Irgendwo in dieser Welt von Flordelis ================================================================================ Kapitel 20: Die Hexe -------------------- Die Person, die da stand war ein Mädchen, ungefähr in meinem Alter, ihr schwarzes Haar hatte ungefähr dieselbe Länge wie mein braunes, nein, ein wenig länger. Der verwirrte Blick aus ihren braunen Augen sagte mir, dass sie sich fragte, wer ich war – genau wie ich mich fragte, wer sie war. Doch schon bald sah sie Narukana an, ihre Stirn zog sich dabei kraus. „Du bist ja schon wieder hier, Marukana.“ „Argh, du sollst aufhören, mich so zu nennen“, kam die knurrende Antwort. „Mein Name ist Narukana!“ Die Fremde lachte spöttisch. „Das ist kein Name, sondern eine Krankheit.“ „Duuu!“ Narukana sprang auf und wollte sich auf die mir Unbekannte stürzen, doch diese hob nur die Hände, weswegen die Möchtegern-Göttin innehielt. „Uh-uh-uh~“, mahnte die Fremde. „Wenn du mir etwas antust, werde ich das Siegel in eine andere Welt verfrachten und du bekommst deine Kräfte niiiie~ wieder.“ Die Worte schienen sie zu amüsieren, ein Lächeln zierte plötzlich ihr Gesicht. Jeder andere hätte wohl mitgelacht, doch Narukana zuckte zusammen. „D-das würdest du nicht wagen.“ „Lass es einfach auf einen Versuch ankommen.“ Für einige Sekunden standen die beiden sich schweigend gegenüber, während ich sie angespannt beobachtete. Einen kurzen Moment kam es mir tatsächlich so vor als ob ich einen Film sehen würde, in dem zwei Magier sich für einen Kampf gegenüberstanden. „Verschwinde endlich“, sagte die Unbekannte. Ich unterdrückte das spöttische Lachen. Als ob Narukana auf so etwas hören würde... Doch zu meinem Erstaunen huschte das Mädchen tatsächlich in den Gang hinaus und verschwand aus meinem Sichtfeld. „W-wie machst du das?“, fragte ich erstaunt. Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. „Kinderspiel.“ Plötzlich begann sie zu lächeln und hielt mir ihre Hand hin. „Ich bin Alona Darrow~“ Für einen kurzen Moment war ich äußerst verdutzt. Warum stellte sie sich mir vor? Was erwartete sie jetzt von mir? Oh... ja, wahrscheinlich, dass ich mich ebenfalls vorstellte. Normalerweise verriet ich Fremden nicht einfach meinen Namen, aber immerhin hatte sie sich auch vorgestellt und außerdem war sie Narukana losgeworden, also war es möglicherweise okay. Ich ergriff ihre Hand, die mir gleich aufhalf, so dass ich mich wieder auf den Sessel setzen konnte. „Leana Vartanian.“ „Ah, hübscher Name. Hört man nicht oft, nicht wahr?“ Ich schwieg. Was sollte ich auch dazu sagen? Die Wahl des Namen war nicht meine Entscheidung gewesen – aber ich war ganz froh darüber, dass nicht jede Zweite so hieß. Sie störte sich offenbar nicht an meinem Schweigen, sondern sprach direkt weiter: „Du bist wohl jetzt in Bailas Zimmer, hm?“ Ein kurzes Nicken genügte ihr als Antwort und war ihr genug Ansporn, weiterzureden: „Bevor ich hier raus bin, war ich mit ihr im Zimmer. Sie spricht aber immer noch nicht, oder?“ Diesmal schüttelte ich den Kopf. „Ah, dachte ich mir schon. Das dauert wohl noch etwas, sie kam zeitgleich mit mir ins Krankenhaus, aber bei ihr war abzusehen, dass es 'ne ganze Weile dauern wird.“ Was war mit diesem Mädchen los? Warum musste sie die ganze Zeit sprechen? Aber Moment! Sagte sie gerade, sie war eine Patientin hier gewesen? Dann wusste sie vielleicht auch etwas über Zetsu... der einfach abgehauen war, als Narukana mich angegriffen hatte. „He, äh, Alona...“ Ihr Gesicht schien plötzlich zu leuchten, als ob sie sich freuen würde, dass ich mich an ihren Namen erinnerte. „Weißt du, warum Zetsu hier ist?“ Ihr Gesicht entgleiste plötzlich als ob ich da etwas besonders Ekliges erwähnt hätte. „Der ist auch noch da? Mann, kann der nicht einfach tot umfallen oder sich zumindest in die Kardiologie legen, wo vernünftige Leute mit seinem Leiden liegen?“ Kardiologie, huh? Das würde heißen, dass er etwas mit dem Herzen hatte – aber warum war er dann hier? Das machte nicht viel Sinn. „Oh, wie nett du mal wieder über mich sprichst.“ Zetsu trat erneut in mein Sichtfeld, der eiskalte Blick erzeugte einen schmerzhaften Stich in meinem Inneren – aber immerhin sah er damit nicht mich an, sondern Alona, die sich davon aber nicht beeindrucken ließ. Stattdessen verschränkte sie die Arme vor der Brust und erwiderte seinen Blick kampflustig. „Selbst schuld. Du hast mit der ganzen Sache angefangen.“ Er warf sein Haar zurück, allerdings wirkte diese Geste diesmal weniger charmant, dafür eher... arrogant. Also so richtig, die Art Arroganz, die einen dazu bringen will, der entsprechenden Person einen Fausthieb zu verpassen. „Komm schon, es ist nicht so als wärst du ein Unschuldslamm“, sagte er. „Du hast es von Anfang an darauf angelegt, mich zu deinem Feind zu machen.“ Alona rollte deutlich genervt mit den Augen. „Komm schon, als ob du es wert wärst, dich als meinen Feind zu bezeichnen.“ Einen kurzen Augenblick gaukelte ich mir tatsächlich vor, dass sie sich nur gegenseitig aufzogen – doch die kühle Atmosphäre und die Blicke, die sie sich dabei zuwarfen, sagten mir, dass diese Feindschaft wirklich der Wahrheit entsprach. „Was habt ihr denn gegeneinander?“, fragte ich vorsichtig. Die Blicke beider wandten sich mir zu und – was ich erstaunlich fand – wurden gleichzeitig wieder weicher. „Wir mögen uns einfach nicht“, antwortete Zetsu. „Das ist alles.“ Dabei war ich bislang überzeugt gewesen, dass er jeden mögen würde – na ja, außer Narukana, aber wie konnte man die auch mögen? Sah ich hier vielleicht eine Seite von Zetsu, die mich von ihm abbringen würde? Allein bei dem Gedanken zogen sich meine Brust und mein Magen wieder zusammen. „So ist es“, stimmte Alona zu. „Deswegen finde ich es schade, dass du immer noch nicht tot umgefallen bist. Aber es stimmt wohl und Unkraut vergeht nicht.“ Für nur einen winzigen Augenblick sah sie zu ihm und in diesem Moment schmunzelten beide. Es war so schnell vorbei, dass ich glaubte, ich hätte es mir nur eingebildet. Dieser kurze gegenseitige Blick beruhigte mich wieder ein wenig. Ganz so anders wie ich Zetsu kennengelernt hatte, war er also doch nicht, zum Glück. „Jedenfalls behauptet er inzwischen, ich wäre eine Hexe“, bemerkte Alona. „Du bist ja auch eine“, erwiderte er. „Du verzauberst Menschen und legst sie unter deinen Bann.“ Das erinnerte mich fast schon an das, was er mit mir tat. Vielleicht war er ja ein Zauberer, einer von der talentierten Sorte, der einen Liebeszauber gesprochen hatte, der selbst jemanden wie mich ansprach. Meine Mundwinkel zuckten leicht, als ich das dachte. Pff, als ob es so etwas geben könnte – obgleich es vieles erklären würde. Zu schade, dass das im echten Leben nicht funktionierte. Dann müsste ich eigentlich nur noch diesen Zauber durchbrechen und wäre wieder dieselbe, an Männern uninteressierte Leana wie zuvor und ich würde nicht mehr dauernd an ihn denken müssen. Hach, wäre das schön~ Sie seufzte, mit den Nerven offenbar völlig am Ende. „Ich habe niemanden verzaubert, meine Güte.“ „Narukana sieht das anders~“ „Weil du es ihr eingeredet hast!“ Mir kam es vor als ob sie ihm gleich an die Kehle springen würde, weswegen ich mich hastig räusperte. „Ähem, wenn du entlassen wurdest, was machst du dann hier?“ Alona wandte sich sofort mir wieder zu. „Nachuntersuchung, alle drei Monate. Ein negativer Effekt, wenn man sich so früh wieder entlassen lässt.“ „Ach, tu doch nicht so“, merkte Zetsu an. „Du kommst doch gern alle drei Monate wieder her. Wie sonst solltest du Dr. Cworcs wiedersehen können?“ Das war jetzt nicht wahr, oder? Sie schnitt ihm eine Grimasse. „Gar nicht wahr. Ich muss ganz schön weit fahren hierher, das ist mir nicht mal Dr. Cworcs wert.“ Irritiert sah ich Alona an. Das war nicht wirklich wahr, oder? „Oh ja genau, als ob du nicht nur ursprünglich in die Klinik gekommen wärst, um ihn anzubeten.“ Wie konnte man nur? Sie schien nicht wütend zu sein, stattdessen wirkte sie eher genervt. Vielleicht war an dieser Sache doch nicht so viel dran. „Ich bin nur in diese Klinik gekommen, weil sie am Nächsten war. Das sollte sicherstellen, dass ich jederzeit abhauen kann, wenn mir das alles zu viel wird. Überall anders wäre das nicht gegangen.“ Zetsu wirkte davon nicht wirklich überzeugt, ich war dagegen eher verwirrt – hoffte aber, dass sie bald wieder abhauen würde. Noch mehr neue Leute in meinem Leben und ich würde bald nicht einmal mehr wissen, wer ich war. Aber wenn sie schon da war, konnte ich sie gleich etwas fragen. „He, warum denkt Narukana, dass ich ihr Siegel verstecke, wenn du doch angeblich diejenige warst, die dafür verantwortlich ist?“ Alona zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nicht mal so recht, warum sie auf die Idee kam, dass ich ihre Kraft versiegelt habe. Vielleicht denkt sie, ich hätte dich als neue Wächterin hergeschickt. Aber bei Leuten wie ihr weißt du doch nie.“ Sie schmunzelte amüsiert. „Würde mich nicht wundern, wenn wirklich mal eine Krankheit nach ihr benannt werden würde.“ Also würde ich mich wohl weiter mit Narukana herumschlagen müssen, prima. „He, das nächste Mal, wenn sie dich angreift, ziehst du ihr einfach eines mit der Krücke über“, schlug Alona vor. „Vielleicht wird sie dann ein wenig schlauer.“ Zetsu schien etwas dazu sagen zu wollen, doch stattdessen räusperte er sich nur. Ich erkannte auch bald den Grund dafür: Dr. Cworcs stand hinter Alona und wirkte alles andere als glücklich über ihre Worte. Ich war so auf sie fixiert gewesen, dass ich gar nicht gemerkt hatte, dass er die Station betreten hatte. Sie fuhr ebenfalls herum und zuckte heftig zusammen. „Dr. Cworcs!“ „Ich finde es nicht in Ordnung, dass du meinen Patienten Tipps gibst, wie man am besten gewaltsam gegen andere Patienten vorgeht.“ Seine Miene blieb völlig unbewegt und sogar seine Stimme zeigte keinerlei Anzeichen von irgendwelchen emotionalen Regungen. Bewundernswert, wie sehr er sich unter Kontrolle hielt – oder nahm er vielleicht genügend Beruhigungstabletten? Ich könnte mir nicht vorstellen, jeden Tag mit irgendwelchen Geschichten aus dieser oder anderen Stationen konfrontiert zu werden. Mich deprimierten schon nur die wenigen, die ich bislang kannte. „T-tut mir Leid“, sagte sie hastig. „War keine Absicht.“ Er sah sie prüfend an, doch etwas anderes bekam er nicht mehr von ihr zu hören, weswegen er nur ein Schulterzucken andeutete. „Nun, wie auch immer, es wird Zeit für deinen Termin.“ Wie auf Stichwort erschien plötzlich Jatzieta mit einem Klemmbrett neben ihm. „Ich bin bereit~“ Alle drei nickten sich zu, Alona winkte noch einmal, bevor sie mit den anderen beiden im Behandlungsraum verschwand. Zetsu rümpfte die Nase. „Ich hatte gehofft, ich sehe sie nie wieder.“ „Findest du sie so schlimm?“ Er wandte sich mir zu – und erneut wurden seine Gesichtszüge weicher, worauf mein Herz gegen meinen Willen einen Sprung machte. „Na ja, sie ist eigentlich ganz erträglich“, antwortete er. „Immerhin besser als Narukana, aber eigentlich genauso nervig.“ Sein folgendes Schulterzucken sagte mir, dass es ihn nicht weiter kümmerte und er auch nicht weiter darüber reden wollte. Stattdessen lächelte er mir zu, ehe er meine Krücken aufhob, die ebenfalls auf den Boden gefallen waren. „Hast du dann heute noch etwas vor?“ „Ja, ich will mich ein wenig hinlegen, um zu schlafen.“ Der Mangel an Medikamenten, die kleine Auseinandersetzung mit Narukana und mein schmerzender Fuß machten mir zu schaffen. Ich wollte nur noch in mein Bett fallen und schlafen, von mir aus auch bis zum nächsten Tag. „Ich bring dich auf dein Zimmer“, bot er mir sofort an, doch ich wehrte direkt ab: „Nein, danke. Ich schaffe das auch noch allein.“ Ich bekam den Eindruck, er wäre enttäuscht, doch da er fast direkt danach mit den Schultern zuckte und sich umwandte, um wegzugehen, schien das nicht so zu sein. Diesmal war die Enttäuschung auf meiner Seite, ich verwarf sie allerdings sofort. Das war doch genau das, was ich von seiner Seite aus wollte, damit ich ihn endlich vergessen konnte. Aber was war das für ein bitteres Gefühl, das sich bei dem Gedanken in mir ausbreitete? Nichtsdestotrotz versuchte ich, es zu ignorieren und ins Bett zu kommen, um endlich zu schlafen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)