Irgendetwas war da von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 4: Näher kommen ----------------------- „Nishikido Ryo!“ kam Koyama ins Zimmer gerannt. Er öffnete die Tür mit solch einer Wucht, dass sie mit einem lauten Knall gegen die Wand donnerte. Ryo sprang in seinem Bett auf. Er wusste nicht, was geschah. Seine weit geöffneten Augen fixierten Koyama, der vor ihm stand, die Hände in den Hüften. Er seufzte, bevor er anfing. „Ich erhielt gerade einen nicht so erfreulichen Anruf von deiner Mutter.“ Er hielt inne und warf Ryo einen böse gemeinten Blick zu. „Die wiederum hatte heute Morgen schon mit DEINEM Arzt gesprochen. Sieht wohl so aus, als ob du… Nein, wir beide in Schwierigkeiten stecken. Was sagst du zu deiner Verteidigung?“ Koyamas Blick bohrte sich durch Ryo. Dieser wusste immer noch nicht was los war, wurde er ja erst gerade aus seinem Traum gerissen. „Verstehe.“ Koyama richtete einen Zeigefinger auf Ryo. „Du bevorzugst es zu schweigen.“ Er ging zum Fenster und hatte dabei die Finger ans Kinn gelegt. Im Umdrehen sagte er: „Das bringt dir aber nichts. Ich weiß Bescheid. Deine Mutter hat am Telefon keine einzige Kleinigkeit ausgelassen. Ich glaube sie traut mir jetzt nicht mehr so viel zu.“ Er grinste dabei. „Mein Auftrag ist klar. Also, raus aus den Federn, du Schlafmütze. Nach dem Frühstück geht’s zum Arzt.“ Er erhob den Zeigefinger erneut, als er merkte, dass Ryo endlich etwas zu dem Ganzen sagen wollte. „Ah, ah. Keine Widerworte! Deine Mutter war eindeutig! Und ich will sie nicht verärgern. Um ehrlich zu sein, ich habe Angst vor ihr“, er lachte Ryo an, bevor er sich auf ihn zu bewegte. „Los jetzt! Du hast einen Termin um 9 Uhr!“, Koyama zog Ryo am Arm, damit dieser endlich aufstand. „Mir geht es gut“, setzte er an. „Ich brauche nicht mehr zum Arzt.“ Koyama hob beide Augenbrauen und blickte Ryo unüberzeugt an. „Ach, sind wir jetzt hier der Experte, mein Herr? Entschuldige, aber ich habe es doch glatt nicht mitbekommen, als du dein Diplom in der Medizin erhalten hast.“ Er lachte über seinen eigenen Witz. „Ich glaube dein Arzt wird wohl aus einem guten Grund deine Mutter angerufen haben und deshalb“, er zog erneut an Ryos Arm, „deshalb gehst du heute hin. Und ich sorge dafür, egal wie!“ Seine Lippen verzogen sich zu einem schmalen Lächeln. Ryo blickte Koyama missmutig an. Aber ihm blieb nichts anderes übrig. Koyama hatte diese Hartnäckigkeit an sich, die Ryo manchmal zur Weißglut brachte und er hatte im Moment keine Lust auf Diskussionen. „Habe ich eine Wahl?“, fragte Ryo, die Antwort bereits wissend und erhielt nur ein breites Grinsen. „Es war nichts ernstes“, sagte Ryo, als er sein Zimmer betrat mit Koyama im Schlepptau. Er zog sein Sakko aus und steuerte seinen Schrank an, um in etwas Bequemeres zu schlüpfen. „Nichts Ernstes? Dein Arzt macht sich Sorgen, weil du deine Medizin nicht abholst und du sagst mir es ist nichts Ernstes?“, Koyama lies sich in den Sessel in der Ecke des Zimmers sinken. Er wollte gerade weiter reden, als ein Klingeln ihn unterbrach. „Ja, bitte“, sprach Ryo in den Hörer. „Ja Mutter. Ich war da. Koyama hat dafür gesorgt.“ Koyama schaute Ryo an, der sich auf das Gespräch konzentrierte. „Ja, es wird nicht wieder vorkommen, Mutter“, versicherte er. Eine Weile schwieg er. „Ich verstehe. Ich werde da sein“, sagte er und beendete das Telefonat. Koyama schaute ihn fragend an, während Ryo zurück zum Schrank kehrte und sich eine verwaschene Jeans heraus holte. „Was ist das für eine Verabredung?“, kam es von hinten. Kühl antwortete Ryo: „Sie will, dass ich jemanden treffe.“ „Eine SIE?“, fragte Koyama unwissend darüber, dass er ins Schwarze getroffen hatte. Ryo schloss den letzten Knopf seiner Hose, ging auf Koyama zu und blieb vor ihm stehen. Nur ein kleiner Spalt trennte die Gesichter. Ryo lachte plötzlich auf. „Das geht dich gar nichts an“, sagte er ihm und schwang sich gut gelaunt zur Tür. Koyama war im ersten Moment sprachlos wegen des plötzlichen Stimmungsumbruches. „Eh? Was ist denn mit dir?“, fragte er und folgte Ryo nach draußen. Doch Ryo gab ihm keine Antwort, stattdessen ging er sichtlich erheitert die breite Mahagonitreppe hinab und zielte direkt die gläserne Wand an. Er öffnete die Tür und trat in den Garten hinaus. Koyama hatte etwas Mühe mit ihm Schritt zu halten. Plötzlich blieb er stehen. Er sah, dass Ryo unmittelbar das Sonnenblumenfeld anvisierte. „Du willst zu ihm?“, rief er Ryo hinterher. Ryo drehte sich mit ganzem Körper zu Koyama, so dass seine Arme leicht hin und her schwenkten, nickte mit einem breiten Grinsen im Gesicht und beschleunigte sein Tempo. Koyama sah Ryo zu, wie dieser über den Zaun sprang und im Feld verschwand. Da war etwas in seinem Herzen, dass er nicht kannte. Er spürte zum ersten Mal in seinem Leben ein starkes Unwohlsein. Ryo war so glücklich und er war nicht der Grund dafür. Es schmerzte ihn, als ihn der Gedanke überkam, dass Ryo ihn nicht mehr brauchen könnte. Dass er ohne ihn viel glücklicher ist. Dass er nun ganz alleine dastand. Ryo fand schnell zu dem Platz, an dem er und Yamapi sich das letzte Mal getrennt hatten. Sein Lächeln schwand, als er sah, dass dieser nicht da war. „Vielleicht ist es noch zu früh“, dachte er sich und setzte sich auf den harten Boden. „Ich werde hier auf dich warten, auch wenn es eine Ewigkeit dauern sollte, bis du kommst“, sagte er sich und legte sich zufrieden zurück. Die Sonne hatte längst den Zenit überschritten und es war schon Späternachmittag, als Ryo noch immer im Blumenfeld lag. Er war alleine. Yamapi war nicht gekommen. Ryo stieß einen Seufzer aus. „Es wird Zeit“, sagte er schweren Herzens und richtete sich auf. Er wartete noch einen Augenblick und ging dann in die dichten Sonnenblumen. „Hey. Nur weil ich komme, musst du doch nicht gehen“, hielt ihn eine Stimme zurück. Ryo blieb wie angewurzelt stehen. „Yamapi“, schoss es ihm durch den Kopf. Er drehte sich um und tatsächlich stand dieser vor ihm und grinste ihn an. „Magst du meine Gesellschaft also nicht mehr, was?“, neckte Yamapi ihn und setzte sich zu Boden. Ryos Augen folgten ihm. „Was ist? Hast du deine Zunge verschluckt?“, fragte ihn Yamapi, als Ryo immer noch kein Wort gesprochen hatte. Ryo war so glücklich Yamapi zu sehen, dass er ganz vergessen hatte, wie man einen normalen Satz bildete. Endlich schenkte er ihm ein Lächeln und sagte: „Ich dachte du kommst nicht mehr.“ Er nahm neben Yamapi am Boden Platz und für eine Sekunde berührten sich die Finger beider. Ryos Herz fing sofort an zu rasen. Er blickte Yamapi mit großen Augen an, doch dieser schien von der flüchtigen Berührung nicht betroffen zu sein. Er spürte ein leichtes Brennen im Gesicht und wendete sich von Yamapi ab. „Ich bin einfach nicht weggekommen“, sagte Yamapi in die Blumen hinein. Er sagte nichts weiter. Als Ryos rasendes Herz sich etwas beruhigt hatte, wagte er sich wieder Yamapi anzuschauen. Dieser blickte noch immer in die Blumen vor sich und schien von seinen Gedanken abgelenkt zu sein. Plötzlich blickte Ryo in Yamapis Augen, so dass vor lauter Überraschung Ryo seine Augen weit aufriss. Sie verharrten in dieser Position für einige Sekunden, bis Yamapi Ryo fragend anschaute. „Willst du gar nicht den Grund wissen?“ „Wenn du drüber reden wolltest, hättest du es schon längst gemacht“, bekam Yamapi zurück. Er lachte, hatte er Ryos Direktheit und Ehrlichkeit für einen kurzen Moment vergessen. „Also entweder du bist uninteressiert oder“, Yamapi kam näher an Ryos Gesicht heran, kniff seine Augen zusammen und blickte tief in die des anderen. Ryos Kehle schnürte sich augenblicklich zu und er konnte nur noch wenige Atemzüge machen. Er spürte Yamapis Atem auf seinem Gesicht. Er war ihm so nah. „Oder du bist eine Ausnahme“, beendete Yamapi seinen Satz und rückte wieder zurück. „Nein. Ich bin interessiert“, kam es aus Ryo geschossen. Er wurde rot bei diesem Geständnis. Yamapi lachte. „Ich finde nur, dass es mir nicht zusteht dir Fragen zu stellen.“ Yamapi schaute verwirrt. „Nun, weil ich ein Fremder bin. Ich will dich nicht durch Fragen quasi dazu zwingen mir Sachen aus deinem Leben anzuvertrauen.“ Ryo blickte zu Boden. Er wollte nicht, dass Yamapi ihn so sah, denn die Röte sprang ihm wieder ins Gesicht. „Ich habe dir doch schon gesagt, dass du kein Fremder bist“, entgegnete ihm Yamapi. Ryo schaute verblüfft auf. Hatte er das? „Ah. Ich seh schon. Du weißt es nicht mehr. Yamapi. So dürfen mich nur Freunde nennen“, er verzog dabei ein Lächeln. Ryos Gesicht strahlte sofort und er hätte Yamapi am liebsten umarmt, doch wollte er ihm nicht zu nah treten und diesen Moment dadurch zerstören. Zudem hatte er sich gerade von dem gestrigen Zusammenprall erholt und einen weiteren würde er nicht verkraften, vermutete er. „Ich bin 24 Jahre alt. Ich habe keine Geschwister und meine Eltern sind beide Musiker und ich sehe sie kaum. Ich wohne also alleine in unserer riesigen Wohnung“, sagte er mit einem ernsten Ausdruck. „Ich war vorhin beim Arzt und er wollte mich nicht gehen lassen. Ich muss noch das untersuchen und dies. Halt was Ärzte so sagen“, er versuchte mit einem Lächeln dem Gespräch die Ernsthaftigkeit zu nehmen. „Noch Fragen?“, sagte er Ryo anlächelnd. „Darf ich?“, zögerte dieser. Yamapi bestätigte mit einem kurzen Nicken. „Wieso warst du beim Arzt?“ Und schon wollte er, dass er es nicht ausgesprochen hätte, denn Yamapis Gesichtszüge wurden wieder härter. Einen Moment dauerte es, bis er seine rechte Hand Ryo entgegen streckte. „Ich kann sie kaum mehr richtig benutzen“, sagte er mit traurigen Augen. Beide blickten auf die langen Finger und die glatte, zarte Haut. Ohne zu zögern umschloss Ryo sie mit seinen Händen. Yamapi blickte überrascht auf, als Ryo sanft mit seinen Fingern über Yamapis Hand fuhr. Er ging so vorsichtig damit um, als ob er glaube, sie könne jeden Moment zerbrechen. Er strich über jeden der schlanken Finger und erkundete jede Linie, bis er sie langsam schloss und liebevoll Yamapi anblickte. Dieser hatte in dieser Zeit seinen Blick nicht von Ryo nehmen können. Überrascht zuckte Ryo zusammen, als ob er soeben von etwas gestochen worden wäre. „Äh“, stotterte er. „Es tut mir leid“, und schob Yamapi seine Hand entgegen. Verschämt schaute er zur anderen Seite. Stille füllte die Zeit aus. „Ich hatte einen Unfall“, begann Yamapi wieder, „als ich auf dem Weg zu einem Auftritt war. Der Fahrer des anderen Autos ist direkt in mich reingefahren. Mein rechter Arm wurde dabei am schwersten verletzt. Das war vor 7 Monaten.“ Er schaute in den Himmel, der wolkenlos über ihnen stand. Ryo blickte zu Yamapi. „Jetzt kann ich nicht mehr spielen“, seufzte er den Kopf im Nacken. „Wo eine Tür sich schließt, öffnet sich eine andere“, entgegnete ihm Ryo entschlossen. Yamapi lachte überrascht auf. „Du bist wirklich eine Ausnahme. So ganz anders als die anderen.“ „Ist das ein Kompliment?“, fragte Ryo grinsend. „Um“, nickte Yamapi zustimmend und beide lachten. Die Dämmerung war schon fast komplett abgeschlossen, als beide immer noch im Sonnenblumenfeld saßen und sich unterhielten. Ohne die wärmenden Strahlen der Sonne, blies der Wind jetzt kälter und Ryo hielt beide Arme fest verschlungen um den Körper. „Wir sollten gehen“, schlug Yamapi vor. „Du frierst schon.“ Ryo blickte ihn nur an. Er wollte nicht, dass dieses Zusammensein ein Ende nahm. Er wollte sich nun weiter so ungezwungen mit Yamapi unterhalten und mehr von ihm erfahren. „Wie ein Buch“, sagte er. Ryo wusste nicht, was er meinte und warf ihm einen fragenden Blick zu. Yamapi hatte die Enttäuschung ihn Ryos Gesicht bemerkt. „Man kann in dir lesen wie in einem Buch“, lachte er. Er stand auf und reichte Ryo seine linke Hand. Ryo wusste nicht, ob sein Herz diese Berührung aushalten konnte, doch es reizte ihn viel zu sehr. Er schloss seine Hand fest um die des anderen und dieser zog ihn hoch. Beide standen sich nun gegenüber. „Wir sehen uns dann morgen“, sagte Yamapi und legte seine Hand auf Ryos Schulter. Erfüllt vor Freude, nickte Ryo, als ihn im gleichen Moment die Realität einholte. „Nein“, sagte er plötzlich. „Ich… Ich kann morgen nicht kommen.“ Yamapi schaute ihn an, als ob er darauf wartete, dass noch etwas folgte. Doch es kam nichts. Mit einem halbherzigen Lächeln sagte er:“Na dann sehen wir uns wann anders“, und er hob die Hand zum Abschied und verschwand in den Sonnenblumen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)