Ta Sho von Turbofreak (erste Schritte) ================================================================================ Kapitel 10: The sun will shine tomorrow --------------------------------------- Den Sonnenaufgang verbrachte Fireball an diesem Morgen auf dem Militärfriedhof. So schnell war die Zeit vergangen, wieder jährte sich der erste Angriff der Outrider in der menschlichen Dimension ein weiteres Mal. Wie im Jahr davor war es ein herrlicher Sommermorgen, die aufgehende Sonne tauchte alles in rot-oranges Licht. Fireball legte ein paar Blumen an das Kriegerdenkmal und setzte sich anschließend auf die Bank daneben. In diesem Jahr hatte sich viel für den Wirbelwind geändert. Er war in eine andere Einheit versetzt worden, hatte neue Bekannte und Freunde gefunden, war umgezogen und hatte Altes hinter sich gelassen. Gedanklich zog Fireball Bilanz. Hart und steinig war der Weg im letzten Jahr vermehrt gewesen, aber er hatte selbst in Zeiten größter Not immer jemanden an seiner Seite gehabt, der ihn unterstützt hatte. Oder ihm auch mal einen Tritt in den Allerwertesten verpasst hatte, wenn es die Lage erforderte. Dafür war er dankbar. Große Veränderungen waren es gewesen, manches hatte Fireball schwer akzeptieren können, aber das hatte er mittlerweile. Ein dreiviertel Jahr hatte es gedauert, bis er endlich eingesehen hatte, dass er den Namen nicht zu Unrecht trug und dass er der Aufgabe gewachsen war, in die ihn Commander Eagle mit der Versetzung zur Air Strike Base 1 gestoßen hatte. Fireball hatte sich diesbezüglich in sein Schicksal gefügt und kam damit gut klar. Nur leider hatte er auch etwas in diesem Jahr verloren. Fireball strich sich nachdenklich die Haare aus der Stirn, während er an April dachte. Ihre Beziehung hatte realistisch betrachtet nie eine Chance gehabt, aber was half Realismus dem Herzen? Fireball war klar, dass die Beziehung zu April unter den falschen Voraussetzungen begonnen hatte, zur falschen Zeit. Das hatte sie nicht nur ihre Liebe, sondern auch ihre Freundschaft gekostet. April hatte seit jenem Tag im Büro, als sie sich für eine Trennung entschieden hatten und Fireball es Saber erzählt hatte, um Abbruch des Kontakts gebeten. Er hatte sich taktvoll daran gehalten, auch wenn er sie nach wie vor vermisste. Zeit würde auch diese Wunden heilen, ganz bestimmt auch bei April irgendwann. Der Japaner blickte zum Hangar hinab. Unmittelbar stahl sich ein leichtes Lächeln über seine Lippen. Der Chaotenhaufen da unten! Und er war mittendrin. Oder besser: vorne dran. Der Oberchaot der Chaoten! Amüsiert über seine Gedanken schüttelte Fireball den Kopf. Da war er ordentlich wo reingeraten, oh Mann. In ein Wolfsrudel, das sagten zumindest seine Leute. Aber manchmal waren sie doch eher ein Kindergarten, mehr nicht. Fireball grinste vor sich hin, als er daran dachte, dass er Stan beinahe ein halbes Jahr mit der Anmeldung zu den Militärflugbewerben hatte hinhalten können. Für diesen Spaß hatte er danach noch bitter bezahlen müssen. Stanley hatte ihn, als er endlich mit der gültigen Anmeldung rausgerückt war, zum Trainingspartner zwangsverpflichtet. Aber, entgegen aller Behauptungen und Befürchtungen von offizieller Seite hatte sich Stan bei den Bewerben auffällig gut verhalten und auch die eine oder andere Auszeichnung nachhause gebracht. In diesem Jahr hatte Fireball seinem Schwedenbrot die Anmeldung schon frühzeitig bestätigt, er brauchte immerhin kein Druckmittel mehr um Stan zur Pünktlichkeit zu bewegen. Jaja, der gute Stan. Fireballs Lächeln wurde milde. So unterkühlt und provokant die Begrüßung seitens des Schwedens zu Beginn auch ausgefallen war, umso herzlicher war der Umgang nun. Nach der Trennung von April hatte Stan ihn öfters mit auf die Piste genommen. Er hatte gemeint, Fireball solle sich gleich wieder in den Sattel schwingen, ein Beziehungsende sei kein Weltuntergang und abgesehen davon war die Zeit viel zu schade, um sie mit nur einer Frau zu verbringen! So manchen Abend hatten sie in einer Bar verbracht, mit hübschen, aber zugegeben ziemlich leicht zu beeindruckenden, Frauen. Sie waren nicht mehr als ein netter Zeitvertreib gewesen, aber nichts von Dauer. Bis auf ein oder zwei Mal waren sie noch nicht einmal etwas für eine gemeinsame Nacht gewesen. Tatsächlich hatte sich Fireball nur ein oder zwei Mal darauf eingelassen, ein Mädchen mit zu sich nachhause zu nehmen. Sein Blick ging Richtung Stadt hinaus. Hatte er eine der Damen überhaupt mal wie versprochen angerufen? Er runzelte die Stirn. Wohl eher weniger. Fireball stand wieder auf. Es war Zeit, in die Arbeit zu gehen. Er hatte bei seinem Vater vorbeigeschaut, und auch bei den anderen Piloten, denen hier ein Denkmal gesetzt worden war. Wobei er seinen Vater nicht besuchen müsste, immerhin trug er ihn immer bei sich. Sein Dad war ein Teil von ihm, gehörte zu seinem Leben wie alles andere in seiner Vergangenheit auch. Mit einem wohlwissenden Blick machte er sich auf den Weg ins Büro. Fireball brauchte noch einen schnellen Kaffee, bevor er sich in die Arbeit stürzte. Aus dem in die Arbeit stürzen wurde nichts. Denn als Fireball mit der randvollen großen Kaffeetasse in sein Büro kam, stand dort etwas auf dem Tisch. Verwundert stellte der Japaner seine Tasse ab und begutachtete sein Geschenk. Jemand hatte ihm einen leckeren Cupcake auf den Tisch gestellt. Das schwarze Gebäckstück duftete herrlich frisch nach dunkler Schokolade, auf der hellblauen Zuckerglasur grinste ihm ein Flugzeug entgegen. Fireball grübelte, wer ihm diese kleine Nervennahrung wohl da gelassen haben könnte. Der sah zum Hineinbeißen aus, war aber eigentlich viel zu schade dafür. Sein Blick fiel auf einen Umschlag, auf dem der Cupcake gestanden hatte. Ob der wohl einen Hinweis auf den Gönner dieser Köstlichkeit enthielt? Fireball setzte sich, während er neugierig das Kuvert öffnete. Er zog eine schlichte Karte heraus. „Für jemand Besonderen“ stand dort aufgedruckt. Im Inneren hatte jemand seine Widmung mit den Worten „Happy Birthday, Turbo“ hinterlassen. Drei kleine Worte waren es, doch er wusste sofort, wer hier die gute Fee gewesen war. Nur eine ganz bestimmte Person nannte ihn Turbo. Sofort sprang er auf und rannte aus dem Büro. Diese Aufforderung nützte er, solange sie es sich noch nicht anders überlegt hatte. So lange hatte Funkstille geherrscht, auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin und er hatte sich daran gehalten. Nun gab sie ihm das Zeichen, sich wieder zu melden und das würde der Hitzkopf auch machen. Fireball wusste, wie April diese Karte gemeint hatte, er kannte sie. Zu seinem Geburtstag hatte sie sich dieses Jahr nicht gemeldet, aufgrund ihres Kontaktabbruchs, aber an diesem besonderen Tag hinterließ sie ihm eine Botschaft. Er lief so schnell über das Gelände des Oberkommandos, dass er nicht einmal die Zeit hatte, bekannte Gesichter zu grüßen. Schnaubend kam er schließlich auf Ramrod an. Fireball stürzte in die Küche: „Ist sie da?“ „Was ist denn das für eine Art, einen Raum zu betreten?“, Saber sah verwirrt und auch ein wenig empört von seinem Frühstück auf. Er hatte sich so mühsam an die ruhigen Morgen ohne Fireball gewöhnt und nun polterte der Geist hier ohne Vorankündigung herein. Nicht einmal klopfen konnte er. Colt hob kurz den Hut vom Kopf, ehe er verschwörerisch zu Alessandro zwinkerte: „Piloten haben überhaupt keinen Funken Anstand.“ Alessandro hob lediglich beiläufig die Hand, Colts Pilotensprüche prallten an dem Italiener ab, wie Wasser an einer Lotusblüte. „Dir auch einen guten Morgen, Shinji!“, begrüßte er den Neuankömmling. „Ja, guten Morgen allerseits“, brummte Fireball ungeduldig eine Begrüßung. Er wollte nicht zu seinen Kumpels, er musste unbedingt zu April, deswegen erkundigte er sich nochmal: „Ist April da?“ Colt schüttelte den Kopf: „Du siehst doch, dass sie nicht da ist. Also kannst du dich ruhig setzen und mit uns frühstücken.“ In den seltensten Fällen war Fireball seit ihrer Trennung zu Ramrod gekommen, weil er April aus dem Weg gehen wollte. Deswegen kam Colt auch nicht im Geringsten auf die Idee, dass sein kleiner Hombre an diesem Tag unbedingt zu April wollte. Er bot ihm einen freien Platz an und schob die Kaffeekanne hinüber: „Tassen sind im Schrank, wo sie immer waren.“ Ungeduldig wippte Fireball im Türrahmen vor und zurück: „Nein, nein! Ich will nicht zu euch. Ich muss zu April! Wo ist sie?“ „Ich halte das für keine gute Idee“, Saber stand die Skepsis ins Gesicht geschrieben. Trotzdem gab er dem Japaner Auskunft. Er hatte das Gefühl, es wäre für die Zukunft wichtig. Ohne Gruß stob der Pilot auch schon wieder davon, kaum hatte er den genauen Aufenthaltsort von April. Colt und Alex sahen sich kopfschüttelnd an, während Saber die Augen rollte: „Manchmal ist er einfach nur wie ein Wirbelsturm. Fegt herein ohne Vorankündigung, richtet Chaos an und verschwindet mindestens ebenso schnell, wie er aufgetaucht ist“, der Schotte schüttelte ungläubig den Kopf: „Man fasst es nicht.“ Ungeduldig und zappelig klopfte er an ihre Zimmertür. Ständig wechselte er das Standbein, sein Herz pochte wie wild vor lauter Anspannung, was gleich passieren würde. Aber Fireball war nicht unangenehm nervös. Nein, es war schlicht und ergreifend Vorfreude, die ihn hibbelig werden ließ. Er wusste, es war ein guter Tag, immerhin hatte er schon gut und mit leuchtend rotem Himmel über Yuma begonnen. Alles würde sich einrenken. „April? Bist du da?“, wieder klopfte er gegen die geschlossene Tür. Als sie ihm nicht antwortete, öffnete er die Tür und steckte den Kopf ins Zimmer: „Kann ich reinkommen?“ Offenbar war April nicht mehr im Zimmer, aber Saber und die anderen beiden hatten ihm doch gesagt, sie wäre sich fertig machen gegangen. Fireball verbannte die nervigen Haare aus der Stirn und schloss nach dem Eintreten die Tür. Vielleicht war sie ihm Bad und hatte sein Klopfen nicht gehört. Taktvoller wäre es sicherlich gewesen, wenn er April später noch einmal aufgesucht hätte, aber bis dahin wäre er wahrscheinlich geplatzt. Geplatzt deswegen, weil er ihr so viel erzählen wollte, und sie wiedersehen wollte. Fireball wollte doch nur zu ihr! Angezogen, allerdings mit den Haaren in ein Handtuch gewickelt, erschien April kurz darauf in ihrem Zimmer. Wie vermutet war sie im Bad gewesen. Leise war sie eingetreten und beobachtete nun Fireball. Lange hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Und seit ihrem letzten Zusammentreffen hatte sich einiges geändert. Auch für April. Sie war reifer geworden, hatte wieder zu sich selbst gefunden. Die Beziehung zu Fireball war reines Gift für sie gewesen. Die junge Frau war in den letzten Monaten wieder fröhlicher geworden, aber dennoch hatte sie stetig bemerkt, dass ihr etwas immer fehlte. Der Abstand zu Fireball hatte ihr gut getan, diese konsequente Trennung war heilend gewesen. Aber nun begann die Distanz wieder ins Gegenteil umzuschlagen. April musterte Fireball mit offenen, wachen Augen. Es war an der Zeit, alles zu klären und eventuell die Zukunft wieder gemeinsam zu gestalten. Sie sah auf seine Gestalt, wie er unruhig wieder in den Raum hinein nach ihr fragte. April entschied sich dafür, ihn zu erlösen. Leise trat sie ebenfalls in das Zimmer. Mit verschränkten Armen begrüßte sie ihn: „Anstand hast du immer noch keinen, Shinji.“ Augenblicklich fuhr er zu ihr herum und stammelte: „Ja… Nein… Ich meine, ist gar nicht wahr. Ich hab geklopft!“, verteidigte er sich sogleich. Seine Augen blieben an April haften, auch wenn ihm Aprils Begrüßung kurzfristig den Wind aus den Segeln genommen hatte. Wollte sie ihn gar nicht sehen? „Ich hab’s nicht gehört“, nun lächelte April. Es war ihr nicht unangenehm, mit Fireball in einem Raum zu sein. Das war vor einigen Monaten noch anders gewesen. Das Versteckspiel, die Schwierigkeiten und offenbar auch die Missverständnisse zwischen ihnen hatten der Vertrautheit schwer zugesetzt. April ging an Fireball vorbei und setzte sich aufs Bett. Sie entknotete das Handtuch und begann, ihre Haare trocken zu kneten. Dabei wollte sie leise von Fireball wissen: „Hast du den kleinen Gruß schon verdrückt? Hat er dir geschmeckt?“ Fireball hatte Recht behalten. Es war April gewesen, die ihm zum ‚Geburtstag‘ gratuliert hatte. Nur eine Person nannte ihn Turbo. Und diese saß vor ihm, so schön wie eh und je und doch war alles anders. Er fühlte sich zu ihr hingezogen, mehr noch als je zuvor. Leicht schüttelte Fireball den Kopf: „Nein, er ist noch ganz. Aber danke für die Aufmerksamkeit. Ich hab mich darüber gefreut“, leise fügte er hinzu: „Kann ich mit dir reden?“ April sah von ihrem Tun auf, direkt in seine braunen Augen. Unweigerlich umspielte ihre Lippen ein zärtliches Lächeln. Es war kaum mehr als ein Hauch, aber genug, um genau diesen einen Mann um den Verstand zu bringen. Unachtsam ließ sie das Handtuch auf den Boden fallen. Ihre noch nassen Haare umspielten strähnig ihr Gesicht. Mit einer einzigen Handbewegung streifte sie ihre langen blonden Haare hinter die rechte Schulter. April zog ihre Beine auf das Bett. Sie musterte Fireball und ihr Lächeln wurde zärtlicher. Versonnen und warm. So hatte sie Fireball schon lange nicht mehr erlebt. Nichts ließ den unterkühlten Hitzkopf des vergangenen Jahres vermuten. Im Gegenteil. April bemerkte die alte Ungeduld und sein loderndes Feuer der Leidenschaft in ihm. Die Ungeduld hätte wohl auch jeder andere bemerkt, immerhin tänzelte der Japaner seit geraumer Zeit von einen Fuß auf den anderen. Das Feuer lag da schon besser verborgen. April neigte den Kopf zur Seite, blickte nun offensichtlich auf seine Füße und wollte wissen: „Holst du grad deinen Morgenspaziergang nach, oder willst du mir Furchen in den Boden hier ziehen?“ „Nein… äh“, augenblicklich zwang sich Fireball dazu, still zu stehen. Das sollte ihm eigentlich nicht so schwer fallen, immerhin musste er mit seiner Crew öfters in Reih und Glied stehen. Aber da war nie jemand anwesend, der ihn beinahe um den Verstand brachte. Er wusste nicht, wo er beginnen sollte, alles erschien ihm gleich wichtig, weil er es ohnehin schon zu lange aufgeschoben hatte. Bis ihm die nüchterne Erkenntnis betroffen den Blick senken ließ: „Egal, wo ich jetzt anfange. Ich habe nicht genug Zeit, um über alles mit dir zu reden“, genervt fuhr er sich durch die Haare und sah wieder auf. Sein Seufzen war kaum zu überhören: „Dabei wollte ich es dieses Mal richtig anstellen.“ April klopfte mit der rechten Hand sachte auf das Bett, dirigierte so den Wuschelkopf neben sich. Milde lächelnd legte sie ihre Hand auf seinen Oberschenkel, nachdem er sich gesetzt hatte: „Du denkst manchmal nicht bis zum Ende. Grade die wichtigen Sachen offenbar nicht.“ Kaum saß der Pilot auf ihrem Bett, ließ er sich rittlings nach hinten sinken und brummte: „Ich weiß. Ich bin schon so ein selten dämlicher Hornochse.“ „Das kann schon sein“, April hatte nicht vor ihm zu widersprechen. Schließlich hielt sie den Captain selbst so manches Mal für einen Idioten. Wie oft hatte sie ihn im vergangenen Jahr verflucht und ihn gehasst? Und wie oft hatte sie geweint, hatte von Alex getröstet werden müssen, nur weil sie die Zuneigung, die sie sich von Fireball gewünscht hatte, nie erhalten hatte? April lehnte sich nach hinten, damit sie Fireballs Mimik weiterhin beobachten konnte. Offenbar hatte ihm der Abstand zur Vergangenheit nun gut getan. April hatte irgendwann bemerkt, dass niemand sich auf eine Beziehung einlassen konnte, wenn er mit sich selbst nicht im Reinen war. Schließlich zog April den Japaner wieder vom Bett hoch und ermahnte ihn: „Das ist immer noch mein Bett, Turbo. Und darin schlafe nur ich.“ Fireball warf noch einen Blick zurück. Das war einmal anders gewesen. Bevor Ramrod wieder im Jahr 2086 gelandet war, hatten sie zusammen eine Nacht in diesem Bett verbracht. Das war vor ziemlich genau einundzwanzig Jahren gewesen, oder auch vor einem Jahr. Über seine eigenen Gedanken verwirrt, runzelte Fireball die Stirn. Danach sah er wieder in Aprils Gesicht. Ihr schelmischer und auch tadelnder Blick erinnerte ihn schlagartig wieder daran, weshalb er denn eigentlich hier war. Es war ein guter Tag. Es war sein eigentlicher Geburtstag. Fireball fasste sich ein Herz und stand auf: „Ja, das ist dein Bett. Hör mal. Ich wollte dich sehen, mit dir reden. Aber ich sollte zum Dienst. Diesbezüglich gibt es jetzt nur zwei Optionen“, er begann an der Hand aufzuzählen: „Option A: Du kommst heute Abend zu mir. Ich lade dich zuhause zum Essen ein. Wir trinken ein Glas Wein zusammen und wir reden. Oder Option B: Ich nehme mir frei und wir gehen frühstücken.“ Verwundert verzog nun April das Gesicht. Würde er wirklich die Arbeit liegen lassen, wenn sie es wollte? Tatsächlich spielte April mit dem Gedanken, es ihm abzuverlangen. Sie spürte selbst, wie wichtig eine Aussprache für ihre Freundschaft war. Auch, wenn sie als Paar kläglich gescheitert waren, so wollte sie doch nicht glauben, dass sie als Freunde deshalb auch keine Chance mehr hatten. April legte es kurzerhand darauf an, als sie zu keinem brauchbaren Gedanken mehr finden konnte: „Und du zahlst das Frühstück?“ Sein Herz machte einen Sprung und noch ehe April eine Antwort bekam, kramte er sein Telefon heraus und tippte eine Nachricht. Er hatte Martin wissen lassen, dass er sich kurzfristig frei genommen hatte. Mit einem erleichterten Lächeln ließ er April dann wissen: „Ich bezahle, ja.“ April ging noch einmal ins Bad um sich fertig zu machen. Der Pilot gesellte sich währenddessen zu den anderen Jungs in die Küche. Als sich die Tür dieses Mal öffnete, trat ein versonnen lächelnder Japaner hindurch und begrüßte die anderen: „Hey, Leute! Habt ihr was dagegen, wenn ich mich noch ein wenig zu euch setze?“ Während Colt die Kaffeekanne über den Tisch schob und Alex lediglich die Schultern zuckte, wollte Saber nach einem Blick auf die Uhr wissen: „Musst du heute nicht arbeiten?“ „Heute ist ein besonderer Tag. Ich hab mir frei genommen.“ Stirnrunzelnd warf Saber einen weiteren Blick auf seine Uhr, die auch über eine Datumsanzeige verfügte, ehe er verstehend nickte. Es war der Todestag seines Vaters. Der Schotte hatte schon mitfühlend etwas erwidern wollen, doch die Art und Weise, wie Fireball bei ihnen am Tisch saß passte nicht zu diesem besonderen Tag. Colt allerdings klopfte seinem Freund auf die Schulter: „Denk nicht zu viel darüber nach, Hombre. Das bringt sie nicht wieder.“ „Wen bringt es nicht wieder?“, warf Alex nun verständnislos ein. Oh, er hasste es! Jedes Mal, wenn der junge Captain seiner alten Einheit in der Nähe war, verlor er den Faden vollends. Die ehemalige Ramrodcrew unterhielt sich dann über Dinge, die er nicht verstehen konnte, so sehr er sich auch anstrengte. Oft hatte er versucht, seinen Kollegen und mittlerweile auch Freunden dieses Geheimnis zu entlocken. Doch sie schwiegen eisern. Bis heute. Fireball rührte seinen Kaffee um, dabei sah er Alex eindringlich an: „Heute jährt sich der erste Angriff der Outrider zum einundzwanzigsten Mal. Viele tapfere Piloten sind an diesem Tag gestorben, auch mein Vater. Aber es ist auch neue Hoffnung entstanden.“ Saber und Colt blieb beinahe das Herz stehen, als Fireball von sich auch zu erzählen begonnen hatte. Alex war zwar einer von ihnen, vor allem weil er mit April inzwischen sehr gut befreundet war, aber dass gerade Fireball neben ihm über ein solches Thema sprach, verwunderte die beiden enorm. Bisher hatte er selten darüber gesprochen, bis heute noch kein einziges Mal darüber, was an jenem Tag damals auf Ramrod passiert war, als Saber und Colt Jesse Blue einkassiert hatten. Umso verdutzter starrten sie den Piloten mit dem roten Shirt gerade an. Alex jedoch hatte die Bedeutung der Worte erwartungsgemäß nicht verstanden. Ihm war lediglich eines klar: „Manchmal glaub ich wirklich, dass ihr in der Vergangenheit feststeckt.“ Diesen Eindruck bekam der Italiener häufiger. Er war schon einige Male in Gespräche geplatzt, in denen es um den ersten Angriff damals gegangen war und jedes Mal, wenn seine Freunde ihn bemerkt hatten, hatten sie schnell das Thema gewechselt. Manchmal hatte es verdammt nach Verschwörung gerochen. Während sich Colt und Saber erschrocken ansahen, wurde Fireballs Lächeln unendlich milde. Es war an der Zeit, wichtigen Personen in ihrem Umfeld Einblick zu gewähren. Für die Ramrodcrew war dies auch extrem wichtig. Kaum eine Mannschaft arbeitete und lebte so eng zusammen, wie die vier. Sie sollten einander vertrauen können. Nur war das für Alex manchmal nicht so einfach, weil er instinktiv spürte, dass sie ihn nicht in alle Geheimnisse einweihten. Fireball beschloss, dem nun ein Ende zu bereiten: „Du triffst beinahe so zielsicher ins Schwarze, wie Colt“, er sah zu Saber und Colt hinüber, nickte ihnen entschlossen zu, ehe er fortfuhr: „Wir sollten dir mal erzählen, was wirklich passiert ist, als wir für tot erklärt wurden. Aber du musst uns versprechen, dass du es nicht rumtratscht.“ Alex konnte sich nicht in seinen kühnsten Träumen ausmalen, was er gleich zu hören bekommen würde. Wie denn auch? Abwartend lehnte sich der Italiener zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. Abschätzig gab er vor: „Was soll denn schon gewesen sein? Ihr wart auf einem Planeten, von dem ihr nicht wegkonntet. Und dabei hast du“, er betonte dieses Wort schärfer als die anderen und bedachte dabei vor allem Fireball mit einem bösen Blick: „etwas mit der süßen Prinzessin angefangen.“ Fireball atmete tief durch, vergewisserte sich unnötigerweise auch noch einmal bei Saber und Colt, ehe er begann, Alex ihre unglaubliche Geschichte zu erzählen. Währenddessen kam auch April zu den Jungs in die Küche. Als sie die andächtige Stimmung wahrnahm und begriff, wovon hier gesprochen wurde, setzte sich die junge Ingenieurin leise an den Tisch und schmiegte sich an Colt. Aufmerksam hörte sie den Ausführungen des Rennfahrers zu und beobachtete dabei jeden einzelnen ihrer Jungs. Alessandro konnte kaum glauben, was ihm da aufgetischt wurde. Gebannt, überwältigt und auch ungläubig lauschte er der Geschichte. Immer wieder suchte er Aprils Blick, damit sie ihm bestätigte, dass der Bonsai die Wahrheit sagte. Das war doch schwachsinnig! Colts Anspannung bei der Erzählung konnte April sehr gut fühlen, sprang sie doch manchmal auch auf sie über, so dicht saß sie bei ihrem Scharfschützen. Colt wurde zeitweise richtig steif, er hatte es gehasst, untätig auf Ramrod herum zu sitzen und zu hoffen, dass jemand eine Lösung für das Problem fand. Daran wurde er nur ungern erinnert. Und ehrlich gestanden, so hilf- und auch nutzlos wollte sich Colt nie wieder fühlen müssen. Was hatte er zu diesem Abenteuer schon großartiges beizutragen gehabt? Er hatte den Haushalt in Schwung gehalten, was für eine Leistung! Sarkastisch schnaubte Colt bei dem Gedanken. Gleichzeitig hielt er sich aber vor Augen, was er noch damals getan hatte. Nämlich das, was er gerade wieder tat. Er hatte April beigestanden und sich um sie gekümmert. Er blinzelte zu seiner Kollegin hinab. Obwohl sie zwischendurch viel an Alessandro gehangen hatte, kam sie nun des Öfteren auch wieder zu ihm. Das erfüllte Colt irgendwie dann doch wieder mit Stolz. Je weiter Fireballs Erzählung zu der Stelle fortschritt, an dem es pikant wurde, desto öfter warf April einen besorgten Blick zu Saber. Nie hatte er es gesagt, nie hatte er es zugegeben, wenn man ihn darauf angesprochen hatte, aber Saber gab sich die Schuld an Fireballs zeitweisen Verschwinden. Eben jene Gewissensbisse zeichneten Sabers Gesichtsausdruck jetzt wieder. Der Schotte senkte oft den Blick, und linste alle heiligen Zeiten zu Fireball hinüber, ihn stumm um Verzeihung bittend. An dieser Stelle griff April sanft nach Sabers Hand. Sie wollte ihm zeigen, dass niemand ihm die Schuld an den Geschehnissen vor einem Jahr gab, er sollte sich selbst auch keine daran geben. Doch Saber versteckte augenblicklich seine Hände unter dem Tisch. Er sank zusammen und schloss kurz die Augen. So sehr hatte er sich gewünscht, vergessen zu können, aber er bemerkte, dass er lediglich verdrängt hatte. Diese Wochen waren mitunter die schlimmste Belastungsprobe für Saber gewesen, der er sich jemals hatte stellen müssen. Fireballs Worte verdeutlichtem ihm nun, dass er die Verantwortung für jedes einzelne Crewmitglied auf Ramrod trug. Saber unterdrückte seine Ängste und Gewissensbisse so gut er konnte und sah wieder zu seinen Freunden auf. April atmete schwer aus, sie konnte Sabers Gefühle nachvollziehen. Anschließend suchten ihre Augen die beiden anderen Jungs auf. Immer wieder sprang ihr Blick zwischen Fireball und Alessandro hin und her. Während dem Italiener die Verwirrung ins Gesicht geschrieben stand und der sich ständig bei seinen Teamkollegen stumme Bestätigung für das Gesagte holte, war der letzte in der Runde erstaunlich ruhig. Bis zu dem Punkt, als die erste Schlacht ausgebrochen war. Fireball legte die Hände um seine Kaffeetasse und senkte nun zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs die Augen zum Tisch. Etwas leiser als noch zuvor, erzählte er: „Wir haben mitangesehen, wie die erste Schlacht geschlagen wurde. Und ich habe tatenlos dabei zugesehen, wie mein Vater in den Tod geflogen ist“, er atmete tief durch und sah zu seinen Freunden auf: „War nicht ruhmreich, aber wichtig für die weitere Geschichte. Er hat uns die Zeit und den fünfzehn Jahre währenden Frieden verschafft. Jetzt sind wir an der Reihe unser Schicksal zu erfüllen.“ Alex sackte an der Lehne hinab. Völlig überwältigt keuchte er: „Wo ist der Schnaps?“ Er hatte das Gefühl, er säße im falschen Film. Der Rennfahrer für Zwischendurch hatte ihm doch gerade nur irgendwas erzählt. Das alles konnte schlichtweg nicht wahr sein! Er wollte und konnte es teilweise nicht glauben. Seine blauen Augen blickten zu Saber, seinem Boss: „Wer kann mir die Märchenstunde jetzt bestätigen?“ Alle drei nickten, Fireball jedoch deutete nach draußen, ungefähr in die Richtung, in der die Base lag: „Frag in einer ruhigen Minute Martin. Dem hab ich es auch erzählt und der hat die Bestätigung für die Geschichte aus erster Hand. Von einem Zeitzeugen nämlich.“ Der kleingewachsene Japaner stellte seine leere Tasse in die Spüle. Irgendwie fühlte er sich erleichtert, die Ramrodcrew würde in Zukunft mindestens so gut und vertraut zusammen arbeiten, wie sie es damals unter anderer Besetzung gemacht hatten. Er hatte Alex nicht erzählen müssen, dass er die Seele seines Vaters in sich trug. Das hatte er schließlich den anderen dreien so auch noch nie gesagt. Mit einem gelösten Gesichtsausdruck blickte er zum Tisch hinüber. Irgendwann einmal. Irgendwann, wenn es passte und die Situation die richtige war, würde er ihnen sagen, was ihn verändert hatte. Fireball neigte den Kopf zur Tür und forderte April leicht lächelnd auf: „Na, was ist, Süße? Hast du es dir anders überlegt?“ Die Angesprochene sprang auf, griff im Vorbeigehen nach ihrer Handtasche und verabschiedete sich von ihren Jungs. Gefolgt von Fireball verließ sie Ramrod. Colt und Saber waren bislang ruhig geblieben. Jetzt allerdings brach es aus Colt heraus: „What the hell?! Was war das denn eben?“ Saber verschränkte die Arme vor der Brust. Das kurze Zusammensitzen hatte alte Wunden wieder aufgerissen, bei allen. Der Schotte fixierte mit seinem Blick die geschlossene Tür und dachte angestrengt nach. Auch er fühlte sich, wie Colt oder bestimmt auch Alex, vor den Kopf gestoßen, so unvermittelt mit der letzten gemeinsamen Mission wieder konfrontiert worden zu sein. Saber hatte das Gespräch mit Martin vor einigen Monaten noch im Kopf, der Brasilianer hatte viel gewusst. Wesentlich mehr, als Fireball Alessandro gerade erzählt hatte. Aber das war verständlich. Alex arbeitete mit Colt, April und ihm zusammen, nur bedingt mit der Base, da musste er nicht alles haarklein wissen. Und der Schotte wusste ebenfalls, dass Fireball und Alex keinen sonderlich kameradschaftlichen Draht zueinander hatten. Die beiden Männer gaben sich lediglich miteinander ab, weil sie es mussten. Schließlich rang sich Saber zu einem wohl überlegten Statement durch. Dabei sah er sowohl zu Colt als auch zu Alex: „Fireball hat uns gerade das Zusammenleben auf Ramrod immens erleichtert“, entschuldigend fügte er für Alessandro hinzu: „Unsere Geheimniskrämerei tut uns leid. Es war eine prekäre Mission und obendrein noch sehr persönlich.“ „Sagt mal, wie muss ich das eigentlich verstehen“, wollte Alex von seinen beiden Freunden nun wissen: „Ihr hattet die Chance, den Krieg zwischen Menschen und Outridern zu beenden, habt es aber nicht getan. Wieso macht man denn sowas bitteschön?!“ Alessandro war in diesem Punkt schwer verständnislos. Hätte er die Chance dazu gehabt, er hätte sie mehr als schamlos ausgenutzt. Definitiv wäre das ein Dienst an der Menschheit gewesen. Alex war felsenfest davon überzeugt, bis ausgerechnet Colt ihm erklärte, welche Auswirkungen bereits ihre bloße Anwesenheit in der Vergangenheit gehabt hatte. Der Italiener schluckte schwer. „Ich hab’s mir anders überlegt, Turbo“, April blinzelte in die Frühsommersonne, als sie gemeinsam mit Fireball Ramrod verlassen hatte und nun auf dem Rollfeld stand: „Ich möchte mir doch ganz gerne mal deine neue Wohnung ansehen.“ Mit dieser Planänderung konnte Fireball leben. Während er nickte, griff er in die Hosentaschen, um seine Wagenschlüssel heraus zu holen. Aber dort war nichts. Er hatte den Schlüsselbund im Büro liegen lassen! Entschuldigend hob der Japaner die Schultern: „Wir müssen noch einen Boxenstopp in der Base einlegen. Meine Schlüssel sind mir nicht nachgelaufen.“ April schüttelte den Kopf, musste jedoch schmunzeln. Wie zum Geier konnte er eine Crew mit dreißig Mann befehligen und managen, wenn er nicht einmal in der Lage war, seine sieben Sachen mit zu haben? Sie begleitete den Japaner bis auf das Rollfeld, dort blieb sie stehen und wartete auf ihn. April scheute sich nach wie vor etwas, in die Base zu gehen. Zumindest drei von Fireballs Freunden wussten, was vor einigen Monaten zwischen ihrem Captain und April gewesen war. Schlicht und ergreifend hatte die blonde Frau etwas Bammel davor, mit Fireball an seinem spontan frei genommenen Tag gesehen zu werden. Mit einem ziemlichen Schwung fegte der japanische Wirbelwind durch die Fliegerhallen hinauf in sein Büro. Dieser Schwung kam nicht von ungefähr. Es war dieses Gefühl, das er am frühen Morgen schon verspürt hatte, der Beginn von etwas Neuem lag in der Luft, und es beflügelte den jungen Mann enorm. Zwinkernd grüßte er die ungläubigen Gesichter seiner Crew, die ihm auf seinem Weg ins Büro begegneten. Oben angekommen riss er die Tür auf, schnappte sich seine Wagenschlüssel und machte bereits wieder auf dem Absatz kehrt, als Martin ihm den Weg zurück versperrte. Skeptisch neigte der Brasilianer den Kopf zur Seite, als er wissen wollte: „Ich dachte, du hast dir frei genommen?“ „Hab ich auch“, lachte Fireball munter auf. Er wollte eigentlich schon wieder an Martin vorbei, doch der stand immer noch in der Tür. Also bat Fireball höflich um Durchlass: „Darf ich mal? Ich hab’s eilig.“ „Mooooment mal“, zog Martin seine Worte lang. Irgendwas war zwischen dem letzten Abend und heute Morgen wieder mal passiert, von dem der Brasilianer nichts mitbekommen hatte. Er hatte kurz nach Dienstbeginn eine Nachricht von seinem Boss bekommen, dass er an diesem Tag nicht arbeiten kommen würde. Martin hatte das hingenommen, er war es inzwischen gewohnt, dass Fireball seinen freien Tag in der Woche meistens ganz spontan nahm. Was der große Dunkelhaarige allerdings nicht verstand war, weshalb der Naseweis offenbar an diesem Tag schon im Büro gewesen war und sich erst danach frei genommen hatte. Martin musterte seinen Freund deswegen auch unverhohlen. Nach der Trennung von April waren aus Martin und Fireball dicke Freunde geworden. Der Japaner hatte an jenem Tag das nötige Vertrauen in Martin endlich gefunden. Die harte Arbeit und die Geduld des Brasilianers hatten sich diesbezüglich bezahlt gemacht. Seither hatte er viel von Fireball mitbekommen. Sie gingen regelmäßig abends zusammen zum Judo, trafen sich auch in der Freizeit öfter. Das wichtigste jedoch für Martin war, dass der junge Japaner nun eher zu reden begann. Was Martin allerdings immer wieder mal aufgefallen war, war dieses ausgeglichene Gemüt, das in den letzten Monaten immer mehr zum Vorschein gekommen war. Die Stimmung des Japaners schwankte nicht mehr von einen Tag auf den anderen, eigentlich war seine Laune mit jedem Tag ein bisschen mehr angestiegen, und es war nicht gespielt. Martin kannte inzwischen den Unterschied zwischen einem aufgesetzten Lächeln und der sagenhaft guten Laune seines Chefs. Martin lehnte sich also gegen den Türrahmen und versperrte Fireball nach wie vor den Weg: „Muss ich mir Sorgen machen?“ Auch der Brasilianer hatte an diesem Tag schon einen Blick zum Datum riskiert, spätestens, als Fireball ihm die Nachricht geschickt hatte, hatte er auf den Kalender geschielt. Deswegen machte er sich auch etwas Sorgen. Doch Fireball schüttelte lachend den Kopf: „Nö. Ich bring grad alles in Ordnung.“ Nun wurde der Wuschelkopf doch ungeduldig. Er zog den Bauch ein und zwängte sich zwischen Martin und der Tür durch. Schelmisch klopfte er seinem Kumpel auf den Bauch: „Mach dich schlank, Marty. Ich hab noch ne Verabredung“, etwas leiser fügte er hinzu: „Mit April.“ Martins Augenbrauen wanderten augenblicklich in die Höhe und er verstand. Er machte seinem Freund endgültig Platz und klopfte ihm auf die Schulter: „Mach einen Haken drunter, Babyboy.“ „Mindestens!“, lachte Fireball, ehe er die Stufen hinunter rannte. Schweigend waren April und Fireball nebeneinander zur Tiefgarage des KOKs geschlendert. April folgte der Gestalt ihres ehemaligen Kollegen. Sie musterte ihn immer wieder. So unangenehm dieses Schweigen auch hätte sein können, zumindest April empfand es nicht so. Sie genoss die Ruhe, die höchstwahrscheinlich wieder einmal vor dem Sturm kam. Die letzten Monate hatte sich stetig alles in Wohlgefallen aufgelöst, zumindest für sie. Dennoch hatte sie oft auch an den Wildfang denken müssen. Colt und Saber waren einfühlsamer und aufmerksamer geworden, nachdem sie von der gescheiterten Beziehung erfahren hatten. Die Blondine hatte nicht mehr nur Alex an Board, auf den sie sich verlassen konnte, auch ihre beiden engsten Freunde konnte sie wieder uneingeschränkt an ihrem Leben teilhaben lassen. Das hatte sie in den nächsten Wochen allerdings auch bitter nötig gehabt. Es war ihr schlecht gegangen. Phasenweise hatte April die gesamte Männerwelt verflucht und sich selbst gleich mit, weil sie auf so jemanden wie Fireball hereingefallen war. Aber das hatte sich stetig gebessert. Der Abstand hatte ihr gut getan, hatte sie ein Stück weit vergessen lassen können, wie schmerzhaft Abschiede und auch Wiedersehen sein konnten. An diesem Tag war sie endlich so weit gewesen, den Kontakt zu Fireball wieder zu suchen. Nachdem sie seinen Geburtstag völlig ignoriert hatte, hatte sie diesen Tag heute nicht vergessen können. Je näher er gerückt war, desto öfter hatte sie von damals geträumt und die Geschehnisse waren wieder in ihr Gedächtnis zurück gekehrt. April hatte sich dabei ertappt, wie sie danach oft an Fireball gedacht hatte und wie er sich wohl fühlen musste, jetzt wo dieser besondere Tag wieder näher kam. Sie hatte gedacht, sie wäre die einzige, die wüsste, was in der Vergangenheit genau passiert war, deswegen hatte sie sich dazu entschieden, ihm eine kleine Aufmerksamkeit zu schicken. April hatte Fireball mit dem Cupcake und der Karte lediglich zeigen wollen, dass sie an ihn dachte und er nicht alleine war. Ehrlich gestanden hatte sie nicht damit gerechnet, dass er gleich zu Ramrod gestürmt kommen würde, wenn er sein Geschenk sah. Aber auch April bemerkte einmal mehr, dass man seinem Schicksal nicht davon laufen konnte. Es verfolgte einen regelrecht. Als Fireball vor seinem Wagen stehen blieb und April aufforderte, Platz zu nehmen, staunte sie nicht schlecht. Nachdem sie auf dem Beifahrersitz Platz genommen hatte und Fireball ihr gentlemanlike die Tür geschlossen hatte, sah sie sich im Innenraum des roten Geschosses um. Die Sitze und das Lenkrad waren aus feinstem schwarzen Leder, die Armaturen leuchteten rot auf, als Fireball das Auto startete. Eines war April ziemlich schnell klar. Während Fireball aus der Parklücke fuhr, stellte sie fest: „Der ist neu, oder?“ „Neu ist relativ, Süße. Aber ja, ich hab den Wagen erst seit etwas über einem halben Jahr“, Fireball kniff die Augen zusammen, als das Auto ins Freie gelangte und ihm die Sonne ins Gesicht schien. Er konnte kaum etwas von der Straße erkennen, deswegen blieb er kurzerhand vor der Ausfahrt des Oberkommandos stehen. Sein Blick ging zur Mittelkonsole, dort hatte er doch eigentlich seine Sonnenbrille zwischengeparkt. Als er sie endlich auf der Nase trug und er wieder sah, wohin er steuerte, legte er den ersten Gang wieder ein und fuhr weiter. April linste neugierig auf die Anzeigen. Vor allem aber wollte sie sehen, mit wie viel km/h der Tacho angeschrieben war. Das hätte sie mal lieber gelassen. April blieb die Luft weg: „Der geht ja dreihundert Sachen!“* „Keine Sorge“, dieses Mal musste Fireball wirklich lachen. Er fühlte sich gelöst, alles an diesem Tag fühlte sich einfach nur gut und richtig an, deswegen kannte er auch keine Scheu, was seine Scherzchen betraf: „Der riegelt bei zweihundertfünfzig ab!“ „Sehr beruhigend“, entmutigt ließ sich April in ihren Sitz zurück fallen. Unnötigerweise überprüfte sie noch einmal, ob sie angeschnallt war. Angesicht der Geschwindigkeiten, die der Wagen erreichen konnte, erschien es April allerdings als unpassende Sicherung, lediglich angeschnallt zu sein. Ihrer Meinung nach sollten hier andere Sicherheitsmaßstäbe gelten: „Das Ding gehört auf eine Rennstrecke und nicht in den Straßenverkehr.“ Fireball grinste unverhohlen: „Ja, das ist wohl wahr. Auf der Rennstrecke kann er besser zeigen, was er kann.“ „Das ist jetzt aber nicht dein Ernst, Fireball?!“, April richtete sich wieder auf und sah zu ihrem Fahrer hinüber. „Diese Höllenmaschine hat eine Rennzulassung?“ „Umgekehrt: Dieser Rennwagen hat auch eine Straßenzulassung. So wie mein alter Red Fury.“ „Du wirst es nie lernen, oder?“, völlig verständnislos kräuselte April die Nase. Dieser fast schon zwanghafte Hang zu schnellen und vor allem gefährlichen Maschinen war nicht normal. Sie würde seinen Fahrstil auf alle Fälle im Auge behalten. April wollte schließlich heil dort ankommen, wo auch immer Fireballs neue Bleibe lag. Entgegen ihrer Befürchtung benahm sich der Japaner im Straßenverkehr äußerst vernünftig und vorschriftsmäßig. Erst in den Vororten von Yuma City endete ihre Reise. Fireball bog von der Hauptstraße ab und parkte nun doch wieder schwungvoller vor einem Mehrparteienhaus. Mit funkelnden Augen stellte er den Motor ab und stieg aus. April tat es ihm gleich. Sie war wirklich gespannt auf die Wohnung. Die blonde Frau folgte Fireball ins Gebäude und stand kurze Zeit später im Flur der Wohnung. Fireball bat April galant herein, schloss hinter ihnen die Tür und schlüpfte ohne sich zu bücken aus seinen Schuhen heraus. Den Schlüsselbund legte er auf die Kommode. April sah sich aufmerksam um. Sofort stach ihr ins Auge, dass ihr nichts ins Auge fiel. Im Flur fanden sich keine Umzugskartons mehr, alles schien bereits ausgepackt und verstaut worden zu sein. Das war in der Wohnung auf dem Gelände anders gewesen. Monate nach seiner Versetzung war man noch beinahe über die Kartons gefallen, wenn man eingetreten war. Einladend hatte das verständlicherweise nie gewirkt. April schauderte, als sie daran dachte, wie unbehaglich sie sich dort immer gefühlt hatte. Sie fragte sich, ob sich Fireball dort wohl gefühlt hatte. „Kommst du, oder willst du im Flur übernachten?“, als April ihm nicht in die Küche gefolgt war und auch nicht nachgekommen war, hatte Fireball sich wieder auf den Rückweg gemacht um nach ihr zu sehen. Plötzlich hatte ihn doch ein ungutes Gefühl beschlichen. Bei ihren letzten Treffen bei ihm zuhause war April oft gleich wieder gegangen. Ob sie nun auch wieder weg wollte? Verwirrt, weil er sie aus ihren Gedanken gerissen hatte, blinzelte April. Sie schüttelte ihren Kopf und setzte sich in Bewegung. Ihre blauen Augen blieben allerdings aufmerksam. Die Wände waren alle weiß, es hingen keine Fotos oder Bilder dort. In der großen Küche, an die das Wohnzimmer unmittelbar anschloss, sah es ähnlich kahl an den Wänden aus. Blumen fanden sich hier ebenso wenig wie mal eine Kerze oder andere Dekorationsartikel. Während sie sich an den Esstisch setzte, fielen ihr plötzlich Martins Worte wieder ein. Der letzte Schliff würde diesen vier Wänden fehlen. Und das tat es ihrer Meinung nach auch. April bedankte sich still bei Fireball für das Gedeck und das Glas, danach wollte sie von ihm wissen: „Willst du hier drinnen eine Operation am offenen Herzen machen?“ Er verstand kein Wort. Mit einer Packung von Colts geliebten Guavensaft setzte sich Fireball an den Tisch. Seine Stirn hatte er in fragende Falten gelegt, weil er absolut nicht wusste, worauf April hinaus wollte. Sie erklärte ihm leicht lächelnd schließlich: „Deinen Innenarchitekten solltest du verklagen, Fireball. Wo ist da denn die persönliche Note? Ich sehe keine Bilder an den Wänden, keine Pokale oder ähnliches. Es wirkt alles furchtbar steril.“ Ah, okay. Jetzt verstand auch Fireball. Er schob den Stuhl zurück, um wieder aufzustehen. Während er ins Wohnzimmer hinüber ging, rechtfertigte er sich: „Hab ich doch alles aufgestellt! Nur, weil du wieder Häkeldeckchen überall auslegen würdest, muss ich das nicht auch machen, Süße.“ Fireball war bei weitem nicht so entrüstet, wie er sich anhörte. Er öffnete die Balkontür, damit ein wenig frische Luft herein kam. Eigentlich war es eine Schande, an einem Vormittag wie heute in der Küche sitzen zu bleiben. Es roch so herrlich nach taufrischem Gras und Blumen. Wenn sie sich schon nicht raus setzten, so wollte er doch wenigstens etwas vom Sommer in der Küche haben. Lächelnd drehte er sich zu ihr um: „Außerdem wohn ich hier ganz alleine, da muss es auch nur mir gefallen.“ April stand ebenfalls auf. Ihr Brunch war zur Nebensache verkommen. Denn obwohl er sie angelächelt hatte, hatte sie den Vorwurf heraus gehört. Nie zuvor wäre ihr in den Sinn gekommen, dass er seine Freunde von Ramrod vermissen könnte. April trat auf ihn zu und musterte seinen Gesichtsausdruck. Jetzt endlich verstand sie. Wie vom Blitz getroffen murmelte sie: „Du warst viel alleine!“ „Mhm“, er nickte und begann mit April zu sprechen, wie er es vor seiner Versetzung zur Base hunderte Male getan hatte. Ruhig, ehrlich und zuweilen auch schonungslos: „Ich war sehr einsam in den ersten Monaten. Nichts hat funktioniert, ich hab nichts auf die Reihe gekriegt. Keiner in der Base wollte mit mir zusammen arbeiten. Kein Wunder, so wie sie vor den Kopf gestoßen worden sind. Die Jungs haben von Mandys Kündigung erfahren, als sie ihren letzten Arbeitstag dort hatte und schon von mir abgelöst wurde. Dem kleinen verzogenen Bengel, der nur dank seines großen Namens überhaupt Captain wurde.“ April nickte langsam. Es war also nicht gerade auf Begeisterung gestoßen, dass Mandarin gegangen war. Zu allem Überfluss hatten es ihre eigenen Angestellten erst an jenem Tag erfahren, als der junge Wilde zu ihnen gekommen war. Die blonde Navigatorin bekam allmählich eine Idee von den Nettigkeiten, die dort mit Sicherheit ausgetauscht worden waren. Immerhin wusste sie noch von den ersten Monaten mit Alex, wie Colt garstig geworden war. Das in dreißigfacher Ausführung nach den Erlebnissen in der Vergangenheit. Ihre Sorgen damals waren also berechtigt gewesen. April sah entschuldigend in seine dunklen Augen, ehe sie an ihm vorbei auf den Balkon hinausging. Er hatte ihren Blick deuten können. Deswegen folgte er ihr und lehnte sich mit den Oberarmen gegen die Brüstung. Gedankenverloren blickte er in die Ferne, als er ihr endlich, viel zu spät, sein damals so schwer beladenes Herz ausschüttete. Auch April begann zu erzählen. Die beiden standen lange auf dem Balkon in der warmen Frühsommersonne und sprachen sich aus. Lange schon hatten sie kein solch intimes Gespräch mehr geführt. Für beide war es eine Wohltat und endlich schien sich der Knoten zu lösen. Aus der Vormittagsjause wurde schließlich ein gemeinsam gekochtes Mittagessen. April und Fireball hatten nach ihrer Affäre nun abschließen können und standen wieder da, wo sie vor der Reise durch die Zeit gestanden waren. Beide fühlten es. Während Fireball Musik zum Mitswingen einlegte, lachte er ungehalten: „Fehlen eigentlich nur noch Colt und Saber, dann wär das alte Dreamteam wieder komplett!“ „Die dürfen schon kommen, aber nur, wenn sie uns beim Kochen helfen!“, auch April lachte unbeschwert auf. Oh ja, gekocht hatten sie auf Ramrod meistens zusammen. Auch, wenn nur einer oder zwei am Herd gestanden hatten, die anderen waren immer zur Unterhaltung in der Küche gewesen und hatten kluge Ratschläge gegeben. April erinnerte sich gerne an die Zeit zurück. Damals waren ihnen andere Widrigkeiten entgegengestanden, aber nichts, was ihre Freundschaft nicht hätte bewältigen können. Die teils erbitterten Angriffe der Outrider hatten sie erst zusammen geschweißt. Nun war vieles anders. Gefühle füreinander waren ihnen in die Quere gekommen, eine Versetzung, und irgendwo auch ein eigenständiges Privatleben, das sich außerhalb von Ramrod abspielte. Colt zum Beispiel packte seine Laufschuhe noch während der Landung aus, um so schnell wie möglich zu Robin und seiner kleinen Tochter zu gelangen. Saber hielt es da schon etwas länger auf Ramrod auf, doch auch den Highlander zog es zusehends nachhause. Beim Essen erzählte April allerhand Neuigkeiten von Ramrod, was sich alles geändert hatte. Fireball hörte geduldig und mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen zu. Ja, auf Ramrod herrschte nun ein anderes Regiment. Aber das tat es auch in der Base. Nach dem Essen war es an der Zeit, das Spiel umzudrehen. Fireball erzählte ihr, wie es in der Base wirklich zuging und welche Chaoten er da durchschleuste. Er gab die Geschichte zum Besten, wie er Stan monatelang in dem Glauben gelassen hatte, dass er die Anmeldung für die Flugwettbewerbe nicht gemacht hatte. Er beendete seine Geschichte mit den Worten: „Das war die Strafe für seinen Aufnahmetest, den er mit mir durchgezogen hat.“ Irritiert zog April die Augenbrauen nach oben und blickte Fireball an. Ihr stummes „Welcher Test?“ hatte der Pilot auf Anhieb richtig verstanden: „Er hat mich eines Abends in die Mangel genommen, gleich nachdem ich versetzt worden war. Mein Knäckebrot hat einen verdammt guten Riecher, was Schwächen betrifft und da hatte ich reichlich. Die Versetzung in die Base meines alten Herren, meinen Dad selbst, meine engsten Freunde, die ich plötzlich nicht mehr um mich hatte… Tja, Stan hat ziemlich alles unschön zur Sprache gebracht, woran ich schwer zu knabbern hatte. Er wollte sehen, ob ich es wert bin, in der Base zu bleiben.“ „Und jetzt?“, April war gespannt auf die Antwort von Fireball. Sie verstand so vieles endlich besser und wer wusste schon, ob sich an ihrer Beziehung zueinander nicht etwas geändert hätte, wenn sie diese Geschichten alle gleich gehört hätte? Allerdings machte es keinen Sinn über die verschüttete Milch zu weinen, es war schließlich längst passiert. Fireball stand auf und brachte das gebrauchte Geschirr zur Spüle hinüber. Dabei lächelte er versonnen: „Ich bin immer noch dort, also glaube ich, dass ich bestanden habe.“ April stand ebenfalls auf. Sie folgte ihm in die Küche, mit den leeren Salattellern. Aufmerksam beobachtete sie, wie er den Geschirrspüler befüllte. Die Navigatorin lehnte sich mit dem Becken gegen die Anrichte und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie überlegte. Sollte sie ihn nun darauf ansprechen? Sie hatten den halben Tag zusammen verbracht, als wäre nie etwas geschehen. Die Sprache war dabei kein einziges Mal auf ihre Beziehung gefallen oder was nun aus ihnen beiden wurde. April wollte es ein für alle Mal geklärt haben. Schließlich suchte sie all ihren Mut zusammen und fragte ganz unverblümt: „Wie soll’s mit uns beiden eigentlich weitergehen? Hast du da irgendeine Vorstellung?“ Behäbig schloss der Pilot den Geschirrspüler. Das hatte er sich in der Tat oft gefragt und war nie zu einer Antwort gekommen. Heute würde sich das ändern. Er spürte es bereits den ganzen Tag über. Irgendetwas lag in der Luft. Es hatte was von einem reinigenden Regenschauer gehabt. Da standen sie nun also, wieder bei null. Es war dieses Mal an Fireball, den ersten Schritt zu wagen, dank Aprils ersten Schritt standen sie schließlich hier. Er nahm ihre Hand, umschloss sie zärtlich. Gedämpft offenbarte er: „Egal, was ich gleich sagen werde, April. Ich möchte nur, dass du weißt, dass ich dich nach wie vor sehr gerne habe und mir auch deine Freundschaft wichtig ist. Ich will dir nicht mehr weh tun. Deswegen glaube ich, wir sollten wirklich nur noch Freunde bleiben.“ „Nur noch“, wiederholte April leise. Sie verschränkte ihre Finger fester in seine. Ihr Blick senkte sich auf die Hände, die sich gegenseitig fest hielten. April musste doch schlucken, denn entgegen der letzten Monate, in denen sie sich eingeredet hatte, sie würde nichts mehr für ihn empfinden, vermeldete nun doch ihr Herz, dass da noch Ansprüche waren. Nicht zuletzt seine Versicherung, er würde sie immer noch sehr gerne haben, hatte in ihr wieder Gefühle hervor gerufen. April hatte Fireball trotz allem ebenfalls immer noch lieb. Mehr als einen Freund. Beide schwiegen plötzlich betreten. Bis April ihre Hand aus seiner löste und sich an ihn kuschelte. Die blonde Frau schlang die Arme um ihn und drängte sich an seinen Körper. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter, so wie sie es schon oft zuvor getan hatte und hauchte: „Nur noch Freunde. Das klingt, als wäre das nichts wert, Turbo. Mir wäre es lieber, wenn wir wieder so gute Freunde sein könnten, wie damals. Ich vermisse die alten Zeiten unheimlich.“ Die alten Zeiten. Beklommen schloss Fireball April in die Arme. Sie hatte ihn falsch verstanden. Mal wieder. Sanft streichelte er ihre blonde Mähne entlang über ihren Rücken. Sein Kopf senkte sich zu ihrem hinab. So eng umschlungen hatten sie schon lange nicht mehr da gestanden. Instinktiv wurde Fireballs Umarmung fester, er wollte sie so nahe an sich spüren, wie er konnte. Ach verdammt, er würde sie immer auf irgendeine Art und Weise lieben! Er flüsterte an ihr Ohr: „Ich bin stolz auf die tolle Freundschaft, die wir damals hatten, Süße. Und es wäre fantastisch, wenn wir wieder so zusammenwachsen könnten.“ Seine Worte waren ehrlich gemeint, seine Umarmung ebenso. April genoss seine Zärtlichkeiten und suchte seine Nähe noch bewusster. So hätte es sein müssen, schoss es ihr durch den Kopf. Sie hatte sich während ihrer Beziehung selten so geborgen gefühlt, wie in diesem Moment. Mehr hatte sie nie von ihm verlangt, aber nicht bekommen. Nach einer kleinen Ewigkeit schälte sich April aus der Umarmung. Sie sah zu Fireball auf, in seine dunklen Augen, sein freundliches Antlitz. April seufzte leise. Sachte strich sie seine braune Wuschelmähne aus der Stirn nach hinten. Sie hauchte ihm einen Kuss auf die Nasenspitze und war zuversichtlich: „Es wird schon werden.“ Plötzlich öffnete sich die Wohnungstür und Schritte waren vom Flur her zu hören. Fireball zwinkerte April tröstlich zu, ehe er sie losließ. Voller Zuversicht, endlich mit April wieder vertraut umgehen zu können, stieß sich der Wuschelkopf ab. Er hatte die Schritte erkannt. Deswegen erklärte er April: „Das klingt nach meiner Nachbarin und ihrer Tochter. Erschrick bitte nicht, wenn du sie gleich siehst. Es ist absolut nicht so…“ Weiter kam der Japaner allerdings nicht, denn ein kleines Mädchen stieß wie selbstverständlich die Wohnzimmertür auf und stürmte auf den Hausherren zu. Sie warf die Arme nach oben und lachte quietschvergnügt auf, als sie Fireball entdeckte und er sie hochhob. Gleich hinter ihr betrat die Mutter des schwarzhaarigen Mädchens das Wohnzimmer. Als sie den Besuch hinter Fireball bemerkte, entschuldigte sie sich sofort: „Oh, du hast einen Gast hier. Komm, Ran, wir gehen besser wieder.“ Fireball schüttelte lächelnd den Kopf, das kleine Mädchen hatte er inzwischen schon auf den Schultern sitzen. Er begrüßte sie: „Nein, bleibt ruhig“, er drehte sich zu April um und stellte die beiden Damen vor: „April? Das sind meine Nachbarin Mai und ihre Tochter Ran. Mädels? Das ist April, eine sehr gute Freundin.“ April hatte beim ersten Anblick des kleinen Mädchens sofort begriffen, was Fireball ihr noch hatte vermitteln wollen. Mai und ihre Tochter waren Asiatinnen und vor allem das kleine Mädchen hatte verdammt viel Ähnlichkeit mit Fireball. Fast schwarze Augen, ebenholzschwarze Haare. Wer es nicht wusste, konnte wirklich glauben, da stünde eine Familie vor ihm. April schluckte ihr Erstaunen so gut es ging hinunter und gab Mai die Hand: „Freut mich, dich kennen zu lernen. Bleibst du zum Kaffee?“ „Wenn wir euch nicht stören“, lächelte die zierliche Japanerin in Aprils nettes Gesicht. Die beiden Frauen waren sich auf Anhieb sympathisch. April war zwar generell nicht der Typ, der Fremden gegenüber skeptisch war, aber die Geschichte hatte gezeigt, dass April vor allem bei anderen Frauen, die augenscheinlich einen Draht zu Fireball haben könnten, irgendwie eifersüchtig war. Dieses Mal war es anders. April hatte zwar sofort bemerkt, dass sich die drei gut verstanden, aber es war für sie kein Problem. Mai hingegen hatte sich von April gleich aufgenommen gefühlt. Sie mochte die blonde Frau bereits jetzt, obwohl ihr Fireball nie von ihr erzählt hatte. Und eines war ganz sicher. April war noch nie hier gewesen, das hätte Mai irgendwann mitbekommen. Die Asiatin war kurz nach Fireball hier eingezogen, gleich in die Wohnung nebenan. Die Möbelpacker hatten sie mit dem Aufbau allein gelassen, sie wären nur für den Transport von A nach B verantwortlich, aber nicht für das Aufstellen der Möbel. In ihrem Dilemma, völlig alleine eine komplette Wohnung möblieren zu müssen, war am Abend ihr Ritter in der – in seinem Fall – roten Rüstung mit einem seiner Freunde vor ihrer Wohnungstür stehen geblieben und hatte sich ihrer erbarmt. Fireball hatte mit Martin damals noch ein paar Jungs zusammen getrommelt, die ihnen beim Aufbau der Möbel geholfen hatten. Seither waren sich Mai und ihr Nachbar immer wieder mal gegenseitig eine große Hilfe. Fireball hatte Ran inzwischen wieder auf ihre eigenen Beine gelassen und die beiden Frauen einen Moment lang beobachtet. Als er das Schweigen bemerkte, erklärte er April lachend: „Mai hilft mir mit meinem Männerhaushalt, darum sieht’s hier auch aus wie geleckt. Dafür erledige ich für sie ein paar Hausmeistertätigkeiten.“ April kicherte: „Und ich hab mich schon gefragt, wann du gelernt hast, wie man Hemden bügelt! Ich hätt’s wissen müssen.“ Demonstrativ zupfte April nun an seinem T-Shirt und betrachtete es auffallend kritisch. Hausmänner hatte es nie an Bord von Ramrod gegeben. Einzig Colt war in der Vergangenheit zu einem degradiert worden, weil sie nicht zu oft in der Öffentlichkeit gesehen werden durften. Wie sehr er es gehasst hatte, hatte man nach ihrer Rückkehr noch bemerkt. Colt weigerte sich vehement, Wäsche zu waschen oder zu putzen. Er hatte laut seinen eigenen Aussagen für die nächsten fünf Dienstjahre genug Hausarbeit erledigt. Auch Saber war kein guter Hausmann, obwohl er sehr ordentlich war. Und der ehemalige Pilot von Ramrod? Der war haushaltstechnisch eine absolute Katastrophe gewesen. Alles, was über die Küche und das Geschirrspülen hinausgegangen war, war ein völliges Desaster gewesen. Lachend wandte sie sich nun Mai zu: „Ist er dir wenigstens unendlich dankbar dafür, dass du ihn nicht wie den letzten Menschen herumlaufen lässt? Wenn nicht, dann stell deine Hilfe augenblicklich wieder ein.“ Lachend verteidigte sich Fireball, während er sein Shirt unter Aprils prüfenden Fingern hervor zog: „Nur zur Information, Süße. Das hier hab ich selbst gebügelt. Mai ist doch nicht meine Putze!“ „Eine Putzfrau müsstest du auch bezahlen, mein Lieber!“, Mai verschränkte die Arme vor der Brust. Demonstrativ stellte sie eine ernste Miene zur Schau, konnte diese aber nicht lange aufrechterhalten. Schon beim nächsten Atemzug lachte die Japanerin ungezwungen auf. Keine Frage, sie fühlte sich hier unglaublich wohl. Ebenso wie ihre Tochter. Mai riskierte einen Blick auf das spielende Mädchen. Ran hatte sich gleich einen Kugelschreiber und Papier vom Tisch gemopst und zeichnete nun munter drauf los. „Oho, so genau will ich es gar nicht wissen“, lachte April munter auf. Fireballs Nachbarin hatte Humor, das war in diesem Moment klar geworden. Ramrods Navigatorin konnte sich gut vorstellen, wie heiter es werden konnte, wenn auch noch jemand wie Colt zu dieser Runde stoßen würde. April sah zu dem kleinen schwarzhaarigen Mädchen hinunter. Sie wusste augenblicklich, womit Colt ihren Kumpel aufziehen würde. Ihre Augen wanderten wieder zum Piloten hinauf, dabei schmunzelte sie. Ihre Gedanken brachten sie zum Lächeln. Der Kindskopf hatte schon immer ein Händchen für Kinder gehabt. Das war nicht erst bei ihrem Abenteuer mit Miss Sincia aufgefallen. Schließlich entschlossen sich die drei Erwachsenen sich selbst und dem Kind etwas Gutes zu tun. Sie bereiteten sich eine große Thermoskanne Kaffee vor, packten einige Becher und auch etwas zu trinken für Ran ein und gingen in den Garten hinunter. Das Mädchen sollte die wärmenden Sonnenstrahlen genießen können. Wo die Großen ihren Kaffee tranken, war in diesem Fall nicht so wichtig. Lustig war es auch so. Und auch für Ran war es auf dem kleinen Spielplatz vor dem Haus nicht langweilig. Einige Nachbarskinder waren ohnehin auch dort und sie hatte schnell einen Spielkameraden für die Sandkiste gefunden. Aus dem gemütlichen Nachmittag war schließlich ein lauer Abend geworden. Mai und Ran hatten sich noch vor Sonnenuntergang von ihrem Nachbarn und seiner Freundin verabschiedet, dafür war nicht allzu viel später Martin aufgetaucht. Der Brasilianer hatte den ganzen Tag nichts von seinem Boss gehört. Gut, das war zwar nicht ungewöhnlich, wenn der Hitzkopf seinen freien Tag hatte, allerdings in diesem Fall doch, weil eben April hier war. Martin hoffte, dass sich nun endlich mal alles halbwegs einrenken würde. Er und auch seine besser Hälfte, Alessa, wünschten es sich. Nicht etwa, weil ihnen dann eine Menge erspart bliebe, sondern weil sie dem Freund nur das Beste wünschten. Und dazu gehörte schließlich auch, dass der sein junges Leben genoss. „Störe ich die traute Zweisamkeit?“, nach einem leisen Klopfen trat er ins Wohnzimmer. April und Fireball saßen gerade auf dem Sofa und unterhielten sich. Nach diesem Tag hatten sie irgendwann beim Abendessen beschlossen, alte Geschichten von Ramrod aufzuwärmen. Die guten alten Zeiten, alle vermissten sie manchmal. Während April ertappt verstummte, nickte der Rennfahrer in Martins Richtung: „Nö, gar nicht! Komm rein und hol dir was zu trinken. Wir geben grad ein paar Ramrodklassiker zum Besten.“ Der Brasilianer verschwand in der Küche und tat wie ihm geheißen. Mit einem kühlen Getränk fand er schließlich zu seinem Boss und dessen Freundin aufs Sofa. Martin setzte sich auf die Lehne, sein Getränk stellte er vor sich auf den niedrigen Tisch ab. Einen Moment lang beobachtete er noch April und Fireball, ehe er ohne gehässige Hintergedanken wissen wollte: „Darf man fragen, wie’s aussieht?“ Während April begann, sich plötzlich unwohl zu fühlen, kratzte sich der Pilot etwas verlegen am Hinterkopf. Die Navigatorin rutschte auf ihrem Platz herum, wusste nicht mehr so recht, wie sie sitzen sollte. Martins Frage war ihr ganz offensichtlich unangenehm. Fireball jedoch wusste, was er fühlte, wusste, wie sich sein weiteres Schicksal in den Kreislauf des Lebens fügen würde. Alles war vorherbestimmt, und nach dem Regen kam wieder der Sonnenschein. Der Wuschelkopf warf April einen kurzen Blick zu, dann stichelte er in Martins Richtung: „Geht’s dich was an, Rubario?“ „Na, hör mal!“, beschwerte sich der Angesprochene auch prompt. Da kam er sich doch gleich wieder von Fireball veräppelt vor. Martin hatte gedacht, dass sich in den letzten Wochen und Monaten alles in freundschaftliche Gefilde entwickelt hatte. Da hatte er die Rechnung wohl ohne den Wirt gemacht, denn offenbar sollte der Brasilianer wieder von den Ereignissen ausgeschlossen werden. Seine Augen verfinsterten sich enttäuscht. Fireball lachte munter auf, als er Martins Reaktion beobachten konnte. Gelöst ließ er sich nach hinten sinken. Ihm ging es so unglaublich gut an diesem Tag, und das ohne Grund. Fireball hatte es beim Aufstehen schon bemerkt, heute war sein Tag. Alles fügte sich, rückte sich selbst wieder zurecht und war einfach nur wunderbar. Er blinzelte Martin an: „Sei doch nicht beleidigt, Marty. April und ich haben uns ausgesprochen“, nun ruhten seine warmen braunen Augen auf ihr, seine Hand wanderte zu ihrer hinüber: „Wir sind Freunde. Hoffentlich irgendwann wieder so gute Freunde wie vor meiner Versetzung, aber wichtig ist, dass wir uns wieder verstehen.“ Der größere Pilot schielte zu April hinüber. Irgendwie war er immer noch enttäuscht. Aber das würde er niemals offen zugeben. Er und Alessa hatten lange und viel über das Gespann, das vor ihm saß, gesprochen. Sie hätten ihrer Ansicht nach gut zueinander gepasst, die Umstände waren nur leider nicht entsprechend gewesen. Martin bedauerte es irgendwie. Aber zumindest lächelten beide. Sie schienen mit dem momentanen Status zufrieden zu sein. Immerhin war es mehr, als in den letzten Monaten, da hatte niemand gewagt, die beiden überhaupt noch als Freunde zu titulieren. Ein mildes Lächeln erschien auf Martins Lippen, als er verständnisvoll nickte. Eine Freundschaft war mehr wert als eine Beziehung es manchmal sein konnte. Seine Aufmerksamkeit wanderte zu seinem Boss hinüber. Der schien mit sich völlig im Reinen zu sein. Eine tolle Entwicklung, wenn man ihn mit dem Häufchen Elend verglich, das er vor kurzem noch gewesen war. „Das ist doch schon mal was“, war sich Martin sicher. Er prostete den beiden zu. Als schließlich auch Alessa direkt von der Arbeit zu Fireball nachhause fand, war das der Beginn eines netten und lustigen Abends. Es wurde gespielt, geplaudert und sich näher kennen gelernt. Martins rothaarige Verlobte freute sich über die Gelegenheit, auch April endlich besser kennen lernen zu können. Sie hatte bisher nicht viel mit dem weiblichen Star Sheriff zu tun gehabt. Alessa war es deswegen oft schwer gefallen, mit Martin über das Beziehungsdesaster zu sprechen, immerhin kannte sie anfangs nur eine Seite und die auch nur aus zweiter Hand, nämlich von ihrem Freund. Aber nun, so schien es der sensiblen Frau, stand neuen gemeinsamen Abenteuern nichts mehr im Weg. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)