Der Nachtigall Tod. von Tsuruume ================================================================================ Kapitel 3: Intermezzo # 2: Morion --------------------------------- Gewidmet ist das Kapitel . °oOo° Was hätte er dafür gegeben zu wissen, was ihn genau erwartete. Der Gang schien endlos lang, die Wache, die ihn geholt hatte, war stumm wie ein Fisch und so hatte er nur seine eigene Phantasie, um sich auszumalen, warum die Königin ihn sehen wollte. Und die malte in den schwärzesten Farben, was da auf ihn wartete. Seitdem Rutil nach seinem feigen Anschlag gegangen war, war sie nicht mehr sie selbst. Ihm war es nicht erlaubt gewesen, sie zu sehen, obwohl er sich wie ein krankes Tier immer und immer wieder vor der Tür herumgedrückt hatte, darauf wartend, dass er wenigstens einen Blick auf sie erhaschen konnte. Um zu wissen, ob es ihr gut ging, ob er ihr irgendwie helfen konnte und wenn es nur darin bestand, ruhig neben ihr zu sitzen und ihr zuzuhören. So, wie es früher gewesen war. Was hätte er dafür gegeben, Rutil gegenüber zu stehen. Ins Gesicht gespuckt hätte er diesem feigen Verräter, ihn angebrüllt und gefragt, was bitte in seinem Kopf vorging, dass er eine solche Sache tun konnte. Er hatte doch alles gehabt. Die beste Position, die man im Schloss haben konnte, seine Schwester, der er damit helfen konnte, und Freunde, die ihn umgaben. Er hatte immer alles gehabt, hatte niemals für etwas arbeiten müssen, weil ihm immer alles in den Schoß fiel und jetzt, jetzt stahl er sich einfach davon. Nein, er war nie neidisch gewesen. Sicher, es hatte einfachere Existenzen gegeben, als seine im Schatten dieses perfekten Wunderkindes, aber er hatte es nie anders gewollt. Rutil und Cordier – in Gedanken war es in Ordnung, sie noch so zu nennen, niemals hätte er es in ihrer Gegenwart laut ausgesprochen – waren die Freunde gewesen, die er mehr gebraucht hatte, als alles andere. Und gerade Cordier... alles, was er je hatte tun wollen, war für sie da sein, alles, was er je hatte hören wollen, war ein Lob aus ihrem Mund für seinen Gesang. Dass er genauso gut klang wie der ihres Bruders. Oder das sie ihm zumindest genau so gerne lauschte... Die Wache öffnete schweigend die Tür und bedachte ihm einzutreten. Der Thronsaal lag im gleißenden Licht der Mittagssonne, die direkt durch das Fenster strahlte, vor welchem ihr Thron stand. Teils, weil es so angeordnet war, teils, weil er gar nicht in der Lage gewesen wäre, es lange anzusehen, dieses helle Licht, das seine Netzhaut auszubrennen drohte, senkte er demütig den Kopf. „Meine Königin, Ihr habt nach mir rufen lassen?“ Das erste, was er hörte, war das leise Rascheln ihres Kleides, dessen Saum er undeutlich aus den Augenwinkeln wahrnehmen konnte. Es schien, als stünde sie auf und würde tatsächlich näher auf ihn zukommen. Unsicher hob er den Kopf ein kleines Stück – und tatsächlich, sie hatte sich erhoben, um sich ihm zu nähern. „Ja, das habe ich durchaus... sieh mich an.“ Blinzelnd hob er das Kinn wieder an, darum bemüht, etwas mehr zu erkennen, als nur ihre Umrisse, aber es wollte ihm nicht so wirklich gelingen. Sie war eine strahlende Erscheinung, in der Tat und er konnte fühlen, wie sein Herz sich mit all den ungehörigen Empfindungen füllte, die er seit Kindertagen hegte und die er niemals hatte ablegen können. Ihre Hülle würde ihm immer egal sein. „Was kann ich für Euch tun?“ Wieder keine sofortige Antwort, sondern nur das Raffen der Röcke und dann begann sie ihn langsam zu umkreisen, einem Raubvogel gleich und er, der nicht wusste, ob es ihm nun gestattet war, ihr nachzusehen oder gar noch einmal nachzufragen, blieb stehen, senkte den Kopf einfach wieder, betrachtete die eigenen Schuhspitzen und harrte der Dinge, die da kommen mochte, in der Form ihrer Stimme, die sie erst nach einer gefühlten Ewigkeit wieder erhob. „Du weißt, wie sehr mein Bruder mich enttäuscht hat, nicht wahr?“ Ein Nicken. Natürlich wusste er es, wie hätte man sich dem auch verschließen können? Seine eigenen Gedanken kreisten doch um nichts anderes mehr. „Und kannst du dir vorstellen, wie sehr mich das getroffen hat, Morion? Kannst du?“ In den ruhigen, fast heiteren Tonfall, den sie angeschlagen hatte, mischten sich erste Ansätze von Hysterie, die Stimme wanderte in höhere Tonlagen und er konnte hören, wie ihre Schritte hektischer, trippelnder wurden. Wäre es ihm erlaubt, er hätte die Hand nach ihren Fingern ausgestreckt, hätte sie gehalten und gedrückt und ihr gesagt, dass es nichts gab, worüber sie sich aufregen musste. Dass alles gut werden würde, irgendwie. Aber alles, was ihm blieb, war wieder nur einfach ein Nicken. Und die Königin blieb stehen. In seinem Rücken. „Kannst du das... wirklich?“ Ein Zischen, das wie Messer durch seine Wirbelsäule schnitt und seine Kehle zog sich ängstlich zusammen. „Kannst du wirklich nachvollziehen, wie es ist, von dem Menschen, dem du am meisten vertraut hast, im Stich gelassen zu werden, Morion? Wie es sich anfühlt zu erfahren, dass dein Bruder, dein eigener Bruder, dich töten will? Dass ihm alles wichtiger ist, als ich? Dass er lieber aus dem Schloss flieht, als mein Gesicht noch einen Tag länger zu ertragen? Kannst du dir das wirklich vorstellen?“ Harpyiengleich war ihre Stimme, flog die hohen Wände des Saals nach oben, brach sich vielfach an der Decke und ließ im schrillen Echo die immer gleiche Frage in seinen Ohren und seinem Kopf widerhallen. Kannst du dir das wirklich vorstellen? Nein, wahrscheinlich nicht. „Verzeiht... verzeiht meine törichten Worte.“ Wieder nur ein Rascheln, als sie anfing, sich wieder zu bewegen. „Dir sei verziehen.“ Zurück in dem heiteren, singenden Tonfall. Er wusste nicht, ob es ihm Angst machen oder ob es ihn beruhigen sollte. Aber in seinem Magen bildete sich ein kleiner, beunruhigter Knoten. „Denn heute ist nicht der Tag, um wütend zu sein, Morion, ich habe gute Nachrichten für dich.“ Sie klatschte in die Hände, wie ein kleines Kind, das etwas wundervolles zu verkünden hatte und sich jetzt selbst bejubelte. „Freust du dich?“ „Sicher.“ Ja, seine Mundwinkel verzogen sich tatsächlich in einem leichten Lächeln. Er mochte Überraschungen. Und er wollte nicht daran glauben, dass sie etwas Schlechtes für ihn geplant hatte. Er... konnte es ihr einfach nicht zutrauen, immerhin war er immer treu an ihrer Seite gewesen. Anders als Rutil, denn er trug keine Hintergedanken in sich. Keinen Tag lang. „Gut.“ Wieder klatschte sie, nur dieses Mal weniger, um sich selbst zu bejubeln, als mehr, um zwei Diener hereinzubitten. „Sieh dir an, was sie dir bringen, Morion!“ Langsam drehte er den Kopf und mit einem Mal war seine Kehle wieder trocken und eng. Nur nicht aus Angst, sondern aus purem Erstaunen, dass sich in unbändige Freude verwandelte. Was sie trugen, war die offizielle Kleidung des Leiters des königlichen Orchesters. Die Robe, die Rutil so schändlich befleckt hatte, erstrahlte wieder in ihren alten Farben und die Strahlen der Sonne brachen sich glänzend in der goldenen Brosche, die den Stoff zusammenhielt. „Ist das... ist das Euer Ernst?“ Eine dumme Frage, aber noch konnte der Kopf das, was die Augen sahen, nicht ganz verarbeiten. Die Ehre, die ihn von den Füßen fegte, machte ihn stammelnd. Aber anstatt ihn zurechtzuweisen, weil er es wagte, ihre Entscheidung in Frage zu stellen, lachte sie einfach nur hell und unbeschwert auf – Cordiers Lachen – und wies die Diener an, ihn anzukleiden. Mit dem Rücken zu ihm, den Blick aus dem Fenster, wartete sie. Und er, er ließ sich wie betäubt in das Gewand kleiden, sah zu, wie seine alten Sachen verschwanden, fühlte den teuren Stoff auf seiner Haut und zeichnete mit den Fingern wie von Sinnen das Emblem des Orchesters nach. Königlicher Kapellmeister. „Oh, es steht dir ausgezeichnet. Viel besser als diese grauenvollen Kleider, die du bis jetzt getragen hast.“ Morion hatte nicht bemerkt, dass sie sich ihm wieder zugewandt hatte. Unwillkürlich färbten seine Wagen sich rot, aber sie sah großzügig darüber hinweg. „Du wirst mich nicht enttäuschen, nicht wahr, Morion? Nein... Graf Stilbit!“ Langsam, ganz langsam schüttelte er den Kopf, ignorierte den lauernden Klang ihrer Stimme. Graf Stilbit. Leiter des königlichen Orchesters. Des offiziellen königlichen Orchesters... „Gut. Denn ich erwarte Großes von dir, hast du mich verstanden? Und antworte mir in Worten, dieses Nicken ermüdet mich.“ Sprach's und ließ sich wieder auf dem riesigen Thron nieder, blickte auf ihn herab, wie ein Riese auf sein neues Spielzeug. „Ich habe Euch verstanden, meine Königin.“ Klar und deutlich. „Deine Stimme mag zwar bei weitem nicht an die meines Bruders herankommen“ Ein offener Schlag ins Gesicht, der ihn kurz zusammenzucken ließ. „aber was deine Loyalität angeht... du warst immer auf meiner Seite, nicht? Du wirst immer bei mir bleiben... du wirst mich nicht enttäuschen und einfach aufhören, für mich zu singen... du nicht...“ Ihm war nicht klar, ob sie noch mit ihm sprach oder längst nur noch mit sich selbst. Oder einem Dritten, den er nicht wahrnehmen konnte... War es Zeit, Angst um sie zu bekommen? Vielleicht... aber alles, was ihm bleiben würde, hier und jetzt, war für sie zu singen, bis sie seine Stimme so sehr liebte wie die ihres Bruders. Sie zu erheitern und zu halten, falls sie fallen sollte. Selbst, wenn er daran zugrunde gehen würde. Dass er keine Antwort gab, schien sie nicht zu stören, zu sehr schien sie in der eigenen Welt zu hängen und es war Couc, der ihm schließlich gebot, sich zu entfernen. Und er tat es. Kam fast bis zur Tür, als sie ihre Stimme noch einmal erhob. Der Tonfall scharf, abfällig, fast angewidert, so, wie er ihn noch nie gehört hatte. „Und Morion, was die Brille angeht... setz das Ding ab. Wirf es weg. Ich hasse sie. Ich will sie nie wieder in deinem Gesicht sehen, hast du verstanden?“ Irritiert wandte er sich zu ihr, wollte den Mund öffnen, um etwas zu sagen, aber ehe er auch nur dazu ansetzen konnte, schrie sie ihm ein „Sofort!“ entgegen und er tat, wie ihm geheißen. Nahm die Brille ab, warf sie zu Boden und trat auf die Gläser. Das Knirschen brannte in seinen Ohren, wie eine Warnung dafür, dass er etwas wichtiges übersehen hatte, in all diesem Durcheinander, aber dass es ihn jetzt auch nicht mehr zu kümmern hatte, denn jetzt war es zu spät. Er war Graf Stilbit. Und er würde das Orchester für die Königin nach ihren Wünschen leiten, bis er starb. Einen anderen Inhalt seines Lebens gab es nicht mehr. || Fin Intermezzo # 2: Morion » Intermezzo # 3: Spinell. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)