Ta Sho von Turbofreak (erste Schritte) ================================================================================ Kapitel 2: geregelte Bahnen --------------------------- Wieder war der Vormittag ein einziger kleiner Machtkampf gewesen, bei Fireball waren momentan alle Tage gleich. Er hatte sich nach wie vor nicht eingelebt, und bekam bis auf ein paar verdeckte Hilfestellungen von Martin auch nichts an Sympathie von seinen Piloten entgegengebracht. Nach dem täglichen Routineflug hatte er seine Einheit dazu angehalten, ihre Aufgaben zu erledigen. Er war solange von Gleiter zu Gleiter gegangen und hatte sich zumindest kurz mit den Piloten unterhalten. Bis ihm jemand ins Auge gestochen war, der sich am Eingang des Hangars herumdrückte und nicht wirklich wusste, ob er eintreten sollte, oder lieber gleich wieder die Flucht antreten. Es war das einzig weibliche Besatzungsmitglied von Ramrod gewesen. Fireball hatte um ein paar Ecken erfahren, dass sie heute im Laufe des Tages zu einer Mission aufbrechen würden, vielleicht wollte sie sich von ihm verabschieden. Die fünf Minuten für April hatte er alle Mal noch, egal wie drunter und drüber es in seiner Staffel ging. Der ehemalige Pilot des Friedenswächters ging mit April in sein Büro hoch. Er hatte nicht mit ihr neben all den anderen reden, sich so nicht von ihr verabschieden wollen. Sie hatten sich seit seinem Dienstantritt nicht mehr richtig gesehen und die räumliche Trennung hatte es nicht besser für die beiden gemacht. Beide hatten sie den anderen schmerzlich vermisst, hatte ihnen die Nähe des anderen gefehlt und der Trost, den ihre Berührungen manchmal spenden konnten. Nun war sie zu ihm in den Hangar geschlichen, weil sie ihn noch einmal kurz sehen wollte, bevor sie mit Ramrod und ihren drei Mannen aufbrach. Fireball hatte sie unten kaum angesehen, sie nicht berührt und nun zog er es vor, sie in sein Büro zu bringen. Behutsam schloss Fireball die Tür hinter sich und zog seinen Kampfanzug aus, während April aufmerksam das Büro in Augenschein nahm. Karg eingerichtet war es hier. Es war einmal das Büro seines Vaters gewesen und das Büro von Mandarin. Jeder Captain der Air Strike Base 1 hatte dieses Büro gehabt, seit die Einheit hier ihren Stützpunkt hatte. Das einzige, was überquoll, war Fireballs Schreibtisch. Hier stapelten sich Berichte, lugte dort eine große Kaffeetasse hervor, lag irgendwo ein Kuli auf einem aufgeschlagenen Bericht. Mit einem Wort: der Schreibtisch war chaotisch. Ganz Fireball. April schmunzelte leicht über diesen Gedanken und lobte im Gedanken das nur provisorische Büro von Ramrod. Da waren die Berichte nur alle heiligen Zeiten ausgebreitet worden und waren gleich darauf wieder in irgendwelchen Schränken verschwunden. Saber würde das genauso halten, der ansonsten genügsame Schotte wollte sowieso kein Fulltimebüro haben. Das Chaos auf dem Schreibtisch, so der Highlander, wäre dann vorprogrammiert. Also war das hier eine reine Berufskrankheit und vermutlich sah es auf jedem anderen Schreibtisch eines Captains genauso aus. Die Blondine umrundete zaghaft den Schreibtisch und blieb neben dem Japaner stehen, der sich mittlerweile in Alltagskleidung an den Schreibtisch gesetzt hatte. Sie war verunsichert, wusste nicht, was sie von alledem halten sollte, wie sie dazu stehen sollte. Ihr Herz verlangte nach dem Wuschelkopf, mehr noch als zuvor. Doch ihr Verstand geißelte ihre Wünsche, schimpfte sie töricht und unvernünftig. Sie würden niemals zusammen gehören. Der Captain und die Navigatorin. Es ging nicht, es durfte nicht sein. Ihre blauen Augen betrachteten ihre Fußspitzen. Diese Regeln hatten einen einfachen, aber guten Grund. Fireball war bei weitem noch zu keiner brauchbaren Entscheidung gelangt, seit er hier seinen Dienst angetreten hatte. Offen gestanden hatte ihm die Zeit dazu ganz einfach gefehlt. Die Staffel hetzte ihn von einer Ecke in die andere, dachte sich immer neue Gemeinheiten für ihn aus und tat beinahe schon wirklich alles, damit er diese Einheit vorzeitig wieder verließ. Zudem quälten ihn gerade dann, wenn er abends noch alleine im Büro saß und endlich seinen Papierkram aufarbeiten wollte, Erinnerungen. Am ersten Abend hier hatte er sich auf der anderen Seite des Schreibtisches sitzen sehen, wie er seinen Vater angelogen hatte. Das Verhör war das letzte Mal gewesen, dass er seinen Vater noch gesehen hatte. Irgendwo war die Erinnerung daran auch schräg, immerhin bedeutete das, dass er vor zwanzig Jahren schon hier gesessen hatte, vor seiner eigenen Geburt. Das war einfach nur lächerlich, aber leider genauso wahr, wie alles andere, was die vier erlebt hatten. Auch die Gefühle, die seit dieser Reise in ihm schlummerten, waren echt. Das war mitunter die größte Qual für den Wildfang. Der Gedanke daran zerfraß ihn vor allem in der Nacht, wenn er im Bett lag. Blinzelnd sah er zu April auf. Er liebte sie, das war ihm klar geworden. Fireball wusste, dass er klare Fronten schaffen musste, wollte er sich die Dienstaufsicht in der Zukunft ersparen. Aber egal, in welche Richtung er auch anfing zu überlegen, alles lief darauf hinaus, dass es nicht funktionieren konnte und würde. April hob die Augenbrauen. Weshalb schwieg er sie so vehement an? Ihr saß ein Knoten in der Brust. Die Navigatorin von Ramrod hatte nicht mehr viel Zeit und die vergeudeten sie mit Schweigen. Mit zittriger Stimme brach sie schließlich diese unangenehme Stille in seinem Büro: „Turbo…“, sie klang erbärmlich: „bitte sag was. Ich muss gleich los und ich…“ Bekümmert blickten zwei braune Augen zu ihr hinüber. Fireball murmelte: „Das weiß ich, Süße. Aber…“ Er brachte auch keinen vollständigen Satz mehr heraus. Auf seinen Schultern rauften sich Liebe und Verstand um die Vormachtstellung. Das Traurige daran war nur, dass weder die Liebe noch der Verstand die Oberhand bekamen. Keiner würde siegen. Denn beides ging nicht. Entschied er sich für die Liebe, hatte er garantiert die Dienstaufsicht an der Backe und siegte ausnahmsweise mal seine Vernunft, brach ihm das Herz. So oder so, es konnte nur schief gehen. Und wie sah sie es? Fireball sah in Aprils blaue Augen. Sie war traurig, das konnte auch ein Fremder sofort erkennen. „Ich“, sein Blick wanderte zur Tür. Noch störte niemand, was für eine Ausnahme. Fireball hatte sich schon am ersten Tag hier abgewöhnt, die Bürotür zuzumachen, weil alle fünf Minuten jemand reinplatzte und was von ihm haben wollte, wenn er dann mal hier war. Hatten seine halben Befehlsverweigerer vielleicht gar nicht bemerkt, dass er sich verzogen hatte? Das wäre doch zu schön, um wahr zu sein. Wieder blieben seine Augen an April hängen und automatisch griff er nach ihrer Hand: „Ich wollte mich mit dir aussprechen.“ Diese Worte verunsicherten April. Die Blondine stand dieser Geschichte äußerst skeptisch gegenüber. Er wollte sich mit ihr aussprechen. Wie diplomatisch. Sie blinzelte und atmete tief durch. Er würde sie wieder fortschicken. Ohne einen Kuss, ohne eine Umarmung, aber mit einem ‚Lebe wohl‘. Das waren keine guten Aussichten, das war überhaupt nichts, wie April bitter feststellte. Sie hatte nach all den Jahren und Abenteuern gemeinsam im Weltall geglaubt, den Mann fürs Leben gefunden zu haben. Er war immer in ihrer Nähe gewesen, ohne dass sie es bemerkt hatte und nun, da es ihr endlich bewusst geworden war, was sie immer gesucht hatte, sollte es nicht sein. Die Welt war alles, nur nicht gerecht. April sah Fireball nicht an, als sie bekümmert hauchte: „Wir haben uns doch nicht gestritten, Turbo. Wir haben doch nur“, ihr versagte beinahe die Stimme und bei den nächsten Worten bekam sie rote Wangen: „miteinander geschlafen.“ „Hm…“ Nur. Fireball sah zu April auf. Gerade das war es doch, was ihn nachts um den Schlaf brachte und weshalb er mit niemanden reden konnte. Und es war nicht alleine die Tatsache an sich, es war für ihn etwas Besonderes gewesen und auch für April. Das konnte sie jetzt so viel abstreiten, wie sie wollte. Fireball hatte ihr die drei kleinen Worte noch auf Ramrod entlocken können, und er kannte April. Sie war nicht diejenige, die sich jedem hingab und schon gar nicht bagatellisierte sie das Geschehene dann auch noch. Sie empfand mehr für ihn, als sie ihm gerade weis machen wollte. Also musste er ihr gestehen, was ihm an der Situation nicht gefiel. Noch einmal, nur dieses Mal ausführlicher als noch in ihrem Appartement. Fireball schob sich mit dem Stuhl etwas zurück, gerade aber so weit, dass seine Hand noch in ihrer lag. Dann linste er noch einmal kurz zur Tür und atmete tief durch: „Mag sein. Aber ich habe das nur getan, weil ich dich liebe, Süße. Und ich…“, nun zog er sich vor ihr zurück und ließ den Kopf hängen: „Auch, wenn ich versetzt worden bin, es ist immer noch nicht erlaubt. Ich kann es nicht ändern, es lässt sich nicht ändern. Zweifle von mir aus an allem, nur zweifle nicht an meinen Gefühlen für dich. Ich liebe dich, aber wir dürfen nicht zusammen sein. Lass uns Freunde bleiben. So wie vorher.“ „Freunde“, wiederholte die Tochter von Commander Eagle. Sie beugten sich also den Regeln. April vergrub ihr Gesicht in den Händen. Ihr schlug das Herz bis zum Hals, denn die Blondine hatte gerade den schlimmsten Tiefschlag verpasst bekommen, den man in einem solchen Fall einstecken musste. Freunde. Das klang, als wären sie nie mehr als das gewesen, dabei wusste April so sicher wie sonst kaum etwas, dass sie an seinen Gefühlen wirklich nicht zu zweifeln brauchte. Sie beugten sich also tatsächlich dem Oberkommando und dem Druck, der deswegen auf ihnen lastete. In April tobte seit jener Nacht ein Gefühlschaos, das sich nicht kontrollieren ließ. Aber es kontrollierte alles andere in ihrem Leben. April wäre selbst beinahe zugrunde gegangen, als sich Fireball aufgelöst hatte, wie durch ein Wunder hatten sie ihn wieder bekommen und sie beide waren zu weit mehr als nur Freunden geworden. Das alles sollte sie wieder hergeben? Wollte sie das? Aber wollte sie diese Heimlichtuerei? Die Blondine ließ ihre Hände sinken und sah Fireball geradewegs in die Augen. Woher wollten sie das wissen, wenn sie es nicht wenigstens versucht hatten? April stand auf und setzte sich auf Fireballs Schoß. Sie schlang die Arme um ihn, drängte ihren Körper an seinen. Nein, sie war nicht gewillt, das her zu geben. April spürte keinerlei Widerstand, nur seine Arme, die sich um ihre Taille schlangen. So schnell hatten sie ihre eigenen Worte mit ihren Taten Lügen gestraft. Fireball hatte der Versuchung gerade mal bis zum Ende des Satzes widerstehen können, da hatte er sich bereits wieder nach ihr gesehnt. Zärtlich gab sie ihm einen Kuss auf die Lippen. Völlig egal war in dem Moment geworden, was sie gesagt hatten, worauf sie sich geeinigt hatten und ob jemand zur Tür herein kam. Der Pilot war der Versuchung ihrer Lippen erlegen. Mit ihrem zärtlichen Kuss hatte April wieder das Feuer in seinem Herzen entfacht. Es loderte, seine Flammen erstickten die Stimme der Vernunft. Stürmisch stand Fireball auf, hob April dabei auf ihre Füße und drängte sie schließlich nach hinten. So weit, bis sie nicht mehr zurückweichen konnte. Den Weg nach hinten versperrte Fireballs Schreibtisch, an den sich die Blondine lehnte und sich auch abstützte. Fireball hielt Aprils Kopf mit beiden Händen fest, während er sie fordernd küsste. Schwer atmend hielt er plötzlich inne, lehnte seine Stirn gegen ihre und sah ihr tief in die Augen. Noch einmal vergewisserte er sich: „Wir sind Freunde, richtig?“ Heftig nickte April und schloss die Augen. Sie hätte ihm alles mit ‚Ja‘ beantwortet, wenn er ihr dafür nur gab, was sie haben wollte. Wie zum Beweis streifte er ihren roten Haarreifen ab, ihre blonde Mähne damit ebenfalls nach hinten und sie spürte seine Hände kurz darauf, wie sie sie an den Hüften packten. Sein Herzschlag und seine Atmung verrieten ihn und seine Absichten. Fireball hob April auf den Tisch, zog ungeduldig an ihrem türkisen Band, das sie immer um die Hüfte trug, wenn sie den roten Catsuit trug. Immer wieder bedeckte er sie dabei mit feurigen Küssen, streifte ihr schließlich die Träger von den Schultern. Fireball wollte sie. Er wollte sie mit Haut und Haaren, egal was es kostete. Das blonde Mädchen hörte das Papier rascheln, das sie nach hinten weg schob. Sie brauchten Platz. April griff anschließend nach Fireballs Shirt. Sie zog es ihm aus der Hose, drängte sich an ihn. Das einzige, woran April im Augenblick denken konnte, war ihr Wunsch nach seiner Nähe. Sie wollte bei ihm sein. Vergessen war, wo sie eigentlich sein sollte, unter welchem Zeitdruck sie eigentlich standen. Ramrod sollte schon fast gestartet sein. Aber das war April egal. Nichts anderes als ihn zu spüren wollte sie. Ihrem Verlangen gaben sich beide hin. Sie verschwendeten nicht einen Gedanken an die Bürotür, die nicht abgeschlossen war und durch die jederzeit jemand eintreten konnte. April murmelte: „Liebe mich.“ „Das tue ich, Süße. Ich liebe dich“, ohne Vernunft sprudelten diese Worte aus ihm heraus. Schwer atmend und leidenschaftlich. Sie entsprachen eher der Wahrheit als ihre Abmachung, sie würden Freunde sein. Freunde taten so etwas nicht, was sie beide gerade am helllichten Tag und zwischen der Betriebsamkeit des Oberkommandos taten. Hektisch verließ April das Büro. Ihre Wangen glühten und sie war noch nicht mal ordentlich angezogen. Sie knöpfte gerade im Eiltempo ihr Band zu, die Augen genau darauf gerichtet. Sie achtete auf niemanden im Gang, sie hatte es eilig. Ramrod wartete seit fünfzehn Minuten auf die Blondine, gerade hatte Saber sie angerufen und gefragt, wo sie bliebe. Er hatte die beiden wieder ins Hier und Jetzt zurück geholt. Prompt stieß die junge Blondine deswegen auch mit jemandem auf dem Flur zusammen. Sie sah kaum richtig zu ihm auf, entschuldigte sich nur hastig bei ihm: „Verzeihung.“ Verdattert sah der dunkelhaarige Mann der Blondine hinterher. Sie sah etwas zerzaust und verloren aus. Dann sah er wieder auf seinen Weg. Das Büro seines Captains. Moment mal! Er blieb erneut stehen und drehte sich nach der Blondine um. Kannte er die nicht irgendwoher? Und bildete er sich das ein, oder kam sie tatsächlich gerade aus dem Büro seines Captains gelaufen? Martin zog die Augenbrauen zusammen. Verstand er das? Wollte er das überhaupt verstehen? Der Brasilianer musterte April noch einmal, bis die um die Ecke bog. Sie hatte traurig gewirkt, oder hatte er sich das eingebildet? Irritiert schüttelte Martin den Kopf und ging auf sein Ziel zu. Hoffentlich war der kleine Krawallstoppel in seinem Büro. Er hatte ihn überall gesucht und wenn er jetzt nicht dort war, würde Martin platzen. Keiner hatte gewusst, wo er hin verschwunden war. Nachdem die Arbeiten nach dem Trainingsflug von der Crew erledigt worden waren, waren sie unruhig geworden, hatten Martin belagert, weil der Captain nicht da gewesen war. Zügig schritt Martin auf die Tür zu, die seit neuestem immer offen stand und klopfte anstandshalber an den Türrahmen. Tatsächlich war gesuchter Captain in seinem Büro und versuchte kopflos Ordnung in das Chaos auf dem Schreibtisch zu bringen. Kopflos deswegen, weil er mit seinen Gedanken irgendwo anders war, nur nicht in seinem Büro. Martin musterte Fireball unbemerkt, der hatte sein Klopfen allem Anschein nach überhört. Wo war der Hitzkopf nur mit seinen Gedanken? Der Brasilianer warf noch einen Blick auf den Schreibtisch seines Captains. Hatte der versucht, seinen Papierkram aufzuarbeiten? Das sah etwas merkwürdig aus, wie Martin prompt bemerkte. Etwas war nicht in Ordnung, weder mit dem Schreibtisch, noch mit Fireball. Schnell wandte er den Kopf noch einmal zum Flur hinunter, der Grund dafür war nicht mehr zu sehen. Zumindest glaubte Martin, den Grund für diese Zerstreuung und Abwesenheit gerade noch auf dem Flur getroffen zu haben. Energisch trat er nun ins Büro, dieses Mal ohne zu klopfen, der Hitzkopf hörte ohnehin nichts. Hatte sich im Büro gerade das abgespielt, was Martin sich da zusammenreimte, würde der kleine Captain nicht mehr lange hier sein. Er machte im scharfen Tonfall auf sich aufmerksam: „Du hattest also Frauenbesuch.“ „Hä, was?“, mit einem verwirrten Gesichtsausdruck ließ Fireball von seinen Akten ab und wandte sich der Tür zu. Er fuhr sich durch die Haare, ein Blinder hätte gemerkt, dass er völlig neben sich stand. „Die kleine Blondine“, dabei deutete Martin auf den Flur. Er musste sich zusammenreißen, um nicht vorschnell zur urteilen. Aber es hatte nun mal verdächtig ausgesehen und der Kurze benahm sich, als wäre er noch nicht ganz da. Das gefiel Martin absolut nicht. Zumal er schon die längste Zeit versucht hatte, die Crew irgendwie in Schach zu halten. Der Pilot neigte noch den Kopf zur Tür, um zu verdeutlichen, wen er meinte: „Die Kleine, die grad raus ist. Hat sie dich den ganzen Nachmittag auf Trab gehalten?“ Auch, wenn er Saber am liebsten gelyncht hätte, im nächsten Augenblick war Fireball unendlich dankbar, dass der Schwertschwinger lediglich per Telefon gestört hatte. Seine Hundianer taten das lieber persönlich und das wäre im Moment wohl das Schlimmste gewesen, was Fireball und April hätte passieren können. Timing war eine heikle Angelegenheit und das musste man im Blut haben. Martin gehörte augenscheinlich zu der Kategorie Mensch, die solches Timing besaßen. Der Captain warf noch einen Blick auf seine Akten, die April ganz schön durcheinander gebracht hatte, dann umrundete er seinen Schreibtisch. Fireball ging, ohne auf Martin zu achten, auf das Fenster in seinem Büro zu und sah auf das Rollfeld hinab. Da stand er. Ramrod. Schwarz, groß und blitzeblank poliert. Nichts erinnerte an ihre aufwühlende Reise, nichts an die vielen Kämpfe und Einsätze, die der Friedenswächter schon mitgemacht hatte. Dieses Mal würde Ramrod ohne ihn abheben. Colt, Saber und April würden ohne ihn starten. Fireballs Blick wurde dabei traurig. Er ließ den Kopf hängen und wich Martin aus: „Sie hat nur noch schnell Tschüss gesagt.“ Der Brasilianer beobachtete Fireball mit Argusaugen. Er ließ ihn nicht aus den Augen, musterte ihn scharf und wartete auf weitere Erklärungen. Schnell Tschüss sagen sah anders aus, ganz bestimmt. Es brachte keine Schreibtische in Unordnung, keine jungen Captains durcheinander und machte keine Blondinen traurig. Nein, Martin war sich nicht sicher, was hier gerade vorgefallen war, aber es gab ohnehin nur zwei Möglichkeiten. Entweder hatten sich die beiden wegen irgendetwas noch in die Haare bekommen oder sie hatten sich zu zweit noch einen schönen Nachmittag gemacht. Martin vermutete eher letzteres, obwohl die Gesichter der beiden weniger danach aussahen. Er würde es schon noch herausfinden, bestimmt. Das strenge Schweigen mochte Fireball überhaupt nicht. Das gefiel ihm ganz und gar nicht und machte ihn zusätzlich nervös. Um ein natürliches und freundliches Lächeln bemüht kam Fireball auf Martin zu. Vielleicht konnte er das Thema Ramrod und April umschiffen oder gleich abwürgen, wenn er den Piloten auf seinen Besuch ansprach. Fireball blieb vor Martin stehen und wollte fröhlich wissen: „Gibt’s einen Grund für deinen Besuch oder habt ihr mich vermisst?“ Dachte der kleine Hikari wirklich, er würde sich so ablenken lassen? Seine Augen funkelten düster. Martin war stinksauer auf Fireball, nicht zuletzt deswegen, weil er nirgends auffindbar gewesen war und seine Einheit einfach hatte stehen lassen. Auch ärgerte sich der Sohn von Emilio schon zum ersten Mal darüber, dass er so dumm gewesen war und sich dazu entschlossen hatte, Fireball etwas unter die Arme zu greifen. Klar war es allen anderen schnell aufgefallen und hatten sie ihn deswegen schon in die Mangel genommen. Umso wütender machte es Martin deswegen, dass seine Hilfe umsonst war, weil sich der junge Pilot deswegen Freiheiten herausnahm. Nichts anderes war es für Martin nämlich. Keiner konnte sich Frauenbesuch in der Dienstzeit leisten. Schon gar nicht nach einem Trainingsflug, da sollte jeder endlich seine Arbeiten erledigen. Er ließ Fireball deswegen finster wissen: „Du bist hoffentlich nicht ohne guten Grund den halben Tag lang abgängig, ohne dass deine Staffel weiß, wo du steckst. Und sollte die kleine Maus der Grund gewesen sein…“ Martin ließ den Rest absichtlich offen. Er würde es weder gut heißen, noch stillschweigen, sollte es so gewesen sein. Verdammt, Fireball war der Captain dieser Einheit, er sollte sich gefälligst auch so benehmen! „Lass die Spekulationen, Martin, dabei kommt nichts Anständiges raus“, dennoch wandte sich Fireball von Martin ab und kehrte ihm den Rücken zu. Der Brasilianer hätte sonst gesehen, wie ihm heiß wurde. Er kümmerte sich deswegen wieder um seinen Schreibtisch. Ein kleiner Tornado hatte hier durchgefegt. Ein zärtliches Lächeln huschte dabei über sein Gesicht. April hatte für die Unordnung hier gesorgt. „Ich wollte mal meinen Papierkram aufarbeiten, der macht sich leider nicht von alleine“, etwas verständnislos fügte der unerfahrene Captain hinzu: „Wo sollte ich denn sonst sein? Während der Dienstzeit? Ich war nicht bei euch im Hangar, ergo sitz ich im Büro. Das Rätsel hätte sich mit einer gewissen Logik früher lösen lassen.“ Still war Fireball allerdings verdammt froh, dass sie nicht so schnell auf die Idee gekommen waren, er könnte ausnahmsweise mal im Büro sitzen. Hätte sie jemand früher gesucht, er hätte sie ziemlich eindeutig erwischt. Fireball schlichtete seine Unterlagen zusammen. Für den nahenden Feierabend hatte er schon Pläne. Er musste unbedingt aufarbeiten, was er am Nachmittag vertrödelt hatte und nebenbei dann auch noch die Berichte dieser Woche absegnen. Der Hitzkopf ahnte bereits, dass er vor Mitternacht nicht raus kam. Martins Augenbrauen stießen beinahe zusammen. Ungläubig keuchte er. Das konnte er jemand anderem weis machen, hier sah es nach allem Möglichen aus, aber mal nicht nach Arbeit. Verständnislos deutete Martin auf den Schreibtisch: „Das hätte anders ausgesehen“, der Südländer merkte plötzlich, dass es zwischen Captain und Crew ein fatales Defizit gab. In der Mannschaft herrschte momentan weder Vertrauen noch Kommunikation. Martin konnte nicht ahnen, woher er das so sicher wusste, aber Fireball verschwieg ihm die Wahrheit. Er verstrickte sich lieber in fadenscheinigen Ausreden, nahm furchtbaren Ärger mit seiner Crew in Kauf, anstatt zu erklären, was er tatsächlich gemacht hatte. Das behagte Martin ganz und gar nicht, weil es so bestimmt in der nächsten Zeit nicht besser werden würde. Das musste er Fireball sagen. Aber auf seine Art. Er knurrte den neuen Captain bedrohlich an: „Und falls doch, hättest du uns das sagen müssen. Du kannst uns nicht einfach stehen lassen und weg sein. Verdammt, es hätte nur irgendwas sein müssen und unsere Einheit muss auf dem Boden bleiben, weil wir nicht wissen, wo der werte Herr seine Zeit totschlägt! Geht das nicht in dein Spatzenhirn, dass du dich zumindest kurz bei jemandem abmeldest?!“ Martin war mit jedem Wort lauter geworden, hatte zum Schluss schon mit ihm geschrien. Er hätte noch viel mehr in dem Moment zu schimpfen gewusst, aber zumindest der Vorgeschmack sollte Fireball reichen. Wenn er klug war, ging er sofort in den Hangar hinunter und sparte sich jegliche Widerworte. Martin hoffte, dass Fireball zumindest so weit dachte. Nur gab sich der Sturkopf noch nicht geschlagen. Er hatte das Zeitgefühl völlig verloren, war sich aber dennoch sicher, dass er nicht länger als eine Stunde mit April hier gewesen sein konnte. Ihm war durchaus klar, dass Martin sich von seinen Freunden einiges hatte anhören können. Und er war ihm auch dankbar dafür, aber: „Ich hab euch doch nach der Landung klipp und klar aufgetragen, die Maschinen in Schuss zu halten und mal über eure Berichte nachzudenken beziehungsweise diese gleich zu schreiben.“ „Wir sind längst fertig!!!!“, nun war Martin der Kragen geplatzt. Fireball hatte sich seit Mittag verzogen, inzwischen war es schon nach fünf. Dachte der allen Ernstes, sie wären noch nicht fertig?! Er zog den Japaner vom Schreibtisch weg und brüllte ihn an: „Wir brauchen nicht Jahre für Dinge, die wir im Schlaf beherrschen! Du hast es echt nicht verdient, dass sie dich mit Lametta zuhängen. Alles nur dank Papas Erbe, das ist mir schon klar. Was glaubst du eigentlich, wer du bist, du verwöhnter Zögling eines Captains?!“ Der Zögling stand im Büro seines Vaters. Aber nicht als Pilot, sondern als Captain. In das Erbe seines Vaters gedrängt. Bei Martins Worten stieg erneut der Widerstand in Fireball auf. Er sollte den Charakter und das Aussehen seines Vaters haben, diesen Fakt konnte er nicht länger abstreiten. Shinji und er waren nicht nur Vater und Sohn, sie teilten sich die Seele. Fireball hatte Erinnerungen an dessen Zeit als Captain. Aber es waren nicht seine eigenen, es waren die seines Vaters. Der war nie in eine solche Situation geraten. Schade, schoss es Fireball augenblicklich durch den Kopf, dann hätte er vielleicht gewusst, was er am besten tat. Es war sicherlich nicht schlecht, jetzt erst mal die Bürotür zu schließen und Martin von seinem Trip zu holen. Fireball schluckte das für ihn schmerzhafte Thema Erbe und Vater ohne Kommentar hinunter und maßregelte Martin ungewöhnlich scharf für seine Verhältnisse: „Im angemessenen Tonfall kannst du mich jederzeit auf meine Fehler hinweisen. Aber so bestimmt nicht, Martin! Ihr seid fertig? Freut mich, dann packt eure Sachen und macht Feierabend.“ Halt! Moment! Das war Martin nun zu schnell gegangen. Das war jetzt nicht das gewesen, was er als Reaktion erwartet hatte. Die sachliche Zurechtweisung war ihm absolut neu. War das wirklich Fireball? Martin schauderte, denn das war nicht der Shinji Hikari der letzten Wochen gewesen. Der hätte nämlich zu toben angefangen. Aber Martin dachte nicht daran, sich den Mund verbieten zu lassen. Einen hatte er für Fireball noch. Er stieß die Tür wieder auf und schrie: „Da unten steht deine Crew und wartet auf deine Anweisungen! Sieh zu, dass du deinen Arsch in den Hangar schwingst und ihnen das persönlich sagst. Sonst mach ich dir Beine, Keks hin oder her!“ Keks war eine andere gängige Bezeichnung für die Dienstgrade. Etwas anderes hatte Martin auch nicht gemeint, aber Fireball verband es mit etwas ganz anderem. Nämlich mit diversen Diskussionen mit Colt, in denen es darum ging, wer das Sagen hatte. Sie waren alle nicht toll gewesen, aber im Nachhinein komisch und lustig. Saber hatte ihm immer wieder gesagt, dass der Ton die Musik machte. Wie wahr dieser Spruch tatsächlich war, bemerkte der Japaner allerdings erst jetzt. Er würde gut daran tun, seinen Hitzkopf endlich abzulegen. Kurzerhand schob Fireball Martin zur Tür hinaus und eilte mit ihm in den Hangar hinunter. Alle Staffelmitglieder waren noch anwesend. Entweder standen sie zusammen und unterhielten sich, oder sie saßen beim Kartenspielen. Fireball ließ sich nicht anmerken, was Martin gerade alles an die Oberfläche gespült hatte. Er pfiff kurz, damit er die Aufmerksamkeit aller für sich hatte und kehrte mit einem lockeren Spruch seine Frohnatur hervor: „Mir hat ein Vögelchen gezwitschert, ihr wärt schon fertig. Also, worauf wartet ihr noch? Ab in die Heimat mit euch und macht euch einen schönen Abend.“ Stan und Oliver waren unter den Kartenspielern gewesen. Oli legte die Karten verkehrt auf den Tisch und sah auf. Kam ihr Captain also auch mal wieder aus seiner Grummelecke herausgeschlichen. Dem großen Piloten war das ziemlich egal. Nur, wie er Stan kannte, würde der wieder einen Spruch raus klopfen und Fireball so provozieren. Dabei wollte er die Partie aber doch noch gerne zu Ende spielen. Sein blonder Kumpel enttäuschte ihn auch nicht. Stan legte seine Karten ebenfalls ab und rief zu ihrem jüngsten Teammitglied nach vor: „Na, endlich ausgepoppt – äh gepopelt natürlich? Fürs andere bist du ja noch viel zu jung.“ Der Elitepilot hatte sich von seinem Trainingstiefschlag zwar schon wieder erholt, aber er hieß Fireball deswegen immer noch nicht willkommen. Bisher hatte der junge Japaner noch nichts getan, was Stan eines Besseren belehrt hätte. Im Gegenteil. Durch die Aktion heute wieder fühlte sich Stan in seiner Meinung bestätigt. Der Kleine war jung, unfähig und undiszipliniert. Er war alles, aber kein Captain. Nach seinem verbalen Tiefschläger wandte sich Stan wieder dem Tisch zu, nahm seine Karten wieder in die Hand und wollte wissen: „Wer war mit Einsatz erhöhen dran?“ Auch Oli nahm seine Karten wieder auf, und in die andere Hand eine Flasche Bier. Er demonstrierte damit völlige Gleichgültigkeit seinem direkten Vorgesetzten gegenüber. Der Hüne hätte auch ohne Fireballs Zustimmung pünktlich um fünf den Feierabend eingeleitet. Die Partie Poker spielte er aber noch in aller Seelenruhe zu Ende. Die anderen gingen nachhause, nur der Pokertisch blieb besetzt. Bevor Fireball auf Stan eingehen konnte, wies Martin auf einen Stoß Papier: „Berichte sind da. Log- und Flugbücher da.“ Er warf der Pokerrunde noch einen kurzen Blick zu, sie sollten ihm ein Bier solange kalt stellen. Der Brasilianer konnte nicht wissen, dass Stan den Blick anders interpretierte und Fireballs Schweigen auch noch als Einladung verstand, um noch mal Salz in die Wunden zu streuen: „Ich dachte schon, du lässt uns hier alt werden, Babyboy. Nur weil du nicht zum Stich kommst, will ich nicht darauf verzichten müssen.“ Kopfschüttelnd stapelte sich Fireball die Berichte auf die Arme und konterte ungerührt, während er den Weg ins Büro zurück einschlug: „Was du nach Feierabend machst, interessiert mich nicht. Sei morgen einfach nur mal pünktlich, Stanley.“ Stan hatte keine Möglichkeit mehr zu kontern, das war ihm in dem Augenblick auch kein Bedürfnis gewesen, denn sonst hätte er seine Karten hinschmeißen müssen und dem ungehobelten, frechen Zwerg nachlaufen müssen. So blieb er dann doch lieber sitzen und tat, als hätte er den Kommentar nicht gehört. Er nahm sich allerdings vor, am nächsten Morgen aus Trotz schon mal ohne Wecker aufzustehen. April hatte über einen oder zwei Umwege versucht, noch schnell zu Ramrod zu kommen. Sie hatte ihren drei Jungs nicht gleich zeigen wollen, wo sie gewesen war, hatte sie Saber doch am Telefon gesagt, sie hätte die Zeit übersehen und wäre noch bummeln gewesen. Am Fuß der Rampe bremste April ihren Laufschritt rapide ab und blieb stehen. Ihr wurde bewusst, dass dies ein Einsatz war. Es war ihr erster richtiger Auftrag ohne Fireball. Der Blondine zog sich das Herz in der Brust zusammen und sie senkte kurz den Blick. Wehmütig wandte sie sich noch einmal von Ramrod ab und sah zu den Fenstern im Bürogebäude auf. Als sie das richtige Fenster gefunden hatte, sah sie noch die Kontur des Rennfahrers, der sich vom Fenster wieder wegbewegte. Es war ein stiller Abschied, dennoch war er nicht minder schmerzhaft für die Blondine. April schniefte die Tränen weg, so gut es ging und setzte sich wieder in Bewegung. Sie mussten endlich starten! Ramrod hatte seit jeher zu den Staffeln der Air Strike Base gehört, weil die Crew in einem Raumschiff unterwegs war, aber sie waren immer eigenständig geblieben. Sie teilten sich nur das Rollfeld mit den anderen Flugstaffeln Yumas. Sie hatten nie viel mit den anderen Einheiten zu tun gehabt, das merkte April erst jetzt. Der Captain von Ramrod hatte nicht mal ein fixes Büro in Yuma und die Besatzung des Friedenswächters war so gut wie bei keiner einzigen Besprechung der Einheiten dabei. Aber vielleicht änderte sich das noch. April kam mit einem wehmütigen Lächeln in den Kontrollraum gelaufen und setzte sich mit rosigen Wangen in ihre Satteleinheit. Sie schnallte sich an, kontrollierte ihre Anzeigen und begrüßte dabei ihre Jungs mit einem umwerfenden Zwinkern: „Hey, Jungs! Entschuldigt die Verspätung. Meine Uhr ist stehen geblieben.“ Während sich Saber und auch Alex auf die Lippen bissen und das ohne weiteren Kommentar zur Kenntnis nehmen konnten, war das bei Colt schon wieder so eine Sache. Er schnallte sich ebenfalls an, bei Alex Flugstil war am sichersten, wenn er den ganzen Flug über angeschnallt blieb. Dann aber nahm er den Hut ab und lehnte sich aus seiner Satteleinheit nach hinten zu April. Sein durchtriebenes Grinsen unterstrich seine Worte: „Was denn? Du kommst ohne Beute, dafür aber mit kaputter Uhr vom Shoppen? Prinzessin, was ist los mit dir? Bist du krank?“ Ah ja, dann hatte Saber die Information also sofort weitergeleitet. Hätte sich April auch denken können. Sie blinzelte Colt an und meinte unschuldig: „Es soll Tage im Leben einer Frau geben, an denen sie keine Klamotten auf ihrer Tour findet. Ein solcher Tag hat mich heute anscheinend ereilt, liebster Colt.“ „Könnte an der fehlenden Begleitung liegen“, mutmaßte Saber mit einem verständnisvollen Lächeln. Der Schotte wusste, dass Fireball keine Zeit gehabt hatte. Er bekam schon jetzt ziemlich regelmäßig abends kurze Anrufe vom Wuschelkopf, dabei war noch nicht mal ein Monat seit seiner Versetzung vergangen. Der Hitzkopf erstickte im Augenblick in Arbeit, nicht nur Papierkram, sondern auch und vor allem Arbeit mit der Mannschaft, die ihn nicht akzeptierte. Dass Fireball da keine Zeit gehabt hatte, mit April unter der Woche die Geschäfte unsicher zu machen, war von daher für Saber nur eine logische Konsequenz. Colt hatte aber auch für dieses Problem eine Lösung. Er deutete auf Alex, der ihm nach wie vor nicht geheuer war, und kommandierte den gleich ab: „Vielleicht ist Alex ein besserer Modeberater als Pilot. Dann kann er wenigstens etwas halbwegs, wenn er sonst schon eine kleine Niete ist.“ „Die kleine Niete wird dir das nächste Mal Steak mit Rinderwahn vorsetzen, du Rindvieh!“, konterte Alex, während er vom Rollfeld startete. Der war zwar noch nicht richtig in dieser Mannschaft angekommen, sah sich aber mittlerweile zumindest in der Lage, Colt den ein oder anderen fiesen Konter reinzuwürgen. Saber hatte ihm noch einmal gesagt, dass er sich nichts gefallen lassen musste, und diesen Rat nahm der Italiener nun dankbar an. Während sich zumindest April und Saber über den Konter amüsieren konnten, verzog Colt missmutig das Gesicht. Seine Aufmerksamkeit wanderte von April nun wieder zur mittleren Satteleinheit hinüber. Drohend hob er die Faust: „Dir geb ich gleich Rindvieh, du Nudelgesicht!“ Zu Alex‘ Glück hatte der handfeste Disput vor wenigen Tagen bei Colt dazu geführt, nicht mehr trotzig gemein zu Alex zu sein. Er fand sich damit ab, dass da nun statt Fireball einer Pilot war, er beherzigte sogar Aprils und Sabers Rat, Alex zuerst kennen zu lernen. Aber das dauerte bei Colt eben und noch war er weit davon entfernt, einen auf Friede Freude Eierkuchen zu machen. Aber seine Späße und Sprüche hatten keinen wirklich gemeinen Hintergedanken mehr. Jetzt wollte Colt eigentlich nur noch wissen, wie gut und viel der italienische Mafiosi kontern konnte und was der alles vertrug. Also das normale Kennenlernritual bei Colt. Alex zog die Schubregler nach hinten: „Okay, Nudeln sind für die nächste Zeit auch vom Speiseplan gestrichen. Mach so weiter und du kannst dich vegetarisch ernähren, Hutträger!“ „Mach du so weiter und Ramrod wird wirklich noch ein Schaukelpferd. Hier hat‘s ja Seegang, als hätte ich einen über den Durst getrunken“, Colts hämisches Grinsen wurde immer größer. Hey, das machte fast Spaß sich mit Alex zu messen. Vielleicht war er doch kein solcher Idiot, wie der Lockenkopf gedacht hatte. Saber warf einen skeptischen Blick zu April und dann wieder auf die beiden Streithähne. Okay, das war ihr erster Einsatz in dieser Besatzung, aber ganz ehrlich gestanden, Saber hatte nicht das Gefühl, als wäre es so. Diese verbalen Auseinandersetzungen waren ihm durchaus bekannt und wenn er Colt dabei so ansah, war ihm klar, dass bei ihrem Scharfschützen keinerlei Groll mehr mitschwang. Das war alles gerade im grünen Bereich. Blieb nur zu hoffen, dass Alex im Ernstfall wusste, wie er Ramrod zu behandeln hatte. Noch war der nämlich etwas zaghaft an den Schubreglern und verhalten in seinen Manövern. Mit aufmerksamen Augen dachte Saber einen Moment darüber nach, ob er Fireball nicht bei nächster Gelegenheit bitten sollte, Alex ein paar Kniffe zu zeigen. Er dachte, das wäre bestimmt hilfreich. Das aus zweierlei Hinsicht. Alex lernte ein paar Tricks von einem absoluten Vollprofi, was Ramrod betraf, und Fireball wäre nicht komplett weg. Das musste er zwar erst mit Commander Eagle abklären, aber Saber war sich sicher, dass das kein Problem sein dürfte. „Also dann, ab Richtung Laramy“, gab er die Anweisung und war nun mit Kopf und Herz bei ihrer Mission. Es war nichts Aufregendes, so wie die meisten ihrer Abenteuer nicht vielversprechend aufregend begannen. Aber es war das richtige Training für Alex um sein neues Aufgabengebiet gleich von der Pieke auf zu lernen. Der Pilot war nicht länger nur Kampfjetpilot, sondern auch Star Sheriff. Das brachte einen ganz anderen Aufgabenbereich mit sich. Alex kam zum ersten Mal in den Genuss des Dienstes an der Waffe und musste auch einiges an diplomatischem Geschick mitbringen. Aber, und da war Saber mehr als optimistisch, die Anlagen dazu hatte Alessandro, sonst wäre er schon längst nicht mehr an Bord von Ramrod. Der Captain der Air Strike Base 1 hatte von Martin noch was zu hören bekommen und saß nun, weit nach Mitternacht, immer noch in seinem Büro. Oh, wie er es hasste, Berichte anderer Leute lesen zu müssen und die vielleicht auch noch zur Korrektur noch einmal zurückgeben zu müssen. Dass sein Start in diese Einheit dann auch nicht wirklich von Glück gesegnet gewesen war, machte die Arbeit nur noch nerviger. Fireball warf einen kurzen Blick auf den Kalender. Der 20. Juli. Nächste Woche fand die Gedenkfeier für die Opfer des ersten Angriffes vor zwanzig Jahren statt. Unwillig verzog Fireball das Gesicht und schwang sich aus seinem Sessel. Er suchte nach der Personalakte eines seiner Mitglieder, dessen Bericht er gerade in Händen hielt. Der junge Hikari brauchte nur deswegen so ewig mit seinem Papierkram, weil er zu jedem Bericht die Personalakte dazu holte und sich Informationen über seine Schützlinge suchte. Im Augenblick diente das Suchen eben jener Akte aber auch zur Ablenkung. Er wollte nicht an nächste Woche denken müssen und schon gar nicht an seinen Vater. Die beiden Hikari waren nicht gerade als Freunde in der Vergangenheit auseinander gegangen. Das belastete ihn auf irgendeine Art und Weise. Fireball wollte auf der einen Seite eigentlich schon längst zuhause sein, auf der anderen jedoch wollte er in keine unbewohnte Wohnung zurück gehen. Er hatte von Commander Eagle kurzerhand eine Dienstwohnung hier auf dem Stützpunkt zugewiesen bekommen, er war hier nur husch husch eingezogen. Das kleine Appartement hatte nichts, was Fireball dazu gebracht hätte, gerne Feierabend zu machen. Er war alleine dort, noch standen überall Kisten herum, die er eigentlich mal ausräumen sollte und es fehlte den vier Wänden an persönlicher Note. Die Kisten behielt sich der Hobbyrennfahrer auf für den Fall der Fälle, wenn er wieder mal nicht schlafen konnte. Dann räumte er Karton um Karton aus, bis er so fertig war, dass er sich nur noch hinzulegen brauchte und einschlief. Die Therapie für diesen Abend war eindeutig klar: Berichte lesen. Dabei versuchte Fireball, jedem Namen auch das Gesicht zuzuordnen und sich etwaige Besonderheiten des einzelnen zu merken. Jeder seiner Piloten und Pilotinnen hatte ein markantes Merkmal, sei es nun wegen seines Aussehens oder wegen einiger Charaktereigenschaften. Die Frauen neigten dazu, ihre Berichte auf Längen auszuweiten, die jeder Beschreibung spotteten. Die brünette Manuela hatte es mit ihrem Bericht geschafft, dass Fireball gegen zwei Uhr die Augen zufielen und er während des Lesens einfach wegschlief. Es war noch ein Weilchen hin bis Sonnenaufgang, dennoch war er schon wach. Das Sicherheitspersonal am Eingang des Oberkommandos hatte ihn mit merkwürdigen Blicken bedacht, aber sie hatten ihn herein gelassen. Nun bahnte er sich im Halbdunkel einen Weg ins Büro hinauf. Martin hatte seinen Unmut lange und breit mit seiner langjährigen Freundin Alessa diskutiert, hatte ihr ausführlich geschildert, was los war. Sein Herzblatt hatte wieder einmal Ruhe in den brasilianischen Sturm gebracht, der dann doch ab und zu losbrach. Seine bessere Hälfte hatte es geschafft, so etwas wie Verständnis für den Neuen in ihm zu erwecken. War sicher kein Zuckerschlecken in eine größere Mannschaft zu wechseln, und dennoch: Es war kein Grund für Martin, die Arbeit schleifen zu lassen. Dank der Fluchtwegbeleuchtung im Flur und den Gängen hatte sich Martin sparen können, das Licht einzuschalten. Es war einfach noch viel zu früh an diesem Morgen. Er seufzte, während er auf das Büro des Captains zuging. Was machte er hier eigentlich? Wie bescheuert musste man sein, um einem undankbaren Rotzlöffel mitten in der Nacht die Arbeit fertig zu machen? Und das auch noch freiwillig. Martin schüttelte über sich selbst den Kopf. Er musste nicht mehr ganz sauber ticken. Von Weitem bemerkte er bereits den Lichtkegel aus dem Büro. Dieses Mal war die Tür zum Büro des Captain geschlossen, naja, zumindest fast und es brannte Licht. Martin stieß die angelehnte Tür leise auf und trat ein. Bei dem Anblick wünschte er sich still eine Kamera und ein Lächeln stahl sich über sein Gesicht. Das sah ganz nach dem alten Spruch ‚Besser acht Stunden Büroarbeit als gar kein Schlaf‘ aus. Gleichzeitig jedoch schürte es etwas in Martin, das sich Unbehagen schimpfte. Ob hier nicht vielleicht jemand schlief, der mit seiner Position heillos überfordert war? Martin umrundete den Schreibtisch und inspizierte die liegen gebliebene Arbeit. Zumindest war etwas mehr System in die Ablage des Captains gekommen. Das hatte am Nachmittag ja noch viel wüster ausgesehen, als jetzt. Ganz klar war der Hitzkopf über der Arbeit eingepennt, das sah Martin nicht zuletzt an dem aufgeschlagenen Bericht. Der Pilot setzte sich auf einen Stuhl auf der gegenüberliegenden Seite des Schreibtisches und zog behutsam die aufgeschlagene Mappe unter Fireballs Kopf hervor. Er hatte also die Personalakten gelesen, hochinteressant. Martin erkannte, dass sich der Japaner durchaus anstrengte und versuchte, etwas an der Situation zu ändern, nur so recht gelingen wollte es ihm nicht. Er steckte einfach noch zu sehr darin fest, die Flughunde erst einmal kennen zu lernen. Das kostete Zeit, kostbare Zeit, die ihnen unter Umständen fehlen konnte. Aber zumindest machte er sich die Mühe, von jedem etwas zu wissen und ihre Namen zu kennen. Martin sah von Manuelas Personalakte auf. Was wusste die Crew über ihren Captain? Er war der Junior des berühmten Captain Hikari, ein verwöhnter, kleiner Junge. Martin verzog den Mund. Egal, was sie da vor die Nase gesetzt bekommen hatten, viel von dem war nur Show. Ganz sicher war nicht alles so, wie ihr Captain das lebte. Zu der glorreichen Erkenntnis kam Martin nicht zuletzt wegen ihres Streits von diesem Nachmittag. Sie hatten sich nichts geschenkt und der erfahrene Pilot glaubte zu wissen, dass er nicht nur ein kleines Stückchen an Fireballs Ego gekratzt hatte. Vor seiner Crew hatte er sich später nichts davon anmerken lassen, auch von seiner Zerstreutheit, die eindeutig privat bedingt war, hatte man ihm gleich darauf nichts mehr angesehen. Oh, da lugte noch etwas unter dem Captain hervor. Interessiert zog Martin auch an dem Papier und konnte gleich darauf feststellen, dass es Manuelas Bericht war. Sieben Seiten. Martin schüttelte den Kopf. Jetzt war die Frau bestimmt schon sechs Jahre in dieser Staffel und verfasste noch immer Romane statt Berichte über einen Trainingsflug! Kein Wunder schlief Fireball tief und fest. Das verkraftete doch niemand um so eine Uhrzeit. Martin überkreuzte grinsend die Beine, griff noch nach einem Kuli und begann, den Bericht zu korrigieren. Er war ein Idiot, er war ein totaler Trottel, weil er sich das antat und mitten in der Nacht aufstand. Aber Martin konnte nicht anders. Etwas sagte ihm, dass er dem kleinen Hikari nicht nur ein Kollege, sondern vielleicht auch ein Freund sein sollte. Die nächste Zeit würde zeigen, ob ihn sein Gefühl betrog. Pünktlich mit den ersten Sonnenstrahlen, die kurz nach sechs durch das Fenster des Büros brachen, regte sich auch Martins Gegenüber wieder. Von Fireball hatte er bisher überhaupt nicht gemerkt, nicht ein Mal hatte sich der junge Hüpfer bewegt. Martin hatte noch nie jemanden getroffen, der so tief und fest schlief, dass er wie ein Stein da lag. Nun aber kam Leben in den Japaner. Mit steifen Gliedern setzte er sich auf und streckte sich. Gott, was für eine fürchterliche Nacht! Fireball bekam die Augen kaum auf, mit Ach und Krach schaffte er es, auf die Uhr zu linsen und sich anschließend noch einmal über die Augen zu reiben. Von Uhrzeit lesen war er weit entfernt gewesen. Alles, was sich außerhalb eines gewissen Radius befand, nahm der Wuschelkopf ohnehin noch nicht wahr. Ferngesteuert griff die Hand erst mal nach der großen, sonnengelben Tasse und hob sie zum Mund. Der Kaffee war kalt. Aber Kaffee war Kaffee, egal bei welcher Temperatur. Martin beobachtete dieses Spektakel. Hatte er am Nachmittag noch gedacht, mehr neben sich zu stehen ginge nicht, war er gerade Zeuge der Steigerung geworden. Schmunzelnd machte er auf sich aufmerksam: „Kalter Kaffee macht angeblich schön.“ „Noch schöner wär…“, noch während er den Spruch automatisch abschmettern wollte, wurde Fireball bewusst, dass er nicht alleine im Büro war. Er musste eingeschlafen sein. Es war hell draußen und Martin saß vor ihm. Als er begriff, was das zu bedeuten hatte, fuhr er im Stuhl auf, riss entsetzt die Augen auf und erschrak zu Tode: „Oh, Scheiße! Bitte sag, dass der Dienst noch nicht angefangen hat.“ Ein diebisches Lächeln stahl sich bei Martin über die Lippen. Er fand das höchst amüsant. Alleine für diese Show, die Fireball ihm gerade bot, hatte sich das frühe Aufstehen schon gelohnt. Das entschädigte sogar für die Arbeit mit den Berichten. Freundlich erlöste er Fireball deswegen von seinem Schrecken: „Nein. Außer mir ist niemand hier“, dabei legte er den angelesen Bericht zur Seite, griff nach der Kaffeetasse und machte Anstalten, den Raum zu verlassen. Der Pilot brachte für sich und Fireball noch mal eine Tasse Muntermacher. Martin lächelte dabei stumm vor sich hin. Mittlerweile war er sich ganz sicher, dass mit dem richtigen Schubs ein wirklich guter Captain aus Fireball wurde. Allerdings sollte der Schubs das ein oder andere Mal etwas stärker ausfallen. Der Kleine schien’s zu brauchen. Martin hatte nach jedem Bericht eine kleine Pause eingelegt, war dabei auch immer wieder aufgestanden. Bei der Gelegenheit hatte er auch den Schreibtisch seines Vorgesetzten in Augenschein genommen. Viel war dort nicht zu finden gewesen. Kein Wunder, Fireball hatte sich erst vor kurzem hier eingenistet. Aber zumindest ein Foto hatte schon seinen Platz gefunden. Es stand gleich neben dem Bildschirm und zeigte die Ramrodcrew. Familienfoto allerdings hatte Martin vergeblich gesucht. Ansonsten war nicht Persönliches auf dem Tisch zu finden gewesen. Von manchen Dingen Abschied zu nehmen fiel dem Captain also schwer, zumindest reimte sich Martin das so zusammen. Was er bisher erlebt und gesehen hatte, ließ nur diesen Schluss zu. Noch dazu war allgemein bekannt, dass Ramrod vollkommen anders geführt worden war. Nicht zuletzt deswegen schien Fireball mit der straffen Struktur der Air Strike Base so seine Probleme zu haben. Bis Martin mit dem Kaffee wieder kam, war Fireball endlich zumindest soweit klar im Kopf, dass er sich wieder zu seiner Arbeit setzen konnte. Als der Brasilianer sich wieder setzte, hatte sich Fireball bereits wieder in einen Bericht vertieft. Martin schob ihm die gelbe Tasse vor die Nase und ließ verlauten: „Hau Stan mal auf die Finger. Der schlampt bei seinen Berichten, was das Zeug hält.“ Dabei gab er Fireball den entsprechenden Bericht in die Hände. Wer nicht wusste, dass sich die beiden kaum kannten, konnte annehmen, sie arbeiteten schon ewig zusammen. Denn der Japaner nahm ohne aufzusehen Stans Bericht, überflog den kurz und nickte anschließend zustimmend: „Kurz und prägnant soll ja angeblich gut sein, aber da fehlt ja die Hälfte.“ „Droh ihm Flugverbot an, seine Frauengeschichten kannst du ihm schlecht verbieten“, Martin setzte sich dabei wieder und griff nach seinem angelesenen Bericht von Vorhin. Trotz des Streits, den sie erst gestern ausgetragen hatten, war die Atmosphäre im Büro des Captains eine äußerst angenehme. Martin hatte nicht das Gefühl, der junge Spund würde ihn erneut angehen. Im Gegenteil, Martin glaubte eher, der kleine Flieger hatte längst vergessen, was sie sich vorgehalten hatten. Ein Punkt mehr, an dem Alessa Recht behalten hatte. Stur bedeutete nicht gleichzeitig auch nachtragend. Schweigend erledigten sie ihre Arbeit. Bis Fireball bei seinem letzten Bericht zu grinsen begann. Als er auch noch den Kopf schüttelte, wollte Martin doch Bescheid wissen: „Was?“ Fireball Augen blitzten amüsiert auf, als er Martin den Bericht in die Hände drückte: „Frauen sind doch echt alle gleich. Stella schreibt einen halben Roman, dabei war’s doch nur ein Trainingsflug.“ Auch Martin grinste, als er das zu lesen bekam. Au weia, das war ja ne halbe wissenschaftliche Abhandlung. Im Gegenzug dazu kramte Martin Manuelas Bericht, den er bereits zu den abgezeichneten gelegt hatte, wieder hervor und gab ihn Fireball: „Der hier ist noch mal so lange, dafür ist die Stimmung wunderbar eingefangen.“ Bereits nach den ersten beiden Sätzen schloss Fireball den Bericht wieder. Mit einer guten Portion Humor, aber einem unsicheren Lächeln antwortete er: „Das war meine Gute-Nacht-Lektüre. Damit sollte die Frage geklärt sein, weshalb ich beim Berichte lesen einfach wegpfeife.“ „Dabei war der an Spannung doch kaum zu überbieten“, feixte Martin mit einem breiten Grinsen im Gesicht. Manuela hatte eindeutig den Beruf verfehlt. Die Frau hätte Schriftstellerin werden sollen. Die Berichte waren endlich alle fertig korrigiert und abgezeichnet. Ordentlich waren sie zusammen gestaffelt worden und lagen nun zwischen Martin und Fireball. Dem Captain ging erst langsam auf, dass Martin ihm mit seiner Arbeit geholfen hatte. Mitten in der Nacht musste dieser hergekommen sein, denn der kleine Japaner war sich sicher, dass er noch die Hälfte der Berichte hätte lesen müssen, als er mit Manus angefangen hatte. Aber so richtig wollte dieser Umstand, dass der Brasilianer ihm geholfen hatte, nicht in seinen Dickkopf. Niemand hier wollte ihn als Captain. Zu sehen, wie er alleine mit dem Aufgabengebiet überfordert war, musste doch für alle ein richtiger Augenschmaus sein. Aus dem Spaß war deswegen wieder Ernst für Fireball geworden, denn auch Martin hatte ihn nicht als Captain akzeptieren wollen. Unbehaglich wollte Fireball deswegen wissen: „Weshalb tust du das, Martin?“ Der Brasilianer nahm einen Schluck vom Kaffee und zuckte mit den Schultern. So genau wusste er das nämlich selbst nicht. Vielleicht aber hatte er so etwas wie Sympathie für den kleinen Captain übrig. Sein Vater hatte ihm noch lange nach der ersten Schlacht Geschichten über die einstige Eliteeinheit erzählt. Jedes Mal war dabei auch der Name von Captain Hikari gefallen. Emilio und Shinji waren gute Kollegen und auch Freunde gewesen. Es hatte immer ein gutes Arbeitsklima in der Einheit gegeben. Das war etwas, was auch für Martin unersetzbar wichtig war. Er würde bestimmt nirgends arbeiten, wo er sich nicht wohl fühlte. Deshalb konnte er sich auch sehr gut vorstellen, dass es auch für Fireball gerade kein Spaß war, überhaupt hier zu sein. „Das war ohnehin das erste und letzte Mal, dass ich dir mit den Berichten helfe“, obwohl er es hatte abhaken wollen, rutschte ihm doch noch ein Kommentar raus: „Du wärst ohnehin leicht bis Feierabend fertig damit gewesen, wenn du gestern nicht was auch immer getrieben hättest. Du verplemperst deine Zeit.“ „Trotzdem danke“, schuldbewusst senkte Fireball kurz den Blick, ehe er Martin auswich: „Ich bin noch nicht richtig hier angekommen.“ Stimmte ohnehin. So richtig in der Staffel war er noch nicht angekommen. Deswegen betrieb er ja eigentlich auch das Unding mit den Personalakten. Er wollte alle seine Piloten kennen, zumindest namentlich. „Du solltest dich davon verabschieden, Ähnlichkeiten mit Ramrod in dieser Staffel zu finden“, Martin war ohne es zu merken von einer helfenden auch noch in eine beratende Funktion gerutscht. Ehe er sich versah, klärte er ihren Neuzugang auch schon über diverse Eigenheiten auf. Abschließend ließ er Fireball noch wissen: „Du bist Captain einer Staffel, nicht einer kleinen Spezialeinheit. Kapierst du, worauf ich hinaus will?“ Verstehend nickte der Pilot: „Natürlich. Es liegt an der Natur der Sache, dass eine dreiköpfige Mannschaft anders zu führen ist, als diese ausgewachsene Einheit.“ Auch Martin nickte, aber er seufzte. Das war noch ein hartes Stück Arbeit. Zumindest aber wusste der Kleine, wo er dringenden Verbesserungsbedarf hatte. Er hielt Fireball noch einmal an, ehe er aufstand: „Du bittest hier niemanden, vergiss das niemals. Du bist der Boss, du gibst Befehle und verhängst Sanktionen, wenn die Befehle nicht befolgt werden, Babyboy. Aber das alles machst du so, wie du es gestern mit mir getan hast.“ Oh ja, Martin war verdammt beeindruckt von der Zurechtweisung gewesen. Wenn er das in Zukunft auch bei den anderen so sachlich und ruhig machte, könnten die sich sicherlich auch für den jungen Captain erwärmen. Für diesen Tipp war er dankbar, denn Fireball tat sich schwer damit, Befehle zu erteilen. Das hatte er auf Ramrod schon nicht können und das war sogar Martin aufgefallen. Der Hitzkopf warf noch einen Blick auf die Uhr, dieses Mal konnte er die Uhrzeit wenigstens einwandfrei ablesen. Er stand auf und lud Martin ein: „Wenn du mich noch schnell zuhause vorbeisausen lässt, damit aus mir ein Mensch wird, dann lad ich dich auf ein gutes Frühstück ein. Die Zeit hätten wir noch.“ Auch der Brasilianer stand auf. Er warf dem Schreibtisch noch einen Blick zu, schmunzelte dabei leicht, denn er wusste, dass es keine drei Stunden dauern würde, dann würde das Chaos wieder Einzug dort halten. Ach, was sollte es. Das war doch auch bei Mandarin so gewesen. Er schob den Stuhl an den Tisch und ging voraus. Dabei lehnte er allerdings ab: „Lass mal. Ich möchte noch mal zu meinem Herzblatt heim. Die war nicht begeistert, Babyboy.“ Wie auf Kommando zog Fireball den Kopf ein. Er hatte vergessen, dass Martin eine Freundin hatte. Au Backe, da hatte er gerade wohl ordentlich in die Beziehung gefunkt. Etwas verschämt wollte er deswegen: „Kauf ihr ein paar Blümchen und bedank dich in meinem Namen bei ihr, dass sie dich entbehren konnte.“ „Keine Sorge“, grinste Martin, während er das Büro verließ: „ihre Rache dafür wirst du schon noch bekommen.“ Das war so fix wie das Amen in der Kirche. Man musste Fireball ja nicht sagen, dass die Revanche eigentlich ganz angenehm sein würde. Das merkte der Kleine schon noch früh genug. Martin grüßte also noch einmal und verschwand dann wieder nachhause. Er frühstückte lieber mit Alessa. Mit Martins Hilfe war an jenem Morgen der Grundstein gelegt worden, doch Fireball tat sich dennoch unheimlich schwer, einen Draht zu der Mannschaft zu finden. Gerade auch deswegen, weil Stan und Oli nach wie vor voll überzeugt davon waren, er würde nicht in diese Staffel gehören. Der Blonde kam aus Prinzip schon zwischen zwanzig und dreißig Minuten am Morgen zu spät, verpasste so jeden Übungsflug. Und auch der große Oliver machte Fireball mit aller Gewalt das Leben schwer. Egal, was er verlangte, von Oli bekam er grundsätzlich mal ein ‚Nein‘ um die Ohren gepfeffert. Da hatte Martins Tipp auch nichts geholfen. Generell artete das Verweigern von Befehlen zu einer Art Volkssport aus. Jede Tätigkeit wurde zu einem Machtkampf zwischen Captain und Einheit. Das erforderte unverschämtes Durchhaltevermögen, auf beiden Seiten. Lediglich bei der Gedenkfeier hatte sich die Crew zusammen gerissen. Es war ein hochoffizieller Akt gewesen, das Oberkommando hatte einen Megaaufwand dafür betrieben. Allerdings war den Piloten der Air Strike Base 1 dort auch aufgefallen, wie verdammt ähnlich sich Vater und Sohn sahen. Kein Wunder also, dass man ihnen den Knirps vor die Nase gesetzt hatte. Machte sich ja auch unheimlich gut der Öffentlichkeit zu zeigen, wie der Sohn in die Fußstapfen seines Vaters trat. Nur sah das die Belegschaft der Air Strike Base nicht so. Für sie war es ein Beweis mehr, dass ihr Captain alles ohne Anstrengung und Entbehrungen in den Hintern geschoben bekommen hatte. Das absolute Highlight für die Crew stand allerdings erst an. An diesem Nachmittag hatte die Einheit keine Lust auch nur einen Penny darauf zu geben, was Fireball sagte. Während dieses Unterfangens, die Bande endlich irgendwie in die Luft zu bekommen, damit die nicht aus dem Training kamen, stattete Commander Eagle der Einheit einen Besuch ab. In den ersten Wochen nach Fireballs Dienstantritt waren ihm vermehrt Beschwerden über die Eliteeinheit ins Haus geflattert. Auch, wenn Aprils Vater es nicht gerne tat, er musste sich Fireball schnappen und mit ihm ein ernstes Wörtchen reden. Der Commander trat in den Hangar und verschaffte sich einen Überblick. So vielversprechend, wie er sich erhofft hatte, sah es nicht aus. Er konnte Fireball nicht finden, deswegen rief er in den Hangar hinein: „Captain Hikari?“ Schwungvoll trat Fireball vor den Commander und salutierte. Der hatte bestimmt gerade gesehen, wie er mit einem Kollegen diskutiert hatte. Und zwar über etwas, was indiskutabel war. Gleich bekam er vor versammelter Mannschaft gehörig eine auf den Deckel. Die Frage war nur wie herb der Schlag war, den er nun bekam und wie scheckig sich seine Himmelhunde dabei lachten. Denn Zweifels ohne bekam er neben seiner Crew gleich mächtig die Leviten gelesen. Der Tag war gelaufen, aber ziemlich eindeutig. Mit einem kurzen Pfiff versammelte er die Jungs hinter sich im Hangar. Das war das einzige, was wie am Schnürchen funktionierte. Schon beim Salutieren haperte es wieder. Die Hälfte der Mannschaft salutierte schlampig, die andere Hälfte verkniff es sich, nur Martin begrüßte den Commander angemessen. Dieses Bild würde dem Commander nur eines verdeutlichen. Die Gerüchte im Oberkommando waren wahr, die Beschwerden über die Air Strike Base 1 nicht haltlos. Die Schuld dafür würde Fireball bekommen, denn er war das Staffeloberhaupt. So kam es auch. „Was ist hier los, Fireball?“, Eagle sparte sich jede Höflichkeitsfloskel, er war hier um nach dem Rechten zu sehen. Nur lief hier einiges schief. Mandarins und sein Wunschkandidat hatte arge Probleme. Der Commander deutete auf die Staffel. Fireball stand nicht nur mit dem Rücken zur Wand, sondern hatte seine Mannschaft im Rücken. Jeder andere Captain hätte sie darüber gefreut, aber der Japaner nicht. Er konnte lediglich aus den Augenwinkeln wahr nehmen, was die Querulanten hinter seinem Rücken trieben. Das erfreute ihn nicht sonderlich. Entweder bekam er gleich von hinten das Messer in die Rippen getrieben oder die Attacke kam von vorne. Obwohl, wenn Fireball Aprils Vater so betrachtete, er bekam so oder so ordentlich was zu hören. Leider auch noch berechtigt und er wusste, dass Charles, so gerne er den Wildfang auch hatte, keinen Unterschied machen würde. Also kniff er die Augen zusammen und spannte sich merklich. Er bereitete sich auf das Unausweichliche vor: „Wir stecken gerade in den Vorbereitungen für einen Erkundungsflug, Sir.“ Zumindest hatte er akkurate Umgangsformen aus der Vergangenheit mitgebracht. Fireball wunderte sich selbst darüber, aber die entsprechende Anrede für ein höherrangiges Mitglied des Oberkommandos war ihm doch hängen geblieben. Nur half ihm das gerade nichts. „Wieso seid ihr dann noch nicht in der Luft?“, hakte Charles ungeduldig nach. Der Junge wich seinen Fragen gezielt aus, das gefiel ihm absolut nicht. Musste er Fireball vielleicht bald wieder von diesem Posten abziehen? Einige Stimmen diesbezüglich waren schon laut geworden, Charles hatte sie alle bisher hingehalten. Sie zu ignorieren, ging nun nicht mehr. Er sah immerhin, wie gehorsam die Staffel wirklich war. Sie standen geschlossen nicht zu ihrem Captain. Das hieß nichts Gutes. Fireball vermied es, sich auch nur zu einem unüberlegten Kommentar über seine Truppe hinreißen zu lassen. Es war seine Mannschaft, er vertrat sie nach außen hin und er würde für alles bedingungslos gerade stehen. Für Ramrod gerade zu stehen, hatte nicht viel Mut erfordert, für die Staffel der Air Strike Base 1 einzustehen, forderte dann schon wesentlich mehr Selbstlosigkeit, denn Fireball wusste, dass diese Mannschaft nicht hinter ihm stand. „Unstimmigkeiten, was die Formation betrifft, Sir“, dabei zog er schon fast instinktiv den Kopf ein. Das gab gleich ein Donnerwetter sondergleichen. Den Ausdruck in Charles‘ Gesicht kannte er nur zu gut. Zuletzt hatte er privat solchen Anschiss von Commander Eagle kassiert, weil er sich nach ihrer Heimkehr nicht bei seiner Mutter gemeldet hatte. Aber das hier war dienstlich und somit gleich wesentlich schlimmer. Der Commander ließ nicht lange darum bitten. Er nahm kein Blatt vor den Mund, während er Fireball einen Kopf kürzer machte. Er polterte unverhohlen los, in welchen Sauhaufen sich die Eliteeinheit seit seiner Versetzung verwandelt hätte, wie viele Beschwerden sich deswegen auf seinem Schreibtisch stapelten. Charles gefiel es nicht, er hätte es Fireball lieber unter vier Augen gesagt, aber er hatte die Zeit dafür einfach nie gefunden, um sich vorher selbst ein Bild von der Lage zu machen. Nun schien die einzige Gelegenheit dafür zu sein, und leider standen alle Mitglieder dieser Einheit hinter dem Captain. Der Commander beobachtete während seiner Standpauke nicht nur den unerfahrenen Captain, sondern auch die Piloten genau. Auf einigen Gesichtern kam ein schadenfrohes Lachen zum Vorschein, wieder andere stießen ihren Nachbarn leicht an und flüsterten ihnen etwas zu. Es herrschte absolute Unruhe im Glied. Charles bedauerte diesen Umstand, es zeigte ihm eindeutig, dass er zu viel Vertrauen in den jungen Hikari gesetzt hatte. Zum Ende seiner harschen Worte stellte er Fireball noch in Aussicht: „Wenn sich das bis Ende des Monats nicht ändert, Captain, werden wir beide noch mal ein ausführliches Gespräch miteinander haben.“ „Ja, Sir“, Fireball salutierte nur und schluckte. Ende des Monats war bald, er hatte also nicht mehr viel Zeit, sich zu beweisen. Nachdem die Stippvisite von Commander Eagle vorüber war und der Ziehvater des kleinen Captain endlich nicht mehr zu sehen war, senkte Fireball kurz den Kopf. Er atmete tief durch und drehte sich dann auf dem Absatz zu seiner Mannschaft um. Die standen wie angewurzelt da, machten keine Anstalten, auch nur einen Finger zu krümmen. Fireball glitt die Zeit durch die Finger, wenn er sich den Haufen so ansah, würde es ein Wunder brauchen, um endlich akzeptiert zu werden. Von dreißig Mann stand genau einer hinter ihm. Das war nicht gut, das war ganz und gar nicht gut. Er hatte von Commander Eagle ordentlich was zu hören bekommen, wusste, dass seine Jungs jedes einzelne Wort davon genossen hatten, aber er wollte es nicht an ihnen auslassen. Fireball hatte nicht vor, deswegen jetzt laut zu werden, es würde alles nur noch schlimmer machen. Nachdem sich aber niemand rührte und alle auf etwas zu warten schienen, reckte er den Kopf noch mal nach draußen, ehe er lächelnd feststellte: „Schöneres Wetter für den Flug werden wir nicht mehr bekommen. Also, meine Herren, worauf wartet ihr noch? Ab in den Himmel!“ Ungläubig guckten die Mitglieder aus der Wäsche. Was war kaputt? Jeder hätte darauf gewettet, Fireball würde zu toben anfangen, kaum war Commander Eagle um die Ecke gebogen. Aber das war ja gleich gar nicht das, was sie erwartet hatten. Deswegen blieben die Piloten auch wie angewurzelt stehen und versuchten, den Mund zu zu bekommen. Lediglich Martin salutierte und setzte sich in Bewegung. Er würde mit gutem Beispiel voran gehen, das gerade eben war hart genug gewesen und die Heinis sollten nicht noch einen drauf setzen. Sie sollten froh sein, dass sich Fireball in dieser Situation so gut im Griff hatte, das war nicht selbstverständlich. Immerhin war die Warnung von Commander Eagle deutlich gewesen. Sollte es bis Ende des Monats noch keine Besserung in der Staffel geben, war Fireball hier die längste Zeit Captain gewesen. Jeder andere hätte bei diesen Aussichten wahrscheinlich auch mal zu einem Rundumschlag ausgeholt, das war doch verständlich. Also half Martin nun wieder einmal so dezent wie möglich nach: „Welche Formation, Babyboy?“ Mit einem unbehaglichen Lächeln gab Fireball den Befehl zum Aufbruch: „Fifty Fifty. Stan, du führst die eine Hälfte, die andere kommt mit mir und dann schauen wir mal, ob das funktioniert.“ Auch Stan salutierte nun, allerdings war er eher überwältigt von der Ruhe, die ihr hauseigener Sturkopf an den Tag legte. Wo blieb der Schreihals? Wo war der verwöhnte Sohn von Shinji Hikari geblieben? Und verdammt noch mal, wieso war ihr Krümel von Commander Eagle wie jeder andere, ja sogar fast noch härter als andere, zur Brust genommen worden? Stan verstand seine Weltanschauung einen Moment lang nicht mehr. Er musste Fireball falsch eingeschätzt haben. Deswegen holte er mit dem Arm aus und stachelte seine Hälfte der Piloten erst mal an. Sie sollten ihm folgen, die anderen würden schon sehen, wo sie mit Fireball blieben. Stan und Martin hatten den Befehl befolgt, mit ihnen schlussendlich, nach einiger Verwirrung und Unruhe, auch alle anderen. Nur Oliver hatte weder das eine, noch das andere gemacht. Er war stur stehen geblieben und starrte Fireball an. Der Hüne verschränkte die Arme vor der Brust. Das war eine Masche, ganz bestimmt war das nur ein Trick und das unausweichliche Donnerwetter folgte ohne Vorwarnung. Das konnte einfach nicht sein, dass der junge Captain nach dem Anpfiff einfach so tat, als wäre gar nichts gewesen. Der fuhr in der Tagesordnung einfach fort, ungerührt der Tatsache, dass der Commander höchstpersönlich am Stuhl sägte. Das konnte so einfach nicht ehrlich sein, was der Japaner da jetzt zur Schau stellte. Ihm war nicht entgangen, dass Oliver ihn anstarrte. Aber so recht wusste Fireball damit nun nicht um zu gehen. Zumal er nicht wusste, weshalb Oliver immer noch hier stand. Er hatte doch niemanden angeschrien, war ruhig geblieben und hatte nun den Befehl gegeben, endlich den Erkundungsflug zu machen. Deswegen versuchte er nun noch krampfhafter als zuvor, ruhig und freundlich zu bleiben. Fireball trat an Oliver heran und lächelte leicht: „Was ist? Brauchst du `ne Einladung mit Goldrand, oder hast du schlicht und ergreifend keine Lust?“ „Hm“, brummte Oliver und wandte sich zum Gehen. Er ließ sich von Fireball nichts sagen, er ging nur zu seinem Gleiter, weil alle anderen auf ihn warteten. Von ihm aus konnte Fireball Purzelbäume schlagen oder im Dreieck hopsen, der kleine Japaner war gute zehn Jahre jünger als er, der hatte doch keine Ahnung von seinem Job! Zu seinem Erstaunen war der Erkundungsflug ohne irgendwelche Zwischenfälle verlaufen, keiner war aus der Reihe getanzt. Das hatte schon Seltenheitswert. Fireball schickte seine Bande von der Landebahn Schuss in den Feierabend. Er war erledigt und hatte absolut keine Lust mehr, noch jemanden zu sehen. Oliver wollte wieder nicht gehen, weshalb Martin den großen Piloten einfach vor sich her schob. Ihm hatte ein Blick auf den Captain und Oliver genügt um zu wissen, dass der jüngere einer weiteren Konfrontation am heutigen Tage nicht gewachsen war. Man musste schließlich nichts mit Gewalt herauf beschwören, weshalb Martin vorarbeitete. Nur war ihm dabei Stan nicht in den Sinn gekommen. Während Fireball bedächtig wie selten zuvor aus dem Jet stieg und sich abgekämpft den Helm vom Kopf zog, lehnte sich das blonde Großmaul abwartend gegen Fireballs Gleiter. Er beobachtete ihn eine Weile, ehe er mit der Zunge schnalzte und ohne Umschweife verlauten ließ: „Ist schon scheiße, wenn man mal selbst für was gerade stehen muss, was?“ Eigentlich wollte er nur noch mal ausloten, wie viel Wahrheitsgehalt in der Szene von Vorhin noch steckte und ob er seine Weltanschauung wirklich revidieren musste. Stan war dazu eigentlich nicht bereit, aber sollte er sich in Fireball getäuscht haben, dann würde er dazu stehen. Seine Art, das heraus zu finden, war eben ein wenig gewöhnungsbedürftig. Aber der Zweck heiligte die Mittel und wie sollte Stan sonst wissen, ob der Kleine nicht zum ersten Mal eine solche Standpauke kassiert hatte, wenn nicht so. Am liebsten hätte Fireball nun mit dem Kopf gegen den Gleiter gehauen. Musste das jetzt auch noch sein? Er wusste, dass er mit Stan nicht unter fünf Minuten ein Gespräch führen würde und noch gewisser war, dass es kein angenehmes sein würde. Immerhin sprachen sie hier von Stan und alleine schon sein Einstieg ließ auf Spaß sondergleichen hoffen. Fireball unterdrückte also den Impuls gegen das Metall zu kippen und wandte sich Stan zu: „Ist ja wohl nicht dein Problem.“ Oha, Stan zog die Augenbrauen hoch. Empfindliches Thema, ganz offensichtlich. Das würde für ihn also umso interessanter werden. Der Blonde zog aus seiner Brusttasche einen Streifen Kaugummi heraus und schob ihn sich in den Mund. Ungerührt der deutlichen, zwar nicht ausgesprochenen, Aufforderung, nicht weiter darüber zu lamentieren, fuhr er fort: „Papis Sohn kriegt also auch nicht immer das, was er will. Ist schon gemein, wenn er nicht mehr da ist und helfen kann.“ „War nie da“, einsilbiger ging es beinahe schon nicht mehr, das musste einfach auch Stan auffallen. Fireball wandte sich schon halb von Stan ab, den ging seine Familiengeschichte immerhin nichts an. Deutlich merkte er aber, wie der Zorn auf seinen Vater wieder kam. Was hatte ihm Captain Shinji Hikari schon geholfen? Fireball hatte nie einen Vater gehabt, hatte ihn oft schmerzlich vermisst, besonders dann, wenn er jemanden zum Reden gebraucht hätte. Alle Welt jedoch glaubte, dank des Namens und der Heldentat würden ihm heute Tür und Tor offenstehen. Jeder dachte, er würde wegen seines Vaters bevorzugt behandelt werden. Aber das war nicht wahr. Er hatte es deswegen bestimmt nicht einfacher als andere gehabt. Nur weil er diesen Namen trug, weil er seinem Vater so ähnlich war, nur deswegen unterzogen ihn alle irgendwelchen Prüfungen, wollten sehen, ob er sich behaupten konnte. Stan hätte beinahe Luft holen vergessen, als er die Reaktion gesehen hatte. Das sah doch verdächtig nach einem wunden Punkt für den Blonden aus. Ein sehr wunder Punkt. Gleichzeitig aber merkte Stan auch, dass die Verbindung zu seinem Vater zumindest für den Kleinen im Berufsleben keine Rolle spielte. Dennoch wollte er jetzt erst recht sehen, was Fireball alles aushielt: „Ziehvati auch nicht mehr, wie wir heute gemerkt haben. Langsam fällt wohl auf, dass es nichts bringt, jemanden auf einen Posten zu schieben, wo er nix taugt.“ Fireball presste die Lippen aufeinander. Das eben war wieder deutlich genug für ihn gewesen. Als ob er um diesen Posten gebeten hatte. Fireball schluckte, er hatte einfach keinen Nerv mehr für Sprüche dieser Art. Immer noch ungewöhnlich ruhig antwortete Fireball, wobei er zu Stan aufsah: „Ist das alles, was du zu sagen hast?“ „Jau, für heute schon“, damit stieß er sich vom Gleiter ab und verließ ebenfalls den Hangar. Den Kleinen am richtigen Fuß und mit der richtigen Tagesverfassung zu erwischen war eine Kunst für sich. Stan hatte gesehen, das Thema Vater und Bevorzugung hier im Oberkommando waren verdammt heiße Eisen und das würde noch das ein oder andere Mal zur Sprache kommen. Aber er hatte auch gesehen, dass den Mutmaßungen nicht so waren. Sonst hätte Commander Eagle das ganz anders angepackt. Und Fireball hätte sich ganz anders verhalten. Aber zu hundert Prozent! Allmählich ließ Stan seinen Sturkopf sausen. Fireball verdrehte kurz die Augen und wandte sich seinem Gleiter wieder zu. Stan war gerade das Tüpfelchen auf dem I gewesen. Für heute war er wirklich am Ende. Er wollte nur noch das Nötigste erledigen und dann zusehen, dass er nachhause kam. Martin traf Stan noch am Ausgang kurz, der kam mit einem triumphierenden Lächeln um die Ecke geschossen. Mit einem mulmigen Gefühl ging Martin in den Hangar zurück. Er hatte noch etwas liegen gelassen, was er aber mit nachhause nehmen wollte. Der Brasilianer konnte noch mit ansehen, wie ihr Captain die Stirn an das kalte Metall des Gleiters drückte und einen tief betrübten Seufzer ausstieß. Dem war die Standpauke an die Nieren gegangen, ganz klar. Das Helfersyndrom schlug einmal mehr bei Martin zu, weshalb er nun auf Fireball zuging und ihn ansprach: „Kommst du? Oder willst du hier Wurzeln schlagen?“ Fireball hob den Kopf, sah Martin allerdings nicht an, während er seinen Helm nahm und den Gleiter endgültig verriegelte. Ziemlich leise murmelte er: „Mir ist mal gesagt worden, der Mensch bräuchte Wurzeln.“ Dann hatte die Zurechtweisung von Commander Eagle also nicht so tiefe Spuren hinterlassen. Es musste etwas anderes gewesen sein. Martin neigte kurz den Kopf und dachte an Stan, der zufrieden den Hangar nach allen anderen verlassen hatte. Hatte der etwa schon angefangen, Fireball anzugreifen? Lang und breit war in der Staffel diskutiert worden, wer dem Captain das mit seinem Vater unter die Nase rieb, die Wahl war schnell getroffen gewesen. Stan war auserkoren worden, sein großes Mundwerk und seine spitze Zunge hatten ihn für diese Aufgabe quasi empfohlen. Die Familie wurde allgemein als die Wurzeln eines Menschen angesehen, nur so konnte Fireball das nun gemeint haben. Der hatte sich nämlich die größte Mühe gegeben, nichts zu sagen und ihn nicht anzusehen. Es konnte nur Stans Schuld sein, dass Fireball gerade aussah, als wollte er alles hinwerfen. Alarmiert wollte Martin deswegen wissen: „Was hat Stan gesagt?“ „Wen juckt`s, was er gesagt hat?“, Fireball hielt dabei seinen Helm fest in beiden Händen und sah zu Martin auf. Seine Augen schimmerten schwarz. Etwas verdattert trat Martin einen Schritt zurück. Diese Reaktion war seltsam. Aber andererseits konnte er sie auch verstehen. Fireball sah ihn aus irgendeinem Grund noch nicht als Freund an. Er sprach mit dem Brasilianer nicht darüber. Martin suchte deshalb nach einer anderen Lösung. So konnte er Fireball schlecht stehen lassen. Er meinte deswegen: „Sollte Stan dir das mit deinem Vater vorwerfen, versuch es dir nicht zu sehr zu Herzen zu nehmen. Sie wollen nur deine Geduld testen.“ Noch unbestimmter als zuvor bekam Martin nun zur Antwort: „Man kann sich nichts zu Herzen nehmen, von dem man nichts weiß.“ Fireball ging an Martin vorbei und biss sich auf die Unterlippe. Er wusste sehr wohl, wie und wer sein Vater gewesen war. Ein gutes halbes Jahr mit ihm zusammen zu arbeiten hatte dafür ausgereicht. Ohne es zu wissen, war Shinji seinem Sohn in dieser Zeit ein Vertrauter geworden, ein Freund, sogar ein Vater. Fireball hatte gespürt, wie der Captain in der Vergangenheit eine schützende Hand über ihn gehalten hatte. Das hätte auch hier in seiner Zeit manchmal gut getan, aber sein Vater hatte es vorgezogen, zu sterben. Er hatte Ai und Fireball für den Frieden alleine gelassen. Es würde absurd klingen, wenn Martin ihm jetzt sagte, dass er das nicht glaubte. Deswegen hielt der Brasilianer lieber den Mund. Er hatte absolut keine Idee, weshalb er sich gerade von Fireball nach Strich und Faden angelogen vor kam, aber es war so. Nie und nimmer wusste der Japaner nicht, wer oder wie sein Vater gewesen war. Etwas sagte Martin, dass sich Fireball eben doch all die Sprüche zu Herzen nahm und darunter litt, eben weil er seinen Dad kannte. Aber das war völlig hirnrissig. Captain Hikari war vor Fireballs Geburt gestorben, der junge hätte den alten Hikari niemals kennen lernen können. Wie denn auch? Frustriert seufzte Martin und kratzte sich am Kopf. Er war von seinen eigenen Gedanken verwirrt. „Kommst du mit dem Programm klar?“, April beugte sich zu Alex‘ Satteleinheit hinunter und beobachtete über dessen Schulter hinweg, wie er sich mit einem modifizierten, aber beileibe keinem neuen, Programm für die Steuerung vertraut machte. Es war schon merkwürdig, jemandem jeden Schritt zu erklären und ihm bei Routinearbeiten unter den Arm zu greifen, dem Rennfahrer hatte April die Updates immer nur überspielt, der hatte sich dann alleine um den Rest gekümmert. Bei Alex aber war das anders. Er brauchte im Augenblick sicherlich noch jede helfende Hand, die ihm zur Seite stand, um sich völlig mit Ramrod vertraut zu machen. Die Blondine hatte sich deshalb schon dazu bereit erklärt, mit dem Italiener alles Mögliche zu machen und ihn auch mal einen Blick auf die Mechanik werfen zu lassen. Im Falle des Falles sollte er ihr wenigstens bei gröberen Reparaturen helfen können. Für April war es allerdings auch eine willkommene Abwechslung, deswegen hatte sie das auch ohne zu zögern vorgeschlagen. Sie hatten im Augenblick ohnehin zu viel Zeit um über Dinge nachzudenken, das sagte der Navigatorin nicht zu. Auf Laramy war es ruhig, Colt witzelte manchmal, sie wären nur hier um Snowcone beim Wachsen zuzusehen. Der blauhaarige Teenager schoss nämlich ziemlich in die Höhe. Seit der letzten Begegnung mit Outridern hier war schon wieder einige Zeit vergangen, die Menschen fühlten sich wieder sicher und gut aufgehoben. Die Star Sheriffs beschränkten sich deswegen auch mehr auf diplomatische Bereiche ihres Aufgabenfeldes und nahmen diese Mission vor allem für die Freundschaftspflege mit den Bewohnern des Planeten wahr. Die hellen blauen Augen verengten sich und blickten angestrengt auf den Bildschirm vor sich. Alex konnte dem Balken zusehen, wie sich die Prozentzahl des Fortschrittes erhöhte und immer mehr des hellen Balkens dunkel gefärbt wurde. Hilfe, ehrlich, Ramrod war ein Wartungsdauerbrenner, wie er merkte. Allerdings würde er bestimmt nicht den Fehler machen und das ausgerechnet neben der Mitentwicklerin des Friedenswächters zum Besten geben. Alex aber kam es wirklich so vor, zumal er seit Dienstantritt schon das dritte oder vierte Update von April bekommen hatte. Die Frau verbesserte einfach ständig alles an ihrem Baby. Noch eine Besonderheit, die man erst im Laufe der Zeit über die Freunde hier an Bord lernte. Das erste Mal, als beim Abendessen von Aprils Baby die Rede gewesen war, hatte Alex aber verdammt große Augen bekommen. Er hatte nämlich nicht gewusst, dass Ramrod von der Crew so genannt wurde und hatte wirklich geglaubt, April hätte ein Kind. Bei den Gerüchten, die so im Oberkommando kursierten, wär das auch nichts Neues gewesen. Während sich das Update prächtig entwickelte und auch auf Laramy alles seiner Wege ging, war dem Italiener aber doch eines aufgefallen. Bei Saber und Colt war mit der Zeit der Ärger über die Umbesetzung des Piloten verpufft, aber zumindest bei April hatte Alex oft das Gefühl, sie wäre damit nicht sonderlich glücklich. Klar, sie war nett zu ihm und hatte auch keine Probleme damit, ihn hier zu haben, aber etwas schien die blonde Ingenieurin neuerdings zu bedrücken. Mal mehr, mal weniger, das war offensichtlich, aber an manchen Tagen war sie doch etwas versonnen und im Gedanken versunken. Alex wusste nicht genau, womit das zusammenhing, aber vielleicht würde es April besser gehen, wenn sie darüber sprach. Nun schien ein guter Zeitpunkt dafür zu sein, Colt und Saber waren nämlich im Augenblick noch in der Stadt unterwegs und erledigten die Einkäufe für die Truppe. „Stimmt mit dir etwas nicht, süße Prinzessin?“, dabei sah er vom Bildschirm auf und blickte sie aus zwei besorgten Augen an. Alex hatte schnell gemerkt, dass April von ihren Freunden im Wesentlichen zwei Spitznamen bekommen hatte. Einmal war sie Colts Prinzessin und zum anderen Fireballs Süße, den er bisher nur von kurzen Telefonaten kannte. Daraus war bei Alessandro eben schnell die süße Prinzessin geworden, weil er keinen Kosenamen einfach übernehmen wollte und sie kombiniert trotzdem noch zu April passten. Der Blondine schien das zu gefallen, denn sie hatte sich noch nie darüber beschwert. Irritiert blinzelte April. Nein, mit ihr war doch alles in Ordnung, zumindest redete sie sich das unentwegt ein. Mittlerweile waren sie schon wieder drei Wochen unterwegs, ohne ein einziges Mal in Yuma gewesen zu sein, das war auch der Grund, weshalb sie manchmal abends sehnsuchtsvoll in den Sternenhimmel blickte. Sie vermisste ihn, jeden Tag ein bisschen mehr und wenn es so weiter ging, verging sie an ihrer unerfüllten Sehnsucht. Klar, er meldete sich regelmäßig bei ihnen, aber da blieb keine Zeit, denn meistens brauchte der Hitzkopf einen beruflichen Rat von Saber. Ohnehin ließen sich beide nicht dazu hinreißen, sich ihren Freunden gegenüber verräterisch zu benehmen. Das aber war etwas, was der Navigatorin unheimlich weh tat. Sie stand vor dem Bildschirm, wurde lediglich wie eine Freundin behandelt. Das Schlimmste für sie war allerdings, dass Fireball das so überzeugend rüberbrachte, dass April so manches Mal selbst daran zweifelte, ob sie mehr waren als Freunde. Sie strich sich die einzelnen Haarsträhnen hinter die Ohren und lächelte Alex dabei scheu an: „Was soll sein?“ Ihr unschuldiges Gesicht hatte sie im Laufe der letzten Jahre bis zur Perfektion trainiert, sie wollte ihre drei Männer doch immer um den Finger gewickelt wissen. Und nichts hatte bei Colt, Saber und Fireball jemals besser gezogen, als große, unschuldige Augen und ein hilfloses, scheues Lächeln. Oh ja, sie wusste schon, wie sie bekam, was sie wollte und April war eine Frau. Sie wusste auch, wie sie das alles einsetzen musste, um von einem Thema abzulenken. In diesem Fall wollte sie den Eindruck erwecken, es wäre alles in Ordnung. Das allerdings konnte April nicht ganz so gut und das war ihr auch bewusst. Also musste sie sich auf ihre rhetorischen Fähigkeiten verlassen, die sie ebenfalls besaß. Alex interessierte sein Computer nicht mehr. Gerade gab es Wichtigeres, als ein neues Programm. Er lehnte sich in seiner Satteleinheit zurück, verschränkte die Arme hinter dem Kopf und schmunzelte zu April auf. Sie war eine wunderschöne Frau, mit allem ausgestattet, was ein Mann sich wünschen konnte. Natürlich auch mit Köpfchen und einem eigenen Willen. Jeder Kerl, der nur ein Püppchen wollte, war bei April an der falschen Adresse, das hatte auch Alex schnell gemerkt. Besser gesagt, hatte er das zu hören bekommen, als er mit Colt einmal über das weibliche Geschlecht diskutiert hatte und beide sich einig waren, dass ihre Traumfrau das gewisse Etwas haben musste. Blöd, wie sie dabei gewesen waren, hatten sie, um ihre Worte zu veranschaulichen, eine kurvige Figur mit ihren Händen in die Luft gezogen. Das hatte ordentlich was von April auf die zwölf gegeben. Ob sie beide noch richtig tickten und ob ihnen eine Frau gar nichts wert wäre. Sie hatte Colt und Alex gleich einen Vortrag über die Macht der Frauen gehalten und Saber, dieser miese kleine Verräter, hatte dem auch noch eifrig zugestimmt und selbst einige Beispiele mächtiger, schöner und auch kluger Frauen zum Besten gegeben. Nun aber flunkerte sie ihn an. Etwas stimmte nicht mit ihr. Er hatte an und für sich einen guten Draht zu April gefunden, deshalb glaubte er auch, dass sie ihm Persönliches anvertraute. Klar, sie kannten sich noch nicht so lange, aber durch die räumliche Nähe lernte man sich zwangsläufig sehr schnell kennen. Macken, Ticks und andere charakterliche Schwächen bemerkte man im Handumdrehen. Alex wollte deswegen auch nicht mit der Tür ins Haus fallen, April mochte das nicht. Er schmunzelte zu der kessen Blondine auf: „Weiß ich nicht. Sag du’s mir. Stell ich mich so dämlich an?“ Yes. Das quittierte April natürlich mit einem entzückenden Lächeln und einem leichten Kichern, das sie noch unterdrücken wollte. Wie ein kleines Mäuschen. Sie wandte sich kurz von Alex ab, ehe sie sich einfach neben der Satteleinheit im Schneidersitz auf den Boden setzte und zu dem Italiener hinaufschaute. In ihrer Stimme schwang ein bisschen Frohsinn mit, als sie ihm keck antwortete: „Ehrlich? Ja, unheimlich.“ „Okay. Das erklärt, weshalb du so gelangweilt guckst, wenn du mir etwas erklären willst, aber nicht, weshalb du dich abends woanders hin wünschst“, das war doch mal ein schleichender und humorvoller Übergang von Spaß zu Ernst. Immerhin lächelte Alex nach wie vor, aber seine Augen spiegelten die Sorge um die soeben erst gewonnene Freundin wider. Aprils Augen weiteten sich vor Erstaunen. Wenn es sogar Alex aufgefallen war, dass sie sich in die Arme eines Mannes wünschte, was mussten dann erst Colt und Saber schon gemerkt haben? Ob die beiden wussten, wie sehr sie ihren Matchbox manchmal vermisste? Die Blondine biss sich auf die Lippen. Was sollte sie Alex da jetzt nur vorgaukeln? Sie senkte betroffen den Blick zu Boden. Lügen konnte sie nicht, das hatte sie schlicht und ergreifend niemals gelernt. Sie flog garantiert auf, wenn sie sich jetzt hinausreden wollte. April ließ die Schultern hängen und blickte drein, als würde sie jeden Moment zu weinen anfangen. Da war er ja ordentlich eingefahren. Alessandro richtete sich erschrocken in seiner Satteleinheit auf und beugte sich zu April. Er legte ihr behutsam eine Hand auf die Schultern, strich ihr die Haare aus der Stirn. Die starke Navigatorin zeigte deutliche Schwäche. Das gefiel dem Italiener nicht, das hätte wahrscheinlich keinem gefallen. Alex versuchte noch das Schlimmste zu verhindern: „Hey, kein Grund, deswegen so traurig zu gucken, süße Prinzessin. Wo immer du in manchen Momenten sein möchtest, du kommst dort bestimmt bald wieder hin. Ich wette, du wirst dort bereits genauso sehnsüchtig erwartet.“ April entzog sich der liebkosenden Berührung von Alex sofort wieder. Sie wandte den Kopf von ihm ab und nickte und wollte es verharmlosen, doch ihre Stimme verriet ihren Herzschmerz nur allzu deutlich: „Ist nur ein bisschen Heimweh im Augenblick. Das hat man auch in einem Team wie Ramrod manchmal.“ Das konnte Alex so nur nicht ganz glauben. Klar, sie wollte nach Yuma zurück. Aber bestimmt nicht, weil dort das Wetter so viel schöner war. Dort war etwas, oder besser gesagt, jemand, den sie schmerzlich vermisste. Von den Geschichten, die Colt und Saber beim gemeinsamen Essen oft so von sich gaben, ging Alex davon aus, dass April so etwas wie Heimweh gar nicht kannte. Das ließ für den Piloten nur einen Schluss zu: „Du hast da jemanden kennen gelernt, oder?“ Ob er spürte, wie ihr plötzlich das Herz bis zum Hals schlug? April war einen Moment lang unfähig, irgendwas zu antworten, dann jedoch nickte sie. Dabei biss sie sich auf die Lippen und senkte todunglücklich ein weiteres Mal die Augen. Sie vermisste Fireball. Es fühlte sich für April im Moment genauso falsch an, wie in der Vergangenheit, als sie ihn nicht bei sich gehabt hatten. Sie hatte das Gefühl, nur zu ihm zu gehören und ihn wie die Luft zum Atmen zu brauchen. Zudem belastete sie das, was Fireball und sie neuerdings als Freundschaft bezeichneten. Sie konnte Alex doch schlecht erzählen, was los war. Er würde es melden, ganz sicher! Sie konnte mit niemandem darüber reden, auch und gerade nicht mit Colt und Saber. Alex ließ April schließlich etwas ratlos los. Was hatte er denn Falsches gesagt? Oder hatte er einfach nur ein Thema angeschnitten, das der hübschen Navigatorin die Sprache verschlug? Was war so schlimm daran, wenn man jemanden kennen lernte und diesen jemand offensichtlich auch noch gerne hatte? Für Alex war Liebe eine wunderschöne Sache. Gerade der Anfang einer Beziehung war für ihn immer das Schönste gewesen. Da war alles so frisch, neu und aufregend. Man erforschte den anderen mit soviel Neugier und prickelnder Leidenschaft. Was war daran um Gottes Willen falsch? Der Italiener sponn den Gedanken allerdings auch weiter. Denn Liebe war für alle etwas Schönes. Natürlich tat eine räumliche Trennung da immer ein bisschen weh, aber dafür freute man sich umso mehr auf den Nachhauseweg. Auch April sehnte sich auf ihren baldigen Rückflug, aber anders als andere Frauen, sprach sie nicht davon. Jede andere würde einem tagtäglich damit in den Ohren hängen, wie sehr sie sich auf ihren Schatz freute. Das brachte Alessandro dann nur auf die einzige Erklärung, die es für einen solchen Fall gab: „Lass mich raten. Die kleine Pfeife ist verheiratet und du seine heimliche Affäre.“ Alex war jemand, der immer direkt und ohne Umschweife seine Meinung und Gedanken aussprach. Da machte er bei keinem Thema eine Ausnahme, konnte er schließlich auch nicht. Er konnte das nicht anders. Nur jetzt riss April schon fast erschrocken die Augen auf und starrte Alex ungläubig an. Um Himmels Willen! Nein, sie war nicht… Doch. Als April klar wurde, dass sie eben doch eine heimliche Affäre war, bebten ihre Lippen und Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie und Fireball hatten eine Affäre! Es brauchte nicht immer einen Ehering, um sich heimlich treffen zu müssen. In ihrem Fall genügte, dass sie beide in die selbe größere Einheit eingegliedert waren, um ein Geheimnis aus ihren Gefühlen zu machen. Mit Tränen in den Augen lehnte sie den Kopf an Alex. Für den war der Fall nun klar. Der Saukerl fuhr zweigleisig und brach ihrer kleinen Prinzessin das Herz. Er nahm sie schützend in den Arm und streichelte über ihren Kopf: „Scht. Der ist es nicht wert. Warum sagst du denn nicht gleich was, süße Prinzessin?“ „Weil…“, sie krächzte, brachte nicht mehr als das heraus. Was sollte sie denn sagen? Weil er der Captain der Air Strike Base 1 war und sie die Navigatorin von Ramrod? Wenn sie das tat, konnte sie Fireball gleich darauf anrufen und ihn darauf vorbereiten, dass er bei ihrem Vater aufmarschieren und seine Sachen packen musste. So wie sie. April war sich da ganz sicher. In so einem Fall wie dem ihren, würden sie beide gehen müssen. Die beiden Männer spazierten nebeneinander durch die Stadt. Jeder von ihnen trug eine Tüte gefüllt mit diversen Köstlichkeiten auf dem Arm. Der Blonde warf nicht nur immer wieder einen prüfenden und instinktiven Blick auf die Umgebung, sondern behielt auch seinen Kollegen im Auge. Colt war seit einigen Tagen endlich wieder besser drauf, was dem Schotten zumindest eine Sorge nahm. Er brauchte nicht mehr auf Colt einzureden, wie auf eine kranke Kuh. In den nächsten paar Wochen würde sich zwischen Colt und Alex alles klären. Das brachte den Schotten auf ihren unfreiwilligen Neuzugang. Der hatte sich seiner Meinung nach nahtlos in das Team eingefügt. Schneller und besser, als Saber nach dem ersten Trainingsflug erwartet hatte. Aber der Pilot war gut und er hatte einen außergewöhnlichen Sinn für Humor, den man nur Piloten nachsagte. Nicht jeder vertrug die Art von Späßen, zu denen auch er selbst und April neigten. Aber Alex nahm es hin und konterte oft auch noch ungeniert. Der war wirklich nicht auf den Mund gefallen. Ein anderer schien mit dieser Art Humor weniger gute Erfahrungen gemacht zu haben. Saber behagte es kaum, gar so regelmäßig Anrufe von Fireball zu bekommen. Der schien in letzter Zeit an seine Grenzen gestoßen zu sein. Offen gestanden, zu einem sehr frühen Zeitpunkt schon. Wenn Fireball auch nicht immer mit der Sprache rausrückte, und seine Anrufe oft den Anschein erweckten, er würde durch die Blume Ramrod kontrollieren wollen, so war der Recke relativ schnell dahinter gekommen, dass ihr ehemaliger Captain einen Freund brauchte. Der Highlander fühlte sich irgendwie geehrt und war stolz, dass Fireball zu ihm kam, wenn er Rat und Hilfe brauchte. Es bestätigte Saber darin, für den Hitzkopf mehr als nur ein Kontrolleur auf Ramrod gewesen zu sein, der dem Captain überprüfend über die Schulter geschaut hatte. Ein leichtes Lächeln huschte über sein Gesicht. Es würde alles werden, wenn sie alle so weiter machten. Da war sich Saber sicher. Colt bewunderte die Blumen- und Mädchenpracht, die Laramy zu bieten hatte, während er neben Saber zu Ramrod zurück spazierte. Der Schotte war fast schon unwiederbringlich in seinen Gedanken versunken. Da nützte der werdende Vater doch die Gelegenheit, sich hier ein wenig umzusehen. Die Mädchen hier waren alle hübsch, kein Thema, aber keine konnte seiner Robin das Wasser reichen. Diese Frau sah auch im siebten Monat noch umwerfend schön aus. Er freute sich auf sein kleines Mädchen und wenn es nach Colt ginge, wäre er die nächsten paar Monate bei seiner zukünftigen Frau und ihrem Kind zuhause. Aber das war dank der Outrider und dem immer noch andauernden Krieg nicht drin. Colt war von daher zumindest ganz froh, dass er einen Freund auf Yuma wusste, der im Notfall bei Robin sein konnte. Ja, Colt begann sich langsam aber sicher mit der neuen Situation anzufreunden. Wie Saber ihm geraten hatte, versuchte er das Gute an den Veränderungen zu sehen. Das tat der Cowboy in jeder Hinsicht. Eben nur auf seine Weise. Er vermissten ihren Kurzen, weil ihm die Späße und ehrlich gestanden auch die Anwesenheit fehlte. Der Ersatz war zudem ein eigener Fall für sich. In mancher Hinsicht war er dem Cowboy etwas zu perfekt. Alex war groß, gutaussehend und gut gebaut. Ein echter Frauenmagnet. Und das wusste der Italiener ganz genau. Ganz davon abgesehen flirtete Alessandro bei jeder Gelegenheit mit ihrer April. Das sagte Colt ganz und gar nicht zu. Der sollte seine Finger von ihr lassen! Nichts desto trotz vertrug sich die Blondine mit Alex und genoss die Aufmerksamkeit, die sie in einem solchen Ausmaß selten bekam. So war für Colt dieser Nachteil aber auch wieder etwas Positives. April vergaß dank des Italieners relativ schnell, wie ihr Team vor Kurzem noch zusammengesetzt gewesen war. Aber Alex war auch ein Charakterkopf. Nicht ganz so stur wie Colt, aber wenn er wollte, spuckte der italienische Vulkan Feuer wie der Vesuv. Wenn Colt ihn auf dem richtigen Fuß erwischte, entstanden mitunter heiße, aber enorm lustige Diskussionen. Hin und wieder vergaß der Cowboy, dass Alessandro nicht die Spur an Naivität hatte, wie Fireball. Gefiel Colt aber auch irgendwo, weil er mit Alex da auch mal ohne nette Umschreibungen reden konnte. Und der Nudelfresser wusste, was und wie das Leben manchmal so spielte. Das machte die beiden Männer einander ähnlicher. Colt neigte den Kopf. So schlecht war Alex nicht. Er war einfach anders. Damit lernte der Lockenkopf langsam umzugehen. Beim nächsten Abendpläuschchen würde er Alex noch mal zur Seite nehmen. Auch im Hangar schmeckte das Feierabendbier, man musste nicht immer in einer verrauchten Kneipe versumpfen. Ruhig war es nach Sonnenuntergang in der Base. Es waren nur einige Piloten zum Bereitschaftsdienst hier. Man wollte das Oberkommando in Kriegszeiten einfach nicht unbesetzt lassen. Die drei, die bei ihrem Feierabendbier im Aufenthaltsraum saßen, waren für diesen Tag schon privat. Stan brachte drei Flaschen an den Tisch und ließ sich auf einen Stuhl nieder. Er sah seine beiden Freunde und Kollegen prüfend an. Sie waren sich nach wie vor nicht wirklich einig. Unwillig schnaubte Stan deswegen, während er die Flasche mit einem Feuerzeug öffnete. Er funkelte Martin an: „Du bist ein mieser kleiner Verräter. Dumm nur, dass deine Mühen jetzt doch alle umsonst waren. Wir werden Babyboy in absehbarer Zeit wieder los.“ „Findest du das etwa gut?“, ehrlich erstaunt richtete sich der Brasilianer von seinem Stuhl auf. Sie konnten das doch schlecht ernst meinen. Während Stan nur die Schultern hob und tatsächlich nicht wusste, wie er das finden sollte, war Oli sich ziemlich sicher. Er prostete den beiden kurz zu, nahm einen Schluck und erklärte Martin nicht gerade durch die Blume: „Der gehört nicht hier her. Der Pimpf geht mir ja nicht mal bis zur Schulter. Aber schleifen wird er uns für Eagles Anschiss letztens noch. Der denkt grad nur noch über die Foltermethode nach.“ „Tut er nicht“, widersprach Martin sofort. Nein, Fireball würde sie dafür nicht zur Verantwortung ziehen. Hätte er das wollen, hätte er es schon längst getan. Martin hatte selbst gemerkt, wie sehr sich ihr Captain bemühte, mit allen hier auf einen grünen Zweig zu kommen. Diesbezüglich schlug sich Stan ganz eindeutig auf Olivers Seite: „Ich lass mich doch nicht von einem halben Kind befehligen! Mir ist egal, woher er kommt und ob er Hikari heißt.“ Ganz bewusst ließ Stanley unerwähnt, dass er dem Captain das Können gar nicht abschlug. Allerdings, und das lag in der Natur der Sache, wollte sich Stan – so wie viele andere auch – nichts von einem jüngeren Piloten befehlen lassen. Der blonde Pilot ging schon mehr auf die dreißig zu, er wollte sich von einem nicht einmal zwanzigjährigen nicht sagen lassen, was er zu tun hatte. Davon abgesehen, das gab Stan aber nur sich selbst gegenüber zu, wusste Babyboy ziemlich genau, was er tat und nebenbei war der Captain auch noch ein verdammt guter Pilot. Nur durchsetzen konnte er sich nicht. Also, das war und blieb eine nicht zu knackende Nuss. Oliver und Stan genossen beide hohes Ansehen innerhalb der Staffel, alle gewichteten deren Meinung stark. Wenn die beiden sagten, sie wollten Fireball nicht in ihre Einheit aufnehmen, dann hatten neunzig Prozent der Piloten dieselbe Meinung. Während Stan eher schon dazu geneigt war, den Hikarispross aufgrund seiner Fähigkeiten zu akzeptieren, blieb Oli stur bei seiner Meinung, Fireball so schnell wie möglich wieder los zu werden. Dabei übersah der Hüne sehr gewissenhaft, dass der Japaner hart daran arbeitete, alle kennen zu lernen. Oli ignorierte jede persönliche Bemerkung und tat das als Allerweltwissen ab. Martin verzweifelte daran noch. Bis Ende des Monats sollte sich das alles bessern, aber es schien an der Einheit garantiert zu scheitern. Es wäre schade, denn Martin sah das Potential für ihre eigene und andere Einheiten. Nur wie sollte er das diesen sturen Böcken verständlich machen? Zwei ganze Sixpacks später hatten die drei eine für alle akzeptable Lösung gefunden. Sie hatten sich darauf geeinigt, den neuen Captain noch einmal einer Prüfung zu unterziehen und ihn zu testen. Martin war davon alles andere als begeistert und garantiert würde er an diesem Abend wieder lang und breit mit Alessa darüber sprechen. Stan und Oli bekamen auf diese Weise die Chance zu beweisen, dass Fireball kein Captain war und Martin konnte zeigen, dass sein Vertrauen berechtigt war. Dieser Kurzbesuch war wirklich kurz gewesen und hatte seinem Namen alle Ehre gemacht. Ramrod war nur über Nacht geblieben. April war nur über Nacht geblieben. Und wieder fiel dem ehemaligen Rennfahrer der Abschied von ihr schwer. Als er am Vorabend noch erfahren hatte, dass Ramrod zu einer Stippvisite nachhause kam, hatte er im Büro noch bis zur Ankunft gearbeitet und seine Freunde dann abgeholt. Nach einem gemeinsamen Abendessen hatten sie sich auch schon wieder getrennt. Vorläufig zumindest. Denn April und er hatten sich wieder heimlich getroffen. Heute Morgen war sie aus seiner Wohnung verschwunden gewesen, als sein Wecker geklingelt hatte. Gerade eben hatte er sie noch kurz zu Gesicht bekommen. Sie hatten sich verhalten wie zwei alte Bekannte, aber nicht wie zwei Verliebte, die sich die halbe Nacht in den Armen gelegen waren. Nun stand er am Fenster in seinem Büro. Alleine und mit geschlossener Tür. Die Leidenschaft der letzten Nacht war mittlerweile dem Kummer des heutigen Morgens gewichen. Obwohl sich Fireball dieses Mal von seiner Mannschaft abgemeldet hatte, stand Martin vor der Bürotür. Er hatte keine Freude mit dem Gesichtsausdruck seines Captains gehabt und wollte nun nach ihm sehen. Martin war schon öfters aufgefallen, dass mit Ramrods Start das sorgenvolle Gesicht von Fireball zum Vorschein kam. Das aber so, dass es auch allen anderen auffiel. Martin machte sich deswegen Sorgen. Regelmäßig wurde nämlich so aus der immer gut gelaunten Frohnatur ein schweigsamer Captain, der sich vor seiner Crew zurückzog. So wie an diesem Morgen. Martin wollte wissen, was der japanische Grashüpfer auf dem Herzen hatte. Martin hörte Ramrods Turbinen heulen, als der Friedenswächter abhob. Vorsichtig schob er die Tür einen Spalt auf und lugte hinein. Fireball stand am Fenster, und auf Martin wirkte es in dem Moment, als hätte man ein Kind mutterseelenalleine irgendwo zurückgelassen. Da musste doch auch einem Nicht-Familienvater das Herz brechen, wenn man so etwas sah. Bedächtig leise schloss Martin die Tür, nachdem er ins Büro gehuscht war. Immer noch keine Reaktion von seinem Captain. Der Abschied von Ramrods Crew schien ihn sehr zu belasten. Deswegen klopfte der Brasilianer nun an und erhob gedämpft seine Stimme. Mitfühlend gestand er dem neuen Captain zu: „Alten Freunden immer wieder nachzusehen tut auf Dauer nicht gut.“ Fireball ließ sich nicht anmerken, dass er sich von Martin ertappt fühlte. Er drehte sich vom Fenster weg und warf seinem Gast einen traurigen Blick zu. Er vermisste sie, obwohl sie noch nicht einmal richtig weg war. Mit einem gespielten, kleinen Lächeln ließ er Martin schließlich wissen: „Ist immer noch komisch, dem großen Cowboy beim Starten zuzusehen und ihn nicht selbst zu fliegen. Ich hab ihn vorher nie vom Boden aus starten sehen.“ Allerweltsausreden waren das in Martins Ohren. Der dunkelhaarige Pilot blieb immer noch neben der Tür stehen. Er wollte ungebetenen Besuch gleich abfangen, denn sein sechster Sinn verriet ihm nur allzu deutlich, dass Babyboy im Augenblick mehr als nur angreifbar war. Sein Blick spiegelte etwas wider, was Martin als ein gebrochenes Herz einordnen würde. Dem Brasilianer war klar, ihr Küken da vor ihm machte eine schwere Zeit durch, hatte hier in Yuma keine Freunde, die da waren, wenn Ramrod wieder zu einer Mission aufbrach. Martin versuchte nun, dieser Freund zu werden. Er musterte Fireball noch einmal aufmerksam, ehe er leise meinte: „Es ist mehr als das. Aber mach dir keine Sorgen um deine Freunde. Die kommen schon klar, Babyboy. Schließlich kommen sie immer wieder nachhause.“ Nun trat Fireball endgültig vom Fenster weg. Er hatte keine rechte Lust mit jemandem zu reden. Auch – und schon gar nicht über die Ramrodcrew. Aber Martin stand nun mal hier und hatte ihn darauf angesprochen. Er konnte den Brasilianer nicht einfach wegschicken. Martin war sein einziger Rückhalt hier in Yuma. Der ältere Pilot half ihm immer wieder und stand immer noch hinter ihm, auch nach der Standpauke von Commander Eagle. Auch jetzt tat Martin nichts anderes, als zu helfen und da zu sein. Fireball formte ein klägliches Lächeln und spielte Martins Worte herunter: „Ich würd‘ mir um euch schon auch solche Sorgen machen, so ist es nicht.“ „Klar“, Martin nickte lediglich. Das bestritt der Brasilianer nicht. Fireball würde sich Sorgen um die halben Befehlsverweigerer machen, ganz klar. Doch etwas energischer ging er nun auf Fireball zu. Er sah ihn fest an: „Aber das ist es nicht. Du machst dir nicht nur Sorgen. Da ist noch etwas anderes“, dieses Mal strich Martin mit den Fingerspitzen die Stuhllehne nach und sagte Fireball nun ganz klar, was er bemerkte und dachte: „Du guckst aus der Wäsche, jedes Mal wieder, als würde dir mit jedem Start von Ramrod das Herz brechen.“ „Vielleicht bricht mir auch jedes Mal das Herz“, mit gesenktem Kopf schlich Fireball an Martin vorbei und setzte sich an seinen Schreibtisch. Als er bemerkte, wie er sich bei Martin fast verplappert hätte, fügte er mit einem verschämten Räuspern noch hinzu: „wenn sie ohne mich starten.“ Den Zusatz hätte er sich sparen können. Martin hatte auch so mit einem Mal ein ganz bestimmtes Bild vor Augen. Alles begann ihm plötzlich klar zu werden. Das blonde Mädchen, das aus Fireballs Büro gelaufen war, der Captain, der jedes Mal wieder völlig neben sich stand. Alles begann einen Sinn zu ergeben. Unbemerkt warf Martin noch einen kurzen Blick auf das Foto, das neben dem Bildschirm auf dem Tisch stand. Auch die Blondine war darauf zu sehen. Da war garantiert ein Herz gebrochen, wenn nicht sogar zwei. Bei den beiden jungen Star Sheriffs musste die Versetzung Hoffnungen hervorgerufen haben, die durch die Regeln doch nur wieder zerschlagen worden waren. Zumindest Vernunft konnte er dem Captain zusprechen. Eine Charaktereigenschaft, die man Fireball auf den ersten Blick nicht zutrauen würde. Aber zumindest hatte es auf Ramrod keine Beziehung gegeben und auch jetzt gab es keine. Martin brachte noch ein bisschen mehr Verständnis für den japanischen Piloten auf, als ohnehin schon. Dieses Mal ging Martin an den Schreibtisch heran, lehnte sich mit dem Becken dagegen und musterte Fireball noch einmal. Er beneidete Fireball nicht. Seine Arbeit war nicht einfach im Augenblick und nun schien ihm auch im Privatleben einiges daneben zu gehen. „Bist du sicher, dass du die Mehrzahl meinst? Ich meine, sie ist blond, echt scharf und nebenbei bemerkt, das einzige weibliche Mitglied deiner alten Einheit. Ich kann verstehen, dass man da schon mal ein Auge drauf wirft. Oder auch zwei. Und ich versteh auch, dass es weh tut, wenn Hoffnungen durch Regeln zerstört werden. Aber das ist besser so“, er kam wieder auf Fireball zu und legte ihm mitfühlend eine Hand auf die Schulter: „Die kleine Navigatorin und du seid immer noch in der selben Einheit. Sei froh, jetzt die Notbremse gezogen zu haben, Babyboy. Ihr habt Schluss gemacht, bevor es ernst werden konnte. Das ist das Beste für alle. Und hey, da kommt bestimmt irgendwann mal eine kleine Schnecke, die nicht in der Air Strike arbeitet.“ Der Spross des Captains zog sich erschrocken zurück. Fireball ging zwei Schritte von Martin weg, ein scheues Reh hätte im Augenblick noch mutig gegen ihn gewirkt. Woher und wie konnte Martin das wissen? Er schlug die Augen nieder und suchte nach einem Ausweg: „Ich meinte die Mehrzahl. Die drei sind meine Freunde. Alle drei.“ „Das bestreite ich auch gar nicht“, wie man es bei Fireball anpackte, machte man’s falsch. Der Japaner war also ein Mensch, der alles in sich hineinfraß und vieles wahrscheinlich nicht einmal seinen engsten Vertrauten mitteilte. Das war mitunter irgendwann sicher auch ein Knackpunkt, der den Captain unberechenbar werden ließ. Wer wusste schon, wann und welche Kleinigkeit genügte, um das Fass zum Überlaufen zu bringen? Martin jedenfalls hatte die berechtigte Befürchtung, in dem Augenblick das Pech zu haben und in der Nähe des Captains zu sein. Das konnte was werden. Der Gedanke löste das momentane Problem leider nicht einmal im Ansatz. Der kleine Pilot stand vor ihm, zog sich noch offensichtlicher als ohnehin schon zurück und schloss alles und jeden in seiner Umgebung von seinem Leben aus. Dabei stellte Martin fest, dass seine Herzallerliebste wieder einmal Recht gehabt hatte. Sie hatte Martin davor gewarnt zu glauben, nur weil jemand ständig lächelte und es den Anschein hatte, keine Kritik oder kein persönlicher Angriff würden ihm nahe gehen, dass ihm das Herz und die Seele deshalb nie verletzt wurden. Tatsächlich – und auch das hatte Alessa ihm gesagt – waren diese Menschen oft sehr verletzlich. Sein Herzblatt hatte eine unverschämte Menschenkenntnis. „Naja. …Wie dem auch sei“, versuchte der Brasilianer nun nicht weiter darauf rumzureiten oder vielleicht auch noch ein paar unbeabsichtigte Volltreffer zu landen. Den Härtefall an Schweigsamkeit sollte seine Freundin übernehmen. Alessa lag ihm ohnehin schon ewig in den Ohren, er solle den jungen Piloten doch mal zum Essen mitbringen. Wieso dann nicht gleich heute? Er lud Fireball kurzerhand ein: „Jedenfalls hat mein Herzblatt Recht. An Tagen wie heute solltest du nicht alleine sein. Mein Herzblatt bekocht uns heute Abend. Komm auf einen Sprung zu uns und lass dich von Alessa verwöhnen.“ Unglaublich erleichtert stieß Fireball die angehaltene Luft aus und ließ die angespannten Schultern fallen. Martin hatte mit seinen Fragen aufgehört. Er hatte unheimlich schnell eingesehen, dass er bei diesen Themen gegen eine Wand redete. Alles war für Fireball mit seiner Versetzung komplizierter geworden. Er hatte mit Saber und Colt zwei gute Freunde verloren, die nicht immer alles wissen mussten, um für ihn da zu sein. Das zwischen ihm und April war in Dimensionen ausgeartet, die eigentlich schlimmer nicht sein konnten. Sie liebten sich. Das war zwar schön und fühlte sich auch richtig an, nur war es falsch. Verboten, wie selbst Martin schon bemerkt hatte. Die Oberkatastrophe allerdings war, dass sie sich heimlich trafen und beide – so wie an diesem Tag – danach an Liebeskummer beinahe zerbrachen. Und dann war da noch eine Kleinigkeit, die sich Air Strike Base 1 schimpfte, und in einer Tour versuchte, ihn wieder los zu werden. Wenn es so weiter ging, hatten sie das bald geschafft und auch das belastete Fireball schwer. Denn egal, wie hässlich und gemein seine Piloten auch zu ihm sein konnten, trotzdem mochte er sie. Jeden einzelnen von ihnen. Nur würde er das nie zugeben. Es würde ihm bestimmt schwer fallen, auch von diesen halben Selbstmördern Abschied zu nehmen. Er tat alles, um diesen Fall zu verhindern, aber gedanklich richtete er schon eine kleine Abschiedsfeier aus. Es brauchte ein Wunder, um diese Bande bis Monatsende im Griff zu haben. Viele kleine Probleme also, die an Tagen wie diesen zusammentrafen und dem jungen Captain jede Lebenslust nahmen. „Mal schauen“, wich er Martin schon wieder aus. Fireball musste ein oder zwei Dinge einmal in Ruhe mit sich ausmachen. Das tat man eigentlich ganz und gar nicht in einer solchen Stimmung, wie er sie gerade hatte, aber wie auch andere Menschen, zog es der Japaner dann erst recht vor, sich irgendwohin zu verkriechen und am Besten niemandem über den Weg zu laufen. Es war allerdings die Frage, wie gut die nichtssagende Auskunft bei Martin zog. Auf Ramrod hatten seine Freunde dann schon extra darauf geachtet, dass er keine Zeit hatte, um über irgendetwas nachzudenken und sie hatten ihn abgelenkt. Vorsorglich setzte sich Fireball an den Schreibtisch und lugte aus zwei dunklen Augen zu Martin auf. Er schnitt ohne Umschweife gleich ein anderes Thema an: „Kannst du den anderen bitte noch mal sagen, dass ich hier im Büro bin, bevor da unten wieder Sodom und Gomorra herrscht?“ Oh, mann! Sogar ein Felsbrocken zeigte irgendwann Einsicht, aber die war bei Fireball offensichtlich nicht in der Standardversion enthalten. Martin zog die Augenbrauen hoch. Was sollte er da denn bloß machen? Er wollte ihm helfen, wirklich helfen, aber das konnte er nicht, wenn er nicht wusste, was überhaupt los war. Fireball hatte sich bisher noch kein einziges Mal über seine Einheit bei ihm beschwert, hatte nie auch nur ein Wörtchen über Freunde und Familie verloren. Im Grunde genommen saß da ein wildfremder Mensch vor ihm, mit dem er schon seit einigen Wochen zusammen arbeitete. Martin sah Fireball kurz an, dann griff er entschlossen zum Telefonhörer. So leicht gab er sich nicht geschlagen und die liebreizende Stimme seiner Alessa half manchmal Wunder. Er wählte die Nummer von zuhause und drückte Fireball den Hörer in die Hand: „Mir kannst du gerne absagen, bei meiner Freundin würd ich das nicht empfehlen, Babyboy.“ „Bist du wahnsinnig? Was machst du denn da?“, da hielt Fireball den Telefonhörer aber auch schon in der Hand und ehe er wieder hätte auflegen können, meldete sich am anderen Ende der Leitung eine herzliche Stimme, die ihn begrüßte. Allerdings nicht mit seinem Namen, sondern mit Martins. Ah ja, die Nummer vom Oberkommando kannte sie also. Fireball räusperte sich verlegen und stammelte überfahren: „Äh, ja, hi.“ Die Frau am anderen Ende stockte kurz, lachte aber dann auffallend fröhlich ins Telefon: „Hi du, der du schon mal nicht Martin bist.“ Im nächsten Augenblick konnte der Brasilianer wieder einmal mit erleben, wie schnell Fireball umschalten konnte. Als ob er einen Schalter umlegen würde, schmunzelte der kleine Japaner ins Telefon und gab nähere Auskunft zu seiner Person. Das auch noch verdammt schelmisch und einer guten Portion Charme: „Auffallend richtig. Ich bin Fireball. Der Grund, weshalb dein Freund nachts gerne außer Haus schleicht.“ Es dauerte nicht lange, da war die junge Frau am Telefon auch schon voll im Bilde. Sie freute sich ehrlich und das spürte man auch durch den Apparat. Sie musste förmlich strahlen: „Oh, toll. Dann kommst du heute endlich mal zum Abendessen.“ Die braunen Augen warfen einen mehr als nur verwunderten Blick zu Martin, nur um dann irgendwie eine nette Absage hinzubekommen: „Tja, Alessa, richtig? Weißt du… Es ist so…“ Doch sie ließ ihn nicht aussprechen. Stattdessen unterbrach sie den Japaner und machte das, was alle Frauen an ihrer Stelle getan hätten. Sie zog einen Schmollmund. Klar, Fireball konnte ihn nicht durchs Telefon sehen, aber er konnte es hören: „Och… Ich möchte dir doch wenigstens persönlich mal sagen können, was ich davon halte.“ Fireball runzelte die Stirn: „Wovon?“ Ihn beschlich das etwas ungute Gefühl, dass Martin zu der Sorte Mensch gehörte, die zuhause alles mit ihrer Frau oder ihrer Partnerin besprachen und in alle Einzelheiten zerpflückte. Alessa wusste also Bescheid. Sie wusste, was in der Air Strike Base gerade los war und sie wusste über den merkwürdigen, jungen Captain Bescheid. Großartig! Fireballs Mundwinkel begannen wieder einen leichten Abwärtstrend zu zeigen. „Von deinen ungewöhnlichen Arbeitszeiten natürlich!“, Alessa ließ es sich nicht nehmen, immer noch schlagfertig, aber freundlich zu sein. Martins Freundin wusste für sich genug, um den kleinen Wildfang vollends einzuwickeln: „Ich muss doch wissen, mit wem sich mein Flieger so rumtreibt, wenn er mit dir unterwegs ist.“ Martin beobachtete indes das Telefonat aufmerksam. Dabei schmunzelte er vor sich hin, setzte sich auf die Schreibtischkante und verschränkte die Arme vor der Brust. Alessa hatte ihn gleich soweit, das konnte Martin an Fireballs doch hilflosen Gesichtsausdruck erkennen. Seine Herzallerliebste konnte das sogar, ohne den Japaner jemals gesehen zu haben. Er war wirklich jedes Mal wieder von ihr erstaunt. Das war auch der Grund, weshalb er sie so bald wie möglich heiraten wollte. Mit Alessa wurde es nie langweilig. Sie überraschte ihn jeden Tag aufs Neue. Nun schien sie sich mit dem nötigen Humor und auch Feingefühl darum zu kümmern, dass Fireball an diesem Abend zu ihnen nachhause zum Essen kam. Ein Tapetenwechsel würde dem Captain nicht schaden. Bestimmt nicht. Martin traute sich zu wetten, dass er die Aufenthaltsorte von Fireball der letzten Woche auf einer Hand abzählen konnte. Der kleine Pilot war doch entweder hier auf dem Stützpunkt oder zuhause. Wobei er bestimmt zwanzig Stunden seines Tages momentan hier verbrachte. Martin konnte es sich vorstellen. Fireball war morgens der erste seiner Staffel und abends der letzte, der das Gelände verließ. „Keine Angst, da sitzt er nur im Büro und liest“, mit einem schiefen Lächeln antwortete er auf Alessas Kommentar. Immer noch wollte er nicht wirklich zu den Rubarios nachhause. Er musste ohnehin erst einmal diesen Arbeitstag ohne gröbere Ausfälle oder auch Probleme überstehen. Alessa brachte noch einen weiteren Grund zur Sprache, weshalb er zum Essen unbedingt mitkommen sollte. Die Rothaarige ließ Fireball wissen: „Literaturstunde könnt ihr auch bei uns zuhause machen. Lass dich mal von einer bekochen, die’s auch kann. Kantinenessen macht doch auf Dauer krank“, ohne ihm noch die Möglichkeit für einen Widerspruch zu geben, legte Alessa nun verbindlich fest: „Um sechs gibt’s dann heute Spaghetti della Casa speciale. Bring Martin bitte mit und seid pünktlich.“ Wo in dieser seltsamen Unterhaltung hatte er den Faden verloren? Er hatte doch nicht zugesagt. Er hatte bezüglich des Abendessens gar nichts gesagt. Fireball seufzte leise, da war Ablehnen wirklich nicht mehr drin. Deswegen ergab er sich in sein Schicksal: „Okay, dann bring ich meine persönliche Sekretärin pünktlich mit. Bis später also.“ Fireball legte auf und sah Martin im nächsten Augenblick vorwurfsvoll an: „Die Masche hat echt jede Frau drauf. Das ist doch einfach nicht zu fassen.“ Zufrieden grinste Martin. Seine bessere Hälfte hatte es also wieder einmal geschafft. Eigentlich bedenklich, wie Martin amüsiert feststellte. Seine Freundin konnte jeden Mann so mir nichts dir nichts um den Finger wickeln. Wenn sie es wollte, konnte sie jeden haben. Aber er vertraute ihr uneingeschränkt und wusste, dass sie ihm treu war. Vorläufig war der Brasilianer zufrieden. Bis sechs würden sie schon durchdrücken und danach konnte er dem Wildfang ja noch mal auf den Zahn fühlen, sollte es nicht besser mit ihm werden. Martin ging zur Tür und nickte Fireball noch einmal aufmunternd zu: „Wir haben genug Arbeit, sie werden dich heute schon nicht vermissen, Babyboy. Und wenn du etwas brauchst, wir lümmeln im Hangar rum.“ Mit einem Zwinkern verließ Martin das Büro. Tatsächlich war heute Hochbetrieb in der Staffel angesagt. Einmal im Monat wurden die Maschinen zusammen mit den Mechanikern überprüft. Gutes Timing also, dass das genau heute von Statten ging. Jeder Pilot war also mehr als ausfüllend beschäftigt und keiner würde auf die Idee kommen, Fireball zu suchen. Wenn sich der Japaner wieder danach fühlte, würde er schon in den Hangar kommen. Aber Martin rechnete nicht wirklich damit. Tatsächlich war Fireball nach nicht einmal einer Stunde bei seiner Einheit im Hangar gestanden. So gut gelaunt wie immer. Zumindest hatte es den Anschein. Bewundernswert, wie Martin fand. Es wurde immer verlangt, dass sich ein Captain im Griff hatte, aber wirklich gelungen war es in den wenigsten Fällen bisher. Gerade von einem derart jungen Captain hätte man erwartet, dass man es eher noch merken würde, als bei einem alten Hasen. Hätte Martin nicht zufällig den traurigen Blick hin und wieder aufgefangen, der doch immer wieder zum Vorschein gekommen war, hätte man annehmen können, alles wäre halb so wild gewesen. Nachdem der Tag stressfrei abgelaufen war und endlich mal alles nach Plan gegangen war, verwunderte es Martin doch etwas, als Fireball sich zu Feierabend noch einmal eine halbe Stunde für sich nahm. Er hätte noch schnell was zu erledigen und würde dann zu Martin und Alessa nachkommen. Was hätte Martin also anderes machen sollen, als zuzustimmen und dem Japaner eine kurze Wegbeschreibung zu geben? Er hoffte, dass Fireball auch tatsächlich dann um halb sieben kam. Was er auch immer zu erledigen hatte, Fireball ging dafür wieder in sein Büro hoch. Er setzte sich an seinen Schreibtisch. Seine Staffel war geschlossen in den Feierabend abgerauscht und er war wieder mal alleine hier oben. Im Büro des Captains. Fireball saß vor seinem Schreibtisch. Er wusste nicht, wie er sich wirklich fühlte. Er wusste lediglich, dass er sich eigentlich hätte freuen müssen, in die Fußstapfen seines Vaters zu treten. Aber er tat es nicht. Stattdessen sah er sich wieder in diesem Stuhl gegenüber sitzen und seinen Vater anlügen. Fireball sah Captain Hikari deutlich vor sich. Die dunklen Haare, die misstrauischen Augenbrauen, die beinahe zusammenstießen und die fast schwarzen Augen, die ihn verachtend musterten. Es war schlimm für Fireball, seinen Vater so in seiner eigenen Erinnerung behalten zu haben. Aber es war nun mal das letzte, was er mit seinem Dad erlebt hatte. Danach war er verschwunden und sein Vater in einen Kampf ohne Wiederkehr gezogen. Fireball seufzte bekümmert und griff nach einem Kuli und Papier. Er kritzelte japanische Schriftzeichen darauf, wahllos und eigentlich nur, weil er seine Gedanken irgendwohin lenken musste. Zum ersten Mal wirklich begriffen, dass er tatsächlich die Wiedergeburt von Captain Hikari war, hatte er, als er dessen Tod am eigenen Leib gespürt hatte. Seither träumte er manchmal davon, wie er innerlich von Flammen verschlungen wurde und bei lebendigem Leib verbrannte. April wollte und konnte er das nicht erzählen, sie sahen sich viel zu selten, ihre Zeit war viel zu kostbar dafür. So wie letzte Nacht. Wie lange hatten sie sich wirklich gesehen? Fünf oder sechs Stunden? Nein, er wollte ihr nicht zwischen Tür und Angel erzählen, was los war. Sie würde sich nur Sorgen machen. Und die machte sie sich sowieso. Daneben brach auch ihr jedes Mal wieder das Herz, das wusste Fireball. Weshalb also sollte er sie noch trauriger machen, als sie ohnehin schon war? Er wollte seine Süße glücklich sehen, doch ihre Heimlichtuerei machte sie beide nur unendlich traurig. Saber hatte er in einem ihrer abendlichen Telefonate erzählt, was für eine Deadline er gesetzt bekommen hatte. Ganz bestimmt war die Neuigkeit auf Ramrod die Runde gegangen. Aber das hatte er den dreien doch fast wirklich selbst sagen müssen. Während sich Colt fürchterlich über die Saubande der Air Strike Base 1 aufgeregt hatte, hatte Saber beim Abendessen gestern versucht, Logik in die Geschichte zu bringen. Ihnen würde schon etwas einfallen, wie sie die Deadline positiv hinter sich bringen würden. Fireball lächelte wehmütig. Seine Freunde. Wieso nur waren sie jetzt nicht da? Er würde sie brauchen. Nicht, um gegen seine Einheit etwas zu unternehmen, das war alleine seine Sache, aber um ihm zur Seite zu stehen. Er wollte sie einfach nur hier haben. Seine Einheit war ein Kapitel für sich. Und allem Anschein nach würde sich das Problem in den nächsten vierzehn Tagen zwangsläufig lösen. Auf die eine oder andere Weise. Fireball raufte sich die Haare. Die Bande war so anders als die Einheit, die sein Vater befehligt hatte. Trotz all dieser Erinnerungen, die ihm den Kopf an so manchem Tag füllten, konnte ihm keine einzige im Bezug auf seine Einheit helfen. Fireballs Vater hatte ganz andere Probleme zu bewältigen gehabt als er. Sicherlich, grundlegende Dinge hatte auch sein Vater regeln müssen, aber das war nicht der Kern allen Übels. Er war also noch da. Sehr gut. Dann konnte er die Prüfung ja in aller Ruhe starten, denn Martin war schon gegangen und sonst würde niemand einschreiten. Der blonde Pilot schloss also in aller Seelenruhe die Tür und setzte sich auf den Stuhl. Dann schwang er die Füße auf den Tisch. So war bequem sitzen und nebenbei war das eine unverschämte Provokation. Denn Stanley saß vor dem Schreibtisch des Captains, der den Kopf bisher noch nicht gehoben hatte. Egal. Stan machte auch so auf sich aufmerksam: „Tust du nur so, oder arbeitest du tatsächlich mal was?“ „Tu nur so. Nimm die Füße vom Tisch, Stan“, anlügen hätte er Stan ohnehin nicht können. Zumindest heute würde ein Blinder sehen, dass er nicht mehr arbeitete. Fireball sah immer noch nicht auf. Allerdings legte er den Kugelschreiber zur Seite und ließ den Zettel in einer Schublade verschwinden. Stan musste nicht sehen, was er herum gekritzelt hatte. Der kleine Japaner hatte eine vage Ahnung, was nun auf ihn zukam. Stan war den gesamten Tag über verdächtig ruhig gewesen, wahrscheinlich kamen seine Gemeinheiten, die er sonst über den Tag verteilte, in geballter Ladung. Die Krönung für Fireballs Tag. Ganz eindeutig. Garantiert nahm er die Füße nicht vom Tisch. Gerade, weil es den Captain störte, würde Stan so sitzen bleiben. Er war wirklich gespannt, wie lange es dauerte, bis er den kleinen Piloten so weit hatte, dass er aufgab oder aber die Beherrschung verlor. Der Blonde hatte diesbezüglich ein untrügerliches Gespür und bereits am Morgen war ihm aufgefallen, dass er an diesem Tag mit seinen Boshaftigkeiten etwas erreichen konnte. Es war Stan egal, wie gut sie sich kannten, er hatte einen Blick für die Schwächen der anderen. Das nützte er in diesem Fall auch unverschämt aus. Stan schnalzte mit der Zunge, spielte mit seinem Kaugummi im Mund und lümmelte sich in aller feinster Manier auf den Stuhl. Er spottete unverhohlen: „Macht auch keinen großartigen Unterschied, wo du nichts tust. Wie ich sehe, bist du im Büro genauso unnütz, wie im Hangar unten. Du bist ein Lehrbuchbeispiel für eine Fehlbesetzung. Aber so was von eindeutig.“ Das war nicht nett von Stan, aber wohl eine ziemlich repräsentative Aussage, was die Staffel von Fireball hielt. Der ehemalige Ramrodpilot biss sich auf die Lippen und ließ sich zu keiner Antwort auf diese Provokation hinreißen. Immer wieder ermahnte er sich, den Rat von Saber endlich ernst zu nehmen und sich nicht zu unüberlegten Aussagen oder Reaktionen provozieren zu lassen. Shinji durfte als Captain nicht persönlich werden und er musste persönliche Angriffe auf ihn selbst abprallen lassen. Aber das war an diesem Tag leider alles, nur nicht einfach. Er fühlte sich, als wäre er vom Regen direkt in die Traufe geraten. Colt war bei ihrer verrückten Reise schon kein angenehmer Zeitgenosse gewesen, aber verglichen mit Stan ein echtes Lämmchen. Fireball schob Stans Füße vom Tisch, wortlos. Er hob allerdings kurz den Blick. Fireball wollte wissen, wie aggressiv sein Gegenüber wohl noch gegen ihn vorgehen würde. Denn er konnte den blonden Ausnahmepiloten einschätzen. Stan ließ es nicht nach einem Satz schon auf sich bewenden. Nein. Hatte der erst einmal gewittert, was Sache war, würden noch ganz andere Sachen zur Sprache kommen. Und genau das blitzte aus Stans Augen, als Fireball zu ihm hinüber schielte. Als der junge Hikari nach seinen Füßen gegriffen hatte, um diese auf den Boden zu befördern, hatte sich Stan schon mehr instinktiv als bewusst dagegen gestemmt. Hey, wenn der kleine Krümel da meinte, er würde sich so schnell geschlagen geben, hatte er sich aber gewaltig verrechnet. Jetzt erst recht! Und jetzt vor allem mit einem ganz anderen Ton. Stan wusste zwar immer noch nicht, was er von dem kleinen Strahlemann halten sollte, ob er ihn mochte oder nicht, aber das hielt ihn leider nicht allzu gut davon ab, seinen Auftrag auszuführen. Er sollte Fireball in die Mangel nehmen, ihn an jedem erdenklichen Schwachpunkt packen und ihn zur Verzweiflung bringen. Sie wollten ihn auf Herz und Nieren prüfen. Und da Stan weder für noch gegen Fireball war, war er der objektivste und würde auf jeden Fall kein Ergebnis verfälschen. „Lass das mal, Babyboy. Für irgendwas muss dein Tisch hier ja gut sein. Du arbeitest nicht darauf, du vögelst keine drauf, also kann ich meine Füße ruhig darauf ablegen.“ Er hatte ins Blaue geraten und war einfach in seiner Wortwahl unter aller Sau gewesen. Aber das war Stans Absicht gewesen. Er hatte Fireball schon einmal schwach diesbezüglich angesprochen. Darauf hatte ihm der Kleine allerdings keine Reaktion gezeigt. Heute, und da war sich Stanley mehr als nur sicher, gab es eine Reaktion darauf. Entweder verbal oder nonverbal. Aber fix würde Stan was zu sehen bekommen. „Das ist ja wohl eher weniger dein Problem, wen ich…“, mitten im Satz hielt der Hitzkopf plötzlich inne. Das wäre bald ins Auge gegangen. Fireball biss sich dieses Mal sehr offensichtlich auf die Lippen und senkte gleich darauf den Blick. Egal, was Stan nun auch immer dachte, ganz klar hatte der ab nun nur noch solche Sprüche für ihn auf Lager. Konnte es eigentlich noch schlimmer kommen? Er hatte noch gar nicht wirklich angefangen, gemein zu werden. Stan musterte den Sohn des Captains, mehr war er für ihn einfach noch nicht, und überdachte diese Reaktion noch einmal ganz genau. Der Kleine mochte zwar ein unschuldiges Gesicht haben, dennoch wusste der Blonde ganz sicher, dass da ein Frauenmagnet saß. Gerade die beinahe schwarzen Augen und das kindliche Gesicht zogen die Frauen scharenweise an. Dabei weckte er damit nicht nur den Mutterinstinkt in den Damen. Die hegten schon ganz andere Gedanken, das hatte Stan nicht zuletzt schon selbst erlebt. Gerade das schöne Geschlecht in ihrer Einheit neigte dazu, den kleinen Japaner mit nachhause nehmen zu wollen. Der dürfte etwas im Blick und seinem Lächeln haben, was die Frauen schwach werden ließ. Vielleicht erwies sich Fireball doch als würdig, um was bei Stan zu lernen. Dazu musste er aber jetzt erst mal in den sauren Apfel beißen. Stan konnte sich nicht daran erinnern, jemanden schon mal so hart rangenommen zu haben, dabei war er von Haus aus ein nicht gerade zimperlicher Zeitgenosse. Er lümmelte sich noch tiefer in seinen Stuhl und setzte zum nächsten verbalen Tiefschlag an: „Touché. Es ist sehr wohl mein Problem. Je länger du keine flach gelegt hast, desto unerträglicher wirst du nämlich. Hat man ja heut wieder gesehen.“ Frustriert schnaubte der Japaner daraufhin. Wenn Stan wüsste, was er da gerade verzapfte, würde er mal dezent die Richtung wechseln. Er war doch nur so unerträglich, gerade weil er April wieder hatte verabschieden müssen. Im Moment wusste Fireball nicht, was ihn mehr nervte. War es die Tatsache, dass er sich Hals über Kopf in eine Frau verliebt hatte, mit der er wegen der Regel im Oberkommando nicht zusammen sein durfte, oder der dämliche altbackene Spruch von Stan gerade eben? Dem jungen Captain schlugen in letzter Zeit allerhand Dinge auf den Magen und mittlerweile auch auf die Laune. Es dauerte lange, bis eine Frohnatur wie Fireball sein Lächeln verlor, aber heute war es so weit. Die Augenbrauen zogen sich grimmig zusammen und die Mundwinkel drückten Bitterkeit aus. Stan wollte ohnehin nur Streit vom Zaun brechen, etwas, für das Fireball gerade absolut keine Zeit hatte. Es würde maximal einige Dinge verschlimmern und so garantiert dafür sorgen, dass er diese Einheit bald wieder verließ. Noch einmal stieß Fireball Stans Füße vom Tisch. Dabei maulte er ihn an: „Machst du das zuhause auch so?“ „Jo“, unverblümte und einsilbige Antwort. Mehr bekam Fireball für die Frage nicht zu hören. Aber das miese Grinsen, das Stan dabei an den Tag legte, musste den kleinen Piloten einfach soweit anstacheln, dass der laut wurde. Mit allen Mitteln versuchte der blonde Amerikaner Fireball aus der Fassung zu bringen. „Dann mach’s von mir aus weiterhin zuhause, aber nicht bei mir im Büro. Haben wir uns verstanden?“, Fireball stand auf und suchte nach seiner Ruhe und Beherrschung. Das waren zwei Charakterzüge, die er als Hikari zwangsläufig nicht kannte. Nur brauchte er sie. Ohne Beherrschung würde er bei Stan nichts erreichen. Was auch immer der Tiefflieger außer Streit von ihm wollte, es konnte nur in Schwierigkeiten ausarten. Also versuchte der Japaner noch mal die Kurve zu kriegen. Er umrundete seinen Tisch, lehnte sich mit dem Becken dagegen und verschränkte die Arme vor der Brust. Ruhig wollte er wissen: „Was führt dich eigentlich nach Dienstschluss zu mir, Stan? Gibt es etwas, das nicht bis morgen warten kann?“ Demonstrativ sah Stan zu Fireball hinüber und schmatzte mit seinem Kaugummi, ehe er antwortete. Beinahe schon übertrieben theatralisch ließ er Fireball wissen: „Hab ich doch vorhin schon gesagt. Ich wollte sehen, ob du arbeitest. Tust du nicht“, Stans Mundwinkel zuckten kurz, ehe er zum wirklich unschönen Teil überging: „Dein Dad hätte dir lieber mal was ordentliches beigebracht und dir kein gemachtes Nest überlassen. Denkst du wirklich, wir alle sind so blöd, dass wir nicht merken, wie Martin deine Arbeit macht?“ Stan wusste wirklich, wie er fies werden konnte. Der Pilot verknüpfte einfach zwei äußerst brisante Themen miteinander und klopfte einfach einen unschönen Spruch raus. In dem Fall musste er fast gemerkt haben, wie Fireball dabei die Schultern hängen ließ und unterdrückt seufzte. Bingo! Stan hatte ihn. Das Seufzen wurde von einem traurigen Blick begleitet, der aber dank des gesenkten Hauptes und den fürchterlich langen Stirnfransen verdeckt wurde. Hätte Stan den gesehen, hätte er postwendend noch einen drauf gesetzt. So krallte Fireball seine Finger in die Oberarme und sah wieder auf. Egal, was es war, durch die Hölle war er schon einmal gegangen, die makabren Witze des Amerikaners würde er auch noch überstehen. Der Kampfgeist schlummerte nach wie vor in Fireball und aufgeben kam gleich zwei Mal nicht in Frage: „Martin hilft mir mit organisatorischen Dingen, das ist richtig. Er ist sozusagen meine Privatsekretärin.“ Auf den Teil mit seinem Vater ging Fireball nicht ein. Er hatte ohnehin die Befürchtung, dass der blonde Draufgänger zwangsläufig noch einen raushauen würde, der dann weit unter die Gürtellinie gehen würde. Klar kannte Stan auf solche Worte auch noch Widerworte. Nichts leichter als das. Er richtete sich im Stuhl etwas auf und konterte unverhohlen: „Das einzige Organisatorische, was du noch können musst, ist deine Kündigung zu akzeptieren. Spar dir Befehle, spar dir Vorschläge. Naja, spar dir einfach alles. Es interessiert in der Base sowieso keinen. DU interessierst in der Base keinen. Was willst du kleiner Stöpsel eigentlich hier? Nur weil dein Dad ein Top Gun war, stopfen sie dir hier alles in den Arsch.“ ‚Ist ja alles ach so einfach!‘, mit der rechten Hand fuhr sich der junge Hikari durch die Haare und versuchte, die Haarpracht irgendwie aus der Stirn und den Augen zu verbannen. Es hätte ihn eigentlich nicht mehr wundern dürfen, was hier im Oberkommando so spekuliert und vermutet wurde, dennoch fiel Fireball bei der Bemerkung beinahe aus allen Wolken. Ganz einfach deshalb, weil es fernab von jeder Realität lag. Gerade weil er der Sohn von Captain Shinji Hikari war, glaubte alle Welt ihm den Wind aus den Segeln nehmen zu müssen und ihn härter als andere rannehmen zu müssen. Das war vom ersten Tag an in der Akademie so gewesen und hier in der Base war das schon fast zum Hobby ausgeartet. Fireball kniff kurz die Augen zusammen. Was sollte er Stan darauf nur antworten? Er durfte sich zu nichts hinreißen lassen und vor allem wollte er nicht zeigen, wie angreifbar Fireball bei diesem Thema wirklich war. Eigentlich hatte er gedacht, es hätte sich vieles für ihn dadurch geändert, dass er seinen Vater hatte kennenlernen können, doch dem war nicht so. Fireball hatte es bei der Gedenkfeier bereits gemerkt und nun trat dieses Gefühl wieder nur allzu deutlich hervor. Nach der Gedenkfeier waren viele alte Freunde von seinem Vater zu ihm gekommen, hatten ihm erzählt, was er doch für ein Held gewesen war und nun kam Stan ins Büro geschneit und zeichnete ein noch mal so großes Heldenbild, gegen das Fireball wie ein kleines Insekt wirkte. Der überlange Schatten seines Vaters war im Augenblick so dunkel und mächtig um Fireball herum, dass er das Gefühl hatte, niemals daraus hervortreten zu können. Das war alles, was Fireball geblieben war. Ein Spiegelbild, das niemals auf ihn passen würde. Der Ruhm eines Menschen, den er praktisch nie hatte kennen lernen können. Er blieb ein Kind, das die Liebe seines Vaters gebraucht hätte, und nicht dessen Heldentaten. Wut mischte sich mit unendlichem Kummer. Fireballs Schweigen fasste Stan selbstverständlich als Einladung auf. Der blonde Pilot kratzte sich am Kopf, beobachtete dabei aber haargenau, was sein Captain tat. Oh man, er hatte gewusst, dass sein Vater ein wunder Punkt war, aber derartig empfindlich hatte er nicht erwartet, ihn zu treffen. Wie bei einem verwundeten Tier würde Stan als alteingesessener Jäger nun zum tödlichen Biss ansetzen. Er glaubte nicht, dass Fireball seiner nächsten Attacke standhalten konnte. Stan stand auf und blickte somit nun auf Fireball hinab. Sein Blick stach förmlich hinunter. Bevor der blonde Pilot allerdings zum Schlag ausholte, presste er die Kiefer aufeinander. Was er jetzt machen würde, war sogar Stan zu viel des Guten, aber wie sonst sollte er erkennen, aus welchem Holz der Captain wirklich geschnitzt war und ob er es wert war, dass man ihn behielt? „Oh, scheiße verdammt. Du weißt selber wie falsch du in der Base hier bist, Babyboy. Aber es ist einfach viel zu leicht, sich in ein gemachtes Nest zu setzen und andere für sich arbeiten zu lassen. Also echt, du ziehst das Ansehen und den Ruf deines Vaters so in den Dreck. Hätte der mal lieber nachgedacht, was er da in die Welt setzt. Aber wahrscheinlich wusste er’s und hat sich deswegen abknallen lassen.“ Schwarze Augen, Augenbrauen, die sich verbittert zusammenzogen und eine Haltung, die den stärksten Man umgehauen hätte. Stan musste schwer schlucken. Da hatte er ordentlich was versenkt. Obwohl er sich dafür am liebsten sofort entschuldigt hätte, hielt er den Mund und behielt seine überhebliche Haltung bei. Noch war der Fall nicht gegessen und gleich würde sich zeigen, wie fies er wirklich gewesen war. Fireball spürte, wie sich ein Feuer in ihm ausbreitete, wie ihm wirklich heiß wurde. Diese Hitze kam von der Wut seines Herzens, denn Stan hatte den Nagel damit auf den Kopf getroffen. Oft hatte sich Fireball gefragt, weshalb sein Vater dennoch in die Schlacht gezogen war und immer wieder war er auf das selbe Ergebnis gekommen. Sein Sohn war ihm nicht wichtig. Und genau darauf lief auch Stans Aussage hinaus. Nur stärker formuliert eben und mit der Intention, dass sich sein Dad für ihn schämte. Drei tiefe Atemzüge lang kämpfte Fireball das innere Fegefeuer in sich zurück, ehe er Stanley halbwegs gelassen antworten konnte: „Findest du nicht, dass du dich damit etwas weit aus dem Fenster lehnst? Du warst nicht dabei, ich erst recht nicht. Und was meine Arbeit hier angeht. Es kann sein, dass dir mein Arbeitsstil nicht gefällt. Bitte, das ist dein gutes Recht. Aber noch liegt keine offizielle Beurteilung darüber vor und solange werden wir beide damit leben müssen. Übe dich in Geduld. Das muss ich schließlich auch.“ „Ich sehe nicht ein, weshalb ich noch bis Ende des Monats warten sollte, wo Eagle letztens schon gesehen hat, dass du zu nichts taugst. Der soll endlich kurzen Prozess machen und dich rauswerfen, er weiß ohnehin, dass du es nicht kannst“, Stan begann langsam aber sicher, sich schäbig zu fühlen. Alles, was er seit dem Spruch mit dem Tisch so raus gelassen hatte, war wirklich gemein und ging auf die Person. Er griff Fireball schon die längste Zeit persönlich an und versuchte ihn zu irgendwas zu reizen, aber außer meist sachlicher Ausflüchte kam nichts zurück. Stan verschränkte die Arme vor der Brust und musterte Fireball mit scharfem Blick. Er hätte eine saftige Suspendierung mittlerweile mehr als verdient. Aber der Japaner blieb schon beinahe stoisch. Vor seinem inneren Auge sah sich Fireball schon die längste Zeit auf dem Boden liegen. Er wusste nicht, was Stan noch alles auf Lager hatte, doch schon seit heute Morgen wünschte sich der Wuschelkopf eigentlich nichts sehnlicher, als endlich niemanden mehr sehen zu müssen. Seine dunklen Augen wanderten über den Tisch, blieben an dem einzigen Foto im Büro hängen. Das Bild von Ramrod und seinen Freunden. Beim gestrigen Kurzbesuch war bereits deutlich geworden, dass er kein Teil dieses Teams mehr war. Alex hatte sich mittlerweile gut eingelebt, Colt hatte endlich aufgehört, den armen Piloten zu ärgern. Er wusste, sie waren noch seine Freunde, aber anders als vor der Versetzung. Fireball kam nicht umhin, sich ausgeschlossen vorzukommen. Er fühlte sich auf einsamen Posten, denn zu Ramrod gehörte er nicht mehr und zur Air Strike Base gehörte er erst recht nicht. Fireball stand irgendwo im Niemandsland, zwischendrin, im Dunklen. Fireball schloss kurz die Augen. Der rote Fuchs hat sich in einem Wald von Träumen verirrt. Dieser Wald war finster, kalt und unfreundlich. Es war fraglich, ob er den Weg nachhause finden würde. Der Wald von Träumen hatte Gesellschaft bekommen. Er beherbergte eine Rabenfamilie der Sehnsüchte. Fireball richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf Stan. Es machte keinen Sinn, an Dingen festzuhalten, die nicht sein sollten. Leider war im Augenblick nichts für den Hitzkopf erreichbar, greifbar. Alles platzte wie Seifenblasen. Die traute Zweisamkeit mit April verflog schneller als der Duft ihres Parfums aus seiner Wohnung, die Probleme in der Air Strike Base wurden statt weniger immer mehr und immer heftiger und die Zeit war dabei sein schlimmster Gegner. Aber trotz dieser niederschmetternden Aussichten wollte Fireball nicht vorzeitig die Flinte ins Korn werfen. Füchse waren schlau, ein Wald von Träumen war nicht immer dunkel und ohne Ausweg. Er würde einen Weg nachhause finden. Stan bemerkte das Blitzen in den braunen Augen. Unglaublich. Eigentlich hätte er längst aufgeben müssen. Dem blonden Piloten blieb die Spucke weg. Wer auch immer behauptet hatte, Fireball wäre ein Schwächling und ein miserabler Captain, der hatte den Kampfzwerg noch nie in einer solchen Situation erlebt. Stan überging dabei einfach den Fakt, dass er gleich schon am ersten Tag in das Horn gestoßen hatte, Fireball sollte sich gefälligst wieder verkrümeln. Wusste schließlich später ohnehin niemand mehr, wer das gesagt hatte. Er war auf alle Fälle gespannt, ob der sprühende Funke auch noch mal ein paar Worte rausbekam. „Die Diskussion ist völlig sinnlos im Augenblick“, Fireball biss dabei gedanklich die Zähne zusammen und hoffte, dass er somit alles weitere abwürgen konnte: „Weder du noch ich haben zu entscheiden, wann und ob ich wieder gehe. Commander Eagle wird das beurteilen. Also spar dir das bitte und geh von mir aus die nächsten vierzehn Tage in den Urlaub, wenn du mein Gesicht nicht länger erträgst.“ Fireball überschlug kurz im Kopf noch Stans Personaldaten, dann fügte er mit Galgenhumor hinzu: „Du hast ohnehin noch vier Wochen alten Urlaub, den du bis Ende des Jahres aufbrauchen solltest.“ „Ich geh in Urlaub, wann ich will und nicht wenn du meinst“, konterte Stan bedrohlich. Gott, er hasste sich schon dafür. Von schäbig war nicht mehr viel übrig, er musste unbedingt zur Beichte, wenn er hier fertig war. Niemals im Leben würde ihm der Wirbelwind das verzeihen. „Wenn du mich in deinen letzten beiden Arbeitswochen hier nicht mehr sehen willst, dann musst du mich schon suspendieren, Babyboy. Blöd nur, dass dir der Grund dazu fehlt, gell?“ Das nahm einfach kein Ende mit Stan. Fireball stieß sich vom Schreibtisch ab. Mittlerweile war er aus seinem tiefen schwarzen Loch wieder soweit raus gekrabbelt, dass er ein Licht am Ende des Tunnels sehen konnte und bestimmt nicht aufgeben würde. Fireball würde nicht klein bei geben. Er ging an Stan vorbei und zum Aktenschrank hin, fischte sich dort Stans Akte raus und knallte sie vor dem blonden Piloten auf den Tisch. Manche Dinge musste man schriftlich untermauern und nichts anderes tat Fireball nun. Streng funkelte er zu Stan hinauf und gab dem mal unmissverständlich zu verstehen, wer der Captain in dieser Einheit war: „Du kommst dauernd zu spät. Hast die letzten Wochen deswegen so gut wie jeden Trainingsflug verpasst und der Oberhammer sind deine schlampigen Berichte. Ich hätte dich längst suspendieren können. Aber ich tu’s nicht. Und zwar aus dem einfachen Grund, weil du für heuer schon genug gestraft bist“, während er Stans fragendes Gesicht musterte, huschte ihm doch glatt ein schadenfrohes Grinsen über die Lippen. Er hatte sich diesen Trumpf aufbehalten und jetzt würde das die Retourkutsche für die letzten Wochen werden. Fireball verschloss seine Miene augenblicklich wieder und eröffnete Stan: „Die Militärflugbewerbe sind für dich heuer gestrichen.“ „Was?!“, Stan fiel der Kiefer zu Boden und er selbst plumpste auf den Stuhl. Das war nicht wahr! Nicht die Militärflugwettbewerbe! Alles, nur das nicht. Stan nahm daran schon teil, seit er in der Base gelandet war. Jedes Jahr war er einer der Besten dort, vertrat die Air Strike Base mehr als nur würdig und in diesem Jahr sollte er da nicht hindürfen. So schnell konnte sich das Blatt wenden und das auch noch auf die gemeinste Art und Weise, wie Stan fand. Aber er hätte von vornherein wissen müssen, dass sein Verhalten irgendwann Konsequenzen nach sich zog. Nur waren die einfach ein bisschen zu fies. Er hatte sich auf die Bewerbe gefreut und jetzt durfte er nicht hinfahren. Er fuhr Fireball an: „Das meinst du nicht ernst, Babyboy! Mandy hat mich bereits angemeldet.“ Fireball setzte sich. Endlich hatte er wieder Oberwasser und seine Ruhe wieder. Der Hobbyrennfahrer verneinte ziemlich trocken: „Hat sie nicht. Mandy hat mir die Entscheidung überlassen. Und ich schicke nur den Besten dort hin.“ „Dann musst du mich sowieso schicken. Denn ich bin der Beste“, Stan protestierte. Er hatte sich schon das ganze vergangene Jahr auf die Wettbewerbe gefreut und jetzt sollte ihm der kleine miese Hund da vor ihm noch einen Strich durch die Rechnung machen? Verdammt, damit hatte er wirklich nicht gerechnet. Das Küken da war sogar noch hinterhältig clever. Fireball suchte die Urkunde vom Vorjahr aus der Akte. Stan war ziemlich von sich überzeugt. Das war zwar gut so, im Normalfall, aber der junge Spund wollte längst schon zuhause sein und mittlerweile machten sich bei ihm erste Ermüdungserscheinungen bemerkbar. Stan hatte ihm zuvor hart zugesetzt. Langsam ging ihm einfach die Kraft aus und deswegen wollte er das nun so kurz wie möglich halten. Er linste noch einmal kurz auf die Urkunde, ehe er wieder zu Stan aufsah: „Von mir aus im Zielschießen. Aber beim Zeitfliegen überholt dich sogar noch eine Schnecke.“ Stan fiel beinahe vom Stuhl. Was ging denn hier ab? Der Krümel hatte es irgendwie geschafft, den Spieß umzudrehen. Der blonde Pilot war nun derart aus dem Konzept geraten, dass er unumwunden klarstellte: „Hey, Mann! Nur weil ich nicht unter die ersten fünf gekommen bin, bin ich noch lange nicht schlecht. Die Perfektion am Himmel kriegt nicht jeder so hin wie du.“ War ihm da wirklich ein Kompliment oder so was wie ein Lob über die Lippen gerutscht? Fireball überging es allerdings, denn es ging nicht um das, was er konnte oder nicht, es ging hier darum, Stan Disziplin einzudrillen. Kopfschüttelnd machte er die Akte wieder zu und forderte: „Mir ist gesagt worden, es wäre hier die Beste Einheit des Oberkommandos. Aber das ist einfach nicht wahr. Sieht man an deinen Ergebnissen. Ich werde nur den Besten in allen Disziplinen zu diesen Wettbewerben schicken. Und das bist du nicht.“ „Scheiße! Babyboy, jetzt hör schon auf“, ehrlich entsetzt sprang Stan vom Stuhl hoch. Der kleine Wirbelwind hatte ihn am schwächsten Punkt erwischt, was für eine Schande. Denn Stan konnte damit nicht so sachlich umgehen, wie Fireball. Er packte Fireball am Kragen und zog ihn zu sich hoch. Das hieß, Fireball stand dann auf den Zehenspitzen, als Stan zischte: „Das machst du nicht. Du bluffst doch nur.“ Fireball griff um Stans Hände und zog sie vom Kragen. Endlich fand er danach wieder festen Stand, der Japaner hasste es, derart unsanft vom Stuhl hochgezogen zu werden. Er ließ sein blondes Fliegerpendant allerdings nicht mehr aus den Augen. Nach Stans Reaktion war sich Fireball nicht sicher, ob der nicht auch noch ausholen würde, wenn er ihm nun präsentierte: „Wart noch zwei Wochen und du weißt, ob ich geblufft hab. Und glaub um Himmelswillen nicht, dass ich meinem potentiellen Nachfolger raten werde, dich zu schicken.“ Das Schnauben eines wütenden Stiers ähnelte dem von Stan gerade sehr. Der kleine Klugscheißer hatte ihn voll erwischt. Wie konnte er das nur wieder ändern? Aber noch wichtiger war, wie konnte er ihn davon überzeugen, den aufmüpfigen Piloten doch zu den Wettbewerben anzumelden? Stan biss die Zähne aufeinander. Verdammt! Dass die Strafe für Sünden aber auch immer sofort auf dem Fuß folgte! Stan drehte sich schwungvoll von Fireball weg und war schon im Begriff, aus dem Büro zu stapfen, da stach ihm was ins Auge. Klein, höchstpersönlich und hinter Glas verwahrt. Der Pilot griff im Vorbeigehen danach und hob es hoch. Stan betrachtete es eingehend, dann warf er einen Blick zu Fireball hinüber. Jetzt war Zeit für Rache. Rache für die fiese Retourkutsche, die ihm der kleine Stöpsel gerade verpasst hatte. Mit einem hämischen Grinsen drehte er Fireball das Bild zu und wollte wissen: „Die drei dürften ziemlich froh sein, dich nicht mehr an der Backe zu haben, was?“ „Bitte?!“, empört zog Fireball die Augenbrauen nach oben. Aber er hätte es wissen müssen. Alles andere hatte Stan an diesem Abend schon abgegrast: Frauen, Familie, Arbeit. Wieso hätte er da Freunde wohl auslassen sollen? Der Japaner ließ die Schultern fallen und seufzte. Instinktiv wollte er schon entnervt den Kopf hängen lassen und in die Handfläche stützen, den Impuls konnte er aber gerade noch unterdrücken. Hätte er das getan, würde Stan höchstwahrscheinlich morgen früh noch hier stehen und allerhand böse Sprüche raushauen. Allerdings machte es gerade bei Fireball puff. Gerade war ihm die Geduld über Bord gesprungen, dicht gefolgt von einer gewissen Ignoranz Stans Worten gegenüber. Egal, was da noch kam, es würde garantiert nicht mehr so ohne weiteres abprallen und verhallen. „Langsam frag ich mich, ob’s bei dir piept, Stan.“ Bedächtig ließ Stan das Bild los, das beinahe wie in Zeitlupe auf den Boden fiel. Das Glas splitterte und klirrte laut. Stans übertriebenes „Ups!“ unterstrich die Absicht, die dahinter steckte. Als er das Bild mit dem Fuß von sich kickte, steckte er die Hände in die Hosentaschen und verkündete: „Das tut mir jetzt aber leid. Da ist mir doch glatt die Eliteeinheit des Oberkommandos aus der Hand gefallen. Blöd aber auch. Jetzt sind sie weg. Richtig weg, so wie im wahren Leben.“ Nicht nur das Glas des Bilderrahmens hatte einen Riss. Fireball kam es gerade so vor, als wäre auch ein nicht unwesentlicher Riss in der Freundschaft. Seit er April, Saber und Colt kannte, waren sie immer in seiner Nähe gewesen. Die Entfernung und die mangelnde Zeit schenkte ihnen kaum noch Gelegenheit, sich mal zu treffen oder miteinander etwas zu unternehmen. Das war nicht wirklich das Gelbe vom Ei. Gerade für Fireball nicht. Denn er war allein hier in Yuma geblieben. Er wusste, sie waren nach wie vor seine Freunde, April sogar etwas mehr als noch auf Ramrod, aber das konnte ihn manchmal nicht aufheitern. Das half ihm an diesem Tag überhaupt nicht. Er sah zu Stan. Der erwartete eine Reaktion darauf. Er wollte Fireball schimpfen und schreien sehen. Das und nichts anderes hatte die Aktion gerade bezwecken sollen. Fireball gestand sich ein, dass er auf diese Spielchen heute keine Lust mehr hatte. Ihm fehlte einfach die Kraft. Der kurzgeratene Pilot sank auf den Stuhl, mittlerweile konnte er nicht mehr verbergen, wie viel Mühe ihn der heutige Tag gekostet hatte. Er raufte sich die Haare und murmelte: „Danke für die Gedächtnisstütze. Ich hätte beinahe vergessen, wo ich hier rein geraten bin“, er deutete auf die Tür: „Und jetzt geh bitte, Stan. Ich hab heute noch was vor.“ Ach du Schande. Das war dann wohl der berüchtigte letzte Tropfen im vollen Fass gewesen. Stan beobachtete den Captain aufmerksam. Er hatte den Mund schon offen, um sich zu entschuldigen, doch im letzten Moment steckte er zurück. Mitleid war hier fehl am Platz. Er hatte ihn so hart rannehmen müssen. Sie alle waren dafür gewesen. Stan wickelte seinen Kaugummi um die Zunge. Er war selten ein solches Arschloch in seinem Leben gewesen, und dann auch noch mit voller Absicht. Diese Leistung war zumindest die goldene Ananas wert, aber stolz war der Blonde nicht darauf. Noch dazu gefiel ihm die Haltung des Stehaufmännchens gerade gar nicht mehr. Stan entschied nun, die Prüfung an dieser Stelle abzubrechen. Er schob sich am Stuhl des Captains vorbei und verließ schweigend das Büro. In der Tür blieb er noch einmal kurz stehen und linste über die Schulter. In diesem Zustand sollte ihr Babyboy lieber nicht alleine bleiben. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)