Gaze von Alibear ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Wieder eine lange Nacht, wieder viel erreicht, um die verruchten Straßen New Yorks vom Abschaum zu befreien. Die Zusammenarbeit mit Nite Owl hatte heute wieder Früchte getragen. Viele Verbrecher - Zuhälter, Dealer und Schläger - hatten diese Nacht ihr Rendezvous mit Justicia. Doch es gab ein paar Komplikationen, einige Verbrecher, denen zu viel Zeit gegeben wurde, sich erholen und ihre Waffen für sich sprechen lassen zu können, um sich somit ihrer gerechten Strafe zu entziehen. Ein Schmetterling hatte ihn getroffen, hatte ihm einen langen Schnitt längs seines Gesichtes beschert, doch es blutete nicht. Zumindest nicht rot. Nichts, worüber sich Daniel sorgen musste, was ihn hätte ablenken können, wo er doch gerade in einem Faustkampf mit ein paar Topknots war, die mehr als dringend eine Abreibung nötig hatten. Schwarze Flüssigkeit ran sein Gesicht herab, schürte seinen Zorn nur noch mehr, ließ seine Fäuste in hohem Tempo auf Gesichter, Körper herab sausen, begleitet von einem Chor aus knackenden Knochen und blutig aufplatzender Haut. Wut und Hass trieben ihn an, ließen ihn Grenzen vergessen, die er vielleicht einst besaß, nun aber vollkommen gleichgültig, sinnlos waren. Dieser Abschaum verdiente kein Mitleid, keine Gnade - einzig allein Bestrafung für die Sünden, die sie tagtäglich begingen. Sie waren Sünder und er war ihr Richter, war der Einzige, der entscheiden durfte über ihr Leben. Selbstjustiz, um diese Welt zu einem besseren Ort machen zu können. Rorschach vergaß alles um sich herum, merkte nicht mehr, wie die, die er bestrafte, nur noch Blut spucken konnten, wie deren Gesichter sich zu einer undefinierbaren Masse an Fleisch und Knochensplittern formierten. Er merkte erst, dass kein Leben mehr in diesen Kakerlaken war, als ihm Nite Owl voller Entsetzen Gesellschaft leistete, blass und voll Furcht vor dem, was sich ihm präsentierte. Es sei genug, sagte er, seine Stimme so fern klingend, dass sie Rorschach wie von einem anderen Stern vorkam – er war noch zu sehr im Rausch des Kampfes verloren. Das Adrenalin schnellte durch seine Adern, betäubte seine Sinne. Weiterhin schlugen seine Fäuste auf Fleisch ein, hatte sie nicht mehr unter Kontrolle, wollte sie nicht mehr unter Kontrolle haben – es fühlte sich zu gut an, so über das Leben anderer entscheiden zu können, andere so zu erniedrigen, zu bestrafen. Zu zeigen, dass man selbst derjenige war, der die Zügel in der Hand hatte, der die Macht besaß – nie wieder würden sie spotten, ihn nie wieder verachten, beleidigen. Rorschach kam erst zu einem Halt, als Nite Owl ihn festhielt, seinen Arm umklammerte, der gerade zu einem weiteren Schlag ansetzen wollte, ihn von dem Ergebnis seines Zorns wegzerrte – ein blutiger, matschiger Klumpen, der sich leicht von der Dunkelheit absetzte, die die Seitenstraße einhüllte. Er blickte zu seinem Werk - ein blaues Auge, das durch den Schlitz seiner Maske zum Vorschein gekommen war, fixierte das Durcheinander aus Blut, Gliedmaßen und Kleidung. Es hätte ihn wohl beunruhigen müssen, ihn so in Schock versetzen müssen wie Daniel, dessen Augen unter seiner Spezialbrille wohl vor Angst geweitet waren – doch stattdessen grinste er. Er grinste unter der Schicht aus Latex, unter seinem Gesicht, wusste, dass er mit dem Tod dieser Leute etwas Gutes getan hatte, diese Stadt eine weitere Nacht – und vielleicht sogar einen weiteren Tag – lang vor erneuten Gefahren hatte schützen können. Doch lange konnte er sich nicht an diesem Erfolg festhalten, denn Daniel zerrte weiter an ihm, raus aus der Gasse, in den Schutz eines verlassenen Fabrikgebäudes – das Aufkommen von Polizeisirenen hatte ihn wohl in Alarm versetzt. Dachte wohl, wenn sie sähen, was Rorschach angerichtet hatte, würden sie wohl auf der gleichen Stufe mit diesen Verbrechern stehen und im Gefängnis landen. Falsche Ansicht ganz falsch. Schließlich hatte Rorschach nur der Gerechtigkeit Tribut gezollt – das war etwas vollkommen anderes als das, was diese widerwertigen Personen angerichtet hatten. Warum sich verstecken, wenn das, was sie getan hatten, richtig war? Lange konnte er über diese Frage nicht nachdenken – da spürte er, wie Daniels Blick auf ihm lag – auf seinem Gesicht, auf der Wunde, die ihm zugezogen wurde und einen Blick preisgab auf das, was unter ihr lag. Einen Moment lang rührten sich beide nicht, sahen sich nur an – bis Daniel sich zu rühren wagte, seine Hand hob, um den Schnitt genauer inspizieren zu können, aus dem immer noch ein wenig schwarze Flüssigkeit heraus sickerte. Rorschach reagierte sofort, griff nach Daniels Handgelenk, nach dessen Finger, drückte diesen so weit zurück, bis er kurz davor stand, aus dem Gelenk zu springen. Und das schien Warnung genug zu sein - Daniel zuckte leicht zurück, versuchte einen entschuldigenden Blick, der es wirklich schaffte, Rorschach davon zu überzeugen, ihn loszulassen. Er hatte sich schließlich nur gesorgt, das waren seine Worte nächsten Worte, gefolgt von einem warmen Lächeln, das aber nicht bis zu Rorschachs kaltem Herz vordringen konnte. Dieser drehte sich nur weg, steckte die Hände in die Manteltaschen und verschwand in der Dunkelheit, Daniel damit signalisierend, dass ihre Patrouille für diese Nacht beendet war, ihre Zusammenarbeit für heute vergessen. Er ließ ihn allein, allein in dieser Dunkelheit, wohl immer noch mit leichter Sorge und großem Bedauern, welches sich in seine Gesichtszüge gelegt hatte. Daniel war so manches Mal einfach zu weich für diesen Job – und doch war dies ein Charakterzug von ihm, der Rorschach beruhigte, der ihm das Gefühl gab, dass es richtig war, gerade mit Nite Owl als Partner zu arbeiten. Leicht erschöpft, immer noch nicht gänzlich von seinem Kampfhoch und Daniels Annäherung erholt, kam er nun in der kleinen, billigen Mietwohnung an, die er als Unterkunft nutzte. Er musste über die Feuertreppe hinein, unauffällig und unbemerkt von Anderen – es durfte niemand wissen, dass er es war, der hier residierte. Niemand durfte wissen, dass sich hier - hinter der Fassade eines Versagers wie Walter Joseph Kovacs - New Yorks gefürchtetster Verbrechensbekämpfer versteckte. Wie eine Katze fiel er geschickt durch das halboffene Fenster, landete leise auf den Füßen in einen dunklen Raum, der - keine Sekunde später - durch das Betätigen eines Schalters in das fahle Licht einer einzelnen kleinen Lampe getaucht wurde. Hatten sie ihm den Strom doch noch nicht abgedreht, obwohl er mit seinen Zahlungen im Rückstand war. Ein kleiner Brief lag vor der Haustür, wahrscheinlich eine Benachrichtigung der Vermieterin, dass sie langsam mal ihr Geld sehen wollte. Ignoranten. Für Rorschach gab es wichtigeres als Finanzen. Geld wurde nebensächlich, wenn man sein Leben dem Kampf gegen das Verbrechen verpflichtete. Die nette Botschaft missachtend, pellte er sich sein Gesicht von seiner Maske, begutachtete den Schaden, den der Messerschnitt angerichtet hatte. Eine beachtliche Menge der Flüssigkeit zwischen den beiden Latexschichten war ausgesickert. Den Schnitt mit einer heißen Nadel zu schließen würde nicht mehr viel bringen, da sein Gesicht nicht mehr so wie früher sein würde. Fluchend warf er es in eine Ecke und suchte nach Resten des Stoffes, aus dem er sich seine Identität neu erschaffen könne. Zum Glück hatte er noch etwas von diesem übrig, sonst hätte er wohl auf das Gesicht zurückgreifen müssen, dass er seit diesem einen Vorfall versteckt gehalten hatte. Es erinnerte ihn an zu viel schreckliches, an unendliches, menschliches, monströses Grauen. Es erinnerte ihn an seine Geburt, erinnerte ihn daran, dass er eine fiktive Persönlichkeit war, die den Platz einer schwachen, gekränkten Seele eingenommen hatte – einer Seele, die unmöglich noch mehr Leid ertragen hätte, ohne daran vollkommen zu zerbrechen. War zu schwach, zu schwach für die Aufgabe, die er sich aufgebürdet hatte. Helfe ihm, das auszuführen, wovor er Angst hat. Diese Erklärung beruhigte ihn immer wieder, wenn er sie sich in Erinnerung rief. Sie rechtfertigte sein Tun und Handeln und gaben dem Ganzen einen Sinn – einen guten Sinn, einen Sinn, für den es sich zu kämpfen lohnte. Das wusste auch Walter – daher unternahm er nichts, ließ Rorschach walten, wie dieser es für nötig hielt. Rorschach schnappte sich den Stoff, zusammen mit seiner Schere, Streichhölzern und einer Kerze. Walter hatte damals gut herausgefunden, wie man diesen Stoff bearbeiten musste – damit die Flüssigkeit beim Zuschneiden nicht hinauslaufen konnte, musste man sie mit einer sehr heißen Schere bearbeiten, damit sich das Latex an den Schnittstellen sofort wieder schloss. Wenigstens etwas, wozu die Fähigkeiten dieses Schwächlings zu Nutze waren. Es dauerte keine Stunde, da konnte Rorschach auf sein neues Gesicht hinabblicken, so perfekt wie die anderen - schwarz, das sich nie mit weiß zu grau verfärben würde. Genau getrennt, genau eingeteilt – eine perfekte Wiedergabe seines eigenen Weltbilds, sichtbar für jedermann. Vorsichtig legte er es mit seinen restlichen Sachen auf einen ordentlich gefalteten Haufen, suchte nach seinem Tagebuch und setzte sich auf sein Bett, leicht zur Seite gelehnt, um das bisschen Licht, das er hatte, auch nutzen zu können. Laut drang das Kratzen des Bleistiftes durch den Raum, der langsam und in kurzen, auf den Punkt gebrachten Sätzen die leeren Seiten füllte - eine nach der anderen voller Ereignisse, Erlebnisse, Gedanken der Nacht. Zeile um Zeile füllte sich, halfen ihm dabei, besser über das nachzudenken, was er getan hatte, daraus Schlüsse zu ziehen, die seine Vorgehensweise mit Nite Owl und ihren gemeinsamen Patrouillen verbessern könnten. Rorschach gewann damit Abstand, eine objektive Sichtweise auf seine Taten – machte sich so auf Dinge aufmerksam, an die er normalerweise keinen weiteren Gedanken verschwendet hätte. So wie dieser Umstand nun, der seine Hand stoppen, den Bleistift anheben ließ, damit seine Augen einen klareren Blick auf die Worte hatten, die ihn umschrieben. Hatte auf Verbrecher eingeschlagen. Kannte keine Grenzen mehr. Fühlte sich gut an, befreiend, als hätte ich mich von Last auf Schultern befreit. Sah all die, die mich verspottet hatten. Konnte mich wehren, ohne dass gesellschaftliche Normen mich hätten aufhalten können. Zorn aus längst vergangenen Tagen, heute gesühnt, beruhigt. Schönes Gefühl. Rorschach konnte sich nicht erinnern, das gerade wirklich geschrieben zu haben. Der Bleistift war zwar unter seiner Führung über das Papier geglitten, aber diese Worte hatten seine Gedanken nicht ein einziges Mal gestreift. So etwas würde er nicht denken, ihm war egal, wie andere über ihn dachten – außer diese Gedanken betrafen Respekt, Furcht oder Angst. Oder alles von dem erwähnten. Rorschach war verwirrt – diese Worte, nicht seine, woher kamen sie? Kamen sie etwa… Vehement schüttelte er den Kopf, verweigerte sich diese Idee, die in seinem Kopf aufkam und schrieb weiter, schrieb weiter wie ein Besessener - zum einen, um endlich fertig zu werden mit seinem Eintrag, zum anderen, um seine Gedanken hinsichtlich dieses kurzen Abschnittes ablenken zu können. Sicherlich bedeuteten sie gar nichts – zumindest konnten sie nicht das sein, was er dachte, dass sie gewesen wären. Er hatte einfach keine Kontrolle mehr über ihn, er war in den Hintergrund getreten, sagte nichts mehr, hatte sich in dem kleinen, weißen Zimmer seines Unterbewusstseins verschanzt und sah von dort aus zu, wie sich die Welt unter Rorschachs Justiz formte. Hat nichts mehr zu sagen, nur noch eine Maske, die mir am Tage dient. Keinen Willen mehr, kein Recht mehr, hat sich aufgegeben und mir den Platz überlassen. Aggressiv schrieb er weiter, drückte den Bleistift ins Papier, riss fast durch es hindurch. Musste sich ablenken, durfte nicht dran denken – er war die dominante Persönlichkeit, es gab nur noch ihn, niemanden sonst. Weitere Worte füllten die Seiten, weitere Worte, die ihn erneut stoppen ließen, als er sich einen Moment Zeit nahm, sie zu überfliegen. Daniel hat mich aufgehalten. Daniel hat mich beschützt, mir geholfen, mich versteckt vor der Polizei. Hätten mich sicherlich eingesperrt, doch Daniel war da. Hat mich voller Sorge angesehen. Wollte helfen. Daniel war da….hat geholfen...wollte helfen…Daniel…Daniel… Wutentbrannt riss Rorschach die Seite aus dem Tagebuch, knüllte sie zusammen, schmiss sie aus dem Fenster und in die langsam vom Morgen verdrängte Nacht. Nicht seine Worte, das waren nicht seine Worte, er würde nie so etwas schreiben. Zu sentimental, zu weich – zu … Walter…. Das dieser es sich noch immer traute, hervorzutreten. Stand ihm nicht zu, stand ihm nicht zu, sich zu offenbaren. Walter hatte keinen Platz mehr in dieser Welt, war abgetreten, hatte sich im Hintergrund versteckt und ihm die Bühne überlassen, ihm, Rorschach. Er sollte es sich nicht wagen, hervorzukommen – und ihn dann dazu zwingen, solch erniedrigende, beschämende Worte aufzuschreiben. Worte, die vor Emotionalität nur so stanken, die nichts anderes implizierten als Schwäche. Rorschach ging wutentbrannt zum Badezimmer, lehnte sich über das schmutzige, klebrige Waschbecken und starrte in den einzigen Spiegel seiner Wohnung, blickte in das Bild, dass dieser reflektierte – und blickte in das Gesicht eines Mannes, der sich aufgegeben hatte und nun aufmüpfig zu werden schien. Hast kein Recht mehr, hast Recht abgetreten, abgetreten an mich, den Einzigen, der dir noch helfen kann. Und dann zeigst du dich so widerwärtig, so schwach? Halt dich raus, raus aus allem. Niemand will dich, niemand braucht dich. Daniel erst recht nicht. Doch das Spiegelbild durchbohrte ihn nur mit einem Blick aus klaren blauen Augen, die mehr Unrecht gesehen hatten, als Rorschach je hätte begehen können. Als wollten sie ihm sagen, dass er falsch lag, dass dort noch etwas existierte, über das er keine Kontrolle hatte. Etwas, das den Kontakt mit Daniel vertiefen wollte, Beachtung und Achtung von diesem Mann wollte, Freundschaft – und vielleicht noch mehr. Erneut kochte das Blut in seinen Adern auf, angeheizt von diesem Blick und dessen frevelhaften, schmutzigen Hintergedanken. Und auf einmal war dort kein Spiegel mehr. Nur noch Splitter, die seine Faust einhüllten, ihn in diese schnitten, als sie ihren Weg, der Schwerkraft gemäß, hinab ins Waschbecken und auf den Boden bestritten. Blut leistete ihnen dabei Gesellschaft. Rorschachs Blut. Walters Blut. Langsam zog er seine Faust zurück, sein Zorn vom Schmerz betäubt, betrachtete sie, betrachtete das Blut, das an ihr hinab lief. Ein lethargischer Blick, ohne einen Gedanken daran verschwendend, sie zu verarzten. Sollte es doch bluten – das würde seine gerechte Strafe dafür sein, solche Gedanken zu fassen. Langsam ging er zurück zu seinem Bett, eine kleine Blutspur auf seinem Weg hinterlassend, und legte sich hin, gab sich der Müdigkeit hin, die ihn nach so viel Ärger und Zorn umhüllte. Daniel würde sich Morgen sicherlich Sorgen machen ob der Wunde, würde sie trotz der Handschuhe bemerken - doch das war ihm egal. Sollte er doch, wenn er es nicht anders kann, das war halt sein Charakter – immer nett zu denen, die ihn umgaben, immer voller Sorge. Seinen Kopf auf ein Kissen bettend, schloss er die Augen und schlief bald ein, um erst im Laufe des Nachmittages aufzuwachen und seiner Rolle als dunkler Prophet auf den Straßen New Yorks erneut gerecht zu werden. Als Prophet mit seiner Maske des Walter Joseph Kovacs. Das sollten Rorschachs letzte Gedanken vor seinem, aus seiner Sicht, wohlverdienten Schlaf zu sein. Walters Gedanke war ein ganz anderer. Nur ein einziges Wort. Ein einziger Name. Daniel… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)