Watching your Footsteps von TayaTheStrange ================================================================================ Kapitel 27: Black ----------------- Ein dumpfes Poltern war es, welches Young-Bae aus tiefem Schlaf riss. Zuerst dachte er, er hätte es nur im Traum gehört, doch dann schlug die Eingangstür des Apartments zu und er erwachte vollends. Verschlafen rieb er sich die Augen, deren noch verschwommener Blick in der Dunkelheit auf Seung-Ris ruhig daliegenden Körper fiel. Der Jüngere hatte sich etwas von ihm weggedreht und schien noch friedlich zu schlummern. Young-Bae lächelte zärtlich und zog die Decke wieder ein Stück über dessen nackten Rücken. In diesem Moment drang leiser Gesang an sein Ohr, der langsam anschwoll. Irgendein Schlager, schoss es ihm durch den Kopf. Widerwillig verließ er das Bett, um seine Boxershorts wieder überzustreifen und vorsichtig zu erkunden, woher der Gesang kam. So leise wie möglich öffnete er die Schlafzimmertür und linste durch einen Spalt in den Flur. Eine dunkle Gestalt war soeben dabei sich an der Wand abzustützen. Sie schien Probleme zu haben. Und nun konnte er die Stimme auch klarer vernehmen. Young-Bae trat nach draußen, schloss die Tür hinter sich und schaltete das Flurlicht an. Da stand Dae-Sung und lallte vor sich hin, während er versuchte, seine Schuhe auszuziehen, was ihm einfach nicht gelingen wollte. Der Ältere musste grinsen. Es kam nicht oft vor, dass er ihren Freund so sah. "Hey, Dae-Sunga, wo kommst du denn her?" sprach er ihn mit gedämpfter Stimme an und packte ihn an der Schulter. Der Angesprochene reagierte äußerst langsam. Erst nachdem er noch einige Sekunden vor sich hin gesungen hatte, sah er erstaunt auf und grinste dann sehr breit. "Hyung! Wie gehts?!" begrüßte der Jüngere ihn unangebracht laut und holte aus, um ihm ebenfalls die Hand auf die Schulter zu legen. Doch er verfehlte sie und rempelte ihn an. "Wow, tschuldige..." Noch bevor Young-Bae etwas erwidern konnte, gesellte sich unerwartet Seung-Hyun zu ihnen. Dieser verließ in Boxershorts und T-shirt gekleidet sein Schlafzimmer und beäugte sie verwirrt, zerzaust und auch leicht erbost. "Was ist denn hier los?" "Ach, der andere..." kommentierte Dae-Sung sein Auftauchen leise lachend und stieß sich von Young-Bae weg, nur um wieder an der Wand zu landen. Young-Bae trat einen Schritt nach hinten, näher an Seung-Hyun heran und aus der Gefahrenzone das Betrunkenen heraus. "Wie du siehst" erklärte er, "hat da jemand zu tief ins Glas geschaut. Dae-Sung, du bist besoffen!" Die letzten Worte sprach er so laut, dass sie zu dem anderen durchdringen mussten. "Was, besoffen? Ich bin doch nicht besoffen!" versicherte Dae-Sung und schaffte es endlich, die Schuhe von den Füßen zu streifen. Er hatte eine solch unkontrollierte Kraft darauf angewendet, dass sie nun kreuz und quer durch den Flur flogen, während Dae-Sung wieder wankte und dabei die sauber aufgereihten Schuhe der anderen durcheinander brachte. Als Young-Bae daran dachte, wie dieser sie selbst immer zu Ordnung aufrief, musste er grinsen. Er wollte etwas zu ihrem Ältesten sagen, der immer noch entgeistert neben ihm stand und das seltsame Bild betrachtete, doch just in diesem Moment erhob Dae-Sung seine Stimme und begann wieder irgendeinen Quatsch zu singen, so dass Young-Baes Worte ungehört untergingen. Er setzte erneut an, diesmal lauter. "Wir sollten ihn ins Wohnzimmer schaffen, damit er uns nicht die ganze Nacht wachhält" wiederholte er. Seung-Hyun nickte. Es war gar nicht so einfach, den ihren betrunkenen Freund zu fassen zu kriegen, da er so stark wankte und dabei wild mit den Armen fuchtelte. Schließlich gelang es ihnen, Dae-Sung links und rechts einzuhaken. Seine Schritte waren so unsicher, dass sie ihn mehr trugen als führten und immer wieder sank sein Kopf zur einen und dann wieder zur anderen Schulter, während er noch immer vor sich hinträllerte und zwischendurch beteuerte, dass er die Hilfe nicht nötig hätte und noch sehr gut allein gehen konnte. Young-Bae hatte den anderen noch nie so schief singen hören. Schließlich schafften sie es, Dae-Sung auf das Sofa zu verfrachten, doch dieser schien von der Idee schlafen zu gehen nicht recht begeistert. "Hyungs!" rief er, "lasst uns noch einen trinken, ja? Und dann spielen wir Mario Kart!" Er war schon aufgesprungen um die Konsole anzuschalten, doch Young-Bae drückte ihn sanft aber bestimmt auf die Kissen zurück. "Nichts da, es ist spät, wir sind alle müde und du musst dich ausruhen, damit du morgen keinen Kater hast!" "Ach Hyuuuuu~ung!" moserte Dae-Sung und verschränkte die Arme vor der Brust, wobei er einen Schmollmund. Young-Bae warf einen zweifelnden Seitenblick auf den Ältesten, doch der zuckte nur hilflos mit den Schultern, wobei jedoch ein leichtes Grinsen um seine Mundwinkel spielte. "Ich glaube, ich gehe erstmal etwas zu trinken besorgen." Und damit verschwand er in die Küche. Als er den Wasserhahn abdrehte, hörte er auf einmal lautes Gelächter aus dem Wohnzimmer zu ihm herüberwehen und er wunderte sich, denn es war nicht Dae-Sungs Stimme, die er vernahm. Im Wohnzimmer bot sich ihm ein Bild des Elends. Scheinbar war Dae-Sungs Stimmung in Sekundenschnelle von höchster Freude in tiefste Trauer umgeschlagen. Er lag flach auf dem Sofa, hielt sich den Bauch und jammerte Stein erweichend. Neben ihm, bei einer Pfütze von Erbrochenem, stand Young-Bae und konnte vor Lachen nicht mehr an sich halten. "Da bin ich ja keine Sekunde zu früh mit dem Wasser. Hier." Seung-Hyun wollte eigentlich sauer werden, aber er konnte nicht anders, als auch zu grinsen. Das hier war einfach viel zu lächerlich. Es war eine seltsame Stimmung, welche sich in dieser Nacht unter den drei Freunden unbemerkt ausbreitete. Sie hatte etwas von Ausgelassenheit. Ausgelassenheit nach einer sehr langen Zeit der düsteren Trauer. Und dass selbst Seung-Hyun sich nicht dagegen wehren konnte, erfreute und erleichterte Young-Bae umso unfassbar viel Last, dass er nur noch lauter lachte und diesem brüderlich auf den Rücken klopfe. Nachdem Dae-Sung alles aus sich herausgelassen hatte, setzte er sich vorsichtig wieder auf. Er sah nun wirklich etwas krank aus, aber er würde es sicher überstehen. So reichte Young-Bae ihm eine Taschentuch und der Älteste drückte ihm das Wasserglas in die Hand, aus welchem er gierig einige Schlucke nahm. Danach fühlte er sich besser und auch etwas nüchterner. "Na, glaubst du mir jetzt, dass du betrunken bist?" fragte Young-Bae ihn neckisch, als sie sich wieder in die Augen sahen. Der Angesprochene lächelte schief und kratzte sich am Kopf. "Du hast vielleicht recht..." nuschelte er und sah dann zu Seung-Hyun herüber, der nur missbilligend aber noch immer grinsend den Kopf schüttelte. "Haha, hyung, du lachst ja. Warum lachst du?" Daraufhin wurde das Lächeln in dessen Gesicht noch breiter. "Du solltest schlafen gehen." erwiderte Seung-Hyun nur und versuchte, sich wieder zu beruhigen und Ordnung in dieses Chaos zu bringen. Was sie nicht bemerkten, war, dass sie in ihrem Tun beobachtet wurden. Nicht weit von ihnen im Türrahmen stand Ji-Yong. Er war dem Schlaf entstiegen, als Seung-Hyun die Schlafzimmertür geöffnet hatte und Licht auf sein Bett gefallen war. Auch er hatte Dae-Sungs Gesang vernommen und begonnen, dem Gespräch seiner Freunde zu lauschen. Als diese den stark Angetrunkenen ins Wohnzimmer schleppten und kurz darauf lautes Gelächter zu vernehmen gewesen war, war er neugierig geworden. Lachen, das war ein Geräusch, welches schon eine lange Zeit nicht mehr in ihrem Apartment zu hören gewesen war. Obwohl früher kaum ein Tag ohne es verging. Es nun so plötzlich und unerwartet mitten in der Nacht zu vernehmen, ließ sein Herz angenehm schneller schlagen und trieb ihn den anderen nach. So betrachtete er die beinah glückliche Szene und nahm gar nicht wahr, wie ein Lächeln nun auch seinen Mund umspielte. Ja, so sollte es sein. Erst als Dae-Sung sich letztlich doch auf das Sofa legte, entschied auch der Leader, sich wieder abzuwenden und in sein Bett zurückzukehren. Bald würde er wieder genügend Mut finden. Er wusste es. Er wandte sich um und lief wenige Schritte, da erschien ein Paar nackter Füße vor seinen Augen. Sofort erstarrte er im Gehen und ließ seinen Blick langsam höher wandern. Ji-Yongs Atem stockte. Vor ihm stand Seung-Ri in einen Bademantel gehüllt und starrte ihn an. "Hyung..." Die Augen des Jüngeren wurden wässrig. Beide starrten sich unverwandt an. Seung-Ri lag in diesem Moment so viel auf der Zunge, das er gern gesagt hätte, aber seine Stimme weigerte sich, ihm zu gehorchen. Stattdessen wisperte er noch einmal "Hyung" und eine kleine Träne kullerte aus seinem Auge. Es war so viele Tage her, dass er den Freund gesehen hatte. So viel war passiert. Herr Jang und Seung-Hyun hatten recht gehabt, Ji-Yong sah wirklich besser aus. Und nun traute er sich sogar aus seinem Zimmer. Der Blick, den die beiden jungen Männer teilten, konnte höchstens ein paar Sekunden gedauert haben, doch er löste in beiden so viel aus. Seung-Ri war nun endgültig hoffnungsvoll, dass in ihr Leben langsam wieder Frieden einkehren konnte. Ji-Yong war immer noch wie zur Salzsäule erstarrt. Er hatte es vermieden, das Wohnzimmer zu betreten, hatte die anderen so lang nicht mehr gesehen und jetzt drehte er sich um und Seung-Ri stand vor ihm, freute ich offensichtlich ihn zu sehen, aber schien fast genauso geschockt über die unerwartete Begegnung. Es war jedoch nicht nur Angst, die sich um sein Herz zusammenzog. Freude klang darunter nach, auch ein Hoffnungsschimmer. Dies war ein guter Tag gewesen. Schließlich schwappte jedoch die Angst über und Ji-Yong schob sich an dem Jüngeren vorbei in sein Zimmer, wobei er kaum hörbar "Gute Nacht, Seung-Ri" murmelte. Der Angesprochene blieb wie angewurzelt auf der Stelle stehen und starrte auf das Stück Teppich, auf dem sich noch eben Ji-Yongs Füße befunden hatten. Erst nach Sekunden konnte er sich doch und betrat noch immer wie in Trance das Wohnzimmer. Young-Bae hatte sich Papierhandtücher geschnappt und wischte die Sauerei vom Boden auf, während Seung-Hyun nach Decken und Kissen für ihren Freund kramte und ihn immer wieder anhielt, Wasser zu trinken. "Hyungs..." wollte Seung-Ri sagen, doch es kam nur ein leises Krächzen heraus, das er selbst kaum vernahm. Er räusperte sich und sagte dann mit etwas normalerer Stimme "Heh, Leute!" Endlich hörten sie ihn und drehten sich überrascht nach ihm um. "Oh, du bist auch wach? Naja, bei dem Lärm kein Wunder!" "Eben im Flur... da war Ji-Yong!" Alle verstummten. Erst starrten die drei Älteren den Jüngsten nur an, dann tauschten sie selbst Blicke. Aus Seung-Ris Gesicht war nicht zu lesen, wie sie diese Begebenheit bewerten sollten. Young-Bae musterte seinen Freund. Mit seinem wirren Haar, dem locker umgebunden Bademantel, unter welchem er scheinbar noch immer nackt war, und seinen großen braunen Augen wirkte er verwirrt und hilflos. Young-Bae riss sich von seinem Tun los und ging bedacht auf ihn zu. Aus einem Grund, der ihm selbst nicht bekannt war, hatte er das Gefühl, Sueng-Ri nun mit Vorsicht behandeln zu müssen. Er schien in diesem Moment sehr zerbrechlich. Seine Hände fanden sich zu beiden Seiten von dessen Gesicht wieder. Er hielt es fest und streichelte leicht mit den Daumen über seine Wangenknochen, wobei er die Spur einer Träne bemerkte. "Hat er etwas gesagt?" fragte Young-Bae den Jüngeren leise und sah ihm dabei sanft in die Augen. Sein Gegenüber schluckte schwer, ließ den Blick unsicher an ihm vorbei zu Seung-Hyun und Dae-Sung schweifen, welche ihn mit leicht geöffneten Mündern anstarrten. Dann wanderte er wieder zurück. "Er hat...er hat 'Gute Nacht' gesagt...ganz leise..." antworte Seung-Ri beinah so leise, wie Ji-Yong zu ihm gesprochen hatte. Er konnte es noch immer nicht fassen. Ji-Yong hatte ihn angesehen und zu ihm gesprochen, nach so langer Zeit. Nach allem, was geschehen war. Er hasste ihn nicht. Bei jenem Gedanken sammelten sich erneut Tränen in seinen Augen. Er senkte den Blick, musste blinzeln und da kullerten sie heraus. Benetzten Young-Baes Daumen und tropften weiter über Seung-Ris Wangen. Er war glücklich und traurig zugleich und wusste nicht, was er tun sollte. Ein Lächeln spielte auf seinen Lippen und gleichzeitig konnte er die Tränen nicht zurückhalten. Seung-Ri sank gegen die Brust des Älteren und ließ den Blick von einem seiner Freunde zum nächsten wandern. Die anderen im Raum schienen erleichtert. Fast schon hatten sie befürchtet, dass es zu einem neuen Eklat gekommen war. Besonders bei Seung-Hyun saß diese Angst tief. Es war fast schon zum Reflex geworden, immer das Schlimmste zu befürchten Bei dem, was sie durchgemacht hatten, war das nicht verwunderlich, doch er wünschte sich, dass er nicht für immer diese schweren Gedanken mit sich herumtragen musste. "Wir sollten alle schlafen gehen. Es war ein anstrengender Tag." Alle nickten auf Seung-Hyuns Vorschlag, nur Dae-Sung murmelte, dass er aber noch nicht müde sei. Jedoch im selben Atemzug war er auch schon wieder auf das Sofa zurückgesunken und die Augen fielen ihm zu. "Seung-Riya, ich mache hier noch sauber. Dann komm ich wieder ins Bett. Geh doch schonmal vor!" Seung-Ri nickte. Er hauchte einen unbemerkten Kuss auf Young-Baes Wange und verschwand dann wieder in den Flur, wo er kurz stehen blieb und die verschlossene Tür, hinter der sich ihr Leader befand, anstarrte. Erst danacg löschte er das Licht und verschwand in sein Zimmer. Young-Bae und Seung-Hyun blieben noch kurz in der Mitte des Wohnzimmers stehen ohne einander anzusehen. Dae-Sungs leises Schnarchen verhinderte, dass es ganz still wurde. "Es geht ihm langsam besser. Ich bin froh..." Young-Bae hörte echte Erleichterung in der Stimme des Ältesten. Statt etwas zu erwidern klopfte er ihm jedoch nur auf den Rücken und lächelte ihn aufmunternd an. "Du gehst am besten auch schlafen!" "Ich helfe dir noch, hier sauber zu machen." "Lass mal, ich schaffe das auch alleine. Das Gröbste ist ja schon weg." "Dann hol ich wenigstens noch schnell einen Eimer, falls er sich nochmal übergeben muss." "Bring am besten noch eine Flasche Wasser mit." Zehn Minuten später lag Seung-Hyun in seinem Bett und starrte an die Decke. Sollte es tatsächlich endlich überstanden sein? "Gute Nacht, Ji-Yonga" wisperte er, dann glitt er langsam wieder ins Reich der Träume hinüber. Und ohne dass der Ältere es noch hörte, erhielt er einen leisen Gruß zurück. Ji-Yong flüsterte ihn, erneut mit einem warmen Lächeln auf den Lippen. Ja, Seung-Ris Anblick hatte ihn erfreut und geängstigt. Doch als er wieder unter seine Decke geglitten war und sich seinen jungen Freund vor Augen geführt hatte, da durchströmten ihn Wärme und ein gewisses Glücksgefühl. Und es hielt an, sodass er Seung-Hyun noch antwortete, als dieser es bereits nicht mehr hören konnte. --- Die Tage, die jenem ereignisreichen folgten, erschienen anders. Sie waren heller und leichter zu durchleben. Sie gaben ihnen neue Kraft und Zuversicht für die Zukunft. Seung-Hyun beobachtete Ji-Yong sehr genau und vernahm, dass die Nervosität, welche diesen immer im Griff gehabt hatte, von ihm beinah völlig abgefallen war. Der Jüngere sah ihm nun viel öfter in die Augen, sprach mit lauterer Stimme und lächelte wieder und wieder. Sie konnten sogar wieder miteinander scherzen. Es geschah etwas, das der Älteste nicht derart schnell für möglich gehalten hatte: Ji-Yong verließ seine Deckung und kehrte zu ihnen zurück. Nicht laut und aufgedreht wie sie es gewohnt waren, sondern still und unauffällig. Es begann damit, dass dieser auftauchte, als Young-Bae, Dae-Sung und Seung-Ri gemeinsam im Wohnzimmer Fern sahen. Natürlich hatten sie ihn zunächst unsicher angesehen, doch als niemand etwas sagte, wandten sie sich wieder dem Fernseher zu und Ji-Yong setzte sich zu ihnen auf einen der Sessel. Sie sprachen nicht miteinander und er blieb auch nicht lang, aber er hatte es geschafft, seine Angst zu überwinden. Nach einer Woche begann er sogar wieder mit ihnen gemeinsam zu essen. Er saß noch immer dicht bei Seung-Hyun und verschwand nach seinem letzten Bissen sofort, als fürchtete er, in ein Gespräch verwickelt zu werden. Doch er verbrachte Zeit mit ihnen. Und so ließen sie ihn wieder an allem Teil haben, jedoch ohne ihn zu bedrängen. Zu Beginn war der Älteste skeptisch gewesen. Wenn sein geliebter Freund sich unter sie mischte, hatte er ihn wieder und wieder unauffällig beobachtet, um jedes Anzeichen einer Panikatacke sofort zu erkennen. Und einige Male begann dieser derart gehetzt um sich zu sehen und mit zittrigen Händen seine Kleidung zu greifen, dass er dachte, es wäre soweit. Doch Ji-Yong überstand es. Er vollbrachte es, wieder zu seiner inneren Ruhe zu finden, sodass Seung-Hyun seinen Zustand immer seltener überprüfte. Und sogar er wagte sich nun zu hoffen, dass es wieder wie früher werden konnte. Bis zu einem erneuten Anruf ihres Managers. "Das ist nicht Ihr Ernst, oder?!" Seung-Hyun klang so aufgebracht, dass Seung-Ri aus seinem Zimmer in den Flur schielte, wo der Älteste mit dem Telefonhörer in der Hand an der Wand lehnte. "Ja - ja, nein - ich verstehe schon, aber das... in Ordnung, ich werde es ihm ausrichten. Das kann ich aber nicht versprechen. Ja, natürlich werde ich alles daran setzen. Ja. Ich wünsche Ihnen auch noch einen schönen Tag. Danke sehr, ich werde es ausrichten." Seufzend ließ er den Kopf gegen die Wand sinken. Da lief es ein paar Tage gut und dann so etwas. Er hatte es ja kommen sehen, hatte gewusst, dass es nicht so perfekt weitergehen konnte. „Hyung, ist alles in Ordnung?“ Er hatte Seung-Ri nicht bemerkt und schreckte nun zusammen, als er angesprochen wurde. Erst wollte er gar nicht antworten, sich erst einmal sammeln und dann überlegen, wie er es angehen konnte, doch dann schüttelte er einfach nur den Kopf. „Es war Herr Jang.“ Seung-Ris Augen weiteten sich und der Ältere erkannte, dass die schlechten Vorahnungen auch den anderen ereilten. Er war nicht der einzige, der schnell das Schlimmste annahm. Diese Gedankengänge schienen sich so eingebrannt zu haben, dass sie automatisch abliefen. Leider konnte er nun nichts Positives sagen um die Befürchtungen des Freundes zu zerstreuen. „Das wird nicht schön…“ seufzte er. „Ji-Yong muss zur Gegenüberstellung.“ Seung-Ris Gesichtszüge entgleisten. „Wie bitte, zur Gegenüberstellung?! Ich dachte, sie wissen, dass es Min-Ho war. Wieso muss er da noch hin?!“ Seung-Hyun zuckte hilflos mit den Schultern. „Sie brauchen Beweise…“ „Aber Hyung, er kann doch da nicht hin, das hält er nicht aus!“ Seung-Hyun packte Seung-Ri am Oberarm und zog ihn in die Küche. „Sprich doch ein bisschen leiser. Du willst doch nicht, dass er das so mitbekommt, oder?“ Schuldbewusst senkte der Jüngere die Stimme, als er weitersprach. „Hat Herr Jang gesagt, dass es unbedingt sein muss?“ „Er hat mir die Nachricht nur überbracht. Das Polizeirevier hat heute Morgen im Entertainment angerufen um Ji-Yong vorzuladen. Herr Jang hat versucht, Einspruch zu erheben, doch wie er es mir erzählt hat, lässt es sich nicht mehr verschieben. Es ist ohnehin nur unserem besonderen Status zu verdanken, dass sie so lang auf sich warten ließen.“ Bei den letzten Worten klang Seung-Hyuns Stimme bitter. „Und jetzt?“ Seung-Ris Augen wurden noch größer. „Jetzt werde ich zu Ji-Yong gehen und ihn so vorsichtig wie möglich darauf vorbereiten. Wenn du möchtest, kannst du die Aufgabe übernehmen, Young-Bae und Dae-Sung zu informieren, wenn sie vom Einkaufen wieder da sind.“ Seung-Ri nickte ernsthaft, dann schloss er aus einem Impuls heraus den Älteren in die Arme. „Wir schaffen das schon!“ Überrascht erstarrten die Gesichtszüge Seung-Hyuns, als er sich in einer Umarmung wiederfand. Dass es Seung-Ri war, der ihm auf diese Weise den Rücken stärkte, hatte er nicht erwartet. Er erinnerte sich an seinen Zusammenbruch vor einigen Wochen. Damals hatte er sich von dem Jüngsten geholt, was er von Ji-Yong nicht hatte bekommen können. Noch immer nicht bekommen konnte. Doch nun so freundschaftlich von ihrem Jüngsten umarmt zu werden, brachte ihn etwas aus der Fassung. Leicht legte er nun auch seine Arme um diesen und klopfe ihm auf den Rücken. "Ja...", gab Seung-Hyun zur Antwort. Dieses 'ja' jedoch war von Zweifeln durchzogen. Noch einen Moment verweilten sie so, dann löste der andere sich von ihm und lächelte verlegen. "Ich, äh, geh jetzt ins Wohnzimmer und warte auf die beiden. Viel Glück.", sagte der Jüngere leise und wandte sich ab. Bevor er jedoch den Raum verließ, drehte er sich noch einmal um. "Und Hyung?" Der Angesprochene merkte auf. "Ja?" "Wenn du Hilfe brauchst, ich bin da." Jene Worte hatte er ihm noch mitgeben wollen. Sicherlich würde der Ältere seine Hilfe nie in Anspruch nehmen, aber er sollte wissen, dass er nun nicht mehr allein war. Dass er nie allein gewesen war. Es würde immer einer von ihnen da sein, wenn er zweifelte. Seung-Hyun sah seinem Freund noch nach und lächelte traurig in sich hinein. Es tat gut, dies zu hören, auch wenn ihm niemand bei dem helfen konnte, was er nun zu tun hatte. Warum war das Leben derart ungerecht? Widerwillig machte er sich auf den Weg in ihr Schlafzimmer, in welchem er Ji-Yong am Schreibtisch sitzend vorfand. Dort hatte er ihn in den letzten Tagen öfter sitzen sehen. Die meiste Zeit las er nur in seinen Notizen, doch im Moment schrieb er. "Ji-Yonga?", sprach er den Jüngeren vorsichtig und aus einiger Entfernung an. Dieser hob den Kopf und wandte sich ihm zu. Er lächelte. Seung-Hyun glaubte, sein Herz würde zerspringen vor Trauer und Glück. Seit er dieses Lächeln wieder sehen durfte, fiel es ihm noch schwerer, ihn nicht einfach in die Arme zu schließen und fest an sich zu drücken. "Ja?" "Ich muss dich kurz stören. OK?" Langsam setzte er sich an die Kante von Ji-Yongs Bett und beobachtete, wie dieser erst verwirrt erschien, dann aber nickte. "Klar, was ist denn?" "Würdest du dich zu mir setzen?" Er wollte so nah wie möglich bei ihm sein. Wenn er ihm schon diese Nachricht überbringen musste, dann sollte sein Freund wissen, dass er an seiner Seite war. Wie immer. Da Ji-Yong keine Angst mehr vor leichtem Körperkontakt mit dem Älteren hatte, gesellte er sich ohne weiteres Zögern zu diesem. Der Ernst in dessen Stimme jedoch beunruhigte auch ihn. "Hyung, was ist?" Seung-Hyun holte tief Luft, um Zeit zu gewinnen und den richtigen Anfang zu finden. Am liebsten wollte er aus dem Raum stürmen und das Telefonat vergessen. Ji-Yong nie etwas davon erzählen. Doch die Vernunft rief ihn zur Ordnung. "Ji-Yonga, Herr Jang hat eben angerufen und ich muss dir etwas von ihm ausrichten." Er warf einen schnellen Blick zur Seite und bemerkte sofort die leichte Unruhe im Gesicht seines Gegenübers. Der Jüngere starrte ihn gespannt an. Geradezu ungeduldig. Da fasste er sich ein Herz und ergriff zugleich die Hand des anderen. "Er sagte, die Polizei hätte sich gemeldet und angekündigt, dass du zu einer Gegenüberstellung kommen müsstest." In der ersten Sekunde herrschte schweigen. Dann hörte er Ji-Yong neben sich hart schlucken. "G-gegenüberstellung? Was meinen sie damit?" Er wagte es kaum diese Frage zu stellen, denn er wusste bereits, was es bedeutete. Doch noch hatte er die Hoffnung, es sei ein Missverständnis. "Es bedeutet, dass du...zur Identifikation zu ihnen kommen musst." Ji-Yongs Hand, welche in der seinen bis jetzt nur locker gelegen hatte, packte plötzlich fester zu. Er sah zu diesem auf, doch konnte er nicht in seine Augen sehen, da der andere den Blick gesenkt hatte. Er hatte es gewusst. Er hatte gewusst, dass es unmöglich für ihn war. Und doch wollte er ihm versichern, dass er es schaffen konnte. "Aber du musst nicht allein gehen. Ich kann mitkommen und bei dir bleiben. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen." versuchte er die Situation trotzdem noch zu retten. Innerlich stelle sich Seung-Hyun schon auf einen erneuten Zusammenbruch seines Freundes ein, legte sich mehr tröstende, beruhigende Worte zurecht. Doch nichts geschah. Ji-Yong blickte ihm nur weiter ernst in die Augen, dann wandte er den Blick ab und starrte geradeaus ins Nichts. “Ji-Yonga, ist… ich meine, ist alles in Ordnung?” Der Jüngere nickte langsam, doch der feste, fast schmerzhafte Griff um Seung-Hyuns Hand verriet, dass er im Inneren nicht so ruhig sein konnte, wie er sich gab. „Es ist in Ordnung, ich werde das schaffen.“ Sein Gesichtsausdruck, auf dem noch eben ein Lächeln geprangt hatte, wirkte nun wieder schlaff, wie gelähmt. Seung-Hyuns Herz klopfte ihm vor Angst bis zum Hals. Auf einmal löste Ji-Yong den Griff. „Wann ist der Termin?“ erkundigte er sich und sein Ton wirkte beinahe geschäftsmäßig, wenn dieses verräterische Zittern nicht gewesen wäre. Seung-Hyun kannte seinen Freund so gut, hatte inzwischen so viel mit ihm erlebt, dass er es ohne Schwierigkeiten heraushörte. Es war seltsam. Diese ganze Situation war seltsam. Er hatte mit vielem gerechnet, nur nicht damit, dass der andere so undurchschaubar ruhig bleiben würde. Das konnte es noch nicht gewesen sein. Und sollte Ji-Yong tatsächlich so gefasst sein, wie er sich gab, dann dankte er Gott oder wem auch immer für die Stärke, die er seinem Freund verliehen hatte. Doch er glaubte nicht daran. Immer das Schlimmste erwarten, das war schließlich seine neue, traurige Devise. Er wollte seine Hand, auf den Rücken des anderen legen um ihm zu zeigen, dass er bei ihm war, doch dieser zuckte bei der Berührung von ihm weg. Es tat Seung-Hyun in der Brust weh. „Du sollst schon übermorgen hin. Aber du musst ihm nicht persönlich gegenübertreten, in Ordnung? Sie wollen erst deine Aussage aufnehmen, Herr Jang hat gesagt, das sei auch schon lange überfällig. Und dann musst du ihn identifizieren. Ihr seid durch eine dicke Glasscheibe getrennt und ich verspreche dir, dass es nicht länger als eine Minute dauern wird, in Ordnung? Und ich werde die ganze Zeit da sein, wenn du es möchtest.“ „Ja, okay.“ Das war das einzige, was Ji-Ying erwiderte und die Sorge um seinen Freund schnürte Seung-Hyun langsam die Kehle zu. Es entstand eine lange Pause zwischen ihnen. Seung-Hyun hörte mit halbem Ohr die Apartmenttür aufgehen. Die anderen schienen vom Einkaufen wieder zurück sein. Dann vernahm er gedämpfte Stimmen und schließlich schloss sich die Wohnzimmertür. Gerade jetzt würde Seung-Ri die schlechte Nachricht auch ihnen überbringen. Und noch immer sagte keiner von beiden ein Wort. Seung-Hyun bemerkte, dass der Ausdruck des anderen sich verändert hatte. Seine Augen wanderten unruhig im Zimmer auf und ab, seine gesamte Gesichtsmuskulatur schien verkrampft zu sein und seine Hände öffneten und schlossen sich um nichts. „Ji-Yong…“ „Bitte lass mich jetzt alleine, ja?“ Ji-Yong drehte den Kopf und sah dem anderen kurz in die Augen. Seung-Hyun konnte diesen Blick nicht deuten, es war nur klar, dass sein Freund keine Widerrede dulden würde. Er bräuchte vielleicht nur ein wenig Zeit, um die schlimme Nachricht zu verdauen, vielleicht ging nicht alles wieder den Bach runter. „Ich bin im Wohnzimmer, wenn du mich brauchst.“ Seung-Hyun widerstand erneut dem Drang, den anderen in die Arme zu schließen, dann setzte er sich auf und verließ langsam den Raum. In der Tür warf er einen kurzen Blick zurück. Er hoffte, dass es nicht so schlimm war, wie sein Bauchgefühl es ihm weismachen wollte. Nachdem sein Freund gegangen war, erhob Ji-Yong sich von seinem Bett. Etwas planlos drehte er sich zu allen Seiten des Zimmers. Doch in keiner Richtung lag seine Rettung. Nervös vergruben sich seine Hände in den Rand seines T-shirt, rissen ihn beinah aus, ohne dass es ihm wirklich bewusst war. Auch er hatte die Hoffnung, dass er die Neuigkeiten erst verstehen musste. Dass ihm nur klar werden müsste, was sie wirklich für ihn bedeuteten. Und nachdem er dies fertig gebracht hatte, würde er sie ganz sachlich betrachten können. Sachlich, als würden sie keine Bedrohung für ihn und seinen wiedergewonnen Frieden darstellen. "Seung-Hyun wird dort sein. Er wird bei dir sein. Du brauchst keine Angst zu haben." flüsterte er es sich selbst zu. Erst vereinzelt, dann immer schneller, bis die Worte nur noch ihm verständlich waren. Aber sie beruhigten ihn nicht. So sehr er sich seinen Freund an seiner Seite vorzustellen versuchte, dessen Bild wurde verdrängt. Unbemerkt verkürzten sich seine Atemzüge. Seine Brust hob und senkte sich schneller, während alles um ihn herum zu rotieren begann. Er versuchte die Augen zu schließen. Seung-Hyun vor diesen festzuhalten, sich dessen Hand in der seinen vorzustellen. Doch es war nicht mehr die Hand seines geliebten Freundes, die sich in seiner Vorstellung um die seine legte. Nicht die weiche zarte Berührung von Seung-Hyuns Lippen, die leise ins Ohr flüsterten. All das gehörte nur noch IHM! 'Wir werden für immer zusammenbleiben...' hörte Ji-Yong ihn wispern. Ein unterdrückter Aufschrei entfuhr ihm und er fand sich in der wirklichen Welt wieder. Gehetzt sah er sich um. Doch niemand war hier. Min-Ho war nicht hier. Doch er war da draußen. Nervös lief er zum Schreibtisch hinüber und begann darauf herumzuwühlen. Er musste sich vorbereiten. Er musste sich wappnen. '...für immer...' Als würde es ihn in irgendeiner Weise weiterbringen, schob Ji-Yong Zettel umher, stapelte Zeitschriften um, nahm Bücher in die Hand um die Seiten auszuschütteln. Vielleicht würde er zwischen all dem nutzlosen Krempel irgendetwas finden, das ihm Halt geben konnte. Doch in Wirklichkeit nahm er gar nicht wahr, was er tat, sah die Dinge nicht, die er in die Hand nahm. Es gab nur eine Person, die ihm jetzt Halt geben konnte und diese hatte er aus dem Zimmer geschickt. Er wollte Seung-Hyun nicht beunruhigen, nicht schon wieder schuld daran sein, dass er sich Sorgen machte. Es ging ihm doch besser. Er würde die Kraft ganz allein aufbringen und in ein paar Minuten würde er aus dem Zimmer treten, zu seinen Freunden gehen und es würde alles in Ordnung sein. Ji-Yong riss weiter Schubladen auf und durchwühlte sie. Öffnete Schachteln um ihren Inhalt auf den Boden zu leeren und sogleich irgendwo anders zu verstauen. Es war doch alles gut. Wie schwer konnte es schon werden? Schließlich konnte ihm nichts passieren. Sein Peiniger war gefasst. Er würde umgeben sein von ausgebildeten Polizisten in einem abgeschlossenen Raum. Doch allein der Gedanke an die schwarzen Augen ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. 'Mein Engel...' tönte Min-Hos Stimme in seinem Kopf, warf Echos und wurde immer lauter und bedrohlicher. Ji-Yong begann zu summen, um die Gedanken zu übertönen, doch nur ein trockenes Flüstern entkam seiner Kehle, während seine Hände noch immer sinnlos durch sein angesammeltes Eigentum wanderten. Kurz ließ er sich wieder auf sein Bett fallen, starrte an die Decke und es war, als würde ein riesiges schwarzes Auge zurück starren. Er raufte sich die Haare, schwang die Beine wieder über die Bettkante und vergrub den Kopf in den Händen. Es konnte ihm doch nichts passieren. Er würde seine Aussage machen, ihm kurz gegenübertreten und sich nicht unterkriegen lassen. Seung-Hyun war doch bei ihm. Und unzählige Polizisten. Nicht mal eine Minute, hatte Seung-Hyun ihm versprochen. Er würde dafür sorgen, dass dieser Kerl eingesperrt wurde und seine gerechte Strafe erhielt, nichts anderes. Es konnte doch gar nichts passieren. Warum hatte er dann trotzdem so eine Angst. Warum lag sie wie ein zentnerschwerer Stein auf seiner Brust. Warum konnte er nicht mehr normal atmen? Es konnte doch nichts passieren. Er würde sicher sein. Ji-Yong sprang wieder von seinem Bett auf und begann in seinem Kleiderschrank zu wühlen. Reihte Schuhe vor ihm auf, fein säuberlich, stülpte Hosentaschen nach außen und ließ Boxershorts und Mützen ihren Aufbewahrungsort tauschen. Seung-Hyun würde bei ihm sein und ihn auffangen, wenn er es brauchte. Es konnte doch eigentlich gar nichts passieren. Sein Atem ging inzwischen so schnell, so abgehackt, dass er kaum noch Sauerstoff in die Lunge bekam. Schließlich hielt er eine Jacke in der Hand, die er seit Wochen nicht mehr getragen hatte. Wie von allein wanderte seine Hand in die Tasche und er war überrascht, als sie sich um ein kleines, festes Stück Papier schloss. Mit wild klopfendem Herzen zog er es hervor und was er fand, als er seine sie öffnete, ließ ihn erstarren. 'Park Min-Ho, Personenschutz' stand in kleinen, unauffälligen Buchstaben darauf, darunter eine Telefonnummer. Er erinnerte sich an den Moment, als er sie eingesteckt hatte und dieser Gedanke, dieses dumme kleine Stück Papier ließ sein ganzes Denken erstarren. Es wurde hinfort gespült von einer eiskalten, schwarzen Welle der Angst. „Denkst du, er wird das meistern?“ Besorgnis sprach aus Dae-Sungs Augen, als er ihrem Ältesten die Frage stellte. Doch dieser konnte nicht anders, als mit den Schultern zu zucken. Er wusste es wirklich nicht, er konnte sich nicht erklären, wie er Ji-Yongs Verhalten zu deuten hatte. Auch die anderen hatten mit Unbehagen reagiert, als er ihnen davon erzählt hatte, also sah er vielleicht doch keine Gespenster. „Ich hoffe es. Aber mehr als hoffen und ihm meine Unterstützung anbieten kann ich auch nicht.“ Seung-Hyun wünschte sich, dass es nicht so wäre. Dass er Ji-Yong alles geben könnte, was dieser brauchte. Dass er seinem geliebten Freund diese schwere Last abnehmen könnte. Ihm jede böse Erinnerung und jeden Schmerz nehmen könnte. Als ihm dies bewusst durch den Kopf ging, schüttelte er ihn energisch, als würde er damit die unrealistischen Wünsche vertreiben. "Hyung, was ist?" fragte Young-Bae ihn besorgt. Dieser saß zu seiner Rechten auf dem Sofa und beäugte ihn misstrauisch. Nicht nur Ji-Yong wollte etwas verbergen, auch Seung-Hyun begann wieder mit dem Versteckspiel. Er seufzte. Ein Anruf und ihr Refugium war zerstört. Aber es war so oder so nur aus rissigem Papier erbaut worden. Er hatte es gespürt, aber trotzdem genossen. Young-Bae sah zu Seung-Ri hinüber, welcher ebenfalls wieder in düstere Befürchtungen vertieft zu sein schien. Dessen Augen hatten in den letzten Tagen ab an nahezu gestrahlt. In diesem Punkt war es Young-Bae beinahe wie ihrem Ältesten ergangen. Er hatte seinen süßen Freund wieder etwas aufblühen sehen und wollte, dass es nie endete. Ein Anruf. Alles dahin. Mehrere Minuten verbrachten sie still beieinander. Ein jeder seinen Gedanken nachhängend. Ein jeder vor sich her grübelnd. Ihre lockeren Zungen, welche in der vergangenen Woche zu mehr und mehr albernen Gesprächen geführt hatten, gehörten bereits jetzt wieder der Vergangenheit an. Seung-Hyun wurde es unerträglich. Er sah auf die Uhr und stellte fest, dass er Ji-Yong beinah eine halbe Stunde allein gelassen hatte. Ein Räuspern entrang sich seiner Kehle und die anderen sahen ihn an. "Ich gehe zu ihm und sehe, wie er es bis jetzt aufgenommen hat." Damit verließ er das Wohnzimmer, im Rücken die sorgenvollen Blicke seiner Freunde. Vor dem Schlafzimmer angekommen, horchte er erst, doch es war nichts zu hören. Seicht klopfte er mit den Fingerknöcheln gegen das Holz, um sich anzukündigen. Doch Ji-Yong antwortete nie, daher trat er bedacht ein und schloss die Tür. Was er nun sah, verstörte ihn. Ein seltsames Chaos tat sich vor ihm auf. Alle Schränke und Schubladen waren geöffnet, ihr Inhalt durchwühlt oder sogar vertauscht worden. Kleidung bedeckte den Boden und ließ ihn wie einen Flickenteppich erscheinen. Was war geschehen? Seung-Hyun spürte, wie sein Herz zu rasen begann. Schmerzhaft schlug es in seinem Brustkorb und hallte laut in seinen Ohren. Er sah Ji-Yong vor dem Kleiderschrank stehen. Dieser hatte ihm den Rücken zugewandt. In der einen Hand hielt er eine Jacke und in der anderen - der Ältere konnte es nicht erkennen, doch sein Freund starrte es unverwandt an. Ohne sich zu regen. Er wusste nicht, ob dies ein gutes oder schlechtes Zeichen war. Daher ging er so vorsichtig wie möglich auf ihn zu und streckte seine Hand aus. Dachte nicht einmal darüber nach, ob dies ein Fehler sein könnte. Ji-Yong hatte seine Berührungen in letzter Zeit nicht mehr gefürchtet, auch dann nicht, wenn sie unerwartet kamen. Aus diesem Grund legte sich die Hand des Älteren sanft auf dessen Schulter und trat von hinten an ihn heran. "Ji-Yonga, was machst du da?" Er hatte nicht mit dem gerechnet, was ihm nun widerfuhr und doch war seine Reaktion so schnell, dass ihn die auf ihn herniedersausende Hand nicht traf. Mit einem spitzen Schrei hatte Ji-Yong sich umgedreht und ausgeholt um nach ihm zu schlagen, doch er schaffte es gerade noch, seine Hand abzufangen und am Handgelenk festzuhalten. Was auch immer der Jüngere in der Hand gehalten hatte, segelte zusammen mit der Jacke ungesehen zu Boden. „Ji-Yonga, komm wieder zu dir!“ Seung-Hyun schrie es fast, so geschockt war er von dem plötzlichen Angriff, doch der andere war so sehr in Rage, dass er seine Hand losriss und wie wild auf Brust seines Gegenübers einschlug. Dies hier stand im extremen Gegensatz zu dem Ji-Yong, den er eben verlassen hatte, dass der Ältere nicht wusste, wie er auf die Situation reagieren sollte. Er spürte die schmerzhaften Schläge und konnte nichts anderes tun, als zu versuchen, sie abzufangen. „JI-YONG!!“ brüllte er, griff nach den Armen des anderen und schaffte es nicht, sie zu fassen zu kriegen. Er wollte Ji-Yong packen und ihn festhalten, bis er wieder zur Besinnung kam, doch er die harten Schläge verhinderten jede Nähe. Und auf einmal war alles schwarz. Er bemerkte noch, wie eine Faust wild auf seine Brust niederging, sein Fuß verfing sich in einem der herumliegenden Kleidungsstücke, dann fiel er. Er stürzte. Alles wurde schwarz und ein bohrender Schmerz breitete sich von seiner Schläfe durch den ganzen Kopf aus. Er musste gegen etwas gefallen sein. Er musste gestürzt und gegen den Tisch geprallt sein. Es brauchte nur wenige Minuten, bis er wieder zur Besinnung kam, doch diese Minuten reichten aus, auch Ji-Yong wieder klar denken zu lassen. Er begriff, was gerade geschehen war und als Seung-Hyun die Augen wieder aufschlug, kniete der Jüngere neben ihm. Seine Augen glänzten feucht und er streckte die Hand aus, um die Kopfverletzung des anderen zu begutachten. Es blutete nicht, doch er war schwer gefallen und musste Schmerzen haben. „Hyung, es tut mir leid…“ beteuerte er leise, doch Seung-Hyun wischte den Arm des anderen beiseite, noch bevor er ihn erreicht hatte. Er begriff noch immer nicht ganz, was gerade eigentlich passiert war, aber seine Gefühle und Gedanken fuhren im Moment mit ihm Achterbahn. All die angestaute Sorge und das Bedürfnis seinem Freund beizustehen waren im Moment überlagert von Enttäuschung und Frustration. Ein Anruf hatte alles zunichte gemacht. Alles, worüber er sich in den letzten Tagen freuen konnte und die Fortschritte Ji-Yongs, in die er all seine Energie gesteckt hatte und für die er so viele Opfer gebracht hatte. Die er bereitwillig gebracht hatte. Und jetzt das. Er konnte einfach nicht mehr. Seine letzten Reserven waren aufgebraucht und nun war er im roten Bereich. „Lass mich. Bitte, lass mich jetzt einfach!“ Fast war er selbst darüber erstaunt, wie hart und kalt seine Stimme klang und er konnte aus Ji-Yongs Gesicht ablesen, wie verletzt dieser war. Aber er hatte einfach keine Kraft mehr, noch einmal von vorne anzufangen. „Seung-Hyun, wirklich, ich habe das nicht gewollt. Ich weiß nicht, was mit mir los war!“ Ji-Yongs Stimme klang flehend, um Verzeihung bettelnd doch das einzige, was Seung-Hyun durch den Kopf ging, waren tausend verletzende Antworten, die er nicht so meinte und er konnte nicht mehr, als sie herunterzuschlucken. Ein Anruf und alles war zerstört. Dass Ji-Yong neben ihm in Tränen ausbrach und er immer noch leise Entschuldigungen murmelte, nahm er gar nicht wahr. Er brauchte nur einen Moment der Ruhe, einen Augenblick, in dem er sich nur um sich kümmern musste. Ohne ein weiteres Wort stand Seung-Hyun auf, griff nach der Schachtel Zigaretten, die unangetastet auf seinem eigenen Bett lag und verließ das Zimmer. Knallend fiel die Tür hinter ihm ins Schloss und auch die Badezimmertür warf er zu, als er darin verschwand. Er lehnte sich an die kühle Wand und ließ sich schwer atmend daran zu Boden sinken. Dann steckte er sich eine Zigarette zwischen die Lippen und zündete sie an. „Scheiße!“ fluchte er leise und nahm einen tiefen Zug. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)