Dunkler Honig von vanilla_quicksand (Eine Gangrel. Eine Stadt. Eine Menge Probleme.) ================================================================================ Kapitel 6: Zweites Kapitel: Angelockt ------------------------------------- Zwei Tage in der Badewanne und sechs Nächte von Franto und ihrem gesunden Verstand erzwungener Untätigkeit später war das Einzige, das Mel von ihrem letzten Aufeinandertreffen mit Mar geblieben war, ein hinkender Gang und einige dunkelrote Narben. Auch das würde vermutlich bald völlig verschwunden sein. Am siebten Abend wachte sie auf, streckte sich und genoss die wiedergewonnene Bewegungsfreiheit. Sie griff sich ihr Handy vom Nachttisch, teilte Franto und dem Chef des kleinen 24-Stunden-Supermarktes mit, dass sie heute Nacht wieder da wäre, und wählte dann nach einigem Zögern eine dritte Nummer. Ein paar Worte wurden gewechselt, dann legte sie auf, sprang aus dem Bett und huschte in ihr winziges Bad. Unter der Dusche wusch sie sich zum ersten Mal seit einer Woche das getrocknete Blut aus dem Haar, sah den schwarzen Flocken zu, die herauskrümelten und sich zwischen ihren Füßen in rotbraune Schlieren auflösten. Im dampfbeschlagenen Spiegel nahmen ihre Haare die gewohnte goldbraune Farbe an, dunkel durch die Nässe, ihr bepelzter Hals wurde wieder weich und samtig. Nachdenklich betrachtete sie ihren Körper, die unregelmäßige Fellspur, die von ihrem Nacken aus die Wirbelsäule entlanglief und in einem breiteren Fleck über dem Steißbein endete, die runden, roten Narben an den Seiten ihres Brustkorbes und in der Magengrube und ihre Gegenstücke am Rücken. Sie sahen aus wie Brandwunden. Sie drehte den Kopf, warf ihn in den Nacken, nickte ein paarmal. Legte ihn von der einen auf die andere Schulter. Franto hatte wirklich gute Arbeit geleistet; Perfektionist, der er war, hatte er darauf bestanden, das steife Genick mehrmals an verschiedenen Stellen zu brechen, damit es wieder richtig zusammenwuchs. So gut wie neu. Sie strich über ihre Schultern, über die kräftigen Arme, deren dunkle, fast schwarze Luchszeichnung unter der Haut aussah, als wäre sie schon immer dagewesen. Die Rippen entlang; sie wog ihre linke Brust prüfend in einer Hand, hob sie ein wenig an und ließ wieder los. Ihre Hände strichen weiter über die Hüften, die Oberschenkel, tasteten das noch nicht völlig ausgeheilte Knie sorgfältig ab. Die Ruhezeit hatte sich gelohnt; sie war wieder bereit. Wach. Und hungrig - Transfusionsbeutel hatten ihre Gier zwar gestillt, aber ihre Sinne waren unbefriedigt geblieben. Das Tier in ihr stellte die Ohren auf und schnupperte. Sie konnte sie fast kommen riechen, mit jedem Meter Weg, den sie zurücklegte. Mel stieg aus der Dusche, rieb sich Haare und Hals trocken, blickte in den Spiegel und bemerkte, dass ihre Locken einen einzigen zerzausten Wust bildeten. Sie schnitt eine Grimasse und zupfte halbherzig darin herum; hergerichtet oder nicht, sie würde kommen, und dann kam es längst nicht so sehr auf ihr Aussehen an wie auf ... anderes. Zwei Schritte aus dem Bad, ein Griff ins Medizinkästchen und einer in den Kleiderschrank. Sie hatte ihr Knie fertig bandagiert und schloss gerade den Knopf ihrer Armeehose, als es klingelte. Ein Blick durch den Türspion. Im Flur stand eine junge Frau, groß und schlank, mit karamellfarbener Haut. Quer durch ihre Nase zogen sich zwei polierte Holzstäbe, Hornknöpfe in der Größe von Teelichtern dehnten die Ohrläppchen ihrer mit zahlreichen Silberringen versehenen Ohren. Aus ihrem kurzen schwarzen Stachelhaar hingen hier und da lange, verzierte Dreadlocks. "Scheiße!" Mel schlüpfte in das erste herumliegende Kleidungsstück, eine dunkle, ärmellose Weste, zog hektisch den Reißverschluss zu und würgte sich irgendeinen Schal um den Hals. Ein paarmal umgewickelt, ein prüfendes Tasten - das Fell war verdeckt - ein hastiger Knoten - dann setzte sie ein strahlendes Lächeln auf und öffnete die Tür. "Encarna. Süße! Das ging ja schnell." Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um die zwei Köpfe größere Latina zur Begrüßung zu umarmen. Die schaute unsicher zu Boden. "Hätte nicht gedacht, dass du doch noch anrufst. Und dann hatte ich Angst, dass du mich nicht reinlässt, oder mich gleich wieder wegschickst, weil du es dir anders überlegt hast." Sie lachte verlegen. "Verrückt, nicht? Das ausgerechnet mir. War mir doch immer egal, was Leute von mir halten, gerade die, mit denen ich einmal was hatte und dann nie wieder. " Mel schubste sie in die Diele und schloss die Wohnungstür. "Ach, jetzt hör aber auf. Ich hab dir doch nach der Tattoo-Con gesagt, dass ich mich melden werden, und warum sollte ich dich draußen stehen lassen?" Encarna schien unter ihrem nachdenklichen Blick aufzutauen. "Und jetzt komm mal raus aus deiner Jacke. Wir haben eine Stunde, dann muss ich zu meiner Schicht - und ich hab dich vermisst." Encarna streifte gehorsam Schuhe und Mantel ab und folgte Mel durch die Diele. Die dunkelgrün schimmernden Ozelotflecken auf ihren Oberarmen schienen im Dämmerlicht des Flurs ein Eigenleben zu entwickeln. Mel saß bereits auf der Bettkante und sah sie hungrig an. "Ich wundere mich wirklich - ", eine Hand packte Encarna am Arm - "wie eine Frau, die wie du -", sie wurde herumgewirbelt "- ein absolut eigenes Ideal verfolgt -", Mel schubste sie aufs Bett - "in manchen Dingen derartig schüchtern sein kann." Sie ließ sich neben Encarna, die sich gerade wieder aufgesetzt hatte, auf die Matratze fallen. "Ich meine, bis du endlich damit rausgerückt bist, was du eigentlich willst und für wie krank du dich hältst - du, die nichts noch nicht probiert hat und über alle möglichen Vorurteile lacht ... " ... warst du wirklich fürchterlich betrunken und wenn ich keine Unbekannte gewesen wäre, und noch dazu eine, auf die du scharf warst, hättest du es mir auch nie gesagt. Die Latina lächelte sie an. "Naja, ich hab auch wirklich viele Absagen kassiert - und ziemlich deutliche dazu. Ich hab schon gedacht, ich würde nie jemanden finden. Versteh die einer - lassen die wahnwitzigsten Sachen mit sich anstellen, aber bei so was ticken sie aus." Bei dem Fetisch wundert es mich eher, dass dich noch keiner vor mir geschnappt hat. Fast zu gut, um wahr zu sein. "War aber doch schön, oder nicht? Auch, wenn du dich für krank hältst?" Encarnas Blick verschleierte sich, als sie sich erinnerte. "Ich weiß es gar nicht mehr richtig. Nicht, was danach war und wie es genau ablief. Ich weiß nur noch ... ich hab dich geschmeckt, und ... sowas hab ich noch nie vorher erlebt, mit keinem, es war noch hundertmal leckerer, als ich es mir vorgestellt habe, und besser als der beste Sex meines Lebens, dagegen kommt kein Mann an und keine Frau. Krank? Ist mir inzwischen egal, ehrlich gesagt, auch, wenn ich es nicht jedem erzählen würde. Ich hab nur Angst, dass das nie wieder passiert. Ich hab nicht zu hoffen gewagt, dass du dich nochmal meldest, und als du dann doch angerufen hast, dachte ich, das kann doch nicht sein, am besten machst du dir erst gar keine Hoffnungen. Ich meine, was solltest du für einen Grund haben, mich wieder trinken zu lassen? Du hast doch nichts davon." Mehr, als du dir vorstellen kannst. Mel zupfte am Reißverschluss ihrer Weste. "Du willst also mehr? Dann komm." Verführ sie. Ruhig. Bedacht. Du musst nur noch die Hand ausstrecken, so leicht war es noch nie. Ich kann nicht mehr. Ihr Geruch nach Leben zerrt an meiner Beherrschung. Nichts übereilen - sie schwärmt zwar noch davon,aber die paar Tropfen, die sie hatte, reichen nicht aus, um sie zu halten, wenn du sie jetzt erschreckst. Ist schon viel zu lange her. Dann bring ich sie eben um. Ist doch egal, nur, bitte, lass mich ... Du verschenkst damit eine unglaubliche Chance. Du brauchst sie. Sie ist perfekt. Fass. Sie. Nicht. An. Bis du sie sicher hast. Erstaunt geweitete dunkle Augen. "Wirklich? Meinst du wirklich, du willst ... ich darf ... das war echt nicht bloß eine einmalige Sache?!" "Was denkst du denn, warum ich dich überhaupt angerufen habe?", meinte Mel und warf die Enden ihres Schals nach hinten über die Schultern. "Für 'einmal und nie wieder' bin ich die Falsche." Sie zog die Nachttischschublade auf, kramte kurz darin und hielt der jungen Frau ein steril verpacktes Skalpell hin. Encarna starrte sie an, dann nahm sie es beinahe ehrfürchtig entgegen, riss die dicke Plastikschicht auf und warf die Verpackung weg. Sie hielt das kleine, silbrig glänzende Werkzeug leicht in der Hand und betrachtete es. Für einen Augenblick schien außer ihr und dem Operationsmesser nichts auf der Welt mehr zu existieren, nicht einmal Mel. Dann hob sie langsam den Kopf. Leckte über die Schneide. Ihre Augen glänzten fiebrig. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)