Dunkler Honig von vanilla_quicksand (Eine Gangrel. Eine Stadt. Eine Menge Probleme.) ================================================================================ Kapitel 2: Schattenlauf (2) --------------------------- Sie verzog das Gesicht zu einem schwachen Lächeln, als sie sich die weichen Blätter vorstellte. Grün und zart. Vitae rann ihre Wangen hinunter, ein stetiger Fluss. Von den Mundwinkeln aus über den Hals zu Boden. “Komm doch.” Ein heiseres Flüstern, das vom Regen fast übertönt wurde. “Hier bin ich.” Ihr Mund füllte sich mit ihrem eigenen Blut. Hinter ihren Lidern sah Mel ihren Verfolger vor sich. Er würde sich diese Situation nicht entgehen lassen wollen, er wäre der Erste hier, sie war sich sicher. Und sie konnte ihn fast schon riechen. Wo war er? Über ihr in der wispernden Linde? Schlich er noch die Spur entlang oder wartete er schon im nahen Schatten und beobachtete sie? Das gelbe Licht einer einsamen Straßenlaterne färbte die Blutlache, in der sie lag, schwarz; ihre blasse Haut bernsteinfarben. Ihr zerfetzter Fuß hatte aufgehört zu bluten; die Schnitte klafften wie gierige Mäuler. Knochenperlmutt schimmerte sanft am Grund des tiefsten, innen am Spann. Dann trübte eine dünne Haut das Leuchten. Die hungrigen Münder schienen das Warten müde zu sein und nun weniger enthusiastisch zu betteln. Mel spürte, wie sich in ihr langsam, langsam ein winziges bisschen neue Kraft sammelte. Ein Tropfen nur. Ein leuchtender, warmer Tropfen in ihrer Mitte. Nicht genug, um aufzustehen, nicht einmal genug, um sich zu bewegen, weg vom Katzenkopfpflaster und dem Regen auf ihrem Gesicht. Aber wenn das so weiterging, würde sie dem, der sie fand, vielleicht doch noch eine Überraschung bereiten können - zumindest wehrlos würde sie nicht sein. Sie lauschte, angespannt, erwartungsvoll, doch die Nacht blieb leer. Jetzt, da ihre Sinne nicht mehr von Todesangst hochgepeitscht waren, sie sich auf eine seltsam abgeklärte Weise damit abgefunden hatte, dass die Jagd hier und jetzt ihr Ende hatte, erkannte sie, dass sie allein war. Der Tropfen Kraft schwoll unmerklich an. Die Ränder ihrer Kopfwunde krochen aufeinander zu. Die Schnitte wurden langsam flacher. Dünne Fäden bildeten sich dort, wo Sehnen zertrennt worden waren. Die Stücke ihrer zerbissenen Lippe fanden sich wieder zusammen; das Blut sickerte nur noch tropfenweise ihre Wangen entlang, in den vitaestarrenden Pelz an ihrem Hals. Es erreichte nicht einmal mehr die Straße. Mel öffnete die Augen, setzte sich auf. Ich warte, Mar. Komm. Hier bin ich. Am Ende der Fährte. Am Ende - der Fährte - Sie sprang auf. Eine Erinnerung schoss ihr durch den Kopf. Die weißrussischen Wälder; tagelang war sie auf der Jagd nach dem Hirsch gewesen, tagelang hatte sie diese eine Spur verfolgt. War ihrem Opfer näher und näher gekommen, sie hatte es gewusst, die Spur war immer frischer geworden und sie selbst - alle Sinne angespannt - immer feinfühliger, immer zielbewusster; sie war irgendwann nur noch bis ins Unerträgliche gestraffte Bogensehne gewesen und hatte den Augenblick ersehnt, da sie sich endlich selbst als Pfeil ins Ziel schicken konnte. Sie hatte den Moment des Schusses fast schon schmecken können, als sie das Ende der Fährte erreichte und zutiefst ernüchtert feststellen musste, dass - Sie wischte sich unsanft über den Mund und begann wieder zu rennen, in die Richtung, aus der sie gekommen war. Wenn sie Glück hatte, hatter der Regen ihre Spur noch nicht weggewaschen; und die nicht unbeträchtliche Lache unter der Laterne würde ein Übriges tun. Bei deinem Fleisch, das ich dann irgendwann doch zerrissen habe - ich werde genauso eine falsche Fährte legen wie du. Das Klatschen ihrer Sohlen auf dem nassen Boden war langsamer als zuvor; ihre Bewegungen vorsichtiger, bedachter. Doch diesmal lief Mel mit dem siegessicheren Grinsen derjenigen, die weiß, dass sie das Spiel kennt - und in der Hand hat. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)