Rubina von Rose-de-Noire (Piraten unter sich.) ================================================================================ Kapitel 5: ----------- V Ich sitze am aller höchsten Punkt der Rubina, hoch über den Wellen direkt unter der Flagge und meine Beine baumeln ins Nichts. Weit unter mir gehen unsere Männer und Frauen ihrer gewohnten Arbeit nach, zuverlässig, schnell und gründlich. Genau wie dieses Schiff. Und als irgendwer da unten – ich wette meinen Hut darauf, dass es Silver war – „Drunken Sailor“ anstimmt schallt es bald vielstimmig zu mir herauf. Ich orientiere mich kurz am Stand der Sonne und stelle fest, dass es beinahe Mittag ist. Das erklärt zumindest weshalb mein Magen wie ein Wolf knurrt. Na gut, das ist bestimmt auch zu einem grossen Teil der Tatsache geschuldet, dass ich heute schon im Morgengrauen erwacht bin und gleich nach hier oben geklettert bin. Silver wird nicht zufrieden sein. Er meint ich müsste mehr essen. Zu dem mag er es nicht, wenn ich vor ihm wach bin und aus der Koje klettere. Nicht das er das je zugeben würde, aber ich kenne ihn lange und gut genug. Mein Magen knurrt noch einmal nachdrücklich auf und ich fische den Apfel, den ich mir eingesteckt hatte aus meiner Tasche. Ich will noch nicht da runter. Erst muss ich noch ein bisschen denken. Die letzten zwei Monate waren gut und die Prise reichlich, unsere Laderäume sind voll und wir haben Kurs zurück auf Tortuga genommen. Meine Gedanken fokussieren sich wieder auf die Verteilung der Prise. Das Beste wird sein, wir löschen die Ladung und verteilen die Einnahmen. Ich schrecke leicht zusammen als Pip seinen Kopf über den Rand des Krähennestes streckt: „Ahoi, Kapitan Red,“ „Ahoi Pip,“ grüsse ich das jüngste Mitglied unserer Besatzung freundlich, „was gibt's?“ Er kratzt sich verlegen am Kopf und grinst dann etwas schräg: „Kapitan Silver, lässt ausrichten, dass er dich sprechen muss, dringend...“ Ich nicke und schüttle gleich darauf den Kopf – was kann denn bitte so wichtig sein? – und hangle nach der nächsten Wante und befehle: „Pip, übernimm du!“ „Aye Kapitan!“ Unten auf Deck angekommen, erwische ich grad noch Patch und erkundige mich: „Hast du Silver gesehen?“ Ein mürrisches Knurren das sich anhört wie Kombüse und er trollt sich mit der Hängematte unterm Arm davon. Ist es denn wirklich schon so spät? Ich hab doch nicht wirklich den ganzen Tag da oben verbracht mit nichts als einem Apfel?! In der Kombüse brennt noch Licht und ich höre das klappern von Geschirr, ich schätze eines der Mädels wird grade damit beschäftigt sein aufzuräumen. Es ist keines der Mädels, es ist mein Vize höchstpersönlich; und er wirkt irgendwie angespannt, wie er da so die Suppenschalen durch die Gegend wirft. Und, er zuckt zusammen als ich an den Türrahmen klopfe. „John,“ Liebling, „was ist los,“ ich mache mir Sorgen, „du wolltest mich sprechen?“ Er dreht sich noch nicht mal um, murrt: „Du musst was essen...“ Da mag er ja recht... Er wirbelt herum, drückt mir eine Schale in die Hand – an der ich aus lauter Gewohnheit schnuppere – und knurrt: „Stew!“ Ich blinzle ungläubig, was soll dieser Ton? „Silver,“ mein Magen macht einen unangenehmen Salto, also stelle ich die Schale zur Seite, „haben wir Streit?“ Diesmal fährt er herum, funkelt mich düster an: „Sag du's mir, Käp'n,“ mein Herz krampft sich unschön zusammen, „jeden Morgen schleichst du dich davon, du kommst noch nich mal zum Essen...“ wenn ich ihn jetzt nicht stoppe, redet er sich wieder in Rage. War früher schon so. Ich wechsle in den Kommandoton: „Vizekapitän Silver,“ er reagiert tatsächlich darauf und hält den Mund, „damit eines klar ist: Ich. Werde. Nicht. Auf. Tortuga. Bleiben...“ Diesmal zwinkert er verwirrt: „Wieso solltest du,“ er mustert mich nachdenklich, „du gehörst auf die Rubina und nirgendwo anders hin, Mira.“ Ich seufze, trete einen Schritt näher an ihn heran: „Danke, John...“ ich bin mir aber ziemlich sicher, dass er das gleich anders sehen wird, „Aber lass mich ausreden.“ Er nickt und da ist wieder diese Wärme: „Nur zu, Kitten...“ Ich lächle, stelle mich blitzschnell auf die Zehenspitzen und drücke ihm einen Kuss auf die Nase: „Also, hör zu:“ er nickt, „Erstens: Wir haben keinen Streit. Ich schleiche mich auch nicht aus der Koje, du schläfst nur zu tief um den Kuss zu bemerken...“ „Wenn du nicht raus schleichst, weshalb bist du dann immer so früh wach,“ da hat sich eine Spur Besorgnis in seine Stimme geschlichen, „das passt nich zu dir, Kitten.“ Wir stehen nun so dicht zusammen, dass sein Atem meine Wange streichelt und ich lächle: „Mir ist übel,“ Silvers Augenbrauen heben sich ungläubig ein Stück an, „pünktlich jeden Morgen um halb Fünf gehe ich die Fischchen füttern und du bist Schuld daran...“ ich sehe das Verstehen in seinen ozeanblauen Augen aufleuchten und füge leise, zärtlich an: „Ganz genau,“ eigentlich wollt ich ihm das erst sagen, wenn wir Tortuga wieder verlassen, „du wirst Vater, John Silver.“ Er blinzelt, wiederholt leise: „Ich werde Vater...“ ich nicke, „... und du wirst ganz sicher nicht in Tortuga bleiben...“ Ehm, diesmal fehlt mir der Anschluss. Freut er sich jetzt oder nicht, und war sein letzter Satz, nun eine Frage oder Feststellung? „John?“ Ich bin verunsichert und will einen Schritt zurücktreten, doch er packt mich an den Oberarmen und zieht mich, Nase voran an seine Brust und dann hüllt mich sein Lachen ein wie eine warme Decke; und die Worte die darauf folgen lassen mein Herz höher schlagen: „Du wirst ganz sicher nicht in Tortuga bleiben,“ meine grösste Sorge schmilzt schon mal dahin und die zweite nehmen mir seine nächsten Worte, „ich will meine Familie bei mir haben. Ich werde nie mehr die Menschen die ich liebe zurücklassen, nirgendwo und nie mehr, Kitten...“ „Oh du böser, kaltherziger Pirat, oder was der Rest der Welt sonst noch so von dir hält,“ ich schlinge meine Arme um seinen Nacken, drücke mich fest an ihn, „ich liebe dich!“ es ist das erste mal das ich das laut zu ihm sage, wenn er wach ist und es hören kann. Der Kuss den ich dafür bekomme, ist sanft, voller Wärme und wandelt sich erst nach einer halben Ewigkeit in einen leidenschaftlichen. Seit ich es ihm vor zwei Wochen gesagt habe, steh ich unter Silvers Aufsicht. Zu seiner schier endlosen Liste – ich frage mich wirklich ob er die irgendwo aufgeschrieben hat – von Dingen die ich tun und nicht tun dürfte, stehen unter anderem: Mindestens zwei ordentlich Mahlzeiten am Tag, nicht mehr in den Ausguck klettern, jeden Tag ausgiebig kuscheln, nicht zu viel rumbrüllen, weniger Kaffee und schon gar keinen Rum mehr (von dem hab ich zwar schon zuvor die Finger gelassen), viel Schlafen, mich nicht Prügeln, regelmässig Baden (das wiederum weiss ich zu schätzen, zumal John mir dabei Gesellschaft leistet) und auf gar keinen Fall ein Schiff entern. Pft. Und sowas schreit sich Pirat. Kapitän Long John Silver, der Schrecken der sieben Weltmeere... kicher. Die Mannschaft hat, nachdem ich es erst Irina erzählte und die es dann weitergab, erstmal ein rauschendes Fest gefeiert und ich bin ehrlich erstaunt, dass sich noch keiner – im Hinblick auf die zweifelsohne kommende „ruhige“ Zeit auf der Rubina – gemeldet hat um abzuheuern. Wir stehen an der Reling – noch ein Punkt auf Kapitän Silvers Liste: Nicht mehr auf die Reling setzen – und betrachten den Sonnenaufgang, denn unser „kleiner Pirat“ hat mich wiedermal pünktlich um halb Fünf geweckt. Ich gähne herzhaft, lasse mich noch ein wenig mehr gegen Johns Brust sinken und beinahe sofort rutscht seine Hand von meiner Hüfte auf die schüchterne, kaum sichtbare Wölbung meines Bauches. Da habe ich zwei Jahre gehofft, dass ich von meinem verstorbenen Mann... und es sollte einfach nicht sein. Und dann kommt Silver, mein geliebter Silver, und es passiert einfach so. „John...“ Sein Kinn liegt auf meiner Schulter und seine Stimme ist sanft und leise: „Hmm, Kitten?“ „Ich bin so verflucht glücklich, ob das gut ist?“ „Ganz bestimmt,“ ein Kuss auf meinen Halsansatz, „denn ich bin es auch.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)