Ta Sho von Turbofreak (erste Schritte) ================================================================================ Kapitel 13: Fügung ------------------ Es war schwierig, sich an Abmachungen zu halten, auch wenn sie wichtig waren. Das bemerkten in den nächsten Tagen alle. Für Stan, Oliver und auch Martin war es schwierig, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass sie jemanden beherbergten, der gar nicht hier sein dürfte. Nachdem Oliver und Stanley alle Fragen bei ihrem schrägen Frühstück beantwortet bekommen hatten, stand für die beiden fest, das Beste aus der Situation zu machen und offen für Neues zu sein. Für die beiden Männer war es gar keine Frage gewesen, Shinji bei sich zu beherbergen. Sie hatten mit Fireballs Vater keine Schwierigkeiten und auch Martin war die Anwesenheit nicht unangenehm. Für die beiden Hikari war es ungleich schwerer unter einem Dach zu wohnen. Zwar hielt sich Shinji daran, das Haus nicht zu verlassen und sich nicht mit den Nachbarn zu unterhalten, aber das führte lediglich dazu, dass langsam der Frust in ihm empor kroch. Sein Sohn hielt ihn von allem fern, was einen Einblick auf die Zukunft hätte geben können. Eines allerdings hatte Fireball seinem Vater nicht verbieten können. Er war so klug gewesen, ihn von der Umwelt abzuschotten, hatte aber nicht bedacht, dass Shinji auch über Nachrichten erfahren könnte, wie es in der Welt zugehen würde. Shinji nützte diese Schwachstelle in ihrer Vereinbarung gnadenlos aus. Als er erst einmal begriffen hatte, wie die Technik in zwanzig Jahren so funktionierte und woher er die gewünschten Informationen bekam, war er bald im Bilde. Manchmal erschrak der ältere Hikari über die Brutalität, die tagtäglich dort draußen vorherrschte. Es gab wohl keinen Flecken Erde, auf dem nicht zumindest ein Bürgerkrieg wütete. Sein Tod würde Menschen zwar die Zeit verschaffen, sich etwas gegen die Outrider einfallen zu lassen, aber ein friedlicherer Ort wurde daraus dennoch nicht. Als er wieder einmal einen Bericht über eine völlig zerstörte Stadt gesehen hatte, machte er erschüttert den Fernseher aus und stand auf. Shinji musste sich ablenken und begann deswegen für die jungen Männer Essen zu kochen. Die würden wie immer kurz nach Feierabend nachhause kommen. Während Stan oftmals abends noch ausging und auch Oliver seine freie Zeit außerhalb der vier Wände genoss, blieben Martin und Fireball eher zuhause. Der Brasilianer zog sich manchmal in das Schlafzimmer zurück um ungestört mit seiner Freundin telefonieren zu können. Shinji hatte schnell bemerkt, dass die Liebe dort ziemlich groß war. An diesem Abend duftete es bereits nach Essen, als Fireball mit den anderen dreien die Tür aufschloss. Stan steckte die Nase in die Wohnung und nahm förmlich Witterung auf. Er folgte der verlockenden Duftspur und mutmaßte: „Boah, was riecht denn da so lecker? Ist das eine japanische Spezialität?“ Fireball jedoch blieb am Eingang stehen. Er wusste, wonach es roch. Einen Moment lang sog er den Duft von Ramen ein. Es roch wie zuhause. Zumindest für die Länge des Abendessens vergaß der junge Captain, wie schwierig ihre Situation war und welche Herausforderung es noch zu bestehen galt. Weil an diesem Abend ausnahmsweise gleich nach dem Abendessen alle die Flucht ergriffen und ins Kino ausflogen, blieb an Fireball der Abwasch hängen. Während er schweigend das gebrauchte Geschirr in den Geschirrspüler stapelte, blieb sein Vater am Küchentisch sitzen und beobachtete ihn, ebenso schweigend. Dem älteren Japaner wog das Herz in letzter Zeit schwer. Zum einen weil er wusste, dass er bald sterben würde und zum anderen, weil er die letzten Tage aufmerksam durch die Wohnung gegangen war und seinen Sohn unentwegt beobachtet hatte. Fireball setzte sich schließlich wieder an den Küchentisch. Er schob seinem Vater eine Flasche Bier vor die Nase, seine öffnete er danach mit dem Flaschenöffner. Danach wanderte auch der Öffner zu seinem Vater hinüber. Fireball nahm einen Schluck von dem kalten Getränk und seufzte leise. Sein Blick haftete an dem Etikett der braunen Flasche, das er abzuziehen begann. Der Japaner konnte sich immer noch nicht richtig darüber freuen, seinen Vater bei sich zu haben. Es lastete schwer auf ihm, denn er alleine hatte die Entscheidung getroffen, seinen Vater so schnell wie möglich wieder zurück zu schicken. Er hatte das Schicksal seines Vaters in Windeseile besiegelt. Und dann rang er auch schon seit Tagen mit sich. Immer wieder hatte er sein Telefon in Händen gehalten und hatte sie anrufen wollen, doch er hatte nie gewusst, was er ihr sagen sollte. Die Wahrheit hätte sie nicht verstanden. Fireball sah schließlich zu seinem Vater auf und murmelte: „Ich wollte Ai anrufen und sie herbitten.“ Erstaunt, aber dennoch aufmerksam sah Shinji seinem Sohn ins Gesicht. Er hatte bereits am ersten Tag gemerkt, dass Fireball mit der Verantwortung und der Situation seine Kämpfe ausfocht, aber weshalb er Ai nun hier haben wollte, erschloss sich dem Vater nicht sofort. Shinji rückte seinen Stuhl zurück, dabei streckte er seine Beine unter dem Tisch durch. Unbewusst begann der ältere Hikari nun ebenfalls am Etikett der Bierflasche zu pulen. Er fragte seinen Jungen leise: „Weshalb willst du deine Mutter hier haben, Kurzer?“ „Nicht wegen mir“, kam die gemurmelte Antwort prompt. Für die nächsten Worte brauchte der Wildfang schon wieder wesentlich länger. Fireball hatte die letzten Nächte nicht viel geschlafen, Gedanken hatten ihn gequält und auch viele Fragen hatten ihn wach gehalten. Das ein oder andere Mal hatten sich auch Gedanken über seine Familie dazwischen gesellt und das epische Wort ‚Schicksal‘ hatte mit gemischt. Fireball fragte sich, ob es Schicksal war, dass sein Vater genau hier, genau zu dieser Zeit gelandet war. Vielleicht durfte sein Vater Abschied nehmen und Fireball glaubte, dass auch seiner Mutter dieses Recht zustand. Fireballs Blick ging an seinem Vater vorbei, als er ihm gestand: „Ich denke, Ai hat einen ordentlichen Abschied von dir verdient. Ja, meinetwegen kommt der zwanzig Jahre zu spät, aber das ändert nichts. Du bist mit dem Wissen zu dem Manöver aufgebrochen, dass du nie wieder zurückkommen würdest. Du konntest dich darauf einstellen, Ai nicht.“ Shinjis Schultern hingen nach unten. Sein Sohn hatte Recht. Dank Saber und den anderen Kindern hatte er gewusst, was auf ihn zukommen würde. Seiner Ai hatte er nichts davon erzählen können. Er hatte, in seinem krampfhaften Versuch, sich nichts anmerken zu lassen, ihr noch nicht einmal gesagt, wie sehr er sie liebte. Mit dem Gedanken daran, begann sich das Herz des Piloten zusammen zu ziehen. Er war zehn Jahre mit Ai verheiratet gewesen, gekannt hatten sie sich beinahe noch mal so lange. Solange er sich zurück erinnern konnte, war seine Ai für ihn da gewesen, hatte ihm in guten und auch schlechten Zeiten beigestanden. Die letzten Monate ganz besonders. Shinji sah zu seinem Sohn hinüber. Als der junge Wirbelwind zu ihm in die Einheit gespült worden war, waren Ai und er sich einig gewesen, gerne so ein Kind wie ihn zu haben. Shinjis Augen wurden wehmütig. Er dachte an den letzten Tag in Yuma zurück, als er sich von Ramrod verabschiedet hatte und er geglaubt hatte, niemals Vater zu werden. Shinji wusste nun, was die mit Abstand schlimmste Erfahrung in seinem Leben für ihn gewesen war. Es war schon unerträglich, jahrelang zu versuchen, ein Kind zu bekommen. Aber ungleich schrecklicher war es zu erfahren, dass der Sohn, den man unter normalen Umständen niemals kennen gelernt hätte, niemals existieren würde. Shinji blickte zu seinem jüngeren Pendant hinüber. Er musste dem Schicksal mit seinem Tod einen wahrlich großen Dienst erweisen, wenn es ihm weitere Zeit mit seinem Sohn gewährte. Schließlich antwortete Shinji: „Versteh mich nicht falsch, aber ich glaube nicht, dass du Ai herholen solltest. Es ist zwanzig Jahre her, wie du gesagt hast. Es wäre nicht richtig.“ Fireball verstand diese Reaktion nicht. Für ihn war klar, dass es einen Grund geben musste, weshalb sein Vater in der Gegenwart gelandet war und es kam nur in Frage, dass er sich von seiner Frau verabschieden sollte. Er dachte nicht eine Millisekunde daran, dass dieses Treffen einen anderen Grund haben könnte. Ein wenig verbohrt begehrte er auf: „Aber weshalb solltest du sonst hier sein?!“ Ein väterliches Lächeln stahl sich über Shinjis Lippen. Er stand auf, seine leere Bierflasche stellte er neben das Spülbecken. Während er für Nachschub sorgte, begann er zu argumentieren: „Ich denke, dass der Grund hier am Tisch sitzt. Yama will mich belohnen und gibt mir noch etwas Zeit, bevor er mich holt. Anders kann ich es mir nicht erklären.“ „Verschont mich mit eurem Aberglauben! Der wird leider nur allzu gerne Realität“, Fireball sank in seinem Stuhl hinab. Seine Mutter sprach in einer Tour von Wiedergeburt und Reinkarnation, die Geschichte vom Gott des Todes wollte er nicht auch noch auswendig können. Er hatte sich knappe zwanzig Jahre gegen die Geschichten gesträubt und nur, weil sie kein Hokuspokus waren, bedeutete das für den Sturkopf noch lange nicht, dass er sich noch weitere anhören würde. Fireball fuhr sich durch die Haare. Er war recht froh, dass seine Kollegen das Weite gesucht hatten, er wusste für sich selbst, dass er ein vertrauliches Gespräch mit seinem Vater brauchte. Als sich Shinji wieder zu ihm an den Tisch gesetzt hatte, kam auch Fireball aus seiner lungernden Haltung wieder empor. Er sah seinen Vater an und widersprach ihm ganz offen: „Ich glaube kaum, dass man fürs Sterben heutzutage noch belohnt wird und dass das alles hier was mit Yama oder sonst einem Dämon zu tun hat. Viel eher haben wir mit unserer unabsichtlichen Zeitreise was durcheinander gebracht. Saber hat eine solche Befürchtung vom ersten Tag an gehegt.“ Shinji öffnete sein Bier, den Deckel drehte er auf der Tischplatte einige Male, bevor er ihn wegschnippte. Er ließ sich die Worte durch den Kopf gehen. Er verstand zwar, dass die vier zufällig in seiner Zeit gelandet waren, aber alles andere war ihm zu hoch. Deshalb begann der ältere Hikari, das Thema möglichst schnell wieder zu beenden. Weder er noch sein Sohn konnten offenbar etwas daran ändern, weshalb sollten sie es dann zerreden? Shinji musterte seinen Sohn und ertappte sich dabei, wie er ihm immer wieder einen Stempel aufdrückte. Wieder einmal stand für ihn fest, dass er eindeutig zu wenig über seinen Jungen wusste. Fireball hörte sich die Argumente seines Vaters geduldig an, dabei trank er sein Bier aus. Sie würden tatsächlich zum Warten verdammt sein, bis Ramrod hier eintraf. Bei seinem Glück konnte das noch Wochen dauern! Ob seine Geduld so lange reichen würde, war mehr als fraglich. Er hatte sich auch nach Tagen noch nicht an die Anwesenheit seines Vaters gewöhnt. Er fühlte sich nicht wirklich wohl in dessen Umgebung. Hauptsächlich lag das an seinem schlechten Gewissen. Fireball warf einen Blick zu seinem Vater hinüber und machte plötzlich Anstalten, den Raum zu verlassen. Im Türrahmen blieb er stehen und murmelte: „Ich wollte dich niemals enttäuschen …und auch nicht belügen.“ „Wie meinen?“, der ältere reckte den Kopf in Richtung der Tür. Diesen Tonfall hatte er bereits einmal bei Fireball vernommen, damals hatte es wegen seiner nächtlichen Touren Ärger mit seinen Freunden gegeben. Shinji schob den Stuhl zurück und stand auf. Er begriff nicht sofort, was ihm Fireball sagen wollte, er wusste aber sehr wohl, dass er das Gesagte so nicht stehen lassen konnte. Shinji ging auf den jungen Captain zu, blieb hinter ihm stehen und murmelte ebenfalls: „Dass du mich belogen hast, ist nur allzu verständlich“, milde lächelnd klopfte er seinem Sohn auf die Schulter: „Himmel! Ich hätte dir sowieso nicht geglaubt, wenn du mir gleich zu Beginn die Wahrheit aufgetischt hättest.“ Shinji wurde selbst wieder ernster. Für ihn waren die Geschehnisse nicht so weit weg, wie für seinen Sohn. Manchmal war er immer noch verwirrt über die letzten Wochen, konnte kaum begreifen, was alles um ihn herum passiert war, was noch passieren würde. Sein Druck auf die Schulter seines Sohnes verstärkte sich unmerklich. Wieder wurde ihm das Herz schwer. Er würde seinen Sohn nie aufwachsen sehen. Fireball spürte die Hand seines Vaters nur allzu deutlich. Wer in diesen Stunden wohl mehr Halt brauchte? Er oder sein Vater? Fireball schoss durch den Kopf, dass sie nun in seiner Zeit waren, er derjenige war, der sich hier zurecht fand. Er musste die Stärke für sie beide aufbringen. Langsam wandte er sich zu seinem älteren Spiegelbild um, streifte dabei dessen Hand ab, nur um ihm seine auf die Schulter zu legen. Mit einem missglückten Lächeln wollte er wissen: „Wie ist das eigentlich, wenn man seinen Sohn als erwachsenen kennen lernt, bevor die eigene Frau schwanger ist? Muss praktisch sein, wenn man sich das Windelwechseln spart.“ Wehmütig senkte der Japaner den Blick. Ihm steckte ein Kloß im Hals: „Ich würde dich gerne aufwachsen sehen, Kurzer. Ich möchte wissen, was dich zu dem Menschen macht, der du bist.“ Nun blieb Fireball sein Lächeln im Halse stecken. Er hatte gehofft, seinem Vater die trüben Gedanken verscheuchen zu können, aber das war offenbar nach hinten losgegangen. Langsam sank seine Hand am Arm seines Vaters herab, er zog sich förmlich vor ihm zurück. Was sollte er seinem Vater nur sagen? Jedes Mal, wenn er ihm in die Augen sah, kamen die Erinnerungen wieder hoch, wie er ihn belogen hatte. Und noch schlimmer. Fireball musste wieder daran denken, wie er Shinji in seinem Büro einfach nur angeschwiegen hatte, nichts auf dessen Vermutungen hatte erwidern können. Er schluckte und wandte sich ab. Fadenscheinig klang seine Begründung: „Ich muss morgen wieder recht früh raus, ich sollte ins Bett. Schlaf gut.“ Shinji ließ den Jungen ziehen, hatte nur zu deutlich die Mauer gesehen, die Fireball diesbezüglich aufgezogen hatte. Aber der ältere Hikari hatte auch bemerkt, wie die vergangenen Ereignisse an seinem Sohn nagten. In Fireballs Fall immer noch. Für ihn waren die Geschehnisse bereits über ein Jahr her, und dennoch schienen sie ihn manchmal noch zu belasten. Seufzend wandte sich Shinji von der offenen Wohnzimmertür ab. Er ließ Fireball seine Ruhe. War immerhin gerade wieder eine besondere Situation, die so bestimmt nicht viele Menschen erlebten. Shinji ging zum Küchentisch, nahm seine Bierflasche und setzte sich auf die Terrasse. Er konnte sich nach wie vor keinen Reim darauf machen, wie er hierher gekommen war, aber vielleicht war es kein Zufall gewesen. Für Shinji fühlte es sich beinahe so an, als hätte er noch etwas Entscheidendes zu erledigen. Vielleicht sollte er aber auch nur den Abschied nachholen. Oder aber er sollte der Zukunft noch einen Schubs in die richtige Richtung mitgeben. Egal, was es war, sein Aufenthalt hier hatte bestimmt seine Berechtigung und einen Sinn. Er sah in den Himmel auf. Wie lange Ramrod wohl brauchen würde? Shinji hatte keine Vorstellung davon, wie gut der große Cowboy im Vergleich zu den Transportmitteln seiner Zeit war und er wusste auch nicht, auf welcher Mission sich die Freunde seines Sohnes gerade befanden. Aber er hoffte, die drei gesund und munter begrüßen zu dürfen. Die Kinder waren ihm in der kurzen Zeit sehr ans Herz gewachsen, nicht zuletzt, weil sie alle mit einer großen Bürde lebten. Saber hatte Shinji viel von ihrem Leben erzählt. Obwohl sie Zweifels ohne alle so unterschiedlich wie Tag und Nacht waren, verband sie doch die Liebe zum neuen Grenzland und dem Frieden. Shinji senkte mit einem leichten Lächeln den Kopf. In Fireballs und Aprils Fall verband die beiden auch noch etwas anderes. Ach ja, die erste Liebe. Seit er das Telefonat zwischen April und Fireball neulich belauscht hatte, hatte er seinen Sohn nie gefragt, wie es nun eigentlich um die beiden stand. Manchmal fragte sich der ältere, ob der jüngere überhaupt schon begriffen hatte, dass sich April sein Herz genommen hatte. Wenn sein Junge nur ein bisschen so war, wie er selbst, dann hatte er es noch nicht einmal gemerkt. Amüsiert nahm Shinji einen Schluck von seinem Bier und versuchte, den lauen Sommerabend auf der Terrasse zu genießen. Ewig würde es ohnehin nicht mehr dauern, bis Fireballs Freunde von ihrem Kinobesuch zurückkamen. Wieso nur fühlte er sich so mies? Fireball saß auf dem Bettrand und raufte sich die Haare. Das Gespräch eben war ganz und gar nicht gut verlaufen und das auch nur, weil er solchen Mist daher geschwafelt hatte. Seufzend richtete er sich auf und begann im Zimmer auf und ab zu laufen. Dabei zählte er im Gedanken die Fakten zusammen. Kopfschüttelnd kam er zu dem einzigen Schluss, zu dem er bisher jeden Abend seit dem Auftauchen seines Vaters gekommen war. „Scheiß drauf!“, hörte sich der Japaner sagen, bevor er kehrt machte und aus dem Zimmer trat. Als er seinen Vater im Wohnzimmer nicht sehen konnte, sehr wohl aber die offene Terrassentür bemerkte, holte er nochmal zwei Getränke aus dem Kühlschrank und trat in den Garten hinaus. Shinji starrte in den Nachthimmel hinauf und schien ihn noch nicht bemerkt zu haben. Fireball setzte sich leise neben ihn. Er riskierte selbst einen Blick in den Himmel. Die Sterne funkelten mit dem Halbmond um die Wette, hin und wieder schob sich eine Föhnwolke vor die herrliche Stimmung. „Ich glaub, die Sterne sind bei dir zuhause dieselben“, leise machte Fireball auf sich aufmerksam. Shinji senkte endlich den Blick. Er hatte Fireballs Anwesenheit längst bemerkt. Er hatte lediglich ihr Zusammensein genossen. So viel Gelegenheit hatten sie dazu leider nicht. Shinji sah zu ihm hinüber und lächelte wehmütig: „Die Sterne bringen Hoffnung und manchmal ist eine Sternschnuppe in der Lage, die Zukunft zu verändern.“ Fireball boxte seinem Vater leicht gegen die Schulter, als er ihn ebenfalls anlächelte: „Wir sollten diesen Wink des Schicksals nützen“, nun beinahe schüchtern fuhr er fort: „Ich möchte es dieses Mal richtig machen. Wäre es nach dem normalen Verlauf der Geschichte gegangen, hätte ich dich nie kennengelernt, …Vater.“ Shinji nickte zustimmend. Dabei rutschte er etwas näher und legte einen Arm um Fireball. Leise begann er zu erzählen: „Ich mochte dich irgendwie von Anfang an, Kurzer. Du hast mich sehr an mich selbst erinnert, ohne dass ich auch nur geahnt hätte, wer du bist. Und ich hab auch gemerkt, dass es dir schwer zu schaffen macht, ohne Vater aufgewachsen zu sein“, ein Seufzen verließ Shinjis Mund: „Ich war ohne es zu wissen der denkbar schlechteste Gesprächspartner und hab alles noch schlimmer gemacht.“ „Ich konnte mit der ganzen Situation überhaupt nicht umgehen. Du warst instinktiv das, was du niemals hättest sein können. Ich hab gemerkt, wie viel Vertrauen du mir entgegen gebracht hast. Das hat das Lügen zusätzlich noch schwerer gemacht.“ „Es muss wirklich Schicksal gewesen sein, dass wir uns kennen gelernt haben“, Shinji zwinkerte verstohlen. Er wollte seinen Sohn nicht sehen lassen, dass er mit den Tränen kämpfte. Der Captain war schon dankbar gewesen, überhaupt zu erfahren, dass Fireball sein Sohn sein würde. Nun hatte er abermals die Gelegenheit, ihm zur Seite zu stehen, ihn ein Stück seines Weges zu begleiten und ihn natürlich näher kennen zu lernen. Shinji ertappte sich immer wieder dabei, wie er sein eigen Fleisch und Blut beobachtete und musterte. Es gab so vieles, das ihm seit jenem Tag, an dem er erfahren hatte, dass der Wildfang sein Sohn war, wissen wollte. Natürlich war Shinji neugierig, was die Zukunft bereit hielt, aber ihm war auch bewusst, dass zuviel Wissen großes Unheil und Chaos über alle Beteiligten bringen konnte. Fireball zog seinen Fuß auf die Sitzfläche und umschlang ihn mit den Armen. Er linste zu seinem Vater hinüber. Wie oft hatte er sich im letzten Jahr gewünscht, mit ihm reden zu können, ihm die Meinung ins Gesicht zu schreien, weil er ihm eine solche Last aufgebürdet hatte? Fireball schloss die Augen. Er hatte unzählige Stunden damit verbracht, das Kriegerdenkmal im Oberkommando anzukeifen und allen anderen in seiner Umgebung etwas vorzumachen. Das alles war vergangen. Schließlich hatte er zu sich selbst gefunden und seine Geschichte akzeptiert. Mit Galgenhumor ließ er Shinji wissen: „Ich hab wohl einen Fluch zu viel gegen dein Denkmal geschrien. Anders kann ich mir nicht erklären, dass du hier bist!“ Irritiert richtete sich Shinji etwas auf: „Flüche gegen welches Denkmal?“ Amüsiert wandte sich Fireball um. Ungeniert erzählte er seinem Vater von der Wut und der Überforderung, die nach ihrer Rückkehr in ihm gehaust hatten. Ohne etwas von dem Geschehenen preis zu geben, schilderte er dem älteren Japaner wie schlecht er mit dem Erlebten hatte umgehen können, dass er sich niemanden hatte anvertrauen können und dadurch so einsam wie niemals zuvor geworden war. Shinji hörte aufmerksam zu, verstand aber nicht alles, weil ihm der Zusammenhang zu den Ereignissen, die Fireball bewusst ausgelassen hatte, fehlte. Shinji erinnerte sich an Martins Angaben und die Erklärung, dass Fireball nicht mehr bei Ramrod arbeitete. Als er bemerkte, dass der jüngere sich alles von der Seele geredet hatte, ergriff er das Wort. Shinji ging sehr umsichtig an das heran, was er wissen wollte: „Für dich war die Reise in die Vergangenheit also kein Glücksfall. Es hat dir mehr Probleme gemacht.“ Fireball blickte in die Sterne hinauf: „Ich schätze, sie war für niemanden eine Wohltat. Meine Freunde haben sehr darunter gelitten. Auch Colt und Saber, obwohl sie es nie zugeben würden. Als wir dachten, wir hätten das Schlimmste überstanden und wir endlich wieder zuhause waren, kam die nächste Keule.“ Shinji meinte zu verstehen: „Du bist bald darauf zur Base versetzt worden, nicht wahr?“ Noch während Fireball nickte, biss er sich auf die Lippen. Immer noch erinnerte er sich an Sabers Worte von damals, dass sie die Zukunft nicht verändern durften. Fireball sah seinem Vater in die Augen, er glaubte nicht, dass dieser wegen eines Gespräches sein Schicksal nicht erfüllen würde. Im Gegenteil, für seinen Vater schien seine Anwesenheit ein Geschenk für das Opfer, das er bringen würde, zu sein. Shinji wusste ganz genau, wo sein Platz war. Deswegen erzählte Fireball: „Wir hatten eine Woche Urlaub, den haben wir auf der Quarantänestation verbracht. Danach hat mir Eagle angeboten, zur Einser zu wechseln“, er hielt kurz inne und wog ab, wie er es verpacken sollte. Wenn er schon mit seinem Vater sprach, wollte er dieses Mal ehrlich sein. Das war er ihm und sich selbst schuldig: „…als Captain.“ Shinji blieb das Wort im Halse stecken. Damit hatte er nicht gerechnet. Fireball war der Captain seiner alten Einheit?! Kein Wunder, dass er in seinem Alter damit überfordert gewesen war. Fireball schmunzelte, als er die Reaktion seines Vaters bemerkte. Mit einer guten Portion Humor rieb er ihm unter die Nase: „Du bist nicht der einzige Captain Hikari, nur damit wir uns verstehen“, etwas ernster, aber nicht ohne Stolz, fügte er noch hinzu: „Ich war bereits auf Ramrod Captain. Richard hat mich gut angelernt.“ „Richard?“, Shinji standen die Fragezeichen auf die Stirn geschrieben. Auf Ramrod hatte doch niemand Richard geheißen. Nachdenklich kratzte sich Shinji am Hinterkopf und sah Fireball offen an. Er kam gerade gar nicht mehr mit. Als Fireball der fragende Blick auffiel, begann er abermals zu erzählen. Der Japaner hatte ziemlich bald nach ihrer Rückkehr schon vergessen, dass es vor ihrer Reise anders gewesen war. Saber hatte ihm manchmal von ihren Erinnerungen erzählt und auch Colt hatte dem Hitzkopf oft genug andere Details ihrer Vergangenheit erzählt. Das war mitunter für alle verwirrend gewesen. Deswegen nahm sich Fireball die Zeit auch darüber zu sprechen. Die beiden Asiaten saßen bis weit nach Mitternacht zusammen ohne zu bemerken, dass auch die restlichen Bewohner nachhause gekommen waren und das Königreich Jarr Besuch bekommen hatte. „Das ist also Jarr“, übertrieben begeistert zeigte sich Alessandro nicht von ihrem neuen Einsatzort, als sie sich im Landeanflug befanden. Der Palast schien das einzig Sehenswerte auf diesem Planeten zu sein. Colt saß in seiner Satteleinheit und stupste sich beiläufig den Hut aus der Stirn. Lässig stützte er ein Bein auf die Seitenverstrebung seiner Satteleinheit. Sein Blick galt den vielen Lichtern unter ihnen. Ja, das war das Königreich Jarr. Schmunzelnd erinnerte sich Colt an den Regenten und seinen Sohn. Das war damals schon eine amüsante Mission gewesen. Colt konnte nicht sagen, weshalb er sich auf diesen Abstecher so sehr freute. Der Grund für ihre Anwesenheit war immerhin eine mittelschwere Katastrophe, wenn es überhaupt reichte. Aber irgendwie freute er sich auf den schnöseligen Akzent von Roland, auf Fireballs Vater und vor allem auf ihren Flüchtling. Colt hatte sich mühsam daran gewöhnt, Fireball nur noch alle paar Wochen bei ihren Zwischenstopps auf Yuma zu sehen und nun war er auch schon wieder weg. Die letzten beiden Landungen im KOK waren allesamt unspektakulär gewesen. Kein Begrüßungskommitee und vor allem kein Welcome-Drink! Naja, Colt würde beides morgen Früh von Fireball einfordern. Seine Lippen verzogen sich zu einem fiesen, verschmitzten Grinsen. Saber gab Alessandro noch einige Anweisungen zum Anflug und erzählte ihm auch von den besonderen Umgangsformen im Königshaus. Der Highlander war mit Alex durchaus zufrieden. Auch noch nach dem Telefonat von Fireball vor einigen Tagen, als er um ihre Hilfe gebeten hatte. Der Italiener hatte die damals entstandene Stille gebrochen. Mit einem zuversichtlichen Kopfnicken hatte er gemeint: „Also, worauf warten wir noch? Einen Freund lässt man nicht im Stich!“ Saber war von dieser Haltung sehr beeindruckt gewesen. Immerhin wussten sie alle, wie gern sich Fireball und Alessandro mochten. Ja, der Highlander war begeistert von Alessandros Haltung. Er passte gut auf Ramrod. Nicht nur fachlich, sondern auch menschlich war der Italiener einer von ihnen. Auch, wenn sein Scharfschütze das anfangs nicht so gesehen hatte. April saß ebenfalls in ihrer Satteleinheit. Mit einem Ohr war sie bei Saber und Alex, das andere hatte sie auf Durchzug gestellt. Sie fragte sich, welche Situation sie in Jarr erwarten würde. Fireball hatte sie nicht wieder angerufen. Aufgrund ihrer Vorgeschichte war es nichts Ungewöhnliches, da aber auch Saber und Colt seither eher weniger vom gemeinsamen Freund gehört hatten, machte sich April Sorgen. Normalerweise war das bei Fireball kein gutes Zeichen. Hoffentlich hatte ihn dieser außergewöhnliche Umstand nicht wieder völlig aus der Bahn geworden. Alex landete Ramrod leise auf dem Rollfeld und parkte den Friedenswächter. Am nächsten Morgen würden sie sich ordnungsgemäß anmelden und die aktuelle Lage auskundschaften. Am Morgen wussten schon alle, dass es kein gewöhnlicher Tag sein würde. Hätte Shinji die Jungs nicht geweckt, wären sie vor Mittag wohl kaum aus den Federn gekommen, und das an einem Arbeitstag. Beim Frühstück und auch im Badezimmer der vier jungen Männer herrschte zum einen Hochbetrieb und zum anderen das pure Chaos. Mit der Toastscheibe im Mund schob Fireball seine Kollegen schließlich zur Wohnungstür raus und murmelte hastig einen Gruß. Er konnte es sich nicht erlauben, auch nur eine Minute zu spät zum Dienst zu erscheinen, er stand auch ohne Ausrutscher jederzeit unter Beobachtung. Zum Glück war der Stützpunkt nicht weit von ihrem Quartier entfernt, trotzdem waren sie an diesem Morgen die letzten. Zu allem Überfluss war auch noch richtig was los und sogar Prinz Roland und König Jarred waren schon da. Das war nicht gerade nach dem Geschmack des Rennfahrers. Er wollte sich noch heimlich vorbeimogeln, doch Jarred hatte ihn schon längst entdeckt: „Guten Morgen, Junge!“ Oh man, Fireball hielt in seiner Bewegung inne und kniff die Augen zusammen. Er wusste, dass er gemeint war. Schnell wandte er sich um und salutierte: „Guten Morgen, Eure Hoheit! Was führt Euch schon frühmorgens zu uns?“ Milde lächelte der König, während sich Roland einen spitzen, aber dennoch freundschaftlichen Seitenhieb nicht verkneifen konnte: „Mir scheint, du ast disch eute verspätet. Isch ätte disch angerufen.“ „Ja, echt?“, verblüfft griff Fireball in seine Brusttasche und fand… nichts! Mist, das Telefon lag noch in der Wohnung. Fireball überspielte seine Verlegenheit: „Ja, weißt du, ich telefoniere nicht, wenn ich fahre. Lenkt zu sehr vom Verkehr ab.“ „Verschlafen offenbar auch! Und blind macht es auch noch!“, Colt trat lauthals lachend zwischen den Piloten hervor. Ramrods Crew hatte sich zwischen ihnen versteckt, nun begrüßten sie den überrumpelten Freund lächelnd. Überfahren umarmte er seine Freunde kurz und reichte Alex die Hand: „Yeah, ihr seid schon da? Wieso habt ihr nicht angerufen?“ Wieder war es Colt, der lachend antwortete: „Wer weiß bei dir schon, wo du dich rumtreibst, vor allem abends! Da hätten wir doch nur gestört, hätten wir doch.“ Nun war es an Stan dem Lockenkopf einen vielsagenden Blick zuzuwerfen. Der blonde Mann hatte sofort verstanden, was Colt gemeint hatte. Zu komisch einfach, aber da waren sich Colt und Stanley extrem ähnlich. Währenddessen wurde Fireball immer verlegener. Wie fand er aus dieser Situation bloß wieder raus? Ihm war klar, wie weit es gehen würde, wenn die beiden Spaßvögel weiter Gelegenheit hatten, schlüpfriges auszutauschen. Saber erhörte den stummen Hilferuf, indem er vor den König trat und ihn höflich fragte: „Da nun alle hier sind, Eure Hoheit, schlage ich vor, wir klären das weitere Manöver.“ Dankbar über den Themenwechsel nickte Jarred. Der Schotte fuhr fort: „Wer hat denn eigentlich das Kommando über das Manöver?“ Gleichzeitig streckten Prinz Roland und Fireball den Arm aus um auf den jeweils anderen zu zeigen: „Er!“ Sabers Augenbraue zuckte irritiert nach oben. Wenn er bedachte, weshalb sie wirklich hier waren, sah er schon das blanke Chaos ausbrechen. Na, das konnte heiter werden. Der Schotte schenkte seinem Freund einen tadelnden, aber nicht wirklich strengen, Blick, ehe er seine Haltung straffte. Aus Reflex wollte Saber schon die Hand auf seinen Säbel legen, doch diesen trug er gerade nicht. Deswegen stützte er seine Hand kurzentschlossen in die Hüfte. Wieder wandte er sich mit einem höflichen Gesichtsausdruck und einem angemessenen Tonfall an König Jarred: „Eure Hoheit. Ich schlage vor, Ihr, Prinz Roland, Fireball und ich setzen uns zusammen und besprechen den weiteren Verlauf der Übungen.“ Nun meldete sich Roland noch einmal fröhlich zu Wort: „Eine fantastische Idee, Saber. Dann at Shinji nosch Gelegeneit sein petit dejeuner nachzuolen.“ König Jarred bat sie, ihm zu folgen. Saber hatte bemerkt, dass der Umgangston im Königreich Jarr wesentlich freundlicher geworden war. Beinahe schon wie unter alten Freunden. Offenbar war die Übung bisher wirklich gut gelaufen und Fireball hatte sich noch keine Fehler geleistet. Saber folgte dem König und dem Prinzen, der Rennfahrer lief neben ihm her. Der Schotte beobachtete seinen langjährigen Teamkollegen und Freund. Er schien seinen Platz gefunden zu haben. Saber huschte ein Schmunzeln über die Lippen. Es hatte ja auch lange genug gedauert, bis der Sturkopf es eingesehen hatte. Obwohl wieder ein Berg unangenehmer Aufgaben vor ihnen lag, schien es allen Beteiligten nun besser damit zu gehen. Saber war gespannt, wie es wohl Captain Hikari mit der aktuellen Situation ging. Zunächst konzentrierte er sich allerdings auf das Gespräch mit dem König und Roland. Obwohl ihre Tarnung darin bestand, Trainingspartner für die Monarch Supreme und die Jetpiloten zu sein, so war Saber sehr darauf bedacht, dass Ramrod genügend freie Zeit übrig blieb. April und er mussten noch etliche Konfigurationen vornehmen, Berechnungen anstellen und überlegten sogar, ob sie einen Probesprung versuchen sollten. Da gingen die wichtigen Menschen von Dannen. Die Crews des Königreichs und des Oberkommandos warteten noch ab, bis die vier außer Sichtweite waren und gingen dann diszipliniert ihrer Arbeit nach. Natürlich mit dem nötigen Spaß und Frohmut an der Sache. Das erleichterte das Arbeiten immerhin ungemein. Auf dem Platz vor dem Palast blieb nur noch ein kleines Grüppchen übrig. Es war der Rest der Ramrodcrew und die Nummer zwei der Base. Martin hatte mit einem Augenzwinkern Stan und Oli dazu auserkoren, den Laden am Laufen zu halten, bis die Chefitäten wieder vor Ort waren, er würde sich um die Neuankömmlinge kümmern. Der Brasilianer besah sich die drei Freunde genauer. Seit Alessandro gewechselt hatte, sahen sich die beiden ziemlich selten. Nur einmal war Alex für ein intensiveres Gespräch zu ihm gekommen, das war an jenem Morgen gewesen, nachdem sich April und Fireball ausgesöhnt hatten. Martin konnte nicht genau sagen, wie er seither über den Freund dachte. Einerseits fand er den Argwohn, den Alessandro Fireball und seiner Geschichte gegenüber hegte, berechtigt, andererseits glaubte er aber auch Eifersucht in Alex‘ Gesten und Worten zu erkennen. Ob da nicht doch noch was anderes mit im Spiel war als die Sorge um eine gute Freundin? Seine braunen Augen glitten über die Gestalt der einzigen Frau an Bord von Ramrod. Ja, April kannte er besser, als er eigentlich sollte. Er hatte nie viel mit April zu tun gehabt, dennoch glaubte er ziemlich genau zu wissen, wie die junge Frau in mancherlei Hinsicht tickte. Von alleine wäre er nie auf die Idee gekommen, dass auch April manchmal das Herz schwer wog, aber seine Alessa hatte ihm da schnell Feuer unterm Hintern gemacht. Schade, so dachte Martin zu sich selbst, dass Alessa nicht hier war. Sie hätte April in den nächsten Tagen bestimmt eine Freundin sein können und hätte den Männerüberschuss etwas reduziert. Aber seine Freundin wartete zuhause auf seine Wiederkehr. Zwar telefonierten sie jeden Tag, aber das war nicht das selbe, wie sie bei sich zu haben. Er würde lieber mit ihr sein Zimmer teilen, als mit seinem Captain. Colt stand neben April und war der letzte in der Runde, den Martin musterte. Der ungehobelte Klotz konnte vielleicht anderen den harten Macker vorgaukeln, aber der Brasilianer wusste es besser. Der Hutträger kochte erstens auch nur mit Wasser und dann auch noch auf Sparflamme. Er wusste von Fireball, dass Colt zwar Risiken einging, aber diese in der Regel gut einschätzen konnte. Naja, zumindest solange, bis er seinen Kopf auf stur schaltete. Der Lockenkopf war ein Familienmensch, der auch seine Freunde zur Familie zählte. Geriet jemand aus dieser Familie in Gefahr, er würde sich was abhacken um demjenigen helfen zu können. Allesamt gute und loyale Freunde, wie sie hier standen. Das konnte Martin keinem abschlagen. Wenn Alessandro erst einmal wirklich begriff, welche Ausmaße ihr Aufenthalt hier wirklich hatte, würde auch der Italiener an einem Strang ziehen, vorbehaltlos. Martin war sich sicher, dass Alessandro allerspätestens dann katholisch wurde, wenn er Captain Hikari kennen lernen würde. Nun standen sie also hier, wie bestellt und nicht abgeholt. April fühlte sich in Martins Gegenwart nach wie vor nicht übertrieben wohl. Mit Fireball an ihrer Seite wäre das vielleicht etwas anderes gewesen, aber mit Sandro und Colt dabei? April hatte irgendwie immer das Gefühl, Martin würde sie durchleuchten. Der Brasilianer war ein guter Freund von Fireball geworden, aber sie hatte mit Martin zu wenig zu tun, um ihn richtig einschätzen zu können. Er hatte sich nie darüber geäußert, wie er zu ihrer Affäre stand, auch nicht, was er generell von ihr hielt. Von Stan und Oliver hatte sie wenigstens zu hören bekommen, dass sie von ihnen Rückendeckung bekommen würden, wenn sie die Kraft aufgebracht hätten, ihre Beziehung weiter zu führen. So etwas hatte sie von Martin nie gehört. April sah an Martin hinab. An seinem linken Ringfinger saß ein unscheinbarer kleiner goldener Ring. Das Gegenstück dazu trug dessen Freundin Alessa. Martin hatte selbst eine ernsthafte Beziehung, aber würde er sich dennoch in fremde einmischen? Colt riskierte einen Blick in die Runde. Er verstand nicht genau, weshalb sich die anderen drei beschnupperten. Sie kannten sich doch schon alle!? Nachdem er von Saber gehört hatte und auch selbst mitbekommen hatte, dass Martin ein Freund von Fireball war, hatte er keinerlei Bedenken, dass dem Brasilianer nicht zu trauen war. Fireball wählte seine Freunde wie sie alle sehr kritisch aus. Bekannte hatte jeder von ihnen schnell mal, aber Freunde, richtige Freunde, die suchten sie sehr bedacht aus. Colt klopfte Martin deswegen auf die Schulter: „Was haltet ihr von Kaffee? Fireball ist nicht der einzige, der ein zweites Frühstück brauchen kann.“ Nun verschwanden auch die letzten vier von dem großen Platz. Ramrod hatte im Gegensatz zur Crew der Air Strike Base 1 diesen Tag noch frei bekommen. Die Freunde hatten sich, nachdem Saber von ihrer Besprechung zurück gekehrt war, noch einmal zusammen gesetzt und das wichtigste besprochen. Der Schotte hatte von Fireball die genaue Adresse bekommen und die vier zum Abendessen eingeladen. Dort würden sie mit dem Captain und den anderen überlegen, wie sie die Zeitreise am besten anstellten und wie sie die Zeit bis zum Sprung unauffällig überstehen würden. Gut gelaunt machten sich die vier zum vereinbarten Treffpunkt auf. Sie waren gespannt, wie die Base hier wohnte. Fireball hatte ihnen nur verraten, dass er für alle seine Crewmitglieder kleine Appartements gewollt hatte. Um halb acht standen die Freunde vor einem Mehrparteienhaus inmitten der Hauptstadt und sahen sich die Klingelschilder an. Wo sollten sie klingeln? Alessandro hatte keine großartige Lust, nach dem Namensschild zu suchen, er war sich ohnehin sicher, dass sie für einen dreimonatigen Aufenthalt hier keine neuen Namen anbringen würden. Der Italiener klingelte einfach bei drei verschiedenen Wohnungen und hoffte, dass wenigstens einer ihnen die verschlossene Eingangstür öffnen würde. Saber wusste ja zumindest, wo sich die Wohnung in dem Haus befand, wenn ihnen jemand öffnete, würden sie schon hinfinden. Tatsächlich ertönte bald darauf das Surren des Türöffners und die vier drückten sich schnell ins Stiegenhaus. Bis zur Wohnung war es nur noch ein Katzensprung. Dort wurden sie schon sehnsüchtig erwartet. Die beiden Shinji öffneten ihnen die Tür, als sie die richtige Wohnung gefunden hatten und dort noch einmal klopften. Der ältere Hikari stand etwas versetzt hinter seinem Sohn, dennoch konnte man auf einen Blick erkennen, dass die beiden miteinander verwandt waren. Schaudernd drängte sich Colt an ihnen vorbei. Er begrüßte die zwei Asiaten kaum: „Ist beinahe wie in einem Horrorfilm.“ Kopfschüttelnd, aber lächelnd, trat Fireball zur Seite und ließ auch die anderen in die Wohnung. Saber begrüßte Fireball mit einem Nicken, Captain Hikari bekam die Hand gereicht. Da es im Eingangsbereich ziemlich beengt war, zog der Schotte es vor, mit Colt seiner Nase zu folgen und Richtung Wohn- und Essraum zu gehen. April murmelte ein „Hi“, ehe sie Captain Hikari nur einen Blick zuwarf. Sie hatte schon vergessen gehabt, wie der Pilot aussah. Nun warf sein Anblick ihre Gefühlswelt abermals durcheinander. Sie wusste mit einem Mal wieder, wie niedergeschlagen sie alle gewesen waren. Als sie Captain Hikari das letzte Mal gesehen hatte, hatte er sich von ihnen verabschiedet und war zu dem Manöver aufgebrochen. Damals hatten sie gedacht, Fireball für immer verloren zu haben. April blinzelte, ehe sie Saber folgte. Shinji hatte April sehr genau beobachtet. Sie hatte ihren Sohn nicht überschwänglich begrüßt, das verwunderte ihn. Er linste zu Fireball. Der Feigling hatte ihr bestimmt noch immer nicht gestanden, dass er in sie verliebt war. Shinji verzog die Augenbrauen, bei seinem Sohn war wohl wirklich Hopfen und Malz verloren. Als letzter war Alessandro eingetreten. Er stand vor den beiden Hikari und legte die Stirn in Falten. Er wusste nicht, was er sagen sollte. Eigentlich war er mehr als platt, Sandro hätte niemals geglaubt, den legendären Captain der Einser jemals kennen zu lernen. Abwartend sah er zu dem älteren Hikari hinüber. Fireball schloss noch die Tür, dann galt auch seine Aufmerksamkeit dem Italiener. Er mochte Alessandro eigentlich nicht ungerne, aber das Verhältnis zwischen ihnen war angespannt. Der Italiener hatte entschieden, Aprils Beschützer zu sein und Fireball war nicht einmal gefragt worden, ob der Job denn überhaupt zu vergeben war. Als er Alessandros starren Blick bemerkte, räusperte er sich und stellte die beiden vor: „Alessandro, das ist mein Vater Shinji. Vater, Alessandro ist Ramrods neuer Pilot.“ Shinji war von seinem Sohn mit dem nötigen Wissen versorgt worden, so wusste der ältere Captain ziemlich genau, wen er vor sich hatte. Er war sogar so schlau gewesen, auch noch die anderen drei Mitbewohner nach ihrem ehemaligen Kollegen zu fragen um ein möglichst genaues Bild von Alessandro zu bekommen. Shinji reichte dem überfahrenen Italiener also die Hand und versuchte ihm die Verwirrung zu nehmen: „Freut mich, dich kennen zu lernen, Alessandro. Glaub um Himmels Willen nicht alles, was dir Minime so von mir erzählt hat. Ich bin weder ein Geist noch ein Dämon.“ Dabei lächelte er auffallend fröhlich. Shinji hatte viele Abende mit Beobachten verbracht und war bald darauf zu dem Schluss gekommen, dass ihm sein Sohn unheimlich ähnelte. Nun galt seine Aufmerksamkeit aber dem einzig neuen Gesicht für ihn in der Runde. Der Captain konnte es nicht genau erklären, aber so fremd schien ihm Alessandro nicht zu sein. Der junge Italiener ähnelte jemandem in seiner Umgebung ungemein. Beinahe erstarrt hatte sich Alessandro von Captain Hikari die Hand schütteln lassen, seine Augen hingen an dem älteren Mann. Das war ein Traum! Garantiert veräppelten ihn seine Freunde hier nach Strich und Faden. Das konnte doch gar nicht wahr sein. Die wollten ihm doch mit der Geschichte einen Streich spielen. Am liebsten hätte er Fireball gebeten, ihn zu kneifen, aber da hätte er Angst haben müssen, dass er statt einem Kniff in die Backe gleich einen Kinnhaken verpasst bekam. So viele Abende hatte er seinem Vater gelauscht, während er ihm von seinem Onkel und den anderen großartigen Piloten erzählt hatte. Einer dieser Männer war Martins Vater Emilio gewesen, der einzig lebende Beweis in seiner Umgebung für all die unglaublichen Erzählungen. Nun stand eine – Alessandro konnte es nicht anders ausdrücken – tote Ausgabe dieser Ausnahmemenschen vor ihm. Alex kniff kurz die Augen zusammen, dann packte er die Hand von Captain Hikari auch mit seiner zweiten, umschloss diese fest und schüttelte sie euphorisch. Ein kleiner italienischer Wortschwall verließ Alessandros Mund, ehe er wieder ins Englische fiel: „Ich kann’s nicht glauben! Sie sind wirklich Captain Hikari. Das ist kein Scherz gewesen. Sagen Sie“, überfiel er ihn: „Kennen Sie einen Mario oder Salvatore Ferro?“ Shinjis Gesichtsausdruck hellte sich nach dieser Frage merklich auf. Nun wusste er wohin der neue Pilot von Ramrod gehörte. Noch ein Kind seiner Kollegen, das den Weg ins Oberkommando eingeschlagen hatte. Es erfüllte ihn mit unsagbarem Stolz, dass die nächste Generation an Piloten mit eben so viel Eifer bei der Sache war. Shinji nickte: „Ja, Salvatore ist meine Nummer drei. Ein irrsinnig guter Schütze.“ Bei Alessandro ging jegliches Vorurteil und Unbehagen flöten. Er textete Shinji gnadenlos und mit Feuereifer zu. Salvatore war sein Onkel gewesen und wie Shinji schon gesagt hatte, die Nummer drei in der Base damals gewesen. Alex erzählte dem älteren Hikari von all den Geschichten, die in seiner Familie nach dem Tod seines Onkels erzählt worden waren. Dabei vergaß Alessandro allerdings, dass all diese Dinge erst nach dem Tod von Captain Hikari passiert waren und er so die Zukunft vorweg nahm. Aufmerksam, aber schweigsam verfolgte Fireball das Gespräch zwischen seinem Vater und Alessandro. Also war auch in Alessandros Familie jemand wegen des ersten Outriderangriffs damals gestorben. Und noch etwas fiel dem Hitzkopf auf, während er dem Redefluss des Italieners zuhörte. Für Alex waren sie alle Helden, er verehrte all jene, die damals so mutig und selbstlos für das Neue Grenzland gekämpft hatten. Seinen Onkel Salvatore schien er dabei beinahe zu vergöttern. Während Alex immer lockerer wurde und allerhand von seinem Onkel erzählte, und auch von Captain Hikari bestätigt haben wollte, ob Salvatore denn wirklich so ein toller Schütze gewesen war, wie es in seiner Familie immer hieß, konnte Fireball beobachten, wie seinem Vater offenbar immer schwerer ums Herz wurde. Er hatte nicht gewusst, wie viele tatsächlich bei dem Angriff gestorben waren. Fireball entschied sich kurzerhand, die beiden ins Wohnzimmer zu führen, wenn noch jemand anderes dabei war, würden die Gespräche wohl wieder etwas erfreulicher für seinen Vater werden: „Lasst uns mal essen gehen. Ich hab die schwere Befürchtung, die futtern uns sonst alles weg.“ Von diesem Einwurf ließen sich die beiden Männer nicht unterbrechen, wohl aber folgten sie dem Gastgeber ins Wohnzimmer. Die anderen hatten sich schon am Esstisch eingefunden, den Oli und Stan so gut als möglich zu vergrößern versucht hatten. Trotzdem wirkte die Situation am Esstisch etwas beengt. Als endlich alle einen Platz gefunden hatten, servierte der blonde Schwede das Essen. Er stellte einen riesigen Topf mit faschierten Fleischbällchen in die Mitte des Tisches und verkündete: „Ist `ne Spezialität aus Schweden! Greift zu!“ Freudig griffen die Bewohner des Hauses als erste zu, die Gäste warteten verhalten ab. Sowas hatte bisher nicht auf ihrem Speiseplan gestanden, obwohl sie weit gereist waren. Erst als Stan erklärte, was er ihnen da vor die Nase gesetzt hatte, bedienten sich auch die anderen. Colt musste es natürlich kommentieren. Er nahm einen Schöpflöffel voll dieser für ihn undefinierbaren Fleischbällchen und beförderte ihn auf seinen Teller: „Und jetzt noch mal für die Steakesser unter uns. Was soll das sein? Elcheier?“ „Köttbullar!“, berichtigte ihn Stan umgehend. Noch ehe Colt das Gesicht verziehen konnte, zählte ihm Stanley die Bestandteile des Essens auf und wie es gekocht wurde. Er hatte von unzähligen Feierabendpläuschchen mit Alex schon gewusst, dass sich Colt gegen alles auf dem Teller wehrte, das er nicht kannte. Diesbezüglich war der Schwede im Vorteil, denn er wusste ganz genau, wen er da zum Abendessen eingeladen hatte. Entgegen der anfänglichen Befürchtungen verstanden sich alle am Tisch ausgezeichnet. Sie besprachen vieles, lernten sich gegenseitig besser kennen, wenn sie sich noch nicht gut genug kannten und genossen einen gemütlichen Abend. Nach dem Abendessen wurden alle noch nicht wissenden in den weiteren Plan eingeweiht, es galt die Vergangenheit nicht zu verändern und nebenbei noch möglichst unauffällig und diszipliniert das Manöver über die Bühne zu bringen. Obwohl Saber gedacht hatte, von Stan und Oli Protest oder wenig Konstruktives zu hören, waren die beiden ebenso auf ihrer Seite, wie die anderen auch. Alle zogen an einem Strang. In den nächsten Tagen hielt sich Fireball notgedrungen wieder mehr auf Ramrod als im Appartement auf. Er war unendlich dankbar, dass seine Freunde im Königreich waren und ihm zur Seite standen. Während sie tagsüber professionell diverse Übungen mit den Soldaten des Königreiches durchführten, warteten abends oftmals vor allem auf Saber und Fireball auch gesellschaftliche Verpflichtungen. Das hielt die beiden davon ab, mit April und den anderen zusammen an einem Rückfahrticket für Shinji zu arbeiten, weshalb manchmal doch eine Nachtschicht eingelegt wurde. Der Schotte hatte bei diversen Abendveranstaltungen schnell bemerkt, weshalb der Umgangston zwischen König Jarred und dem Oberkommando wieder wärmer geworden war. Es war ihm schon bei ihrer Ankunft aufgefallen, denn da hatte sich Roland einen freundschaftlichen Scherz mit Fireball erlaubt. Der Monarch war hauptsächlich deswegen so positiv dem Manöver gegenüber gestimmt, weil sein Nachfolger Prinz Roland sich mit dem jungen Captain der Einser gut verstand. Frischer Wind wehte durch die angestaubten Bündnispläne. Es freute Saber, zumindest hatten sie von dieser Seite nichts zu befürchten. Ob sie es allerdings schaffen würden, Fireballs Vater zurück in seine Zeit zu bringen, das stand in den Sternen. Und zwar buchstäblich. Sie hatten dank April herausgefunden, dass für einen perfekten Sprung alles stimmen musste, vor allem die Sternenkonstellation. An den freien Abenden war dieser Tage viel auf Ramrod los. Nicht nur Fireball schneite vorbei, auch dessen Mitbewohner und Shinji ließen es sich nicht nehmen, den Friedenswächter unsicher zu machen und so gut es ging zu helfen. Wirklich konzentriert konnten die Freunde aber maximal zwei Stunden arbeiten, denn dann schweiften die Gedanken meistens in andere, viel angenehmere, Sphären ab. Alessandro begann neben seinen alten Kollegen förmlich aufzublühen, durch den engen Kontakt kam der ehemalige Pilot in ihm wieder zum Vorschein. Oft erzählten er und Stan von waghalsigen Manövern, die sie gemeinsam ausgeführt hatten. Langsam bekam auch der letzte in der Runde eine Vorstellung davon, weshalb Alessandro zu Ramrod versetzt worden war und nicht irgendein x-beliebiger Pilot aus der Einser. Colt wurde dieser Tage genauso eingespannt, wie auch Fireballs Vater. Es galt alles auf dem Schiff zu warten, wenn Saber dem König wieder einmal vorgegaukelt hatte, Ramrod hätte kleinere Reparaturen nötig und könnte deswegen nicht mit den anderen ins Feld ziehen. Bisher hatte noch niemand Verdacht geschöpft. Zwar bekam König Jarred langsam den Eindruck, Ramrod wäre mehr als reparaturanfällig, aber hier heiligte der Zweck alle Mittel. Der Tag des Abflugs rückte immer näher, es wurden die letzten Kalibrierungen an Ramrod durchgeführt und die letzten Berechnungen nochmals überprüft. Saber wollte dieses Mal nichts dem Zufall überlassen, das könnte in einer Katastrophe enden. Der Schotte war irgendwann in den vergangenen Tagen über den Gedanken gestolpert, dass sie sich zu diesem Zeitpunkt, an den sie Captain Hikari zurückbringen mussten, bereits befanden. Ramrod war längst Teil der Geschichte der Vergangenheit geworden. Zwar eine heimliche und unbemerkte Geschichte, aber Ramrod befand sich schon im Orbit des Königreichs Jarr. Saber wollte sich selbst ungerne begegnen. Er wusste noch, wie schräg das alles damals ohnehin gewesen war, wenn sein ein Jahr jüngeres Ich einen anderen Ramrod sehen würde, sie würden an Bord alle den Verstand verlieren. Es würde schwierig werden, Captain Hikari im Garten von König Jarred abzusetzen, zumal das bedeutete, dass sie auf dem Planeten in der Nähe des Palastes landen mussten. Nachdem Saber mit April diesen Fakt besprochen hatte, hätte diese sich gerne daran gemacht noch schnell eine Tarnvorrichtung für Ramrod zu entwickeln. Leider allerdings fehlten der Ingenieurin die Mittel und das nötige Wissen dazu. Ein Tarnkappenbomber war schließlich nur für das Radar beinahe unsichtbar, für das freie Auge ab einer gewissen Bodennähe aber sehr wohl sichtbar. Diese herkömmliche Technik hätte ihnen also nichts genützt. Die Zettelwirtschaft war auf Ramrod wieder explosionsartig angestiegen, in so ziemlich jedem Raum lagen mittlerweile seitenweise Aufzeichnungen über ihren ersten geplanten Zeitsprung herum. Colt war dieses Mal ebenso in die Pflicht genommen worden. Sie konnten sich schlampige Arbeit nicht leisten, Ramrod musste tiptop und vor allem voll funktionstüchtig sein. Colt hätte es sich ohnehin dieses Mal nicht nehmen lassen, den beiden technischen Genies an Bord nicht zu helfen. Er verbrachte nun seine Tage damit die Waffensysteme in einen Eins-A-Zustand zu bringen und verpflichtete zum frühen Abend hin immer noch Alessandro, ihm mit der Mechanik auf Ramrod behilflich zu sein. Alex war zwar mit dem Flugsystem eine große Hilfe, sobald Fireball aber nach Feierabend auf Ramrod vorbeischneite, leider ziemlich überflüssig. Das gefiel dem Italiener gleich noch weniger. Ihm war klar, dass sie Fireballs Vater helfen mussten, aber Alex fand es dreist von dem jungen Captain, dass sich dieser jeden Abend wie selbstverständlich in seine Satteleinheit warf und den aktuellen Stand der Arbeiten abhorchte. Aprils Exfreund mochte das Sagen in der Einser haben, das bestritt Alessandro auch gar nicht, aber auf Ramrod war er noch nicht einmal mehr ein kleines Licht. Auf dem Platz des Piloten hatte nach Alessandros Meinung der Japaner nichts mehr zu suchen. Deshalb sorgte Colt für Ablenkung und Konfliktumgehung, wenn Fireball wieder einmal vorbeikam. An diesem Abend standen die letzten Vorbereitungen für den Rückflug an. Captain Hikari hatte sich bereits von Stan, Oliver und auch von Martin verabschiedet und sich für die Gastfreundschaft der letzten Wochen bedankt. Die beiden Hikari schritten schweigend durch die Nacht. Fireball hatte es sich nicht nehmen lassen, seinen Vater zu Ramrod zu bringen und sich dort auch von seinen Freunden zu verabschieden. Seit sein Vater aufgetaucht war und in späterer Folge auch Ramrod im Königreich Jarr aufgeschlagen war, hatte sich jeden Tag einiges getan. Fireball hatte zwar einige Tage gebraucht um für sich selbst herauszufinden, weshalb sein Vater ausgerechnet hier gelandet war, aber auch er hatte sich nach etlichen Gesprächen davon überzeugen lassen, dass so etwas wie Schicksal und Vorsehung daran schuld sein mussten. Er hatte sich damit abgefunden und sogar angefangen, es positiv zu sehen. Der Rennfahrer hatte sich immer gewünscht, seinen Vater kennen zu lernen, dies war seine Chance gewesen. Hier waren sie in seiner Zeit, Shinji hatte gewusst wer er war. Fireball hatte sich nicht mehr verstellen müssen. Bald schon hatten sie einen guten Draht zueinander gehabt. Er würde es niemals zugeben, aber Fireball hatte sich viele Ratschläge von seinem Vater geben lassen und sie hatten auch über ihre persönlichen Vorlieben gesprochen. Es hatte nicht mehr weh getan, wenn sein Vater ihn wieder Kurzer nannte. Nur eines hatte Fireball nicht getan. Er hatte ihm nichts von sich und April erzählt. Er wollte ihm den Kummer ersparen, dass sein Sohn nicht fähig war, eine Beziehung mit der Frau zu führen, die ihm den Kopf verdreht hatte. Nun aber war der Moment des Abschieds gekommen. Viel zu früh wie Fireball fand. Seufzend steckte er die Hände in die Hosentaschen und lief neben seinem Vater durch die leeren Straßen. Er hatte verdrängt, dass er sich wieder von seinem Vater trennen musste. Nun aber würde der unausweichliche Moment kommen und das schlug Fireball auf den Magen. Er würde seinen Vater unendlich vermissen. Fireball sah auf. Er hatte sich immer gewünscht, seinen Vater kennen zu lernen. Für dieses Geschenk war er unendlich dankbar, auch wenn ihm der Abschied das Herz brach. Er hatte in den letzten Wochen viel Zeit mit seinem Vater verbracht, seine Freunde hatten ihnen schweigend den Freiraum gegeben. Sein Vater war nicht mehr der übermächtige Schatten, an dem er gemessen wurde. Er war ein guter Freund. Sie kamen Ramrod immer näher, weshalb Fireball die trüben Gedanken verscheuchen wollte. Mit einem schiefen Grinsen erkundigte er sich: „Tja… Deine Schonfrist ist nun also abgelaufen.“ Shinji hatte den ganzen Weg über ein Auge auf seinen Sohn gehabt. Das Schweigen hatte ihm nicht gefallen, ebenso wenig wie der Gesichtsausdruck seines Jungen. Er hatte ihm das Unbehagen und vor allem auch die Sorge angesehen. Wahrscheinlich hätte Fireball gerne selbst seinen Vater zurück gebracht, aber das ging nicht. Sein Sohn musste bei seiner Einheit bleiben, er würde ohnehin genug Schwierigkeiten haben, wenn auf Ramrods Reise etwas schief ging, von den eigenen Vorwürfen ganz abgesehen. Ihm war selbst schwer zumute, dass er von seinem Sohn Abschied nehmen musste, aber er war sich so sicher wie nie, dass sein Opfer wichtig für die Zukunft war. Er konnte die Kinder nicht hängen lassen. Er würde nicht zulassen, dass die Outrider eine Chance bekamen den Krieg für sich zu entscheiden. Auch, wenn im Moment noch Krieg im Neuen Grenzland herrschte, mehr als zwanzig Jahre nach seinem Tod, so wusste Shinji, dass sein Sohn eines Tages ein Leben in Frieden führen konnte. Er und seine Freunde würden beenden, was vor so langer Zeit begonnen hatte. Stolz glitten seine Augen über die Gestalt seines Sohnes: „So ist es wohl. Da kommt jetzt nichts, was ich nicht schon einmal erlebt hätte“, versuchte er Ruhe und Sicherheit auszustrahlen. Nun blieb Fireball stehen. Er hatte im vergangenen Jahr eines gelernt. Auch wenn es ihm in der Seele weh tat und er sich am liebsten irgendwo mutterseelenalleine verkrochen hätte, Schweigen machte es niemals besser. Sein verbohrtes Schweigen April gegenüber hatte ihn ihre Zuneigung gekostet. Es hatte ihn dazu gebracht, sich von seinen Freunden zu entfernen und Freundschaften gar nicht erst zuzulassen. Es war der falsche Weg. Fireball lächelte seinen Vater verhalten an: „Sieh’s positiv. Wenigstens kommst du nicht barfuß und in Trainingsklamotten heim“, wäre er damals nicht so geschockt gewesen, hätte er sich über den Anblick seines Vaters wahrscheinlich krumm gelacht. Er war barfuß mit Martin auf der Terrasse gestanden. Nun aber war ihm nach lachen gar nicht zumute. Bedrückt flüsterte er: „Dad?“ „Ja“, Shinji spürte, wie sich seine Kehle plötzlich trocken anfühlte. Er wusste, nun war der Augenblick des Abschieds gekommen. Der Captain fragte sich, ob sein Sohn diese Gefühle auch aussprechen konnte, die ihm sowieso alle ins Gesicht geschrieben standen. Etliche Empfindungen schwirrten ihm gerade durch den Kopf. Fireball sah seinem Vater geradewegs in die Augen, starrte ihn beinahe an, unfähig einen weiteren Ton herauszubringen, so schien es jedenfalls. Aber er würde sich ein Leben lang mit diesen Gedanken quälen, das wusste er, wenn er sie nicht aussprach. Immerhin hatte es ihn in der Vergangenheit wahnsinnig gemacht, sich nicht von seinem Vater verabschieden zu können. Nun hatte er Gelegenheit dazu, und dennoch tat er sich schwer mit Worten. Schließlich murmelte er erstickt: „Ich werde dich vermissen.“ Sofort waren die wenigen Schritte, die sie getrennt waren, überwunden. Shinji nahm seinen Sohn fest in die Arme, er herzte ihn. Tränen standen ihm in den Augen. Einerseits war Shinji traurig, weil er so wenig von seinem Sohn wusste, auf der anderen Seite platzte er aber beinahe vor Stolz, nach alldem, was er gesehen und erlebt hatte. Der Captain konnte den Schmerz verstehen und war gleichzeitig heilfroh, dass er seinen Kurzen nicht lange vermissen würde. Wenn alles klappte, würden ihn die Gedanken an die Zukunft nur noch drei Tage quälen. Er würde keine Zeit haben, seinen Sohn zu vermissen und diesen Schmerz zuzulassen. Schon beinahe stürmisch erwiderte Fireball die Umarmung seines Vaters. Er drückte sich an ihn. Hätte er eine andere Wahl gehabt, er hätte seinen Vater niemals gehen lassen. Aber das konnte er nicht, er durfte es nicht. Fireball schniefte leise: „Ich wünschte, wir hätten mehr Zeit. Ich wünschte, du wärst hier, würdest bleiben!“ Ein dicker Kloß steckte Shinji im Hals, ein Stein lag auf seiner Brust. Er wusste noch, wie Fireball darunter gelitten hatte, ohne Vater aufgewachsen zu sein. Shinji hatte gedacht, er würde seiner Familie so etwas nie antun. Wie sehr er sich vor einigen Wochen noch getäuscht hatte. Seine Umarmung wurde fester, ehe er sich entschied, diesen Abschied nicht noch schmerzhafter für Fireball zu machen. Shinji schob seinen Sohn auf Armlänge von sich, betrachtete ihn ganz offen und voller Stolz in seinem Blick. Er nickte zufrieden und neigte schließlich demütig den Kopf: „Die größte Ehre ist, dich zum Sohn zu haben. Greif nach den Sternen und vergiss nie, ich werde immer bei dir sein.“ Perplex starrte Fireball seinen Vater an. Er wusste nicht, was er sagen sollte, weshalb er nur stammelnd hervor brachte: „Dad… ich…“ Lächelnd schüttelte Shinji den Kopf, dabei ließ er seine Arme sinken. Es war an der Zeit, die trübsinnigen Gedanken zu vertreiben, weshalb er Fireball neckte: „Du musst nicht immer das letzte Wort haben, Kurzer!“ Er verstand. Während er seinem Vater leicht auf die Schulter klopfte, setzte er sich wieder in Bewegung. Ja, er würde seinen Vater vermissen, aber er würde ihn in guter Erinnerung behalten. Nicht nur Shinji, sondern auch er hatte – wenn es Yama wirklich gab – ein Geschenk von ihm erhalten. Fireball atmete tief durch, wischte sich noch schnell verstohlen über die Augen und ließ seine Frohnatur wieder zum Vorschein kommen. Sie konnten nichts daran ändern, der Lauf der Geschichte musste gewahrt werden, weshalb sollten sie länger als nötig darüber traurig sein? Schon wieder verschmitzt lächelnd wies er Shinji an: „Tritt Nemesis ordentlich in den Hintern.“ Auf Ramrod war bereits alles für den nächtlichen Abflug vorbereitet. Die Crew hatte sich vorsorglich in ihre Kampfanzüge gepackt und überprüfte gerade ein letztes Mal alle Details, als Fireball und sein Vater eintraten. „Na, habt ihr den Vogel vollgetankt?“, begrüßte Fireball seine Freunde. Er wollte niemanden merken lassen, dass er keinen von ihnen gehen lassen wollte. Tja, er wollte nicht einmal mehr Alessandro durch die Zeit schicken und dennoch waren ihm die Hände gebunden. Also blieb ihm nichts anderes, als sein breitestes Lächeln und eine große unbeschwerte Klappe zur Schau zu stellen. Selbst wenn er einen Freudentanz aufgeführt hätte, hätte Colt gesehen, wie Fireball tatsächlich zumute war. Sorgen standen dem jungen Japaner selten ins Gesicht geschrieben, dieses Mal allerdings waren sie kaum zu übersehen. Ein Grund mehr für Colt heitere Stimmung zu verbreiten. Er ließ Fireball wissen: „Jupp. Getankt, gewaschen und sogar poliert, aber das wird dir sicherlich aufgefallen sein.“ Saber hielt es ebenfalls für ratsam den Abschied nicht unnötig schwermütig werden zu lassen. Er hatte mit April noch einmal alle nötigen Daten besprochen. Die beiden Tüftler waren schlussendlich auch darüber überein gekommen, dass, sollten sie den Sprung in die Vergangenheit tatsächlich präzise schaffen, sie auch den Heimweg so exakt timen konnten. Sie würden also nicht länger als vielleicht ein paar Stunden unterwegs sein. Saber war in der Hinsicht ziemlich optimistisch, bisher sah alles vielversprechend aus. Er schmunzelte den beiden Hikari entgegen: „Wir haben sogar Pausenbrote für alle geschmiert.“ April trat auf Fireball zu. Sie blieb vor ihm stehen, ehe sie ihn in eine innige Umarmung schloss und flüsterte: „Wir kommen heil wieder, versprochen Turbo. Plan uns für das Frühstück ein.“ Dankbar erwiderte Fireball die Umarmung. Sein Vater war hier in den besten Händen. Seine Freunde waren die einzigen, denen er dieses Unterfangen zutrauen würde. Nun machte der Schwermut des Abschieds doch einem guten Gefühl Platz. April und auch Saber und Colt hatten ihm neuen Mut gegeben. Fireball drückte April kurz, ehe er sie zuversichtlich anzwinkerte: „Wehe ihr seid nicht pünktlich!“ Nach einem tiefen Atemzug straffte er seine Haltung und verabschiedete sich endgültig von seinen Freunden. Es würde nichts helfen, wenn er sie ewig aufhielt. Vom Stützpunkt aus sah er Ramrod nach, wie der große Cowboy in der Nacht verschwand. Noch lange starrte Fireball in den Nachthimmel. Ihr aller Schicksal stand in den Sternen geschrieben. Den Japaner beschlich einmal mehr das Gefühl, dass er dort oben im Himmel alles finden würde, wonach er suchte. Seit sein Vater in seiner Zeit aufgetaucht war, war sich Fireball sicher, dass es so etwas wie Schicksal geben musste. Irgendjemand oder irgendetwas zog die unsichtbaren Fäden, eines jeden Leben war vorher bestimmt. Und alles, wirklich alles, geschah aus gutem Grund. Sogar die schlimmsten Dinge. Mit den Händen in den Hosentaschen wanderte Fireball schließlich durch den Park des Königs. Er wollte noch nicht nachhause zurück. Seine Kollegen und Freunde würden krampfhaft versuchen, ihn aufzuheitern. Doch er brauchte keinen Trost. Tief in sich verspürte Fireball so etwas wie Zufriedenheit und Genugtuung. Er konnte es nicht beschreiben, aber er wusste für sich selbst, dass alles gut war. 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