte sehen, wie Murtagh die Zähne zusammenbiss. Seine Hände waren so fest um die Lehnen seines Stuhls geschlossen, dass seine Knöchel weiß hervortraten.

Doch irgendwann nickte er.

„Ich nehme an, dass Thorn mich nicht begleiten wird?“

Nasuada nickte.

„Der Drache bleibt hier. Vielleicht motiviert dich das, meinen Befehlen Folge zu leisten.“

Murtagh schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch.

Als er wieder sprach, klang seine Stimme hohl.

„In Ordnung. Ich werde tun was ihr von mir verlangt, Lady Nasuada.“
 

„Und ich werde mit ihm gehen.“
 

~
 

In der Stille, die auf Eragons Worte folgte, hätte man eine Nadel fallen hören können.

Es war Arya, die sie schließlich durchbrach.

„Was... was redest du da?!“

Eragon hob den Kopf und schaute sie an. Sein Blick war entschlossen.

„Ihr habt es doch selbst gesagt: ich soll in den Palast und die Eldunarí finden.“ Arya zuckte bei seiner Erwähnung dieses Geheimnisses heftig zusammen und auch Nasuada wurde blass.

„Schweig, Eragon. Wie kannst du...“

„Hört auf,“ unterbrach Eragon sie unwirsch. „Wir wissen alle, dass es zu spät für Geheimnisse ist. Und wenn Murtagh recht hat und der König ohnehin längst weiß was wir vorhaben, besteht kein Grund mehr, es nicht laut auszusprechen.“

Sein Blick wanderte zu Murtagh. Sein Bruder sah ihn an, sein Blick unleserlich. Eragon hätte sich Unterstützung von ihm gewünscht, doch Murtagh schwieg.
 

„Du hast keine Ahnung, was du da anrichtest, Eragon. Du...“

„Das weiß ich sehr wohl,“ sagte Eragon laut. „Ihr habt mir diese Aufgabe gegeben und mich von den Kämpfen ferngehalten. Und jetzt bietet uns Murtagh eine Möglichkeit, sie zu erfüllen. Ich habe keine Wahl! Und ich werde...“
 

„Nein!“
 

~
 

„Nein...“
 

Seine Stimme brach.

Es wurde still, dennoch hatte Murtagh das Gefühl, inmitten eines tosenden Sturms zu stehen, schreiend und doch unhörbar. In seinem Kopf drehte sich alles, schneller, immer schneller, ein wilder Strudel, in dem er zu keinem klaren Gedanken mehr fähig war. Es war absurd, vollkommen absurd. Er war hergekommen um Eragon zu retten. Sie planten, ihn mitten in die Hölle zu schicken. Und Eragon war bereit zu gehen, bereit, sich in einen Kampf zu stürzen, den er nicht gewinnen konnte!

Es war, als würden seine schlimmsten Albträume, seine finstersten Visionen, mit einem Schlag Realität.

Murtagh hatte befürchtet, dass es so weit kommen würde, doch er hatte jeden Gedanken daran verdrängt. Zu grauenvoll waren die Bilder, die Gefühle, die wie Schatten auf seiner Seele lagen. Und sie würden wahr werden, wenn es ihm nicht gelang, dem Wahnsinn zu entkommen...
 

Er hob den Kopf. Vor seinen Augen schien die Welt zu verschwimmen. Er blinzelte.

Eragons Blick lag auf ihm, dunkelblau, und der Ausdruck in seinen Augen erstickte auch noch den letzten Funken Hoffnung in seinem Inneren. Murtagh konnte es ihm nicht einmal vorwerfen. Eragon wäre nicht der den er liebte, hätte seine Entscheidung anders gelautet. Der Gedanke bohrte sich in seine Seele wie ein Dolch, ließ ihn verbluten, langsam, qualvoll.
 

Sein Bruder sagte etwas, doch das Rauschen in seinen Ohren übertönte jedes von Eragons Worten.

Hilflos schüttelte er den Kopf, auch wenn es ihm kaum noch möglich war, sich zu bewegen.

Nasuada und ihre Gefährten sprachen weiter, doch er hörte längst nicht mehr zu. Wieso auch, ihre Worte waren sowieso ohne Bedeutung. Es war zu spät, alles war zu spät. All seine Träume, all seine Hoffnungen, verbrannt zu kalter Asche, tot, und zu Grabe getragen von diesen Menschen, die noch immer daran glaubten, dass sie eine Zukunft hatten.
 

Irgendwann spürte er Hände, die nach ihm griffen und ihn aufrichteten. Murtagh wehrte sich nicht. Als er aufblickte, lag Nasuadas Blick auf ihm.

„Es bleibt dabei. Du wirst sie begleiten, wenn es sein muss bis in den Tod.“

Murtagh hörte ihre Stimme, doch ihre Worte hatten jeden Sinn verloren.

Sie zogen ihn fort und er ließ sie gewähren.
 

Jemand sagte seinen Namen.

Murtagh erkannte die Stimme erst nach einigen Augenblicken. Er drehte den Kopf. Eragon sah ihn an, lange, endlos. Nur mit Mühe gelang es Murtagh, den Ausdruck in seinem Gesicht zu ertragen. So entschlossen, so stark, so sinnlos.

„Ich... ich weiß, wie schwer das für dich sein muss und... danke.“ sagte Eragon stotternd.

Murtagh starrte ihn an.

„Du solltest mir nicht dafür danken, dass ich dich in den Tod schicke.“

Jedes Wort schmeckte wie bittere Galle auf seiner Zunge.

Eragons Augen weiteten sich, erschrocken, ungläubig, blind. Es war zuviel für ihn. Murtagh drehte sich um und ließ sich aus dem Zelt führen. Eragon rief ihm noch etwas hinterher, doch Murtagh hörte ihn nicht mehr.
 

Er bekam kaum noch mit, wie er über den Platz geführt wurde. Tag und Nacht, hell und dunkel, gingen ineinander über, vermischten, verloren sich.

Sie erreichten sein Quartier. Irgendwie gelang es ihm, die paar Schritte zu dem schmalen Feldbett zurückzulegen. Dann brach er zusammen und ließ zu, dass sein Verstand in die Dunkelheit gezogen wurde.
 

~
 

„Roran? Seid ihr sicher?!“
 

Eragon starrte fassungslos in die Gesichter der Krieger, die sich um ihn herum versammelt hatten und ihn mit leuchtenden Augen anblickten.

„Und wie wir sicher sind, Eragon!“

Sein Cousin Roran trat nach vorne und schaute ihn mit derart glühendem Blick an, dass Eragon für einen Moment das absurde Gefühl hatte, mit einem Geisteskranken zu reden. Das konnte er doch nicht ernst meinen! Roran, verkleidet, als Drachenreiter, sollte sich auf Saphiras Rücken schwingen und den König so davon ablenken, dass der echte Eragon sich in den Palast stahl?! Ihm entfuhr ein hysterisches Lachen. Das war das Dümmste, was er jemals gehört hatte!

Roran jedoch schien von diesem Plan überzeugt.

„Sieh' uns doch an! Du weißt, wie ähnlich wie uns sehen, trotz dieser...“ Er deutete auf Eragons spitz zulaufende Ohren und grinste. „Trotz dieser... Neuerungen.“

„Und du glaubst wirklich, dass Galbatorix das nicht durchschauen wird? Das... das ist lächerlich. Er wird es sofort merken. Ein Kind könnte einen besseren Plan ersinnen!“

Nur mühsam konnte Eragon ein Lachen unterdrücken.

„Genau deswegen wird es funktionieren,“ sagte Roran unbeirrt. „Der Plan ist so simpel, dass Galbatorix nicht damit rechnen wird!“

Eragon starrte ihn an. In die anfängliche Belustigung mischte sich etwas anderes, dunkles.

„Das kann ich nicht zulassen. Selbst wenn Galbatorix es glaubt, ich kann nicht zulassen, dass du...“

„Hör auf damit.“ unterbrach Roran ihn barsch. Sein Blick wurde hart.

„Was...“ begann Eragon, doch Roran ließ ihn noch immer nicht zu Wort kommen.

„Damit, mich wie einen Dorftrottel zu behandeln. Ich bin keiner deiner Fußsoldaten, Eragon, ich bin dein Cousin. Es ehrt dich, dass du mich beschützen willst. Doch du tust es aus den falschen Gründen. Wir sind im Krieg und ich bin genauso ein Teil davon wie du.“

Eragon schluckte schwer. Rorans Worte erschütterten ihn. Vor allem, weil es die Wahrheit war. In den letzten Tagen und Wochen hatte Eragon nur an den Krieg gedacht und daran, wie Saphira und er dazu beitragen konnten, ihn zu gewinnen. Er hatte unzähligen Konferenzen beigewohnt und nicht nur für sich, sondern auch für die zahllosen Krieger in den Diensten der Rebellen entschieden. Dabei hatte sich kaum einen Moment lang gefragt, was sein Cousin eigentlich von dem hielt, was er tat. Er hatte wie selbstverständlich über seinen Kopf hinweg entschieden, hatte ihn in eine Reihe mit den anderen Kämpfern gestellt, ohne auch nur einen Gedanken an seine Meinung zu verschwenden. Und er hätte es wieder getan, hätte Roran ihn nicht aufgehalten und daran erinnert, dass er noch immer Teil einer Familie war.

Eragon sank in sich zusammen, als ihm klar wurde, wie ignorant er gewesen war.

„Es tut mir leid...“ presste er hervor. Er schämte sich. Und der anklagende Blick seines Cousins machte es nicht besser.

Roran verschränke die Arme vor der Brust und sah ihn an.

„Ich befürchtete schon, dich das nie mehr sagen zu hören.“ Er lächelte

„Hältst du die Idee wirklich für so dumm?“ fragte er vorsichtig.

Eragon schüttelte den Kopf.

„Nein...“ sagte er leise. „Ehrlich gesagt glaube ich sogar, dass es funktionieren könnte...“

Das war die Wahrheit und genau das machte Eragon Angst. Es war schlimm genug, dass Saphira und er sich würden trennen müssen, damit er versuchen konnte, in den Palast einzudringen. Alleine der Gedanke daran, was mit ihr passieren könnte während er fort war, bereitete ihm Übelkeit. Die Aussicht, jetzt auch noch seinen Cousin an die vorderste Front zu schicken war mehr als er ertragen konnte...
 

„Du musst dir keine Sorgen machen, Eragon. Saphira wird schon auf uns aufpassen, da bin ich mir sicher.“

Ein aufmunterndes Lächeln stahl sich auf Rorans Gesicht, doch es vermochte seinen Cousin nicht zu überzeugen.

Was hältst du davon? fragte er Saphira vorsichtig.

Du weißt, was ich von euren Plänen halte, erwiderte sie kühl. Aber wenn es das ist, was du willst, werde ich mich deinen Wünschen fügen. Ich werde auf ihn aufpassen.

Ich will das nicht...

Saphiras Geist legte sich tröstend um seinen.

Ich weiß, mein Kleiner. Aber Roran hat recht, ein derartiges Täuschmanöver könnte die Kämpfe zu unserem Vorteil wenden.

Eragon seufzte und nickte schließlich.

„In Ordnung, wir werden es versuchen.“

Rorans Gesicht erstrahlte und er zog Eragon in eine heftige Umarmung.

„Das werde ich dir nie vergessen. Danke.“

Eragon löste sich aus seinen Armen und sah ihm direkt in die Augen.

„Das war kein Versprechen.“

„Ich weiß,“ sagte Roran und grinste. „Aber ich weiß auch, dass du sehr überzeugend sein kannst.“

„Wenn du das sagst...“ sagte Eragon und zwang sich zu einem Lächeln. „Ich werde Nasuada deinen Vorschlag unterbreiten.“

„Tu' das,“ lachte Roran. „Aber vergiss' nicht, ihnen zu sagen von wem du die Idee hast!“
 

~
 

Es war schrecklicher als alles, was er jemals zuvor gefühlt hatte.

Sein ganzer Körper, sein ganzer Geist, schienen in Flammen zu stehen. Der Schmerz war so entsetzlich, dass er sicher war, jeden Moment zu sterben. Und er konnte nichts tun, sich nicht wehren, nicht einmal schreien. Seine Haut brannte wie eine einzige offene Wunde, entzündet, wund. Er wollte die Arme bewegen, die schrecklichen Schmerzen von sich wischen, doch so sehr es er auch versuchte, seine Arme bewegten sich nicht.

Dann hörte er plötzlich eine Stimme. Sie kam von weit weg, hallte durch seinen Körper wie durch eine gigantische Kathedrale, laut, so laut! Er wollte die Hände heben, sie auf seine Ohren drücken, die schreckliche Stimme aussperren, doch seine Hände waren wie tot und seine Ohren waren nicht länger die seinen. Er war ein Gefangener seines eigenen Körpers geworden, eines Körpers, der nicht länger ihm gehörte, der ihm nicht mehr gehorchte. Nein, jetzt war da jemand anderes, fremd und unheilig und entsetzlich.

Die Erkenntnis sickerte nur langsam in den kläglichen Rest seines verwundeten Verstandes. Und mit ihr kam Wahnsinn, Wahnsinn!

Es ist falsch, es ist falsch!

Der andere breitete sich in ihm aus, floss durch seine Adern, hüllte seinen Verstand ein wie dunkler Nebel.

Geh weg, geh weg! Das hier ist mein Körper, mein Körper, mein...

Der Körper bewegte sich. Eine Hand fuhr durch dunkles Haar. Er sollte es spüren, schließlich war es seine Hand. Doch er fühlte nichts.

Ich bin es! Ich bin Murtagh! Ich bin...

Lippen verzogen sich zu einem Grinsen, falsch, böse. Das Gesicht machte ihm Angst. Er wollte weg, weg von dieser Präsenz in sich, der ihm furchtbare Angst machte. Doch wohin?

Die Hand ergriff das Schwert. Eine Klinge in der Farbe von frischem Blut. Und er wusste, mit diesem Schwert würde er etwas schreckliches tun.

Hör auf, hör auf...!

Er konnte sehen, wie das Leben aus den Augen des Elfen wich, langsam, aber unaufhaltsam.

Nein, hör auf, er ist unsere letzte Hoffnung...!

Dann geschah etwas entsetzliches.

Die Züge des Elfen begannen zu verblassen, verschwammen langsam, und gaben den Blick auf jemand anderen frei.

Nein...!

Das Blut sprudelte noch immer aus seinem Körper, seinem Mund, seinen Augen, blauen Augen.

NEIN!

Der andere begann zu lachen, ein schauriges, wahnsinniges Lachen.

Und er schrie, schrie, schrie.

Doch niemand hörte ihn, denn er hatte keine Stimme...
 

Schwerfällig richtete sich Murtagh auf seinem Lager auf und hob mühsam die Beine von dem schmalen Feldbett. Sein Körper war schwer wie Blei, er war kaum in der Lage sich zu bewegen. Schwer ließ er sich nach vorne sinken und stützte sich mit den Ellbogen auf den Knien ab. Seine Beine zitterten und vor seinen Augen schien sich die Welt auf seltsame Art zu verschieben. Sein Hals tat weh und verriet ihm, dass er wieder geschrien hatte. Er schloss die Augen und stöhnte gequält.

Er hatte keine Ahnung, wie viele dieser Träume er noch würde ertragen können. Sie laugten ihn aus, raubten ihm ein Stück seiner Seele, jedesmal ein bisschen mehr. Ob Galbatorix sie ihm schickte? Er wusste es nicht. Und es war gleichgültig. Er konnte ihnen nicht entkommen.
 

Langsam öffnete Murtagh die Augen wieder und versuchte, sich zu orientieren.

Blasses Licht drang durch den schmutzigen Stoff des Zeltes. Es musste bereits Mittag sein. Scheinbar hatte er tatsächlich einige Stunden geschlafen. Dennoch war er noch immer so müde, dass er fürchtete, jeden Moment einfach umzufallen. Er erinnerte sich nicht mehr daran, wann er das letzte Mal richtig geschlafen hatte. Es schien eine Ewigkeit her zu sein.
 

Der Schwindel ließ langsam nach und Murtagh sah sich zum ersten Mal in seinem Quartier um.

Das Zelt war groß, viel zu groß für eine Person und allem Anschein nach in aller Eile leer geräumt worden. In dem sumpfigen Boden konnte man noch immer die Abdrücke von Möbelstücken und anderen Gegenständen sehen, die vor nicht allzu langer Zeit hier gestanden hatten. Der strenge Geruch von Leder und ranzigem Öl verriet Murtagh, dass dies wohl ein Zelt zur Lagerung von Waffen gewesen war.

Neben seinem Feldbett stand ein runder Hocker mit einem Tablett darauf. Der Duft von frisch gebackenem Brot drang ihm in die Nase. Außerdem sah er Käse, Eier und einen Tonkrug gefüllt mit Wasser. Murtagh runzelte die Stirn, als ihm klar wurde, dass er sich nicht daran erinnern konnte, wann er zuletzt etwas gegessen hatte. Auch jetzt verspürte er keinen Hunger. Trotzdem griff er nach dem kleinen Laib Brot, riss ein Stück ab und steckte es in den Mund. Es schmeckte wie Staub, dennoch zwang er sich dazu, den Bissen herunterzuschlucken.

Langsam und ohne irgendetwas zu schmecken aß er alles auf, was seine „Gastgeber“ ihm bereit gestellt hatten. Und auch wenn er nach wie vor keinerlei Hunger verspürte, merkte er dennoch, wie sein Körper sofort auf die Nahrung reagierte.
 

Er spülte die letzten Reste mit dem Wasser herunter und spürte, wie der Kopfschmerz langsam verschwand und einen Teil der Schwere um seine Gedanken mit sich nahm. Jetzt hörte er die Schritte. Sie bewegten sich gleichmäßig vor den Wänden des Zeltes, auf und ab, dann wieder zurück. Murtagh schätzte, dass etwa zwanzig waren, die sein Quartier bewachten. Mehr als beim letzten Mal. Er hörte leise Stimmen, konnte aber nicht verstehen, was sie sagten.

Er fragte sich, wie lange sie ihn hier festhalten würden. Nasuada hatte mehr als deutlich gesagt, was sie von ihm verlangte. Und auch wenn ihn die Entscheidung der Rebellenführerin seinem Ziel einen Schritt näher gebracht hatte, hatte sie gleichzeitig alles schlimmer gemacht und ein Teil von ihm hätte ihr dafür liebend gerne sein Schwert ins Herz gestoßen.

Dabei war es nicht einmal ihre Schuld. Wie alle anderen auch hatte sie keine Ahnung, was sie mit ihren Entscheidungen anrichtete. Sie wusste nicht was er wusste, sah nicht was er sah. Murtagh hätte Mitleid mit ihr gehabt, wäre da nicht die kalte Gewissheit gewesen, dass sie es war, die Eragon in den Tod schicken würde, sollte er sie von seinen Plänen überzeugen. Und Murtagh zweifelte nicht daran, dass es seinem Bruder gelingen würde.

Murtagh lachte bitter. Das war eines der Dinge, die sein Herz in Gegenwart des Jungen so viel schneller schlagen ließen. Sein Stolz, sein Mut, sein Unnachgiebigkeit, sein Vertrauen in die Welt und sein eigenes Schicksal.

Und dennoch würde er in diesem Moment nichts lieber tun, als diese Eigenschaften aus Eragons Seele zu reißen...
 

War das... Liebe? Dass er Eragon zerstören wollte um ihn zu retten?
 

Erneut hatte er das Gefühl, einen Fehler zu machen, grauenvoll und unverzeihlich. Das Gefühl wurde so stark, dass ihm übel wurde.

Seine Augen begannen zu brennen, als ihm die Antwort auf diese Fragen klar wurde.

Doch auch diese Gewissheit änderte nichts. Er würde es beenden, irgendwie. Selbst wenn alles, was er Eragon bieten konnte, Wahnsinn war...
 

In die gleichmäßigen Schritte seiner Bewacher mischten sich plötzlich schnelle, energische. Murtagh zwang sich dazu, aufzustehen und strich sich die dunklen Haare aus dem Gesicht. Nur am Rande bemerkte er, dass er nicht länger gefesselt war.

Kurz darauf betrat einer der Kommandanten aus dem Heer der Varden das Zelt. Murtagh hatte ihn schon öfter gesehen, wusste aber nicht wie er hieß. Der Mann blieb einige Schritte von ihm entfernt stehen und hielt ihm einen in dunklen Stoff gehüllten Gegenstand entgegen. Murtagh betrachtete ihn misstrauisch, doch als der Mann den Gegenstand auswickelte, entfuhr ihm ein überraschter Laut. Es war Zar'roc.

„Lady Nasuada bat mich, Euch das hier zu geben. Wir werden in Kürze aufbrechen.“

Seine Stimme war kalt und dunkel.

Murtagh griff nach der Waffe und genoss das Gefühl des kalten Metalls auf seiner Haut.

Dann nickte er.

„Ich bin bereit.“

Die Lüge kam ihm erstaunlich leicht über die Lippen.
 

~
 

Eragon hob zum gefühlt hundertsten Mal an diesem Tag die Hand in den Nacken und kratzte sich. Der grobe Stoff, gegen den er seine eigene Kleidung eingetauscht hatte, juckte entsetzlich auf seiner Haut. Er wusste, dass das ständige Kratzen alles nur noch schlimmer machte, aber er bildete sich ein, dass es zumindest für einen Moment lang besser wurde.
 

Noch immer konnte er nicht fassen, dass Nasuada dem verrückten Plan seines Cousins tatsächlich zugestimmt hatte. Als er ihr und ihren Beratern wie versprochen von Rorans Idee erzählt hatte, war es ihm kaum gelungen, die Belustigung über seine eigenen Worte zu unterdrücken.

Nasuada hatte nicht gelacht. Sie hatte ihn angesehen, ernst, und plötzlich genickt.

„Das ist eine hervorragende Idee. Es würde Verdacht erregen, wenn unser Reiter nicht am Himmel zu sehen ist.“

Natürlich hatte sie recht. Dennoch hatte Eragon sie in diesem Moment gehasst, sie alle.
 

Jetzt standen er und sein Cousin Roran sich auf dem plattgetrampelten Boden des Lagers gegenüber und ihre Stimmung war gedrückt.

Es war seltsam, Roran in seiner eigenen Rüstung zu sehen. Das Hemd war ihm ein wenig zu klein und auch der Brustpanzer und die Armschienen wollten nicht recht passen. Vielleicht bildete Eragon sich das aber auch nur ein.

Er wollte etwas sagen, doch er wusste nicht recht, welche Worte der Situation angemessen waren, war es doch womöglich ein Abschied für immer.

Schockiert stellte Eragon fest, dass es alleine Roran zu verdanken war, dass sie sich überhaupt noch einmal sahen, bevor er sich mit Murtagh und ihren Begleitern auf den Weg zu Galbatorix machte. Wäre sein Cousin nicht mit seinem aberwitzigen Plan zu ihm gekommen, er hätte ihn womöglich nie wiedergesehen.

Der Gedanke war grauenvoll.
 

Roran lächelte ihn an, doch das Flackern in seinen Augen verriet ihn.

„Jetzt heißt es also Abschied nehmen, Cousin.“

Eragon nickte schwach.

Er zwang sich dazu, zu ihm zu gehen. Er hob eine Hand und legte sie auf seinen Brustpanzer.

„Und? Sehe ich aus wie ein Drachenreiter?“ fragte Roran und streckte sich übertrieben.

Eragon musste gegen seinen Willen grinsen.

„Du siehst perfekt aus.“

Roran strich ihm über die Wange.

„Dann hör auf, mich so traurig anzuschauen, Eragon. Ich werde deine Rüstung schon nicht zerbeulen.“

Eragon lachte nicht.

„Pass' auf dich auf, ja?“

Es waren furchtbar leere Worte, doch alles, was Eragon in diesem Moment einfiel.

„Du auch.“ erwiderte sein Cousin und klang so hilflos wie Eragon sich fühlte.
 

Es war Roran, der schließlich zurücktrat und seinen Helm schloss.

„Los, geh. Und wehe du kommst nicht zurück. Das würde ich dir nie verzeihen.“

Dann drehte er sich um und ging zu Saphira.
 

Eragon blieb stehen und blickte ihm nach. Saphira richtete sich auf, als ihr neuer Reiter sie erreichte. Roran strich ihr über den Hals und sagte etwas zu ihr, worauf beide sich zu Eragon herumdrehten.

Eragon ertrug ihren Blick nicht und drehte sich weg.
 

Das Gefühl, etwas Falsches zu tun, wurde beinahe übermächtig. Er sollte sich nicht von Saphira trennen. Er sollte nicht zulassen, dass Roran sich seinetwegen in Gefahr brachte. Und er sollte nicht zulassen, dass das Schicksal all dieser Menschen hier in seinen Händen lag. Was, wenn er einen Fehler machte? Was, wenn er versagte? Wenn Murtagh ihn wieder verriet und sie dem Tyrannen auslieferte? Was, wenn all ihre Opfer umsonst gewesen sein würden?
 

Eragon schloss die Augen und drängte die Gedanken beiseite.

Er hatte sich für diesen Plan entschieden und jedes Bedauern würde ihn nur von seinem Ziel ablenken.

Er drehte sich noch einmal um und sah zu Saphira zurück. Es überraschte ihn nicht, dass ihr Blick noch immer auf ihm ruhte.

Ich liebe dich.

Ich dich auch, mein Kleiner.
 

~
 

Eragon hockte auf einer felsigen Hügelkuppe und blickte seinem Ziel entgegen.

Die Hauptstadt Uru'baen erhob sich vor ihnen, nur wenige Meilen entfernt. Aus dieser Nähe wirkte sie noch gewaltiger, noch prächtiger, und noch uneinnehmbarer als zuvor.

Um die eigentliche Stadt herum befand sich ein unregelmäßiger Ring aus zumeist niedrigen Gebäuden. Die äußeren Siedlungen, die, abgeschottet von den Bewohnern innerhalb der Stadtmauern, vor allem den Armen und Gescheiterten als Heimat dienten.

Für Eragon und seine Begleiter war diese Siedlung vor allem eins: ein weiteres Hindernis, welches sie auf dem Weg in den Palast überwinden mussten.
 

Eragon ließ seinen Blick weiter über die Ebenen wandern.

Sie befanden sich in einiger Entfernung vom eigentlichen Schlachtfeld. Hier war das Gelände unwegsamer, der Boden schlechter, die Angriffsfläche kleiner. Die Straßen, sofern man sie überhaupt noch so nennen konnte, waren kaum mehr als Trampelpfade.

Die Kämpfe tobten noch immer, aber sie konzentrierten sich auf den Bereich um die Haupttore der Stadt. Eragon beobachtete ihr Heer, welches den Mauern schon viel zu lange nicht mehr näher gekommen war. Die Verstärkung des Königs hatte sie heftig getroffen und ihnen schwere Verluste beigebracht. Wären die Soldaten aus Gil'ead nicht gewesen, es wäre vielleicht das Ende ihres Angriffes gewesen. Doch nun standen sich zwei Heere gleicher Stärke gegenüber. Es war eine beinahe ausweglose Situation. Sie könnten die Stadt belagern, die Bewohner aushungern. Doch Eragon bezweifelte, dass ihnen das so einfach gelingen würde. Und auch ihre eigenen Ressourcen waren begrenzt. Um die Stadt herum gab es nichts als Staub und Sand. Nein, sie mussten einen Weg hinein finden, so schnell wie möglich.

Und wie es aussah, waren sie diesem Weg so nah wie noch nie zuvor.
 

Eragon drehte sich um und blickte den Hügel hinab. Seine wenigen Begleiter standen unten beisammen und waren in sorgenvolle Gespräche vertieft.

Nasuada hatte ihm ein Dutzend Männer zur Seite gestellt. Eragon kannte sie alle als hervorragende Krieger. Sie würden ihm gute Dienste leisten. Außerdem befand sich einer der Magier der Varden an ihrer Seite. Ihn hatten die Rebellen als Botschafter vorgesehen, der in ständigem Kontakt zum Lager blieb. Nicht nur Eragon hatte an dieser Taktik gezweifelt. So nah an der Hauptstadt war es ein nicht einzuschätzendes Risiko, auf magische Weise zu kommunizieren. Niemand konnte sagen, wie weit Galbatorix' Macht reichte und wie viel seine Augen und Ohren erreichen würde. Eragon hoffte, dass der Mann klug genug war, sich zurückzuhalten solange es ging.

In der Ferne erklangen Hörner. Der Wind verzerrte den Klang zu einem unheimlichen Heulen. Die Rebellen starteten einen erneuten Angriff. Einer dunklen Flutwelle gleich bewegten sich die unzähligen Krieger auf die Stadt zu, während ihnen von dort eine ebenso mächtige Welle entgegenkam. Eragon hörte ein lautes Brüllen und hob den Kopf. Saphira brach aus den tief hängenden Wolken hervor und schoss zur Spitze ihres Heeres. Eragon spürte wie sein Hals trocken wurde. Nur mühsam gelang es ihm, sich von ihrem Anblick loszureissen. Der Angriff war ihr Signal zum Aufbruch. Er durfte jetzt nicht zögern.
 

Er stand auf und ging den Hügel hinab.

„Es geht los.“ sagte er überflüssigerweise und ließ seinen Blick über die Gesichter seiner Begleiter wandern.

„Wir sind bereit.“ sagte einer der Krieger stellvertretend für alle.

Eragon nickte. Sein Blick wanderte weiter und fand Murtagh, der in einigem Abstand zu den Kriegern stand. Für einen Moment trafen sich ihre Blicke. Dann wandte Murtagh sich ab und starrte zu Boden.

Seine Abweisung traf Eragon einmal mehr.

Murtagh hatte keinen Hehl daraus gemacht, dass er nicht wollte, dass Eragon ihn in den Palast begleitete. Es verletzte Eragon, dass Murtagh ihm offensichtlich nicht zutraute, seine Aufgabe zu erfüllen.

Du solltest mir nicht dafür danken, dass ich dich in den Tod schicke.

Eragon biss sich auf die Lippen.

Nein, so weit würde es nicht kommen. Er würde kämpfen, mit all seiner Macht. Er würde beweisen, dass er stark war, dass er seines Schicksals als Drachenreiter würdig war.

Und er würde Murtagh beweisen, dass er sich irrte.
 

Eragon atmete tief durch, dann straffte er sich.

„Gehen wir.“

Die Männer nickten entschlossen. Murtagh trat an ihnen vorbei um die Führung zu übernehmen.

Dicht neben Eragon zögerte er plötzlich und blieb stehen. Erneut trafen sich ihre Blicke. Murtagh öffnete den Mund, schien etwas sagen zu wollen. Eragon wartete. Doch Murtagh blieb stumm. Er sah ihn noch einen Moment lang an, dann wandte er sich ab und stieg den Hügel hinauf. Eragon drehte den Kopf und sah ihm hinterher. Dann folgte er ihm.
 

~
 

Die Straßen der Hauptstadt waren von einer angespannten Ruhe erfüllt. Eragons leise Schritte hallten von den Wänden der eleganten Häuser wider, vervielfältigten sie, bis er das absurde Gefühl hatte, mit einer ganzen Armee über die gepflasterten Straßen zu rennen.

Er hatte ein breites Stoffband um seinen Kopf gebunden um seine auffälligen Ohren zu verbergen, seine hellen Haare hatte er mit eine übel riechenden Masse aus Kräutern in ein schmutziges Braun verwandelt. Zusammen mit der gebrauchten Rüstung, die er über seinem edlen Kettenhemd trug, würde seine Verkleidung seine Feinde hoffentlich über seine wahre Identität hinwegtäuschen.

Feinde, die zahlreicher waren als er gehofft hatte.
 

Sie hatten die äußeren Bezirke der Hauptstadt des Reiches erst vor einer knappen Stunde betreten und waren in dieser kurzen Zeit bereits mehrere Male nur knapp einem Kampf entkommen. In den Straßen und Gassen wimmelte es nur so vor feindlichen Soldaten. Immer wieder mussten sie kleineren und größeren Gruppen ausweichen, die durch die Straßen patrouillierten. Eragon zweifelte nicht daran, dass sie die Krieger des Tyrannen besiegen könnten, doch sie mussten ihre Kräfte schonen solange sie konnten. So nutzen sie jedes mögliche Versteck, von schmalen Gassen voller Unrat bis hin zu dunklen Schächten, in denen Dinge vermoderten, die Eragon lieber nicht genau bestimmen wollte.

Hinzu kam, dass sie neben den Soldaten auch die Bewohner der Stadt zum Feind hatten. Eragon wusste aus eigener Erfahrung, dass Menschen beinahe alles taten um ihr Hab und Gut und verteidigen. Trotzdem hatte er seinen Begleitern den Befehl gegeben, Unbeteiligte zu verschonen. Er hatte keine Ahnung, ob die anderen Heerführer ihren Untergebenen die gleichen Befehle gaben. Doch alleine das Wissen, dass durch ihn möglicherweise der ein oder andere Unschuldige verschont werden würde, schien ihrer furchtbaren Mission wenigstens eine kleine Hoffnung entgegenzusetzen.

Sofern man in diesem Krieg überhaupt von Hoffnung sprechen konnte...
 

Eragon stieß den Gedanken von sich und konzentrierte sich wieder auf seine Aufgabe. Die breite Straße vor ihnen war vollkommen leer und wirkte auf diese Weise beinahe unwirklich. Eragon ließ seinen Blick über die Fassaden der Häuser schweifen. Sie waren alt, aber gut erhalten. Einige der hohen Fenster waren hastig mit Brettern vernagelt worden, bevor die Bewohner sich in die Sicherheit der inneren Bezirke der Stadt begeben hatten. Hinter den meterdicken Mauern, welche die innere Stadt und auch den Palast umgaben, waren sie geschützt, selbst wenn die Rebellen es schaffen sollten, die äußeren Mauern zu überwinden und die Bezirke einzunehmen, durch die Eragon und seine Begleiter gerade liefen.

Dennoch vermutete Eragon, dass sich in einigen Gebäuden nach wie vor Menschen befanden, die sich trotz der Gefahr dafür entschieden hatten, in ihren Häusern zu bleiben und ihr Eigentum gegen die feindlichen Eroberer zu schützen.

Feindliche Eroberer... Eragon konnte nicht verhindern, dass bei diesem Gedanken ein Hauch von Zorn in ihm aufstieg. Sie waren gekommen um diese Menschen zu befreien! Der Tyrann war derjenige, vor dem sie sich fürchten sollten! Er war derjenige, der das Land unterjochte, der ihre Väter, Brüder und Söhne versklavte, der sie in den Krieg schickte und der jeden von ihnen für sein eigenes Wohl opfern würde!

Eragon biss sich auf die Lippen und zwang den Gedanken beiseite. Sie würden die Wahrheit erkennen, früher oder später.
 

Sie hatten die nächste Kreuzung fast erreicht, als Eragon plötzlich Schritte hörte. Er hob alarmiert eine Hand. Die Krieger schlossen zu ihm auf und blieben dicht hinter ihm stehen. Eragon lauschte für einige Sekunden konzentriert.

Sie waren ganz in der Nähe, vielleicht eine oder zwei Querstraßen weiter. Es waren etwa zwei Dutzend, wenn er die Zahl ihrer Schritte richtig abschätzte. Und sie bewegten sich in ihre Richtung.

Eragon gab den Soldaten ein Zeichen und deutete nach links. Mit schnellen und leisen Schritten eilten sie in eine Gasse. Der schmale Weg war mit allerlei Kisten und vermodernden Holzmöbeln vollgestopft, die ihnen gute Deckung boten. Eragon ließ sich hinter einer halb zerschlagenen Kiste zu Boden sinken und presste den Rücken gegen die kühle Hauswand.

Die feindlichen Soldaten erreichten die Straße, auf der sie noch Sekunden zuvor gewesen waren, und eilten an ihrem Versteck vorbei. Eragon seufzte erleichtert. Offenbar waren sie nicht auf der Suche nach ihnen gewesen.

Er schloss die Augen und atmete tief durch. Sein Körper war vor lauter Anspannung völlig verkrampft. Er zwang seine Muskeln dazu, sich zu entspannen und analysierte ihre Situation.

Bisher verlief ihr Plan besser als gedacht. Sie hatten die äußeren Bezirke der Stadt beinahe durchquert und kamen dem Palast immer näher. Wenn ihnen das Glück weiterhin hold blieb und niemand sie bemerkte, würden sie ihr Ziel in wenigen Stunden erreicht haben.

Dennoch...

Eragon öffnete die Augen wieder und blickte zur Straße zurück, die jetzt wieder still da lag. Wo Murtagh wohl gerade war...?
 

Entgegen ihrer Befehle hatten sie sich getrennt, kurz nachdem sie die engen Gänge verlassen hatten, welche von der Siedlung vor den Mauern der Stadt nach innen führten. Sofern man es überhaupt als „Gänge“ bezeichnen konnte. Kanäle hatte es eher getroffen. Denn genau zu diesen hatte Murtagh sie geführt, nachdem sie die heruntergekommene Ansammlung von Häusern, Hütten und Baracken durchquert hatten, die sich vor den äußeren Mauern der Hauptstadt ausbreitete wie ein schlecht genähter Flickenteppich.

Im Laufe der Jahre, so hatte Murtagh ihm erklärt, hatten sich diejenigen, die sich ein Haus im Inneren der Stadt nicht leisten konnten, hier draußen niedergelassen. Auf diese Weise war beinahe eine eigene Stadt entstanden, die ihren eigenen Gesetzen folgte. Derer es nicht viele gab, glaubte man Murtaghs Erklärungen. Wer in den äußeren Siedlungen lebte, war entweder arm oder ging äußerst fragwürdigen Geschäften nach. Manchmal auch beides. Der König wusste und duldete das, solange die Bewohner unter sich blieben.

Zumindest war das der offizielle Grund. In Wirklichkeit waren die äußeren Siedlungen für Galbatorix nichts weiter als ein weiterer Verteidigungsring, wenn auch ohne Flammen, Speere oder Soldaten. Ein weiteres Hindernis, welches er seinen Feinden entgegenwarf, ohne Rücksicht auf Verluste.

Und tatsächlich hatte Eragon bald völlig überwältigt festgestellt, dass sich hier draußen vor den hohen Mauern der Hauptstadt eine eigene kleine Welt gebildet hatte. Es gab Wohnhäuser, zahllose Geschäfte, gar einen Marktplatz. Eragon hatte beinahe sehen können, wie sich hier an sonnigen Tagen Menschenmassen durch die engen Straßen schoben. Straßen, die jetzt verlassen dalagen. Er hatte schon gehofft, dass sich auch die Bewohner dieser Bezirke nun in der Sicherheit der Mauern befanden. Doch dann hatte er die unzähligen Gesichter hinter den trüben Fensterscheiben gesehen...
 

Irgendwann hatten sie sich vor einem Gitter wiedergefunden, das in den schlammigen Boden am Ende einer engen Gasse eingelassen war. Alleine der Gestank, der aus den Tiefen des dunklen Tunnels dahinter aufstieg, hatte Eragon die Tränen in die Augen getrieben. Dennoch hatte er nicht protestiert, als Murtagh das Gitter geöffnet und sich als erster in den engen Gang dahinter gezwängt hatte.

Der Weg durch die Eingeweide der Hauptstadt hatte sich endlos hingezogen. Anfangs hatte Eragon noch versucht, sich den Weg zu merken. Doch nach der gefühlt hundertsten Kreuzung hatte er schließlich aufgegeben und sich nur noch darauf konzentriert, sich beim Anblick der trüben Brühe zu seinen Füßen und der unzähligen Ratten nicht zu übergeben.

Schließlich hatte Murtagh sie wieder an die Oberfläche geführt und nicht nur Eragon war überrascht gewesen, dass sie sich nun tatsächlich im Inneren der Stadt befanden.

Er hatte erwartet, dass Murtagh sie nun weiterführen würde, durch die äußere Stadt hindurch in die innere, bis in den Palast hinein. Doch Murtagh hatte plötzlich gezögert.

Sie waren gut vorangekommen, besser, als sie sich erhofft hatte. Dennoch waren sie noch weit von ihrem Ziel entfernt und Gefahren lauerten an jeder Ecke. Wenn man sie zusammen antraf, so hatte Murtagh argumentiert, und sie besiegte, wäre ihr Plan gescheitert.

Es war nicht leicht gewesen, doch Eragon hatte schließlich zugeben müssen, dass er recht hatte.

So hatten sie sich ihre Wege getrennt, kaum dass sie die Straßen der Stadt betreten hatten. Auch wenn sich alles in Eragon dagegen gewehrt hatte. Und auch wenn er seitdem an kaum noch etwas anderes denken konnte...

Jetzt blieb ihm nichts anderes mehr übrig, als den Weg weiterzugehen, den Murtagh ihm beschrieben hatte. Und zu hoffen, dass er ihn auch wirklich zu seinem Ziel führte.
 

Sie warteten noch einige Minuten ab. Eragon lauschte angestrengt in das Labyrinth der Straßen hinaus. Erst als er ganz sicher war, dass die Krieger verschwunden waren, gab er das Signal zum Aufbruch.

Sie verließen die Gasse und setzten ihren Weg ins Innere der Stadt fort.
 

Sie kamen nicht weit.

Nur wenige Straßen weiter sprangen ihnen zwischen zwei Häusern plötzlich Soldaten des Königs entgegen. Eragon fluchte lautlos. Diese Krieger hatte er nicht gehört, da sie sich die ganze Zeit ebenso ruhig verhalten hatten wie seine eigenen.

Eragon widerstand der Versuchung, sie einfach mit Magie zur Strecke zu bringen. Er durfte sich nicht verraten und Galbatorix so von ihrem Hiersein in Kenntnis setzen. Er griff zum Schwert und schlug die Männer mit reiner Muskelkraft nieder. Das gebrauchte Breitschwert fühlte sich fremd in seiner Hand an.
 

Als die Angreifer nur wenige Augenblicke später tot am Boden lagen, erkannte Eragon, dass einige von ihnen kaum älter als er selbst waren. Ein elendes Gefühl stieg in ihm hoch. Er starrte auf seine Hände, Hände, an denen jetzt das Blut dieser Jungen klebte. Tränen stiegen ihm in die Augen. Am liebsten würde er sein Schwert fallen lassen und...
 

Ein Schrei hinter ihm ließ ihn zusammenfahren. Er fuhr herum und sah gerade noch, wie einer seiner Krieger zusammenbrach. Ein schwarz gefiederter Pfeil steckte tief in seinem Rücken.

Eragon fluchte, steckte sein Schwert weg und riss seinen eigenen Bogen von seinem Rücken.

Binnen Sekunden waren die Angreifer tot. Eragon rannte zu dem Krieger am Boden, doch er kam zu spät. Der Mann war tot. Eragon stieß einen weiteren Fluch aus und sah sich nach seinen anderen Begleitern um. Einer lag am Boden, zwei waren verletzt. Den übrigen schien es gut zu gehen.

Eragon schloss die Augen und lauschte, rechnete fest damit, jeden Moment Soldaten des Königs auf sich zukommen zu sehen. Es blieb still.

Trotzdem wollte Eragon das Schicksal lieber nicht herausfordern. Er gab seinen übrig gebliebenen Krieger ein Zeichen und setzte sich wieder in Bewegung.Die Männer folgten ihm schweigend.
 

~
 

Die Straßen schienen kein Ende zu nehmen.

Sie bewegten sich zügig, durchquerten Straßen und Gassen, rannten über Kreuzungen und Plätze. Eragon suchte nach markanten Punkten, die Murtagh ihm beschrieben hatte, doch nichts was er sah entsprach den Beschreibungen seines Bruders.
 

Irgendwann blieb Eragon stehen.

Er musterte die Straße vor sich, dann drehte er sich um, blickte zurück in die Richtung aus der sie gekommen waren.

Verzweiflung stieg ihn ihm auf. Sie hatten sich verlaufen.

Er spürte, wie Saphiras Geist seinen streifte. Der Drache war ungeduldig und voller Angst. Eragon wusste, dass sie am liebsten sofort zu ihm gekommen wäre und ihn aus der Stadt geholt hätte. Sie hatte diesen Plan von Anfang an für keine gute Idee gehalten. Und jetzt, wo er verloren inmitten der unzähligen Straßen der Hauptstadt stand, überfielen auch Eragon heftige Zweifel.

Die Krieger schlossen zu ihm auf und blickten ihn fragend an.

„Wo sollen wir hingehen?“

Eragon überlegte fieberhaft, doch ihm fiel keine Lösung ein. Und ohne einen Plan war jede weitere Sekunde auf den Straßen ein Risiko.

„Wir müssen uns ein Versteck suchen,“ sagte er schließlich. „Und überlegen, was wir als nächstes tun.“

Seinen Worten folgte zustimmendes Gemurmel. Dann machten sie sich auf den Weg.
 

Sie hatten Glück und stießen nur kurze Zeit später auf einen verlassenen Laden. Die vielen Holzregale waren angefüllt mit kleinen Dosen und Schachteln, aus denen es intensiv duftete. Eragon musste für einen Moment an Angelas Zelt denken.

Auch hier waren die Fenster vernagelt, aber zwischen den einzelnen Brettern gab es mehrere Ritzen, die breit genug waren, um die enge Straße davor zu beobachten.

Eragon postierte zwei seiner Männer vor den Fenstern, die anderen verteilten sich in dem kleinen Raum.
 

Eragon zog seinen Wasserschlauch von seinem Gürtel und trank ein paar gierige Schlucke. Jetzt, wo er einen Moment Ruhe hatte, spürte er die Erschöpfung. Seine Beine brannten und sein Kopf tat weh. Auch seinen Begleitern schien es nicht besser zu gehen. Sie versuchten, es sich nicht anmerken zu lassen, doch Eragon konnte in ihren Augen die gleiche Erschöpfung und Resignation sehen, die auch er empfand.

Noch immer wusste Eragon nicht, was er jetzt tun sollte. Er weigerte sich, ihren Plan für gescheitert zu erklären. Sie hatten sich verlaufen, ja, aber noch waren sie nicht entdeckt worden. Noch hatten sie eine Chance...
 

Eragon blickte auf und betrachtete seine Begleiter.

„Hat jemand eine Idee?“ fragte er in die Runde.

„Wir sollten einen von Galbatorix' Männern überwältigen und ihn dazu zwingen, uns den Weg zu zeigen.“ schlug einer vor.

Eragon schüttelte den Kopf.

„Nein, das ist zu gefährlich. Wir dürfen keine Aufmerksamkeit auf uns ziehen. Und wenn sie ihn finden, wird er uns sofort verraten.“

„Dann müssen wir ihn ausschalten.“ sagte ein anderer Krieger.

Eragon funkelte ihn wütend an.

„Ich werde keine Gefangenen töten,“ zischte er. „Sonst noch was?“

Niemand antwortete.

Eragon sank in sich zusammen. Vielleicht sollten sie doch aufgeben. Noch hätten sie die Möglichkeit dazu. Er blickte auf und sah die gleichen Gedanken in den Gesichtern seiner Begleiter. Er biss sich auf die Lippen. Was sollte er bloß tun? Er drehte den Kopf und sah durch die schmalen Ritzen hindurch aus dem Fenster. Er erwischte sich dabei, dass er sich wünschte Murtagh wäre hier...
 

„Es ist seine Schuld...“

Eragon fuhr herum und betrachtete den jungen Krieger, der diese Worte ausgesprochen hatte. Der Blick aus seinen tiefgrünen Augen traf Eragons. Er blinzelte, doch er wandte sich nicht ab.

„Wir alle denken es und ich spreche es aus,“ fuhr er fort. „Der Reiter hat uns belogen. Das alles hier ist ein abgekartetes Spiel. Sie wissen, dass wir hier sind und sie...“

„Schluss!“ unterbrach ihn Eragon. Seine Stimme zitterte vor Wut.

„Aber vielleicht hat er recht.“ sagte der Magier jetzt.

Eragon funkelte ihn an.

„Nein. Wenn sie wüssten, dass wir hier sind, hätten sie uns längst angegriffen oder versucht, uns gefangenzunehmen. Aber das haben sie nicht.“

Eragon zögerte, wusste nicht, ob er die nächsten Worte wirklich aussprechen sollte. Doch der ratlose Blick seiner Begleiter ließ ihm keine andere Wahl.

„Dass wir hier festsitzen ist meine Schuld,“ gestand er schließlich. „Ich habe die Orientierung verloren. Doch ich werde den Weg finden, ich weiß es!“

Die Blicke seiner Begleiter lagen auf ihm, lange. Eragon hielt ihnen stand.
 

„In Ordnung,“ sagte der Magier schließlich. „Wir werden weitergehen. Wir haben ohnehin keine andere Wahl.“

Das stimmte. Dennoch hätte Eragon sich einen anderen Grund für ihr Einlenken gewünscht.
 

Sie gönnten sich noch einige kurze Minuten der Ruhe, dann verließen sie den Laden und gingen weiter.
 

Die Häuser standen jetzt enger zusammen. Die Straßen waren teilweise so schmal, dass kein Wagen Platz in ihnen hatte. Eragon fühlte sich unwohl. In diesen beengten Verhältnissen würde es ihnen schwer fallen, einen Angriff abzuwehren.
 

Er fand sich bestätigt, als er nur kurze Zeit später ein vertrautes Geräusch irgendwo hinter sich hörte.

Er brüllte einen Befehl und warf sich zur Seite. Gerade rechtzeitig. Der Pfeil schoss knapp an ihm vorbei und schlug auf dem Pflaster auf.

Eragon wirbelte herum und zog sein Schwert. Hastig glitt sein Blick über die Fassaden der Häuser, suchte den Angreifer.

„Dort oben.“ sagte einer seiner Krieger und deutete mit der freien Hand auf ein schmales Fenster in einem der Häuser links von ihnen. Eragon folgte seiner Geste und entdeckte den Schützen, der bereits einen neuen Pfeil auf die Sehne seiner Armbrust gelegt hatte.

„Verdammt...“ knurrte Eragon. Eine Armbrust war in dieser engen Gasse eine ernsthafte Gefahr. Und auf die geringe Entfernung würde auch das Zielen ein leichtes sein.

Kurz entschlossen stürmte Eragon auf die Tür des Hauses zu. Sie war verschlossen, doch die schiere Wucht seines Körpers riss sie aus den Angeln und schmetterte sie gegen die Wand. Er hörte laute Flüche von oben und folgte der Stimme. Mit schnellen Schritten rannte er die Treppe in den ersten Stock hinauf.
 

Der Angreifer erwartete ihn, seine Armbrust zielte auf Eragons Oberkörper. Eragon blieb stehen und hob die Arme.

„Tu' das nicht.“ sagte er leise.

Der Angreifer lachte nur und schoss.

Eragon versuchte nicht einmal, dem Geschoss auszuweichen. Der Pfeil flog in seine Richtung, zielte direkt auf sein Herz.

Kurz vor seinem Körper jedoch stoppte er wie von einer unsichtbaren Hand gepackt und fiel zu Boden.
 

Der Angreifer war völlig verdutzt und starrte von dem Geschoss am Boden zu Eragon und wieder zurück.

„Wie...“ begann er leise und Eragon entging die Panik in seiner Stimme keinen Moment lang.

„Ich habe doch gesagt, dass du das nicht tun sollst.“ entgegnete er und trat auf den Mann zu. Der war noch immer so verstört, dass er Eragon gar nicht zu bemerken schien.

Eragon riss ihm mit einer schnellen Bewegung die Armbrust aus der Hand und schlug den Mann mit einem einzigen Schlag in den Nacken bewusstlos.
 

Erst jetzt hörte er den Kampflärm. Offenbar hatten ihrn Angreifer Verstärkung bekommen.

Eragon trat über den Bewusstlosen hinweg ans Fenster und blickte hinaus.

Unten war ein heftiger Kampf entbrannt. Eragon bemerkte überrascht, dass es sich bei den Angreifern diesmal um Bewohner der Stadt handelte und nicht um Soldaten. Die etwa ein Dutzend Kämpfer waren mit Knüppeln, Äxten und Schwertern bewaffnet und prügelten mit der Macht der Verzweiflung auf Eragons Begleiter ein, die sich ebenso heftig zur Wehr setzten. Bereits jetzt waren mehrere der Angreifer verletzt oder gar tot. Eragon bemerkte entsetzt, dass eines der Opfer gar ein junges Mädchen war, dass sich in eine viel zu große Männerrüstung gezwängt hatte.

„Hört auf!“ schrie er laut und tatsächlich wurde der Kampf für einige Sekunden unterbrochen

„Wir sind nicht hier, um euch zu töten,“ fuhr Eragon fort. „Lasst uns gehen und euch wird kein Leid geschehen!“

Für einen Moment hatte Eragon die Hoffnung, dass seine Worte Gehör finden würden. Doch er wurde enttäuscht.

„Ihr seid nichts als Diebe, Lügner und Verbrecher!“ brüllte einer der Angreifer, ein Mann von vielleicht vierzig Jahren. „Ihr lauft durch unsere Straßen, als würden sie euch gehören, nehmt euch, was ihr wollt und hinterlasst uns nichts als Verwüstung! Das hier ist nicht unser Krieg!“

Eragon stutzte. Offenbar hielt der Mann sie für Soldaten des Königs. Und offenbar betrachtete er sie als seine Feinde. Eragon bewunderte seinen Mut.
 

„Ihr solltet gehen.“

Eragon fuhr herum.

Einer seiner Soldaten stand hinter ihm. Seine grünen Augen blitzten.

„Was?“ fragte Eragon verwirrt.

„Das hier ist nicht Euer Kampf,“ sagte der junge Kämpfer weiter. „Wir lenken sie ab. Geht, geht!“

„Ich werde nicht alleine gehen.“ widersprach Eragon.

„Ihr müsst es,“ entgegnete der andere. „Das hier ist erst der Anfang. Wir sind zu viele, wir erregen zu viel Aufmerksamkeit. Wenn Ihr eine Chance haben wollt, müsst Ihr alleine gehen.“

Schreie hinter Eragon verrieten ihm, dass einer der feindlichen Angriffe sein Ziel getroffen hatte. Er biss die Zähne zusammen.

„Ich werde eure Hilfe brauchen.“ versuchte er es erneut, doch der andere schüttelte nur den Kopf.

„Die braucht Ihr nicht und das wisst Ihr.“

Eragon zögerte noch immer.

Doch schließlich nickte er und trat auf den jungen Mann zu.

„Wie heißt du?“ fragte er.

„Arlan.“

„In Ordnung, Arlan,“ Eragon zwang sich zu einem Lächeln. „Pass auf dich auf.“

Er ließ dem anderen keine Zeit für eine Erwiderung. Er trat aus dem schmalen Zimmer heraus und lief die Treppe hinunter. Auf der Rückseite des Hauses gab es einen Hinterausgang, der auf einen beinahe quadratischen Hof hinausführte.

Eragon widerstand der Versuchung, sich noch einmal umzudrehen.
 

~
 

Eragon rannte und rannte und seine Schritte waren alles was er hörte. Er achtete längst nicht mehr darauf, wohin er lief. Es war ohnehin egal, hatte er die Orientierung doch mittlerweile vollkommen verloren. Alles, was ihm jetzt noch blieb war zu hoffen, dass er den Soldaten des Königs so lange ausweichen konnte, dass er irgendwann zufällig auf die Straße stoßen würde, die ihn zu dem geheimen Weg in den Palast führte.
 

Die Richtung schien zu stimmen, wie er irgendwann feststellte.

Eragon blieb schwer atmend stehen und lehnte sich an eine der Hauswände.

Die Straße vor ihm war leicht ansteigend. Über den Dächern der Häuser konnte er die Türme des Palastes erkennen. Er zögerte, doch dann beschloss er, dass er der Straße ebenso gut folgen konnte. Er setzte sich wieder in Bewegung und lief langsam bergauf.
 

Der Klang unzähliger Schritte und Hufe alarmierte ihn gerade rechtzeitig.

Im beinahe letzten Moment entdeckte Eragon die angelehnte Tür eines schmalen Wohnhauses und stürzte hinein, ohne darauf zu achten, ob das Haus auch tatsächlich leer war.
 

Nur Augenblicke später erschienen die erste Soldaten. Die ersten von vielen.

Eragon wagte es kaum, über den Rand des trüben Fensters zu blicken, doch der Anblick war so faszinierend wie erschreckend.
 

Die Reihen von Soldaten zogen sich scheinbar endlos dahin und ihre stampfenden Schritte verbanden sich zu einem einzigen Donnern, einem gigantischen Herzschlag gleich, nur unterbrochen von dem lauten Klappern unzähliger Pferdehufe.
 

Eragon schloss die Augen und atmete tief durch.

Der Anblick der Krieger hatte ihm erneut ins Gedächtnis gerufen, in welcher Gefahr er wirklich schwebte. Es erschien ihm fast wie ein Wunder, dass er überhaupt noch atmete!

Er lehnte sich erschöpft gegen die Wand unter dem Fenster und lauschte dem stetigen Stampfen, dass nur langsam leiser wurde. Was wohl Saphira gerade tat? Ob er ihr und Roran gutging? Und was war mit den anderen? Konnten sie es mit dieser Verstärkung, die der Tyrann ihnen entgegen schickte, aufnehmen? Oder waren sie vielleicht längst...

Eragon presste die Hände vors Gesicht. Nein, er durfte nicht daran denken! Sicher ging es ihnen gut! Sie waren stark, sie würden es schaffen, auch ohne ihn!
 

Irgendwann waren die Schritte verklungen und Eragon wagte es endlich wieder, aus dem Fenster zu blicken. Die Straßen lagen wieder still da. Wenn er weitergehen wollte, musste er es jetzt tun.

Trotzdem dauerte es noch quälende Minuten, bis Eragon endlich den Mut hatte, das Haus zu verlassen.
 

Er folgte den Spuren der Krieger in entgegengesetzter Richtung, hoffend, dass sie ihn auf den richtigen Weg führten.

Nach einigen Minuten erreichte er einen kleinen Platz, der von der Statue eines Kriegers auf einem steigenden Hengst geschmückt wurde. Eragon hätte die steinerne Figur am liebsten umarmt.

Das hier war der Platz den Murtagh ihm Stunden zuvor beschrieben hatte. Von hier aus war es nur noch ein kurzer Weg zu dem alten Wirtshaus in dessen Hinterhof sich ein geheimer Zugang zu den Ställen im Inneren des Palastes befand.

Eragon blieb stehen und beugte sich schwer atmend nach vorne.

Er hatte sein Ziel fast erreicht. Und Murtagh hatte ihn nicht belogen.

Eragon wusste nicht, was davon ihn mehr erleichterte.
 

~
 

Murtagh blickte auf und beobachtete den blauen Drachen, der in weiten Kreisen um die Stadt herumflog, dann beidrehte und hinter den Dächern in Richtung der angreifenden Truppen verschwand.

Er hatte eine ziemlich gute Vorstellung davon, was in Saphira vorging. Eragon war in dieser Stadt, begleitet von nur einer Handvoll Krieger, die ihm im Fall eines ernsthaften Angriffs kaum würden helfen können. Und wenn ihm tatsächlich etwas passierte, hätte Saphira keine Möglichkeit, ihrem Reiter zu Hilfe zu eilen. Die Angst musste sie beinahe umbringen...
 

Er riss seinen Blick von dem Drachen am Horizont los und zog sich tiefer in die schmale Gasse zurück, die ihm als Versteck diente. Er runzelte die Stirn. Eragon hätte schon längst hier sein müssen. Dass er nicht aufgetaucht war, konnte eigentlich nur bedeuten, dass die Soldaten des Königs ihn gefangen genommen hatten.

Murtagh hob den Kopf und schaute erneut zur Straße zurück.

Nein, versuchte er sich selbst zu beruhigen. Wenn sie ihn erwischt hätten, hätte es längst ein Signal gegeben. Galbatorix hätte keine Sekunde gezögert, seinen Feinden seine neue Geisel zu präsentieren.

Aber was, wenn...
 

Stöhnend ließ Murtagh sich gegen die kühle Wand sinken. Sein Herz raste und er ahnte, dass das nicht alleine von seiner Erschöpfung kam. Erneut suchte seine Hand nach dem Anhänger um seinen Hals.

Dass Eragon noch nicht hier war, musste einen anderen Grund haben. Vielleicht hatte er sich verlaufen. Die Straßen der Stadt konnten sehr verwirrend sein, wenn man sie zum ersten Mal betrat. Wenn nur das Zittern endlich aufhören würde...!
 

Murtagh stemmte sich wieder in die Höhe und sah zur Straße zurück. Wenn es wirklich so war und Eragon aufgehalten worden war, hatte er nahezu keine Möglichkeit, den Jungen wiederzufinden. Er würde alleine gehen müssen.

Murtagh ignorierte das tiefe Gefühl der Erleichterung, das ihn bei diesem Gedanken befiel.
 

Er trat auf die Straße hinaus und seine Füße schienen in den Stein einzusinken wie in grauen Morast.
 

Murtagh stieß einen erschrockenen Schrei aus und warf sich zur Seite.

Der Schmerz, der seine Hände und Knie durchzuckte, riss ihn in die Wirklichkeit zurück. Mit rasendem Herzen drehte er sich um und starrte auf das Pflaster vor sich. Grauer Stein, von tausenden von Schritten glatt geschliffen. Sonst nichts.

Murtagh presste die Augen zusammen und zwang sich, sich zu beruhigen. Es war nicht echt. Nur ein weiter Anfall, eine weitere Vision. Trotzdem zitterten seine Beine und er spürte kalten Schweiß auf seiner Haut. Es dauerte quälende Minuten, bis er sich wieder soweit erholt hatte, dass er aufstehen konnte.

Er hob den Kopf und starrte die Straße hinauf.

Je näher er dem Palast kam, desto schlimmer schien es zu werden. Schon jetzt war er so erschöpft, dass er sich kaum noch bewegen konnte. Alleine der Gedanke daran, dem König in diesem Zustand gegenüberzutreten war so absurd, dass er beinahe gelacht hätte!

Galbatorix würde ihn vernichten. Er tötete ihn schon jetzt, jeden Moment ein wenig mehr...
 

Murtagh schüttelte den Kopf und stieß sich von der Wand ab. Er zwang sich dazu, weiterzugehen, auch wenn seine Beine bei jedem Schritt protestierten.
 

~
 

Der Weg schien kein Ende zu nehmen. Fast glaubte Murtagh schon, sich verlaufen zu haben, als er sich plötzlich auf dem kleinen Platz wiederfand, auf dem er vor Jahren seinen Meister verloren hatte. Stille lag über dem Pflaster. Nichts erinnerte mehr an das Blut, das hier geflossen war. Die Statue des unbekannten Kriegers ragte über ihm auf, blickte stumm auf ihn hinab, die Augen grau und tot.
 

Murtagh riss seinen Blick von ihr los und sah sich um. Jetzt, am hellichten Tag, sahen die Straßen und Häuser anders aus als in seiner Erinnerung. Dennoch fand er das Wirtshaus nach kurzer Suche.

Er hatte es beinahe erreicht, als ihn das Geräusch von Metall von Metall herumfahren ließ.
 

Die Soldaten standen direkt hinter ihm, ein halbes Dutzend an der Zahl. Sie trugen Rüstungen und Schwerter des Königs.

„Was denn, ganz alleine unterwegs?“ fragte der mittlere, ein junger Mann von nicht einmal zwanzig Jahren. Murtagh runzelte die Stirn. Die Männer schienen ihn nicht zu erkennen. Das konnte nur bedeuten, dass es sich um unbedeutende Fußsoldaten handelte, Männer, die nie auf dem großen Platz gewesen waren, wenn Galbatorix oder er vor ihre Truppen getreten waren. Das war sein Glück. Aber es änderte nichts daran, dass diese Männer ein Hindernis waren und sterben mussten.

Murtagh richtete sich auf und hob die Arme.

„Geht, solange ihr noch könnt. Zwingt mich nicht dazu, euch zu töten.“ sagte er leise.

Die Männer vor ihm lachten nur.

„Was denn, du willst uns töten? Ganz alleine?“

„Ja.“ entgegnete Murtagh kühl.

Der junge Mann trat nach vorne und blieb dicht vor Murtagh stehen.

„Dann zeig was du kannst, Großmaul.“
 

Der junge Mann würde nie erfahren, wie genau er gestorben war.

Als er sein Schwert hob, war Murtagh bereits hinter ihn getreten und hatte ihm einen schmalen Dolch zwischen die Schulterblätter getrieben. Das Metall glitt durch seine Rüstung wie durch Butter. Der Angreifer brach zusammen und war tot, noch bevor er den Boden erreicht hatte.
 

Murtagh senkte den Dolch und betrachtete die übrigen Angreifer. Die Männer starrten ihn an, als wäre er eine Gestalt aus einem ihrer Albträume.

Der Mann ganz links hatte sich zuerst wieder im Griff. Mit einem Schrei stürzte er nach vorne und schlug mit seinem Schwert nach Murtagh. Der wich seiner Klinge aus, vollführte eine blitzschnelle Drehung und stürzte nach vorne. Nur Sekunden später lag auch dieser Mann tot zu seinen Füßen, die Kehle durchgeschnitten.

Murtagh trat über den Körper hinweg und hob den Dolch erneut. Er hoffte, dass seine Gegner das Zittern seiner Hand nicht bemerkten. Die beiden kurzen Kämpfe hatten ihn viel Kraft gekostet. Weiße Funken tanzten am Rand seines Blickfeldes. Murtagh blinzelte sie fort, doch er wusste, dass es nur noch eine Frage der Zeit war, bis er zusammenbrach. Und wenn das geschah, würden diese Mistkerle ihn töten, ohne auch nur zu ahnen wer er wirklich war.
 

Die übrigen Soldaten schienen aus dem Verhalten ihrer Mitstreiter gelernt zu haben und griffen nun gemeinsam an. Murtagh konnte ihren ersten Angriffen noch ausweichen, doch seine Kraft schwand mit jeder Bewegung. Gemeinsam trieben ihn die Soldaten immer weiter zurück, bis er plötzlich mit dem Rücken gegen eine Hauswand stieß.

„Das war's dann wohl.“ sagte einer der Soldaten böse und hob seine Klinge.

„Ihr kriegt mich nicht lebend.“ stieß Murtagh keuchend hervor und hob seinen Dolch.

Die Klinge des Soldaten sauste hinab. Murtagh warf sich im letzten Moment zur Seite. Mit letzter Kraft stieß er sich vom Boden ab und schleuderte seinen Dolch. Die Klinge traf den Angreifer in die Brust und warf ihn gegen seine Kameraden. Murtagh sprang nach vorne und riss ihm das Schwert aus der Hand. Unter Auferbietung seiner letzten Kräfte schleuderte er die Klinge herum und tötete die letzten Krieger mit nur einem Schlag.
 

Schwer sank er zu Boden. Seine Finger waren nicht länger in der Lage, das Schwert zu halten. Klirrend fiel die Klinge zu Boden. Murtagh schloss die Augen und kämpfte die plötzliche Übelkeit nieder. Der Geruch von Blut stieg ihm in die Nase und ließ ihn würgen.

„Steh auf, steh auf, steh auf...“ murmelte er zu sich selbst, wieder und wieder. Doch sein Körper gehorchte ihm nicht mehr. Das Blut seiner besiegten Feinde suchte sich langsam seinen Weg über das Pflaster. Tiefrot flossen die Rinnsale in seine Richtung, trafen ihn, hüllten ihn an.
 

Die Erinnerungen schlugen über ihm zusammen wie Wasser.

Blutgetränkte Straßen, schwarz glänzend in der Nacht. Schreie. Ein Gesicht, direkt vor ihm. Eine Stimme, die seinen Namen rief. Lauf weg, lauf weg! Und er rannte.
 

~
 

Es hätte der Beginn einer neuen Existenz sein können.

Doch es wurde zu einem der schlimmsten Tage seines jungen Lebens.
 

Es dauerte mehrere Monate, bis der König ihn erneut zu sich rief und ihm die Aufgabe erteilte die er ihm zuvor versprochen hatte. Murtagh war fassungslos über die Grausamkeit seiner Befehle, fassungslos darüber, dass der Mann, der bei ihrem letzten Treffen so überzeugend, so hypnotisierend gesprochen hatte, dazu fähig war, hunderte von Menschen ohne Zögern zum Tode zu verurteilen.

Murtagh hörte ihm schweigend zu und versuchte fast schon verzweifelt, seine Abscheu und seine wachsende Angst zu verbergen.
 

Als er den Saal endlich verlassen durfte, fühlte er sich, als würde die Welt die er bisher gekannt hatte unter seinen Füßen zu tausend Scherben zerbrechen.
 

Beinahe blind von Tränen der Wut, Enttäuschung und Angst flüchtete Murtagh zurück in seine Gemächer, griff nach einer Tasche und fing an, alles in sie hineinzustopfen was ihm irgendwie in die Finger kam.

Er wollte sofort fliehen, doch der letzte Funken klaren Verstands, den er noch besaß, machte ihm klar, dass es Wahnsinn gewesen wäre, den Palast am helllichten Tag zu verlassen. In den unzähligen Zimmern, Gängen und Höfen würde es nur so von Galbatorix' Gefolgsleuten wimmeln. Beim bloßen Gedanken an die gesichtslosen Speichellecker, für die jedes Wort des Königs Gesetz war, zog sich sein Magen schmerzhaft zusammen. Nein, er würde das nicht einen Tag länger ertragen...!
 

Als er schließlich seine Räume verließ herrschte draußen tiefe Dunkelheit. Die Gänge lagen verlassen da, doch Murtagh machte nicht den Fehler, sich in Sicherheit zu wiegen. Der König hatte seine Augen und Ohren überall.

Es dauerte lange, bis er die Ställe erreichte. Leise schlich er zu der Box seines jungen Hengstes. Er war alles, was ihm zu seiner Flucht noch fehlte.

Doch das Tier war nicht da.

Murtagh starrte in die leere Box, völlig verstört. Er wollte sich gerade wieder herumdrehen, als er plötzlich von hinten gepackt und in den schmalen Gang zwischen zwei Boxen gerissen wurde.
 

Nach dem ersten Schock wehrte er sich nach Kräften, doch er konnte die starken Arme nicht abschütteln. Halb wahnsinnig vor Angst flehte er um sein Leben und war gleichzeitig tief erschüttert über seine eigene Feigheit.

Dann hörte er die vertraute Stimme seines Meisters an seinem Ohr.

Kraftlos sank er in sich zusammen und erbrach sich auf dem strohbedeckten Boden.

Tornac beugte sich zu ihm hinunter und legte ihm eine Hand auf die Schulter. Geduldig wartete er, bis Murtagh sich so weit beruhigt hatte, dass er wieder halbwegs klar denken konnte.

„Was... was tust du hier?“ fragte Murtagh keuchend.

„Das wollte ich eigentlich dich fragen.“ Die Wut in Tornacs Stimme überraschte ihn. „Sei froh, dass ich dich gefunden habe. Wenn du deinen verrückten Fluchtplan in die Tat umgesetzt hättest, wärst du jetzt tot!“

Murtagh starrte ihn bestürzt an.

„Du... woher weißt du davon?“

Tornac lächelte freudlos.

„Ich weiß, was ich wissen muss.“

Murtagh schaute zu Boden.

„Und was wirst du jetzt tun?“ fragte er leise. „Wirst du mich verraten?“

„Nein, Murtagh,“ antwortete Tornac und half ihm auf die Füße. „Ich werde dir helfen.“

„Aber wie...“ begann Murtagh, brach dann aber völlig verwirrt ab.

„Sagen wir es so: ich habe einige nützliche Kontakte in der Stadt.“ antwortete Tornac. In seine Stimme hatte sich eine Härte geschlichen, die Murtagh nicht von ihm kannte.

Die Varden! schoss es ihm durch den Kopf. Tornac hatte Kontakt zu den Varden!

Völlig überrascht starrte er seinen Lehrmeister an. Es war nicht das erste Mal, dass er von Verschwörungen gegen den König hörte. Immer wieder gab es Adelige, die sich durch geschickt gesponnene Intrigen einen Vorteil zu verschaffen versuchten. Doch mit den Varden in Kontakt zu stehen, den Rebellen, die schon so lange im Verborgenen gegen den König arbeiteten, ging weit über die üblichen Intrigen hinaus. Hätte Galbatorix davon gewusst, er hätte Tornac eigenhändig getötet!

„Bist du bereit?“ fragte Tornac schließlich, auch wenn Murtagh genau wusste, dass die Entscheidung längst gefallen war.
 

Kurze Zeit später rannte er an der Seite seines Lehrmeisters durch die Nacht.

Tornac führte sie mit traumwandlerischer Sicherheit durch die Schatten. Sie ließen die Ställe hinter sich und schlichen in Richtung der Dienstbotenquartiere. Murtagh fragte sich wieso, doch Tornac schien zu wissen was er tat. Er führte sie zwischen zweien der niedrigen Gebäude hindurch. Murtagh hörte die leisen Stimmen ihrer Bewohner.

Kurz darauf fanden sie sich in einem niedrigen Gang wieder, der sie zu den Quartieren der Stadtwache vor den Mauern des Palastes führte. Murtagh hatte nicht gewusst, dass dieser Gang überhaupt existierte!

„Er wird gerne benutzt, um Dinge hinein oder hinaus zu schmuggeln.“ erklärte Tornac knapp und lächelte schief.

Sie erreichten die nächtlichen Straßen der Hauptstadt und wandten sich stadtauswärts.

Niemand war zu sehen oder zu hören, dennoch hatte Murtagh das schreckliche Gefühl, von allen Seiten beobachtet und belauscht zu werden.

„Wohin gehen wir?“ fragte er leise.

Tornac warf ihm einen schnellen Blick zu.

„Als erstes müssen wir zu unseren Pferden. Ich habe sie vor Stunden aus dem Palast bringen lassen. Sie warten bei einem meiner... Bekannten.“

Murtagh starrte ihn an.

„Dann hast du...“

„Dein Pferd genommen?“ Tornac hob eine Augenbraue. „Ja, das habe ich. Oder hast du etwa geglaubt, du könntest nachts aus dem Palast reiten, ohne dass dich jemand bemerkt?“

Murtagh schwieg.
 

Sie rannten weiter, in Richtung der äußeren Bezirke der Hauptstadt. Murtagh war nur selten hier gewesen, doch er kannte die Pläne der Stadt.

Irgendwann blieb Tornac so plötzlich stehen, dass Murtagh beinahe gegen ihn geprallt wäre.

„Was ist...“ begann er gehetzt, doch Tornac drehte sich blitzschnell um und legte ihm eine Hand auf den Mund.

„Still.“ flüsterte er leise. „Sie sind ganz in der Nähe.“

Murtagh umfasste den Griff seines Breitschwertes fester. Seine Wangen glühten vor Scham. Er wollte nicht, dass Tornac ihn so sah, hilflos wie einen dummen Bauernjungen, der sich kaum auf den Beinen halten konnte. Er versuchte sein möglichstes, sich zusammenzureißen, doch die Angst ließ seine Hände so stark zittern, dass es ihm kaum möglich war, sein Schwert zu halten.

Es dauerte nicht lange, bis die Soldaten in ihr Blickfeld traten. Es waren beinahe dreißig und sie bewegten sich so zielsicher in ihre Richtung, dass Murtagh sofort klar war, dass sie wussten wonach sie zu suchen hatten.

„Was tun wir jetzt?“ flüsterte er Tornac zu.

Der Schwertmeister zog seine Klinge und trat auf die dunkle Straße hinaus.

„Wir könnten sie besiegen...“ sagte er langsam.

Murtagh zweifelte keine Sekunde an seinen Worten. In ganz Uru'baen gab es niemanden, der es mit Tornac aufnehmen konnte. Nun, außer dem König selbst natürlich. Und Murtagh, manchmal...

„Aber ich halte es für keine gute Idee,“ sagte Tornac jetzt und wandte sich zu ihm um. „Wir verschwinden von hier.“

Murtagh starrte ihn an.

„Aber wieso denn? Sie sind keine Gefahr für uns!“

Tornacs Gesicht verfinsterte sich.

„Glaubst du etwa, dass es bei diesem Kampf bleibt? Nein, Galbatorix wird bereits weitere Soldaten auf die Jagd geschickt haben.“

Murtagh musste ihm recht geben. Er steckte sein Schwert weg und folgte Tornac zurück in die Schatten.
 

Sein Lehrer führte ihn durch enge Gassen und Murtagh verlor schon bald die Orientierung. Irgendwann erreichten sie eine heruntergekommene Taverne. Tornac führte ihn hinter das Haus und Murtagh war zutiefst erleichtert, als er sein Pferd sah.

Nur einen Moment später jagten sie die Straße hinunter.
 

Ihre Flucht wurde schon bald unterbrochen.

Tornac fluchte, als er die Soldaten auf dem Platz vor ihnen erblicke. Er riss sein Pferd brutal herum und ritt in die andere Richtung. Doch auch von dieser Seite drängten bereits Krieger gegen die Flüchtigen.

Die Soldaten trieben sie zurück auf den kleinen Platz, dessen Mitte von einer riesigen Statue geschmückt wurde. Sie kamen immer näher. Tornac und Murtagh zogen ihre Schwerter. Einem Kampf konnten sie nun nicht mehr entgehen. Die Soldaten erreichten sie und griffen an. Auf den Rücken ihrer Pferde hatten sie einen Vorteil und auch ihre Fähigkeiten im Umgang mit der Klinge waren denen ihrer Gegner weit überlegen. Die aber machten diesen Vorteil durch ihre schlichte Überzahl zunichte.
 

Murtagh war es gerade gelungen, mit einem kraftvollen Hieb zwei Gegner auf einmal zu töten, als ein Schrei seines Meisters ihn herumwirbeln ließ.

Tornac wurde von gleich einem Dutzend Kämpfer bedrängt. Er wehrte sich nach Kräften, doch die Soldaten griffen immer erbarmungsloser an.

Murtagh brüllte auf und ließ seinen Hengst in Tornacs Richtung preschen.

Kurz bevor das Tier die Angreifer erreicht hatte, schwang er sich von seinem Rücken und schlug dem vordersten Mann den Kopf ab. Die Unterbrechung reichte Tornac, um das Blatt zu wenden. Die Krieger hatten ihn von seinem Pferd gerissen, doch das konnte den Mann nicht bremsen. Brutal schlug er die Männer um sich herum nieder und verschaffte ihnen eine kurze Verschnaufpause. Murtagh trat an Tornacs Seite und sah sich nach weiteren Gegnern um. Die drängten von allen Seiten auf den Platz, zuviele um sie zu zählen, zuviele um sie aufzuhalten.

Murtagh registrierte entsetzt, dass sie diesen Kampf nicht gewinnen konnten. Er sah sich zu Tornac um und wusste, dass sein Meister das Gleiche dachte: es war vorbei.

Er wollte etwas sagen, doch Tornac drehte sich plötzlich zu ihm um und packte ihn.

„Was...“ begann Murtagh verwirrt, doch Tornac ließ ihn nicht weitersprechen.

„Hör mir jetzt genau zu,“ begann er gehetzt. „Du hast dich tapfer geschlagen, aber jetzt ist es vorbei. Du musst fliehen, solange du noch kannst.“

Murtagh konnte nicht fassen, was er da hörte.

„Ich... ich kann doch jetzt nicht fliehen!“

„Du musst!“ Tornac brüllte jetzt und seine Finger bohrten sich so heftig in Murtaghs Arme, dass es wehtat.

Murtagh schüttelte ungläubig den Kopf.

Da hob Tornac eine Hand und ohrfeigte ihn.

Murtaghs Kopf flog zur Seite, er schmeckte Blut. Langsam drehte er sich zu seinem Meister um. Seine Wange brannte.

„Ich mache keine Witze, Murtagh. Das hier ist kein Training, kein Spiel. Und du hier nicht sterben willst, wirst du tun was ich dir sage! Folge der Gasse hinter mir bis du zur Mauer kommst. Dort gibt es eine Taverne, du erkennst sie an ihren weißen Mauern. Von dort aus...“

Was nun folgte, war eine komplizierte Wegbeschreibung voller versteckter Gassen und geheimer Gänge. Murtagh versuchte, sich alles zu merken, auch wenn er kaum noch in der Lage war, einen klaren Gedanken zu fassen.

Als Tornac geendet hatte, ließ er ihn los und stieß ihn von sich.

„Und nun geh!“

„Aber...“ begann Murtagh erneut, doch Tornacs Blick ließ ihn verstummen.

„Lauf weg. LAUF!“

Murtagh konnte nicht anders, als seinem Befehl Folge zu leisten. Er steckte sein Schwert weg und rannte zu seinem Pferd hinüber. In einer fließenden Bewegung schwang er sich in den Sattel und wendete das Tier.

Er sah zurück zu Tornac. Die Soldaten kamen ihm immer näher. Der Schwertmeister drehte sich noch ein letztes Mal zu ihm um, dann hatten ihn die Gegner erreicht und er wandte den Blick ab.

Murtagh sah ihn nie wieder.
 

Stunden später hatte er die Stadt hinter sich gelassen. Noch immer war es ihm völlig schleierhaft wie es ihm letzten Endes gelungen war, Uru'baen lebend zu verlassen. Er hatte unzählige Umwege genommen, sich immer wieder umgedreht und nach Verfolgern gesucht, doch die Straßen hinter ihm waren stets leer gewesen.
 

Damals hatte er nicht eine Sekunde lang daran gedacht, dass der König ihn möglicherweise nie verfolgt hatte. Und dass seine Flucht von Anfang an zu Galbatorix' Plänen gehört hatte...
 

~
 

Nahezu geräuschlos schlich Eragon durch den dunklen Gang. Der Lichtstein in seiner Hand warf seltsame Schatten an die groben Wände. Er bog um eine Ecke und blieb stehen. Die Ställe waren jetzt so nah, dass er die Tiere bereits riechen konnte. Er hob die Hand und das kalte Licht fiel auf eine kurze Leiter am Ende des schmalen Ganges vor ihm.

Eragon steckte den Stein zurück in den kleinen Beutel an seinem Gürtel und legte die wenigen Meter zur Leiter im Dunkeln zurück. Langsam stieg er hinauf. Der Geruch nach Stroh und Pferden wurde stärker. Er erreichte eine hölzerne Klappe und stieß sie vorsichtig auf. Sein Blick fiel auf Kisten, Säcke, einen alten Karren.

Er wollte die Klappe gerade vollständig öffnen, als er plötzlich von hinten gepackt und zurück in den dunklen Tunnel gerissen wurde.
 

Er versuchte zu schreien, doch da legte sich bereits eine Hand auf seinen Mund und erstickte jeden Laut.

„Hör auf zu zappeln, ich bin's.“ hörte er eine vertraute Stimme an seinem Ohr. Eragon keuchte auf, zu erschrocken und zu erleichtert, um etwas zu sagen.

Murtagh ließ ihn los und trat einen Schritt zurück.

Eragon drehte sich zu ihm herum und funkelte ihn wütend an.

„Du... du hast mich zu Tode erschreckt“

Murtagh starrte zurück.

„Sei froh, dass ich dich gefunden habe. Da oben laufen mindestens ein Dutzend Wachen herum.“

Eragon knurrte beleidigt.

„Wie kommst du hierher?“ fragte er dann.

Murtagh legte den Kopf schief.

„Auf dem gleichen Weg wie du, nehme ich an. Naja, beinahe. Ich habe auf dich gewartet, wo warst du?!“

Eragon stieß einen tiefen Seufzer aus.

„Wir haben uns verlaufen.“ gab er zu.

Murtagh betrachtete ihn. Er lachte nicht.

„Was sollen wir jetzt tun?“ fragte Eragon.

Murtagh dachte einen Moment nach.

„Erinnerst du dich noch an den Weg, den ich dir beschrieben habe?“

„Ich denke schon.“ antwortete Eragon, auch wenn er sich längst nicht so sicher war wie er tat.

„Gut,“ sagte Murtagh, der die Notlüge nicht zu bemerken schien. „Dann wird es deine Aufgabe sein, in den Palast einzudringen. Du musst versuchen, die...“
 

Er stockte plötzlich und schaute sich hastig um, als fürchtete er unsichtbare Verfolger.

„Die Eldunarí...?“ fragte Eragon vorsichtig.

Murtagh sah ihn wieder an.

„Ja...“ sagte er und biss die Zähne zusammen, als bereiteten ihm die nächsten Worte große Schmerzen. „Die... die Eldunarí.“

Eragon blickte ihn verstört an. Dann weiteten sich seine Augen und er verstand.

Es war das erste Mal, dass Murtagh das wahre Geheimnis von Galbatorix' Macht offen benannte. Bisher hatte er es nie gekonnt, selbst wenn er es gewollt hätte. Zu stark war Galbatorix' Einfluss auf ihn gewesen.

Dass es ihm jetzt gelang, darüber zu sprechen, bedeutete, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Der Tyrann verlor seine Macht über ihn.

Eragon starrte seinen Bruder an und hatte plötzlich das Gefühl, ihn zum ersten Mal seit langer Zeit wirklich zu sehen.

Murtagh hatte sich von ihm abgewandt, schien nachzudenken. Sein Profil war in der trüben Dunkelheit des Tunnels kaum mehr als ein Schatten. Wenn Eragon mit seiner Vermutung richtig lag, würde das bedeuten, dass es Murtagh tatsächlich gelungen war, seinen wahren Namen zu ändern. Doch wie hatte er das gemacht, in dieser kurzen Zeit, und nachdem er sich so lange so heftig dagegen gewehrt hatte? Er hatte Angelas Zauber nicht benutzt! Wie also war es möglich, dass er...

Oder hatte Murtagh sich vielleicht gar nicht geändert?

Eragon senkte den Blick.

Der Gedanke war nur klein, aber er stach in seinen Verstand wie eine Nadel.

War es vielleicht am Ende nur ein weiterer Trick? Murtagh hatte es doch selbst gesagt: selbst wenn er versuchte, sich zu befreien, der König würde ihn sofort zu sich rufen und erneut unterwerfen. Wie also...
 

Eragon hörte seinen Namen und zuckte zusammen.

Murtagh sah ihn an, seine Augen schwarzer Onyx.

„Weißt du... weißt du, wo sie sind?“ fragte Eragon mit einiger Verspätung.

„Nicht genau, nein.“ sagte Murtagh zögernd. Noch immer lag sein Blick auf Eragon, unsicher.

„Galbatorix hat mich nie zu ihrem Versteck mitgenommen. Wenn er wollte, dass ich sie benutze, hat er hat sie mir immer im Thronsaal gegeben. Aber ich habe eine Vermutung. Ich denke, dass Shruikan sie bewacht.“

Eragon blickte ihn überrascht an.

„Wie kommst du darauf?“

„Der Drache verlässt den Palast nie. Ich habe lange geglaubt, dass der König ihn bei sich behalten will, weil er fürchtet, dass ihm etwas zustoßen könnte. Du weißt, was mit seinem letzten Drachen passiert ist. Doch vielleicht hält er ihn auch hier fest, weil er etwas bewacht.“

Eragon dachte über diese Vermutung nach. Sie erschien ihm einleuchtend.

„Also gehen wir zu Shruikan und suchen dort nach den Eldunarí.“

„Nein, Eragon,“ entgegnete Murtagh. „Du gehst alleine. Ich werde versuchen, von dir abzulenken und dir so etwas Zeit für deine Suche zu verschaffen.“

„Du kommst nicht mit?“ fragte Eragon entgeistert.

Murtagh schüttelte den Kopf.

„Es ist zu gefährlich. Jemand muss dir den Rücken frei halten, für den Fall, dass man dich entdeckt.“

„Aber...“

„Wir haben keine Zeit für sowas,“ unterbrach Murtagh ihn barsch. „Sag deinen Männern, sie sollen den Gang bewachen. Falls etwas schief geht, braucht ihr eine Fluchtmöglichkeit.“

„Sie... sie sind nicht mehr da.“ sagte Eragon leise.

Murtagh starrte ihn.

„Wie... was ist passiert?“

Eragon erzählte ihm mit knappen Worten was geschehen war. Murtagh hörte ihm schweigend zu, doch seinem Gesicht war mehr als deutlich anzusehen, was er von der Geschichte hielt.

„Das war sehr dumm von dir,“ sagte er, als Eragon geendet hatte „Was, wenn sie dich erwischt hätten?!“

„Haben sie aber nicht.“ erwiderte Eragon trotzig.

Murtagh runzelte die Stirn.

„Vielleicht nicht. Aber wenn sie deine kleine Truppe besiegt haben, werden sie bald wissen, dass wir hier sind.“

„Sie würden mich nicht verraten!“ protestierte Eragon laut.

Murtagh grinste schief.

„Du solltest doch mittlerweile wissen, dass es nicht darauf ankommt, was jemand will, Eragon.“

Dieses Mal sagte Eragon nichts mehr. Murtagh betrachtete ihn noch einen Moment, dann richtete er sich auf und schob sich an ihm vorbei. Eragon blickte ihm nach, wie er sich mit sicheren Schritten durch den Gang bewegte. Er hatte das unbestimmte Gefühl, etwas übersehen zu haben.
 

Murtagh war schon fast verschwunden, als es Eragon plötzlich klar wurde.

„Warte!“ Er stürzte nach vorne und packte Murtaghs Schulter. Murtagh blieb stehen und sah ihn genervt an.

„Du hast ihr gesagt...“ begann Eragon. „Aber was ist mit dir? Wie kommst du hier wieder raus?“

Murtaghs Antwort bestand aus einem Lächeln, kalt wie Eis.

„Warte hier.“ sagte er dann. „Ich gebe dir ein Zeichen, wenn du losgehen kannst.“

Er machte sich los und ging zur Leiter. Eragon folgte ihm hastig, aber Murtagh war schneller als er und schon bald im Stall über ihnen verschwunden.

„Verfluchter Dummkopf.“ schimpfte Eragon hilflos und zog sich wieder zurück. Hektisch überdachte er Murtaghs Plan. Und er musste zugeben, dass er das beste war, was sie hatten.

Zu gerne hätte er sich mit Saphira beraten. Aber er wusste, jeder Kontakt zwischen ihm und seinem Drachen konnte Galbatorix verraten dass sie hier waren. Und er wusste auch so ziemlich genau was sie sagen würde.

Lass ihn doch in sein Verderben rennen, wenn er unbedingt will.

Eragon musste gegen seinen Willen lächeln.
 

~
 

Murtagh presste den Rücken gegen die Holzwand des Stallgebäudes und schob sich langsam vorwärts. Der Gang zwischen den beiden weitläufigen Ställen war nur schmal, gerade breit genug für einen Mann.

Nur wenige Meter weiter führte diese schmale Gasse auf einen der kleineren Höfe hinaus. Murtagh atmete erleichtert auf, als er erkannte, dass er Hof bis auf einige wenige Wachmänner leer war. Das bedeutete, dass die Reiter des Tyrannen die Stadt bereits verlassen hatten. Das Glück schien für den Moment auf ihrer Seite zu sein...
 

Der Anfall kam so schnell, dass Murtagh beinahe gestürzt wäre. Stöhnend ließ er sich gegen die Holzwand sinken und wartete darauf, dass sich die wabernde Schwärze vor seinen Augen verzog. Die Wand in seinem Rücken begann zu wackeln, dann zu schwanken. Er krallte sich in den Ritzen zwischen den Brettern fest, um nicht umgeworfen zu werden. Dann...
 

Der Stein war nicht länger grau, sondern leuchtete tiefrot.

Er hob den Kopf und schaute zur Treppe. Schneeweiß erhob sie sich vor ihm, so hell, dass er sie kaum ansehen konnte.

Schwarz hob sich der Umhang des Königs von Rot und Weiß ab, dunkler als die finstersten Schatten seiner Alpträume. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen, kalt und böse.

Es ist vorbei.
 

Murtagh keuchte angestrengt, als das Holz unter seinen Fingern seine Haut aufriss.

Nicht real, es ist nicht real, es ist nicht real... redete er sich selbst immer wieder ein.

Und tatsächlich ließ das Wackeln nach, langsam, so langsam...
 

Durch das Rauschen in seinen Ohren hörte er die Stimme erst, als der Mann ihn schon beinahe erreicht hatte. Murtagh hob den Kopf und sah verschwommen, dass sich der Soldat in seine Richtung bewegte.

„Wer ist da?“fragte eine tiefe Stimme. Murtagh verstand sie kaum. Er stieß sich von der Wand ab und zog langsam sein Schwert. Die Klinge schien unendlich schwer. Nur am Rande bemerkte er, dass seine Finger unversehrt waren.

Der Mann stand jetzt direkt vor ihm. In seiner Hand sah Murtagh eine blanke Klinge, halb erhoben.

„Wer... Aber das...“ Der Unglauben in der Stimme des Mannes verriet Murtagh, dass er ihn erkannt hatte.

Mit letzter Kraft riss er den Arm in die Höhe und rammte dem Soldaten den Knauf seines Schwertes unter das Kinn. Der Mann fiel um wie ein gefällter Baum.
 

Murtagh sank stöhnend in sich zusammen. Vor seinen Augen drehte sich alles.

„Steh auf... steh auf!“ befahl er sich selbst, diesmal laut.

Und er schaffte es tatsächlich.

Er warf einen letzten Blick auf den Hof, dann drehte er sich um und zog sich wieder in die Schatten zurück.
 

Eragon erwartete ihn bereits, ungeduldig wie immer.

Seine Augen leuchteten, als Murtagh ihm von seinen Beobachtungen berichtete. Der Anblick schmerzte mehr als die Nachwirkungen seines Anfalls.

„Also los.“ sagte er schließlich und Eragon nickte.
 

Murtagh war so mit sich selbst beschäftigt, dass er das Flackern in Eragons Augen nicht bemerkte.
 

~
 

Der dunkle Gang schien kein Ende zu nehmen.

Es war beinahe vollkommen still. Die einzigen Geräusche waren das Tropfen von Wasser irgendwo in der Finsternis und das leise Scharren seiner Stiefel auf dem Stein.

Fast glaubte Eragon schon, sich erneut verlaufen zu haben, da machte der Gang einen scharfen Knick und er fand sich vor einer schmalen Treppe wieder, die steil in die Höhe führte.

Eragon lauschte angestrengt, konnte aber nichts hören. Langsam tastete er sich weiter. Immer wieder rutschte er auf dem feuchten Gestein aus, trotzdem wagte er es nicht, den Lichtstein in seiner Hand heller strahlen zu lassen.
 

Die Treppe endete vor einer gemauerten Wand mit einer schmalen Tür darin. Eragon blieb stehen und sah sich um soweit es das kleine Licht zuließ. Die Wände waren glatt, die Tür schien stabil. Sie musste sehr alt sein, denn im Laufe der Zeit war das Holz so hart geworden, dass er es im ersten Moment für Stein gehalten hatte. Eragons Hände suchten nach einem Griff, einem Knauf, irgendetwas. Doch die Tür schien aus einem gewachsenen Stück zu bestehen, ohne die kleinste Unebenheit.

Vorsichtig hob Eragon die freie Hand und klopfte gegen das uralte Holz. Es klang dumpf.

Nervös leckte er sich über die trockenen Lippen. Es musste doch einen Weg hinaus geben, wieso sonst war diese Tür hier?!

Er versuchte es erneut, diesmal an einer anderen Stelle. Der gleiche dumpfe Klang. Doch Eragon gab nicht auf und versuchte es weiter, klopfte die Tür systematisch ab und lauschte angestrengt auf Veränderungen in ihrem Klang.
 

Es dauerte nicht lange, bis seine Geduld belohnt wurde. Eragon klopfte auf eine Stelle dicht unter der Oberkante und diesmal hörte es sich anders an, hohler.

Er hatte es gefunden.

Schnell glitten seine Finger über die glatte Oberfläche und suchten nach einem versteckten Griff, einem Scharnier, irgendetwas was die geheime Tür öffnete.

Was er fand war so klein, dass er es erst beim zweiten Mal bemerkte. Ein winzig kleiner Knopf, gerade groß genug um ihn mit einer Fingerspitze nach unten zu drücken. Es klickte leise, dann schwang die Tür mit einem viel zu lauten Knarren nach außen auf.

Eragon fluchte leise und stürzte nach vorne. Er bekam die Tür zu fassen, doch das Geräusch war so laut gewesen, dass man es sicher im Umkreis einer Meile gehört hatte.

Eragon wartete, eine Minute, zwei, drei. Nichts geschah. Er atmete tief ein und trat dann aus dem Gang hinaus.
 

Der Raum war größer als er erwartet hatte. Eine Wand war komplett von Reihen von Schränken eingenommen. In der Mitte befand sich ein riesiger Holztisch, über und über mit Papieren und Schriften bedeckt.

Eragon schnappte sich einen der Stühle und klemmte ihn so gegen die Tür, dass die sich nicht mehr bewegen ließ. Dann trat er an den Tisch heran und betrachtete die Papiere.

Es handelte sich fast ausnahmslos um lange Listen. Lebensmittel, Stoffe, Haushaltsgüter. Eragon blickte auf. Allem Anschein nach befand er sich in den Räumlichkeiten der Haushälter des Palastes.
 

Er trat um den Tisch herum und hatte die Tür am gegenüberliegenden Ende des Raumes fast erreicht, als er plötzlich Schritte hörte.

Blitzschnell zog Eragon sein Schwert und warf sich an die Wand direkt neben der Tür.

Er hörte, wie ein Schlüssel in das Türschloss gesteckt und herumgedreht wurde. Nur einen Augenblick später wurde die Tür geöffnet und ein älterer Mann trat hinein. Er trug lange, edle Roben, seine grauen Haare lagen eng an seinem Kopf.
 

Der Mann entdeckte die offene Geheimtür und fuhr herum. Er sah Eragon und wollte schreien, doch Eragon war schneller. Er sprang nach vorne und rammte dem Mann seinen Ellbogen an die Schläfe. Der Mann starrte ihn einen Moment lang an, dann verdrehten sich seine Augen in ihren Höhlen und er brach bewusstlos zusammen.
 

Eragon steckte das Schwert wieder weg und starrte auf den Mann zu seinen Füßen. Es würde sicher nicht lange dauern, bis sie nach ihm suchen würden. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Eragon beugte sich zu ihm hinunter und griff nach seinen Schlüsselbund.

Dann verließ er den Raum und schloss die Tür hinter sich ab.
 

Hastig sah er sich um. Die Tür hatte ihn auf einen schmalen Gang hinausgeführt. Links von ihm endete der Weg nach wenigen Metern vor einem hohen Fenster, von dem aus er einen der zahlreichen Höfe sehen konnte. Rechts von ihm ging der Gang weiter.

Eragon wandte sich nach rechts und rannte los.
 

Er hatte sich nicht getäuscht. Der Geheimgang hatte ihn in die Wirtschaftsbereiche des Schlosses geführt. Galbatorix' Räumlichkeiten befanden sich demnach am anderen Ende der Burg, hinter einem weiteren Ring von Verteidigungsmauern. Eragon war zutiefst erleichtert. Die Skizzen, die sie von ihren Spionen bekommen hatten, schienen zu stimmen. Auch wenn er noch immer nicht verstand, wieso ein Palast so viele Geheimgänge brauchte...
 

Bald erreichte er eine Kreuzung. Unschlüssig blieb er stehen und betrachtete die vier Gänge, die von hier aus abzweigten.

Murtagh hatte gesagt, dass er die Eldunarí bei Shruikan vermutete. Anfangs war das Eragon logisch erschienen, doch mittlerweile hatte er Zweifel.

Der König hatte den Drachen mit Magie in seine Dienste gezwungen und das würde Shruikan ihm wohl nie verzeihen. Würde Galbatorix wirklich das Risiko eingehen, diesem Drachen seinen größten Schatz anzuvertrauen? Was, wenn der König dem Drachen nicht traute?

Nein, die Eldunarí waren nicht bei Shruikan.

Doch wo waren sie dann?

Eragon dachte nach. Wo würde er seinen wertvollsten Besitz verstecken? Es musste ein Ort sein, der sicher vor Feinden war, sicher vor Eindringlichen und sicher davor, zufällig entdeckt zu werden. Und es musste ein Ort sein, zu dem er jederzeit Zugang hatte. Sie waren hier in der Stadt, soviel war sicher. Wahrscheinlich sogar hier in dieser Festung. Aber wo?
 

Laute Schritte rissen ihn aus seinen Gedanken. Eragon wirbelte herum und rannte zurück in die Richtung, aus der er gekommen war. Die Schritte waren direkt hinter ihm, schienen näher und näher zu kommen. Er konnte sich gerade noch hinter eine Säule verstecken, als ein halbes Dutzend Krieger auch schon im Gang hinter ihm auftauchte und in seine Richtung lief.

Eragon hielt die Luft an.

Die Soldaten rannten an der Säule vorbei. Sie bemerkten ihn nicht.

Eragon atmete keuchend aus und lehnte sich schwer an die Wand in seinem Rücken. Wenn er nicht bald in einem von Galbatorix' finstersten Kerkern landen wollte, musste er besser aufpassen.

Seine Augen weiteten sich.

Und plötzlich wusste er, wo die Eldunarí waren.
 

~
 

Es war, als hätte sein Geist seinen Körper verlassen. Er sah sich selbst, wie er langsam den Gang entlang ging, ruhig, entschlossen, endgültig.

Irgendwo tief in seinem Inneren wusste er, dass er fliehen sollte solange er noch konnte. Doch seine Beine bewegten sich weiter, ohne dass er etwas dagegen tun konnte...
 

Murtagh schüttelte den Kopf. Es war absurd. Da war niemand, niemand außer ihm selbst. Er war es, der einen Fuß vor den anderen setzte und dem Ziel seiner Reise langsam näherkam.

Das Gefühl war seltsam fremd.
 

Die Gänge sahen genauso aus wie er sie in Erinnerung hatte. Sie lagen still und leer vor ihm, doch Murtagh wusste, dass ihm zahllose Augen und Ohren auf seinem Weg begleiteten. Und es war ihm gleich, konnte er doch eh nichts daran ändern. Er hoffte nur, dass Eragon seinem Rat gefolgt war und sich weit weg befand.

Der Gedanke berührte etwas in ihm, durchdrang die Kälte in seinen Gedanken wie ein warmer Sonnenstrahl.

Er kämpfte das Gefühl beiseite.
 

Die Tore tauchten vor ihm auf. Es erstaunte ihn nicht, sie weit geöffnet vor sich zu sehen.
 

Galbatorix stand in der Mitte des riesigen Saals und lächelte, als er Murtagh auf sich zukommen sah.
 

„Ich habe auf dich gewartet.“
 

Die Tore schlossen sich hinter ihm, lautlos, unabwendbar.
 

~
 

Eragon rannte so schnell er konnte.

Er hörte seine Verfolger schon seit einigen Minuten nicht mehr, doch das hieß nicht, dass sie nicht mehr da waren. Er hatte sein Schicksal bereits mehrmals herausgefordert und war nur knapp entkommen, noch einmal würde ihm das nicht passieren.
 

Nur am Rande nahm er seine Umgebung wahr. Der Gang war breit. Auf der linken Seite reihten sich beinahe bodentiefe Fenster aneinander, zwischen ihnen kunstvoll verzierte Säulen. Rechts von ihm bedeckten riesige Gemälde in gewaltigen Rahmen die dunklen Wände. Aus dem Augenwinkel erkannte er riesige Heere, Flammen und Drachen, schwarz wie die Nacht.

Eragon lief um die nächste Ecke und blieb schwer atmend stehen.
 

Der Gang vor ihm glich dem, durch den er gerade gekommen war. Mit einer Ausnahme.

Vor ihm, etwa dreißig Schritte entfernt, endete der Weg vor dem größten Tor, das Eragon je gesehen hatte. Die beiden gigantischen Torflügel waren dunkel, beinahe schwarz, und schienen zu schwer um von einem Menschen bewegt zu werden.

Eragon starrte das Tor an, unschlüssig, was er nun tun sollte. Er drehte sich um. Der Gang hinter ihm war noch immer leer. Er runzelte die Stirn und lauschte einen Moment lang auf verdächtige Geräusche, doch es blieb still. Er dachte nach. Er könnte umkehren und versuchen, einen anderen Weg hinunter in die Gruften und Kerker zu finden. Allerdings hatte er auf dem ganzen Weg hierher keine einzige Tür entdecken können. Er wandte sich wieder um und betrachtete das Tor vor sich. Die andere Möglichkeit wäre, herauszufinden, wohin dieser Weg führte.

Nein, nicht „herauszufinden“. Eragon wusste genau, was sich hinter diesem Tor befand. Der prächtig dekorierte Gang und die gewaltigen Türflügel ließen nur einen Schluss zu.

Er befand sich vor Galbatorix' Thronsaal.
 

~
 

Der Thronsaal...
 

Plötzlich nervös biss Eragon sich auf die Lippen. Was sollte er tun? Sollte er fliehen und Verstärkung suchen? Sollte er bleiben und Galbatorix gegenübertreten? Konnte er das? Wollte er das?
 

Sein Körper schien seine Entscheidung bereits getroffen zu haben. Ohne, dass er etwas dagegen tun konnte, hatten seine Hände zu zittern begonnen. Unbewusst wich er einen Schritt zurück.

Nein, er konnte es nicht. Er war noch nicht bereit für diese Konfrontation. Er war nicht stark genug. Und er war völlig alleine.

Andererseits war er doch genau deswegen hergekommen! Er wusste, dass es eines Tages zu diesem Kampf kommen würde, kommen musste! Und wenn es soweit war, dann durfte er nicht zurückweichen! Wenn er jetzt floh, dann hatte er bereits verloren!
 

Eragon schüttelte den Kopf und wandte sich wieder dem Tor zu.

Erst jetzt bemerkte er, dass es nicht ganz geschlossen war. Ein Spalt, gerade so breit, dass sich ein schlanker Mann hindurchzwängen konnte, stand offen und gewährte einen Einblick in den Saal. War der Spalt vor einer Minute auch schon dagewesen? Eragon wusste es nicht mehr.

Langsam trat er an das Tor heran und blickte durch die schmale Öffnung.
 

Der Saal war groß, aber nicht so riesig, wie Eragon ihn sich unbewusst vorgestellt hatte. Die Wände waren hoch und trugen ein gewaltiges Gewölbe. Im Gegensatz zu den Gängen vor den Toren hingen im Saal keinerlei Bilder. Dafür bedeckten riesige Reliefs die dunklen Wände. Es waren ausschließlich Kriegsszenen. An der Wand gegenüber des Tors konnte er ein Stück eines großen dunklen Throns erkennen. Der Saal war leer, bis auf...
 

Ein unterdrückter Schrei zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Eragon verlagerte seine Position und versuchte, den Ursprung des Geräusches auszumachen. Sein Blick fiel auf eine Reihe von Männern, die auf der rechten Seite des Saals knieten. Bestürzt bemerkte er, dass nicht wenige von ihnen aus verschiedenen Wunden bluteten. Der Schrei musste von einem von ihnen gekommen sein.

Der Gedanke ließ etwas in ihm aufflammen. Mit einer entschlossenen Bewegung stand Eragon auf und stieß die Torflügel auf. Nur am Rande nahm er wahr, dass es viel einfacher ging als er erwartet hatte.
 

Langsam betrat Eragon den Thronsaal.

Jetzt merkte er, dass sich außer den verletzten Männern an der Wand noch zwei weitere Personen im Saal befanden.

Murtagh stand links von ihm und drehte den Kopf in seine Richtung, als er ihn hörte. Blut tropfte von seiner Klinge und bildete eine glänzende Pfütze auf dem dunklen Boden zu seinen Füßen. Wessen Blut? Eragon konnte es nicht erkennen.

Murtagh gegenüber stand ein weiterer Mann.

Ein eisiger Schauer durchlief Eragons Körper als ihm klar wurde, dass das Galbatorix sein musste.
 

Der König sah anders aus, als Eragon ihn sich vorgestellt hatte. Hätte er nicht gewusst, dass es sich um den Tyrannen handelt, er hätte ihn für einen normalen alten Mann gehalten. Er war nicht größer als er selbst, kräftig, aber nicht übermäßig muskulös. Sein Haar war kurz geschnitten und beinahe weiß, sein Gesicht hart und streng. Hell reflektierte seine blanke Rüstung das Licht, dass durch die hohen Fenster in den Saal floss, und sein tiefschwarzer Umhang war so lang, dass er den Boden um seine Füße bedeckte wie samtene Dunkelheit.

Eragon war irritiert. Das war der Mann, vor dem sich ein ganzes Reich fürchtete? Er konnte es kaum glauben!

Dann aber hob der König den Kopf und sah ihm direkt in die Augen.

Und Eragon erstarrte.
 

Galbatorix' Augen waren so hell, dass sie beinahe weiß erschienen. Und aus ihnen sprach eine Kälte, die Eragon das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Nein, dieser Mann war kein normaler Mann. Er war nicht einmal mehr ein Mensch. Er war ein Monster, ein Fremdkörper, eine Perversion. Und er musste vernichtet werden, bevor er mit seinen Augen eine ganze Welt zu kalter Asche verbrannte!
 

„Endlich begegnen wir uns, Eierdieb,“ richtete der König jetzt das Wort an ihn. Seine Stimme war ebenso kalt wie seine Augen und jagte Eragon kalte Schauer über den Rücken.

„Du kommst später als ich angenommen habe.“

Mit einer Hand machte er eine einladende Bewegung.

„Ich wollte dir eine angemessene Begrüßung bereiten, doch leider hat sich alles etwas anders entwickelt als ich es geplant hatte. Ich hoffe du kannst mir verzeihen.“

Eragon schluckte schwer. Er wollte antworten, doch die Worte weigerten sich, seinen Mund zu verlassen.

Er warf einen schnellen Blick auf Murtagh, hoffte, dass er etwas sagen, etwas tun würde. Doch ein Blick in Murtaghs Gesicht zerschlug seine Hoffnungen. Sein Bruder war blass und in seinen Augen lag eine so tiefe Traurigkeit, dass es Eragon die Kehle zuschnürte.
 

Der König lachte auf.

„Hat es dir die Stimme verschlagen? Oder ist es das schlechte Gewissen eines Eindringlings, das dich plagt?“

Eragon schüttelte schwach den Kopf. Er war völlig verwirrt. Der König hatte doch nicht gewusst, dass sie hier waren! Sonst wären sie doch nie so weit gekommen! Sie hätten nie...
 

„Habt ihr etwa wirklich geglaubt, ihr könntet euch wie Diebe in mein Schloss stehlen?“ führte der König seinen Gedanken zuende. Ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Kalt und glatt und furchterregend brannte es sich direkt in Eragons Seele, lähmend, tödlich. Und Eragon begriff.

Der König hatte gewusst, dass sie hier waren. Nein, es war mehr als das. Der König hatte gewollt, dass sie es bis hierher schafften, dass er es bis hierher schaffte!
 

Eragon sackte in sich zusammen, als all seine Pläne vor ihm zu kaltem Staub zerfielen.

Der König trat auf ihn zu, einen Schritt, dann noch einen. Eragon wollte instinktiv zurückweichen, doch seine Beine wollten sich nicht bewegen. Es war vorbei, vorbei, vorbei...
 

„Du enttäuschst mich,“ sagte der König und betrachtete Eragon abschätzig. „Auch wenn es dich bei dir um einen einfachen Bauern handelt, etwas mehr hätte ich schon von dir erwartet.“

Er griff an seinen Gürtel und zog ein gewaltiges Schwert. Die Klinge war ebenso schwarz wie sein Umhang, wie sein Drache, wie seine Seele.
 

Der Anblick der schimmernden Klinge schien eine Tür tief in Eragons Inneren zu öffnen. Trotz stieg in ihm auf. Er schluckte seinen Zorn und seine Angst mühsam herunter und straffte sich.

„Die Männer,“ Er deutete auf die Soldaten, die noch immer entlang der Wand auf dem Boden knieten. „Lasst sie frei. Ich bin es den Ihr wollt, sie haben nichts damit zu tun.“
 

Galbatorix sah ihn einen Augenblick lang beinahe verblüfft an. Dann wandelte sich sein Gesichtsausdruck und seine Züge wurden von unbändigem Zorn verzerrt.

„Du wagst es, mich derart anzusprechen? Für wen hältst du dich, dass du glaubst, mir Befehle erteilen zu können?!“

„Lasst sie frei.“ sagte Eragon erneut und so entschieden wie er konnte.

Galbatorix spie auf den Boden und betrachtete Eragon so hasserfüllt, dass der unbewusst zurückwich.

„Ich habe dich ja für dumm gehalten, mein Junge. Aber scheinbar bist du nicht nur das, sondern völlig verrückt! Hast du überhaupt eine Ahnung, wer diese Männer sind?“

„Das ist mir gleich. Lasst sie frei.“

Ein kaltes Lächeln erschien auf Galbatorix' Gesicht.

„Du weißt es nicht. Nun, wie könntest du auch. Aber ich werde es dir erklären. Sie sind Verräter, die glaubten, sie könnten sich auf die Seite meiner Feinde stellen. Und dafür gibt es nur eine mögliche Bestrafung.“

Eragon versuchte, seinem Blick standzuhalten, doch es gelang ihm kaum. In den hellen Augen des Königs loderte ein Feuer, so eisig, so feindselig, dass er sich beinahe sicher war, dass es den Tod bedeuten würde, sie zu lange anzusehen. Dunkle Flammen traten aus ihren weißen Tiefen, griffen nach ihm, leckten an seiner Kleidung, hüllten ihn ein. Eragon keuchte auf, versuchte, gegen die Vision anzukämpfen. Er hörte ein Lachen, irgendwo aus den brüllenden Flammen, die kalt waren, so kalt...
 

Dann verschwanden die Bilder und warfen ihn zurück in die Realität. Eragon prallte wie von einer unsichtbaren Faust getroffen zurück. Nur langsam gelang es ihm, sich wieder zu orientieren. Der König stand noch immer vor ihm und blickte ihn an. Hatte er sich das alles nur eingebildet?!

Eragon schüttelte den Kopf. Das hier war die Wirklichkeit, oder? Sie musste es sein!

„Lasst sie... lasst sie gehen...“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Krächzen. „Bitte...“

Galbatorix' starrte ihn an.

„Was denn, du bittest mich?“ Er hob den freien Arm und deutete auf die Männer an der Wand. „Und wenn ich deiner Bitte folge, was bist du bereit dafür zu geben? Würdest du an ihrer Stelle in den Tod gehen?“

Eragon antwortete nicht.

Der König lächelte böse.

„Dachte ich es mir doch. Große Worte sind immer leichter als große Taten, nicht wahr, Eragon?“

Es war das erste Mal, dass der Tyrann seinen Namen aussprach und es klang falsch, so falsch.

Der König wandte sich von ihm ab und trat zu den Gefangenen. Eragon konnte ihn nicht aufhalten, als er seine Hände hob und zu sprechen begann. Er konnte nur dastehen und zusehen, wie der Tyrann die Männer ermordete.

Und seine eigene Feigheit schmerzte mehr als alle seine Worte.
 

Im ersten Moment passierte gar nichts.

Doch dann spürte Eragon die grauenvolle Kraft, die von Galbatorix ausging und sich über die Männer legte wie eine Decke aus eisiger Dunkelheit. Dann ging alles furchtbar schnell. Die Männer wanden sich wie unter unsichtbaren Peitschenhieben. Wie aus dem Nichts platzen Wunden in ihren Gesichtern, auf ihren Armen und Händen auf. Tiefrotes Blut ergoss sich über den spiegelnden Boden. Die Männer schrien panisch und voller Qual. Sie schlugen die Hände vor die Gesichter und versuchten, die Ströme zu stoppen. Doch nichts konnte den Schwall aus heißem Blut aufhalten, der das Leben aus ihren Körpern riss, unaufhaltsam.
 

Eragon schrie entsetzt auf und wollte nach vorne stürzen, um ihnen zu helfen, doch plötzlich war Murtagh hinter ihm und zerrte ihn zurück.

„Du kannst nichts tun.“ Seine Stimme war nur leise und so erschreckend ruhig, dass Eragon ihn am liebsten niedergeschlagen hätte. Verzweifelt wand er sich in Murtaghs Griff, doch sein Bruder ließ ihn nicht los.

So blieb ihm nichts anderes übrig, als fassungslos dabei zuzusehen wie die Männer vor seinen Augen qualvoll verbluteten.
 

Irgendwann lockerte Murtagh seinen Griff. Augenblicklich fuhr Eragon herum und schlug nach ihm, doch Murtagh reagierte blitzschnell. Er packte Eragons Faust und verdrehte ihm mit einer geschickten Bewegung den Arm auf den Rücken. Eragon keuchte vor Schmerz und Wut.

„Lass mich los, verdammt! Ich hätte sie retten können!“

Murtagh ließ ihn tatsächlich los und trat einen Schritt zurück. Eragon drehte sich zu ihm um und starrte ihn an. Heiße Tränen liefen über sein Gesicht, doch er bemerkte es kaum.

„Wieso hast du das getan?! Ich hätte sie alle retten können!“

Murtagh schüttelte den Kopf.

„Es war zu spät. Du hättest nichts für sie tun können.“

„Du lügst! Ich hätte...“
 

Ein lautes Lachen hinter ihm erstickten Eragons Worte.

Er fuhr herum und blickte auf Galbatorix, der noch immer zwischen ihnen und den Leichen der Männer stand und sie belustigt beobachtete.

„Du solltest auf ihn hören, Junge,“ Er legte den Kopf schief und betrachtete Eragon. „Er weiß, wovon er spricht. Nicht wahr, Murtagh?“

Murtagh starrte ihn an, sagte aber nichts.

Eragons Blick fiel auf die blutrote Klinge an seiner Seite. Ein eisiger Schauer lief seinen Rücken hinunter.

„Hast du etwa...?“

„Nein.“ antwortete Murtagh sofort, doch Eragon fiel es schwer, ihm zu glauben.
 

„Auch wenn ich euren kleinen Streit wirklich genieße,“ sagte Galbatorix jetzt und kam langsam auf sie zu. „Ich muss euch leider unterbrechen. Es ist an der Zeit, den Unruhestiftern vor meinen Toren klarzumachen, dass dieser alberne Krieg vorbei ist.“

„Es ist nicht vorbei.“ widersprach Eragon augenblicklich.

Das eisige Lächeln auf Galbatorix' Gesicht erstarb.

„Doch, mein Junge, das ist es,“ Sein Blick wäre mitleidig gewesen, wäre die abgrundtiefe Kälte nicht gewesen.. „Du hast es noch immer nicht verstanden, oder?

Eragon schüttelte trotzig den Kopf.

„Wie tragisch. Wenn auch vorhersehbar. Und was dich angeht,“ Galbatorix wandte sich an Murtagh, der augenblicklich erstarrte. „Deine Dienste werden nicht länger benötigt. Du hast mich mehr als einmal enttäuscht, aber am Ende warst du immerhin zu einer Sache nützlich. Du hast ihn hergebracht. Und dafür sollst du belohnt werden.“

„Ich komme nicht deswegen,“ antwortete Murtagh langsam. „Ich bin hier um Euch zu töten.“

Der König sah ihn belustigt an.

„Tatsächlich? Du willst mich töten? Hat dieser Bauernjunge jetzt auch noch das letzte Bisschen Verstand aus deinem Kopf vertrieben?“

Murtagh stieß ein leises Keuchen aus.

Die Verzweiflung in seinem Gesicht traf Eragon tief. Er wollte etwas sagen, doch sein Hals war völlig ausgetrocknet.

Langsam erkannte er, dass es ein furchtbarer Fehler gewesen war, hierher zu kommen, ohne Freunde, ohne Soldaten, ohne Saphira! Was konnte er schon ausrichten?! Er hatte sich dem König ausgeliefert und damit womöglich das Schicksal der Rebellen besiegelt!
 

Galbatorix betrachtete ihn interessiert.

„Mir scheint, dass du nun endlich verstehst,“ Er lächelte kalt. „Das hier ist nicht dein Kampf. Du hast es versucht und ich habe dich eine Weile spielen lassen. Doch du beginnst mich zu langweilen. Du bist kein Drachenreiter und du wirst nie einer sein.“
 

Die Worte taten weh und Eragon spürte, wie heißer Zorn in ihm aufstieg. Er versuchte, ihn herunter zu schlucken. Er würde sich nicht provozieren lassen. Dieser Mann vor ihm war der Grund seines Kampfes, sein Schicksal. Er war hier um ihn zu töten. Und was immer er sagte, Saphira hatte ihn als ihren Reiter ausgewählt und er würde seine Pflicht erfüllen, jetzt mehr denn je!

Mit einer langsamen Bewegung zog er sein Schwert. Im hellen Licht schimmerte die blaue Klinge wie Saphiras Schuppen, wenn sie durch warmen Regen flog.
 

Galbatorix' musterte ihn, die grausamen Augen zu schmalen Schlitzen verengt.

„Ihr Menschen... so mutig, so heldenhaft, so dumm. Es wird mir ein Vergnügen sein, dich sterben zu sehen,“

Seine Stimme schien mit jedem Wort lauter zu werden, hallte schließlich durch den Saal wie ein tausendfaches Echo. „Und es wird kein schneller Tod werden. Ich werde dich zerbrechen und sie alle werden dabei zusehen, wie du zu meinen Füßen liegst und um Gnade bettelst!“

Eragon entfuhr ein leiser Schrei, als er unter dem Tosen seiner Stimme zusammenfuhr wie unter einem Regen aus Scherben, die sich in seine Haut bohrten, überall.

Doch es waren nicht alleine Galbatorix' Worte, die ihn vor Angst fast lähmten. Nein, irgendetwas ging von diesem Mann aus, umgab ihn wie eine Aura. Etwas schreckliches, kaltes und unglaublich mächtiges.

Sein ganzer Körper bebte. Nur mühsam gelang es ihm, nicht vor Angst zu schreien.

Er war kein Mensch, er war kein Mensch! Dieser Mann hatte den Tod gesehen und ihn bezwungen!

Die Stimme wurde noch lauter, brachte Eragon an den Rand des Wahnsinns. Er schrie, doch seine eigene Stimme verschwand im Tosen von Galbatorix' Worten.

„Es wäre besser gewesen, du hättest dein kleines Dorf nie verlassen! ES WÄRE BESSER GEWESEN, DU WÄRST NIE GEBOREN!“
 

Ein lautes Klirren riss Eragon zurück in die Wirklichkeit und er bemerkte verstört, dass es seine Klinge gewesen war, die das Geräusch verursacht hatte.

Brisingr lag auf dem dunklen Boden neben ihm. Er hatte das Schwert fallen lassen, als die Worte sich in seinen Kopf gebohrt hatten, tiefer und tiefer.

Langsam ließ er die Hände sinken, voller Angst vor einem neuen Angriff. Sie waren schweißnass, wie der Rest seines Körpers. Trotzdem zitterte er so heftig, dass er kaum noch aufrecht stehen konnte. Gehetzt sah er sich zu Murtagh um. Sein Bruder stand nur wenige Schritte von ihm entfernt, sein Gesicht eine Maske aus Gleichgültigkeit. Das konnte doch nicht sein! Er musste es doch auch gespürt haben!

Als hätte er seine Gedanken gehört drehte Murtagh sich zu ihm um. Auf seinem Gesicht breitete sich ein Lächeln aus, dass Eragon bis ins Mark erschütterte.
 

„Nein...“
 

Seine Stimme verhallte ungehört, als Murtagh auf ihn zukam, langsam. Er hob sein Schwert. Die blutrote Klinge wies direkt auf ihn.

Und plötzlich wusste Eragon, wieso Murtagh zurückgekommen war, wieso er ihm von den geheimen Wegen erzählt hatte, wieso er ihn hierher geführt hatte.
 

„Mein König, ich bringe Euch Eragon, den Drachenreiter der Varden. Den letzten freien Reiter von Alagaësia.“
 

~
 

Alle Luft schien aus Eragons Lungen gepresst zu werden. Fassungslos sah er Murtagh an, sicher, die Lüge in seinen Augen erkennen zu können. Doch so sehr er auch suchte, er fand nichts außer kalter Leere.

Verzweiflung, Enttäuschung, Wut, Angst... alles stürzte über ihm zusammen wie eine Flutwelle, als ihm klarwurde, was Murtaghs Worte bedeuteten.

Es war eine Falle gewesen, von Anfang an. Und er war direkt hineingelaufen.
 

Wie zur Bestätigung griff Murtagh an seinen Hals und zerriss mit einem Ruck das dünne Lederband, an dem das kleine Amulett hing.

Mit einer kurzen Bewegung schmiss er es Eragon vor die Füße.

Eragon starrte erschüttert auf die Kette auf dem Boden und sein Verstand schien nicht zu begreifen was er sah.

„Du hättest auf sie hören sollen, Schattentöter. Du kannst mir nicht trauen.“ Murtaghs Stimme war kalt und schneidend wie Glas.

Eragon schüttelte schwach den Kopf. Lüge, es war eine Lüge. Es musste so sein! Das musste ein Trick sein, ja, Murtagh spielte ihm das nur vor, um Galbatorix in die Irre zu führen!

Doch diese grauen Augen, die auf ihn herabsahen als wäre er ein Fremder, waren das die Augen eines Lügners?
 

„Wieso...?“ presste er mühsam hervor. Ihm war so übel. Jetzt wusste er, wieso Murtagh ihm von Galbatorix' Geheimnis erzählen konnte...

„Ich habe dir vertraut...“

„Sieh es ein, Eragon,“ sagte Murtagh böse. „Es ist vorbei. Es ist nichts weiter als ein Spiel. Und ihr hattet nie eine Chance.“

Mit diesen Worten wandte er Eragon den Rücken zu und ging zu Galbatorix zurück.
 

Eragon spürte, wie seine Augen zu brennen begannen.

Er fühlte sich verraten, verloren, verkauft. Er hatte alles versucht, alles getan, aber Murtagh hatte ihn im Sich gelassen. Schon wieder. Und es tat so weh.

Wieso hörte er nicht endlich auf, wieso kämpfte er immer noch? Was hatte die Welt für einen Sinn, wenn man niemandem trauen konnte? Wenn man alles opferte und dafür doch nur mit Füßen getreten wurde?
 

Eragon richtete sich auf, langsam, schwerfällig. Er betrachtete seine Gegner, die vor ihm standen, so nah und doch unendlich weit fort. Und plötzlich war sein Kopf seltsam klar.

Er trat zurück, erst einen Schritt, dann noch einen. Weiter immer weiter. Sein Rücken traf auf die kühlen Türen des Saals.

Nein, er würde nicht zulassen, dass es so endete.
 

Eragon drehte sich um und rannte aus dem Saal.

Niemand folgte ihm.
 

~
 

Gehetzt lauschte er auf Schritte hinter sich, doch es blieb still. Eragon lief noch einige Meter weiter, dann blieb er stehen und beugte sich schwer atmend nach vorne.

Er hatte keine Ahnung wo er war. Ein Gang hatte wie der andere ausgesehen, eine Tür wie die zuvor.

Er erhob sich und sah sich um. Der Gang hinter ihm war leer, nichts war zu hören. Das sollte ihn erleichtern, stattdessen hatte er ein schreckliches Gefühl von Falschheit.
 

Eragon schüttelte den Gedanken ab. Er war entkommen, das war alles was zählte. Er musste sich jetzt darauf konzentrieren, die anderen zu finden. Er trat an das nächste Fenster und blickte hinaus. Er hatte erneut Glück, denn er blickte direkt in Richtung des Haupttores der Stadt. Die Truppen der Rebellen hatten die letzten Verteidigungsringe des Königs überwunden und befanden sich nun direkt vor der Stadt. Die Siedlungen vor den Mauern standen in Flammen. Zahllose Existenzen, unwiderruflich zerstört. Und die Krieger stiegen über sie hinweg als wären sie nie dort gewesen...
 

Eragon riss sich von dem Anblick los und lief weiter. Die Gänge waren jetzt schmaler und weniger prachtvoll.

Er bog um die nächste Ecke und bleib stehen. Der Gang endete nur wenige Meter vor ihm. Es gab nur eine einzige Tür, die einen Spalt offen stand. Eragon zögerte einen Moment, dann ging er weiter, stieß sie auf...
 

... und fand sich plötzlich im Thronsaal wieder.
 

~
 

Im ersten Moment war er so geschockt, dass der Anblick seinen Verstand gar nicht zu erreichen schien.

Vor ihm stand der König, ruhig, erhaben und mit einem Blick, der seine Hände zum zittern brachte.

Murtagh stand neben ihm, aber im Gegensatz zum König hatte er den Blick abgewandt.

Völlig verstört drehte Eragon sich um. Hinter ihm erhoben sich die Tore. Von der schmalen Tür, durch die er eben noch gegangen war, war nichts zu sehen. Das konnte doch nicht sein. Das war völlig verrückt! Er hatte die Tür gesehen, er hatte sie berührt, er hatte...
 

Langsam sickerte die Erkenntnis in seinen Verstand und als er es endlich begriff, war die Erklärung so grausam, dass sein Verstand sich weigerte, es zu glauben.

Der König hatte ihn entkommen lassen, weil er genau gewusst hatte, dass sein Weg Eragon wieder zu ihm zurückführen würde. Seine ganze Flucht war nur ein weiterer Teil seines perversen Spiels gewesen. Er warf einen Blick zu Murtagh, doch sein Bruder sah ihn nur düster, fast traurig an. Als habe er genau gewusst, was passieren würde. In diesem Moment hasste Eragon ihn so sehr, dass es ihm die Kehle zuschnürte.
 

„Vergiss' nicht, wo du hier bist, Eragon,“ sagte Galbatorix jetzt und musterte ihn gehässig. „Das hier ist mein Reich. Diese Welt folgt meinen Gesetzen und nichts, was du tust, wird daran etwas ändern können.“
 

Ein Knall hinter ihm ließ Eragon zusammenfahren. Er musste sich nicht herumdrehen um zu wissen, dass die Tore sich unwiderruflich geschlossen hatten.
 

„Jetzt gehörst du mir. Und ich werde deine Gesellschaft genießen, das kannst du mir glauben.“

Seine Stimme drängte sich in Eragons Verstand, bohrte sich hinein wie eine Klinge, schlug nach ihm, stach nach ihm. Er wehrte sich nach Kräften, dennoch konnte spüren, wie die Mauern, die seine Seele zusammenhielten, langsam zu bröckeln begannen. Und er wusste, wenn der König weitersprach würden sie fallen und er wurde zerbrechen, schrecklich, hilflos, für immer.

„Auch wenn du es mir fast schon zu einfach gemacht hast. Du bist eine einzige Enttäuschung, nicht nur für mich, sondern auch für deine Leute.“

Er hatte recht, so recht...

„Sie werden für dich sterben. Und die wenigen, die überleben, werden erkennen, wie bedeutungslos diese Tode sein werde. Denn das ist es, was sie sind. Und was du bist. Bedeutungslos. Nichts als ein Hauch in der Unendlichkeit. Wertlos, vergessen.“

...so recht... Eragon war schwach, zu schwach für diesen Krieg, für dieses Schicksal, für dieses Leben.

„Und sie werden wissen, dass du sie verraten hast. Dass du sie verkauft hast, um deine eigene Seele zu retten. Denn das ist es, was geschehen wird. Du wirst schreien und mich anflehen, dich zu töten.“

Er war alleine, verlassen und alleine. Und der Tod lauerte auf ihn, stand vor ihm, über ihm. Doch es machte nichts, denn er war sowieso schon verloren. Und sein Tod wurde zur Erlösung...

„Doch ich werde dir diesen Wunsch nicht erfüllen. Du wirst leben, bis dein Körper zu Staub zerfällt und deine Seele nur noch ein Schatten ist, geworfen von einem Leben, dass nie ein solches war...“
 

~
 

Murtagh konnte sehen wie Eragon unter den Worten des Königs zusammenfuhr. Er konnte den Schmerz sehen der seine Augen erfüllte. Doch er musste es zulassen, musste zulassen, dass Galbatorix sich in Eragons Verstand bohrte, wie er es so oft bei ihm selbst getan hatte. Nur so fand er vielleicht eine Gelegenheit, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Seine letzte Chance, doch noch zu siegen. Sie war klein, winzig, aber sie war alles was er noch hatte.
 

Galbatorix sah Eragon an, während er sprach, in seinen Augen jene grausame Belustigung, die Murtagh so gut kannte. Er sah, wie Eragon unter seiner Macht zusammensank, mehr und mehr. Er sah, wie sich die Leere in seinem Gesicht ausbreitete und er schaffte es kaum noch, sich zu beherrschen. Fest umklammerte seine eiskalte Hand sein Schwert.

Warte, warte, warte...
 

Tränen liefen über Eragons Gesicht und nahmen seine Seele mit sich, schleichend, unaufhaltsam.

Eragon starb, mit jedem Atemzug ein wenig mehr. Der Anblick zerbrach etwas in ihm, doch Murtagh zwang sich dazu, sich nicht abzuwenden.
 

Dann war sie da, die Gelegenheit!

Eragon brach in die Knie, seine Beine und Arme zu schwach, um sein Gewicht zu halten, seine Augen erloschen.
 

Mit einem wilden Brüllen hechtete Murtagh nach vorne. Sein Schwert surrte durch die Luft, so schnell, dass sogar er selbst es kaum noch wahrnahm.

Mit aller Kraft die er aufbringen konnte stieß er die Klinge nach vorne. Seine Bewegungen waren so schnell, dass Galbatorix keine Gelegenheit fand zu reagieren.

Die rote Klinge bohrte sich durch seine Rüstung wie durch Papier, durchschlug das Kettenhemd und das Leder darunter. Der Körper des Königs wurde von der Wucht des Schlages nach vorne gerissen, sein Blut ergoss sich einer Fontäne gleich über den Boden. Er stieß ein tiefes Keuchen aus, dann sank er auf die Knie.

Murtagh brüllte innerlich auf und zog die Klinge langsam wieder aus dem Körper des Tyrannen hervor.

Er hatte es geschafft! Nicht einmal Galbatorix würde so einen Angriff ohne weiteres überstehen. Und er würde ihm nicht die Gelegenheit geben, Magie einzusetzen!

Murtagh hob Zar'roc über den Kopf, holte aus, bereit, den König mit einem letzten Schlag zu enthaupten...
 

... da erhob der sich plötzlich und drehte sich zu ihm herum. Seine kalten Augen richteten sich auf ihn und Murtagh war plötzlich nicht mehr in der Lage sich zu bewegen. Das Schwert entglitt seinen tauben Händen und fiel klirrend zu Boden. Galbatorix kam auf ihn zu, langsam, ruhig. Murtagh wollte rennen, alles in ihm schrie nach Flucht, doch sein Körper rührte sich nicht von der Stelle.

Galbatorix blieb so nah vor ihm stehen, dass Murtagh sein eigenes Spiegelbild in den eisigen Meeren seiner Augen sehen konnte. Das Entsetzen und die abgrundtiefe Angst in ihm war so groß, dass er beinahe das Bewusstsein verlor.

Der König betrachtete ihn lange. Dann begann er zu lachen. Ein wildes, schreckliches Lachen, das sein Gesicht zu einer hässlichen Fratze verzerrte.

„Du dummer Junge.“ sagte er dann. Seine Stimme war ruhig, so verdammt ruhig.

Murtagh wollte schreien, doch aus seiner Kehle drang nur ein hilfloses Röcheln. Er spürte heiße Tränen auf seinem Gesicht. Er hatte nicht einmal gemerkt, dass er weinte.
 

Er sah die kurze Klinge des Dolches kommen, blitzschnell schoss sie auf ihn zu. Verzweifelt kämpfte er gegen den eisernen Griff des Königs an, mit dem er seinen Geist noch immer fest umklammert hielt. Halb wahnsinnig vor Angst kämpfte er gegen die Taubheit seiner Glieder an, doch sein Körper schien bereits tot zu sein.

Nein, nein! Ich kann so nicht sterben. Ich will so nicht sterben!

Ein schrecklicher Schmerz, schlimmer als alles was er jemals gefühlt hatte.

Ein warmes, klebriges Gefühl auf der Haut. Er konnte nicht atmen. Er keuchte heftig, seine Lungen brüllten nach Luft, doch die kam nicht. Sein Mund füllte sich mit heißem Blut, er hustete gequält, doch es wurde mehr, immer mehr. Die Welt um ihn herum wurde stiller und stiller. Alles verschwamm vor seinen Augen. Er presste die Lider aufeinander und öffnete die Augen wieder. Aber der Nebel wollte nicht verschwinden. Er spürte einen heftigen Ruck, dann stürzte er.
 

Jemand war da. Beugte sich über ihn. Er konnte ein Gesicht sehen, blaue Augen, die auf ihn herunter sahen. Der andere sagte etwas, seine Lippen bewegten sich, aber er konnte ihn nicht verstehen.

Er versuchte zu sprechen, versuchte zu schreien!

Es tut weh, es tut so weh!

Der Nebel wich Schwärze, so tief wie er es noch nie gesehen hatte. Alles war so weit weg...

Dann...

Nichts mehr...
 

+++
 

Wenn ich Band 4 durch habe, werde ich sofort an Kapitel 8 weiterschreiben.

Ich kann euch aber jetzt schon sagen, dass sich diese Fanfic wohl weiterhin auf die Bände 1-3 beziehen wird. Der Plot steht schon so lange fest und gefällt mir so gut, ich will ihn nur ungerne verändern.



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Kommentare zu dieser Fanfic (22)
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Von:  MikaChan88
2012-08-26T11:10:59+00:00 26.08.2012 13:10
total super ff ^-^

cu,
MikaChan
Von:  Lumikki
2011-11-20T13:40:37+00:00 20.11.2011 14:40
Nun habe ich endlich die Zeit gefunden mir deine neuen Kapitel durchzulesen. Und nun mal meine Bewertung, ich liebe deinen Schreibstil, du zauberst die Worte so wundervol zusammen und auch die Story enthält einen roten Faden, aber auch wie du die Charaktere beschreibst, sie handeln, leiden und fühlen lässt. Es ist eine wahre Freude, jeden Satz ins sich aufzunehmen und zu geniessen. Es macht nicht nur Spaß den Erlebnissen der Charaktere zu folgen, sondern auch zu sehen wie viel Liebe und Arbeit in den einzelnen Kapiteln steckt. Wie viel Liebe auch zum Detail drin steckt. Und ich liebe "deinen" Murtagh. Ich habe sehr viele sehr schlechte Eragon-FF's gelesen, aber du stellst deine Charaktere sehr gut da, du veralberst keinem und ich kann immer nur sagen, wie sehr ich mich freue, so einen wundervolle Fanfic zu lesen. Hab vielen lieben Dank dafür, ich freue mich schon auf die nächsten:D

Liebe Grüße

Loki
Von:  mangacrack
2011-11-07T12:23:11+00:00 07.11.2011 13:23
Oh mein Gott, so viel Text. Meinen Respekt, wirklich.
Zwanzigtausend Wörter, da bricht der absolute Neid in mir aus!

Auf Band 4 warten wir wahrscheinlich alle gespannt, auch wenn ich Angst davor habe, was mit Murtagh passiern wird. Er darf nicht sterben, verdammt. Weder im Buch noch hier in der FF. Aber da wird erst bei knapp 50% sind, dürfte es möglich sein, dass Murtagh seine Freiheit bekommt. Allerdings wird er vorher noch viel durchzustehen haben müssen und wenn es ein wenig grausam klingt, ich hoffe Eragon jetzt ein wenig Verständnis für seinen Bruder entwickelt.

mangacrack
Von:  FreakyFrosch1000
2011-11-06T23:07:00+00:00 07.11.2011 00:07
Ich will Band 4 nicht mehr lesen!! T.T
deine FF ist viel besser!! *-*
vorallem weiß ich hier das ich bei Murthag immer richtig lag!!

dieses Kapitel war der Hammer!!
so wunderbar geschrieben und die Gefühle der beiden Reiter kommen so "wirklich"
rüber..
klasse!!

Es ist nur schrecklich zu sehen, was Galbatorix mit den beiden macht!!
bin gespannt wie es weiter geht
Lg freakyfroch :)
Von:  FreakyFrosch1000
2011-10-22T21:10:25+00:00 22.10.2011 23:10
wow!!!
was für ein tolles Kapitel :)
Murtagh tut mir so unendlich leid..
das er müde und ausgelaugt ist, kommt richtig gut zur Geltung..
das ist dir wirklich gut gelungen.
Es ist wirklich so als würde man das Orginalbuch von Paolini lesen *-*
dein Schreibstil ist genial.
ich hab immer noch die Hoffnung das es für beide Reiter und beide Drachen gut geht :)
bis dahin
Lg freakyfrosch
Von:  mangacrack
2011-10-22T16:59:06+00:00 22.10.2011 18:59
Wow, ein riesiger und wahnsinniges Kapitel!
Ich finde die Darstellung von Murtagh und Eragon mehr als nur glaubwürdig. Murtagh ist müde vom ständigen aussichtslosen kämpfen und das er Nasuada trotzdem noch so spiellos verhöhen kann, ist schon fast traurig. Aber sein Leben war hart und Eragon ahnt zumindest unterschwellig, dass er eher seinen Idealen treu bleibt, als der Armee für die er kämpft. Vielleicht weil spürt das Murtagh einst Recht damit hatte, dass die Armee der Rebellen mehr Schaden anrichtet als das sie dem Land und seiner Bevölkerung nützt.

Interessieren würde mich, ob Shurikan einen Auftritt haben wird. Rein theoretisch ist er die größte Bedrohung für die Armee, denn er würde wahrscheinlich nicht einmal Galbatorix auf seinem Rücken brauchen, um ein Großteil davon zu vernichten. Ansonsten ist er der Einzige, der Murtagh und Thorn Unterstützung leisten könnte. Ein rein spekulativer Gedanke, auf Grund des neuen Buches...

mangacrack
Von:  Andromeda
2011-05-10T19:02:53+00:00 10.05.2011 21:02

ich habe es dir ja schon gesagt, aber ich sage es dir gerne noch einige tausend male :)
es ist toll geworden.

der einstieg gefällt mir fast am besten, diese ruhe vor dem sturm, diese ganze armee, die bereit ist, mit eragon in den tod zu gehen. und dass eragons fokus immer noch auf murtagh liegt, wo die welt um ihn herum sich gerade bereit macht, über die zukunft zu entscheiden.
man merkt einfach, dass eragon erwachsener geworden und sich klar ist, was für folgen seine entscheidungen mit sich bringen.

und auch die barriere zwischen murtagh und eragon, die jeder auf seine weise versucht zu überwinden, hast du gut dargestellt.

ich weiß ja, wie es weitergeht, aber ich freue mich über jedes neue wort.
murtagh und eragon sind so herrlich verwickelt in die wirren um sie herum und sie möchten ihren weg gehen und wissen, dass das nicht so einfach ist.

<3

"Don't be afraid of what's inside
Gonna tell ya you'll be alright
In the Aftermath "

<3
Von:  Ricadu
2010-12-12T23:51:31+00:00 13.12.2010 00:51
Ich kann mich dem Kommentar von mangacrack nur anschließen, ich bin genauso gespannt ob des Zaubers und auch ich bin der Meinung, dafür lohnt sch das warten!
zusätzlich mache ich mir Sorgen wegen der Schlacht, wenn es bald los geht, wann will Murtagh da Zeit haben, sich mit dem Zauber zu befassen? Aber gut, das werde ich ja noch sehen; ich freu mich drauf!

Und danke für die ENS :)


Ricadu
Von:  mangacrack
2010-12-12T10:37:01+00:00 12.12.2010 11:37
Juchu!
Für solche Kapitel wartet man doch gerne. Ich bin gespannt, was Angelas Zauber so mit sich bringen wird, denn einfach werden wird es bestimmt nicht. Höchst wahrscheinlich sogar gefährlich, aber Eragon würde alles für Murtagh tun und der hat nun wirklich eine verdammte Chance verdient. Und er würde lieber ein geistloses, leere Selbst wählen als weiter Galbatorix dienen zu müssen.

mangacrack
Von:  Lawlya
2009-11-03T20:08:41+00:00 03.11.2009 21:08
Deine FF ist wirklich großartig!!! Du beschreibst die Charaktere wirklich
total gut und realistisch. Mir kommt es fast vor, als würde ich
tatsächlich wirklich das Buch lesen.

Schickst du mir eine ENS, wenn du das nächste Kapitel on stellst?? Das wär
großartig und echt lieb von dir!!!

HDL Hoshie


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