Schattenlicht von abgemeldet (Eine Primeval-FF) ================================================================================ Prolog: Verlust --------------- Das Erste, was sie verspürte, als sie ihre Augen öffnete, war das dröhnende Pochen in ihrem Kopf. Ein schwaches Keuchen entfleuchte ihren rot geschminkten Lippen, da sie versucht hatte ihren Kopf ein klein wenig nach rechts zu drehen. Sofort tanzten viele schwarze Punkte vor ihren Augen herum und sie beließ es dabei sich ganz einfach nicht zu regen. Stattdessen wirrten ihre Blicke orientierungslos umher und fixierten letztendlich das winzige Nachtschränkchen neben dem Bett an, auf welchem sie lag. Wo war sie? Was war passiert? Sie versuchte sich an etwas zu erinnern. Aber es herrschte gähnende Leere in ihrem Kopf. Nicht mal ihren Namen … ! Ihr Herz begann fast schon schmerzhaft gegen ihren Brustkorb zu hämmern und die junge Frau setzte sich ruckartig auf. Ihr Magen rebellierte und sie unterdrückte den Impuls sich zu übergeben. Stattdessen krallten sich ihre Hände in die weiße Bettdecke und sie atmete ein paar mal tief ein und aus. Kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn und ihre braunen Ponysträhnen klebten unangenehm auf der Haut. Sie zitterte und zog ihre Beine an. Ein leises Wimmern folgte und sie spürte, wie heiße Tränen ihre blassen Wangen herab liefen. Wieso konnte sie sich an nichts erinnern? Was tat sie hier? Sie wusste nur, dass sie sich in einem Krankenhaus befand. Hatte sie etwa einen Unfall gehabt? Die junge Frau hob ihren Kopf und starrte die einzige Tür im Zimmer an. Sie hörte, wie einige Menschen im Flur hektisch hin und her rannten. Vielleicht sollte sie … ? Fast schon trotzig wischte sie ihre Tränen von den Wangen, schob vorsichtig ihre entblößten Beine - sie trug eins dieser typischen Krankenhaushemden - über den Rand des Bettes und setzte ihre nackten Füße auf den kalten Fußboden auf. Ein Frösteln war die Folge und sie merkte, wie ihr Körper versuchte zu streiken, da jener nicht so ganz gewilligt war ihr Gewicht zu tragen. Aber sie zwang sich regelrecht dazu aufrecht zu stehen und hielt sich die ersten paar Sekunden noch am Bett fest, bevor sie langsam zur Tür taumelte. Sie wollte gerade die Türklinke greifen, als jene von der anderen Seite heruntergedrückt wurde und sie plötzlich einem schwarz gekleideten Mann gegenüberstand. Sie öffnete den Mund, jedoch trat kein Laut über ihre Lippen. Stattdessen starrte sie ihn nur mit großen Augen verschreckt an. Ein Soldat? Was war hier eigentlich los? “Jess? Was tust du da? Du sollst doch im Bett bleiben!”, herrschte er sogenannte Jess an und sie fuhr in sich zusammen, als sie die kräftigen Hände des Mannes auf ihren zierlichen Schultern spürte. Einige Bilder flackerten innerlich vor ihrem geistigen Auge auf. Sofort trat ein kurzer unangenehmer Schwindelanfall ein, der sich aber rasch wieder verflüchtigte. Erst dann wich sie, wie ein verschrecktes Tier vor dem Fremden zurück. Die hellen braunen Augen fixierten sie verdutzt an. “Jess? Ist alles okay?” Seine Stimme klang ruhig, aber ein merkwürdiger Unterton schwang mit. War sie das? Jess? Sie nickte kurz automatisch, lächelte dann aber ziemlich bitter und drehte ihm den Rücken zu. Okay, zu aller erst einmal musste sie sich beruhigen. Sie war in einem Krankenhaus. Punkt. Und sie hieß Jess. - Wohl ein Spitzname. Punkt. Und zu guter letzt hatte sie wohl ihr Gedächtnis verloren. Punkt! “Was ist passiert?”, kam es schließlich ziemlich schwach über ihre Lippen und sie schluckte. Ihre Kehle fühlte sich trocken an. Aber anstatt eine Antwort zu erhalten, wurde sie sanft zu ihrem Bett geschoben, auf welchem sie gehorsam platz an. Sie würde so tun als sei nichts gewesen. Vorerst. “Das weißt du nicht mehr?” Der junge Mann blieb neben ihr stehen. Sie sah aufmerksam zu ihm hoch und schüttelte den Kopf. “Du hast einen ziemlichen Schlag abbekommen. Aber was hast du auch versucht dich einzumischen? Ich hatte dir gesagt dich nicht vom Fleck zu bewegen.” Er klang anklagend und verschränkte seine Arme vor die Brust. “Ich …” begann sie unsicher und spielte kurz unruhig mit ihren Händen. Sie musste das hier jetzt auflösen und ihm sagen, dass sie sich an nichts erinnerte. Und mit nichts, meinte sie auch nichts! “Tut mir Leid … aber wer sind sie überhaupt?” Stille. Erdrückende Stille! Er schien, wie erstarrt und sie wendete ihren Blick ruckartig von ihm ab. “Jess, du willst mich veralbern. Das ist wieder einer deiner Scherze, oder?” “Sehe ich so aus, als würde ich in dieser Situation scherzen wollen?”, fuhr sie ihn ziemlich harsch an und war plötzlich unglaublich wütend. Was war denn mit dem los?! “Du kannst dich also an nichts erinnern?” Sie schüttelte ein weiteres Mal stumm ihren Kopf und blinzelte die Tränen weg. Nein, sie würde nicht wieder, wie ein kleines Kind, anfangen zu heulen. “Dein Name ist Jessica Parker. Du arbeitest im ARC als Koordinator und es gab vor ein paar Stunden einen Zwischenfall. Mein Name ist Becker, ich bin für die Sicherheit verantwortlich und ..” Er brach ab. Seine Tonlage war monoton und fast schon mechanisch gewesen. Ihr schwirrte der Kopf. ARC? Was für ein Zwischenfall? Sie fiel geradewegs in ein tiefes schwarzes Loch, im welchen sie drohte zu ersticken. “Jess? Oh Jess, du bist endlich wach!” Ihr Kopf ruckte augenblicklich nach links. Eine junge Frau mit schulterlangen blonden Haaren stolperte ihr erleichtert entgegen. Ein schwarzhaariger Typ mit einem frechen Grinsen folgte ihr. “Schön das du wieder so schnell zu dir gekommen bist.” Dann fand sie sich auch schon in einer Umarmung wieder. “Ihr …” Weiter kam sie nicht. Ihr Verstand setzte aus und dann war da nur noch unendliche Schwärze. Kapitel 1: Alltag ----------------- Ziemlich unelegant stolperte Jess den jungen Studenten hinterher. Ihre hohen Absätze klackten bei jedem Schritt und sie hatte tatsächlich Schwierigkeiten damit richtig vorwärts zu kommen. Überhaupt war es ihr ein Rätsel, wie man auf diesen Dingern laufen konnte?! Zudem sie fast einen Schreck bekommen hatte, als sie heute morgen ihren Kleiderschrank geöffnet hatte. Das war ihr Stil … diese bunten auffälligen Klamotten? Sie zupfte beim Gehen kurz an ihrem hellgrünen Faltenrock herum und fühlte sich dabei nicht gerade sehr wohl. Nicht nur, dass ihr diese Räumlichkeiten - alles Hightech - rein gar nichts sagten. Zusätzlich fühlte sie sich noch wie ein Clown! Zwei Tage lang hatte sie sich nämlich in ihrem fremden Zuhause eingeschlossen, bis plötzlich wieder diese Leute aus dem Krankenhaus vor ihrer Tür gestanden hatten. Sie wusste, sie wollten ihr nur helfen. Die Ärzte hatten ihr gesagt, sie litt an Amnesie. Einfach ausgedrückt: Sie hatte ihr Gedächtnis verloren! Es würde schwierig werden ihre Erinnerungen zurück zu holen. Manchmal geschah dies auch gar nicht! Deswegen hatte sie auch einige Tabletten verschrieben bekommen, … gegen Depressionen. Aber bis jetzt kam sie auch ganz gut ohne aus. Und es wurde ihr geraten ihren vorigen Alltag zu leben, um sich Stück für Stück an irgendetwas zu erinnern. Deswegen folgte sie nun auch Connor durchs ARC. Zuerst hatten sie die Einsatzzentrale aufgesucht - ihren Arbeitsplatz. Für ein paar Sekunden hatte sie tatsächlich ein vertrautes Gefühl verspürt. Auch wusste sie ganz genau, wie man mit diesen Geräten umging. Ihre außergewöhnlichen Fähigkeiten hatte sie also nicht vergessen. Wenigstens etwas. Lange verweilten sie dort jedoch nicht, da er ihr wirklich alles zeigen wollte. Sie konnte kaum mit ihm mithalten. “Irgendwie ist das schon ziemlich komisch.” Connor warf einen Blick über seine Schulter zurück. Ein Grinsen kräuselte sich auf seinen Lippen. Er wirkte fast schon begeistert. “Vor einigen Monaten hast du mich hier noch eingewiesen und herum geführt. Nun bin ich derjenige, der dir alles erklärt.” Jess’ Augen verfinsterten sich - dank seiner guten Laune und öffnete den Mund, um ihm etwas Schnippisches an den Kopf zu werfen. Jedoch hielt sie sich zurück. Er meinte es sicher nicht böse. Dennoch wusste sie nicht so recht, was sie eigentlich von ihm halten sollte. “Äh ja”, meinte sie stattdessen und folgte Connor in den nächsten Raum hinein. Sie blieb abrupt stehen. “Der Waffenraum nehme ich an?”, fragte sie und beäugte das Schrotgewehr. Damit konnte sie nichts anfangen. Aber wohl umso mehr der Soldat vor ihr oder besser gesagt der Captain der Einheit. Captain Becker. Vorname unbekannt, bzw. hatte er sich ihr gegenüber nicht so richtig vorgestellt. Connor hatte die junge Frau - er hatte sie heute morgen mit Abby gemeinsam abgeholt - die ganze Fahrt über mit all möglichen Fakten überschüttet. Ab der Hälfte hatte sie nicht mehr so richtig hingehört. Zu viele Informationen. “Hey”, grüßte er sie beide leise und war wohl gerade dabei einen Waffencheck durchzuführen. Seine mandelförmigen hellbraunen Augen blieben an ihr haften und ihr lief es doch tatsächlich heiß den Rücken hinunter. Was war denn jetzt plötzlich los? Das Gefühl irritierte sie. Rasch lenkte sie ihren Blick in eine andere Richtung. “Ich führe sie nur etwas herum. Vielleicht erinnert sie sich ja an etwas”, hörte sie Connor munter drauf los plappern. Aus den Augenwinkeln heraus sah sie, wie Becker knapp nickte. “Ach ja, … ich glaube du magst ihn”, hörte sie seine Stimme dann diesmal viel dichter an ihrem Ohr und sie fuhr erschrocken in sich zusammen. “Wa-Was?” Jess fixierte Connor irritiert an - blinzelte ziemlich überfordert. “Na ich meine ..” Er wog seinen Kopf grinsend hin und her. Sie spürte, wie ihre Wangen warm wurden. Er konnte ihr ja sonst was erzählen! Und dann noch vor ihm! “Connor, ich warne dich … lass den Blödsinn”, zischte Becker daraufhin ein klein wenig bedrohlich. Jess winkte gelassen ab. Cool bleiben, hieß die Devise. So ein hübsches Gesicht warf sie doch nicht gleich aus der Bahn. “Wolltest du mir nicht die Dinosaurier zeigen?”, wechselte sie schnell das Thema und lächelte etwas gezwungen. Connor hatte ihr gesagt, sie war immerzu fröhlich und lebendig gewesen. Und das wollte sie auch weiterhin sein. Dennoch … Dinosaurier. Allein der Gedanke, dass es Tore - Anomalien - gab, die in eine andere Zeit führten. Aber sie würde sich gleich etwas Besseren belehren müssen. “Erzählst du mir dann auch endlich genau, was eigentlich passiert ist?” Sie verließen den Raum. Jess wollte nun endlich die ganze Geschichte hören. “Du hast es ihr nicht erzählt?” Zum zweiten Mal fuhr sie in sich zusammen und warf dem Verursacher einen aufgesetzten bitterbösen Blick zu. Becker erwiderte jenen mit einem kaum merklichen Lächeln. Sein rechter Mundwinkel hatte etwas gezuckt. Sie nahm es jedenfalls an, dass es ein Anflug eines Grinsens gewesen war. Aber sie hatte gar nicht bemerkt, dass er ihnen überhaupt gefolgt war. Tauchte so einfach neben ihr auf. “Das wollte ich dir überlassen. Immerhin warst du dabei”, antwortete Connor und sie durchquerten ein Labor, nur um gleich darauf einem - hoffentlich sicheren - Käfig gegenüberzustehen. Sie überkam ein mulmiges Gefühl, als sie die Kreatur sah und ging einen Schritt zurück. “Wenn ich um ihre Aufmerksamkeit bitten dürfte? Ein Raptor”, stellte der Student den Dinosaurier mit einer kurzen wedelnden Handgestik vor. “Und gleichzeitig die Ursache deiner Amnesie, Jess.” Das war Becker gewesen. Sie drehe ihren Kopf nach rechts und sah zu ihm hoch. “Während wir die Kreatur ins ARC brachten, ließ seine Betäubung nach und er konnte sich beim Ausladen befreien. Trotz meiner Anweisung bist du aus dem Kontrollraum raus und ihr seid euch schließlich an der Treppe begegnet.” Er hatte sofort mit dem Betäubungsgewehr auf das Tier geschossen. Jess hatte daraufhin vor Schreck einen Schritt zurück gemacht - natürlich ins Leere. Sie war direkt mit dem Hinterkopf aufgeschlagen und war sofort bewusstlos geworden. “Ich habe es anscheinend nicht so mit Anweisungen?”, versuchte sie ihr unbedachtes Handeln zu erklären. Gern hätte sie gewusst, warum[ sie nicht auf ihn gehört hatte. Dafür müsste es doch einen plausiblen Grund geben. Sie würde doch nie freiwillig … Sie sah das Tier wieder an. Der Raptor stieß einen unschönen Schrei aus, welcher ihr eine unangenehme Gänsehaut bescherte. Die langen Krallen kratzten über den Boden und die Echse schnaubte dabei bedrohlich. Sie wollte hier weg und zwar schleunigst. Unbewusst hatte sich ihre rechte Hand in den Ärmel von Beckers Jacke gekrallt und sie machte noch einen weiteren Schritt auf ihn zu. Wahrscheinlich fühlte sie sich so einfach nur viel sicherer. Der Alarm heulte nur wenige Sekunden später auf und setzte alle sofort in Bereitschaft. “Eine Anomalie?”, fragte Jess vorsichtshalber nach und die beiden Männer nickten synchron - liefen dann jedoch auch schon Richtung Kontrollraum. So gut, wie sie nur konnte, folgte sie ihnen und bremste gerade noch rechtzeitig ab, bevor sie noch in Abby hinein lief. Die Blondine schenkte ihr ein kurzes aufmunterndes Lächeln und sah dann auf die vielen Monitore. Aus einen Impuls heraus drängelte sie sich selbst an Connor vorbei, ließ sich auf den Stuhl nieder und begann hektisch auf der Tastatur herum zu tippen. “Die Anomalie befindet sich 3 Kilometer östlich von hier. Auf einem Bahnhof”, ratterte sie diese Info, wie von selbst, herunter. Ihr Körper tat das alles von ganz alleine. “Okay, dann auf zum Bahnhof”, gab Matt den Befehl, der gerade zu ihnen gestoßen war und legte seine rechte Hand auf Jess’ Schulter. “Du machst das schon. Wir vertrauen dir.” Er zwinkerte der jungen Frau zu. Sie lächelte zaghaft zurück und nickte dann entschlossen. Ja, irgendwie würde sie das schon hin bekommen. ~ Ein ohrenbetäubender Schrei hallte in der leeren Bahnhofshalle wider, woraufhin Matt sofort in einen leichten Laufschritt verfiel. Mit einer stummen Anweisung gab er Connor und Abby zu verstehen, dass sie hoch zu den Gleisen sollten. Becker und er nahmen sich weiter die Halle vor, die sich in einer Passarelle unterteilte. „Die Anomalie ist nur noch ein paar Meter von euch entfernt“, hörte er Jess über Funk. Sie klang etwas unsicher. Verständlich. „Jess, hier ist aber nichts zu sehen“, erwiderte er ruhig und stieg über einen umgefallenen Zeitungsständer hinweg. Der Bahnhof war wie leer gefegt. Die Menschen waren geflüchtet. Aber was war das eben noch für ein Schrei gewesen? „Komisch. Connor und Abby stehen ebenfalls direkt davor.“ Der Kopf des Anführers ruckte in die Höhe. Natürlich! Sie war direkt über ihnen. „Becker? Nach oben.“ Der Soldat nickte und stieg mit erhobener Waffe die Treppen hinauf. Fast wäre er mit Connor zusammen gestoßen, der völlig von der Rolle war. Er redete so schnell, dass Becker ihm kaum folgen konnte. „Oh man, das müsst ihr euch ansehen … das ist unglaublich. Ich meine … nein es ist eigentlich unmöglich!“ Er schob sich etwas ruppig an dem Studenten vorbei. Sein Blick fiel zu aller erst einmal auf die flimmernde Anomalie, die einen halben Zug verschlungen hatte. Erst dann wirrten seine Blicke zu Abby und einen Mann etwa Ende Zwanzig - Anfang Dreißig. Sein Gesicht sagte ihm nicht das Geringste. Aber Connor und Abby kannten ihn anscheinend sehr gut. Er konnte nur so viel sagen, der Typ sah ziemlich mitgenommen aus und würde wohl jeden Moment zusammen brechen. “Ähm ja, … darf ich vorstellen?” Connor wirkte überaus hibbelig und zerstreut - oder besser gesagt fassungslos. “Stephen Hart.” Kapitel 2: Teamkollege ---------------------- Unter der Aufsicht Beckers wurde die Anomalie, welche sich direkt auf eine der Gleise befand, verschlossen. Der Bereich darum wurde großräumig gesperrt, sodass der Betrieb des Bahnhofs zwei Stunden später wieder aufgenommen werden konnte. Jene hatte in die Zeit des zweiten Weltkrieges geführt und sie hatten von Glück reden können, dass nicht mehr als Stephen Hart - ein alter Teamkollege von Abby und Connor - durch die Anomalie hindurch gekommen war. Eine Panik war deswegen nur ausgebrochen, weil ein halber Zug in der Anomalie verschwunden war. Becker schulterte das EMD und warf noch einen letzten prüfenden Blick auf die Anomalie, bevor er sich auf den Weg zum Auto machte. Abby, Connor und Matt waren mit diesen Stephen schon ins ARC voraus gefahren, sodass der Rest an ihm hängen geblieben war. Dabei war er im Augenblick alles andere als auf seine Arbeit konzentriert und das gab ihm in der Tat zu denken. Ein Soldat ließ sich niemals ablenken! Er stieß einen resignierten Laut aus - hatte mittlerweile das schwarze Auto erreicht, welches in einer Parkverbotszone stand - und riss den Zettel, welcher unter dem Scheibenwischer geklemmt hatte, weg. Na klasse, ein Ticket! Lester würde seinen Lohn kürzen. Die Woche hätte nicht schlimmer werden können. Wenige Sekunden später saß er auch schon hinterm Steuer. Seine Finger trommelten während der Fahrt unruhig auf dem Lenkrad herum. Das war ziemlich untypisch für ihn. Aber seid Jess’ Unfall waren seine Launen und auch Gefühle ein einziges Auf und Ab. Er würde ihren scheuen Blick niemals vergessen, mit welchen sie ihn bedacht hatte, als er im Krankenhaus plötzlich vor ihr gestanden hatte. Daraufhin hatte sich etwas schmerzhaft in seiner Brust zusammen gezogen. Es wurmte ihn wirklich, dass er das nicht einzuordnen wusste. Viel wichtiger war jedoch, dass Jess erst einmal ihr Gedächtnis wiederfand und zur quirligen jungen Frau wurde, die sie vorher gewesen war. Die redete, bevor sie nachdachte. Jene, die ihm ständig vor die Füße lief oder etwas fallen ließ. Bei den Gedanken schlich sich doch tatsächlich ein kaum merkliches Schmunzeln auf seine sonst so starren Gesichtszügen. Zugegeben … am Anfang hatte ihn Jess’ flatterhaftes Verhalten ziemlich irritiert, aber mittlerweile konnte er sich seine Arbeit gar nicht mehr ohne sie vorstellen. Matt, Connor, Abby, sie und er waren ein eingeschworenes Team. Und daran ließ sich nicht rütteln. Auch ihr Gedächtnisverlust nicht. Und erst recht kein altes Mitglied. Das hoffte er zu mindestens. 10 Minuten später hatte Becker das ARC erreicht, ließ das Auto in der Parkgarage stehen und steuerte schnurstracks den Einsatzraum an. Auf den Weg dorthin kam ihm Jess entgegen und ihre Schritte wurden doch tatsächlich etwas langsamer, als sie ihn entdeckte. Seine Augenbrauen zogen sich abschätzend in die Höhe. Er sah, dass sie verunsichert lächelte - beschleunigte ihre Schritte jedoch wieder. Es trennte sie etwa noch ein halber Meter, da passierte es auch schon, die junge Frau stolperte - dank ihren hohen Absätzen - und flog ihm regelrecht entgegen. Mit einem leisen “Hoppla” von seiner Seite aus landete sie letztendlich in seinen Armen. Ein angenehmer Geruch stieg ihm in die Nase. Etwas Blumenartiges. Flieder. “Tut mir Leid”, stieß Jess verlegen aus und riss sich augenblicklich von ihm los. Sie biss sich auf die rot geschminkte Unterlippe und mied einen direkten Blickkontakt. Becker räusperte sich leise und murmelte ein kaum hörbares: “Kein Problem.” Es war eigenartig. Die Person vor ihm war nicht seine Jess. Moment mal! Seine Jess? Okay, er … “Sie haben ihn in den Sanitätsraum gebracht”, unterbrach sie dann jedoch abrupt seinen Gedankengang und war darüber auch ganz froh. Er sollte aufhören über so derartige Dinge nachzudenken und sich auf die gesamte Sicherheit des Teams konzentrieren. Reiß dich zusammen. “Ich habe vorhin seine Akte gelassen. Er wurde vor 2 Jahren für tot erklärt. Laut des Berichts war seine Überlebenschance eigentlich gleich null gewesen”, informierte sie ihn ganz automatisch, griff heute ein zweites Mal den Ärmel seiner Jacke und zog den verdutzten Becker schließlich in die entgegensetzte Richtung mit sich. Zum Sanitätsraum. “Ich meine, du musst dir das so vorstellen. Etliche hungrige Tiere waren mit ihm in einem Raum eingeschlossen”, fuhr sie unbeirrt fort und klang ziemlich nach der alten Jess. “Wie hat er das nur geschafft?” Endlich sah sie ihn wieder an. In ihren blauen Augen lag ein fragender Ausdruck. “Wir können ihn gleich fragen, Jess.” Beckers rechter Mundwinkel zuckte kurz und er trat vor der jungen Frau in den Sanitätsraum hinein. Das Erste, worauf sein Blick fiel, war Stephen Hart, der sich weigerte auf eine der Liegen platz zu nehmen. Stattdessen ließ jener sich auf einen Stuhl sinken und senkte den Kopf. Lester stand zu seiner Rechten. Auf den sonst so übel launigen Zügen lag ein nicht einzuordnender Ausdruck. War es vielleicht Erleichterung? Überraschung? Ja, das traf es eher zu. Matt, ihr Anführer, bedachte Hart mit einer Mischung von Misstrauen und Neugier. Im Gegensatz zu Connor und Abby, die noch leicht von der Rolle waren. Immerhin hatten sie ihren tot geglaubten Freund hier vor sich sitzen. “Also Mr. Hart”, begann Matt letztendlich und fixierte jenen prüfend an. “Wie genau konnten sie das überleben?” Die Zeit im Raum schien plötzlich still zu stehen. Kein Laut war zu hören. Alle hielten sie den Atem an. Stephen ließ sich schließlich auch viel Zeit, bevor er antwortete. “Eine Anomalie, … sie tat sich nur wenige Meter neben mir auf. Ohne groß zu überlegen, ging ich hindurch und fand mich plötzlich im Jahre 1941 wieder.” Er hob seinen Kopf an. Seine Augen wirkten matt und glanzlos. Die Zeit dort hatte sicherlich extrem an seinen Kräften gezerrt. Becker konnte das gut nachvollziehen. Er war selbst im Krieg gewesen. Bei einigen Einsätzen in Afghanistan. Kämpfe machten einen hart. Man(n) musste seine Emotionen ablegen und zu einem gefühlskalten Arschloch werden. Für Helden war dort kein Platz. Es galt zu überleben und so viele, wie möglich von den Feinden zu erschießen. “Ich hätte es nie für möglich gehalten, je wieder in meine Zeit zurück zu gelangen. Aber … zu was anderen. Wo ist Cutter?” Betretene Blicke und unangenehmes Schweigen war die Folge. Lester war schließlich derjenige, der ihm antworte. “Seine psychisch gestörte Frau hat ihm auf den Gewissen”, kam es ziemlich taktlos und unsensibel von ihm. Stephens Gesicht konnte anscheinend noch blasser werden und er drohte vom Stuhl zu rutschen. Jedoch war Abby rasch neben ihm und stemmte sich mit ihren Händen gegen seine Schultern, damit er sitzen blieb. “Das hätten sie ihm schonender beibringen können”, zischte sie und warf Lester einen unmissverständlichen Blick zu. “Im Leben ist kein Platz für kleine Sensibelchen. Und was stehen sie hier alle überhaupt noch rum?” Ihr Chef sah von einem zum anderen. “Haben sie nichts zu tun? Auf, Auf an die Arbeit. Der Mann braucht jetzt Ruhe.” Nur sehr widerwillig verließ das Team den Raum, bis schließlich nur noch Lester übrig blieb. Er räusperte sich lautstark. “Schön sie wieder bei uns zu haben. Lassen sie sich durch checken und kommen sie dann zu mir ins Büro.” ~ Unruhig lugte Abby immer wieder in Richtung Lesters Büro. Seid einer geschlagenen Stunde saß Stephen schon mit ihrem Chef zusammen und kam wohl auch nicht mehr so schnell wieder raus. Die Blondine stieß einen ungeduldigen Laut aus und widmete sich wieder Jess zu, welche auf der Tastatur herum tippte und konzentriert auf den Monitor starrte. Dort war Stephen zu sehen. Abby begann wissend zu Grinsen. “Seine Privatakte?” Die Frau hinter dem Computer fuhr etwas ertappt in sich zusammen, bemühte sich aber lässig zu bleiben. “Mein Job ist es doch alles zu wissen, oder?” Sie warf der Zoologin einen unschuldigen Blick zu. Ihre Neugierde schien, wie zuvor vorhanden zu sein. “Er könnte ja eine Ehefrau haben, die ihn für tot hält. Aber er es ja jetzt eigentlich nicht mehr ist. Und irgendwie müssten wir ihr das ja erklären. Also ich an ihrer Stelle würde das auch wissen wollen und …” Mit einer kurzen Handgestik unterbrach Abby ihren Redefluss und lachte kurz auf. “Er sieht gut aus, nicht wahr?” Sie betrachtete Jess prüfend von der Seite her aus. Jene zuckte gleichgültig mit den Schultern. “Kann schon sein”, erwiderte sie schnell und begann diesmal hektischer auf den Tasten herum zu tippen, damit Stephens Akte vom Monitor verschwand. “Ich glaube, dass wird Becker weniger gefallen”, fuhr Abby - wissend, dass Jess darauf anspringen würde - fort. Es dauerte nur wenige Sekunden und die Brünette wirbelte tatsächlich auf ihren Drehstuhl herum. “Wie meinst du das? Hat Connor recht und ich ähm … mag Becker?” Allein über ihn zu reden, brachte ihr Herz zum Rasen. “Wieso? Was hat Connor denn gesagt?” Nun war sie derjenige, die neugierig wurde. Es war immerhin nicht zu übersehen, dass Jess in Becker verknallt gewesen war? Es gab jedoch auch gewisse Indizien, dass der Soldat vielleicht auch etwas für sie übrig haben könnte. “Nichts genaues.” Jess seufzte und setzte sich wieder richtig hin. “Es ist echt nervig sich an nichts erinnern zu können. Jeder erzählt mir was anderes.” So langsam aber sicher stieg ihr das alles zu Kopf. So nett sie auch alle waren, sie fühlte sich noch immer verloren. “Tut mir Leid, ich wollte nicht …” “Schon gut, Abby”, winkte sie ab und versuchte es mit einem Lächeln. “Ich sollte wohl einfach geduldig sein. Vielleicht …” Jess brachte ihren Satz nicht zu Ende, da Lester mit Stephen gemeinsam den Einsatzraum betreten hatte. Auch die restlichen Teammitglieder ließen nicht lange auf sich warten. “Wenn ich kurz um Ruhe bitten dürfte.” Dabei streifte Lesters Blick Connor, der Matt gerade etwas mit wild gestikulierenden Händen zu erklären versuchte. “Oh entschuldigend Chef” - und war somit auch ruhig. “Lange Rede, kurzer Sinn. Stephen Hart kehrt ab heute ins Team zurück und wird alle, wie vorher tatkräftig mit seinen Kenntnissen unterstützen. Und jetzt dürfen sie das tun, was sie immer auch zu tun haben”, endete seine kurze Rede, richtete sich noch kurz seine Krawatte und verschwand schließlich wieder in seinem Büro. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)