Große Möhren, die das Herz bewegen von Benjy ================================================================================ Prolog: Aufwärmphase -------------------- Mihashi starrte auf die unmodische Uhr an seinem Handgelenk und verzog ängstlich das Gesicht. Er würde zu spät kommen und das, obwohl er gestern extra früh ins Bett gegangen war. Seufzend ließ er den Kopf hängen. Er befand sich in der Bahn auf dem Weg zur Urawa Universität, auf deren Sportgelände ein kleines Baseballturnier stattfinden sollte. Dort wollte er sich mit Tajima und Kanou treffen, um es sich gemeinsam anzusehen. Davon erfahren hatte er von Izumi, der es beiläufig in der Teambesprechung nach dem gestrigen Training erwähnte. Izumi selbst hatte während der Nachbesprechung nicht sagen können, ob er dort vorbeischauen würde. Tajima dagegen hatte aber augenblicklich losgebrüllt, dass er auf alle Fälle hingehen werde – und das am liebsten mit dem kompletten Team. Sein Wunsch ging natürlich nicht in Erfüllung, denn es stellte sich heraus, dass nur er und Mihashi bereit waren, definitiv zu gehen. Halt. Das war nicht ganz richtig, denn Kanou war auch dabei. Dieser hatte Mihashi nämlich am gleichen Tag abends überraschend angerufen und gefragt, ob er von dem Turnier gehört hätte und Lust habe, zusammen mit ihm dorthin zu gehen. Zum Zeitpunkt des Telefonats war aber das Treffen mit Tajima schon längst abgemacht, so dass er Kanou einfach mit dazu einlud. Er ging davon aus, dass Tajima mit seiner allein getroffenen Entscheidung kein Problem haben würde. So hatte Mihashi also geplant, frühs um sieben aufzustehen, damit er um acht das Haus verlassen konnte. Denn dann würde er in jedem Fall pünktlich mit der Bahn zum ausgemachten Treffpunkt vor dem Haupteingang der Universität fahren können – so war der Plan gewesen. Die Realität sah anders aus. Er würde knapp eine Stunde zu spät kommen, hatte nicht gefrühstückt, und sein eigenes allmorgendliches Training hatte er auch ausfallen lassen müssen – das empfand er sogar weitaus schlimmer, als nichts gegessen zu haben. Mihashi seufzte ein weiteres Mal, welches sich unerwartet ein Duell mit seinem plötzlich protestierenden Magen lieferte. Sieger dieses Zweikampfes war eindeutig der Magen. Verlegen hob er hastig den Kopf und stierte nervös umher. Niemand schien die kläglichen Laute seines Bauches vernommen zu haben, so dass er sich erleichtert tiefer in den Sitz sinken ließ. Er schloss die Augen, und dachte wehmütig an das vergangene Sommerturnier zurück. Bei diesem hatten sie die ersten zwei Runden mehr schlecht als recht überstanden, mussten dann aber in der dritten Runde aufgeben, weil er als Pitcher einfach nicht mehr mithalten konnte – er war körperlich völlig am Ende gewesen. Da hatte es auch nicht geholfen, dass Oki drei oder vier Innings in einem Spiel pitchte. Ihr Ausscheiden war mit seiner fehlenden Ausdauer besiegelt gewesen. Er war enttäuscht gewesen. Sauer. Aber vor allem hatte er Angst gehabt, dass Abe ihn nun weniger mochte, und ihm womöglich keine Zeichen mehr gab, so dass er wieder zu einem lausigen Pitcher mutierte. So sehr ihn diese Gedanken auch die ganze Zeit quälten, bewahrheitet hatten sie sich bisher nicht – im Gegenteil. Das erste Training nach ihrem verlorenen Spiel war entspannt verlaufen, trotz der bedrückten Atmosphäre. Lediglich Tajima schien völlig unberührt von ihrem Ausscheiden. Dieser überschüttete sie wie eh und je mit seiner Lebensfreude und prophezeite, dass sie im nächsten Jahr unter allen Umständen nach Koshien gehen würden. Schließlich hätten sie bis dahin genug Zeit, an den Schwachpunkten ihres Teams zu arbeiten, neue Mitglieder zu werben, aber vor allem, sie wären dann keine Neulinge mehr. Mihashi hatte Tajima natürlich zugestimmt, dennoch löste diese aufbauende Betrachtungsweise nicht sein Dilemma, dass er sich für die Niederlage verantwortlich fühlte – schlimmer noch, er hatte Abe verlieren lassen. Dieser hingegen hatte sich während dieses ersten Trainings beinah wie immer benommen. Beinah jedenfalls. Abe war lauter gewesen, fluchte reichlich unverschämter und hatte sich als Vizekapitän mehr als sonst aufgespielt, so dass einige Teammitglieder den einen oder anderen hilfesuchenden Blick in Richtung Hanai warfen, der aber nur unsicher mit dem Kopf geschüttelt hatte. Mihashi hatte sofort gewusst, dass Abes Verhalten das einzige ihm mögliche Ventil gewesen war, um damit den innerlichen Druck auf sein Gemüt abbauen zu können. Es war zwar nicht die mitmenschenfreundlichste Art, aber sie wurde ihm von allen im Team verziehen – Mihashi sah darin absolutes Vertrauen, das der Nummer Zwei des Teams entgegen gebracht wurde. Dazukam, dass Abe bisher nicht ein Wort über sein körperliches Versagen verloren hatte. Mihashi war sich bis heute nicht sicher, ob er das als gutes oder eher schlechtes Zeichen einordnen konnte. Das Klingeln seines Handys riss Mihashi aus seinen Gedanken, und ließ ihn alarmiert aufspringen. Während er in seiner Hosentasche nach dem Telefon griff, sah er sich beschämt um und entdeckte zwei Mädchen, die für einen Moment kichernd in seine Richtung starrten, ehe sie sich hastig wegdrehten. Seine daraufhin noch betretenere Miene führte dazu, dass ihm eine gegenüber sitzende ältere Frau freundlich zulächelte. Er senkte kurz den Kopf, bevor er sich wieder hinsetzte und das Gespräch annahm. „Shu- ... chan?!“, fragte Mihashi schüchtern, der anschließend schweigend die Lippen aufeinander presste. „Wer sonst! Wo steckst du? Tajima und ich sind schon zur Tribüne gegangen, weil wir dachten, du bist schon dort – aber Fehlanzeige.“ Mihashi konnte an Kanous Stimme erkennen, dass dieser sauer war, und fühlte sich dadurch gleich noch viel schlechter, als er sich ohnehin schon fühlte. „I- ich habe dir doch eine Sms ge- geschrieben. Ha-“ Kanou unterbrach Mihashi. „Das war aber vor mehr als einer dreiviertel Stunde! Egal. Wo bist du jetzt?“ Nachdem Kanou zu Ende gesprochen hatte, hörte Mihashi in der Sprechpause die Geräusche auf der Zuschauerbühne im Hintergrund – allen voran Tajimas Stimme, die ihm freundlich zurief, er solle sich beeilen und Kanous Geschimpfe einfach ignorieren. Tajimas Worte halfen Mihashi, sich wieder zu entspannen, so dass er das Gespräch mit zuversichtlicherem Gefühl weiterführen konnte. „Ich bin gleich da. Noch drei Stationen und etwas Fußweg. Ich komme dann direkt zu euch. Haltet mir bitte einen Platz frei. Ja?!“ „Wirklich? Du kommst dann auch wirklich hier an? Ich muss dir nämlich etwas Wichtiges sagen...“, entgegnete Kanou mit anfangs ungestümer Stimme, die zum Ende hin immer leiser und brüchiger wurde. Kanou so reden zu hören, irritierte Mihashi. Er fasste sich unbewusst an den Kopf und strich sich eine Strähne seines hellen Haares hinter das Ohr. „Hm. Wirklich. Bis gleich dann also.“ „Ja. Bis gleich.“ Während Mihashi das Telefon zurück in seine Tasche steckte, sah er gedankenverloren aus dem gegenüberliegenden Fenster, vorbei an der älteren Dame. Er hatte Kanou noch nie mit solch einer erregten Stimme sprechen hören. Selbst damals nicht, als er ihm erzählt hatte, dass er Mihoshi verlassen würde, und wohl in keinem anderen Baseballteam mehr spielen könnte, da er als Pitcher einfach zu schlecht war. Was war es also, was ihm sein bester Freund unbedingt sagen musste, und das so wichtig schien, dass es diesen dazu veranlasste, mit solch einer Leidenschaft zu sprechen. Mihashi seufzte ein drittes Mal, während er nun noch ungeduldiger auf das Ende seiner Fahrt wartete. Die Tribüne war voller als er gedacht hatte. Mihashi reckte sich daher in die Luft, um so besser nach den beiden Freunden suchen zu können, als er seinen „Namen“ hörte. „Hey Ren-Ren! Ren-Reeeeen! Hier oben! Hier oben sind wir!“ Mihashi spürte augenblicklich Hitze in sich aufsteigen, als er dem Rufen mit verlegenem Blick entgegenstarrte. Dort oben, in der drittvorletzten Sitzreihe, konnte er Kanou und Tajima sehen, die ihm breit grinsend zuwinkten. Tajima liebte es, ihn mit diesem „Namen“ aufzuziehen – aber nicht nur dieser. Izumi und Sakaeguchi waren da noch eine Spur gemeiner. Sie würden diesen Spitznamen am liebsten unter die von Tajima gezeichnete Eins auf seinem Trikot schreiben, und zückten daher jedes Mal den Stift, wenn er sich unbedacht während des Trainings ausruhte. Mihashi verdrängte diesen unliebsamen Gedanke und machte sich auf den Weg nach oben. Er war keine fünf Schritte gegangen, als er neben sich eine Stimme vernahm, die ihm irgendwie bekannt vorkam. „Oh!? Ist das nicht der Pitcher des Nishiura Baseballteams?!“ Mihashi blickte neben sich, und traf auf die neugierigen Augen der Nummer Eins des Tosei Baseballteams, Takase Junta. Neben diesem saß zudem Shimazaki, der ihm freundlich zunickte. „Äh- Ha- Hallo!“, stotterte Mihashi verkrampft, der es nicht fassen konnte, das Takase sich an ihn erinnerte und ihn außerdem auch noch ansprach. Er verbeugte sich auffallend vor dem ein Jahr älteren Jungen. „Auch hier, um ein wenig vom harten Training zu entspannen?“, fragte Takase lächelnd, der einen kurzen Blick auf seinen Sitznachbarn warf. Mihashi folgte dem Blick und hatte das Gefühl, dass Shimazaki Takase ein verliebtes Lächeln schenkte. Er wollte diesen idiotischen Gedanken schon beiseite schieben, als sein Blick auf Takases Schoss fiel. Dort sah er Shimazakis Hand, die entspannt in Takases lag. Mihashi konnte den Blick nicht abwenden und überlegte angestrengt, ob er Opfer einer optischen Täuschung geworden war, als ihn Takases Stimme aus den Gedanken riss. „Wo ist dein Partner? Sind Catcher und Pitcher nicht ein Herz und eine Seele, und treten daher immer zu zweit auf?!“ Mihashi starrte von Takase zu Shimazaki und von Shimazaki wieder zurück zu Takase, der ihn nun wissend anlächelte. „Ja. Es ist so, wie es aussieht, daher nimm meine Worte von eben nicht so ernst. Natürlich muss dein Fänger nicht gleichzeitig dein Liebhaber sein!“ Mihashi glotzte daraufhin Takase so benebelt an, dass dieser in lautes Lachen ausbrach. „Tut mir leid, wenn ich dir zu nahe getreten bin!“ Takase blickte ihm für einen Augenblick entschuldigend in die Augen, ehe er sich Shimazaki zuwandte, um diesen zu küssen. Mihashi stand mit offenem Mund da, und konnte seinen Blick nicht abwenden. Er war überrascht – nicht geschockt, immerhin lebten sie in einer sich verändernden Gesellschaft. Aber das sich die beiden hier so offen küssten, war doch irgendwie seltsam. Er trat einen Schritt zurück, entschuldigte sich unbeholfen und hastete, ohne auf eine Erwiderung der beiden zu warten, die letzten Meter zu seinem Ziel hoch. Dort angekommen, setzte er sich völlig verwirrt und mit fahlem Gesicht zwischen Tajima und Kanou, die ihn irritiert ansahen. „Was ist denn mit dir los?“, fragte Kanou mit besorgt klingender Stimme neben seinem Ohr. Mihashi zuckte zurück und stieß mit Tajima zusammen, dem daraufhin der Schokoriegel aus der Hand fiel. „Oh nein! Mein Essen...“, hörte Mihashi Tajima jammern, als dieser sich auf die Suche nach dem Riegel machte. Mihashi sah zu Kanou, der ihn mit ernsten Augen beäugte. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass sich sein bester Freund heute anders als sonst verhielt. „Es ist alles in O-ordnung. I-ich habe eben nur eine seltsame Begegnung gehabt.“ „Inwiefern?“ Mihashi blickte nach unten, und versuchte Takase und Shimazaki in der Menge auszumachen. „Hm. Ach, keine Ahnung. Sie war e- eben komisch, nicht der Rede wert.“, erwiderte er ausweichend, während sein Blick auf den Eingang der Tribüne fiel. Dort entdeckte er plötzlich Izumi, der zusammen mit Hamada auftauchte, und nach einem freien Platz Ausschau hielt. Mihashi wollte gerade nach den beiden rufen, als ihm dieses Vorhaben buchstäblich im Hals stecken blieb. Er beobachtete, wie Hamada nach Izumi langte und diesen in eine Umarmung zog. Ehe Mihashis Mund gänzlich offen stand, hatten sich die beiden auch schon geküsst. Er konnte nichts anderes tun, als mit ungläubigem Blick die beiden bis zu dem anvisierten freien Platz zu verfolgen. Es war unglaublich. Nein, es war mehr als das. Es war falsch. Irgendetwas stimmte hier nicht, und Mihashi wusste nicht was. Aber zur Ruhe sollte er auch nicht kommen, da er aus heiterem Himmel Tajima neben sich verärgert aufbrüllen hörte. „Riou! Was soll das? Der war mir...“, meckerte Tajima betroffen, der aufgelöst auf die leere Schokoriegelverpackung in Rious Hand starrte. Mihashi blickte entgeistert zwischen Tajima und Riou hin und her, und bekam ein ungutes Gefühl. Er wollte Tajima gerade danach fragen, was der Reserve Catcher von Tosei hier machte, aber er kam nicht dazu, da sich Riou stürmisch auf Tajimas Schoss setzte. „Mich anmeckern wegen des Riegels, aber kein Ton darüber verlieren, dass du hierher gehst – und das auch noch mit zwei Rivalen!“ Mihashi konnte sehen, dass Riou erst Kanou und anschließend ihm einen bösen Blick zuwarf, der es ihm eiskalt den Rücken runter laufen ließ. „Ey Riou! Lass meine Freunde zufrieden! Die haben damit nichts zu tun, und außerdem hast du nichts zu befürchten. Also, beruhige dich!“, entgegnete Tajima besänftigend, der entzückt durch dessen blondes Haar wuselte. Mihashi traute seinen Augen nicht und wandte sich Kanou zu, um diesen zu Fragen, ob er sich das alles nur einbildete, aber er bekam kein Wort raus. Kanou starrte ihn mit einem äußerst fraglichen Gesichtsausdruck an, der weit schlimmer als der Blick von Riou eben war – sah er da etwa Verlangen in Kanous Augen aufblitzen?! Mihashi schluckte, und rückte soweit es nur ging von Kanou weg. Dieser ließ sich durch den Rückzug nicht beirren, und rutschte einfach hinterher. Mihashi spürte Panik in sich aufsteigen und streckte beide Arme aus, um damit seinen Freund auf Abstand zu halten. „Stopp! Komm nicht näher...“, rief Mihashi aufgelöst, der damit die abwehrende Geste seiner Arme untermalte. „R- en... Ich muss dir etwas sagen. Also, ich-“ Mihashis böse Vorahnung auf das, was jetzt kommen würde, ließ ihn seine Arme zurückziehen, damit er mit seinen Händen die Ohren bedecken konnte. „Ich w- w- will das nicht hö- hören, Shu-chan!“, rief er aufgewühlt und kniff die Augen zusammen. Eine Sekunde später spürte er Kanous warme Hände, die dieser sanft auf seine legte. Überrascht riss Mihashi die Augen und blickte in das Gesicht seines Freundes, welches nur noch wenige Zentimeter von seinem entfernt war. „Ich liebe dich.“ Mihashi sah, dass Kanou nun vorhatte, ihn zu küssen, als plötzlich eine Person hinter diesem auftauchte, und ihn von dem küssenden Mund, der unaufhaltsam auf ihn zukam, ablenkte. „A- Abe-kun...“, murmelte Mihashi in sein Kopfkissen, während er sich langsam zur Seite drehte und prompt aus dem Bett fiel. Der Aufprall ließ ihn wach werden und er richtete sich stöhnend auf. Er sah sich für einen Moment irritiert um, krabbelte dann wieder zurück in sein Bett, wo er sich die Decke bis unter die Nase zog. Er starrte verzweifelt an die Zimmerdecke, die aufgrund der Dunkelheit kaum zu sehen war, und versuchte sich innerlich zu beruhigen. Nicht schon wieder so ein Traum! Was soll ich bloß machen, damit das aufhört?! Wenn das so weiter geht, dann kann ich bald keinem mehr ins Gesicht sehen, ohne dabei an die Bilder aus meinen Träumen zu denken... Mihashi suchte aufgewühlt nach dem Ball, den er an seinem linken Fuß spürte. Er rollte diesen mit seinem Fuß soweit es ging nach oben, um dann mit seiner linken Hand danach greifen zu können. Den Ball wieder in der Hand haltend, rollte er sich auf die Seite, und schloss seine Augen. Augenblicklich hatte er der Person vor Augen, die als letzter in seinem Traum erschien. „Takaya...“, flüsterte er sanft, während er den Ball in seiner Hand liebevoll drückte. Kapitel 1: Erstes Inning ------------------------ „Mihashiiiiiiiiiii...“ Mihashi zuckte zusammen, als er Tajimas laute Stimme hörte. Er drehte sich in die entsprechende Richtung um, und sah das Baseball-Genie ihres Teams breit grinsend auf ihn zukommen. Dieser trug eine kurze grüne Sporthose und dazu ein ärmelloses rotblaues T-Shirt. Auf dem Kopf saß zudem das obligatorische Baseballcape, und ein schwarzgrauer Rucksack hing locker über dessen rechte Schulter. Mihashi, der schon seit geraumer Zeit im kühlen Schatten des Baumes ihres ausgemachten Treffpunktes gewartet hatte, winkte Tajima freudig zu. Er war als Folge seines verrückten nächtlichen Traumes besonders früh hierher aufgebrochen, um auf keinen Fall zu spät zu kommen. Mihashi befürchtete, dass seine Verspätung eine Reihe seltsamer Ereignisse in Gang setzen würde – oder besser gesagt, dass er zum krönenden Abschluss am heutigen Tag von irgendeiner Person geküsst werden würde. Mihashi schüttelte seufzend den Kopf, in der Hoffnung, die unangenehmen Traumbilder herausschütteln zu können, aber hatte keinen Erfolg damit. Er schenkte Tajima anschließend ein frustriertes Lächeln. „Ta- Tajima...“ Tajima, der inzwischen vor Mihashi zum Stehen gekommen war, klopfte diesem freundschaftlich auf die Schulter und lächelte verschmitzt. „Sag bloß, du wartest schon länger?!“, fragte Tajima neugierig, der sich mit dem Handrücken über die Nasenspitze fuhr, um sie von den sich immer wieder neu bildenden Schweißperlen zu befreien. „Noch nicht sehr lang.“, entgegnete Mihashi kleinlaut, der nicht preisgeben wollte, dass er hier schon seit einer halben Stunde gedankenverloren rumstand – zwar im Schatten, aber dennoch durchgeschwitzt. „Hmmm... Konntest es wohl nicht abwarten, mich, das Ass am Schläger, zu sehen, was?“ Tajimas scherzhaft dahergesagte Frage führte dazu, dass Mihashis Gesichtshaut eine ungesunde Farbe annahm, und dieser unverständlich vor sich hin stammelte. „Hä?! Was hast du denn jetzt verstanden? Habe ich etwas Falsches gesagt?“, wollte Tajima sorglos wissen, der Mihashi einen fragenden Blick zuwarf. Er sah, dass Mihashi daraufhin hastig den Kopf schüttelte, und klopfte ihm beruhigend auf den Rücken. „Na dann, auf-“ „Ich habe geträum-“ Mihashi schlug sich entsetzt die Hand vor den Mund und starrte überall hin, nur nicht in Tajimas Augen, die ihn irritiert ansahen. Jetzt ist es mir beinah rausgerutscht... Hilfe! Wie bescheuert bin ich eigentlich? Mihashis Gedanken rasten, und er war sich nicht sicher, ob er aus dieser Situation unhinterfragt herauskommen würde, als Tajima ihm diese Sorge prompt nahm. „Geträumt?! Was? Von unserer Niederlage? Vom Essen? Apropos Essen, ich habe Hunger! Wir sollten schleunigst unsere Zeitschriften kaufen gehen, um sie uns dann gemütlich beim Nudelschlürfen anzusehen. Was meinst du?“, drängte Tajima hungrig, der Mihashis angefangenen Satz völlig ignorierte, und ihn nun hinter sich her zum nächsten Geschäft schleifte. Mihashi war froh gewesen, dass sich Tajimas Gehirn auf Nahrungssuche umgeschaltet hatte, und er somit keine unangenehmen Fragen auf dem Weg zum Laden beantworten musste. Er hätte auch gar nicht gewusst, wie er Tajima erklären sollte, dass dieser in seinem Traum den Reserve Catcher von Tosei auf dem Schoß sitzen hatte – und zu allem Überfluss dabei auch noch glücklich aussah. Bei diesem letzten Gedanken begann ein schiefes Lächeln Mihashis Lippen zu umspielen, der inzwischen an Regalen mit Unmengen an Zeitschriften entlang lief. Tajima konnte er zwar nirgends sehen, ihn dafür aber lautstark hören. Dieser schien wohl etwas Lustiges entdeckt zu haben, denn er teilte seine Freude darüber ungefragt dem ganzen Laden mit. Mihashi schmunzelte leise. Er ließ seine Augen prüfend über das angesteuerte Regal wandern, und blieb direkt vor der gesuchten Zeitung stehen. Er wollte gerade nach ihr greifen, als unerwartet Tajima neben ihm auftauchte, und ihm aufgeregt plappernd eine Zeitung vor die Nase hielt. Während Tajima begeistert auf die verschiedenen Seiten blätterte, um Mihashi so an jeder einzelnen teilhaben zu lassen, spürte dieser Hitze in sich aufsteigen – Mihashi sah nichts weiter als nackte Haut. Verlegen versuchte er von Tajima abzurücken, aber ohne Erfolg. Dieser folgte ihm munter, und redete nun auch noch mit lauter Stimme über den Erfolg beim Onanieren mit Hilfe solcher Zeitschriften. „Taji- Tajima...“, brachte Mihashi leise gequält hervor, der diesen unbedingt vom Weiterreden abhalten wollte. „...zu laut. Du bist zu laut...“ Tajima hielt für einen Moment inne, und sah Mihashi fragend an. „Was?“, entgegnete dieser gelassen, der nun begann, das Faltposter zu öffnen. Mihashi spürte Panik in sich aufsteigen. Er hatte das Gefühl, Tajima mit nichts stoppen zu können, und entschied sich daher für einen überstürzten Rückzug zur Kasse. Aber daraus wurde nichts, denn eine bekannte Stimme hinter ihnen ließ ihn mitten in der Bewegung erstarren. „Aha! Das macht er also, wenn er nicht mit dir trainiert, Takaya?! Sehr interessant!“ Mihashi glaubte, er müsse sterben. Das war nun definitiv schlimmer als sein Traum – nein, schlimmer als alles, was er sich vorstellen konnte! Während seine Ohren vor Scham glühten, spürte er sein Herz wie wild schlagen. Takaya stand hinter ihm, und nicht nur dieser. Haruna Motoki, das Ass des Musashino Baseballteams, stand direkt daneben. „Ich glaube eher, dass das Tajima macht, wenn er nicht trainiert, Motoki! Hallo ihr zwei!“, sprach Abe begrüßend, der darauf wartete, dass sich seine zwei Teammitglieder zu ihm umdrehten. „Oh?! Abe und Haruna! Was führt euch denn hierher, aber vor allem, zusammen? Ich dachte, du magst Haruna nicht, Abe?!“ Tajima, der sich als erster umgewandt hatte, stellte unverblümt seine neugierige Frage, die Mihashi zusammenzucken ließ. Es fiel ihm nun noch schwerer, sich ebenfalls umzudrehen. „So? Hat er das wirklich gesagt?!“ Mihashi hörte Harunas fragende Stimme, der ein gefährlicher Unterton anhaftete, während er es endlich schaffte, seinem Körper eine Drehung abzuringen. Er sah, dass Haruna Abe in den Schwitzkasten genommen hatte und darauf wartete, dass dieser Tajimas Aussage entkräftete. „Hey... Mo- Motoki! Lass mich los! Du Blödmann! Was soll das?“, stieß Abe wütend hervor, der Mühe hatte, sich aus Harunas Arme zu befreien. Wäre Mihashi nicht zu angespannt gewesen, hätte er vermutlich bei dem Anblick gelacht, denn selten bekamen sie solch ein Gesicht von Abe zu sehen. „Ha- hallo A- Abe. Hallo Haruna...“, stotterte Mihashi, der es vermied, Abe in die Augen zu sehen. „Och nein, der ist ja noch niedlicher als beim letzten Mal! Aber du solltest dir echt mal Gedanken machen, Takaya! Denn im Gegensatz zu deinem, konnte er meinen Namen zusammenhängend aussprechen. Wie das wohl kommt?!“, meinte Haruna aufziehend, der Mihashi nicht aus den Augen ließ. Dieser wollte nun vollends in einer Erdspalte verschwinden, aber dieses Glück wurde ihm nicht gewährt. Mihashi ließ betroffen den Kopf hängen. „Motoki! Lass Mihashi mit deinen blöden Sprüchen in Ruhe!“, herrschte Abe Haruna an, der so tat, als würde er diesen nicht hören. „Stimmt es, dass du mich toll findest? Als Pitcher, meine ich? Takaya hat nämlich so etwas erwähnt...“ Mihashi hob den Kopf und sah überrascht, aber gleichzeitig alarmiert zwischen Abe und Haruna hin und her, und wusste nicht, was er sagen sollte. Natürlich fand er Haruna als Pitcher klasse, aber dass Takaya anscheinend mit diesem über ihn sprach, löste ein seltsames Gefühl in ihm aus. Tausend Fragen schossen ihm auf einmal durch den Kopf, aber nicht eine einzige konnte er stellen – dazu fehlte ihm der Mut. Stattdessen grinste er befangen und hoffte, dass ihm irgendjemand zur Rettung kam. „Los komm, Motoki! Lass uns gehen! Du hast hier genug Unsinn von dir gegeben!“, meinte Abe bestimmend, der Haruna mit seinen Händen energisch umdrehte. Dieser ließ es mit Murren geschehen, rief aber noch die ein oder andere unverschämte Bemerkung den drei Zurückgebliebenen über die Schulter zu, während er zum Ausgang ging, um dort auf Abe zu warten. „Tut mir leid! Motoki benimmt sich manchmal einfach, nein, eigentlich immer, völlig daneben.“, sprach Abe betreten, der erst Tajima, dann Mihashi einen entschuldigenden Blick zuwarf. Mihashi konnte den Blick nicht erwidern. Er sah aufgewühlt an Abe vorbei auf das Zeitschriftenregal, wo seine Augen bei der passenden Überschrift ‚Wenn heute nicht Ihr Tag ist, dann helfen wir Ihnen, diesen wieder zu Ihren zu machen! – Tipps und Tricks für den alltäglichen Gebrauch’ hängen blieben, und er sich beherrschen musste, nicht laut aufzustöhnen. Er zwang sich, Abe letztendlich doch anzusehen, aber dieser wandte ihnen gerade den Rücken zu. „Also, wir sehen uns dann am Freitag!“ Mit diesen letzten Worten verließ Abe sie, der zum wartenden Haruna schlenderte, und sich dort prompt eine Kopfnuss einfing. Mihashi konnte noch Abes ärgerliche Stimme hören, bevor sie verstummte, da die beiden den Eingangsbereich des Geschäftes verließen. Eine Kopfnuss... Genau! Ich sollte es wie Haruna machen!, dachte Mihashi unleidlich, der Tajima neben sich mit einem unentschlossenen Blick beäugte. Dieser blätterte gerade zufrieden in einer seiner drei gekauften Zeitschriften, und schlürfte genüsslich seine Nudeln. Mihashi hatte an der Kasse des Buch- und Zeitschriftenladens mit Erleichterung feststellen können, dass Tajima lediglich vorgehabt hatte, Sportzeitschriften zu kaufen, und war daher innerlich in Jubelschreie ausgebrochen. Dennoch wollte er diesem die peinliche Situation dort nicht so schnell vergeben, und starrte noch immer erwägend auf dessen Kopf. Mir wird es danach bestimmt besser gehen... Nein, ich kann das nicht... Er kann ja auch nichts dafür, dass Abe und Haruna so plötzlich aufgetaucht sind... Hm, aber er hätte mir auch diese dämliche Zeitschrift nicht vor die Nase halten müssen... Dennoch, was für ein Glück! Ich konnte Takaya schon vor Freitag sehen! ... Wenn der wüsste, dass ich ihn in meinen Gedanken beim Vornamen nenne, würde er bestimmt wütend werden... Aber Haruna spricht ihn mit Vornamen an... Ich frage mich, ob ich das auch irgendwann darf... Wohl eher nicht, denn ich bin nicht so ein vortrefflicher Pitcher wie Haruna... Mihashi ließ seufzend den Kopf hängen, und beobachtete fasziniert die obere Kamaboko-Scheibe in seiner Suppe, die fröhlich seinen rührenden Stäbchen im Kreis folgte. Während er das in Form gepresste Fischfleisch mit seinen Augen verfolgte, drehte sich in seinem Kopf weiterhin alles um die unvorhergesehene Begegnung mit Haruna und Abe. Takaya..., dachte Mihashi begeistert, der sich auf die Lippe beißen musste, um den Namen nicht laut auszusprechen. Allein schon der Gedanke an seinen Catcher genügte, um das ihm vertraute Bauchkribbeln auszulösen. Er fühlte Wärme in sich aufsteigen und unterdrückte den Drang, vor Entzücken loszubrüllen, während sich ein verliebtes Lächeln auf seinem Gesicht breit machte. Mihashi sah verstohlen aus dem Augenwinkel heraus zu Tajima rüber, um sicher zu gehen, dass dieser seine schmachtende Stimmung nicht bemerkt hatte, und langte anschließend beruhigt mit seinen Essstäbchen nach der nun ruhenden Kamaboko-Scheibe, um sich diese verträumt in den Mund zu stecken. Er musste sich inzwischen eingestehen, dass das Bauchkribbeln um Weitem besser war, als einen Sieg auf dem Hügel zu erleben – vielleicht nicht besser, dafür aber einfach anders überwältigend. In jedem Fall eine definitive Steigerung dessen, denn im Gegensatz zum Gefühlsrausch des Verliebtseins, konnte er den Sieg auf dem Sandhaufen ja nur erfahren, weil er eine wunderbare Mannschaft hinter sich, vor allem aber einen hervorragenden Catcher vor sich hatte. Dass dieser aber zugleich der Grund für das neue betörende Gefühl war, schloss auf spannende Weise seinen Gefühlskreislauf, und führte daher zu einer Hochstimmung im doppelten Sinne – Mihashi befand sich also, ob im Training oder außerhalb, ununterbrochen auf Wolke Sieben und es gab zurzeit nichts und niemanden, der ihn von dort vertreiben konnte. „Mihashi, gibt es einen Pitcher, den du besonders magst?“ Tajima blickte fragend zu Mihashi, der ihn aber nicht zu hören schien. Stattdessen sah er, wie dieser mit einem bizarren Grinsen im Gesicht die Nudeln aß. „Mi-ha-shiiiiiiiii...“, rief Tajima ein zweites Mal, der zur Unterstützung seines Rufens den Ellbogen einsetzte, um diesen harmlos in Mihashis Seite zu rammen. „Hä? A- Wa- was ist, Ta- Tajima?”, entgegnete Mihashi erschrocken, dem dabei die Stäbchen aus der Hand fielen. Hastig griff er nach ihnen, und schaute sich dabei verlegen um. „Ich habe dich gefragt, ob es einen Spieler gibt, den du anhimmelst?!“, wiederholte Tajima, der begeistert die aufgeschlagene Zeitschrift in die Mitte schob. „Schau, Hideki Matsui und Suzuki Ichirō! Die sind einfach klasse! Sie spielen zwar im Ausland, aber ich bin ein großer Fan von ihnen... Was ist mit dir?“ Mihashi sah interessiert auf die Doppelseite. Die beiden Baseballspieler waren ihm nur wage ein Begriff, dennoch nicht gänzlich unbekannt. Er nickte mit dem Kopf. „Ah! Die kenne i- ich au-“ Mihashi konnte seinen Satz nicht beenden, da ihm Tajima aufgeregt dazwischen fuhr. „Ja?! Nun, und als großartigen Pitcher im Ausland dürfen wir natürlich nicht Matsuzaka Daisuke-“ „Ha- Ha- Haruna!“, stammelte Mihashi entflammt, während ihm Tajima einen zweifelnden Blick zu warf. „Der zählt nicht! Ich habe nach Profispielern gefragt. Aber ich muss zugeben, dass ich schon drauf brenne, seine schnellen Bälle zu schlagen. Wir sollten ein Übungsspiel organisieren... Vielleicht kann ja Abe was drehen, immerhin sieht es so aus, dass er sich mit Haruna inzwischen besser versteht. Warum sonst würden sie sich wohl treffen, und gemeinsam etwas unternehmen...“, meinte Tajima gedankenverloren, der die Zeitschrift wieder zu sich zog und weiter blätterte. Mihashi sah Tajima für einen Moment verunsichert an, bevor er wieder in seine Suppenschüssel starrte, und seine Gedanken ebenfalls zu den beiden wandern ließ. Seltsam... Was für einen Grund könnte es geben, dass sich die beiden treffen? Ist Abe etwa von mir als Pitcher gelangweilt?! Geht es ihm zu langsam, was meine Geschwindigkeitssteigerung angeht?! Nein. Das kann es nicht sein, denn er war ja von Beginn an eher dagegen. Dennoch... Oder will er etwa die Schule wechseln, und womöglich mit Haruna wieder ein Team bilden?! Das kann nicht sein... Was wird dann aus mir? Mihashis Gedanken rasten. Er fühlte Angst in sich aufsteigen, die es ihm beinah unmöglich machte zu atmen, während sich seine Hand um die Essstäbchen verkrampfte. Er versuchte sich zu entspannen, aber ohne Erfolg. Mihashi spürte, dass ihn seine Furcht zu lähmen begann, und er nicht in der Lage sein würde, sich später von diesem Stuhl erheben zu können, wenn er sie hier und jetzt nicht mit Tajima teilte. Ihm war durchaus bewusst, dass er dabei von diesem höchstwahrscheinlich keine beruhigende Antwort erhalten würde, vielleicht sogar noch eine zweifelnde Gegenfrage erhielt. Dennoch, er musste seinem Gefühl Raum schaffen, da er sonst platzen würde. „Ta- Tajima...“, begann Mihashi leise, der kaum zu verstehen war. Er sah, dass Tajima sich nicht rührte, und versuchte es etwas lauter. „Glau- glaubst du, Abe we- we- we- wechselt d- d- die Schule?“, brachte er stotternd hervor und sah, dass Tajima sich langsam zu ihm umdrehte. „Wie? Abe will die Schule wechseln?“, fragte Tajima ungläubig, für den diese Frage völlig überraschend kam. „Wie kommst du denn darauf?“ Mihashi ließ deprimiert die Schultern hängen und wusste nicht, wie er Tajima seine Befürchtungen anvertrauen sollte, ohne dabei seine Gefühle zu verraten. Wäre Tajima nicht so eine offene Frohnatur gewesen, hätte Mihashi es sich durchaus vorstellen können, diesem seine tieferen Empfindungen Takaya gegenüber zu offenbaren – aber die Realität sah nun mal anders aus. Er hatte keine Lust, erleben zu müssen, wie ihm Tajima fröhlich und frei vom Dritten Base aus unangebrachte Ermutigungen zurief, die mit Baseball rein gar nichts zu tun hatten. Allein der Gedanke daran ließ ihn erblassen. Mihashi sah wage in Tajimas Richtung, und zuckte ratlos mit den Schultern. „Wie jetzt? Es muss doch einen Anlass für deine Frage geben?!“, sprudelte es Tajima neugierig aus dem Mund. „Ich mein, wieso sollte er gerade jetzt die Schule wechseln wollen, wo er doch einen so talentierten und hörigen Pitcher gefunden hat?!“, entgegnete Tajima verwundert. Mihashi spürte, dass sich bei dem Gesagten Wärme in ihm ausbreitete, die nicht nur von der darin enthaltenen Anerkennung verursacht wurde. Das Wort ‚hörig’ löste allerlei Assoziationen in ihm aus, die durchaus mit der von Tajima im Laden vorgeführten Zeitschrift mithalten konnten – eigentlich diese sogar um Längen übertrafen, denn vor seinem geistigen Auge erschien Takaya, der nur mit einem um die Hüfte gewickelten Handtuch bekleidet war, und ihm lasziv einen Kussmund zuwarf. Mihashi schlug alarmiert die Hände vors Gesicht. Er stellte mit Entsetzen fest, dass seine Gedanken einen unerwünschten Weg eingeschlagen hatten, der ihn hier in eine äußerst prekäre Lage bringen würde. Mihashi musste diese Straße schleunigst zu einer verkehrsfreien Zone erklären, damit er keinen unnötigen Unfall baute – würde er sich jetzt allein zu Hause in der Badewanne befinden, sähe die Sache ganz anders aus. Dann hätte er nichts dagegen, seine erregenden Gedanken bereitwillig auf diesem Weg zu begleiten... „Mihashi?! Alles in Ordnung?“ Mihashi nahm seufzend die Hände runter und sah Tajima in die Augen. Dieser begegnete seinem Blick mit besorgter Miene, und kam sogar mit seinem Gesicht ein Stück näher. „Habe ich etwas Falsches gesagt? Dein Gesicht glüht ja förmlich!“ „Ne-nein, ich bin o-okay. Die Suppe ist nur etwas zu heiß...“, murmelte Mihashi verlegen, der hoffte, dass sich Tajima mit dieser Aussage zufrieden gab. Er sah, dass dieser skeptisch die Augenbrauen nach oben zog, aber nichts weiter dazu sagte. „Du glaubst also nicht, dass A-abe die Schule wechseln will? Ich m-mein, warum würde er sich sonst mit Haruna t-t-treffen...“, äußerte Mihashi immer leiser werdend, der angespannt auf seine Hände im Schoß starrte. Er wusste, dass seiner Frage jegliche Logik abhanden gekommen war. Tajima kratzte sich nachdenklich am Kopf, und riss einen Augenblick später erstaunt die Augen auf. „Halt! Bist du etwa auf Haruna eifersüchtig, also, als Pitcher jetzt?“ Mihashi blickte nun bestürzt zu Tajima rüber, und versuchte mit heftigem Kopfschütteln dessen ins Schwarze getroffene Aussage zu entkräften. Tajima lachte bei Mihashis Anblick laut auf, wurde aber sofort wieder ernst. „Warum sonst würdest du so eine völlig aus der Luft gegriffene Vermutung aufstellen?“ Mihashi rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her, und überlegte fieberhaft, was er darauf antworten sollte. „Du hast überhaupt keinen Grund dazu, Mihashi. Weder bist du ein schlechterer Pitcher, noch wird Abe unser Team verlassen. Darauf würde ich sogar meine geliebte vierte Position beim Schlagen verwetten. Schau, so sicher bin ich mir da! Also, Kopf hoch, und überleg lieber mal, wie du diesem heimlichen BOSS des Teams ein paar nette Seiten antrainieren kannst! Diese hat der nämlich dringend nötig. Ist echt übel, wie der einen rumkommandiert. Ich frage mich manchmal, wie du das nur mit ihm als Partner aushalten kannst...“ Während Tajima sprach, nahm er seine vergessene Zeitschrift wieder zur Hand, und blätterte interessiert durch die bunten Seiten. Mihashi blickte Tajima perplex von der Seite an. Es schien, als hätte dieser alles Nötige gesagt, und erwartete keinerlei Antwort mehr. Dieses unkomplizierte Verhalten ließ Mihashi in zweifacher Hinsicht erleichtert aufatmen. Zum einen ersparte es ihm eine umständliche Erklärung, und zum anderen erfüllte ihn Tajimas grenzenlose Zuversicht mit neuem Mut. Tajima hat recht. Wieso sollte Takaya auch gehen wollen? Immerhin er hat versprochen, mir drei Jahre lang als Catcher gegenüber zu stehen. Er würde nicht einfach sein Versprechen brechen. Ich sollte mich lieber auf das Wochenende freuen... Aber warum geht mir Haruna nicht mehr aus dem Kopf?! Mich niedlich zu nennen, was denkt der sich eigentlich... Dennoch, als Pitcher ist er toll, aber wenn er den Mund aufmacht... Takaya sollte lieber nicht zu viel Zeit mit ihm verbringen, dass färbt bestimmt nur weiter ab... Um sich von seinen Gedanken an Haruna und Abe abzulenken, griff Mihashi so beherzt nach seiner Nudelschüssel, dass er deren Inhalt beinah verschüttet hätte. Dafür erntete er ein unverschämtes Grinsen von Tajima, der ihm zudem belustigt auf die Schulter klopfte, was dazu führte, dass die Suppe dem Rand ein weiteres Mal gefährlich nahe kam. „Ich SOLL sie a-also verschütten?!“, fragte Mihashi grinsend, der fröhlich in Tajimas Lachen einstimmte. Dieser ignorierte Mihashis scherzhafte Frage, und schob stattdessen erneut seine Zeitschrift in die Mitte des Tisches, um Mihashi etwas zeigen zu können. „Reeeeeeeeeen!?“ Mihashi schaltete gerade die Beleuchtung seines Übungsplatzes ein, als seine Mutter suchend nach ihm rief. Er überlegte einen Moment und beschloss kurzerhand, das Rufen nicht gehört zu haben. Stattdessen überprüfte er akribisch seine selbstgebaute Zielscheibe und stellte fest, dass er an einigen Stellen das Tape erneuern musste. Er lief also zum Haus, um das benötigte Material aus seinem Zimmer holen zu können, und traf am Eingang auf seine Mutter, die dabei war, sich die Schuhe anzuziehen. „Ah, da bist du ja. Hast du mich nicht rufen gehört?“ Mihashi schlüpfte der Frage ausweichend aus seinen Schuhen, und murmelte etwas Unverständliches. „Hey! Ich rede mit dir!“ Mihashi warf seiner Mutter einen dümmlichen Blick zu, der ihr einen genervten Ton entlockte. „Manchmal frage ich mich echt, ob du zwischen deinen beiden Ohren nur Luft beherbergst.“, brummte sie leise. „Wie dem auch sei, ich gehe jetzt. Ich habe dir ja schon gesagt, dass es spät werden wird bei mir, und du daher allein essen musst. Du findest alles im Kühlschrank.“ Seine Mutter schulterte ihre Tasche, trat hinaus, und drehte sich noch einmal zu ihm um. „Und mach nicht zu lang...“ Um ihrem letzten Satz Nachdruck zu verleihen, warf sie einen mahnenden Blick in die Richtung, aus der er eben gekommen war. „Mache ich schon nicht...“, grummelte Mihashi gereizt, der Tajima in seinen Gedanken einen Tritt versetzte. Diesem war nämlich irgendwann bei einem seiner zahlreichen Besuche zum Essen herausgerutscht, dass Mihashi die Anweisung bekommen hatte, daheim nicht mehr so viele Bälle zu werfen. Seine Mutter nahm diese Anweisung äußerst ernst – deutlich ernster als er selbst – und es war seit dem kein Tag vergangen, an dem sie ihn freundlicherweise daran erinnerte. „Keine Sorge! Ich wünsche dir viel Spaß!“, rief Mihashi laut, während er sich umdrehte, und hoch in sein Zimmer rannte. Abe steckte das Handy zurück in die Hosentasche und fluchte lautlos. Er konnte das große Haus der Eltern seines Pitchers schon von Weitem sehen und spürte, dass sich Unruhe in ihm ausbreitete. Es war das erste Mal, dass er allein hierher kam. Zudem zerbrach er sich über den Grund seines Besuches schon die ganze Zeit den Kopf. Was mache ich hier?! Warum will ich mich unbedingt ein weiteres Mal bei ihm für Harunas unverschämtes Verhalten entschuldigen... Das versteh mal einer! Ich tue es nicht... Gedankenverloren strich er sich durch die Haare, und griff erneut nach seinem Telefon. Dieses zeigte ihm noch immer null empfangene Nachrichten an. Er knurrte unzufrieden. „Wo steckt der bloß? Wenn er noch mit Tajima unterwegs ist, und ich umsonst hierher gelaufen bin, dann kann er was erleben...“ Mihashi legte die Schere zur Seite, und richtete sich wieder auf. Er trat ein paar Schritte zurück, und begutachtete sein vollendetes Werk. Er steckte seine Hände in die Jackentaschen, und nickte zufrieden. „Das sollte gehen...“, sprach er leise. „Ich hoffe, du hältst dich an die Anweisung?!“ Die plötzlich auftauchende Stimme ließ Mihashi so heftig zusammenzucken, dass er das Gleichgewicht verlor, und in den Teich zu fallen drohte. „Hey! Pass doch auf...“ Mihashi musste mit Grauen ansehen, wie Abe waghalsig auf ihn zusprang, um ihn am Fallen zu hindern, aber in genau der gleichen Situation endete. Er konnte für einen Moment Abes vor Überraschung geweitete Augen sehen, bevor ihn das kühle Nass umschloss. Kapitel 2: Zweites Inning ------------------------- „Kannst du mir mal verraten, warum du so schreckhaft bist!?“, rief Abe genervt, der sein Handy in der Hand begutachtete und enttäuscht feststellen musste, dass es nass geworden war. Der Teich war zwar nicht sehr tief, aber da er der Länge nach hineingefallen war, blieb kein Zentimeter seines Körpers trocken. Er sah von seinem Handy auf, und starrte auf den begossenen Pudel vor sich, der schon seit geraumer Zeit entschuldigende Worte vor sich hinmurmelte, und dabei ängstlich hin- und herzappelte. Abe seufzte. „Hör mal, es gibt keinen Grund für dieses Verhalten. Ich bin selbst dran schuld. Hätte ja nicht versuchen müssen, dich aufzufangen...“ Abe hielt seinen Blick weiter auf Mihashi gerichtet, bei dem seine Worte langsam Wirkung zeigten. Er beobachtete, wie dieser zur Ruhe kam und sogar den Mut fand, seinen Blick zu erwidern. „Ich glaube, wir sollten schleunigst aus den nassen Klamotten raus. Es ist zwar nicht kalt, aber ich für meinen Teil mag den Geruch des warmen Teichwassers überhaupt nicht. Außerdem will ich lieber nicht wissen, was für Tierchen den Weg unter meine Klamotten geschafft haben.“, gab Abe leise zu, der sich mit einer Hand durch die Haare fuhr, um notdürftig Wasser aus ihnen herauszustreichen zu können. Er sah, dass Mihashi zustimmend nickte, sich wortlos umdrehte und in angespannter Haltung zum Haus stakte. Abe empfand das bizarre Benehmen seines Pitchers zwar als äußerst irritierend, aber er war im Grunde nichts anderes von diesem gewohnt. Ein schiefes Grinsen umspielte seine Lippen, während er Mihashi zum Eingang folgte. Mihashi holte tief Luft, als er seine Hand hob, um an die Badtür zu klopfen. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und er musste sich gehörig anstrengen, die trockenen Sachen auf seinem Arm nicht fallen zu lassen. Er hörte Abe von drinnen antworten, und trat einen Moment später durch die Tür. Sein Blick fiel augenblicklich auf seinen Catcher, der mit dem Rücken zu ihm stand und gerade dabei war, die Unterhose auszuziehen. Es war nicht das erste Mal, dass er Abe nackt sah, aber seine veränderten Gefühle diesem gegenüber machten dieses bisher natürliche Ereignis zu einer heiklen Angelegenheit. Er zwang sich wegzusehen, und steuerte das Regal neben dem Waschbecken an. Als er den Spiegelschrank über dem Becken passierte, konnte er für einen Moment sein Gesicht sehen, dass seiner ansteigenden inneren Temperatur um nichts nachstand. Seine Wangen und Ohren glühten. „Äh... Ich lege d-dir die Sachen hier h-hi-hin. Ich hoffe, s-sie passen dir. Die Unterhose i-ist schon getra-tr-tragen, a-also...uhm..., i-ich meine, sie ist natürlich sau-sauber. Ich ge-geh dann mal o-ben duschen...“, stammelte Mihashi verlegen, der aus dem Augenwinkel heimlich rüber zu Abe stierte, der inzwischen völlig nackt war. „Okay. Danke.“, antwortete Abe ahnungslos, der erleichtert in die Duschkabine sprang und das Wasser anstellte. Mihashi warf einen wehmütigen Blick zur Kabine, ehe er den Raum verließ, und sich auf den Weg zum Badezimmer in den ersten Stock machte. „Mihashi?“, rief Abe laut, während er suchend vom Bad über den Flur zur Küche ging. Mihashi hatte erwähnt, dass seine Mutter fort und erst spät abends zurückkommen würde. Sie waren somit also allein im Haus und Abe konnte daher, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, laut rufend durch die Räume wandern. Ein mürrisches Knurren entwich seinem Mund, da seine Suche auch in der Küche erfolglos blieb. Er lief unzufrieden zur Treppe. „Wo steckt der Kerl?! Duscht er etwa immer noch...“, grummelte Abe fragend, und machte sich auf den Weg nach oben. Mihashi legte das Handtuch zur Seite und versuchte angestrengt die zerzausten Haare zu bändigen. Er stöhnte missmutig, als seine Versuche erfolglos blieben. Er streckte seinem Ebenbild im Badspiegel genervt die Zunge heraus, und verließ gedankenverloren das Bad. Zumindest hatte er seine körperliche Erregung in den Griff bekommen, dachte er reumütig. Die Sache war schon beinah kriminell, wie er fand. Das Objekt seiner Begierde stand ahnungslos unter der Dusche auf der unteren Ebene, und er hatte nichts Besseres zu tun, als Hand anzulegen. Mihashi schämte sich für sein Verhalten, aber insgeheim musste er zugeben, dass es sich bisher noch nie so gut angefühlt hatte. Es musste daran liegen, dass Abe körperlich anwesend war – zwar nicht unmittelbar, aber eben im gleichen Gebäude. Ein verträumtes Lächeln erschien auf Mihashis Gesicht, während er zu seinem Zimmer ging, um das vergessene Sweatshirt zu holen. Er wollte so schnell wie möglich zurück zu Abe, der hoffentlich unten in der Küche auf ihn wartete. Sie würden gemeinsam etwas Essen. Er würde den Grund für Abes überraschtes Kommen erfahren. Und vielleicht würde ja das ein oder andere Wort über ihr zufälliges Treffen von heute fallen, das ihn in ein Gefühlschaos gestürzt hatte. „Tajima kann sich glücklich schätzen, dass er keine Kopfnuss abgekriegt hat...“, murmelte Mihashi vergnügt, der es kaum abwarten konnte, zu Abe zu kommen. Er öffnete seine Zimmertür und erstarrte. Dort auf seinem Bett saß Abe, der überrascht und peinlich berührt aufsprang. Der Gegenstand, den er dabei in den Händen gehalten hatte, fiel zu Boden. „A-a-abe!?“ „Mihashi!“ „T-tut mir leid! Ich wollte dein Zimmer nicht einfach so betreten, aber ich habe dich gesucht. Und als ich dann hier auf dich warten wollte, habe ich die Fotos entdeckt, und sie mir angeschaut.“, erklärte Abe aufrichtig, der in die Knie gegangen war, um das runtergefallene Fotoalbum aufzuheben. Mihashi starrte überrascht zu Abe, der vor seinem Bett kniete und entschuldigend die Fotos einsammelte, die aus dem Album herausgefallen waren. War das zu fassen? Abe befand sich nicht nur kniend vor seinem Bett, sondern sah dabei in den geliehenen Sachen auch noch umwerfend aus. Mihashi unterdrückte den Drang, auf Abe zuzulaufen. Am liebsten würde er diesen jetzt auf sein Bett werfen, und ihn mit leidenschaftlichen Küssen übersehen. Aber er wusste, dass das nicht ging – noch nicht, wie er hoffte. Mihashi schloss für einen Moment die Augen, und rügte sich innerlich für seine unanständigen Gedanken. Dass sein Verlangen nach Abe eine unerwartet aggressive und selbstbewusste Seite in ihm wachrief, war noch immer ungewohnt für ihn. Er fragte sich jede Nacht, was wohl passieren würde, wenn er sie ausleben dürfte. In seinen Träumen tat er dies schon schamlos nach Strich und Faden, dachte Mihashi aufgeregt, aber natürlich war das meilenweit von der Realität entfernt. Mihashi glaubte nicht, dass Abe sich ihm wie in seinen Traumgebilden einfach so hingeben würde. Dennoch, sein Wunsch Abe besitzen zu wollen, nahm in letzter Zeit stetig zu und führte sogar dazu, dass er hingegen jeglicher Vernunft mit dem Gedanken spielte, Abe am kommenden Wochenende von seinen Gefühlen zu erzählen und diesen zu bitten, Verantwortung zu übernehmen. „Sch-schon okay. War wohl e-etwas zu lang unter der Dusche.“, meinte Mihashi beschwichtigen, der zu seinem Stuhl ging, um endlich das Sweatshirt anziehen zu können, für das er sein Zimmer aufgesucht hatte. „Ich wusste gar nicht, dass du so viele Fotos von unserem Team hast. Irgendwie auch auffallend viele von mir.“, sprach Abe neugierig, der sich wieder auf das Bett gesetzt hatte. Mihashi schluckte nervös und verfluchte sich dafür, dass er die Bilder nicht heute Morgen weggeräumt hatte. Aber wer konnte auch schon ahnen, dass sich am Abend ausgerechnet die Person in seinem Zimmer aufhalten würde, die diese auf keinen Fall sehen sollte. Innerlich gab er seiner Cousine Ruri einen Tritt, da diese ihn dazu genötigt hatte, ein Album für die vielen Fotos anzulegen. Obwohl Mihashi kein einziges der Bilder selbst gemacht hatte, fanden sie doch unweigerlich durch Ruri den Weg zu ihm. Diese knipste ungeniert bei jeder sich bietenden Gelegenheit, und ihr häufigstes Motiv war Abe. Der Grund dafür war einfach. Sie wusste über seine Gefühle für Abe Bescheid. Diese liebenswürdige Übeltäterin war schlicht der Meinung, ihm mit ihren eingefangenen Schnappschüssen eine Freude zu bereiten. Aber irgendwie wurde Mihashi das Gefühl nicht los, dass sie sich mehr über sein verliebtes Benehmen in ihrer Gegenwart amüsierte, als sich wirklich über seine durch die Fotos hervorgerufene Begeisterung zu freuen. Mihashi ging sogar davon aus, dass Ruri insgeheim darauf aus war, sein vernarrtes Benehmen mit jedem neuen Bild gnadenlos hervorzuzaubern. Seine Cousine konnte ziemlich teuflisch sein, wie er in letzter Zeit festgestellt hatte. „W-was!? Oh, a-a-also die gehören meiner Cousine. Sie hat sie hier vergessen...“, murmelte Mihashi erklärend, der überlegte, ob das jetzt eine Lüge gewesen war, oder es der Wahrheit entsprach. Immerhin hatte er Ruri nie darum gebeten, Foto zu machen, und diese ihm obendrein auch noch zu schenken. Wenn er es also objektiv betrachtete, konnte er durchaus behaupten, dass sie ihm nicht gehören. „Etwa die, die dich Ren-Ren nennt?“ Mihashi sah geplagt zu Abe, der ihn breit angrinste. Dieser wusste genau, dass er es nicht mochte, so genannt zu werden. Ein zweites Mal versetzte er seiner Cousine einen imaginären Tritt. „Ja, genau die.“, erwiderte er seufzend, während er zum Bett ging und nach dem Album langte. Abe gab es ihm bereitwillig, konnte es sich aber nicht verkneifen, Mihashi ein weiteres Mal zu ärgern. „Sind wirklich nette Fotos von Ren-Ren dabei!“ „ABE!“, rief Mihashi leidig, der das Album auf einen der vielen Stapel auf seinen voll gepackten Schreibtisch legte. Dabei lösten sich unerwartet zwei Bücher, die den gesamten Stapel aus dem Gleichgewicht brachten. Dieser drohte nun auf den Fußboden zu fallen. „Mi-mist...“, fluchte Mihashi laut, der alle Hände voll damit zu tun hatte, den Turm aus Büchern, Zeitschriften, CDs und Heften festzuhalten, und ihn wieder in die Balance zu schieben. Er konnte hören, wie Abe hinter ihm amüsiert lachte. „Räumst du eigentlich auch mal auf? Als wir das letzte Mal alle hier waren, sah es wesentlich besser aus.“, stellte Abe vergnügt fest. Mihashi, dessen Anspannung mit jeder weiteren Sekunde hier in seinem Zimmer wuchs, mahnte sich zur Ruhe. Die Tatsache, dass Abe auf seinem Bett saß, war beinah zu viel für ihn. Würde Abe noch immer so gelassen dort sitzen und ihn ärgern können, wenn dieser wüsste, dass er sich dort schon unzählige Mal selbstbefriedigt und dabei an ihn gedacht hatte? Mihashi blickte fragend zu Abe, der noch immer lachte. Was würde dieser tun, wenn er jetzt auf ihn zugehen und ihn einfach küssen würde? Er verdrängte diesen kühnen Gedanken, als sein Blick neben Abe auf das Bett fiel. Dort lag ein vergessenes Foto. Ein neuer mutiger Gedanke kam ihm in den Sinn. Es wird schon nicht schaden, wenn ich es ihm ein klein wenig auf andere Weise heimzahle...schoss es Mihashi leichtsinnig durch den Kopf, als er entschlossen auf Abe zuging und direkt vor diesem stehen blieb. Er beugte sich herab, so dass sich ihre Nasen beinah berührten. Abes Lachen verstummte augenblicklich und Mihashi konnte sehen, dass dieser irritiert den Mund öffnete, um etwas zu sagen. „Mi-hashi?!“ Abes dunkle Augen bohrten sich fragend in Mihashis, der sich krampfhaft bemühte, die geringe Distanz zwischen ihnen aufrecht zu erhalten. Abes Lippen waren so nah. Dessen warmer Atem auf seiner Gesichtshaut sandte ihm einen wolligen Schauer über den Rücken. Er unterdrückte ein Aufstöhnen, und griff unglücklich mit seiner Hand nach dem Foto, das als Entschuldigung für sein Verhalten herhalten sollte. „Foto.“, war alles, was Mihashi hervorbrachte, als er sich mit dem Foto wieder aufrichtete und hinab auf Abe sah, der noch immer einen verunsicherten Gesichtsausdruck trug. „Das ist lecker!“, rief Abe, der hungrig den Löffel ein weiteres Mal in das Curry steckte. „Aber sag mal, deine Mutter nimmt dich ziemlich wörtlich, wenn ich mir so die Möhrenstücke ansehe?!“ Schmunzelnd betrachtete Abe die Möhre auf seinem Löffel, von der durchaus behauptet werden konnte, dass sie im Ganzen mitgekocht wurde. Er blickte fragend zu Mihashi, der ihm am Tisch gegenüber saß und kurz davor war, seinen Teller bereits zum ersten Mal zu leeren. „Ahh-hm, ja, ich mag gr-große Möhren!“, entgegnete Mihashi glücklich, der anschließend aufstand, um sich eine zweite Portion zu holen. Abe starrte ihm nach, und musterte besorgt dessen schmale Figur. Mihashi verlor definitiv zu schnell und zu viel Gewicht und Kraft bei ihren Spielen und Abe fragte sich, ob es weitere Möglichkeiten gab, dem positiv entgegenzuwirken. Leichtes Kraft- und Ausdauertraining waren an dieser Stelle nicht verkehrt, und wurde auch schon fleißig von Mihashi ausgeübt – sogar mit sichtbarem Erfolg, wenn Abe an den nackten Körper seines Pitchers dachte. Nach ihrem letzten Training war ihm in der Dusche aufgefallen, dass Mihashi athletischer geworden war. Wo vorher nur Haut und Knochen zu sehen waren, bestimmten nun feine Muskelpartien das Bild. Abes Blick fiel fasziniert auf Mihashis Wurfarm, auf dem das Muskelspiel besonders deutlich zu sehen war. Seine Augen wanderten anschließend hoch zu dessen Nacken, der sonnengebräunt aus dem weit ausgeschnittenen Sweatshirt emporragte. Die Grenze zur hellen, weniger sonnenverwöhnten Haut stach deutlich hervor und er fand gefallen an dem Anblick. Irgendwie sexy… ÄH? SEXY? Mihashi!? Abe schüttelte entgeistert den Kopf und riss sich von dem Anblick los. Er zwang sich auf seinen Teller zu starren, und seine Gedanken auf etwas anderes zu lenken, aber ohne Erfolg. Mihashi blieb schlichtweg der Mittelpunkt, denn nun kam Abe erneut die merkwürdige Situation in dessen Zimmer in den Sinn, was dazu führte, dass sein Herz laut zu klopfen anfing. Seine Finger verkrampften sich um den Löffel. Der Moment, als Mihashi sich zu ihm runtergebeugt und ganz dicht vor seinem Gesicht aufgetaucht war, erschien ihm völlig surreal. Er konnte noch immer dessen warmen Atem auf seinen Lippen spüren, was ihm auch jetzt noch einen elektrisierenden Schauer über den Rücken schickte. Innerlich stöhnte er auf, nicht wissend, ob es wegen des erschreckend angenehmen Gefühls war, was er empfand, oder ob es aufgrund von Bestürzung über jenes Gefühl war. Abe hatte keine Ahnung, was sich Mihashi dabei gedacht hatte. Schließlich hätte er zum Aufheben des Fotos beileibe nicht so nah kommen müssen. Dieses Verhalten passte ganz und gar nicht zu seinem Pitcher – es war auf eine bestimmte Art viel zu herausfordernd und extrem selbstbewusst gewesen, also Eigenschaften, die bei Mihashi bisher vergeblich zu suchen waren. „A-Abe, wenn du möchtest, es i-ist noch ein bisschen im Topf.“ Unerwartet aus den Gedanken gerissen sah Abe auf, und traf auf Mihashis helle Augen, die ihn auffordernd ansahen. Mihashi konnte seinem Blick aber nur wenige Sekunden standhalten, ehe dieser mit leicht erröteten Wangen den Kopf senkte. Abe zog überrascht die Augenbrauen in die Höhe und kam nicht umhin sich zu fragen, ob die Röte auf Mihashis Wangen eine tiefere Bedeutung hatte – vor allem in Hinblick auf seine eigenen Gedanken eben. Zumindest stand für Abe fest, dass der Mihashi, der ihm hier gegenüber saß, definitiv nicht die Person war, die er vor wenigen Minuten oben im Zimmer erlebt hatte. Ein schiefes Grinsen erschien auf Abes Lippen. Er schob all die irritierenden Gedanken und Gefühle beiseite, und konzentrierte sich auf das Hier und Jetzt. „Von Möhren allein wirst du dein Gewicht wohl kaum halten können, Mihashi, geschweige denn es zu erhöhen.“, meinte Abe streng, der sah, dass Mihashi bei seinen Worten zusammenzuckte. „A-A-Aber ich esse d-doch nicht nur Möhren!“, rief Mihashi erstarrt, dem die gerade liebevoll aufgelesene Möhre wieder vom Löffel rutschte. Dieser Anblick brachte Abe zum Lachen. „Ja ja, schon gut. War ja nicht ernst gemeint. Du kannst deiner Möhrenlust ruhig weiter ungetrübt frönen!“, antwortete er spöttisch und beobachtete Mihashi dabei, wie dieser zitternd mit dem Löffel nach der gefallenen Möhre suchte. Abe lehnte sich gesättigt zurück und stützte sich lässig auf seine Arme. Er blickte zweifelnd zu Mihashi rüber, der sich entschieden hatte, die letzten Reste aus dem Topf zu löffeln. Abe sah, wie dieser scheinbar alles um sich herum vergessend genüsslich einen Löffel nach dem anderen in den Mund schob, und dabei äußerst glücklich aussah. Er musste grinsen. Es war schon erstaunlich, wie viel Mihashi essen konnte, ohne davon dick zu werden. Dennoch wünschte sich Abe manchmal, dass sein Pitcher das ein oder andere Kilo zunehmen würde. „Warum ist Tajima eigentlich nicht hier? Ich dachte, der riecht das Curry deiner Mutter 10 Meilen gegen den Wind?“ „Oh, er wollte ja, aber seine Mutter hat darauf bestanden, dass wir bei ihnen essen.“ Abe starrte Mihashi entgeistert an. „Heißt das, du hast schon etwas gegessen? Und das hier ist jetzt deine zweite warme Mahlzeit?“ „Eigentlich ist es sogar schon meine dritte…“, antwortete Mihashi, der kein einziges Mal aufsah. Abe neigte sich erstaunt nach vorn und betrachtete Mihashi genauer. „W- was?“, stotterte Mihashi verlegen, der den unerwartet intensiven Blick seines Catchers nicht einordnen konnte. „Aha.“ „Was i- ist d- denn, A- Abe?“ „Hm. Eben hast du auf meine Frage ohne zu stottern antworten können. Ich war etwas überrascht. Ich glaube, du warst eben eins mit dem Curry! Vielleicht solltest du zur Abwechslung mal eins mit mir sein, um in zusammenhän-“ Abe hatte keine Chance zu Ende zu sprechen, da Mihashi den Löffel Reis, den dieser sich gerade noch in den Mund gesteckt hatte, ohne Vorwarnung spuckend über dem Tisch verteilte. Aber nicht nur der Tisch bekam etwas ab, sondern er selbst fühlte das ein oder andere Reiskorn im Gesicht. „Mi- Mihashiiiiii?!?“, brüllte Abe angewidert, der ein Satz nach hinten machte. „Was machst du denn!?!“ „Tu- tut mir leid. Ich ha- be mich verschluckt.“ Mihashi sprang auf, rannte eine Entschuldigung murmelnd aus dem Zimmer und kam wenige Augenblicke später mit einem feuchten Waschlappen zurück, den er Abe hinhielt. „Hier.“ Abe nahm diesen mit einem skeptischen Blick entgegen. „D- der ist sauber!“ „Was? Ach so! Nein, das meinte ich nicht.“, entgegnete Abe lachend auf Mihashi betroffene Mine hin. „Ich habe mich nur gefragt, warum du… Schon gut. Danke für den Lappen.“ Während Abe sich das Gesicht säuberte, stellte Mihashi das Geschirr zusammen, um es in die Küche zu bringen. „Ma- magst du noch e- etwas trinken? Tee?“ Abe seufzte leise, ehe er antwortete. „Was muss ich denn noch tun, damit du entspannt in meiner Gegenwart sprechen kannst? Würde es helfen, wenn ich wie eine schmackhafte Möhre aussehen würde?“, witzelte er und erntete damit Mihashis ungläubigen Blick, dem etwas Unergründliches anhaftete. „Wenn ich dich dann auch anknabbern darf…“, flüsterte Mihashi kaum hörbar. „Was hast du gesagt?“ „Ahh…also, mö- möchtest du…Tee?“ Mihashis Erwiderung ging mit einem hochroten Kopf einher, der Abe noch mehr irritierte. „Alles in Ordnung? Und ja, Tee ist okay.“ „A- alles Bestens.“, quiekte Mihashi, die Stimme kaum unter Kontrolle, und stakte mit den Tellern in die Küche – verfolgt von Abes neugierigen Augen. Dieser wandte kopfschüttelnd den Blick ab, und sah zum zurückgelassenen Topf auf dem Tisch. Er beschloss, diesen Mihashi hinterher zu tragen und dabei gleichzeitig nach einem Handtuch Ausschau zu halten. Der feuchte Waschlappen für sein Gesicht war natürlich sehr aufmerksam gewesen, aber ein Tuch zum Abtrocknen hätte die ganze Sache perfekt gemacht. „Wie kann er das nur so einfach sagen? Eins mit ihm werden… Sofort, wenn du mich direkt fragen würdest, Abe. Sofort…“ „Sofort… was?“ Mihashi zuckte betroffen zusammen, als Abes Stimme unerwartet hinter ihm laut wurde. „Ich habe das Gefühl, du nuschelst heute mehr als sonst vor dich hin. Nicht, dass mir das nicht vertraut wäre, aber es ist leider gerade niemand da, der mir übersetzen könnte.“, meinte Abe spaßend. „Hier. Der Topf. Wo finde ich ein Handtuch für mein Gesicht?“ Abe wartete darauf, dass sich Mihashi zu ihm umdrehte, aber vergeblich. Dieser zeigte ihm stumm mit dem Zeigefinger, wo sich das gewünschte Ding befand. „Danke.“, entgegnete Abe mürrisch, der den Topf auf die Anrichte stellte und sich das Handtuch holen ging. „Was habt ihr zwei eigentlich heute gemacht, also du und Tajima?“ „Wa- waren einkaufen.“ Abe spürte den altbekannten Ärger in sich aufsteigen. Mihashis Genuschel, die kurzen Antworten und dessen ausweichende Blicke hatten jetzt eindeutig seine Schmerzgrenze überschritten. „Mihashi! Ist es denn so schwer, eine normale Unterhaltung mit mir zu führen?!“, brüllte Abe unbeherrscht. Innerlich schlug er sich die Hand vor den Mund. Das war eben genau der Grund, warum sich sein Pitcher in seiner Gegenwart häufig wie eine zum Bersten gespannte Seite verhielt, die bei der kleinsten Erschütterung zerriss. Abe holte tief Luft, um die Ruhe wiederzufinden. „Also, was ich eigentlich sagen will… Ach, egal.“ Resigniert starrte er auf Mihashis Rücken. Noch immer schweigsam goss dieser gerade das Teewasser auf. „Was habt ihr denn gekauft? Ich nehme mal an, Tajima hat sich nicht zufällig diese ominöse Zeitschrift ge-“ „Ne- nein!“, rief Mihashi, der sich auf einmal Abe mit glühenden Ohren zuwandte. „Sp- Sportzeitschriften.“ „Ach so.“, antwortete Abe übertrieben zweifelnd, dessen Augen frech blitzten. „Warum verwundert mich das jetzt? Von Tajima hatte ich das irgendwie erwartet, aber vielleicht hat er sich deinetwegen ja zurückgehalten. Obwohl, neeeeee…der hält sich eigentlich nie zurück.“ „Was so- soll das jetzt heißen?“, schoss Mihashi fieberhaft zurück, was Abe überraschte. „D- da dass ich mir solche Zeitungen etwa ni- nicht angucke? Zu d- deiner Information, ich bin ei- ein gesunder Oberschül-“ „Ja, ja, schon gut. Ich wollte dir nicht zu nahe treten. Aber ob du ein gesunder Oberschüler bist, weiß ich nicht. Vielleicht eher ein hibbeliger, nervöser, hm, vor allem aber zappeliger Oberschüler, der es regelmäßig schafft, mich zur Weißglut zu treiben.“, neckte Abe, der Mihashis daraufhin rasch wechselnde Gefühlsregungen an dessen Gesicht ablesen konnte, und sich daran erfreute. „Oh, ich habe vergessen zu erwähnen, dass du natürlich ein überaus fähiger Pitcher bist, der genau das tut, was ich ihm sage. Was will ein Catcher mehr?“ „ABE!?!“, rief Mihashi ungläubig, der sich nicht entscheiden konnte, ob er jetzt sauer sein oder sich über die Worte freuen sollte. „Danke.“ Das Wort leise aussprechend beobachtete er, dass Abe verblüfft die Augen aufriss und ihn anstarrte. Dieser Anblick machte Mihashi glücklich, denn es zeigte ihm, dass ihn sein Catcher noch immer nicht völlig lesen konnte – vor allem in Hinblick auf seine tieferen Gefühle war das eine Erleichterung. Dennoch, genau diese Momente liebte Mihashi so sehr. Abes Verunsicherung mitzuerleben, sogar selbst der Auslöser dafür zu sein. Häufig ergaben sich solche Augenblicke nicht, umso mehr genoss Mihashi dies jetzt in den eigenen vier Wänden, wo er Abe ganz für sich allein hatte und keiner dazwischenfunken konnte. „Wo- wofür bedankst du dich?“ „W- w- weiß auch nicht.“ „Mi-ha-shi?!?“, rief Abe genervt, der spürte, dass sein Ärger wieder hochzukochen drohte. Mihashi hingegen stellte, Abe ignorierend, den Tee und die Tassen auf das Tablett und trug es nervös zurück zum Esszimmertisch, wo er sich sogleich hinkniete und eifrig die Tassen befüllte. „Dir ist aber klar, dass du mich am Wochenende nicht einfach so stehen lassen kannst, oder?! Selbst ich habe so etwas wie Gefühle und komme mir ziemlich blöd vor, wenn du dich so verhältst. Zumal ich noch nicht einmal weiß, warum du das machst…“ Abe setzte sich seufzend wieder an den Tisch und starrte Mihashi fragend an, der mit roten Ohren die Augen nicht von seiner Teetasse nahm. „Weißt du, ich dachte immer Motoki sei anstrengend, aber seit ich dich kennengelernt habe, muss ich diesbezüglich umdenken.“, erklärte Abe aufrichtig, der mit Erschrecken beobachten musste, dass Mihashi plötzlich kreidebleich wurde. „Bist du wirklich okay? Deine Gesichtsfarbe wechselt meines Erachtens gerade viel zu oft. Vielleicht war der Sturz in den Teich doch nicht so harm-“ „Willst du zurück zu Haruna?“, platzte es aus Mihashi heraus. „WAS?“ Völlig perplex starrte Abe Mihashi an, der seinen Blick unerwartet fest erwiderte. Nicht nur dessen Frage hatte ihn überrascht, sondern auch die Tatsache, dass Mihashi einen an ihn gerichteten ganzen Satz ohne Stammeln formulieren konnte. „Wie meinst du das mit Haruna? Ich kann dir nicht folgen. Ich wette, Tajima wüsste etwas damit anzufangen, oder?“, knurrte Abe. „Schon, aber… S- seit wir euch in dem Laden begegnet sind, muss ich die ganze Zeit daran denken, d- dass Haruna der bessere von uns beiden ist, und du es vielleicht bereust, mit mir ein Team bilden zu müssen. Ich war überrascht, euch zu- zusammen zu sehen. Na ja, du schimpfst zwar immer so über ihn, aber du respektierst ihn. Ich dachte, du willst vielleicht die Schule wechseln, um erneut...“ Mihashi ließ seine hastige Erklärung mit kaum hörbarer Stimme und zunehmend einsinkender Körperhaltung unvollendet, die Abe noch mehr auf die Palme brachte. „Dummkopf!“ Abe versetzte Mihashi zusätzlich eine sanfte Kopfnuss. „Schule wechseln? Mitten im Jahr? Das Team verlassen? Wie kommst du bloß auf so einen Unfug? Hat dich die Begegnung mit dem Idioten Motoki etwa so sehr aus der Bahn geworfen?!“ „Hm.“, stimmte Mihashi scheu kopfnickend zu. „Habe ich dir nicht schon versprochen, dass ich drei Jahre lang deine Bälle fangen werde?“ „Hm.“ „Ich alles tue, damit ich mich nicht verletze?“ „Hm.“ „Mihashi, könntest du das bitte-“ Abes restliche Worte ging in seinem eigenen Lachen unter, während Mihashi ihn dabei verständnislos anblickte. „Wirklich. Manchmal bist du echt zuviel…“ Nachdem Abe sich wieder beruhigt hatte, griff er nachdenklich nach seinem Tee. So wirr wie Mihashi konnte wirklich keiner schauen – zumindest war ihm noch niemand dergleichen begegnet. Er musste zugeben, dass sein Pitcher nicht nur über alle Maßen dümmlich aussehen konnte, sondern dabei gleichzeitig auf der Liebenswürdigkeitsskala immens in die Höhe schoss. Liebenswürdig?!? Abe schob diesen Gedanken irritiert zur Seite, während sich erneut ein belustigtes Lächeln auf seinen Lippen breitmachte, als er erneut sprach. „Motoki mag zwar den schnelleren Ball werfen, aber dafür hat er noch nicht mal ansatzweise deine Kontrolle! Natürlich hat es Spaß gemacht, diese schnellen Bälle zu fangen. Habe ja auch lange für gebraucht. Aber wenn ich jetzt wählen müsste, würde ich ganz klar dich wählen, Mihashi. Und das sage ich nicht einfach nur so.“ „Ich auch!“, rief Mihashi hingerissen mit funkelnden Augen. „Was ‚ich auch’?“ „I- ich würde dich auch wählen!“ „Wenn du zwischen Hatake und mir wählen müsstest?“, fragte Abe zweifelnd. „Ja.“ „Mihashi. Dass du das überhaupt als Wahl ansiehst! Ist doch klar, dass du dich für mich entscheidest.“, entgegnete Abe arrogant und verpasste Mihashi entrüstet eine zweite liebevolle Kopfnuss. „Ich bin definitiv der bessere! Oder hast du etwa etwas dagegen einzuwenden?!“ Abe setzte spielerisch eine drohende Miene auf. „Ich mag dich lieber.“, flüsterte Mihashi. „Was magst du lieber? Kannst du vielleicht mal so sprechen, dass ich dich gleich beim ersten Mal komplett verstehen kann?!“ „Ich mag dich lieber.“, wiederholte Mihashi etwas lauter und blickte Abe für einen Moment nachdrücklich an. Innerlich jubelte er, dass er es tatsächlich geschafft hatte, solche Worte an seinen Catcher zu richten. Gleichzeitig hoffte er aber, dass dieser es nicht so verstand, wie er es sich insgeheim wünschte. Mihashi hatte keine Ahnung, wie Abe über Homosexualität dachte und würde es daher nicht riskieren, dass dieser ihm womöglich wegen eine unüberlegten Liebeserklärung aus dem Weg gehen würde. Als Folge dessen könnte er nämlich seine Position als Pitcher an den Nagel hängen, denn ohne Abe wäre er verloren. Er brauchte ihn. Ahhh…ich muss das ganz ganz schnell aufklären… Während Mihashi panisch nach einer geeigneten Lösung suchte, sah er versessen zu Abe, dessen Miene Verunsicherung zeigte. Aber nicht nur die konnte er in dem Gesicht erkennen, sondern einen weiteren seltsamen Ausdruck, den er nicht einordnen konnte. Abe starrte verwirrt zu Mihashi, da er nicht wusste, wie dieser das meinte. „Du magst mich…lieber?!“ Er sah, dass Mihashi einen feuerroten Kopf bekam. Er meint das jetzt doch nicht wörtlich, oder… Abe suchte den Blick seines Pitchers, aber dieser vermied es, ihn anzusehen. Mihashis Verhalten ließ sein Herz augenblicklich schneller schlagen. Er musste sich zusammenreißen und überlegen, wie er diese Aussage entkräftet oder gar bestätigt bekam, aber Abe hatte keine Ahnung, wie er das anstellen sollte. Mihashi kam ihm unerwartet zur Hilfe. „D- di- dich und Taji- ma, Sakaeguchi, Ha- Hamada-“, sprudelte es stockend aus Mihashi heraus. „Schon klar, alles verstanden.“, entgegnete Abe gelassen, der bemerkte, dass ihn Mihashis relativierende Antwort enttäuschte und er daher innerlich aufstöhnte. Heute war definitiv nicht sein Tag. Die gemeinsamen Stunden mit Motoki hatten ihn schon angestrengt, aber das hier war deutlich schlimmer. Er wusste nur noch nicht zu sagen, warum er es so empfand. Seine Reaktionen auf Mihashis Verhalten waren nicht neu, aber da schien sich etwas noch Namenloses in ihm zu entwickeln, was ihn im höchsten Maße irritierte und für seine seltsamen Gefühlsregungen Mihashi gegenüber verantwortlich war. Wenn Abe aber ehrlich zu sich selbst war, konnte er sehr wohl sagen, was da mit ihm geschah. Dieser Zustand war ihm nicht unbekannt, glauben wollte er es dennoch nicht. Nicht, wenn es sich dabei um Mihashi drehte. Das war einfach zu grotesk, um wahr zu sein. Und doch, Mihashi spielte nicht mehr nur als Pitcher eine große Rolle für ihn, sondern zunehmend auch als Freund oder besser, als denkbarer Liebhaber. Liebhaber?! Jetzt bin ich also schon so weit… Abe schüttelte den Kopf und betrachtete Mihashi genauer. Dieser war aufgestanden und durchsuchte murmelnd einen Zeitschriftenstapel. Eigentlich hatte er sich geschworen, niemals mehr etwas mit einem Teamkollegen anzufangen – schon gar nicht mit dem Pitcher. Dass das nur Probleme mit sich brachte, sah er wunderbar an Motoki. Obwohl sie beide nicht mehr zusammen in einem Team spielten, trafen sie sich hin und wieder, um über Baseball zu quatschen und dann letztlich zum Schluss im Bett zu landen. Das wäre auch nicht weiter schlimm, wenn Motoki nicht seit neuestem ein besitzergreifendes Verhalten an den Tag legen würde, dass ihn unheimlich nervte und ihren entspannenden Umgang miteinander gefährdete. Abe seufzte lautlos und konzentrierte sich auf Mihashi, der sich wieder an den Tisch gesetzt hatte und ihm eine aufgeschlagene Zeitschrift zuschob. „Da!“ „Was meinst du?“ Abe sah sich die Doppelseite genauer an und zog interessiert die Augenbrauen in die Höhe. Es war eine Reportage über den Ort, den sie am Wochenende besuchen würden. Am Samstag fand dort ein kleines Fest statt, welches neben den üblichen Dingen wie Feuerwerk, Imbissbuden und Spielen für die ganze Familie auch einen kleinen Wettbewerb im dortigen Batting Center anbot. Abe überflog die näheren Informationen dazu und blickte anschließend zu Mihashi, der ihm zwar noch nicht wieder direkt in die Augen sehen konnte, dafür aber wieder eine normale Gesichtsfarbe zur Schau trug. „Bedeutet das, du willst, dass wir da mitmachen?“ „I- ich nicht! Aber Tajima, du und Hanai könntet doch?“, meinte Mihashi rasch, der erneut aufgestanden war, um anschließend mit einer Schale Nüsse zum Tisch zurückkehren zu können. Abe sah, dass sich sein Pitcher auch sofort über sie hermachte. Er musste lächeln. „Hm… Spannend klingt es allemal, aber ich weiß nicht. Wir wollten uns dort doch eigentlich ein wenig Ruhe gönnen? Hast du den anderen schon davon erzählt?“ „Nei- nein. Ich habe au- auch erst heute Morgen von Shu-chan davon erfahren und ve- vergessen, es Tajima zu erzählen.“ „Shu-chan?!“, fragte Abe neugierig, der nicht wusste, wen Mihashi damit meinte. „Kanou Shuugo.“ „Ah. Der Pitcher von Mihoshi. Aber Shu-chan!?! Das findet er gut? Darf er dich im Gegenzug Ren-Ren nennen?“ Abe sah, wie Mihashi das Gesicht verzog. „Ren-chan klingt meiner Meinung nach viel niedlicher! Aber eigentlich ist Ren am Besten…“, neckte Abe, der sich gehörig am Riemen reißen musste, um nicht etwas noch viel Unpassenderes zu sagen. „Ta- Taka- Takaya.“, stammelte Mihashi. „Ja, so ist mein Vorname. Willst du etwas Bestimmtes damit sagen?“ „Ha- Haruna.“ „Hm. Das ist der Nachname von Motoki. Kannst du mir vielleicht erklären, was du sagen willst?“, entgegnete Abe unbesonnen. „Ach halt, vielleicht spielst du darauf an, dass mich Motoki beim Vornamen anspricht?!“ Abe sah, wie Mihashi mit dem Kopf nickte. „So? Macht dir das etwa etwas aus?“ Aus Mihashis Kopfnicken wurde ein heftiges Kopfschütteln gepaart mit einem bestürzten Gesichtsausdruck, was Abe zum Lachen brachte und das Bedürfnis weckte, seinen Pitcher noch mehr zu ärgern. „Wie wär’s, willst du mich nicht auch Takaya nennen?“ Abe sah, wie sich Mihashis Augen für einen Moment vor Überraschung weiteten, ehe diese nervös den Blick abwandten. „D- das ge- geht do- doch nicht…“, stotterte Mihashi verlegen, dessen Gesicht erneut glühte. „Hast recht. Bei Abe hast du nicht so viele Möglichkeiten, ihn mit deinem Stammeln zu zerstückeln. Bei Takaya sieht das schon ganz anders aus! Es wäre definitiv zeitraubender darauf zu warten, bis du meinen Vornamen komplett ausgesprochen hast!“, erwiderte Abe leichtfertig, dem nicht entging, dass sich Mihashis Augen für einen Moment enttäuscht trübten. „Es ist aber für die Zukunft nicht ausgeschlossen, hörst du?!“, fügte Abe schnell hinzu, dem ein wenig das schlechte Gewissen plagte. Er ließ sich einfach zu schnell dazu verführen, Mihashi aufzuziehen. Es fiel ihm aber auch zu schwer, dem zu widerstehen. Denn würde er seinen Pitcher nicht ärgern, würde er sich stattdessen wohl auf ihn werfen und auf andere Weise seinen Spaß mit ihm haben. So gesehen war sein widersprüchliches Verhalten eine Art Selbstschutz, vor allem aber ein Schutz für Mihashi, den er mit seinen wahren Wünschen nicht ängstigen wollte. Abe blickte besorgt auf die Wanduhr. Es war inzwischen spät geworden und er müsste sich ziemlich beeilen, um die letzte Bahn noch zu erwischen. Vielleicht war jetzt auch der beste Zeitpunkt um zu gehen, denn länger würde er seine Fassade nicht mehr aufrecht halten können – nicht, wenn Mihashi weiterhin so liebenswürdig aus der Wäsche guckte. „Es ist schon spät. Ich sollte besser gehen. Tut mir leid, dass wir nicht weiter über den Wettbewerb reden können, aber vielleicht ist das auch besser am Freitag, wenn wir alle zusammen sind.“, meinte Abe, der aufstand und skeptisch an sich hinab sah. „Du hast nichts dagegen, wenn ich mit deinen Sachen nach Hause gehe, oder?“ Mihashi stand ebenfalls auf und schenkte ihm ein zustimmendes Nicken. „Gut. Dann nehme ich die nassen Sachen in einem Plastikbeu-“ „D- die kannst du hi- hierlassen. Ich we- werde mich darum kümmern, dass sie gewaschen werden. Schli- schließlich bin ich schuld, d- das sie dreckig ge- geworden sind.“, rief Mihashi hastig dazwischen, der von einem Fuß auf den anderen zappelte und Abe fragend ansah. „Okay, soll mir recht sein. Dann kannst du sie ja am Freitag mitbringen? Oder soll ich sie vorher lieber abholen?“ „Freitag.“, antwortete Mihashi kurz angebunden. „Ja, dann mal vielen Dank für das leckere Essen. Kannst deiner Mutter meinen besten Dank ausrichten! Wir sehen uns dann also spätestens am Freitag früh.“ „O- okay.“ Mihashi folgte Abe in den Flur, wo dieser in die durchnässten Schuhe schlüpfte und nach seinem Rucksack griff. Er schulterte diesen und blickte anschließend zu Mihashi, der mit unbeständiger Miene vor ihm stand. Abe meinte unter anderem Enttäuschung in dessen Gesicht lesen zu können, aber er wollte sich nicht in Spekulationen verlieren. Wenn Mihashi wirklich etwas für ihn empfand, was jenseits reiner Freundschaft anzusiedeln war, dann würde er einfach abwarten und schauen, was noch passierte. „Bis dann!“ „Ja, bis dann.“ Abe schmiss sich erleichtert auf sein Bett und betrachtete das alte ausrangierte Handy in seiner Hand. Sein neues war definitiv hinüber, seit es durch seinen Sturz in den Teich vollkommen durchnässt worden war. Zum Glück war wenigstens seine Karte heil geblieben, so dass er sich nicht um eine neue kümmern musste. Dennoch war es natürlich ärgerlich, aber leider nicht mehr zu ändern. Das alte würde vorerst ausreichen müssen. Seufzend rollte er sich auf den Bauch und überlegte, ob er Mihashi eine Sms schreiben sollte, um diesen über den einwandfreien Zustand seiner Karte aufzuklären. Der Gedanke an seinen Pitcher zauberte ein Lächeln auf sein Gesicht. Wenn er an die Stunden zurückdachte, die er heute in dessen Gegenwart verbringen durfte, wurde ihm warm ums Herz. „Ren…“, flüsterte Abe vernarrt und ermahnte sich sofort, diesen Gefühlen nicht so viel Raum zu geben. „Aaaaahhhhhhhh…wie kann ich nur!?!“ Er schloss für einen Moment die Augen und versuchte sich vorzustellen, Mihashi zu küssen. Seiner Hoffnung zum Trotz, klappte das erstaunlich gut. „Ich bin verloren…“ Abe suchte Mihashis Nummer raus, und begann eine Nachricht zu tippen. HALLO REN-REN! ;) MEIN HANDY IST HINÜBER, ABER DIE KARTE FUNKTIONIERT NOCH! GLÜCK GEHABT… ABE Nachdem er die Mitteilung abgeschickt hatte, stand Abe auf und öffnete das Fenster. Sein Zimmer war zwar recht kühl, aber das Windspiel vor seinem Fenster signalisierte ihm, dass draußen ein angenehmer Wind ging und er diesen nutzen wollte, um ein wenig unverbrauchte Luft in sein Zimmer wehen zu lassen. Mit der Luft kamen natürlich auch die ausgesperrten Geräusche der nahen Bahnstation und der unzähligen Zikaden, die mit ihrer beständigen Musik den Sommer untermalten. Abe atmete tief ein und blickte befreit hinab zur Straße, wo er eine getigerte Katze an der Straßenlaterne entlang schleichen sah. Diese gehörte zu ihrem Nachbarn zwei Häuser weiter, der noch drei weitere besaß. Abe blickte ihr verträumt hinterher, als auf dem Bett sein Telefon zum Leben erwachte. FREUT MICH ZU LESEN, ABER KÖNNTEST DU ES BITTE UNTERLASSEN, MICH REN-REN ZU NENNEN? :\ MIHASHI Abe lachte. Er konnte sich richtig gut vorstellen, wie sein Pitcher versucht hatte, aufgebracht auf dem Handy herumzutippen. Er sandte Mihashi umgehende eine Antwort, die von seiner ausgelassenen Stimmung nur so sprühte. SCHADE. DANN EINFACH NUR REN? DA FÄLLT MIR EIN, WENN DU SCHON SAGST, DASS DU ALLE MAGST, GIBT ES JEMANDEN, DEN DU VON ALLEN AM MEISSTEN MAGST? ;) ABE Abe wusste, dass er sich jetzt wirklich kindisch benahm, aber er konnte einfach nicht anders. Er mochte es, Mihashi zu ärgern, ohne dabei natürlich über das Ziel hinauszuschießen. Dennoch fragte er sich, ob diese Frage nicht doch etwas daneben war. Zurücknehmen konnte er sie jetzt jedenfalls nicht mehr. Abe hoffte, dass Mihashi es genauso scherzhaft betrachtete wie er selbst – auch wenn er sich letztlich etwas anderes wünschte. Sein Handy kündigte eine weitere Sms an. ICH MAG DICH VON ALLEN AM LIEBSTEN… Abe starrte mit offenem Mund auf das Display und ließ sich tief in das Kopfkissen sinken. „Jetzt bin ich endgültig verloren…“, wisperte er. Kapitel 3: Drittes Inning ------------------------- Das die Durchsage ankündigende Knistern der Lautsprecher am Bahnsteig ließ Hanai zusammenzucken. Er saß wartend auf seiner Tasche, und wischte sich zum wiederholten Male den Schweiß von der Stirn. Tajima, der es sich neben ihm bequem gemacht hatte, erfreute sich lautstark an einer Sportzeitschrift, die Mihashi mitgebracht hatte. Neidisch blickte Hanai auf die gegenüberliegende Plattform, wo sich die Reisenden für den einfahrenden Zug bereithielten. „Die sitzen gleich alle im klimatisierten Abteil, während wir weiter warten müssen…“, murmelte er unzufrieden. „Hast du was gesagt?“ Tajima sah neugierig auf. „Nur das, wenn ihr mich nicht gleich in einer Flasche auffangt und möglichst kühl stellt, ich die Reise nicht erleben werde!“ Hanai konnte es regelrecht im Kopf des cleanup hitters ihres Teams arbeiten sehen, während er sich ächzend an den Stützpfeiler lehnte. Es würde ihn nicht wundern, wenn Tajima versuchen würde, seinen Vorschlag in die Tat umzusetzen. „Vielleicht solltest du dann mehr trinken.“ „Hä?“ „Wenn du mehr trinkst, kannst du mehr ausschwitzen und wir haben dann größere Chance, mehr von dir in der Flasche aufzufangen“, erklärte Tajima mit ernstem Gesicht. „Der kühle Ort stellt ein Problem dar. Hm… Vielleicht verstaue ich dich dann einfach zwischen meinen Unterhosen in der Tasche. Dort sollte es etwas kühler sein, oder etwa nicht?“ Hanai starrte Tajima fassungslos an. Es fiel ihm gerade schwer zu entscheiden, ob der Einfaltspinsel vor ihm je Verstand besessen hatte, oder diesen einfach gut verbarg, und nur ab und an aufblitzen ließ. Vielleicht hatte der Ausnahmespieler ja im Austausch für die herausragenden Qualitäten im Baseball Teile seiner geistigen Entwicklung geopfert. Was auch immer es war, Hanai wollte definitiv nicht weiter über die Aussicht nachdenken, schwitzend in Tajimas Unterwäsche zu liegen. „Wo bleibt eigentlich Mihashi? Der wird sich doch nicht auf dem Weg zur Toilette verlaufen haben?“, fragte Hanai leicht alarmiert, der nach seiner Wasserflasche griff und für einen Moment ein Grauen erregendes Bild im Kopf hatte. Er legte die Wasserflasche unbenutzt zurück und starrte in die Richtung, in der ihr Pitcher vor mehr als 15 Minuten verschwunden war. „Vielleicht haben wir ja Glück, dass Abe ihn zufällig einfängt und mitbringt.“ Lachend sah Hanai zu Tajima, der konzentriert an ihm vorbeiblickte. „Er hat ihn nicht dabei“, stellte dieser fest. „Was meinst du? Kommt Abe etwa?“ Hanai wandte sich um, und sah den Spielführer schleichend auf sie zukommen. Die Hitze schien auch Abe arg zuzusetzen. Dieser sah mindestens so schlecht aus, wie er sich fühlte. Hanai grinste und hob grüßend die Hand. „Auch endlich da?“ Der Teamkapitän sah fragend zu Abe hoch. „Ja!“, knurrte Abe. „Meine Mutter war der Meinung, mich vorher noch mit zum Friseur schleppen zu müssen.“ Träge ließ er sich ebenfalls auf die abgestellte Tasche nieder, und nickte Tajima grüßend zu. „Ist dir gar nicht anzusehen.“ „Gott sei dank auch! Wenn es nämlich nach meiner Mutter gegangen wäre, hätte ich jetzt einen geschorenen Kopf.“ „Ich wusste gar nicht, dass du dir so viel aus deinen Haaren machst, Abe.“, entgegnete Hanai schmunzelnd. „Mach ich auch nicht. Dennoch wollte ich meine halbwegs nette Erscheinung nicht vollständig ruinieren. Es gibt halt Menschen, denen steht so eine Friseur einfach nicht. Da ist es mir völlig gleich, dass das der Standardschnitt des Schülerbaseballs ist.“ Demonstrativ fuhr sich Abe breit grinsend mit einer Hand durchs Haar. „Apropos widerspenstige Haare. Wo ist Mihashi? Seine Tasche ist hier, demnach muss er es auch sein.“ Er schaute sich suchend um. „Wir hatten gehofft, du würdest ihn wieder einfangen.“ Abes suchender Blick endete auf Hanai. „Wie meinst du das?“ „Mihashi ist vor einer viertel Stunde zum Klo losmarschiert, und bis jetzt nicht wiedergekommen. So langsam sollte er das aber mal tun. Unser Zug fährt nämlich in zwölf Minuten.“ „Das ist seltsam“, meinte Abe. „Na ja, nicht, dass irgendwas nicht seltsam an Mihashi wäre.“ Er erntete zustimmendes Gelächter. „Die nächste Toilette befindet sich gleich da vorn die Treppe runter, und sollte selbst von diesem Träumer zu finden sein.“ „Darauf würde ich mich nicht verlassen.“ Skeptisch runzelte Abe die Stirn. Der Teamkapitän hatte damit nicht ganz unrecht. Vielleicht sollte er einfach losgehen, und nach Mihashi sehen. Dieser Bahnhof war nicht sehr groß, was bedeutete, dass sich der Pitcher noch immer auf der Toilette aufhalten musste, denn er hatte ihn nirgends auf seinem Weg zum Gleis gesehen. Der Gedanke, dass Mihashi auf dem Örtchen festsitzen könnte, ließ ihn dann doch ein wenig zögern. Reisekrankheit? Konnte es nicht sein, denn die Nummer 1 des Teams hatte ihm erklärt, dass die Angst vor dem Absetzen als Pitcher der Auslöser des Unwohlseins auf ihrer Busfahrt zum Trainingscamp gewesen war. Falls es doch Angst war, wovor könnte Mihashi sich dieses Mal fürchten? Vor dem Wettbewerb im Batting Center in Odawara, obwohl sie noch nicht mal entschieden hatten, ob sie auch wirklich mitmachen? Abe kratzte sich ratlos am Kopf und überlegte. Er könnte Mihashi einfach auf dem Handy anrufen. Handy. Sms. Abe stockte. Ihm fiel wieder schmerzlich ein, dass sich sein Pitcher seit dessen letzter Nachricht nach seinem Besuch dort nicht mehr gemeldet hatte. Ich mag dich von allen am liebsten… Diese Worte der letzten Sms ließen Abes Herz noch immer schneller schlagen, auch wenn Mihashi sie wohl nicht so wörtlich gemeint hatte. Hatte dieser vielleicht nun ein schlechtes Gewissen Hanai und Tajima gegenüber? Innerlich stöhnte Abe frustriert auf. Der Kerl war noch sein Grab. Er stand auf. „Hat sich Mihashi euch gegenüber irgendwie komisch benommen?“ Abe blickte auf seine zwei Teamkollegen runter, die ihrerseits fragend nach oben starrten. „Definiere ‚komisch’, damit uns der Unterschied ersichtlich wird“, meinte Hanai lachend. „Auf mich hat er wie immer gewirkt. Aber was hat das mit seinem nicht enden wollenden Toilettenbesuch zu tun?“ „Was ist mit dir, Tajima?“ „Hm… Wir haben uns übers Frühstück unterhalten und darüber, was wir in Odawara essen werden. Welche Süßigkeiten wir hoffen auf dem Fest zu-“ „Ähm, schon gut, Tajima“, fuhr Abe gutmütig dazwischen. „Ich werde mal nachsehen gehen, wo der Hohlkopf bleibt.“ „Tu das, aber lass dir bitte nicht so viel Zeit. Zerre ihn, wenn nötig, an seinen Ohren hierher“, bat Hanai, der es sich aber mit einem Blick auf die Person neben sich wieder anders überlegte. „Lieber doch nicht. Versuch möglichst unauffällig zurückzukommen. Wir ziehen schon genug Aufmerksamkeit auf uns, wenn Tajima und Mihashi zusammen sind.“ Abe sah zu Tajima, der ihrer Unterhaltung nicht mehr zu folgen schien und grinste Hanai anschließend verstehend an. „Ich werde sehen, was ich machen kann. Zwölf Minuten sagtest du? Könnte knapp werden…“ „Dann lass dir was einfallen! Du bist schließlich der Spielmacher…“ to be continued... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)