Angriff ist die beste Verteidigung von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 14: Teil 2 - Kapitel 6 ------------------------------ Stronger by CarpeDiem 6 Akihito kroch langsam vor sich durch den dunklen Lüftungsschacht und unterdrückte alle paar Meter den Impuls sich aufzurichten. Er wusste, dass er sich dabei nur den Kopf an der Decke des Schachtes anstoßen würde, aber obwohl er noch keine fünf Minuten hier drin war, sehnte er bereits den Moment herbei, in dem er den Schacht wieder verlassen und sich aufrecht hinstellen konnte. Es war nicht so, dass er unter Klaustrophobie leiden würde - sonst wäre er wohl kaum hier drin - aber der Schacht war gerade so groß, dass Akihito auf allen Vieren hinein passte und sein Rücken und seine Knie taten weh, als er sich im Schein der kleinen Lampe an seinem Headset langsam vorwärts durch die Dunkelheit bewegte. Der Grund, warum er durch diesen Lüftungsschacht koch war, dass Roy und er gerade dabei waren einen Job zu erledigen und Akihito hatte diesen Teil ihres Auftrages bekommen. Zum einen war er kleiner als Roy - wenn auch nicht viel, aber genug, dass es in dem engen Lüftungsschacht einen Unterschied machte - und zum anderen überließ er es lieber Roy ihrem Ziel eine Kugel in den Kopf zu schießen. Es war nicht so, dass er in den vergangenen zwei Jahren, in denen er mittlerweile Roys Partner war, niemanden erschossen hätte, aber wenn er es vermeiden konnte bei ihren Aufträgen persönlich abzudrücken, dann ergriff er diese Gelegenheit dankbar. Ihr Ziel war ein relativ unbekannter, aber ziemlich reicher Holländer namens Adriaan van der Woude. Er gab vor mit Antiquitäten zu handeln, hatte seine Finger aber stattdessen tief im organisierten Menschenhandel. Was auf seinen Schiffen transportiert wurde, waren so gut wie nie Kunstgegenstände, außer wenn es darum ging, den Zoll auf eine falsche Fährte zu führen. Ihr Auftraggeber hatte, soweit Akihito wusste, eine persönliche Rechnung mit van der Woude zu begleichen und wollte ihn deshalb tot sehen. Was jedoch auf den ersten Blick wie ein simples Attentat aussah, hatte sich als scheinbar unlösbare Aufgabe herausgestellt, womit auch geklärt wäre, warum man dafür Profis angeheuert hatte. Van der Woude hatte Agoraphobie, was bedeutete, dass er sein Stadthaus, in das er vor acht Jahren eingezogen war, seitdem nicht mehr verlassen hatte. Außerdem war der Kerl was seine Sicherheit anging geradezu paranoid. Sämtliche Fenster des Hauses waren aus Panzerglas, und obwohl er gelegentlich ein kleines Fenster im zweiten Stock für etwas Frischluft aufmachte, gab es keine Möglichkeit dadurch ins Innere zu gelangen. Damit war die einzige Möglichkeit die Vordertür und die war mit einem Codeschloss gesichert und wurde von einer Sicherheitsfirma rund um die Uhr überwacht. Das System zu hacken, hatte sich als praktisch unmöglich herausgestellt, denn es bestand aus zwei Servern, die van der Woude in einer Titanverkleidung neben seinem Bett stehen hatte. Außerdem war das ganze Haus Innen sowie Außen mit Überwachungskameras gesichert, auf dem Dach befanden sich Drucksensoren und die Tür des Notausgangs war mit einem Netz aus Lasern gesichert. Selbst Roy hatte noch nie solche ausgeklügelten Sicherheitsmaßnamen gesehen. Akihito war bereits soweit gewesen diesen Auftrag als unmöglich abzuhacken, aber Roy hatte schließlich den einzigen wunden Punkt in van der Woudes Sicherheitssystem gefunden: die Sicherheitsfirma, die alles überwachte, hatte einen Mastercode, der sämtliche Eingänge öffnete und den Alarm deaktivierte. Und bei genau dieser Sicherheitsfirma brach Akihito gerade ein, um sich den Mastercode aus dem Safe des Direktors zu besorgen. Da das Hauptgebäude der Firme und van der Woudes Haus jedoch zu weit auseinander lagen und der Code eine halbe Stunde nach einem Sicherheitsproblem bei der Firma deaktiviert wurde, hatten sie sich aufgeteilt. Akihito brach bei der Sicherheitsfirma ein, während Roy ihn von einem Lieferwagen einige Querstraße von van der Woudes Haus entfernt, durch das Belüftungssystem leitete, bevor er sich mit dem Mastercode Zutritt zum Haus verschaffen und van der Woude erschießen würde. „Okay und jetzt nach rechts", hörte Akihito Roys Stimme über sein Headset. Er hatte die Pläne des Gebäudes der Sicherheitsfirme vor sich auf dem Laptop und verfolgte Akihitos Bewegungen durch die Lüftungsschächte, die der einzige Weg gewesen waren in das Gebäude zu gelangen. Akihito blieb stehen und sah nach rechts, doch da war kein Gang, sondern lediglich die silberne Wand des Lüftungsschachtes. „Geht nicht", informierte er Roy leise und wartete einen Moment, bis er eine Antwort bekommen würde. „Was meinst du mit ‚geht nicht'?" Akihito rollte genervt mit den Augen. „Dass es nicht geht. Es gibt hier kein rechts." „Was soll das jetzt wieder heißen?", fragte Roy ungehalten und Akihito griff nach dem Headset, um es sich vom Kopf zu ziehen. Er richtete die Kamera auf sein Gesicht, wobei ihn das Licht der kleinen Lampe blendete. „Dass es hier kein rechts gibt. Es gibt geradeaus, links und da, wo ich hergekommen bin", entgegnete Akihito ungeduldig und schwenkte die Kamera anschließend nach rechts, bevor er mit dem Handrücken gegen die Mauer des Schachtes klopfte. Es ertönte ein dumpfes Geräusch, da Akihito dünne Lederhandschuhe trug, aber Roy konnte es über die Funkverbindung hören. „Ich kann nicht nach rechts, siehst du?", machte Akihito deutlich. „Hier ist eine Wand. Was soll ich jetzt tun?" Akihito setzte das Headset wieder auf und wartete, doch über den Kanal zu Roy herrschte Stille. Er stöhnte leise und wartete noch einen Augenblick lang. Der Lüftungsschacht war nicht gerade gemütlich und er wollte so schnell wie möglich wieder nach draußen wo er aufrecht stehen konnte. Außerdem kostete das hier Zeit und der Direktor der Sicherheitsfirma würde nicht den ganzen Tag lang beim Mittagessen sein. „Hallo?" „Ja, Moment noch!", schnappte Roy zurück und Akihito konnte hören wie Roy auf seinem Laptop verschiedene Tasten drückte. „Ich hab keine Ahnung, was da passiert ist", gab Roy schließlich zu. „Laut meinem Plan müsste es hier einen Gang nach rechts geben." „Tut es aber nicht", antwortete Akihito überflüssigerweise, bevor er den Kopf schüttelte und dann weiter geradeaus durch den Schacht krabbelte. Er konnte nicht ewig darauf warten, dass Roy das Problem finden würde. „Hey, was machst du da? Ich hab doch gesagt, du sollst warten!", beschwerte sich Roy, als er über die kleine Kamera sah, wie Akihito sich wieder bewegte. „Ich improvisiere", antwortete Akihito trocken und kroch im Halbdunkeln langsam weiter vorwärts. Er wartete nur darauf, dass Roy ihn wieder zur Schnecke machen würde, weil er vom Plan abwich. Roy hasste es, wenn er eine Situation nicht unter Kontrolle hatte, aber Akihito war der Meinung, dass Roy immer viel zu viel Wert auf seine Planung legte. Selbstverständlich brauchte man einen gut durchdachten Plan, um einen Auftrag zu erledigen, aber Roy war geradezu besessen von Details und ließ keinen Platz für Fehler, egal ob technische oder menschliche. „Welchen Gang hast du genommen?", wollte Roy daraufhin wissen und Akihito antwortete ihm. „Geradeaus." Wieder herrschte Stille und das einzige, was Akihito in dem Lüftungsschacht hören konnte, war das Geräusch seines Atems. „Stopp! Sofort!" Roys laute Stimme versetzte Akihito einen gehörigen Schreck und er zuckte zusammen, während er automatisch in seinen Bewegungen Inne hielt. Er hatte das Gefühl sein Trommelfell wäre geplatzt und er verzog schmerzhaft das Gesicht, während er eine Hand über sein Ohr legte. „Was ist denn jetzt schon wieder los?", fuhr er Roy gepresst an, als nichts weiter passierte. „Da vorne geht es etwa zehn Meter senkrecht nach unten!", antwortete Roy etwas heftiger, als beabsichtigt und Akihito kniff die Augen zusammen, um in dem schwachen Licht seiner Lampe etwas sehen zu können. Im ersten Moment glaubte er, dass Roy sich schon wieder geirrt hatte, aber dann sah er den breiten Schacht, der etwa einen Meter vor ihm in die Tiefe führte. Dahinter ging der Gang geradeaus weiter und das silberne Metall des Schachtes spiegelte sich im schwachen Licht gerade so, dass Akihito den Abgrund vor ihm nicht gesehen hatte. Wenn er da hinunter gefallen wäre, hätte er sich das Genick gebrochen. Akihito atmete tief durch, als ihm klar wurde, wie nahe er seinem eigenen Tod gerade gewesen war. „Scheiße." „Oh ja", bestätigte Roy leise und er klang genauso erleichtert, wie Akihito sich fühlte. „Du musst zurück und nach links." Akihito krabbelte daraufhin rückwärts durch den Schacht zurück, da es hier drin so eng war, dass er sich nicht umdrehen konnte. Als er wieder an der Kreuzung von vorhin angekommen war, wandte er sich nach links. „Bist du sicher?", fragte er zur Sicherheit noch einmal nach, während er sich langsam vorwärts tastete. Der Schreck saß ihm immer noch in der Knochen und er bewegte sich jetzt viel vorsichtiger durch den Lüftungsschacht als vorher. „Ja", antwortete Roy überzeugt. „Ich war auf dem falschen Stockwerk." „Na super", murmelte Akihito leise, während er sich weiter durch den Schacht bewegte. Als er vor sich eine weitere Kreuzung sah, wollte er Roy gerade fragen, wo er hin musste, als er bereits eine Antwort bekam. „Geradeaus und dann nach rechts. Am Ende des Schachtes ist das Gitter, durch das du in die Putzkammer kommst." „Ja, ich sehe es", sagte Akihito, nachdem er Roys Anweisungen befolgt hatte und schließlich hielt er vor dem Gitter, das genau vor ihm den Weg blockierte, an. Akihito holte einen kleinen Akkuschrauber mit einem passenden Aufsatz aus der Tasche, die er um den Bauch trug. Er steckte den Aufsatz, der so gebogen war, dass er die Schrauben von außen erreichen konnte, durch die Streben des Gitters und öffnete die Schrauben, die daraufhin mit einem kaum hörbaren Klimpern zu Boden fielen. Bevor er die letzte löste, knotete er ein dünnes Seil an das Gitter und als die letzte Schraube entfernt war, ließ Akihito es langsam auf den Boden hinunter. Die Putzkammer war kaum größer als vier Quadratmeter und das Gitter landete lautlos neben einem Putzwagen. Anschließend verstaute Akihito den Akkuschrauber wieder und holte zwei Saugknöpfe mit Griffen aus der Tasche hervor. Er drehte sich um, sodass er auf dem Rücken lag und schob sich dann mit den Füßen langsam an den Rand des Lüftungsschachtes. Als er die Arme hinausstrecken konnte, heftete er die Saugknöpfe an die Decke der Putzkammer und bewegte sich dann mit den Saugknöpfen langsam nach hinten, bis er die Füße aus dem Lüftungsschacht ziehen konnte und sich dann vorsichtig auf den Boden fallen ließ. Er landete genau über dem Gitter und grinste. Das war besser gelaufen, als er gedacht hatte. „Okay, ich bin in der Kammer. Ich mach mich jetzt auf den Weg", informierte er Roy über das Headset, bevor er zur Tür ging und das Schloss mit den Picks aus seiner Tasche knackte. Er brauchte keine fünf Sekunden, bis ein leises Klicken ertönte und er die Tür einen Spalt breit öffnen konnte. Mit einem kleinen Spiegel sah er in den Korridor vor der Putzkammer, aber es war in beiden Richtungen niemand zu sehen. Er wusste, wo sich das Büro des Direktors befand, da er sich den Grundriss des Gebäudes eingeprägt hatte, aber mit dem Belüftungssystem, das einem Labyrinth glich, hatte er sein Glück lieber nicht versuchen wollen. Nächstes Mal wusste er es besser. Akihito schlüpfte aus der Putzkammer und schloss die Tür leise hinter sich, bevor er sich auf den Weg den Korridor entlang machte. Er hatte die Uniform eines Technikers der Sicherheitsfirma angezogen und wenn niemand gesehen hatte, wie er aus der Putzkammer gekommen war, hatte er gute Chancen unbemerkt durch das Stockwerk zu gelangen, während er seinen Kopf gesenkt hielt um sein Gesicht unter der Kappe vor den Kameras zu verbergen. Akihito schüttelte ungläubig den Kopf, als er sich die Farbe an den Wänden ansah. Er hatte zwar irgendwo einmal gelesen, dass Ocker beruhigend wirken sollte, aber er fand es einfach geschmacklos einen Flur in dieser Farbe zu streichen. Nachdem Akihito um mehrere Biegungen gegangen und dabei niemandem begegnet war, erreichte er die Tür, die zum Büro des Direktors führte. Er wollte gerade nach der Sicherheitskarte an seiner Uniform greifen, um die Tür damit zu öffnen, als sein Blick auf das Schloss der Tür fiel und er unterdrückt fluchte. Der Kartenleser war nicht mehr da und dafür befand sich nun ein Codeschloss an der Tür. „Ich sehe es", sagte Roy über das Headset alarmiert. „Verdammt, die müssen in den letzten Tagen ein neues System installiert haben. Gib mir einen Moment. Ich kenne das Modell nicht. Muss wohl etwas ganz Neues sein." Akihito warf einen Blick den Gang hinauf und hinunter, während er darauf wartete, dass Roy das richtige Modell finden würde. Es konnte jeden Moment jemand kommen, und Akihito stand hier trotz seiner Verkleidung wie auf dem Präsentierteller. „Okay, ich hab es. Gerade erst auf den Markt gekommen. Mmh… das wird schwierig. Du musst zuerst die Abdeckung entfernen. Da müssten zwei kleine Schrauben an der Unterseite des Kästchens sein. Anschließend musst du das Panel neu verkabeln indem du…" Akihito hörte Roy jedoch bereits nicht mehr zu. Nachdem er Roys Ausführung einen Moment lang ungläubig gefolgt war, schüttelte er entschieden den Kopf und nahm sein Messer aus einer Halterung an seinem Gürtel, bevor er es kurzerhand in das Tastenfeld steckte. Es funkte kurz, bevor ein leises Piepen ertönte und Akihito zog das Messer mit einem zufriedenen Grinsen wieder heraus und öffnete die Tür. „Oder du zerstörst es einfach", kommentierte Roy diese Vorgehensweise trocken, als er sah, was Akihito getan hatte. Akihito schlüpfte in das Zimmer und zog die Tür hinter sich wieder zu. „Hat doch funktioniert, oder nicht?" „Ja, spitzen Idee Einstein. Damit hast du unter Garantie den stummen Alarm ausgelöst. Also quatsch nicht und sieh zu, dass du den Mastercode findest." Akihito verkniff sich die Bemerkung, dass es nur eine Frage der Zeit gewesen wäre, bis ihn jemand dabei entdeckt hätte, wie er versuchte dieses Codeschloss kurzzuschließen. Roy hatte allerdings Recht, er hatte mit Sicherheit den Alarm ausgelöst, was bedeutete, dass er nicht viel Zeit hatte diesen Safe aufzubekommen. Zum Glück wussten sie die Kombination, denn Roy hatte sich letzte Woche als Mitarbeiter der Reinigungsfirma ausgegeben und eine Kamera im Büro des Direktors angebracht. Akihito ging um den Schreibtisch des Direktors herum und öffnete mit den Picks die hölzerne Tür unterhalb einiger Schubladen, in der sich der Safe befand. An der Tür des Safes war ein Zahlencodeschloss und Akihito tippte den siebenstelligen Code ein. Mit einem leisen Klicken ging das Schloss auf und Akihito öffnete die Tür. Er begann die Papiere zu durchsuchen, die der Direktor in seinem Safe gelagert hatte und es dauerte nicht lange, bis er den Mastercode gefunden hatte. „Ich hab ihn", teilte er Roy mit. „Der Code lautet 7374886032517." „Okay, dann los. Mach, dass du da raus kommst. Ich schalte jetzt ab." Akihito nickte. „Alles klar, viel Glück." „Dir auch", antwortete Roy, bevor ein kurzes Rauschen ertönte und die Verbindung unterbrochen wurde. Akihito machte die Tür des Safes wieder zu und ging dann zurück zur Tür, doch als er nach der Klinke greifen wollte, hörte er Stimmen und Schritte draußen auf dem Gang. Also konnte er seinen Plan, still und leise durch einen der Notausgänge zu verschwinden, wohl vergessen. Akihito griff nach seiner Waffe in der Tasche um seinen Bauch und stellte sich neben die Tür, während er darauf wartete, dass die Sicherheitsleute hereinkommen würden. Den Schritten auf dem Gang nach zu urteilen, waren es höchstens zwei. Einen Moment darauf wurde die Tür bereits aufgestoßen und Akihito rammte dem ersten Kerl seinen Ellbogen ins Gesicht, bevor er ihm seine Waffe aus der Hand schlug und gleichzeitig zwei Schüsse auf den anderen Typen abgab, der hinter dem ersten durch die Tür kam. Die Tranquilizer-Pfeile aus Akihitos Waffe trafen den zweiten Wachmann in die Brust und er stolperte zurück. Währenddessen verpasste Akihito dem ersten Kerl einen Schlag in den Bauch und schlug ihm danach mit dem Griff seiner Waffe in den Nacken, was ihn zu Boden gehen ließ. Hinter ihm war dem zweiten Wachmann seine Pistole aus den Händen gefallen und er sackte mit einem Stöhnen zusammen. Akihito wartete einen Moment, aber keiner der beiden stand wieder auf und das reichte ihm. Er hatte noch ein Magazin mit scharfer Munition in seiner Tasche, aber solange er es vermeiden konnte, würde er auf seinem Weg nach draußen niemanden umbringen, denn die oberste Regel für einen Auftragskiller lautete, dass man Kollateralschäden möglichst vermeiden sollte. Akihito verließ das Büro und lief durch den Korridor zur Tür des Treppenhauses. Als er es fast erreicht hatte, ging die Fahrstuhltür am anderen Ende des Ganges auf und zwei weitere Sicherheitsleute kamen heraus. Einer von ihnen begann auf Akihito zu schießen, aber Akihito war schneller und riss bereits die Tür zum Treppenhaus auf. Mit der Axt aus dem Feuerlöscherkasten blockierte er die Tür und er hörte noch, wie die beiden Kerle dagegen traten, als er bereits die Stufen hinunter rannte. Ein Stockwerk unter ihm befand sich ein Fenster, das auf eine Feuerleiter hinaus führte und Akihito schlug die Scheibe ein, bevor er es öffnete und nach draußen sprang. Er kletterte die Feuerleiter hinunter und machte sich dann auf den Weg zu seinem Auto ein paar Querstraßen weiter, ohne dass ihn jemand verfolgte. +++ XXX +++ Roy gestattete sich ein zufriedenes Lächeln, als das Display an der Wand neben van der Woudes Eingangstür ihm mitteilte, dass das System den Mastercode angenommen hatte und ihm nun Zugang gewähren würde. Ein leises Summen ertönte daraufhin und die Tür, die man von außen nicht öffnen konnte, da es keinen Türgriff gab, ging anstandslos auf. Nachdem er die Tür hinter sich wieder leise ins Schloss gezogen hatte, holte Roy seine Waffe mit Schalldämpfer hervor und ging dann vorsichtig durch den Eingangsbereich von van der Woudes Haus. Dabei bewegte er sich langsam von einer Wand zur nächsten und hielt seine Pistole schussbereit vor sich. Das Innere des Hauses war in dunklem Holz gehalten und mit viktorianischen Möbeln eingerichtet. An den Wänden hingen dutzende von Gemälden und auch wenn Roy keine Ahnung von Malerei hatte, konnte er mühelos erkennen, dass jedes einzelne ein Vermögen wert sein musste. Der teure Teppich auf dem Boden dämpfte seine Schritte, sodass er sich lautlos durch das Haus bewegen konnte. Er hörte kein Geräusch, das ihm einen Anhaltspunkt dafür geben würde, wo im Haus sich van der Woude gerade aufhielt und so durchsuchte er zuerst die Räume im Erdgeschoss. Er ging gerade in einen großzügigen Salon, als er das unverkennbare Klicken einer Waffe gefolgt von einer tiefen Stimme mit einem schweren Akzent hinter sich hörte. „Stehen bleiben. Die Pistole weg und die Hände hinter den Kopf." Roy schloss kurz verärgert die Augen, während er gezwungenermaßen stehen blieb. Er konnte nicht glauben, dass er sich von van der Woude hatte überraschen lassen, auch wenn die dunkle und verwinkelte Einrichtung es schwer machte die Räume genau zu überblicken. Einen Moment überlegte er, ob er sein Glück versuchen sollte, entschied sich dann aber dagegen und warf seine Waffe auf den Boden, bevor er die Hände hinter den Kopf nahm. „Und jetzt langsam umdrehen", sagte van der Woude anschließend und Roy drehte sich langsam auf der Stelle um. Van der Woude stand nur einen knappen Meter von ihm entfernt mit einer Pistole in der Hand. Er war ein älterer Mann in seinen spätem Sechzigern mit schneeweißen, nach hinten gekämmten Haaren und gefurchten, starren Gesichtszügen. Ein höhnisches Lächeln spielte um seine Mundwinkel, als er Roy musterte. „Haben Sie wirklich geglaubt, es wäre so einfach hier einzudringen? Niemand betritt dieses Haus, ohne dass ich es bemerke, nicht einmal mit einem zulässigen Sicherheitscode. Sobald jemand diese Tür öffnet, sehe ich auf mehreren Monitoren im ganzen Haus wer sich Zutritt verschafft hat. Sie hätten sich besser informieren sollen, bevor sie versucht haben hier einzudringen und mich zu töten." Roy verzog keine Miene, aber innerlich schalt er sich einen Idioten, dass er nicht vorsichtiger gewesen war. Er hatte gewusst, dass im ganzen Haus Kameras installiert waren, aber er war der Meinung gewesen, dass er van der Woude überraschen könnte, wenn kein Alarm ausgelöst wurde. Anscheinend hatte er unterschätzt wie paranoid dieser Kerl wirklich war. Allerdings fragte er sich, ob man van der Woudes Verhalten überhaupt als Paranoia bezeichnen konnte, denn immerhin war er der lebende Beweis dafür, dass seine Feinde ihn tatsächlich umbringen wollten. Van der Woude hob seine Waffe an, sodass sie genau auf Roys Herz gerichtet war und Roy überlegte fieberhaft, was er jetzt tun sollte. Dabei fiel sein Blick auf die Pistole in van der Woudes Hand und als er erkannte, um was für ein Modell es sich dabei handelte, hätte er beinahe laut aufgelacht. „Und Sie hätten sich besser informieren sollen, bevor Sie sich eine Desert Eagle Mk-XIX kaufen", antwortete Roy und ging anschließend einen Schritt zur Seite, bevor er mit einer schnellen Bewegung nach dem hinteren Teil des Gehäuses griff, dabei einen kleinen Hebel an der Seite umlegte und das Gehäuse nach hinten abzog, wobei die ganze Waffe praktisch auseinander fiel. Van der Woude starrte vollkommen entsetzt auf den Rest seiner Pistole, den er noch immer in der Hand hielt, unfähig zu begreifen, was gerade passiert war. „Diese Waffe zerlegt man ihn 1,25 Sekunden, steht ihm Katalog", informierte Roy ihn mit einem Grinsen, bevor er van der Woude einem gezielten Schlag ins Gesicht versetzte, der ihn bewusstlos zu Boden gehen ließ. Anschließend hob Roy seine eigene Waffe wieder vom Boden auf und schoss van der Woude in den Kopf. Jetzt musste er nur noch den Hauptspeicher der Überwachungskameras löschen und anschließend von hier verschwinden. Er wollte sich gerade auf den Weg nach oben zu van der Woudes Server machen, als er spürte, wie sein Handy in seiner Hosentasche anfing zu vibrieren. Er zog es heraus und sah Akihitos Nummer auf dem Display, bevor er ranging. „Ja?" „Ich bin's. Ich bin am Treffpunkt. Alles klar bei dir?", fragte Akihito und Roy warf einen kurzen Blick auf seine Uhr. Alles lief genau nach Zeitplan. „Ja, Auftrag erledigt", antwortete Roy knapp und auf dem Weg nach oben in den zweiten Stock schüttelte er mit einem leisen Lachen den Kopf. „Du wirst mir nicht glauben, was für eine Waffe der Kerl hatte!" +++ XXX +++ Asami blies den Rauch seiner Zigarette in die kalte, klare Luft. Der gräuliche Dunst löste sich bereits nach einem Moment wieder auf, aber sein Atem stob weiterhin jedes Mal in kleinen Rauchwölkchen aus seinem Mund, wenn er ausatmete. Es war Mitte April und der Himmel war wolkenverhangen und dunkelgrau. Es hatte die letzten Tage ununterbrochen geregnet und obwohl es im Moment trocken war, sah es so aus, als würde der Himmel seine Schleusen jeden Augenblick wieder öffnen. Asami nahm einen weiteren, tiefen Zug von seiner Zigarette und lies seinen Blick über den Friedhof wandern, auf dem er stand. Er hasste diesen Ort, denn er führte ihm vor Augen, dass es etwas gab, das er nicht kontrollieren konnte. Den Tod. Irgendwann würde eine Laune des Schicksals sein Leben und alles, was er sich aufgebaut hatte, beenden. Alles was er tat, würde am Ende nur alles sein, was er getan hatte. Das Leben war vollkommen sinnlos und an Tagen wie diesen kam es ihm einmal mehr vor, wie ein schlechter Scherz. Wenn er darüber nachdachte, dann gab es in seinem Leben nichts, das für ihn von besonders großem Wert war, obwohl er in seinem Leben alles hatte, was er wollte. Zumindest hatte er das bis vor zwei Jahren immer geglaubt. Ihm war nicht bewusst gewesen, dass er auf der Suche nach etwas gewesen war, bis er es gefunden hatte. Und als er es wieder verloren hatte, war ihm bewusst geworden, dass ihm schon immer etwas gefehlt hatte. Seitdem war sein Leben vollkommen leer und alles, was er tat, schien seltsam bedeutungslos. Es war zwei Jahre her, seit Akihito spurlos verschwunden war, aber er war schon lange an dem Punkt angelangt, an dem ihm bewusst geworden war, dass er den einzigen Menschen, der ihm jemals wirklich etwas bedeutet hatte, an diesem Tag für immer verloren hatte. Am Anfang war ihm nicht bewusst gewesen, wie sehr es ihn getroffen hatte. Er war wütend gewesen, dass Akihito es gewagt hatte ihn zu verlassen, aber danach war er in seine alten Verhaltensmuster zurückgefallen und hatte so getan, als ob Akihito ihm nicht mehr bedeutet hätte, als all die anderen vor ihm. Es war ein Versuch gewesen sich vor seinen eigenen Gefühlen zu verstecken, aber die Wahrheit hatte ihn schließlich eingeholt, als er in dem Hotelzimmer in das Gesicht dieses Hosts gestarrt hatte. Er würde den Schmerz, den er in diesem Moment gespürt hatte, nie vergessen, denn innerhalb eines Herzschlages war ihm bewusst geworden, was er tatsächlich verloren hatte. Er liebte Akihito und er hatte ihn verloren und er hatte niemanden, dem er die Schuld daran geben konnte, außer sich selbst. An den Rest dieses Abends, nach seiner Begegnung mit dem Host, konnte Asami sich nur noch schemenhaft erinnern. Er hatte alle seine Termine für den nächsten Tag abgesagt und Kirishima sämtliche Aufgaben übertragen. Danach hatte er sich vollkommen betrunken. Das war normalerweise etwas, das er nie tat, denn er hasste es die Kontrolle über sich zu verlieren, aber ihm war kein anderer Weg eingefallen dem Schmerz wieder zu entkommen. Als er am nächsten Morgen aufgewacht war, hatte er sich grauenvoll gefühlt und feststellen müssen, dass der Schmerz nicht verschwunden war. Dafür war ihm klar geworden, dass er Akihito liebte. Er hatte gewusst, dass der Junge ihm wichtig geworden war, aber er hatte bis zu dem Moment, als er ihn verlassen hatte, nicht gewusst, dass er ihn liebte. Er hatte dieses Gefühl nicht gekannt, aber die Leer und der Schmerz, den es ihm bereitet hatte zu wissen, dass Akihito nicht mehr da war, hatte ihn zum ersten Mal wirklich verstehen lassen, was Liebe war. Gleichzeitig war ihm klar geworden, warum Akihito ihn verlassen hatte. Er allein war der Grund dafür gewesen, sowohl mit etwas, das er getan hatte, als auch mit etwas, das er nicht getan hatte. Er hatte Akihito nie gesagt, wie viel er ihm bedeutete und war stattdessen davon ausgegangen, dass es offensichtlich sei, nachdem er ihn immer wieder gerettet und sich schließlich sogar zwei Kugeln für ihn eingefangen hatte. Aber etwas anzunehmen, war nicht das Gleich, wie etwas zu wissen. Und schließlich hatte er ihn an diesem Abend, als er zu ihm gekommen war, weggeschickt. Er hatte gewusst in welch labilem Zustand der Junge gewesen war, nachdem er ihn aus Hong Kong gerettet hatte, aber er hatte ihn dennoch weggeschickt, als er ihn gebraucht hatte, nur aus dem Grund, weil ihm der Zeitpunkt gerade ungünstig gewesen war. Er hatte seine Organisation über alles andere gestellt, so wie er es immer getan hatte. Asamis Blick wanderte nach unten auf die weiße Grabplatte aus Marmor vor seinen Füßen und zu dem Namen, der dort stand. Das ist dein Verdienst, Vater, dachte er mit einem grimmigen Ausdruck auf dem Gesicht, bevor er ein weiteres Mal an seine Zigarette zog. Dieser Mann, der nie sein Vater gewesen war, hatte alles daran gesetzt, dass Asami so wurde wie er und obwohl Asami sich geschworen hatte, nie so zu werden, war er genau so geworden. Er hatte den Mann, den man seinen Vater genannt hatte, bis zu dem Tag verachtet, an dem er ihn erschossen hatte. Asami erinnerte sich noch genau an diesen Abend. Er war aus Amerika zurück gekommen, nachdem er dort seinen Abschluss in Wirtschaftsinformatik gemacht hatte. Sein Vater hatte versucht seinen missratenen Sohn so weit wie möglich wegzuschicken, um ihm nach den Verfehlungen seiner Jugend, wie er es immer genannt hatte, nicht in die Augen sehen zu müssen. Er war ein verbitterter, alter Mann geworden und die Angst seine Organisation und seine Macht verlieren zu können, hatte ihn paranoid werden lassen. Als Asami an diesem Abend nach Hause gekommen war, war sein Vater betrunken gewesen und nachdem er ihm seine übliche Predigt gehalten hatte, war er zu dem Schluss gekommen sich selbst von der Schande seines unwürdigen Sohnes zu befreien und ihn zu erschießen. Asami war ihm zuvor gekommen. Ein Jahr darauf hatte er versucht seinen Platz in der Unterwelt zu festigen und war nach Hong Kong gegangen. Seine Begegnung mit Feilong hatte ihn gelehrt vorsichtig und misstrauisch zu sein und nicht zu zögern, wenn sich einem eine Gelegenheit bot. Man musste sich das nehmen, was man wollte, denn sonst bekam man gar nichts. Mit Befehlen kam man schneller ans Ziel, als mit höflichen Fragen und mit einer Waffe ging es noch einmal beträchtlich schneller. Feilongs Sturz hatte ihn gelehrt, dass man sich in der Welt in der er lebte nicht von seinen Gefühlen beeinflussen lassen durfte. Gefühle zuzulassen, war ein Ausdruck von Schwäche und kostete einen beinahe immer den Tod. Asami hatte sich die Lektionen, die das Leben ihn gelehrt hatte, zu Herzen genommen. Er hatte versucht Akihito mit Gewalt bei sich zu behalten, obwohl es dazu so viel weniger bedurft hätte. Je wichtiger ihm der Junge geworden war, desto mehr Angst hatte er davor bekommen, dass er ihn wieder verlieren könnte. Und aus dieser Angst heraus, hatte er versucht so viel Kontrolle über Akihito auszuüben, wie er konnte, um zu verhindern, dass er ihm genommen wurde. Er hatte versucht etwas zu erzwingen, das man nicht erzwingen konnte und Akihito hatte ihn daraufhin für immer verlassen. Asami führte seine Zigarette an den Mund und nahm einen letzten tiefen Zug, bevor er sie auf die marmorne Grabblatte zu seinen Füßen fallen ließ und anschließend mit der Spitze seiner teuren, schwarzen Lederschuhe austrat. Dann drehte er sich um und ging über den verlassenen Friedhof zurück zum Eingang, ohne einen Blick zurück zu werfen. Er hatte sich geschworen niemals in der Vergangenheit zu leben, denn man verlor darüber nur allzu leicht den Bezug zur Gegenwart. Die Dinge, die geschehen waren, ließen sich nicht mehr ändern, aber die Zukunft, die noch vor einem lag, konnte man beeinflussen. Als Asami das Eingangstor des Friedhofes passierte, begann es wieder zu regnen und er sah Kirishima, der ihm entgegen gelaufen kam und einen schwarzen Regenschirm über ihm aufspannte. Sie gingen schweigend zur Limousine zurück und als Asami ins Innere des Wagens stieg, fragte er sich, warum er jedes Jahr wieder an diesen Ort kam, obwohl er seinen Vater sein ganzes Leben lang gehasst und verachtet hatte. Vermutlich war gerade das der Grund dafür. Immer wenn er hier her kam, erinnerte er sich daran, dass er nie so werden wollte wie sein Vater. Manchmal fragte er sich allerdings, ob es dafür nicht bereits zu spät war. tbc. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)