Watching your Footsteps von TayaTheStrange ================================================================================ Kapitel 18: Take it Slow ------------------------ "Herr Kwon, wie geht es Ihnen denn heute?" Die Frau, der Ji-Yong gegenüber saß lächelte freundlich aber distanziert. Sie hatte die Beine übereinandergeschlagen und hielt ein rotes Klemmbrett und einen Kugelschreiber in der Hand. Sie war aufgestanden, um ihren Patienten zu begrüßen und hatte sich als Doktor Song vorgestellt. "Ich bin Ihre Therapeutin. Sollten Sie mich aus irgendwelchen Gründen nicht mögen, bitte ich Sie, es mir oder einem der behandelnden Doktoren mitzuzeilen. Wenn Sie mir nicht vertrauen, werde ich Ihnen nicht helfen können. Ich weiß, Sie haben sehr Schlimmes mitgemacht, umso wichtiger ist es jetzt, das Trauma aufzuarbeiten." Ji-Yong sagte nichts. Er starrte einfach nur vor sich hin und es war nicht sicher, ob er überhaupt etwas gehört hatte. Zwar hatte er sich aus dem Bett holen und in das andere Zimmer führen lassen, aber er sah keinen Sinn darin, etwas von sich zu geben. Er war gefangen in seinem eigenen Kopf, war gefangen in seinem Schmerz. Weder die schönen Bilder an den Wänden konnten seine Aufmerksamkeit gewinnen, noch die Blumen, die den kleinen Beistelltisch neben dem Sofa, auf welchem er saß, zierten. Alles, was ihn interessierte, war sich soweit wie möglich in eine Ecke zu drängen, um seinen Rücken zu schützen. Die nackten Füße hatte er auf die Sitzfläche gehoben. Um niemanden ansehen zu müssen, starrte er auf seine Zehen. Als Frau Dr. Song begann ihm Fragen zu stellen, war seine einzige Reaktion gewesen, sich noch stärker auf seine Füße zu konzentrieren. Mit den Fingern fuhr er tastend darüber, wackelte an seinen Zehen und versteckte sein Gesicht dabei so gut es ging hinter seinen angezogenen Knien. Er wollte nicht hören, was sie sagte. Sie war ihm egal. Dr. Song hatte auf einem Stuhl vor dem Sofa Platz genommen, um Ji-Yong nicht das Gefühl zu vermitteln, ihm zu nah zu kommen. In einem solchen Fall konnte es reichen, auf dem selben Möbelstück zu sitzen, um Unruhe hervorzurufen. Aber dass der Patient selbst jetzt nicht mit ihr kommunizierte, erschwerte ihre Arbeit um ein Vielfaches. Zum ersten Mal geschah ihr dies zwar nicht, aber der Anblick dieses Jungen war hart. Der Anblick des Jungen, den sie schon so oft im Fernsehen bewundert hatte, der ihr mit einem breiten Lächeln von riesigen Werbeplaketen überall in der Stadt zugrinste, jeden Morgen und jeden Abend, wenn sie sich auf den Weg machte. Ihre persönlichen Gedanken hatten hier natürlich nichts verloren, doch ganz aussperren ließen sie sich nicht. "Herr Kwon, hören Sie mich? Wenn Sie mich verstehen, brauchen Sie nur zu nicken, mehr nicht." Nichts tat sich. Sie seufzte lautlos. Dann kam ihr eine Idee. Vielleicht wenn sie ihn nur anders adressierte... Sie setzte sich etwas bequemer hin und beugte sich ein Stück vor, den Blick noch immer auf die kauernde Gestalt Gerichtet. "G-Dragon, verstehst du mich?" Da, ein Zucken. Er hatte sie registriert. Seinen Künstlernamen zu hören hatte Ji-Yong tatsächlich aus seiner schwermütigen Lethargie reißen können. Das erste Mal, seit er das Zimmer betreten hatte, sah er auf, sah die Ärztin an. Er schaffte es nicht, ihr in die Augen zu blicken, aber er musterte sie. Es war ihr gelungen. Sie hatte seine Aufmerksamkeit auf sich gelenkt, jetzt musste sie behutsam sein. Vielleicht wäre es ratsam, ihn weiterhin mit seinem Bühnennamen anzusprechen, um seine Teilnahme nicht zu verlieren. "G-Dragon, wie geht es dir?", wiederholte sie die Frage, die sie vor einigen Minuten schon gestellt hatte. Noch immer erhielt sie keine Antwort, aber zumindest regierte Ji-Yong mit einem kleinen Schulterzucken. Darauf konnte sie aufbauen. "Erzähl mir doch etwas über dich. Es muss gar nichts sein, was dir in letzter Zeit passiert ist, erzähl mir einfach, was in deinem Kopf vorgeht." Dr. Song war schon länger in ihrem Beruf tätig und sie hatte bereits oft mit Vergewaltigungsopfern zu tun gehabt. Aber es schien, als sei ihr der Umgang mit keinem Patienten vorher so schwer gefallen und das hatte nicht nur mit seiner Berühmtheit zu tun. Es war durchaus normal, dass jemand, dem Derartiges widerfahren war, dazu neigte, sich in sich selbst zurückzuziehen und mit niemandem zu sprechen. Aber in diesem Fall fühlte sie, dass die Barriere besonders stark war. Und sie musste herausfinden, woran das lag. "Ich... ich weiß nicht..." Es war nicht viel, aber es war der erste Satz, den Ji-Yong seit einer gefühlten Ewigkeit von sich gab und in ihm wartete so viel, das an die Oberfläche wollte. Noch war er im Stande, es unten zu halten. Er wollte über das alles nicht nachdenken, er wollte es vor allem nicht aussprechen. Sein Kopf war voll mit den schrecklichen Bildern des letzte Tages, aber sie verschwammen langsam und verloren an Wirklichkeit. Wenn er sie nun beschreiben würde, würden sie mit aller Gewalt zu ihm zurückkehren und das wollte er nicht. Er hatte Angst, große Angst. Das alles noch einmal zu durchleben, würde er nicht durchstehen. Nicht jetzt und auch später nicht. Wahrscheinlich niemals. Dr. Song schürzte ihre Lippen. Es durfte auf keinen Fall zur Verdrängung der Ereignisse kommen. Wenn dies geschah, würde er nicht geheilt werden. Sie musste es fertig bringen, ihn an etwas Schönes zu erinnern und ihm zu zeigen, dass er sicher war, dass das Schöne noch immer hier war. Wenn er wieder Vertrauen fasste, könnte er vielleicht von selbst über das sprechen, was ihn quälte. Aber bis dahin würde es ein langer Weg werden. "G-Dragon, sag mir doch, ob du etwas besonders magst. Ich bin sehr neugierig, ob es etwas gibt, dass dir gefällt." Seine Musterung hatte ein Ende gefunden und Ji-Yong hatte sich wieder abgewandt, doch hielten seine Finger jetzt still. Er begann wirklich über diese Frage nachzudenken. Immer, wenn jemand ihn dies fragte, war seine Antwort ganz klar. Es war die Antwort, die ihm Freude bereitete, wenn er sie gab. Jede Faser seines Körpers vibrierte geradezu vor freudiger Erregung. Am heutigen Tag war die Reaktion nicht ganz so stark, doch sie reichte aus, um ihn dazu zu treiben, weiter zu sprechen. "Musik..." Dr. Song lächelte. Dies war eine ehrliche Antwort. Und sie brachte ihr Möglichkeiten. "Ich mag Musik auch. Vor allem, die Musik, die du machst...wie ging gleich dieses tolle Lied? Ich bin so dumm und vergesse immer den Text. >I'm so sorry but I love ya da geojitmal iya...iya...<" "Iya molasseo ijeya arasseo..." "...I'm so sorry but I love ya nakaroun mal..." Ji-Yong sang weiter. Er stimmte weiter mit ein, sang gemeinsam mit ihr. Nur leise und schwach, aber er sang. Sein Rap war undeutlich und fast nur gemurmelt, aber er schien sich an dieses Lied zu klammern, wie an ein Rettungsseil. Er sang es bis zum Ende, dann erst verstummte er wieder und fiel in seine kauernde Haltung zurück. Dr. Song klatschte leise und sagte, wie wundervoll es war. Und beinahe wie auf Kommando, als wäre er wirklich bei einer Show, flüsterte er. "Annyeonghaseo, uri neun Big Bang." Die Ärztin bemerkte den wehmütigen Ausdruck, der sich in Ji-Yongs Augen geschlichten hatte. Sie hatte keine Einsicht in die Polizeiakte erhalten, aber sie war über den gesamten Verlauf der Dinge informiert worden und wusste, dass es einige Zeit her war, seit Ji-Yong auf der Bühne oder im Studio gestanden hatte. Lange hatte er sein Allerliebstes missen müssen. Sie hatte den Zugang zu ihm gefunden und konnte nun langsam beginnen, tiefer in seine Psyche einzutauchen. Kurz löste sie den Blick von ihrem Patienten, um sich eine weitere Notiz zu machen, dann schenkte sie ihm wieder ihre volle Aufmerksamkeit. "Du vermisst die Musik sicher sehr, nicht wahr?" Ji-Yong nickte. Das tat er wirklich und erst jetzt fiel ihm auf, wieviel Kraft sie ihm immer gegeben hatte und wie sehr er diese Kraft nun benötigte. Und da war noch etwas, das eng mit der Musik verknüpft war: seine Freunde. Sie waren immer um ihn gewesen und er fühlte sich, als hätte er in der letzten Zeit ihre Unterstützung und die Zuneigung, die sie ihm gaben, nicht genug zu würdigen gewusst. Besonders Seung-Hyun war immer für ihn da gewesen... Die Therapeutin bemerkte, dass Ji-Yongs Gedanken wieder abschweiften, aber diesmal schien es anders zu sein als zuvor. "Ich vermisse...", Ji-Yong schluckte den Namen herunter, der ihm auf der Zunge lag, "...meine Freunde" "Hättest du gerne, dass sie jetzt hier wären?" Einen Moment lang reagierte er nicht und Dr. Song befürchtete schon, dass sie ihn wieder verloren hätte, doch dann schüttelte er langsam den Kopf. Die Therapeutin hatte Angst, dass der nächste Schritt zu gewagt wäre, dass sie ihren labilen Patienten damit zu sehr belastete, aber sie musste einfach fragen. "Warum möchtest du das nicht?" Wieder herrschte Stille, diesmal um einiges länger. Ji-Yong zog seine Beine noch enger an sich heran und umklammerte sie fest. Er fühlte die Antwort in seiner Kehle brennen, aber noch war er nicht stark genug, sie auch auszusprechen, noch hatte er nicht genug Vertrauen in diese Frau gefasst. Er wollte nicht, dass seine Freunde seinetwegen verletzt wurden, er wollte nicht, dass es ihnen seinetwegen schlecht ging. Das war der Grund, aber er sagte nur "Es ist eben so", und wandte seinen Blick wieder seinen Zehen zu. "In Ordnung, du musst noch nicht darüber sprechen. Was hältst du davon, wenn wir unsere kleine Unterhaltung für heute beenden? Du bist sicher müde und willst schlafen." Sie lächelte freundlich, erhielt jedoch keine Antwort mehr. "Wir sehen uns morgen wieder." Dr. Song stand von ihrem Sessel auf, um die Schwester zu rufen und diese erschien auch kurze Zeit später und bugsierte ihren verstörten Patienten wieder in Richtung seines Zimmers. Die Schwester fragte ihn, ob er noch etwas brauchen würde. Als Ji-Yong nicht antwortete, nahm sie dies letztlich als ein 'nein' und verließ das Zimmer, um sich um die nächsten Patienten zu kümmern. Das, was er bräuchte, könnte ihm nur eine Person geben. Und eben diese wollte er nicht bei sich haben. Es durfte nicht passieren, dass Seung-Hyun ihn so sah. Nicht noch einmal. Er würde es nicht ertragen können, wenn dieser ihn wieder berührte. Seine Haut streichelte, ihm durchs Haar fuhr, seine Lippen küsste. Das war unmöglich. Wie hatte sein Freund sich nur dazu überwinden können, ihn anzufassen? Ihn und all das, was doch so offensichtlich an ihn haftete. Nur in seine Nähe zu kommen, musste furchtbar widerlich sein. Wie hatten sie ihn nur ansehen können? Ein saurer Geschmack legte sich in seinen Mund. Übelkeit stieg wieder in ihm auf. Ji-Yong erhob sich und wankte ins Bad, schaffte es gerade noch, sich über die Toilette zu beugen. Da er kaum etwas gegessen hatte, würgte er nur Galle hervor. Nach einigen Minuten beruhigte sich sein Magen wieder und er wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. Keuchend fiel sein Blick auf die Dusche. Der Geruch des Erbrochenen stieg ihm in die Nase. Er sah es auf kaltem grauen Boden. '...Ist dir schlecht mein Engel? Wart nur ab, das vergeht schon wieder...' Ruckartig erhob er sich von den weißen Fliesen und stolperte in die Dusche. Noch bevor er es geschafft hatte, sich das Oberteil des Schlafanzuges über den Kopf zu ziehen, hatte er das Wasser voll aufgedreht. Seine Sachen wurden durchnässt. Er warf sie zur Seite. Dann drehte er an der Temperaturregelung. Es war noch nicht heiß genug. Während das Wasser über seine Haut lief, sank er auf die Knie, umklammerte seinen eigenen Körper. Wasser lief ihm ins Gesicht, in die Augen, in seinen Mund. Er wollte nur sauber werden, wollte die Schande von sich abwaschen. Wie konnten die Leute ihn nur ansehen ohne die Nase zu rümpfen? Wie hatten seine Freunde ihn nur ansehen können ohne sich zu übergeben? Wenn es ihn vor sich selbst ekelte, wie konnten andere es dann nicht tun? Mit zitternden Fingern tastete er die Wand neben sich entlang, bis sie gegen eine große Plastikflasche mit Duschgel stießen. Ji-Yong griff danach und drückte eine große Menge in den Waschlappen der daneben gelegen hatte. Dann begann er sich zu schrubben. Mit aller Kraft, die er hatte, schrubbte er seine schmutzige Haut, bis sie sich rötete. Doch er hatte nicht das Gefühl, dass es erfolgreich war, also schrubbte er noch fester. Sein Atem ging schnell, als wäre er wieder in einer Panikattacke gefangen, doch ihm selbst schienen seine Gedanken so klar wie seit langem nicht mehr. Sauber, er musste sauber werden, den Schmutz, den Min-Ho auf ihm hinterlassen lassen hatte, abwaschen. Erst wenn er wieder rein wäre, könnte er Seung-Hyun unter die Augen treten, nicht früher. Ji-Yong bekam gar nicht mit, wie seine Haut zu brennen begann, wie das heiße Wasser ihm fast den Rücken verbrühte. Es war gut so. Auf diese Weise würde der gesamte Dreck endlich hinfortgespült. Es kam ihm so vor, als würde er an ihm kleben, seit er diesen verdammten Blumenstrauß gefunden hatte. Wie hatte Seung-Hyun ihn nur küssen können? Tränen glänzten in seinen Augen, als er daran dachte. Er wollte es und er wollte es nicht. Wollte Seung-Hyun sehen und wollte nicht, dass dieser ihn so sah. Wollte ihn in den Arm nehmen, aber nicht in den Arm genommen werden. Schwach sank er gegen die Wand der Dusche. Die kühlen Fliesen brannten fast auf seiner erhitzten Haut. Leise begann Ji-Yong zu schluchzen. Der Waschlappen fiel ihm aus der Hand, schwamm ein Stück in dem kochenden Wasser. Es würde nie wieder so werden, wie vorher und deswegen vergoss er Tränen, die noch heißer waren als dieses. Das Gefühl, nun endlich wieder rein zu sein, kehrte nicht ein. Egal wie lang er hier stand und darauf wartete. Irgendwann, als seine Tränen versiegt waren, langte seine Hand zum Wasserhahn und schloss ihn. Er wankte seltsam benommen aus der Kabine und wickelte sich in ein Handtuch. Ji-Yong konnte keinen Schritt mehr gehen. Das gesamte Badezimmer war von Dampf erfüllt, der ihn wohlig einhüllte, ihm jede Sicht und jeden Gedanken nahm. Zitternder Beine sank er an einer Wand herunter und verlor das Bewusstsein. Und dafür war er dankbar. Er war so tief in sich selbst versunken, dass er nicht bemerkte, wie fünfzehn Minuten später eine Schwester hereinkam, um nach ihm zu sehen. Wie sie ihn fand und erschrocken einen der Pfleger herbeirief. Seine Haut hatte in dieser Zeit ihre Röte wieder verloren und keine Spur blieb von seiner Verzweiflung auf ihr zurück. Als er wieder erwachte, konnte er sich kaum noch daran erinnern, was er getan hatte. Sein Körper war schwer und er hatte das Gefühl sich kaum bewegen zu können. Beunruhigt durch diese schrecklich vertraute Schwere, riss er die Augen auf und holte tief Luft. Nein... er war in seinem Zimmer. Er spürte, dass er im Bett lag. Er war nicht wieder dort. Nicht wieder auf dem kalten Boden. "Oh Gott sei Dank, Sie sind wieder aufgewacht. Ich habe so einen Schreck bekommen, als ich sie im Bad gefunden habe." Ji-Yongs Kopf ruckte herum und er erkannte ein Stück vom Bett entfernt die Schwester, die gerade wieder eingetreten war. Sie wirkte noch recht jung und unerfahren. Sogleich kam sie auf ihn zu, noch etwas unsicher den Arm ausstreckend. Eigentlich wollte sie nur seinen Puls messen, doch noch bevor sie das Handgelenk Ji-Yongs berühren konnte, riss dieser es aus ihrer Reichweite und wandte ihr den Rücken zu. Er wollte, dass sie ging. Er wollte niemanden bei sich haben. "Du bist sicher, dass du nicht mitkommen möchtest?" Young-Bae stand bereits fertig angezogen in der Tür. An der Straße wartete das Taxi, das ihn zum Krankenhaus bringen sollte und er wandte sich noch einmal um. Er hatte die Frage an diesem Tag schon mehrmals gestellt, aber Seung-Hyuns Entscheidung schien festzustehen und der Jüngere konnte sie nachvollziehen. Er musste große Angst haben, Ji-Yong wieder unter die Augen zu treten. Und auch wenn sich ihre allgemeine Stimmung im Verlauf des letzten Tages wieder gebessert hatte, so schien Seung-Hyun sich dennoch nicht wieder fähig zu sehen, eine derart verantwortungsvolle Aufgabe zu übernehmen. Am letzten Abend hatten sie einen weiteren Anruf von Dr. An erhalten, der ihnen mitteilte, Ji-Yong würde es inzwischen besser gehen und eine Entlassung aus dem Krankenhaus sei am nächsten Vormittag nach seiner Therapiestunde möglich. Der nächste Vormittag war nun angebrochen und sie hatten gemeinsam entschieden, dass Young-Bae ihren Leader abholen sollte. Eigentlich waren sie alle davon ausgegangen, dass Seung-Hyun dies übernehmen würde, aber sie konnten seine Bedenken verstehen. Ihm ging es noch immer am schlechtesten von allen. Seung-Hyun lächelte nun, aber es sah nicht echt aus und er nickte. "Ich werde da sein, wenn ihr zurückkommt." Daraufhin schloss sich die Tür zwischen ihnen. Es gab nocht etwas, das sie gemeinsam entschieden hatten, nämlich dass sie Ji-Yong besonders am Anfang nicht überlasten wollten und so verließen Seung-Ri und Dae-Sung nur eine Viertelstunde später das gemeinsame Appartment und ließen den Ältesten allein zurück. Dieser saß nun mit angezogenen Beinen und klopfendem Herzen auf der Couch und wartete darauf, das Geräusch eines vorfahrenden Autos zu hören. Auch Young-Baes Herz klopfte ihm bis zum Hals, als er aus dem Taxi ausstieg und das Krankenhaus betrat. Keiner von ihnen hatte Ji-Yong noch einmal gesehen, seit er sie gebeten hatte zu gehen und er hatte nicht den geringsten Schimmer, wie er sich ihm gegenüber verhalten sollte. Er atmete einmal tief durch und trat dann an die Rezeption. "Dong Young-Bae", meldete er sich bei der hübschen Dame, die ihn freundlich und unverbindlich anlächelte, "Ich bin hier, um Kwon Ji-Yong abzuholen, sollte mich aber vorher bei Dr. An melden." Sie nickte und bat ihn, einige Minuten Platz zu nehmen, Dr. An würde bald kommen und sich um ihn kümmern. Dann nahm sie den Telefonhörer auf und drückte auf eine Durchwahltaste. Was sie sagte, konnte Young-Bae nicht mehr hören, denn die nächsten Plastikschalen, die sie als Stühle bezeichneten, waren einige Meter von der Rezeption angebracht. Nun saß er mit in die Hände gestützem Kopf da und starrte an die weiße Wand ihm gegenüber. "Ah, Herr Dong!" Der Doktor war schneller erschienen, als er es erwartet hatte und so erschreckte er sich ein wenig, als er auf einmal neben ihm auftauchte. "Ich würde Sie bitten, mir noch kurz in mein Büro zu folgen. Herr Kwon ist noch bei der Therapie und ich denke, wir haben auch noch etwas zu besprechen." Young-Bae nickte und folgte dem Arzt in den Fahrstuhl und dann in sein kleines Büro im obersten Stockwerk des Krankenhauses. Ein wenig unsicher ließ er sich auf den gemütlichen Stuhl vor dem Schreibtisch sinken und wartete darauf, dass auch Dr. An Platz genommen hatte. Dann konnte er die Frage nicht mehr zurückhalten, die ihm die ganze Zeit auf der Seele gebrannt hatte. "Meinen Sie wirklich, es ist noch nicht zu früh, Ji-Yong wieder nach Hause zu schicken?" Dr. An lächelte sanft und schüttelte den Kopf. "Nein, das denke ich nicht. Ich und auch Dr. Song, seine Therapeutin, sind zu dem Schluss gekommen, dass es Herrn Kwon nur gut tun kann, so schnell wie möglich in seine gewohnte Umgebung zurückzuführen." Er verschränkte die Hände auf dem Tisch und Young-Bae hatte für einen kurzen Moment fast den Eindruck, er würde mit einem gutmütigen Großvater sprechen und nicht mit einem studierten Arzt, der über das Schicksal ihres Freundes entschied. "Es ist nur wichtig, dass Sie ihm mit großer Sorgfalt begegnen. Wie ich Ihnen auch schon nach Herrn Kwons Einlieferung gesagt habe - eine falsche Bewegung kann eines hysterischen Anfall auslösen. Vor allem ist es wichtig, dass sie ihm ohne sein Einverständnis weder zu nahe kommen, noch ihn berühren. Ich kann mir vorstellen, dass Ihnen das nicht einfach fallen wird, ich nehme an, sie haben eine sehr innige Beziehung gehabt, aber das ist unbedingt nötig." Young-Bae versuchte sich die Anweisungen des Arztes so genau wie möglich einzuprägen, damit er sie hinterher an seine Freunde weitergeben konnte. Die Sachen, die er sagte, verstanden sich eigentlich von selbst, aber schon ihre letzte Begegnung mit Ji-Yong hatte gezeigt, dass sie so einfach nicht zu befolgen waren. Das Bedürfnis, ihren Freund zu beschützen und ihn zu trösten, konnte unkontrollierbrare Züge annehmen und so war es wichtig, dass sie alle sich klarmachten, wie sie sich ihm gegenüber zu verhalten hatten. "In Ordnung, wir werden nichts tun, das Ji-Yong irgendwie schaden könnte." Young-Bae war sehr ernst, als er dies sagte. "Wenn Sie Fragen haben, können Sie immer anrufen. Besser Sie wecken mich um drei Uhr in der Nacht, als dass sie etwas Falschen tun." Young-Bae nickte wieder. "Und noch etwas. Es ist nicht auszuschließen, dass Herr Kwon wieder eine Panikattacke bekommt. In erster Linie ist es wichtig, dass er sich wieder beruhigt. Sollte das von alleine nicht geschehen, werden Sie ihm ein Beruhigunsmittel geben müssen. Ich bin kein Verfechter der medikamentösen Ruhigstellung, aber es gibt Situationen, in denen es einfach nicht anders geht und ich halte Sie für reif genug, dass sie eine solche Situation erkennen, wenn diese auftritt." Dr. An öffnete eine seiner Schreibtischschubladen, holte daraus eine kleine Schachtel hervor und schob sie Young-Bae über den Tisch zu. "Sollten Sie Zweifel haben, wie gesagt, rufen Sie mich an." Young-Bae spürte die Last der Verantwortung, die sich auf seine Schultern legte, als er die Tabletten an sich nahm. "Haben Sie auch an die Sachen gedacht, um die ich Sie gebeten hatten?" Schnell hob er mit fahrigen Händen die kleine Tasche vom Boden auf, welche er mit sich genommen hatte und ließ die Tabletten darin verschwinden. Er zeigte sie Herrn An und dieser nickte. Bei ihrem Telefonat am Abend zuvor, hatte er sie gebeten, frische Kleidung für Ji-Yong mitzubringen, da es unmöglich war, ihm seine alten Sachen wiederzugeben. Zu dem Zeitpunkt, als der Mann die Bitte am Telefon aussprach, hatten sie die Tasche bereits gepackt. Seung-Hyun hatte es getan und obwohl es nur wenige Stücke waren, hatte es sehr lang gedauert, bis er aus dem Schlafzimmer zurückgekehrt war. Das Gesicht des Älteren war von Tränen bedeckt gewesen, aber Young-Bae hatte nichts gesagt und ihm die Tasche einfach abgenommen. "Dann können wir jetzt zu ihrem Freund gehen. Er müsste mit der Therapiesitzung fertig sein." Young-Bae schluckte wieder und wieder schwer, während er dem Mann in Weiß durch die Gänge folgte. Therapie... Würde sie etwas bringen? War es wirklich möglich, jemanden, der Derartiges erlebt hatte, mit irgendwelchen Methoden zu 'therapieren'? Dieses Wort wirkte abstoßend auf ihn. Jedoch wirkte die Tatsache, dass er es nun im Zusammenhang mit Ji-Yong verwendet hören musste, noch um Einiges schrecklicher. Sie waren fast an dessen Zummer angekommen, als Young-Bae ihn sah. Er kam ihnen entgegen, auf dem Weg zurück von seiner Sitzung. Im weißen Krankenhausanzug wirkte er so bleich wie nie zuvor. Der Jüngere lief mit hängendem Kopf, unsicher schlurfend einen Fuß vor den anderen setzend. Ohne Kraft, ohne Elan, wobei seine Augen auf den Boden zeigten und er sich mit einer Hand an der Wand entlang tastete. Eine Krankenschwester lief hinter ihm, doch als sie ihm die Tür öffnen wollte, tat Ji-Yong es von selbst und verschwand in seinem Zimmer. "Herr Dong? Herr Dong, kommen Sie bitte." "Was?" Young-Bae sah sich um. Er bewegte sich nicht mehr. Ohne Notiz davon genommen zu haben, war er einfach stehen geblieben, in dem Moment, in welchem er seinen Freund erblickt hatte. Er konnte es nicht leugnen. Auch er fürchtete sich vor seinem Anblick. Aber er würde das hier zu Ende bringen. Etwas zaghaft brachte er wieder Bewegung in seine Beine, ließ Herrn An aber zuerst das Zimmer betreten. Young-Bae richtete seinen Blick erst auf Ji-Yong, nachdem er die Tür geschlossen hatte. Der Jüngere stand am Fenster und starrte hinaus. Er konnte sein Gesicht nicht sehen. "Guten Tag Herr Kwon. Ich hoffe, Ihre Sitzung ist gut verlaufen." Ji-Yong reagierte nicht, aber der Arzt fuhr unbeirrt fort. "Ich habe gute Nachrichten für Sie. Sie können jetzt nach Hause fahren." Daraufhin geschah etwas. Young-Bae bemerkte, wie sein Freund sich leicht verkrampfte und dessen Finger sich fester um das Fensterbrett schlossen, dessen Rand er umklammert hielt. Er hatte es gewusst. Es war noch zu früh. "Ihr Freund Herr Dong ist gekommen, um Sie abzuholen. Bitte ziehen Sie sich um. Aber nehmen Sie sich Zeit." Herr An wandte sich ein letztes Mal Young-Bae zu und legte ihm in einer väterlichen Geste eine Hand auf die Schulter, um ihm aufmunternd zu zu nicken. "Ich werde Sie jetzt allein lassen. Ganz ruhig, es ist nicht mehr so schlimm, wie vor zwei Tagen. Haben Sie ein bisschen Vertrauen zu ihm." Mit diesen Worten verließ seine einzige Hilfe den Raum und Young-Bae stand unentschlossen noch immer neben der Tür. Wie sollte er sich nur trauen, näher an seinen Freund heranzutreten? Nach allem, was geschehen war. Aber er musste sich überwinden, zumindest bis zum Bett, den Rest würde er Ji-Yong auf sich zukommen lassen. Vorsichtig machte er die wenigen Schritte bis zur leicht zerwühlten Schlafstadt und legte die Tasche darauf. Mit einem leisen Sirren öffnete er den Reißverschluss und nahm die Kleidungsstücke heraus, um sie säuberlich nebeneinander zu legen. "Ich habe dir frische Sachen mitgebracht. Hoffentlich sind die in Ordnung. Seung-Hyun hat sie ausgesucht." Dieser Name hatte eine ungeahnt starke Wirkung auf die Gestalt am Fenster. Endlich wandte Ji-Yong sich um und kam langsam auf ihn zu. Young-Bae selbst wich er aus, aber seine bebende Hand griff nach dem T-shirt. Es war violett und irgendein englischer Satz, der keinen Sinn ergab, war darauf gedruckt. Darunter grinste ein bunter Totenkopf. Seung-Hyun wusste, dass er es gern trug. Deshalb hatte er es für heute ausgesucht. "...wo ist Seung-Hyun...?", fragte er mit leiser Stimme und Young-Bae war so überrascht von dieser Frage, mit der er vielleicht sogar hätte rechnen müssen, dass er zwar den Mund öffnete, aber sekundenlang kein Ton herauskam. "E-er ist..." Er kniff die Lider zusammen und schüttelte den Kopf, um sich wieder zu sammeln. Ji-Yong hatte nach Seung-Hyun gefragt, das war gut...oder? "Er ist zu Hause. Seung-Hyun wartet auf... uns." Beinahe hätte er 'wartet auf dich' gesagt, aber in letzter Sekunde erschien ihm dies beinahe wie eine Anklage gegenüber seinem Freund, welcher nicht bei ihnen war. Er beobachtete den Jüngeren sehr genau und erkannte, wie dieser mit sich rang. Seine Finger gruben sich tiefer in den Stoff des T-Shirts. Nach allem, was vor zwei Tagen geschehen war, musste es unvorstellbar sein, wieder Vertrauen in seine Freunde zu finden, die sich so falsch Verhalten hatten, ging es Young-Bae durch den Kopf. Aber mit dieser Vermutung lag er daneben. Ji-Yong plagte eine Angst anderen Ausmaßes und Inhalts. Ohne noch weiter auf das Thema Seung-Hyun einzugehen, schnappte er sich plötzlich die anderen Stücke und lief ins Badezimmer. Als Young-Bae das Klicken der Tür hörte, war es ihm, als würde etwas Zentnerschweres von seinen Schulter gehoben und er sank schwer atmend auf die Matratze. Hoffentlich war dies ein gutes Zeichen. Er betete dafür. Schon nach kurzer Zeit verließ Ji-Yong das Bad wieder und Young-Bae stellte fest, dass das Violett des T-Shirts dem Jüngeren fast schon wieder eine gesunde Gesichtsfarbe gab. Allerdings erzählten die tiefen Augenringe und der schlaffe Gesichtsausdruck ausführlich von den Schrecken der letzten Tage. "Also dann, bist du soweit, Ji-Yong?" Der Angesprochene starrte an Young-Bae vorbei aus dem Fenster und nickte schließlich langsam. Wieder fragte Young-Bae sich, ob es tatsächlich richtig sein konnte, ihn wieder zu sich zu nehmen, aber er wollte auf die Entscheidung des Arztes vertrauen. Er hoffte einfach nur, dass es ihnen möglich wäre, mit den Schwierigkeiten umzugehen und sie zu überwinden. Langsam erhob er sich und schulterte die leere Tasche. Er lächelte freundlich, als er an Ji-Yong vorbei durch die Tür ging, doch dieser zuckte trotzdem zurück, als sie sich zu nahe kamen. Doch Young-Bae schaffte es, das Lächeln aufrecht zu halten. Er ging durch den weiß getünchten Krankenhausgang voran und blickte sich immer wieder um, um sicher zu gehen, dass der andere ihm auch wirklich folgte. Ji-Yong blieb immer einen Meter hinter ihm. Dessen Blick war starr auf seine eigenen Füße gerichtet und sein Gang schlurfend. In diesem Augenblick hätte Young-Bae zu gerne gewusst, was dem Jüngeren durch den Kopf ging, wie seine Gedanken waren, damit er erkannte, wie er sich verhalten musste, aber so blieb ihm nicht mehr, als seinem Gefühl zu vertrauen. Und dieses riet ihm, Abstand zu halten und Ji-Yong auf keine Weise zu bedrängen. Ihm lagen eigentlich so viele Fragen auf der Zunge, zumindest wollte er irgendetwas sagen, dass Ji-Yong half, sich besser zu fühlen, aber er blieb stumm und stapfte nur weiter durch den fast endlos scheinenden Krankenhausflur. Das Taxi wartete noch, als sie das Krankenhaus verließen und Young-Bae entschied, dass er dem Freund die gesamte Hinterbank überlassen würde. Er hätte sich gerne neben ihn gesetzt, allein um ihn gut im Blick zu haben, fühlte aber, dass er ihm damit zu nahe kommen würde. "Nicht mehr lange, dann sind wir zu Hause." Young-Bae schloss die Autotür noch immer lächelnd, doch als er sich auf den vorderen Platz neben den Taxifahrer setzte und ihm Anweisung gab zurück zu ihrem Appartement zu fahren, wich das gekünstelte Lächeln sorgenvollen Falten. Während der Fahrt drehte er sich von Zeit zu Zeit nach hinten, um einen Blick auf seinen Freund zu werfen, doch es bot sich ihm immer das gleiche mitleiderregende Bild. Ji-Yong hatte den Kopf gegen die Fensterscheibe gelehnt und die Arme um seinen Oberkörper geschlungen. Seine Augen schienen die Stadt, die an ihnen vorbeiraste zu betrachten, aber in Wirklichkeit waren sie leer und trübe. Er versuchte sich einzureden, dass sich schon alles zum Besseren wenden würde, dass ihre Gesellschaft Ji-Yong tatsächlichen helfen konnte und dass die Nähe zu Seung-Hyun ihm gut tun würde. Aber eigentlich glaubte er sich selbst nicht. Sie hatten sich geschworen, das alles zu schaffen, aber im Moment zweifelte er stark daran. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)