Amaltheas Tochter von Setsu-chan (Das letzte Einhorn - Alternatives Ende und Fortsetzung) ================================================================================ Kapitel 4: Ein schwerer Verlust ------------------------------- Balian blieb zögernd vor der Tür stehen, hinter der das Zimmer mit Kisaras Bett lag. Er hörte sie immer noch Tränen vergießen und hatte keine Ahnung, wie er sie trösten sollte. Chico kratzte wimmernd an der Tür. Unentschlossen hob Balian die Hand, doch dann klopfte er. „Ja...?“, kam die kaum hörbare Antwort. Kisara klang, als wäre sie völlig fertig mit der Welt. Balian spürte einen dicken Kloß in seinem Hals anschwellen. „Ich bin es, Balian. Kann ich reinkommen?“ „Meinetwegen...“ Vorsichtig öffnete er die Tür. Das Hündchen preschte sofort begeistert ins Zimmer und sprang aufs Bett, wo Kisara sich gerade wieder aufrichtete und verstohlen über das verweinte Gesicht wischte. Sie streichelte Chico, der ihr auf den Schoß gesprungen war und wünschte sich nun, sie hätte Balian lieber nicht ins Zimmer gelassen. Sie schämte sich, weil sie so eine elende Heulsuse war, obwohl sie doch gerne immer reif und erwachsen sein wollte. Im Moment wusste sie nur eines und zwar, dass sie nach Hause wollte. „T-Tut mir Leid, aber... ich kann einfach nicht mehr... ich verstehe nicht, was hier passiert und ich will es auch gar nicht verstehen...“ „Genau das ist das Problem“, sagte Balian behutsam, „vielleicht versuchst du einfach mal, es zu verstehen. Das ist sehr wichtig. Ansonsten bist du verloren in unserer Welt.“ „Wie bitte? Eure Welt? Jetzt sprich nicht so, als hätte ich... die... die Dimension gewechselt oder so!!“, erwiderte Kisara aufgebracht. Balian atmete tief durch, um nicht die Geduld zu verlieren. „Nein, das hast du auch nicht. Tatsache ist aber, dass es dich jetzt auch etwas angeht. Auch wenn du es nicht wahrhaben willst. Diese Typen werden nicht von dir ablassen, bis sie dich geschnappt haben, begreif das doch! Wenn du dich auf diese Situation nicht einlässt, kann ich dich nicht beschützen!“ „Vielleicht will ich ja gar nicht beschützt werden!!!“ Das saß. Bevor Balian sie aufhalten konnte, stürmte Kisara an ihm vorbei aus dem Zimmer. „Arianne! Warte, bevor du gehst...“ Schwer atmend vom Laufen kam Balian vor der jungen Zauberin zum Stehen. Diese blickte ihn verwundert an. „Hey Balian, was ist denn los?“ „Hast du Kisara gesehen? Du weißt, schon, das Mädchen, das-“ „Ja, ich weiß, wen du meinst. Warum fragst du? Ich habe sie zuerst und zuletzt gesehen, als ich sie zum Frühstücken geschickt habe.“ Balians Gesicht wurde weiß. „Das kann doch nicht...“ Arianne sah ihn erst besorgt, dann entsetzt an. „Aber was hast du denn... sag bloß, sie ist verschwunden?!“ „Ich befürchte so langsam, dass sie weggelaufen ist...“ „Hä?? Warum sollte sie? Ich habe ihr doch gesagt, dass sie hier bei uns sicher ist!“ „Anscheinend ist dir entgangen, dass Kisara weder an Magie glaubt noch, dass sie überhaupt nicht einsehen will, dass sie tief in der Sache drinsteckt“, seufzte Balian. Jetzt war er sich sicher: Kisara war nirgendwo im Versteck zu finden. Er musste sie unbedingt finden, bevor Mary oder ein anderer der Einhornjäger es tun würde. „Na, wenn haben wir denn da?“ Kisara schreckte zusammen. Völlig atemlos vom Rennen, Klein-Chico auf dem Arm, wandte sie sich um. Ein paar Meter hinter ihr stand die hysterische Einhornjägerin, die, wie sie inzwischen wusste, Mary hieß. Sie lächelte bösartig. Kisara lief ein Schauer über den Rücken. Und dann hörte sie etwas, was sie endgültig vor Angst erstarrten ließ: Ein schauerliches Knurren ertönte hinter ihr. Sie brauchte sie nicht zu sehen, sie wusste genau, dass es die riesigen Wölfe waren. „Gehen Sie...“, wimmerte Kisara völlig panisch, „Ich bitte Sie... ich bin kein Einhorn... glauben Sie mir doch... lassen Sie mich in Ruhe!“ Sie konnte nicht mehr richtig denken; sie wollte nur eins: Weg. Mary schien amüsiert. „Hm... so so. Anscheinend muss ich dich zwingen, deine wahre Gestalt zu zeigen. Im Moment wirkst du nämlich eher jämmerlich. Da muss ich wohl Gewalt anwenden... was ist los, meine Kleine? Willst du dich denn gar nicht verteidigen? Die Macht dazu hättest du... ich korrigiere: Du hast sie.“ „Nein...“ Kisara schüttelte paralysiert den Kopf. „Nein!!!“ Sie drehte sich auf dem Absatz herum, doch ihr Plan, wegzulaufen, wurde verhindert von dem Anblick, der sich ihr bot: Sie hatte schon vollkommen vergessen, dass sie umzingelt war. Es war zwar nur ein einziger Wolf, aber er stand direkt vor ihr, und das reichte, damit ihre Augen sich vor Schreck weiteten. Als sie ein paar Schritte zurückgegangen war, nahm der Wolf Angriffsposition ein. Er sprang vor; Kisara konnte im letzten Moment noch ausweichen, aber auch nur, das wusste sie, weil das Tier nicht die Absicht hatte, sie hier und jetzt zu zerfleischen. Es war eine Art Treibjagd. Eine kleine Weile ging das noch so weiter, dann rief Mary: „Ich verliere langsam die Geduld! Zeig endlich, was in dir steckt!“ Eine Treibjagd, um ihr etwas zu entlocken, was gar nicht da war? Schon wieder kamen Kisara die Tränen. Konnte das nicht einfach nur ein böser Traum sein? Wütend preschte Mary auf das Mädchen zu und legte ihre Hand um dessen Hals. „Du kleines Miststück, ich weiß, was du bist!! Du willst mich reizen, was? Dich über mich lustig machen! Oh, wie ich euch arroganten Mistviecher hasse!! Das wirst du bereuen!!!“ Kisara wehrte sich nicht; sie hatte einfach keine Kraft mehr. „Mama... Papa...“ Plötzlich wurde Marys Handgelenk von einer anderen Hand ergriffen. „Lass sie sofort los.“ Es war Balian, der die Jägerin mit ernstem und kühlen Blick anschaute. „Du schon wieder, du kleiner-“ „LASS SIE LOS, MARY!!“ Mary zuckte zusammen. Nun drückte seine Hand, die immer noch ihren Arm umschlossen hielt, so fest zu, dass es richtig weh tat. Sie ließ Kisaras Hals los und ging automatisch ein paar Schritte zurück. Balian fing Kisara, die auf der Stelle in sich zusammensackte, behutsam auf. „Kisara? Kisara! Bitte sag doch was!“ Halb ohnmächtig starrte Kisara ausdruckslos ins Leere. Dass sie Chico überhaupt noch so fest umklammern konnte, war ein Wunder. Doch dieser schien sich inzwischen etwas eingeengt zu fühlen, denn er strampelte sich frei. „Kisara! Bitte komm wieder zu dir!“ Kisara schreckte zusammen und blickte Balian benommen an. „B-Balian?“ Er nickte und lächelte dann. „Ich bin da. Du musst jetzt keine Angst mehr haben.“ Dicke Tränen liefen Kisara die Wangen hinunter. „Ich... Ich will nach Hause...“ Heftig schluchzend klammerte sie sich an Balian fest. Doch nun fesselte etwas anderes seine Aufmerksamkeit. Der Wolf kam auf ihn und Kisara zu gestürmt, die Zähne wütend gefletscht. Balian ergriff den kleinen Hund und hob blitzschnell vom Boden ab. Auch Mary, die sich wieder gefasst hatte, schäumte immer noch vor Wut. Doch dann geschah etwas, womit keiner gerechnet hatte. Eine Art weißer, dünner Blitz fegte wie aus dem Nichts auf Balian zu. Haarscharf wich er aus, und doch streifte ihn die seltsame Attacke am Arm, sodass ihn ein scharfer Schmerz durchzuckte. Kisara war inzwischen bewusstlos geworden. Balian hatte Chico fallen gelassen, glücklicherweise fiel er aber nicht besonders tief und kam wohlbehalten auf. Der Schmerz in Balians Arm wurde zu einem unangenehmen Brennen. „Was zum...“ „So mein Kleiner, es hat sich ausgezaubert...“, sagte eine tiefe, ruhige, hochmütige Stimme. Sowohl Mary als auch Balian wandten ihre Köpfe in die Richtung, aus der die Stimme kam. Und schon zeigte sich auch deren Urheber: Einige Meter vor Balian, ebenfalls in der Luft schwebend, erschien ein Mann. „Lu-Lucien, was machst du hier?? Misch dich gefälligst nicht in meinen Auftrag ein!!“, schrie Mary den Fremden hysterisch an. „Hm... das tut mir sehr Leid, Mary... ich wollte dir nur ein wenig unter die Arme greifen, da du ja offenbar in Bedrängnis bist...“, antwortete dieser mit höflicher Stimme. „Du bist also auch einer von den Jägern?“, mischte sich Balian in die Konversation ein. „Genauso ist es, mein Junge... wenn ich mich kurz vorstellen darf, mein Name ist Lucien.“ Er verbeugte sich mit einer eleganten Bewegung. Lucien? Balian glaubte, diesen Namen irgendwann schon einmal gehört zu haben. „Und du... bist Balian, nicht wahr?“ Urplötzlich schwebte er nur noch etwa einen halben Meter vor Balian. „Der Junge... mit den Augen, die mehr sehen als jedes unsterbliche Wesen?“ Der Zauberlehrling glaubte seinen Ohren nicht zu trauen: Woher wusste dieser seltsame Mann, der obendrein noch zu dein Einhornjägern gehörte, von seiner Gabe? Entsetzt blickte er in die kühlen dunklen Augen, die ihn neugierig musterten. „ Woher weißt du das...? Was bist du?“ „Das ist nicht wichtig... viel interessanter ist doch: Wer ist sie?“ Balian drückte Kisara fester an sich. „Was auch immer ihr von dem Mädchen wollt, ich werde sie euch ganz sicher nicht übergeben!“ „Hm... das wird sich zeigen. Wenn du sie mir nicht freiwillig aushändigen willst, habe ich wohl keine Wahl, als sie mir zu holen.“ Der Mann namens Lucien feuerte einen weiteren Lichtblitz ab, doch Balian baute ein Kraftfeld um sich auf, an dem der Angriff mit einer gewaltigen Wucht abprallte. Er wollte keinen Kampf – was, wenn Kisara zu Schaden kam? Kisara öffnete mühsam die Augen. Sie hatte überhaupt keine Orientierung mehr, wo sie eigentlich war. Doch als ihr Blick zufällig nach unten auf den Erdboden fiel, wurde ihr Kopf wieder klar:„Oh nein... Chico!!!“ Marys riesenhafter Wolf hatte die Verfolgung des kleinen Hundes aufgenommen und jagte ihn erbarmungslos durch die Bäume. Nach Kisaras Aufschrei wurde auch Balian der Situation bewusst: „Pfeif deinen widerlichen Köter zurück, du alte Schreckschraube!!“ „Hier spielt die Musik... vergiss deine Deckung nicht, junger Freund...“ Luciens nächster Zauber traf Balian so unglücklich in den Magen, dass sein eigener Schwebezauber aufgelöst wurde und er abstürzte. Im letzten Moment, kurz vorm Boden, stellte er ihn glücklicherweise wieder her, um sich anschließend sanft auf die Erde sinken zu lassen. Zu Kisaras Sorge um Chico kam eine weitere: „Balian, was ist mit dir? Sag doch was! Balian!!“ Nicht genug, dass Dinge passierten, die eigentlich unmöglich waren – jetzt kamen auch noch andere wegen ihr, Kisara, zu Schaden! Balian lag flach auf dem Boden, schwer atmend, die Hände auf den Magen gepresst. Als er sah, dass der unheimliche Jäger Lucien auf sie zugerauscht kam, berappelte er sich, zog Kisara an sich und rief: „Des Winters kalter Frost sei mir ergeben, im ewigen Eis soll der Feind sich nicht mehr erheben!“ Aus seiner Hand stob ein Funke; der Schnee in unmittelbarer Umgebung begann unwirklich zu glitzern. Lucien wurde von einer Welle aus Schneestaub erfasst, im nächsten Moment erstarrte er zu Eis – allerdings blieb er in der Luft schweben. Kisara fielen beinahe die Augen aus dem Kopf. Doch viel Zeit sich zu wundern hatte sie nicht, denn Balian, der sich vor Erschöpfung nicht mehr aufrecht halten konnte, fiel ihr in die Arme. „Balian! Bitte, komm wieder zu dir! Lass mich... doch nicht alleine... Balian...“ „So... das ist die Strafe für die unzähligen kindischen Beleidigungen! So einfach lasse ich mich nicht fertig machen, schon gar nicht von Bälgern!“ Es war Mary, die Chico am Nackenfell hochhielt und Kisara mit dem Blick einer Wahnsinnigen anstierte. „Nein!! Bitte lassen Sie ihn in Ruhe!! Sie wollen doch mich, mein Hund hat damit doch gar nichts zu tun!!“ Mary lachte schadenfroh; der wimmernde Chico hing an ihrem ausgestrecktem Arm. Der Wolf lauerte gierig und mir gefletschten Zähnen darauf, dass seine Herrin ihn fallen ließ. „Ich lasse mir von Lucien nichts streitig machen, nein... solange der da oben eingefroren ist, werde ich diejenige sein, die dich bekommt!“ Mary tat es tatsächlich: Sie ließ Chico fallen. „Neeeiiiinnn!!“ Balian kam schlagartig wieder zu sich. Kisara, auf deren Schoß er lag, war so heftig am Zittern, dass ihm die Energie sofort wieder in den Körper schoss. „Kisara! Was-“ Die Worte blieben ihm im Halse stecken, als er das sah, von dem sie paralysiert die Augen nicht mehr abwenden konnte. Ein Monster mit wahnsinnigen Augen und langen spitzen Zähnen machte sich mit grausamer Brutalität über ein kleines, zerfleischtes und von Blut getränktem Etwas her. Balian verstand augenblicklich; er legte seine Arme um Kisara und drückte ihren Kopf an seine Brust. Keine Sekunde länger sollte sie dabei zusehen, wie ihr geliebtes Hündchen ein grauenhaftes Ende fand... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)