Angriff ist die beste Verteidigung von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 9: Teil 2 - Kapitel 1 ----------------------------- Angriff ist die beste Verteidigung by CarpeDiem Teil 2 Stronger There's nothing you can do or say. I've had enough. I'm not your property as from today. You might think that I won't make it on my own. But now I'm stronger than yesterday. Now it's nothing but my way. I am stronger than I ever thought that I could be. I used to go with the flow, Didn't really care about me. You might think that I can't take it, but you're wrong. Because now I'm stronger. Stronger by CarpeDiem 1 Akihito verlagerte das Gewicht der schweren, braunen Papiertüte auf seinen linken Arm, während er mit seiner anderen Hand in der Hosentasche seiner Jeans nach dem Haustürschlüssel suchte. In der Tüte befanden sich die Einkäufe für diese Woche und Akihito hatte noch nie verstanden, warum die braunen Papiertüten, die man in den kleineren Geschäften immer noch bekam, nicht auch endlich durch Plastiktüten mit Tragegriffen ersetzt wurden. Das würde es einem viel leichter machen die Sachen nach Hause zu bringen. Akihito hoffte inständig, dass der Boden der Tüte nicht reißen würde, bevor er in der Wohnung war und sie auf dem Küchentisch abstellen konnte. Vielleicht wäre es doch besser gewesen noch eine zweite Tüte zu nehmen und nicht zu versuchen alles in eine zu packen, aber zwei waren noch umständlicher zu tragen als eine. Akihitos Finger ertasteten in seiner Hosentasche den Schlüssel und er zog ihn umständlich heraus, während er aufpasste, dass nichts aus der Tüte fiel. Dann steckte er den Schlüssel ins Schloss und sperrte auf. Die Wohnung, die Roy vor knapp zwei Monaten gemietet hatte, war nichts Besonderes. Das Haus war einer der typischen Plattenbauten, die es in Osaka zu hunderten gab und obwohl die blaue Fassade ziemlich hässlich war, hatte die Wohnung einen gewissen Charme. Sie war zwar nicht ganz so groß wie Roys alte Wohnung, aber dennoch mindestens doppelt so groß wie Akihitos früheres Apartment. Der einzige Schönheitsfehler war, dass sie sich im neunten Stock befand und es keinen Aufzug gab. Am Anfang war Akihito regelmäßig vollkommen außer Atem gewesen, wenn er die unzähligen Treppen hinauf gegangen war, aber mittlerweile hatte er sich daran gewöhnte. Das tägliche Lauftraining musste schließlich für irgendetwas gut sein. Seit sie in diese Wohnung gezogen waren, hatte Roy damit begonnen jeden Morgen vor dem Frühstück mit Akihito laufen zu gehen. Angefangen hatten sie mit fünf Kilometern und mittlerweile hatten sie sich auf zehn gesteigert. Akihito hatte schon immer eine gute Ausdauer gehabt und so hatte es nicht lange gedauert, bis er mit Roy hatte mithalten können. Bis vor drei Wochen war Roy noch jeden Morgen mit ihm zusammen gelaufen, aber mittlerweile beschränkte er sich darauf höchstens drei Mal die Woche laufen zu gehen, während er Akihito jeden Tag in der Früh aus der Wohnung jagte und selbst bis Mittag schlief. Allerdings hatte Roy auch noch einen Job als Barkeeper in einem Club und arbeitete mehrere Abende in der Woche bis spät in die Nacht, sodass man es ihm nicht verdenken konnte, dass er in der Früh keine Lust zum Aufstehen hatte. Akihito glaubte jedoch, dass das nur ein Vorwand war, um nicht mit ihm Laufen gehen zu müssen, und dass Roy im Allgemeinen ziemlich faul war. Den Job machte er nur, weil er sagte, dass ihm sonst zu langweilig werden würde, wenn er die ganze Woche nichts zu tun hatte. Das wiederrum glaubte Akihito ihm, denn der Lohn, den er dafür bekam, war nicht einmal ein zehntel von den Honoraren, die man ihm für seine Aufträge bezahlte. Akihito hatte mit dieser speziellen Art von Arbeit bisher noch nicht viel zu tun gehabt. Roy sagte ihm nur, wo er einen Auftrag hatte und wie lange es ungefähr dauern würde, bis er wieder zurück kam. Er hatte gesagt, dass er ihn erst auf einen Auftrag mitnehmen würde, wenn er soweit war. Wann genau das allerdings sein würde, wusste Akihito nicht. Im Moment verbrachten sie ihre Tage hauptsächlich mit Kickboxen und anderem Kampftraining. Soweit Akihito das beurteilen konnte, war Roy ziemlich gut, aber Roy meinte, dass er gegen einen geübten Kämpfer regelmäßig den Kürzeren ziehen würde. Akihito konnte jedoch eine ganze Menge von ihm lernen, auch wenn Roy nicht unbedingt der geduldigste Lehrer war. Er schien manchmal zu vergessen, dass Akihito noch nie vorher Kampftraining gehabt hatte und erwartete von ihm, dass er keinen Fehler ein zweites Mal machte. Das wiederrum führte des Öfteren zu kleineren Auseinandersetzungen und zu mehreren blauen Flecken, wenn Roy ungeduldig wurde und sich nicht scheute Akihito zu treffen, wenn er seiner Meinung nach zu langsam war. Akihito hatte bereits ein paar Mal große Lust gehabt alles hin zu schmeißen und einfach zu gehen. Er wusste, dass Roy ihn nicht daran hindern würde, aber er wusste auch, dass er das nicht tun konnte. In sein altes Leben konnte er nicht zurück und er wusste nicht, wo er sonst hingehen sollte. Zum Glück besaß Roy genügend Feingefühl, um ihn nach einer ihrer Auseinandersetzungen für ein paar Tage nicht zu überfordern, damit er Zeit hatte sich wieder zu beruhigen. Obwohl Akihito versuchte sich zusammen zu reißen und vor Roy keine Schwäche zu zeigen, wusste der andere dennoch scheinbar ganz genau, wo seine Grenzen lagen und er achtete darauf Akihito nie zu nahe an eine von ihnen heran zu bringen. Akihito war dankbar dafür. Das Training gab ihm wieder mehr Selbstvertrauen und da Roy ihn permanent auf Trab hielt, hatte er kaum Zeit zu viel nachzudenken. Wenn er abends ins Bett fiel, schlief er beinahe auf der Stelle ein und mittlerweile konnte er sich nicht mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal einen Albtraum gehabt hatte. Er fühlte sich sicher in Roys Gegenwart und langsam fühlte er sich wieder wie er selbst. Ansonsten brachte Roy ihm die unterschiedlichsten Dinge bei, angefangen bei Messerwerfen, wofür Akihito eindeutig eine Begabung hatte, über unzählige Knoten, bis hin zum Einsatz verschiedener Gifte und sämtlicher technischer Geräte, die man bei einem Job brauchen konnte. Das einzige, was Roy ihm bis jetzt nicht in die Hand gegeben hatte, war eine Waffe. Akihito fragte sich, wie lange es dauern würde, bis Roy ihm beibringen würde, wie man mit einer Pistole umging oder mit seinem Präzisionsgewehr schoss. Er hatte ihn vor zwei Wochen ein Mal danach gefragt und Roy hatte ihm geantwortet, dass es bereits zu spät wäre, wenn jemand eine Waffe auf einen richtete. In so einer Situation entschied der Bruchteil einer Sekunde über Leben und Tod. Man musste abdrücken, ohne zu Zögern und solange man das nicht konnte, war es besser es gar nicht erst so weit kommen zu lassen. Wenn Akihito soweit wäre, würde er ihm beibringen zu schießen, und wann das wiederum sein würde, war Roys Entscheidung. Akihito zog den Haustürschlüssel ab, bevor er der Tür einen Tritt versetzte, damit sie hinter ihm wieder ins Schloss fiel. Den Schlüssel hängte er anschließend an einen der Hacken an einem kleinen Brett über dem Schuhschrank. Er hatte noch keine drei Schritte in die Wohnung gemacht, als unvermittelt das leise Klicken einer Pistole ertönte und einen Augenblick darauf hörte Akihito eine Stimme hinter sich. „Keine Bewegung." Akihito zuckte zusammen, bevor er mitten in der Bewegung erstarrte und um ein Haar hätte er die Tüte fallen gelassen. Für einen Moment hatte er das Gefühl sein Herz würde stehen bleiben, doch dann begann sein Gehirn wieder zu arbeiten und er entspannte sich, als er die Stimme erkannte. „Roy", stellte Akihito erleichtert fest und er schloss die Augen, während er tief durchatmete. „Wen hast du denn erwartet?", fragte Roy spöttisch und Akihito fiel augenblicklich ein Name ein, auch wenn er es nicht laut aussprach. Asami. Genau genommen wartete Akihito jeden Tag darauf, dass Asami vor ihrer Tür auftauchen und ihn zurück nach Tokio schleifen würde. Doch das war seit zwei Monaten nicht passiert und langsam teilte er Roys Zuversicht, dass Asami sie nicht finden würde. Er konnte jedoch nicht leugnen, dass sich ein Teil von ihm genau das beinahe verzweifelt wünschte. „Also gut, dann überrasch mich mal", forderte Roy ihn auf und riss Akihito aus seinen Gedanken. „Jemand bedroht dich hinter deinem Rücken mit einer Waffe, was tust du?" Akihito versuchte sich zu konzentrieren und dachte nach. Er war sich ziemlich sicher, dass die Waffe nicht geladen war und da das hier eine weitere Lektion war, versuchte er seinen Kopf zu benutzen. Er könnte versuchen sich umzudrehen und Roy die Waffe aus der Hand zu reißen. Wenn er schnell genug wäre, könnte es klappen, aber er hatte immer noch die Tüte mit den Einkäufen in der Hand. „Kann ich vorher die Tüte abstellen?", fragte Akihito deshalb, doch Roy lachte leise, bevor er ihm trocken antwortete. „Nein." „Da ist unser Abendessen drin!", protestierte Akihito entrüstet und Roy ließ sich angesichts dieser Tatsache seine Antwort noch einmal durch den Kopf gehen. „Na gut, aber langsam", entschied er schließlich und Akihito machte einen Schritt nach vorne, um die Tüte auf dem Schuhschrank abzustellen. Dann ging er wieder einen Schritt zurück und blieb kurz stehen, bevor er sich mit einer schnellen Bewegung umdrehte und versuchte nach Roys Waffe zu greifen. Roy hatte scheinbar damit gerechnet, dass Akihito genau das tun würde und als er einen Schritt zurück machte, griff Akihito ins Leere und stolperte dabei fast. Er schaffte es mit Mühe und Not nicht der Länge nach hinzufallen und als er sein Gleichgewicht wieder gefunden hatte, entschied er, dass es eine gute Idee gewesen war, die Tüte vorher abzustellen. Roy ließ seine Pistole sinken. „Gute Reaktion", meinte er anerkennend. „Aber leider falsch. Warum hast du es nicht geschafft, mir die Waffe wegzunehmen?" Akihito verzog das Gesicht. „Weil ich zu langsam war?", fragte er, als läge das klar auf der Hand. Wenn er schneller gewesen wäre, hätte er es vermutlich geschafft. Zu seiner Überraschung schüttelte Roy den Kopf. „Nein, weil du zu schnell warst", erklärte er. „Du hast weder gesehen, wo die Waffe war, noch wo genau ich gestanden habe, als du dich umgedreht hast. Du kannst dich nicht auf Vermutungen verlassen, wenn dich jemand mit einer Waffe bedroht. Wenn du dich umdrehst, musst du zuerst feststellen, wie weit dein Angreifer von dir entfernt ist und auf welcher Höhe er die Waffe hält. Erst dann kannst du danach greifen." Akihito nickte etwas zerknirscht. Er ärgerte sich über sich selbst, dass er nicht selbst darauf gekommen war und es nicht geschafft hatte Roy die Waffe abzunehmen. Roy schien jedoch nicht erwartet zu haben, dass Akihito es schaffen würde und war deswegen offensichtlich nicht enttäuscht von ihm. Nachdem sie beide ihre Schuhe ausgezogen hatten, gingen sie in die Küche, wo Roy sich eine Dose Cola aus dem Kühlschrank holte, während Akihito die Einkaufstüte ausräumte. „Wie war dein Job?", fragte Akihito, als er Butter und Käse in den Kühlschrank räumte und sah zu Roy hinüber, der am Küchentisch lehnte. „Einfach. Sonst wäre ich doch kaum schon wieder hier oder?", entgegnete Roy mit einem Grinsen und Akihito zuckte mit den Schultern. „Im Grunde war es Routinearbeit", erzählte Roy unbeeindruckt. „Und Routinearbeit ist nie besonders spannend. Nicht dass ich scharf auf Schwierigkeiten wäre - bestimmt nicht, das kannst du mir glauben - aber ich weiß eine Herausforderung von Zeit zu Zeit durchaus zu schätzen." Roy trank einen weiteren Schluck von seiner Dose Cola und Akihito stellte eine Packung Reis in einen der Schränke über der Küchenzeile. „Ich war in Tokio noch bei einem alten Freund und habe ihn gefragt, was wir wegen deinem Tattoo unternehmen könnten", erzählte Roy weiter. „Er ist Tätowierer und er hat gemeint, dass es nur etwa zwei Dutzend Studios in ganz Japan gibt, die Laserentfernungen vornehmen. Und dass die sich die Tattoos, die sie entfernen, sehr genau ansehen, sofern man keine Beziehungen hat. Da wir die nicht haben, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis Asami uns finden würde, falls wir zu einem dieser Studios fahren." Akihito senkte seinen Blick auf das breite Lederarmband, das im Moment das Tattoo, mit dem Feilong ihn als sein Eigentum gekennzeichnet hatte, verdeckte. Er wollte dieses Zeichen endlich loswerden und es nicht mehr jeden Tag auf seinem Handgelenk sehen. Es war wie eine permanente Erinnerung an alles, was in Hong Kong passiert war und schließlich auch daran, dass Asami deswegen das Interesse an ihm verloren hatte. Roys Stimme ließ Akihito wieder auf sehen, als er weitersprach. „Als ich dann gefragt habe, was wir stattdessen tun könnten, hat er vorgeschlagen, dass du dir ein anderes Tattoo drüber stechen lässt. Er hat mir die Nummer von seinem Cousin hier in Osaka gegeben und versprochen ihn anzurufen. Er wird keine Fragen stellen, wenn wir dort auftauchen." Akihito blieb unschlüssig mitten in der Küche stehen, während er über diesen Vorschlag nachdachte. Im Moment wollte er nichts mehr, als Feilongs Zeichen nicht länger auf seiner Haut zu tragen, aber er wollte, dass es verschwand und nicht mit etwas anderem überdeckt wurde. Trotz des Lederarmbandes, das er zurzeit trug, konnte er nie vergessen, was sich darunter befand. Allerdings konnten sie es nicht riskieren, dass Asami sie fand und da Akihito dieses Tattoo unter allen Umständen loswerden wollte, blieb ihm wohl keine andere Wahl. Er sah zu Roy und nickte. „Dann machen wir es so, wie ein Freund gesagt hat." +++ XXX +++ Die Glocke über ihnen gab ein helles Klingeln von sich, als Roy mit einer Hand die kleine Tür aufstieß. Die Adresse, die er von Norio bekommen hatte, hatte sie in eines der Viertel von Osaka geführt, die bekannt für ihr Nachleben waren und zwischen mehreren Clubs, die angesichts der frühen Stunde alle noch geschlossen waren, hatten sie die kleine Tür gefunden auf der in großen Buchstaben Tattoostudio Black Sun stand. Während Roy gefolgt von Akihito das Studio betrat, warf er einen Blick durch das kleine Zimmer. Rechts an der Wand stand ein schwarzes Ledersofa mit Leopardenfellkissen und in den Regalen daneben befanden sich zahlreiche Ordner. Über dem Sofa und an jedem freien Platz der Wand hingen Bilder von Tattoos, die der Künstler gestochen hatte und hinter dem blickdichten, schwarzen Vorhand auf der linken Seite, hörte man das leise und beständige Summen einer Tattoomaschine. Roy ging zu dem kleinen Empfangstresen gegenüber der Eingangstür, hinter dem eine junge Frau in einer schwarzen Korsage und mit pinken, hochgesteckten Haaren stand. Sie blätterte gelangweilt in einem Magazin und kaute dabei auf ihrem Kaugummi herum, was Roy einen genaueren Blick auf ihr Zungenpiercing bescherte, als ihm lieb war. Als Akihito und er vor ihr stehen blieben, sah sie auf. „Hi, haben Sie einen Termin?", fragte sie, ohne sich aufzurichten und musterte erst Roy und dann Akihito mit einem abschätzigen Blick. Roy rang sich angesichts des Tons mit dem sie potentielle Kunden begrüßte ein höfliches Lächeln ab, bevor er antwortete. „Nein." „Okay, einen Moment bitte", entgegnete sie desinteressiert und verschwand anschließend hinter dem Tresen durch einen Vorhang, der dort in der Tür hing. Kurz darauf hörte Roy ihre Stimme wieder, als sie jemanden fragte, wie lange es noch dauern würde. Roy nahm an, dass sie den Raum auf der anderen Seite des schwarzen Vorhangs wieder betreten hatte und mit Norios Cousin redete, der gerade dabei war ein Tattoo zu stechen. „Ich komme gleich. Noch fünf Minuten", antwortete eine Männerstimme leise und kurz darauf war die junge Frau wieder bei ihnen. „Sie können da drüben warten", sagte sie und zeigte in Richtung des schwarzen Ledersofas. Roy nickte und setzte sich zusammen mit Akihito auf das Sofa, während die junge Frau geräuschvoll weiter in ihrem Magazin blätterte. Während sie wartete, ließ Roy seinen Blick durch den Raum wandern und sah sich die Bilder an den Wänden an. Einige der Tattoos waren sehr bunt und aufwändig und Roy konnte nicht leugnen, dass ihm manche davon tatsächlich gefielen. Andere wiederrum fand er einfach nur geschmacklos. Viele der Jungs mit denen er bei der Army gewesen war, hatten Tattoos gehabt, aber Roy konnte sich nicht vorstellen sich ein Zeichen für immer auf seine Haut stechen zu lassen. Er verurteilte niemanden, der sich ein Tattoo machen ließ, aber für ihn persönlich kam es nicht in Frage. Ein Piercing würde schon eher seinen Geschmack treffen, vorausgesetzt es war nicht im Gesicht, aber darüber hatte er sich noch nie wirklich Gedanken gemacht. Roy warf einen Blick auf Akihito. Der Junge sah nervös aus und Roy konnte es ihm nicht verdenken. Abgesehen davon, dass es zwangsläufig weh tat, sich ein Tattoo stechen zu lassen, war es eine Entscheidung, die man für sein ganzes Leben traf. In Akihitos Fall war diese Entscheidung noch nicht einmal freiwillig, denn das Zeichen der Baishe Triade auf seinem Handgelenk musste verschwinden, sonst würde er früher oder später Probleme bekommen. Nach einiger Zeit verstummte das Summen der Maschine schließlich und nachdem die junge Frau wieder ins Nebenzimmer gegangen war, dauerte es nicht lange, bis der schwarze Vorhang bei Seite gezogen wurde und zwei Männer dahinter hervor kamen. Sie verabschiedeten sich mit einem Handschlag, bevor der Ältere von ihnen, der mehrere Tattoos auf seinem Arm und ein Piercing an der Lippe hatte, das Studio verließ. Der andere, ein junger Kerl mit kurzen, blonden Haaren, kam auf Roy und Akihito zu und blieb vor dem Sofa stehen. „Hallo, mein Name ist Tatsuki Makino, was kann ich für euch tun?", fragte er mit einem einladenden Lächeln und Roy musterte ihn interessiert. Norios Cousin entsprach in keinster Weise dem Bild, das man im Allgemeinen von einem Tätowierer hatte. Er trug eine weiße Jeans und ein weißes T-Shirt und bis auf zwei unscheinbare, silberne Ohrringe hatte er keine Piercings oder Tattoos - zumindest keine, die sichtbar gewesen wären. Außerdem war er noch ziemlich jung und wenn Roy ehrlich gewesen war, hatte er den vorherigen Kunden, der gerade das Studio verlassen hatte, für den Tätowierer gehalten. Er wusste, dass man Leute nicht nach ihrem Aussehen beurteilen durfte, aber manchmal wurde man trotz dieses Wissens überrascht. „Norio hat uns hergeschickt", antwortete Roy als Erklärung, ohne seinen Namen oder den von Akihito zu nennen und Tatsuki nickte wissend. „Verstehe", sagte er knapp. „Also, worum geht es?" Roy warf Akihito einen auffordernden Blick zu, woraufhin der Junge zögerlich die Schnalle des Lederarmbandes öffnete und dem anderen das Tattoo zeigte. „Wir würden gerne ein anderes Tattoo drüber stechen lassen, damit das hier nicht mehr zu sehen ist." Tatsuki griff nach Akihitos Hand, um sich das Tattoo anzusehen und Roy beobachtete ihn aufmerksam dabei. Er schien das Zeichen auf Akihitos Handgelenk nicht zu erkennen, aber das hatte Roy auch nicht erwartet, immerhin waren sie hier in Japan und nicht in China. Die wenigsten Leute hatten hier schon einmal etwas mit den chinesischen Triaden zu tun gehabt. „Okay, das ist kein Problem", antwortete Tatsuki, nachdem er sich das Tattoo angesehen hatte. „Es ist nicht mehr sehr viel Farbe vorhanden, aber es müsste trotzdem etwas relativ Dunkles sein, um es ganz zu verdecken. Am besten ein Bild mit vielen Schattierung oder ein Tribal", riet er und richtete seinen Blick dann auf Akihito. „Ähm, ich weiß nicht genau…", entgegnete Akihito unschlüssig, doch Tatsuki schien es ihm nicht übel zu nehmen, dass er sich bis jetzt noch keine Gedanken darüber gemacht hatte. „Ich werde dir einfach mal ein paar Motive zeigen, okay?", schlug er vor und holte anschließend drei dicke Ordner aus den Regalen neben dem Sofa, die er auf den Tisch legte. Der erste Ordner, den er aufschlug, enthielt verschiedene Bilder. Es waren alles Fotos von Tattoos, die auf verschiedene Teile des Körpers gestochen worden waren und alle waren schwarz und besaßen großflächige Schattierungen. „Ich kann jede Form und jedes Bild stechen, das du gerne hättest. Von einem Stern über Blumen bis hin zu Micheal Jackson." Akihito sah sich die Bilder an, aber keins davon schien ihm wirklich zu gefallen, weshalb Tatsuki nach dem nächsten Ordner griff. Die Bilder in den Folien zeigten verschiedene Tribals, die sich an den Armen oder Beinen befanden und von denen die meisten schwarz ausgefüllt waren. Roy musste zugeben, dass ihm so etwas besser gefiel, als ein Bild und Akihito schien es ähnlich zu gehen. „Das gefällt mir", sagte er und zeigte auf eines der Bilder mit einem Tribal, das etwa bis zur Mitte des Unterarms und rund herum ging. Tatsuki zeigte ihm daraufhin noch einige ähnliche Motive und es dauerte nicht lange, bis sie eine Form gefunden hatten, die der ersten sehr nahe kam, aber in großen Teilen schraffiert war und Tatsuki per Hand das Tribal in der entsprechenden Größe auf leicht transparentes Papier aufzeichnete, sodass es genau auf Akihitos Arm passte und das Zeichen der Baishe überdeckte. „Das sollte in einer Sitzung zu schaffen sein - etwa zweieinhalb Stunden schätze ich", informierte Tatsuki, als er sich die fertige Vorlage ansah. „Das vorhin war eigentlich mein letzter Kunde für heute, aber weil ihr Freunde von meinem Cousin Norio seid, kann ich es gleich machen, wenn ihr wollt." Akihito war damit einverstanden, da er die ganze Sache verständlicherweise schnell hinter sich bringen wollte. Tatsuki brachte sie in den anderen Teil des Raumes und zog den Vorhang wieder zu, bevor er Akihito anwies sich auf einen niedrigen Stuhl zu setzen und seinen Arm auf eine gepolsterte Bank zu legen. Während Tatsuki und die junge Frau mit den pinken Haaren alles vorbereiteten, nahm Roy sich einen weiteren Stuhl und setzte sich neben Akihito. „Du musst nicht hierbleiben", sagte Akihito, als er sah, dass das Roys Absicht war, aber Roy winkte ab. „Ich muss heute nicht arbeiten und ich hab nichts anderes zu tun. Außerdem würde ich gerne zusehen", entgegnete er mit einem Schulterzucken. Er konnte Akihito deutlich ansehen, dass er nervös war und nur versuchte keine Schwäche zu zeigen. Roy hatte allerdings tatsächlich nichts zu tun und er wollte ihn nicht alleine lassen. Als Tatsuki die Tattoomaschine das erste Mal ansetzte, verzog Akihito das Gesicht und drehte den Kopf weg. „Ich hab deine Kamera gesehen", begann Roy beiläufig. „Ist das eine von den Teuren?" „Ja, mein Vater hat sie mir geschenkt", entgegnete Akihito knapp. „Er war auch Fotograph." „Das ist aber noch eine mit Film oder? Ich hab nie genau verstanden wo eigentlich der Unterschied zwischen einer analogen und einer digitalen Kamera liegt", gab er wahrheitsgemäß zu und als Akihito anfing zu erklären, dass es dabei um Unterschiede in der Auflösung ging, hatte Roy seine volle Aufmerksamkeit, was bedeutete, dass er sich nicht mehr zu sehr auf Tatsuki und das Tattoo konzentrierte. Roy hörte Akihitos detaillierten Ausführungen aufmerksam zu und stellte hin und wieder eine Frage und ihn am Erzählen zu halten. Er selbst hatte keine Ahnung von Fotografie, aber er war sich sicher, dass das ein Thema war, über das Akihito mindestens zweieinhalb Stunden reden konnte. Das würde ein langer Abend werden, aber Roy hatte es schon immer spannend gefunden neue Dinge zu lernen und wenn Tatsuki mit dem Tattoo fertig war, würde er bestimmt Experte in Sachen Kameras und Fotografie sein. tbc. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)