Ta Sho von Turbofreak (erste Schritte) ================================================================================ Kapitel 8: Offenbarung ---------------------- Verblüfft hielt Martin in seiner Bewegung inne, als April an ihm vorbei huschte. Ihre Worte trieben ihm die Fragezeichen auf die Stirn und als er einen Blick in seine Küche warf, gesellten sich die Sorgenfalten dazu. Mit einem Murmeln verabschiedete sich der Brasilianer von April und widmete sich dann dem verbliebenen Gast. Mit reichlich Unbehagen in der Magengegend blieb Martin am Küchentisch stehen und blickte auf seinen Freund hinab. Er verstand gerade einiges nicht. Einfühlsam, weil er sehr wohl mitbekommen hatte, dass sich die beiden gerade getrennt hatten, sprach er Fireball an: „Alles okay, Kurzer?“ Kraftlos und mit hängen gelassenen Schultern erhob sich Fireball. Er sah zu Martin auf: „Ja, geht schon. Nenn mich nur nie wieder Kurzer.“ Klar war es gelogen. Wie sollte es ihm denn gut gehen, wenn er gerade die Frau fortgeschickt hatte, die er liebte? Und dann waren da auch noch all die anderen Dinge, die wieder einmal auf der Überholspur auf ihn zurasten. Fireball seufzte tief und schwermütig, dabei rieb er sich mit dem Handballen über die Stirn und schloss die Augen. Nach einem weiteren tiefen Atemzug öffnete er sie wieder. Er versuchte sich und Martin abzulenken: „Du weißt schon, was auf Dienstverweigerung steht, Rubario? Hey, man, du haust einfach von der Arbeit ab und lügst deinem Chef auch noch ins Gesicht. Was soll ich denn davon halten?“ Ein kleines Schmunzeln huschte über Fireballs Lippen, das verriet Martin, dass er hier keine Standpauke kassierte. Auch er lächelte und konterte: „War ´ne Notlüge, ich geb’s zu. Aber der Anruf vorhin war ernst gemeint. Schließlich gehörst du zur Familie.“ „Soll ich Alessa erzählen, dass du früh morgens mit einer fremden Frau an eurem Frühstückstisch sitzt? Ei ei ei, da kannst du dir eure Verlobung gleich wieder in die Haare schmieren“, mit jeder Stichelei hoben sich Fireballs Schultern wieder und sein Lächeln wurde wieder größer. Er wollte nun nicht deprimiert sein, dafür hatte er keine Zeit, von den Nerven ganz abgesehen. Martin stieß ihn sachte an der Schulter: „Kannst du gerne probieren. Aber dann erzähl ich ihr auch, dass deine letzte Mission mit Ramrod mehr als nur außergewöhnlich war“, nun wurde der Brasilianer sehr ernst. Er begriff mit einem Mal, dass all die Gedanken, die er für völlig absurd gehalten hatte nicht unberechtigt gewesen waren. Er hatte sich dafür selbst das ein oder andere Mal beinahe in die Klapsmühle einweisen lassen wollen, aber was April so laut in die Wohnung hinaus getragen hatte, ließ Martin nun endlich ein Licht aufgehen. Auch, wenn ihm im ersten Moment alles klar geworden war, so hatten sich nun doch in Windeseile viele schwarze Löcher aufgetan und der Pilot war nun völlig verwirrt. Also drückte er den japanischen Bonsai wieder auf den Stuhl und setzte sich ebenfalls. Hoch interessiert brachen diverse Fragen aus Martin heraus. Allen voran eine: „Ich hab vorhin einiges gehört. Himmel, wie zum Teufel seid ihr in die Vergangenheit gereist?!“ „Ich bin kein Wissenschaftler, Marty. Keine Ahnung!“, eigentlich hätte Fireball entsetzt sein müssen, weil Martin etwas in die Richtung gehört hatte. Tatsächlich allerdings war er erleichtert und froh, sodass er ohne Scheu zu erzählen begann. Martins Augen wurden immer größer und seine Verwunderung nahm kein Ende. Wie ein kleiner Junge einer unendlich spannenden Geschichte lauschte er Fireballs Ausführungen zu ihrem Unfall. Jedoch kam Fireball mit dem detailreichen Bericht nicht sehr weit, bis Martin ihn zum ersten Mal unterbrach: „Wie? Ihr seid vor dem ersten Angriff dort gelandet? Habt ihr die Menschen da nicht gewarnt?“ „Wir wollten die Gegenwart nicht verändern“, ein kleines Seufzen machte sich wieder bei Fireball Luft. Hätten sie doch nur früher gewusst, was sie alles mit dem Sprung in der Zeit verändern würden, auf die paar gerettete Menschenleben mehr oder weniger wäre es seines Erachtens auch nicht mehr angekommen. Der Japaner erzählte, wie sich die Freunde im Oberkommando gemeldet hatten, wie er von seinem Vater bei den Jets ertappt worden war und dass er fortan Dienst dort zu verrichten gehabt hatte. Fireball ergänzte seine Ausführungen um eine nette Anekdote: „Ich kann mich sogar noch erinnern, dass deine Mutter und du als kleiner Pimpf Milo zwei oder drei Mal von der Arbeit abgeholt habt“, einen Seitenhieb konnte sich Fireball plötzlich nicht mehr verkneifen: „Du warst aber auch ein süßer kleiner Hosenscheißer mit deinen fünf Jahren da!“ „Oh Hilfe!“, Martin versank beinahe vor Scham. Er verschwendete nicht einen Gedanken daran, Fireball für verrückt zu halten oder das alles als erfundene Geschichte abzutun. Für Martin war klar, dass sein Freund nichts als die Wahrheit erzählte, was diese Reise in die Vergangenheit betraf. Für den Brasilianer war Fireball immer ein ehrlicher Mensch gewesen, lügen war nicht die Stärke des Japaners. Bevor er log, sagte er nichts. Martin stand unvermittelt auf und suchte nach seinem Telefon. Er tippte eine kurze Nachricht an Stan und Olli, dass er und der Captain nicht mehr zur Arbeit kommen würden. Gleich nach dem Versenden der Nachricht pfefferte Martin das Telefon wieder auf den Tisch und machte sich auf die Suche nach Gläsern. Er brachte auch eine Flasche Rum dazu an den Tisch. Fireball beobachtete Martins Tun mit steigender Verwirrung. Allerdings kam er nicht auf die Idee, Unbehagen zu empfinden. Martin glaubte ihm, schien sogar gerne mehr wissen zu wollen. Als der Brasilianer allerdings mit hochprozentigem Alkohol zurück an den Tisch kam, nahm er ihm beherzt die Flasche ab: „Es ist noch nicht mal richtig Zeit fürs zweite Frühstück, außerdem bin ich mit dem Wagen da! Mensch, Marty, mach so weiter und ich werde dank dir wirklich noch zum Alkoholiker. Ich kann ja nicht jedes Mal was trinken, wenn ich bei dir sitze und ´ne schwere Zeit hab.“ „Gut“, Martin stellte dennoch beide Gläser auf den Tisch: „wenn du keinen brauchst, ist das auch okay. Aber ich brauch einen, Babyboy.“ Bedächtig schenkte sich Martin einen Schluck ein, nachdem er sich wieder gesetzt hatte. Danach wollte er wissen: „Du warst also in der Base stationiert und hast mit deinem, meinem… also unseren Vätern zusammen gearbeitet. Wie kommt’s, dass kein zweiter Hikari in den Akten von damals auftaucht? Das wüssten wir doch, oder?“ Mit einem sarkastischen Unterton antwortete Fireball: „Das wär sicherlich ein Bild für Götter gewesen, wenn ich meinem …dem Captain meinen richtigen Namen genannt hätte. Darf ich mich vorstellen? Shinji Hikari“, es fiel Fireball leichter von seinem Vater und den Erlebnissen in der Vergangenheit zu berichten, wenn er ihn als Captain bezeichnete. Es war so schon verwirrend genug, da musste man nicht auch noch zusätzlich für ein Gefühl der Verbundenheit sorgen, indem man seinen Captain auch als seinen Vater bezeichnete. Auch wenn er es tatsächlich gewesen war. Er fuhr fort: „Frag deinen Vater mal, eventuell erinnert er sich noch an einen Shinichi Hikaro. Meine Statur und mein Aussehen, wenig Respekt vor dem Captain, ein Problem mit dem Salutieren und der Anrede ‚Sir!‘, aber ein guter Pilot.“ Dabei zwinkerte Fireball verschwörerisch und Martin verstand. Der Brasilianer lachte ungezwungen: „Na Dankeschön auch. Und so einer wird hier dann auch noch zum Captain. Ist doch ein Drama.“ Martin hörte noch eine ganze Weile den Ausführungen zu und fragte immer wieder dazwischen. Er hatte schnell gemerkt, dass dem jungen Captain alles, was mit seinem Vater zu tun hatte und was mit ihm geschehen war, schwer zu schaffen machte. Der Brasilianer erinnerte sich an Stans Prüfung und wollte am liebsten im Boden versinken. Der Blondschopf hatte keine Ahnung, wie tief er den Rennfahrer damals wirklich erwischt hatte. Niemand wusste das. Martin hatte sich oft gewundert, weshalb die Reaktionen auf Bemerkungen über Captain Hikari von Fireball meist unterkühlt und nüchtern gewesen waren. Nun wurde er wieder einmal darüber belehrt, was seine Alessa vorher schon gewusst hatte. Nur beschlich Martin das Gefühl, dass April, obwohl sie ebenfalls in der Vergangenheit gewesen war, auch nur Bruchstücke aus Fireballs Gefühlswelt zu sehen bekommen hatte. Der Brasilianer spürte, dass er bisher der einzige war, dem gegenüber Fireball so offen gesprochen hatte. Der junge Japaner öffnete sich und sorgte so wieder ein Stückchen mehr für sein Seelenheil. Mit traurigem Blick erzählte Fireball seinem Vertrauten von dem letzten Treffen mit seinem Vater, wie sie auseinander gegangen waren: „Er war wütend. Enttäuscht. Klar, immerhin hat er mir viel Vertrauen entgegengebracht, war inoffiziell mein Pate in der Base. Und ich hab ihn vom ersten Satz an angelogen.“ Dieser Vorwurf nagte sehr an Fireball. Aber nach wie vor auch die Wut über die Entscheidung, die sein Vater dann trotz besseren Wissens noch gefällt hatte. Martin lugte über den Rand seines Glases und konnte einwandfrei erkennen, wie dem jungen Hikari zumute war. Obwohl er nicht dabei gewesen war, glaubte er doch, seinem Freund etwas versichern zu können: „Er wusste doch nicht, wen er vor sich hat, Shinji. Und ich bin mir sicher, wenn er gewusst hätte, wer du bist, er hätte es verstanden.“ „Hat er auch“, krächzte Fireball mehr als er sprach. Seine dunklen Augen wurden beinahe schwarz. Der Japaner fasste sich ein Herz. Endlich würde er aussprechen, was er schon so lange mit sich herumtrug und dessen Narben nicht einmal April lindern konnte. Nun schenkte sich auch Fireball ein wenig vom Alkohol in ein Glas, mit dem er vor Martin auf und ab zu tigern begann. Mit brüchiger Stimme und manchmal an seinem eigenen Verstand zweifelnd offenbarte er Martin: „Irgendwas total Schräges ist dort bei der ersten Schlacht abgelaufen. Ramrod lag auf der Lauer, wir wollten Jesse Blue abfangen, sollte er sich einmischen wollen. Colt und Saber haben ihn auf einem Asteroiden erwischt. Währenddessen tobte die Schlacht genau vor uns. Wir haben untätig zugesehen, wie die Outrider das Königreich zu überrennen drohten! Als Captain Hikari zu diesem Harakirimanöver angesetzt hat… Als sein Schiff auf das von Nemesis prallte“, Fireball nahm einen Schluck vom Rum und schloss die Augen. Er spürte förmlich, was damals passiert war. Er blieb mitten im Raum stehen, starrte auf seine Füße und fuhr heiser fort: „Als er im Wrack verbrannt ist, ich habe es deutlich gespürt, konnte nicht atmen. Und als er sein Leben aushauchte, da war für einen Augenblick auch meines ausgelöscht. Ich war komplett weg und als ich wieder zu mir komme…“ Wie gebannt saß Martin auf seinem Stuhl und hörte zu. Ein Horrorfilm oder Thriller spät abends waren nicht so fesselnd wie der Erlebnisbericht des Japaners. Mittlerweile wunderte sich Martin bei den Star Sheriffs von Ramrod über gar nichts mehr. Ihm war zu Ohren gekommen, dass die Freunde seit dieser Mission anscheinend etwas kauzig geworden waren. Auch Alex hatte manchmal erzählt, dass die drei auf Ramrod ein Thema anschnitten und unter sich besprachen, es aber sofort abwürgten, wenn er den Raum betrat. Es konnte dabei nur um die Reise in die Vergangenheit gehen. Saber, Colt und April konnten zumindest auf ihren Missionen miteinander darüber sprechen, aber Fireball hatte es bisher hinuntergeschluckt und für sich behalten. Beim Rennfahrer würde allerdings gleich der Knoten platzen. Dass auch noch alle Deiche brachen, damit hatte Martin dann aber nicht gerechnet. Fireball stellte zitternd das Glas auf den Tisch und wandte sich von Martin ab. Er wischte sich über die Augen und krächzte erbärmlich: „Ich muss mit den Erinnerungen und der Seele meines Vaters leben! Er ist so übermächtig und groß, alle Welt verehrt ihn für seinen Heldentod! Und als wäre es nicht genug, seinen Namen tragen zu müssen, versetzt man mich auch noch in seine alte Base. Jeden Tag hab ich vor der Nase, wie großartig er ist und ich komm nicht dran.“ Ergriffen stand Martin auf, hielt dann allerdings in seiner Bewegung inne. Erst allmählich begriff er die Tragweite der Worte. Und er konnte nichts darauf erwidern. Jeder Satz, jedes Wort wären Nonsense gewesen und hätten dem Wirbelwind nicht geholfen. Martin beschränkte sich darauf, Fireball eine Hand auf die Schulter zu legen und ihm mit sanftem Druck sein Verständnis zu zeigen. Oh, wäre seine Alessa doch nur hier! Oder April! Martin hatte bei diesem Gedanken die Augen aufgerissen. Diese offene Aussprache wäre das gewesen, was die Blondine und der Rennfahrer gebraucht hätten um es nicht so enden zu lassen. Und als hätte Fireball die Gedanken des Brasilianers erraten, setzte er erneut an: „April war dabei, als der Captain in der ersten Schlacht gestorben ist. Sie war bei mir. …In dem Augenblick, als ich sie am meisten brauchte, war sie bei mir und hat mir Halt gegeben. Meine Süße wusste immer, wie es mir geht, ich musste nicht reden. Bis sie mich hier auf Yuma zurück gelassen haben. Ich konnte ihr nie sagen, wie sehr sie mir gefehlt hat, oder dass mich die Base nervlich fertig macht. …Wieso nur lasse ich Hornochse die Frau gehen, die alles von mir weiß und mit mir durchgestanden hat?“ Die Frage war berechtigt. Das wusste auch Martin sicher. Aber im Gegensatz zu seinem gemarterten Gegenüber kannte Martin auch die dazu passende Antwort. Er drückte den Japaner wieder in den Stuhl und schob ihm das Glas wieder vor die Nase. Schweigend wandte sich Martin um und brachte schließlich etwas zu essen an den Tisch. Er wusste, Fireball brauchte nun einen Freund. Und da die Freunde von Ramrod nichts wussten und demnach keine Freunde sein konnten, erwies sich nun Martin als guter. Diesen Status bei Fireball hatte er sich immerhin hart erkämpft. Der Brasilianer setzte sich wieder, reichte seinem Kumpel ein Brotmesser und schmunzelte endlich: „Ich kann dir schon sagen, warum du April fortgeschickt hast.“ „Ja?“, doch überrascht sah Fireball zu Martin auf. Mit hochgezogenen Augenbrauen richtete er sich im Stuhl etwas auf: „Auf die Antwort bin ich gespannt.“ Wollte Martin ihn nun zum Narren halten? Er konnte den Brasilianer gerade schlecht einschätzen und wusste nicht, was dieser vor hatte. Doch Martin meinte es ehrlich. Viele Stunden hatte er dafür mit Alessa abends im Bett opfern müssen, um zumindest einiges zu verstehen. Aber das hatte er dafür umso besser kapiert, auch ohne die nicht unwesentliche Zwischengeschichte von Fireball eben. Der Brasilianer stupste zuerst auf Fireballs Brust, danach auf seine Stirn: „Weil bei dir da und da was nicht zusammen passt. Herz sagt ja, Kopf sagt nein. Und der entscheidende Faktor bei der ganzen Geschichte nennt sich Schiss, Babyboy“, auf Fireballs Blick hin musste Martin schmunzeln und tadelte den Japaner: „Jetzt guck mich nicht so an, ist doch so! Hättest du nicht solchen Schiss davor, April in dein Leben zu lassen und wieder alles mit ihr durchzustehen, nur eben auf einer anderen Basis, wären dir die Regeln im Oberkommando gleich gar nicht in den Sinn gekommen. Ja, von mir aus bist du erst Anfang zwanzig, aber das heißt nicht, dass man in dem Alter nicht schon die Richtige gefunden haben kann.“ Da sprach der ältere der beiden aus Erfahrung. Er war mit seiner Alessa ungefähr im gleichen Alter zusammen gekommen und von der ersten Minute an hatte er gewusst, dass sie seine Frau fürs Leben war. Alessa hatte ihn beim ersten Date ausgelacht, als er ihr gesagt hatte, sie wäre seine Traumfrau und er würde sie heiraten, aber spätestens nach dem zweiten Date hatte sie ihm Glauben geschenkt. Nun ja, sie waren zwar noch nicht verheiratet, aber eines schönen Tages war es soweit. Martin wartete eigentlich nur noch auf den richtigen Zeitpunkt. Und die richtigen Worte. Wie immer, wenn Fireball eine Vermutung zu nahe an die Wahrheit kam, reagierte er patzig. In diesem speziellen Fall allerdings mit hochrotem Kopf und unglaublicherweise auch noch mit Galgenhumor: „Ich hab nicht mal vorm Sterben Angst, weshalb sollte ich da Angst vor unserem Dampfhammer namens April haben?“ „Kann ja sein, dass du die eine oder andere Erfahrung gemacht hast, die man normalerweise garantiert nur einmal macht. Aber“, Martin zog seinen Widerspruch absichtlich übertrieben lang, ehe er fortfahren wollte. Martin konnte seinen Einwand jedoch nicht mehr vorbringen, denn Fireballs Telefon machte sich lautstark bemerkbar. Dem Klingelton nach zu urteilen, war es jemand aus dem Oberkommando, der ihn erreichen wollte. Irritiert sah Fireball zuerst auf das Display, dann zu Martin hinüber: „Das ist Eagles Büro!“ Auf Martins stummes Nicken hin nahm der junge Captain das Gespräch an und konnte beobachten, wie Fireball innerhalb weniger Sätze Beine bekam. Shinji zog seinen Freund noch während des Telefonats vom Stuhl hoch und lief mit ihm in den Flur, wo er das Gespräch mit „Wir sind gleich da!“ beendete. Behände schlüpfte der Asiate in seine Schuhe und die Jacke, dabei erklärte er Martin: „Zieh die Laufschuhe an. Im Oberkommando brennt’s. Es wurden Jumper über Yuma gesichtet, wir müssen sofort zur Base.“ „Wie sofort ist sofort?“, Martin konnte sich die Antwort zwar denken, aber die Bestätigung dafür wollte er in beruflichen Belangen doch lieber vom Chef persönlich erhalten. Trotz der Eile, die geboten war, hatte Fireball noch die Zeit, ein hämisches Grinsen aufzusetzen und Martin Angst zu machen: „So sofort, dass das KOK die Strafzettel und die Polizeieskorte zahlen wird, die ich gleich produzieren werde“, Im Laufen entriegelte Fireball seinen Wagen und ließ Martin noch wissen: „Schnall dich an, bete, dass wenig Verkehr ist und zur Info: die Kotztüten sind im Handschuhfach.“ Okay, jetzt hatte Martin definitiv ein mulmiges Gefühl. Er war einfach mit Fireball mitgelaufen, hatte die Wohnungstür nur zugeworfen ohne abzuschließen und sich auf eine schnelle Fahrt gefasst gemacht. Aber was Fireball ihm da in Aussicht stellte, klang schon vor dem eigentlichen Einsatz wie ein Selbstmordkommando. Martin schwang sich auf den Beifahrersitz und kaum hatte er die Tür geschlossen, fuhr Fireball schon mit quietschenden Reifen davon. Hastig gurtete sich Martin noch an und krallte anschließend die Hände in die Sportsitze. Sah ganz so aus, als bekäme Martin die verpasste Fahrt auf der Rennstrecke nun nachgeliefert. Auf dem Weg zum Stützpunkt schloss Martin immer wieder die Augen, weil er gar nicht sehen wollte, mit wem sie auf ihrer rasanten Reise frontal zusammen prallen würden. Doch wundersamer Weiser kamen die beiden heil und rekordverdächtig schnell an. Fireball driftete in den Hangar hinein und kam quietschend zu stehen. Gleich darauf stieg der Rennfahrer aus und rief seiner Mannschaft zu: „Alles da? Wir haben’s eilig!“ Martin stieg mit zitternden Knien aus dem Wagen aus, während der Rest der Crew einstimmig mit „Jo!“ antwortete. Im Vergleich zu Martin wirkte Fireball entspannt, dem Brasilianer jedoch war hundeelend. Trotzdem musste er sich zusammen nehmen und zusehen, dass sie in die Luft fanden, um Yuma zu verteidigen. Fireball gab noch die Anweisung, schon mal aufzusteigen und in einer dreireihigen Formation vorauszufliegen, er und Martin würden im Null Komma Nichts zu ihnen stoßen. Gleich nach dem Start nahm Fireball Verbindung zum Tower auf und holte die neuesten Informationen zum Angriff ein. Er wollte wissen, wer und wie viele sich da draußen tummelten. Dabei erfuhr er, dass auch Ramrod zum Geschehen geschickt worden war. Mehr wussten die Herren vom Tower allerdings noch nicht. „Captain Hikari an Ramrod! Säbelschwinger, gib mir mal ein Update zur Lage.“ Der alten Stammbesetzung von Ramrod blieb einen Augenblick das Herz stehen, als sie Fireball über Funk vernahmen. Er hatte sich wie sein Vater angehört. Beim zweiten Satz jedoch hatten sie sich wieder gefangen. Den Schelm in der Stimme hatte ihr ehemaliger Pilot nicht verbergen können. Die Stimmung an Bord war etwas gedrückt gewesen, April hatte enorme Traurigkeit unter den Jungs versprüht. Als Fireball sich gemeldet hatte, hatte sich ihr Herz zusammen gezogen. Wieso mussten sie ausgerechnet dann, wenn April bestimmt hatte, sie sollten sich eine Weile nicht mehr sehen, zusammen arbeiten? Was war das für ein fieser Schachzug des Schicksals? Dennoch hielt sie den Funkkanal offen. Sie musste professionell bleiben. Immerhin griffen die Outrider Yuma an. Saber erwiderte unterdessen mit einem unterdrücktem Grinsen die Anfrage: „Bitte findet sich in deinem Wortschatz wohl keines“, nach einer kleinen Pause erklärte er Fireball: „Ein Renegade befindet sich im Anflug auf Yuma, dem fliegen wir grade entgegen. Die Vorhut an Jumpern hat den Orbit beinahe erreicht.“ Colt schaltete sich übermütig dazwischen: „Du weißt schon, Turbofreak. Die hässlichen kleinen Dinger, die von den Outridern gesteuert werden und an Ramrod immer wie Popcorn aufgeplatzt sind. Nur für den Fall, dass du nicht mehr wissen solltest, wie der Feind aussieht, weil du ja schon so lange keinen mehr gesehen hast.“ Colt hatte ein wohliges Gefühl übermannt, er freute sich, mit seinem Kumpel mal wieder in den Kampf zu ziehen. Sie hatten sich schon wieder länger nicht mehr gesehen, das kleine Machtgeplänkel, das sie auf Ramrod öfters ausgetragen hatten, fehlte dem Lockenkopf mitunter sehr. Nachdem die Crew von Fireball hier mitzumischen schien, und das KOK im ersten Moment deren Captain nicht hatte auftreiben können, hatte man solange Ramrod hochgeschickt. Nun stand die Chance, miteinander in die Schlacht zu ziehen, nicht so schlecht. Fireball antwortete zuerst Colt, danach wandte er sich an Saber und stimmte mit dem blonden Recken die Vorgehensweise ab: „Okay, ich leide an Gedächtnisschwund. Also komm lieber nicht mit dem Bronco raus, Cowboy, sonst erwisch ich versehentlich dich. Und Saber? Nachdem ein Renegade im Spiel ist, glaube ich zu wissen, dass Ramrod den übernimmt. Ist es recht, wenn wir euch den Kleinmist vom Leibe halten? Wär `ne nette Abwechslung für die Jungs.“ „Es ist ja nicht so, dass wir damit nicht selbst fertig würden“, begann Saber, denn tatsächlich kämpfte Ramrod in der Regel alleine gegen einen Renegade und Jumper. Aber Saber hatte an diesem Tag gute Laune und immerhin war die Base auch schon ausgerückt. Er stimmte Fireball deswegen zu: „Aber ich will mal nicht so sein. Teilt euch die Jumper gut ein, ich glaube nicht, dass die Outrider Nachschub schicken werden.“ Fireball lachte hell auf: „Du bist zu gütig, oh großer Klingenwetzer!“ In diesem Augenblick schoss ein Jet der Air Strike Base an Ramrod vorbei. Dieser Düsenjäger schwankte zweimal nach links und rechts, was aussah, als würde er mit den Flügeln winken. Während Colt und Saber sich angrinsten, schüttelte Alessandro den Kopf und rollte genervt die Augen: „Kleiner Irrer!“ Fireball meldete sich noch ein letztes Mal über Funk: „Wir sehen uns zum Mittagessen wieder in der Base oder je nach Bedarf, solltet ihr Hilfe mit dem Renegade brauchen.“ Es war nicht zu überhören, dass Fireball vor Übermut, endlich im Einsatz zu sein, beinahe überschäumte. Monatelang hatte er keinen lebendigen Outrider mehr gesehen, war es ruhig und beschaulich auf Yuma zugegangen, und nun stieg die Air Strike Base 1 zum ersten Ernstfall unter Fireballs Kommando auf. Es würde sich zeigen, ob die Arbeit der letzten Monate Früchte trug. Fireball ahnte noch nicht, wie viel mehr Papierkram in den nächsten Minuten auf ihn zukam. Saber korrigierte währenddessen Alessandros Kommentar: „Großer Irrer, Alex.“ Colt lachte: „Armer Irrer! Aber größenwahnsinnig war er eigentlich schon immer, war er doch!“ Die Hyperjumper waren tatsächlich eine nette Ablenkung für die Base gewesen. Die Piloten konnten dem neuen Captain endlich zeigen, was wirklich in ihnen steckte und der erwähnte Boss der Crew konnte beweisen, dass er von seinem Job auch tatsächlich in der Praxis was verstand. Fireball hatte den Jungs und Mädels von vornherein jegliche Alleingänge untersagt, immerhin war die Crew groß genug, dass jeder einen Wingman hatte. Die Piloten gaben sich immer wieder gegenseitig Rückendeckung und irgendwie schien es schon fast zu einfach zu sein, die Jumper wieder in ihre eigene Dimension zu katapultieren. Ramrod erlebte dafür mit dem Renegade eine unangenehme Überraschung. Offensichtlich hatten die Outrider ein paar neue Tricks gelernt und ein guter Schutzschild zählte dazu. Jeder gut gezielte Schuss von Colt auf das Biest wurde ebenso gut gezielt wieder an den Absender zurück geschickt. Die Crew musste sich etwas einfallen lassen. Nur leider hielten sich gute Ideen im Kampfgeschehen eher bedeckt. April versuchte unter Hochdruck eine Schwachstelle zu finden, während sich Colt darauf konzentrierte, keine schweren Geschütze aufzufahren und Alex ihren eigenen brillanten Schüssen auswich. Und auch Saber trug unter seinem Helm einen verbissenen Gesichtsausdruck zur Schau. Keine Ergebnisse zur Analyse. Der nächste Treffer und Ramrod wurde durchgeschüttelt. Saber hielt sich mit einer Hand an der Konsole fest. Wie sollte man da brauchbare Daten erhalten, wenn nach jedem Treffer die Systeme kurzzeitig Sternchen sahen?! Colt brachte es nach einem weiteren heiklen Treffer auf den Punkt: „Wir brauchen ein verdammt gutes Ablenkungsmanöver. Ich will mich nur ungern selber über den Haufen ballern, Leute.“ Der Lockenkopf verkniff sich extra zu behaupten, Alex würde nicht gut genug fliegen und keine ausgefeilten Manöver kennen, der hätte das in dieser Situation sicherlich falsch verstanden. Fakt jedoch blieb, dass sie mehr Zeit benötigten, um dem Renegade eins auf dessen Achillesferse zu verpassen. Während Saber und Alex lediglich nickten, kamen von April erste Bedenken: „Grundsätzlich bin ich auch für ein Ablenkungsmanöver, aber wer soll das machen? Von uns kommt keiner hier raus, ohne sofort eins vor den Latz geknallt zu kriegen.“ Bissig lieferte dieses Mal Alex den entscheidenden Hinweis: „Ich wüsste einen guten Outriderköder, den man ihnen vorwerfen könnte…“ Tatsächlich hegte Alessandro mehr und mehr Groll gegen Fireball und hätte nichts dagegen, wenn der nette Herr von und zu für sie das Ablenkungsmanöver inszenieren würde. Dann konnte er wenigstens mal zu etwas zu gebrauchen sein, außer ihrer Navigatorin das Herz zu brechen. Saber hatte den Gedanken durchaus aufgefangen, ihn allerdings nicht so feindselig aufgefasst, wie es Alex Intention gewesen war. Nichts lag Saber in dem Augenblick ferner, als persönliche Differenzen zu bemerken, die derart unterschwellig gestreut wurden. Er öffnete kurzerhand eine weitere Funkverbindung: „Major Rider an Minicaptain Hikari! Sag mal, Fireball, habt ihr gerade viel zu tun?“ Prompt meldete sich der Angesprochene auch tatsächlich über Funk: „Werter Säbelschwinger! Mein Blick zum Chronometer vermeldet den herannahenden Mittag. Ich wollte meine Crew gerade zurück schicken. Könnt ihr eure Mittagsruhe nicht einhalten, oder was willst du von mir?“ Man, diese Klappe. Saber musste trotz der prekären Lage schmunzeln. Der Highlander stellte klar: „Nur um ganz sicher zu gehen, dass du auch die Spielregeln kennst, Kumpel. Wenn ihr mit uns im Einsatz seid, wird zu Tisch gegangen, wenn wir das sagen und nicht, wenn du meinst. Hör zu, Fireball. Du kannst einen Großteil deiner Truppe gerne landen lassen, wir bräuchten nur ein paar fähige Kunstflieger, die den Renegade ein wenig ablenken.“ Auch dem anderen Gesprächsteilnehmer hörte man das Lächeln an, als er antwortete: „Reichen dir fünf plus moi? Ich hätte da ein paar ganz herausragende Kamikazepiloten.“ „Na, durch den Kamin müssen sie nicht unbedingt kommen, sind ja keine Weihnachtsmänner, sind sie nicht“, vermeldete sich auch Colt wieder. Weil es ihm zu lange dauerte, bis Saber endlich in die Puschen kam, half er selbst nach: „Komm einfach her und lenk den Renegade ab. Das kannst du doch hoffentlich.“ Fireball bestätigte nur noch, dass er gleich mit einigen Piloten da sein würde und unterbrach dann die Verbindung. Er trommelte einige Mannen zusammen und schickte Martin mit dem Rest Richtung Heimathangar. „Ich kauf dir für Weihnachten ein Fremdwörterlexikon“, Alessandro schüttelte einfach nur den Kopf und korrigierte den Hutträger mit Fachwissen: „Kamikaze ist ein japanisches Himmelfahrtskommando, da kommt kein Kamin vor. Die sprengen sich maximal mit dem Feind gemeinsam in die Luft.“ Das schmeckte Colt nun gar nicht. Er brauchte von Alex nicht verbessert zu werden, alle wussten, was er gemeint hatte. Wenn ihn überhaupt jemand verbessern durfte, dann war das der blonde Recke und sonst schon keiner! Colt hatte immerhin mit Fireball gesprochen und da brauchte sich Alex nicht einzumischen. Er brauste beinahe auf: „Das weiß ich schon. Deine altklugen italienischen Mafiaweisheiten kannst du dir an den Helm stecken oder wo anders hin, du weißt schon wo.“ „Ich steck dir gleich was dahin!“, bellte Alessandro zurück. Plötzlich war die Stimmung an Bord gereizt, sie hatte in Windeseile umgeschlagen. Es war an April, nun den Mund aufzumachen. Sie rollte genervt die Augen und verkündete: „Lasst mal stecken, Jungs. Kümmern wir uns lieber um den Renegade. Das Ablenkungsspektakel fängt gerade an.“ April hatte sechs kleine Punkte auf dem Schirm gefunden, die sich schnell und in einer V-Formation auf Ramrod zu bewegten. Da sie grün blinkten, waren es Gleiter des Oberkommandos, die eindeutig als Freunde identifiziert werden konnten. Unverzüglich stellten die vier an Bord alle Angriffe ein und beschränkten sich auf Ausweichmanöver. Sie überließen vorläufig den kleinen wendigen Jets die große Bühne. April und Saber konnten nun die Daten auswerten, Schwachstellen ausloten und danach das weitere Vorgehen besprechen. Nachdem sie endlich herausgefunden hatten, wo der Renegade ein Sicherheitsleck aufwies, kam wieder Bewegung in die Sache. Saber kontaktierte die Gleiter, damit diese sich aus dem Geschehen zurückziehen konnten. Die sechs Jets drehten unverzüglich ab und gaben das Schlachtfeld für Ramrod frei. Alex steuerte den großen Cowboy direkt auf den hässlichen Renegade zu, während Colt zu zielen begann. Konzentriert hörte man den Lockenkopf murren: „Halt die Kiste halbwegs ruhig, damit ich ihn gut erwische.“ „Trink ein bisschen Zielwasser, wenn deine Finger sonst so zittrig sind!“, Alex tat bereits alles, was in seiner Macht stand, da brauchte er keine blöden Anweisungen des Scharfschützen. Unmerklich wanderten Sabers Augen über die Crew, waren einen Augenblick nicht beim Geschehen. Was war nur gerade passiert? In den letzten Monaten hatten sich doch die Zusammenarbeit und auch das Zusammenleben stetig verbessert. Woher kam nur plötzlich wieder diese unterschwellige und teils auch offene Feindseligkeit zwischen Colt und Alex? Das gefiel dem Schotten nicht sonderlich, und das nicht nur, weil sie mitten in einem Kampf steckten. Diese Differenzen mussten sie umgehend aus dem Weg schaffen. Seine blauen Augen suchten Aprils Blick, die ihn gerade erwiderte. Wie zur Antwort auf eine stumm gestellte Frage, hob April leicht die Schultern an und deutete somit an, dass auch sie nicht wusste, was mit den beiden Jungs plötzlich los war. Saber wandte sich wieder dem Geschehen vor ihnen zu, gerade noch im richtigen Augenblick. Er gab unverzüglich den Befehl: „Feuer!“ Colt drückte ab. Stille auf Ramrod. Bis Colt aus seiner Satteleinheit aufstand und zur Glasfront schritt: „Tja, Saber. Feuer trifft’s ziemlich gut würd ich sagen.“ Der gebürtige Texaner blickte auf einen brennenden Renegade, der trotz seiner fiesen Tricks letztlich doch verloren hatte. Auch die anderen kamen an das Panoramafenster und begutachteten ihr Tagwerk. April stieß Colt mit dem Ellbogen in die Rippen: „Das war ganz schön knapp, Freundchen. Hättet ihr euch das Geplänkel mal gespart.“ Verdattert wich Colt einen Schritt von April weg: „Wieso haust du immer nur mich, Weib? Der Spaghettifresser da hat angefangen!“ April wollte gerade etwas erwidern, als Colt schon wieder ganz versöhnlich wissen wollte: „Wo warst du eigentlich vorhin?“ Ihm kam es gar nicht in den Sinn deswegen noch länger böse zu sein. Er war nie nachtragend gewesen, maximal theatralisch, aber nie nachtragend. April war traurig gewesen, als sie zu Ramrod zurückgekommen war, das war dem Scharfschützen schon aufgefallen, kaum war sie die Rampe raufgekommen gewesen. Sie hatte glasige Augen gehabt und rote Backen, sie hatte verweint gewirkt und langsam beschlich Colt ein ungutes Gefühl in der Magengegend. Die Navigatorin nahm den Helm ab und ließ ihn in Colts Satteleinheit fallen. Sie wusste, welches vorhin Colt meinte. Sie war eher knapp zu Ramrod gekommen, als der Alarm losgegangen war. Sie suchte nach Worten, konnte aber keine plausible Erklärung für ihr Fehlen abgeben. Also entschied sie sich für: „Unterwegs.“ „Eventuell mit Matchbox?“, Colts Grinsen verriet, welchen Hintergedanken er hatte. Tatsächlich waren Saber und er am Vormittag im Hangar gewesen und hatten den Wuschelkopf aufsuchen wollen, doch der war kurz davor ziemlich eilig weggefahren. Colt ging nun davon aus, dass die beiden sich vielleicht getroffen haben konnten, ohne ihnen etwas zu sagen. Und das war auch schon sein ungutes Gefühl. Auch, wenn April es ihm nie offen gesagt hatte, so wusste der frisch gebackene Vater, dass sie Fireball sehr gerne mochte. Colt konnte nicht im Ansatz ahnen, was sich zwischen seinem kleinen Bruder und seiner besten Freundin inzwischen abgespielt hatte, aber er glaubte zu wissen, dass zumindest April die Entfernung zu Fireball nicht gut bekam. Und dann schien es da ja auch noch die rätselhafte Unbekannte zu geben, die wohl bisher nur April kennen gelernt hatte und der Grund sein könnte, weshalb April neuerdings heimlich weinte. April schluckte und kämpfte die aufsteigenden Tränen so gut es ging hinunter. Da sie Angst hatte, ihre Stimme könnte versagen, schüttelte sie lediglich den Kopf. Oh Gott, warum musste es denn immer faustdick kommen, kaum ging mal was daneben?! Monatelang war es Colt gelinde gesagt ziemlich egal gewesen, wie April ihre freie Zeit auf Yuma verbrachte und kaum trennte sich Fireball von ihr, schnüffelte der Cowboy der brennenden Lunte auch schon hinterher. Colt sah April mitfühlend an, dann riskierte er einen fragenden Blick zu Saber und auch Alessandro hinüber. Er mochte den Italiener zwar nach wie vor nicht so gerne, wie Saber oder Fireball, doch Colt war nicht blöd. Der Scharfschütze hatte schnell kapiert, dass Alex und April, ihr Double-A an Bord, einen guten Draht zu einander hatten. Insgeheim glaubte Colt auch, dass Alex wissen könnte, was nicht stimmte. Der Italiener hatte anfangs nie etwas Persönliches gegen Fireball gehabt. Im Gegenteil, als der Rennfahrer ihn eingeschult hatte, hatten sie sich bei manchen waghalsigen Manövern köstlich auf Kosten der anderen amüsiert. Vor einigen Monaten war die Stimmung zwischen den beiden allerdings gekippt und mehr als ein paar eisige Floskeln brachten sie einander nicht mehr entgegen. Und dann diese offene Boshaftigkeit während des Kampfes, die ganz sicher gegen Fireball gerichtet gewesen war. Colts Augen verengten sich, da sah er doch schon die nächste Verschwörung am Horizont aufgehen! Saber hatte schnell bemerkt, was sich an Bord gleich anbahnen würde. Deswegen ergriff er die Initiative und schlug unverbindlich vor: „Hört mal, Leute. Lasst uns nach Yuma zurückfliegen. Ich hab da vorhin was von Mittagessen vernommen.“ April nickte und wandte sich bereits ab, glücklich über den Umstand, Colt nicht weiter Rede und Antwort stehen zu müssen. Auch Colt nickte knapp, ehe er sich in seine Satteleinheit setzte. Und Alex stimmte seinem Boss zu: „Jo, Essen klingt fantastisch. Vor allem dann, wenn ich es nicht kochen muss.“ Endlich stand Fireball bei Martin am Tisch. Der Japaner war gleich nach der Landung zu Commander Eagle ins Büro marschiert. Zu allererst hatte er einen knappen Bericht zum Angriff der Outrider abgeben, zum anderen hatte er gleich vorbauen wollen, was womöglich von der Verkehrsabteilung der Polizei in Yuma auf ihn zukommen konnte. Er hatte Charles lang und breit erklären müssen, wo er gewesen war, wenn er doch als anwesend im System aufgeschienen war. Und darum musste Fireball nun auch mit Martin reden. Er plumpste neben dem Brasilianer auf einen freien Stuhl und murmelte: „Wenn dich jemand fragt, deine Mutter hatte einen Schwächeanfall.“ Mit einem fragenden Gesichtsausdruck sah Martin von seinem Teller hoch. Er rümpfte die Nase und da er den Mund noch mit Essen voll hatte, musste dem jungen Captain der Blick genügen. Er verstand nicht, in welchem Zusammenhang das gerade stand. Fireball öffnete die Flasche mit Orangensaft. Während er das Getränk in sein Glas goss, erklärte er Martin verschwörerisch: „Ich komm grad vom Commander. Auf unserer Fahrt hierher hab ich wohl drei bis vier rote Ampeln und permanent die Geschwindigkeitsbeschränkung missachtet. Die Polizeieskorte, die kurz nach uns hier eintraf, hat ihm ein nettes Video präsentiert. Eagle hat die Strafe beglichen, weil es sich um einen Einsatz gehandelt hat, aber er wollte von mir wissen, wieso wir das Gelände überhaupt verlassen hatten, wenn wir beide Dienst gehabt hätten. Deshalb hatte deine Mum einen Schwächeanfall und wir sind schnell zu ihr gefahren.“ „Meine Mama freut sich immer, wenn sie uns helfen kann“, mit einem Augenzwinkern antwortete der brasilianische Pilot. Er war heilfroh, dass er von der Fahrt nicht alles mitbekommen hatte. Er wäre garantiert vor Angst gestorben. Martin hatte so schon die Hosen gestrichen voll gehabt. Aufmerksam sah sich Martin dann in der Offiziersmesse um. Die Crew saß auf alle Tische verteilt und genoss zusammen mit anderen ihre Mahlzeit. Niemand schenkte den beiden Aufmerksamkeit, weshalb Martin die Gelegenheit nützte. In der Küche vorhin hatte sie der Alarm unterbrochen, seinem Kumpel war es nicht gut gegangen. Während des Angriffes hatte man zwar nichts von dem Kummer bemerkt, nun aber konnte Martin beobachten, wie Fireball appetitlos in seinem Essen rumstocherte. Als er Martins Blicke auf sich ruhen spürte, legte Fireball sein Besteck endgültig zur Seite. Er erklärte Martin: „Hab heute irgendwie keinen guten Tag, Marty.“ „Was du nicht sagst, Babyboy“, Martin zog die Lippen zusammen. „Vielleicht baut dich dann das hier etwas auf. Deine Crew hatte nach der Landung nur lobende Worte für dich. Du hast sie gut geführt, eine klare Strategie vorgegeben und den Überblick behalten. Das hätte Mandarin nicht besser machen können.“ „Genau!“, Colt stellte sein Tablett schnell auf dem Tisch ab und wuschelte dem Japaner durch die ohnehin schon durch den Helm in Mitleidenschaft gezogene Frisur. Gewohnt lässig ließ er sich vernehmen: „Färb dir doch mal die Haare so schön orangerot wie Mandy sie hatte. Steht dir sicherlich auch gut, Turbofreak.“ Fireball zog schnell den Kopf zwischen die Schultern und rollte empfindlich getroffen die Augen. Als er bemerkte, wie sich auch Saber, April und Alex zu ihnen an den Tisch setzten, guckte er entmutigt zu Martin hinüber. Er begrüßte seine Freunde: „Hi, Leute!“, nun zog er Colts Hand von seinem Kopf weg: „Lass das! Ich färbe mir bestimmt nicht die Haare.“ Saber rutschte seinen Stuhl noch zurecht, ehe er für Fireballs ersten Akuteinsatz Worte fand: „Du hast deine Crew gut im Griff. Kaum zu glauben, dass sie sich anfangs quer gestellt haben.“ Nein, das war nun nicht das gewesen, was Fireball hatte hören wollen. Auch wenn Saber es höflich wie immer formuliert hatte, Fakt war, dass er nach den ersten zwei Monaten beinahe seinen Job los gewesen wäre. April und Colt guckten den Japaner fragend an, Alex und Martin wussten schließlich, wie’s hier vor nicht allzu langer Zeit abgegangen war. Aprils Blick machte den jungen Piloten noch trauriger. Er schob seinen Stuhl zurück: „Ein Wolfsrudel klärt eben anfangs die Rangordnung ab, Saber.“ Zu allem Überfluss ergriff er nun auch noch die Flucht: „Ich muss auch leider schon wieder los, Freunde. Ich muss gucken, wie viel Schaden die Outrider angerichtet haben.“ Mit einem unbehaglichen Schlucken und trockener Kehle blieb Martin bei Ramrods Crew sitzen. Verdammt! Wieder hatten sie nicht in Ruhe besprechen können, wie weit es tatsächlich fehlte. Martin formte ein hilfloses Lächeln, ehe er weiteressen wollte. „Was hat er denn?“, Colt deutete auf den noch vollen Teller des Japaners. Oh ja, wenn das so weiterging, packte er tatsächlich den Fährtenleser aus. Und das auch noch schneller, als ihm lieb war. April war traurig und sein kleiner Bruder packte die Schweigsamkeit aus. Dem Scharfschützen war vollkommen klar, dass Fireball gerade nur die Flucht angetreten hatte. Was zum Geier war da nur faul?! Martin steckte sich schnell eine Gabel voll Essen in den Mund um ja nicht antworten zu müssen. Während April versuchte, tapfer zu lächeln, stachen Alessandros Blicke in den Rücken des Captains, der gerade auf dem Weg zurück ins Büro war und bei Colt begannen auch schon einige Fragezeichen über der Stirn zu schweben. Saber hatte schnell gemerkt, dass er offenbar einen Fettnapf erster Güte erwischt hatte. Dabei hatte er doch eigentlich ein Lob aussprechen wollen. Er riskierte einen Seitenblick zu Martin, ehe er in einem Zug sein Glas leerte und ebenfalls aufstand. Seinen Freunden verkündete er gekonnt galant, wie immer: „Ich gebe es nur ungern zu, aber ich werde mich auch an die Arbeit machen müssen. Es war einiges los und Commander Eagle wird von mir sicherlich auch am liebsten gestern schon einen Bericht haben wollen. Ihr entschuldigt mich also ebenfalls bitte?“ Kaum war nun auch Saber weg, entbrannte eine heftige Diskussion zwischen den Zurückgebliebenen. Der Schotte schritt aufmerksam durch den Hangar der Air Strike Base 1. Er hatte ohnehin gesehen, wohin Fireball verschwunden war. Also ging er mit wachsamen Augen durch die Gleiterreihen. Hie und da tat sich eine Lücke auf, manche der Jets hatten sofort zur Reparatur gebracht werden müssen. Saber spürte die abgesonderte Hitze der Turbos ganz deutlich in der Halle. Wie Fireball schon angekündigt hatte, war es bereits Mittag und da war der Hangar wie ausgestorben. Saber hörte seine eigenen klackenden Schritte. Unheimlich kam es dem Schotten vor. Also entschied er sich, langsam den Weg nach oben einzuschlagen. Wer wusste schon, wann sie wieder ausrücken mussten. Für ein Gespräch in Ruhe hatten sie ohnehin nie genügend Zeit. Saber sah noch einmal an seinem Kampfanzug hinunter. Sein Säbel hing wie immer an seiner rechten Hüfte, der Helm war auf Ramrod zurückgeblieben. Wohlfühlklamotten sahen seiner Meinung nach anders aus, allerdings war der Kampfanzug schon etwas wie eine zweite Haut geworden. Er war zweckmäßig, dennoch halbwegs angenehm zu tragen. Aber er blieb, was er war. Eine moderne Rüstung. Der Recke sammelte seine Gedanken wieder ein, die ihm auf dem Weg nach oben so entglitten waren. Vor der Bürotür hielt Saber kurz an. Er entschied sich dieses Mal gegen seinen Anstand und öffnete ohne anzuklopfen die Tür. Saber tat das heimlich und so leise wie möglich, denn er wollte wissen, welchen Gesichtsausdruck sein junger Freund zeigte, wenn er sich unbeobachtet glaubte. Saber öffnete also die Tür gerade so weit, dass er den Rennfahrer gut sehen konnte. Im Gegensatz zu Fireball formte sich ein warmes Lächeln auf Sabers Lippen. Er ähnelte seinem Vater sehr. Der Recke wusste es, denn als sie in der Vergangenheit festgesteckt hatten und zu allem Überfluss auch noch Fireball zu existieren aufgehört hatte, war Saber ein paar Mal bei Shinji im Büro gewesen um sich mit ihm zu unterhalten. Aber das war Schnee von gestern. Sabers Lächeln verschwand allmählich wieder, denn entgegen seiner Behauptung von vorhin, arbeitete Fireball nichts auf. Der Japaner saß auf dem Stuhl, die Ellbogen auf der Tischplatte aufgestützt und den Kopf in den Händen versteckt. Immer wieder raufte er sich von einem tiefen Seufzen begleitet die Haare. Saber beobachtete, wie sich die Finger des Wuschelkopfs immer kraftvoller in selbigen vergruben. „Belastet dich etwas?“, nach einem höflichen Räuspern und der einfühlsamen Frage trat Saber in den Raum. Hinter sich lehnte er die Tür an. Wieder glitt sein Blick über den jungen Captain. Was er sah, gefiel ihm gar nicht. Fireball sah vom Tisch auf, seine Hände sanken auf die Platte hinab. Wieder seufzte er, schüttelte jedoch gleichzeitig den Kopf. Saber hatte ihn im falschen Moment aufgesucht. Er konnte den guten Freund nicht länger ansehen. Deswegen war Fireball vorhin auch so schnell verschwunden, er hatte keinem seiner Freunde länger in die Augen schauen können. Der Pilot fühlte sich unendlich schlecht, weil er seinen Freunden niemals etwas von April und ihm erzählt hatte. Saber ließ sich in einem Stuhl vor dem Tisch des Captains nieder. Er konnte förmlich fühlen, wie sein ehemaliger Schützling unter dem Druck beinahe zerbrach. Der Schotte nahm sein Schwert ab, lehnte es an den Stuhl daneben, ehe er die Unterarme auf die Tischplatte legte. Er wollte vertraulich wissen: „Was fehlt dir, mein Freund? Dein erster Einsatz mit deinen Bruchpiloten war ein voller Erfolg. Deine Crew hat sich gut benommen, und du hast in keiner Sekunde versagt. Ich hab das Gefühl, du wärst nach den ersten Monaten hier angekommen. Denn glaub mir, Fireball, was ich heute im Kampf von dir gesehen habe, das hat für mich nur eines bedeutet. Du warst in deinem Element, eins mit der Maschine. Kaum aber hast du wieder festen Boden unter deinen Füßen, bist du wieder ein ganz anderer Mensch. Also sag mir bitte, was dich belastet. Wir sind Freunde, auch wenn wir uns oft lange nicht sehen. Freunde sind immer füreinander da.“ „Das weiß ich, Richard“, Fireball nickte langsam. Er wusste tatsächlich, dass seine Freunde immer für ihn da waren. Aber hatte er nicht Hochverrat an ihnen begangen? Entmutigt sank Fireball nach hinten in seinen Stuhl und seufzte wieder. Er begann mit den Fingern auf den Tisch zu trommeln. Sollte er sein Gewissen nicht endlich erleichtern? Immerhin war nun alles vorbei, mit April hatte er sich schon verscherzt und wenn zumindest Saber davon wusste, konnte er April trösten. Fireball wollte nicht länger mit ansehen, wie er sie verletzte und niemand sie trösten konnte. Er nahm all seinen Mut zusammen, denn Fireball wusste, dass er sich damit auch noch mehr Ärger einhandeln konnte: „Ich hab Mist gebaut.“ Es bahnte sich wieder einmal eines dieser Gespräche an, das Fireball unter Ausschluss der Öffentlichkeit führte. Saber hatte das im Laufe der Zeit auf Ramrod nur ein paar Mal erlebt, mit seiner fixen Stationierung in Yuma war es nicht wieder vorgekommen. Zwar hatte Fireball immer regelmäßig auf Ramrod angerufen und manches Mal hatte Saber schon das Gefühl gehabt, sein junger Freund wollte mit ihm etwas besprechen, doch er hatte sich nie getraut. Brannte Fireball wirklich etwas auf der Seele, so wollte er es persönlich besprechen. Saber nickte ebenfalls leicht: „Was ist passiert?“ Ewig hatte Martin seine Taktik nicht beibehalten können, immerhin war sein Teller irgendwann leergegessen und sein Glas leergetrunken. Und dann waren schnell die Fragen von Colt und auch von Alessandro auf ihn zugeschossen. Während sein ehemaliger Kollege lediglich wissen wollte, ob das nichtsnützige Großmaul wirklich mal was arbeiten würde, waren Colts Fragen in eine ganz andere Richtung geglitten. Als Alessandro dem Scharfschützen wieder einmal das Wort abschnitt, langte es Colt. Er stand auf und verpasste im Vorbeigehen seinem neuen Kameraden einen Tritt gegen’s Schienbein: „Halt einfach mal den Rand! Dich hat keiner gefragt. Nachdem sich Martin lieber hundert Kilo auf die Rippen futtern würde, als mir zu antworten, geh ich jetzt den Betreffenden selber fragen!“, seine Augen funkelten auf April hinab: „Und nein, Prinzessin, damit bist mal ausnahmsweise nicht du gemeint. Obwohl ich davon ausgehe, dass die ganze Show hier auch was mit dir zu tun hat.“ Nun sprang April ebenfalls auf. Bisher hatte sie zu allem geschwiegen, hatte die beiden spekulieren lassen, aber nun war Colt auf sie losgegangen. Tränen stiegen in ihre Augen, sie hatte keinen guten Tag und Colts Worte hatten sie hart getroffen. Sie hatten sie aber auch daran erinnert, wer hier wem den Laufpass gegeben hatte. Genervt und auch von der Situation überfordert stapfte sie an Colt und den anderen vorbei: „Glaub mir. Seit heute Vormittag bin ich bestimmt nicht mehr der Grund für den Zirkus hier.“ „Ist mir egal, wer hier für was oder auch nicht verantwortlich ist! Ich wäre schon dankbar, wenn ich mal wissen würde, was hier überhaupt los ist. Und das werde ich unseren Krümel jetzt auch fragen gehen“, entschlossen trat der Cowboy den Weg an. Durch die beiden Star Sheriffs waren auch einige Crewmitglieder der Air Strike Base auf die Unterhaltung aufmerksam geworden. Stan und Oliver kamen zu Alessandro und Martin an den Tisch. Der Schwede klemmte seine Sonnenbrille in den T-Shirt-Ausschnitt und Oliver verschränkte abwartend die Hände vor der Brust. Er wollte Antworten: „Was ist denn hier eigentlich los?“ Martin wollte gerade antworten, doch Alessandro stieß den Zeigefinger gegen dessen Brust: „Das kann ich dir sagen, Oli! Euer kleiner Captain ist ein gewaltiger Armleuchter.“ Nun hielt Martin Alessandros Hand fest, mit der er eben noch auf ihn gezeigt hatte. Harsch knurrte er ihn an: „Das kannst du nicht beurteilen. Wir beide kennen jeweils nur einen Teil der Geschichte. Allerdings habe ich mir im Gegensatz zu dir die Mühe gemacht, auch die zweite Version zu hören. Und ich kann dir sagen: Gefühle sind stärker als der Verstand“, nun blickte er auch zu seinen beiden Kollegen: „Wenn ihr wissen wollt, was los ist, dann müsst ihr hinter dem Hutträger her. Aber mischt euch nicht ein. Und versprecht mir, dass ihr niemanden verurteilt. Denn sonst seid ihr keinen Deut besser, als unser lieber Alex.“ Stan grinste. Er hatte schon die ganze Zeit seine Lauscherchen auf vollem Empfang stehen gehabt und er hatte dabei auch die hübsche Navigatorin im Auge behalten. Er schnalzte mit der Zunge und bedeutete seinen Kompagnons: „Ich glaub, ich höre mir lieber aus erster Hand an, wieso sich die Ramrodcrew mit unserem Captain ein kleines Scharmützel liefert. Ihr könnt gerne mitgehen, wenn ihr genauso neugierig seid wie ich.“ Mit diesen Worten bildete eine Karawane zum Büro des Captains. Colt ging mit einigem Abstand voraus, dahinter folgte eine kleine Gruppe bestehend aus Stan, Oliver, Martin und Alessandro. Bis auf Martin wollten alle wissen, was gerade schief ging. Der Brasilianer wollte eigentlich nur das Sicherheitspolster für den Captain sein. Niemand würde gerne so einer Meute Rede und Antwort stehen ohne zumindest jemanden in seiner Nähe zu wissen, der ihn unterstützen würde. Vor der angelehnten Bürotür kam die Gruppe zu stehen. Ohne es gesondert einfordern zu müssen, bekamen sie nun Antworten auf alle ihre Fragen, denn sie konnten das Gespräch zwischen Saber und Fireball belauschen. Colt stieß Alex noch einmal in die Rippen, warf ihm einen drohenden Blick zu und forderte ihn so unausgesprochen auf, den Mund zu halten und zuzuhören. Die Männer drückten sich leise und so nah wie möglich an die Tür, jeder wollte hören können, was dort besprochen wurde. Allem Anschein nach kamen sie gerade zur rechten Zeit. Niemandem kam der Gedanke, dass April in eine andere Richtung marschiert war. „Solchen Mist hab ich noch nie zuvor im meinem Leben verzapft, Saber. Und hey, du kennst mich gut genug um zu wissen, was ich schon alles verbrochen habe“, Fireball versuchte, einen geeigneten Einstieg zu finden. Er wollte sich eher behutsam daran tasten, nicht um Saber zu schonen, viel mehr, weil er sich selbst nach wie vor nicht recht eingestehen wollte, was die letzten Monate gelaufen war. Fireball wartete Sabers verstehendes Lächeln ab, ehe es dann doch platt formuliert über seine Lippen fand: „April und ich werden uns eine Zeit lang nicht mehr sehen. Wir..“ Saber kam nicht umhin zu schmunzeln. Er blinzelte schnell den Schalk, den auch der Recke durchaus besaß, fort und unterbrach den Rennfahrer: „Tut mir leid, Fireball. Ich sehe zu vorher nicht viel Unterschied. April und du, ihr seht euch schon eine ganze Weile nicht mehr. Liegt es an deinem neuen Herzblatt?“ Verwirrt verzog Fireball daraufhin das Gesicht. Herzblatt? Neu? Er blickte zur Decke auf und dachte angestrengt darüber nach, wie Saber auf eine andere Frau kommen könnte. Fireball hatte ihm oder auch Colt doch nie so etwas in der Art erzählt. Weshalb hätte er das auch machen sollen, immerhin hatte er keine andere Frau in seinem Leben. Verzwickt kniff der Pilot die Lippen aufeinander, ehe er unschuldig fragte: „Welches Herzblatt?“ Saber richtete sich in seinem Stuhl auf. Entweder hatte er da etwas falsch verstanden oder aber Fireball war es peinlich, darüber zu reden. Er strich sich die Haare nach hinten, ehe er aufstand. Saber konnte nicht still sitzen, er verbrachte seiner Meinung nach schon genug Zeit auf Ramrod mit Sitzen, er war froh, wenn er ein paar Schritte aufstehen konnte. Während er vom Schreibtisch aufstand, ließ er Fireball allerdings nicht aus den Augen. Er fasste die Fakten für sich noch einmal laut zusammen: „Also, ich bemerke: Bei Aprils und deiner Freundschaft ist neuerdings der Wurm drinnen. Ihr seht euch kaum mehr und sprecht nicht miteinander. Du hast mir vor einigen Monaten mal erzählt, dass du ein Mädchen toll findest, das sich aber nicht für dich interessiert, weil du nie pünktlich aus dem Laden hier rauskommst. Da die beiden Tatsachen zeitlich in einem sehr engen Zeitfenster liegen, dachte ich, das eine hat mit dem anderen was zu tun. Vor allem, weil wir alle wissen, wie April manchmal auf Frauen in deiner Gegenwart reagiert.“ Dem Piloten entgleisten alle Gesichtszüge. Er wäre nie im Leben auf die Idee gekommen, dass aus seiner Notlüge damals eine solche Story wurde. Fireball fiel bei Sabers Worten beinahe vom Stuhl. Deswegen stand auch er auf und ging um den Schreibtisch herum. Oh Himmel, das machte es ihm nicht einfacher zu beichten, dass er die Beziehung mit April in den Sand gesetzt hatte! Mit einem verzwickten Gesichtsausdruck versuchte er Saber zu erklären: „Das andere Mädchen, Saber… Hör mal“, betrübt blickte er zu Boden, er konnte dem Schotten dabei nicht in die Augen sehen: „Das war auch April. Ich meine, es war immer April. Wir haben uns heimlich getroffen, hatten ein Verhältnis. Wir haben niemanden eingeweiht, weil wir keinen von euch in eine Zwickmühle bringen wollten. Aber es hat uns unsere Freundschaft gekostet. Im Endeffekt hat es uns alles gekostet. Saber, ich erzähle es dir, weil ich möchte, dass zumindest einer auf Ramrod April trösten kann. Es geht ihr verständlicherweise schlecht damit. Schon die ganze Zeit über…“ Seine Stimme war immer leiser geworden, einmal auszusprechen, wie es April ging, verdeutlichte Fireball erst, was er die letzten Monate nicht nur sich selbst angetan hatte. Draußen war allen Beteiligten für einen Augenblick der Atem still gestanden. Danach jedoch hatten die Reaktionen nicht unterschiedlicher ausfallen können. Martin und auch Colt hatten alle Hände voll damit zu tun, Alessandro und Stan den Mund zu zu halten. Oliver stand mit verschränkten Armen gegen die Wand gelehnt da und schüttelte in einer Tour den Kopf. So einen Bockmist konnte nur ein junger Mensch verzapfen. Wäre der Pimpf namens Captain auch nur ein wenig älter und reifer, dann hätte es gar nicht erst so weit kommen müssen. Oliver war klar, dass der kleine Asiate strikt zwischen Arbeit und Vergnügen getrennt hatte, deswegen kam der Kroate auch gar nicht erst auf den Gedanken, ihm deswegen böse zu sein. Aber auch so war es einfach nur Blödsinn, was Fireball da gemacht hatte. Gefühle hin oder her, so was konnte dem besten Piloten ab und an passieren und der kleine Dreikäsehoch hätte sich keinen Zacken aus dem Krönchen gebrochen, hätte er gleich was gesagt. Der Kroate brauchte kein Hellseher zu sein um zu wissen, dass nicht nur April Trost brauchen konnte. Oliver war vielleicht groß und schlaksig und wirkte nicht wie jemand, der auch mal auf sein Herz hörte, aber er war Manns genug um zu wissen, wann man richtig handeln sollte. Selbst er wusste, dass man in diesem einen Fall ganz besonders auf sein Herz hören sollte. Oliver stieß sich ab und lugte über die anderen ins Büro hinein. Kein Zweifel, seine Vermutung bestätigte sich. Oli nickte den Jungs wohl wissend zu und zog dann einfach Stan mit sich. Der blonde Schwede konnte seine Emotionen gerade schlecht im Zaum halten und wenn er schon unanständig laut werden musste, dann doch bitte im Pausenraum im Hangar unten. Tatsächlich wollte Stan schon lospoltern, hätte Colt ihm nicht einfach den Mund zugehalten. Der Schwede musste seiner Fassungslosigkeit ein Ventil verschaffen. Fassungslos war Stanley deswegen, weil er einfach nicht geglaubt hätte, dass der kleine Frechdachs ein Nümmerchen mit der heißesten Blondine des Oberkommandos schob und niemanden etwas davon wissen ließ. Zum einen das und zum anderen natürlich auch, weil er eigentlich auch sowas wie Stolz empfand. Immerhin hatte seine Mannschaft von Anfang an versucht, ihn aus der Base zu ekeln, und Fireball hatte sich trotz der ersten Schwierigkeiten dafür entschieden, um jeden Preis in der Base bleiben zu können. Stanley mochte zwar vorlaut und ungehobelt sein, aber er war nicht blöd. Immerhin hatte er sich die Regeln schon das ein oder andere Mal anhören müssen, einige Passagen blieben da zwangsläufig im Kopf hängen. Mit aufgerissenen Augen wurde Stan von Oliver nach unten gezogen. Alessandro konnte noch vom Glück im Unglück sprechen, dass Martin ihm den Mund verboten hatte, sonst hätte ihm nämlich Colt sein Sprachrohr zugehalten und bei der Liebe, die die beiden Arbeitskollegen von Ramrod gerade füreinander empfanden, hätte es passieren können, dass Alex nicht nur der Mund sondern auch die Nase verschlossen wurde. Der Italiener funkelte durch den Türspalt ins Büro hinein. Kein Wort glaubte er dem Wuschelkopf im roten Kampfanzug! Alles, was der gerade bei Saber betrieb, nannte sich vorsorgliche Schadensbegrenzung. Alex hatte April in den letzten Monaten so oft weinen gesehen, sie beinahe jedes Mal wieder trösten müssen, wenn sie von Yuma aus zu neuen Abenteuern gestartet waren. Niemals hatte sie ihm erzählt, dass sich Fireball mal bei ihr gemeldet hätte, mit ihr hatte sprechen wollen. In Alex Augen hatte sich Fireball dann lieber wieder der Hasenjagd zugewandt. Als er verächtlich schnaubte, stupste Martin den Italiener leicht an und bedeutete ihm, wieder runter zu kommen. Martin kannte die Geschichte und deren Ausgang bereits. Und allem Anschein nach war er der einzige, das hatte er an der Reaktion seiner Kollegen und der von Fireballs und Aprils Freunden deutlich erkennen können. Martin war eigentlich ganz froh, dass er nun kein Staatsgeheimnis mehr hüten musste, allerdings war er sich noch nicht im Klaren darüber, welche Konsequenzen in absehbarer Zeit auf sie zurollen würden. Der Brasilianer bezweifelte zwar, dass es Fireball nach seiner Beichte besser gehen würde, aber immerhin konnte der Wirbelwind nun auch Colt mal abends anrufen und mit ihm plaudern. Apropos Colt. Martin warf einen Blick auf den Scharfschützen Ramrods. Besagter Scharfschütze ließ seine Hand sinken, als Stan und Oliver vorerst die Kurve machten. Seine Schultern sanken merklich nach unten und die linke Hand ballte sich zur Faust. Er hatte es geahnt. Eigentlich hatte er es gewusst, aber er Hornochse hatte den Dingen einfach ihren Lauf nehmen lassen! Colts Augen funkelten, er hatte doch immer gewusst, dass Fireball und April den Schubs in die richtige Richtung brauchten, und er war nicht da gewesen, um ihnen den zu geben. Nein, er hatte keine Zeit dafür gehabt, um ein Auge auf seinen kleinen Bruder zu werfen, weil er zu Frau und Kind nachhause hatte müssen. Colt ärgerte sich maßlos. Und zwar über sich selbst. Es war zwar völliger Schwachsinn, dennoch hatte er das Gefühl, es wäre seine Schuld, dass das zwischen seinem besten Freund und seiner Freundin gehörig in die Hose gegangen war. Er hätte Aprils Anspielungen an Bord von Ramrod besser verstehen müssen, er hätte manchmal alleine mit Fireball auf ein Bier gehen sollen, aber das hatte er nicht. Und jetzt hatten sie den Salat. Wie sollten sie denn alle Freunde bleiben, wenn April und der Rennfahrer sich nicht mehr sehen wollten? Colt schluckte schwer. Wäre ihr kleiner Buggyfahrer doch nie versetzt worden! Sie hatten es schwer genug auf dieser bescheuerten Reise gehabt, sie hätten keine Versetzung mehr gebraucht. Colt sah sich in all seinen Befürchtungen, die er anfangs bei Fireballs Versetzung gehegt hatte, bestätigt. Saber blinzelte zur Tür hinüber, er hatte das eigenartige Gefühl gehabt, jemand würde sie anstarren. Aber er konnte niemanden ausmachen, er musste es sich eingebildet haben. Also wandte er sich wieder der armseligen Gestalt von Rennfahrer zu, die da gerade mit hängendem Kopf neben ihm stand. Saber ließ sich Fireballs Worte sehr genau durch den Kopf gehen, ehe er sich ein Urteil bildete. Aber mit den wenigen Sätzen konnte er das gar nicht. Völlig wertfrei holte Saber noch einige Informationen bei seinem jüngeren Kollegen und Freund ein. Der Schotte hatte seit der letzten Mission eigentlich einen ziemlich guten Draht zu Fireball, sie waren noch an Bord mehr Vertraute als Kollegen gewesen. Zumindest hatte Saber das gedacht. Aber er hatte auch gewusst, noch von ihrem letzten gemeinsamen Urlaub in Japan, der Saber seltsamerweise extrem gut im Vergleich zu anderen Erinnerungen der unveränderten Vergangenheit im Gedächtnis geblieben war, dass Fireball über Familien- und Herzensangelegenheiten nicht sprach. Als Saber ziemlich alle Details erfahren hatte, die ihm für ein Urteil als wichtig erschienen, wollte er nur noch wissen: „Shinji?“ Seine dunklen Augen spähten zu Saber hinüber: „Hm?“ „Eine Frage noch. Und bitte eine ehrliche Antwort“, obwohl er nicht ernsthaft selbst glaubte, dass Fireball unehrlich war, so hatte Saber den Zusatz dennoch angebracht. Eine Weile schwieg Saber, er suchte nach einer guten und treffenden Formulierung: „Hast du sie eigentlich gern?“ „Wie meinst du das ‚gern‘?“, Fireballs Augenbrauen schossen fragend in die Höhe. „Wenn du mit ja oder nein nicht antworten kannst, dann versuch mir zu erklären, wie gern du April hast“, forderte Saber den ratlosen Freund auf, verkniff sich dabei jedoch sein kleines Schmunzeln. Fireballs Glänzen in seinen Augen und die roten Ohren, die zwischen der zerzausten Frisur hervorlugten, hatten Saber bereits die Antwort gegeben. Fireball biss sich indes auf die Unterlippe und überlegte. Er wandte den Blick von Saber ab und ging zum Fenster. Seine Stirn legte er an die kalte Fensterscheibe während seine Augen auf das Gelände unter ihm sahen. Leise seufzte er und schloss die Augen. Er brauchte nur die Augen zu schließen, dann sah er die frechen blauen Augen vor sich, die Lippen, die ihn immerzu neckten und die Hände, deren Berührungen ihn niemals kalt gelassen hatten. Er sah Aprils Antlitz vor sich, wie sie ihn Turbofreak nannte, und er sah auch ihr Gesicht vor sich, wie er es gesehen hatte, nachdem seine Seele auf Wanderung gewesen war. „Ich hab sie so gern, dass ich nicht aufhören kann, an sie zu denken, wenn sie mit Ramrod unterwegs ist. So gern, dass ich sie am liebsten nicht mehr gehen lassen möchte, wenn sie wieder kommt. Ich möchte sie bei mir wissen, jeden Tag, jede Stunde, jede Minute meines Lebens. So wie auf Ramrod. Ich möchte mich nicht mit ihr verstecken müssen, nur weil es verboten ist und wir beide unseren Job verlieren würden, wenn es jemand rausfindet. Jedes Mal wieder zu sehen, wie ich ihr damit das Herz breche, zermürbt mich. Ich will sie nicht gehen lassen, auch wenn ich sie heute frei gelassen habe. Nur mit ihr bin ich ein Ganzes.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)