Weihnachten. von nue (Einsamkeit ist ein Gefühl und Gefühle kann man beeinflussen.) ================================================================================ Kapitel 1: Melancholie. ----------------------- Musik, Glockenklänge. Fröhliches Gelächter. Strahlende Gesichter. Weiße Schneeflocken, die vom Himmel rieselten, von den bunten Lichtern angestrahlt wurden. Für alle ein normaler Tag vor Weihnachten, selbstverständlich. Für fast alle. Zitternd stand er dort, zog die Schultern zusammen. Dick eingemummt, sein halbes Gesicht vom Schal verdeckt, die Mütze tief in die Stirn gezogen. Ja, es war kalt. Aber Nue war die Kälte gewohnt. Es störte ihn einfach nicht mehr, er fror schon lange. Im Sommer, im Winter, in jeder Jahreszeit. Im Herzen. Nur langsam wagte er sich weiter, einen Schritt nach dem anderen. Hatte das Gefühl, nicht einen Millimeter voran zu kommen. Zu sehr haftete sein Blick an der kleinen Familie, zwei Kinder mit ihren Eltern, die dort fröhlich auf dem anderen Bürgersteig tobten, lachten. Wie sie Schneebälle formten, sich damit bewarfen. Und wie ihre Eltern nur ein Schmunzeln dafür übrig hatten, sie dann bei der Hand nahmen. Und weitergingen. Tief ließ der Thunderking seine Hände in den Hosentaschen verschwinden, versuchte, dieses mulmige Gefühl zu unterdrücken. Welches ihm fast die Luft nahm, seine Gesichtsmuskeln vor Anspannung schmerzen ließ. Und da beschloss er doch, umzudrehen. Er wollte nicht weiter, wusste nicht, wieso ihn seine Beine hierher getragen hatten. Vielleicht war es Sehnsucht, Sehnsucht nach Zuwendung, nach Fröhlichkeit, nach Familie. Auch wenn er am Ende eh wieder allein dastand. Wie immer. Und es machte ihn fertig. Wie oft stand er zuhause vor dem Spiegel, die Hände krampfhaft auf die Kommode gestützt, konnte seinen eigenen Anblick nicht mehr ertragen. Das wutverzerrte Gesicht, Wut auf sich selber, Wut auf die ganze Welt. Weil alle ihn allein gelassen hatten. Weil er nun da stand und dem Ticken der Uhr lauschte, kein anderes Geräusch mehr zu hören war. Als er das letzte Mal so in der Wohnung stand, waren seine Lippen offen und zwei blaue Feilchen zierten sein schönes Gesicht. Das waren nicht die einzigen Wunden, die ihm zugefügt wurden, nein. Da waren mehr, viel mehr. Doch die würde er niemals jemandem zeigen. Er hatte sich an seinen Adoptivvater geklammert, immer und immer wieder. Versuchte, ihm alles recht zu machen, nur um mal etwas Zuneigung zu bekommen. Stattdessen durfte er mit ansehen, wie eben dieser mitten in der Nacht in die Wohnung hereinstolperte. Nie würde Nue diesen Geruch vergessen, diese Alkoholfahne, es ist, als hätte es sich in seine Nase gebrannt. Er wusste nicht, was seinen „Vater“ dazu veranlasste. Antworten bekam er, ja, doch die hatte er sich etwas anders vorgestellt. Seine Füße hatten ihn zum Flussufer getragen. Die dicke Eisschicht, die so wunderschön von den Lichtern der Stadt angestrahlt wurde, brachte den Thunderking unbewusst zum Lächeln. Es waren solche kleinen Dinge, die ihn für kurze Momente vergessen ließen … Er ging vorwärts. Den ersten Schritt, dann der zweite, der dritte … Eis. „Geh’ da runter, Nue, ich will dich dann nicht aus dem Fluss fischen.“ Erschrocken drehte sich der lilahaarige um, spürte, wie ihm der Boden unter den Füßen abhanden kam. Eine Hand, die sich fest um seinen Arm klammerte und ihn wieder an Land zog. Eine anschließende Umarmung. Mit geschlossenen Augen atmete Nue den Geruch seines Gegenübers tief ein, genoss die sanften Berührungen an seinem Rücken. „Da will man nur mal ein bisschen spazieren gehen, darf stattdessen aber einen kleinen Bengel vor dem wahrscheinlich größten Fehler seines Lebens retten.“ Er wusste nicht, was er sagen sollte, lauschte nur der vertrauten Stimme. Löste sich dann sachte und sah zu dem Größeren auf, mit einem Glänzen in den Augen, was sogar den Rothaarigen schmunzeln ließ. Spitfire. Der einzige, bei dem er noch so etwas wie Geborgenheit empfand. Obwohl … nein, das war keine Geborgenheit. Das war mehr, und dem war er sich schon lange bewusst. Er erzählte niemandem von seinen Gefühlen. Lediglich Simca, die manchmal mehr als nervig sein konnte, hatte es irgendwie aus ihm herausgekitzelt. Sie wusste über alles bescheid. Über seine Gefühle, seine Gedanken, seine momentane Situation. Und manchmal bereute er, nachgegeben zu haben. Er wollte nicht, dass sie es weitererzählte. Er wollte kein Mitleid. In Gedanken versunken, merkte er nicht, wie der Flameking seine Hand an die Wange des Kleineren gelegt hatte und nun darüber strich. „Simca hat mir erzählt, was mit dir los ist.“, begann Spitfire und für einen kurzen Moment trafen sich ihre Blicke. Bis Nue realisierte, was der Braunäugige damit meinte. Panik. Panik stieg in seine Augen, er begann zu zittern. „D-das ist ein Scherz, oder …? S-sie hat es nicht erzählt.“ „Doch, hat sie.“ „…“ „Nue?“ Dieser starrte inzwischen nur noch zu Boden. Wusste nicht, ob er einfach nur sauer sein oder losweinen sollte. Wahrscheinlich beides. Was hatte die Welt nur gegen ihn? Hatte er das alles verdient? Was hatte er geta- … Und plötzlich wurde ihm die Luft genommen. Weiche Lippen. Auf seinen. Im ersten Moment wollte er sich davon stoßen, bis ihm bewusst wurde, was das alles zu bedeuten hatte. Es war Spitfire, der ihn hier küsste. Wer auch sonst? Seine große Liebe. Der, der sein Herz wieder zum Schlagen brachte. Da war plötzlich keine Kälte mehr. Es gab sie nicht mehr. Bis er den Kuss löste. Und die Arme seines Gegenübers nicht mehr um sich spürte. Zitternd hob der Thunderking seine Hand und berührte seine Lippen. Der Ältere schmeckte gut. Nach … Pfefferminzkaugummi. Als könnte eben dieser Nue’s Gedanken erraten, musste er lächeln. Ein warmes, ehrliches Lächeln. „Du bist nicht allein, Kleiner … du hast Kana, Simca, Sano … mich. Wir sind deine Familie.“ Die Schneeschicht war dicker geworden. Das schöne, glänzende Weiß blendete ihn fast. Von den Straßen hörte man Weihnachtsgesang, nur leise. Er wurde an der Hand gefasst, sanft vom Flussufer Richtung Stadt gezogen. „Lass’ uns in’s Warme gehen.“ Die Glocken der Kirche übertönten jegliches Geräusch. Übertönten jegliche Schmerzen. Ließen vergessen. Ein Hoffnungsschimmer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)