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After the Races

Auf der Suche nach neuen Gleisen
von

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Feierabend in Sicht

Endlich, nach einem langen Tageslauf, neigte sich die Sonne mehr und mehr gen Westen. Das hieß, seit dem späten Nachmittag zogen immer mehr Wolken auf und verfinsterten den blauen Himmel. Es deutete alles daraufhin, dass der Abend und die darauffolgende Nacht recht nass zu werden versprach.

Kunststück also, das alles und jeder versuchte rechtzeitig einen geeigneten Unterstand zu finden, bevor das Unwetter losbrach.

So auch ein kurzer Güterzug, der gerade durch das Hügelland von Blue Mountain, tuckerte. Der Tross war schon seit den frühen Morgenstunden auf den Rädern und sein Ziel war in greifbare Nähe gerückt. Alle im Treck waren zwar erschöpft aber auch glücklich es endlich geschafft zu haben.

Das Depot 18, ihre Heimat, lag genau hinter der nächsten Hügelkette.

Vorneweg schnaufte Bolt, eine schon etwas in die Jahre gekommen Lok, die ihrer Leidenschaft für Diesel des öfteren gerne mal zu sehr frönte. Daher hatte er auch nicht selten eine leichte Schieflage und Stimmungsschwankungen wie das Wetter.

Heute schien seinen Laune bisher ungetrübt zu sein, wenn da nicht...

„EY! Lass den Scheiß, Rocky 5. Das war jetzt sicher das zehnte Mal das du mir in die Eisen donnerst. Und hier geht’s nicht bergab! Also red dich bloß nicht wieder damit raus!“

„Das war ich nicht!“ maulte der Kastenwagen hinter Bolt sofort lauthals „6 ist in mich rein gebrettert!“

„Nur weil 7 mich dauernd schubst!“

„Wenn du Schlaftablette mal wieder nicht vorankommst“ knurrte der wiederum seinen Vordermann an.

„Wen nennst du hier eine Schlaftablette!“

„Jungs, könnt ihr denn nicht mal für fünf Minuten euere Geplärr einstellen. Das greift auf die Dauer meine armen Nerven an. Am Ende krieg ich wieder ’ne Migräne!“ schniefte da Ballon, der Gastank-Wagen.

„Nee,“ begann da Rocky 6 zu grinsen „... du kriegst nur wieder Blähungen!“

„Oder Schluckauf!“ ergänzte Rocky 5

„Stresspusteln!“ fügte der dritte Kastenwagen noch hinzu und die Truppe lachte über den stets jammernden Gaswagen.

„Ignorantes Pack!“ schmollte der daraufhin gekränkt „Euch möchte ich mal sehen, wenn ihr ständig mit dieser Belastung leben müsstet, Gefahrgut zu transportieren!“

„Wir leben mit der Belastung, mir dir zu leben zu müssen!“

„Idioten!“

Beleidigt blies Ballon seine ohnehin schon breiten Backen prall auf und grummelte leise vor sich hin.

„Ach, hör doch nicht hin! Und IHR, nehmt euch mal für die letzten zehn Minuten zusammen! Wir machen hier schließlich keine Spazierfahrt sondern arbeiten. Also, mal etwas mehr Disziplin!“ tönte es von ganz hinten.

„Mim’ du mal hier nicht den BIG BOSS, Candle!“

„Genau für’ s Schlusslicht riskierste ne mächtig dicke Lippe, Bremsgöre!“

„Nur weil ich die letzte im Tross bin, heißt das noch lange nicht das ihr mich einfach übersehen oder überhören könnt!“

„Aber auch nicht, das du bei allem das letzte Wort haben musst, Candle- Mäuschen!“

„ACH JA?!“

Ein gewaltiger Ruck durchschüttelte den Zug vom Heck bis zur Spitze, als der kleine Bremswagen erst nach hinten anzog und dann die maulende Truppe nach vorn stieß.

„EY, Candle! Brems dich! Die drei Chaoten und der Hypochonder reichen mir völlig!“ brüllte Bolt nun so laut er konnte.

„Sorry, aber das musste sein!“ verteidigte es sich von hinten.

„Gott, was seid ihr alle doch primitiv!“ näselte Ballon.

„Hey Jungs, was ist der Unterschied zwischen ner alten Diesellok und ’nem angeknacksten Bremswagon?“ –„Gibt keinen, beide halten sich für solche Leuchten und sind dabei nicht heller als n Fahrradlämpchen!“ echoten 6 und 7 ihrem Bruder.

Die Retourkutsche folgte prompt:

Bolt stieg in die Eisen und bremste scharf, Candle hingegen gab Schub nach vorn. Das Krachen war sicher meilenweit zu hören.

„Ist jetzt mal Ruhe im Geschirr oder braucht ihr noch ’nen Schubs?!“ fauchte sie noch laut, dann gab der Bremswagen einen verkniffenen Klagelaut von sich.

Mit einem Mal war das Gestreite und Gekeife passeé, alles blickte nach hinten.

„F.. Candle, alles in Ordnung?“ rief Bolt seinem Schlusslicht zu.

„Bin okay, aber der letzte Rumpler war n bisschen zu heftig für meine rechte Hinterachse.“

„Kommt davon, wenn man Blödsinn machen muss!“ versuchte 6 zu giften, doch diese Mal gaben ihm 5 und 7 einen Rüffel dafür.

„Kleines, glaubst du, du schaffst es noch bis in Depot?“

„Aber ja! So schlimm isses auch wieder nicht. Fahr halt nicht zu schnell, damit ich nicht die volle Bremslast brauche!“

„Das sowieso nicht!“ meinte die Lok und setzte sich behutsam wieder in Bewegung.

Und alle Wagons im Tross spurten nun und fuhren gleich mäßig im vorgegeben Tempo.

Sie waren zwar nicht laut, aber jeder der Wagen hörte Candle’s leise Schmerzenslaute.

„Schätzchen, du musst endlich mal was gegen dein „Problemchen“ tun. Das kann doch nicht auf die Dauer so bleiben!“

Ballon war der erste, der wieder redete.

„Vollposten, was tut sie denn gerade? Sie braucht eine komplett neue Hinterachse samt Bremsen. Und die fallen schließlich nicht vom Himmel. So was ist schweineteuer.“

„Genau, und soviel verdienen wir Frachtwagen nun mal nicht.“

„Jetzt seid still!“ raunzte Candle dazwischen „Ich hab die Piepen irgendwann schon beisammen. Dann schaff ich das hier auch locker mit mehr Speed. Also Geduld!!“

„Mehr Speed? Das schafft der alte Sack da vorne doch gar nicht!“

„WIIIIEEEE BIIIIITTTE!“

„BOLT! Beherrsch’ dich! Wenn ich neue Bremsen hab, dann gerne! Aber nicht... nicht jetzt!!“

Candle’ s Stimme zitterte wieder auffällig, aber die Waggons und die alte Lok wusste was der Bremswagen meinte.

Der Zug kam auf eine schwierige Stelle zu: Ein verhängnisvoller Abhang mit darauffolgender scharfen Rechtskurve, an der sich die Hügellandschaft zum Meer öffnete.

Jeder Zug musste hier mit besonders viel Feingefühl fahren, ein gutes Zusammenspiel von Lok und Bremswagen waren unabdingbar.

Candle lehnte ihr Gewicht so gut es ging nach hinten und signalisiert Bolt mit einem Pfiff loszufahren. In gefühltem Schneckentempo setzte sich der Frachtzug in Bewegung und schob sich Stück für Stück den Abhang hinunter.

„Oh Gott, ich kipp vorn über. Ich werde kippen, mein Gas wird explodieren, ich werde...“

„KLAPPE BALLON!!“ brüllte der restliche Tross.

Die Last zog heftig an Candle’ s Haken und der kleine Bremswagen hatte Mühe im Gleichgewicht zu bleiben. Ihre Hinterachse tat jetzt bereits höllisch weh und begann wieder verdächtig zu wackeln.

//Bitte, halt! Halt einfach! Es ist doch gleich vorüber!// flehte sie innerlich ihren lädierten Part an. Dieser erhörte sie gnädigerweise und so rollte der Zug unbeschadet über die Kurve und nahm langsam wieder Fahrt auf.

Das Auftönen von Candle’ s Pfeife ließ alle für einen Moment aufhorchen und den Blick zum Meer wenden.

Denn diese Stelle, die man auch „Teufels Öhr“ nannte, konnte auch sehr leicht zur Todesfalle für einen Zug werden.

Wie ein stummes Mahnmal lag in der heranrollenden Brandung ein riesiges, rostiges Stahlwrack, das vor einigen Jahren noch eine stolze Lock gewesen war.

Jeder im Depot 18 hatte Speedster gekannt und ihn als Freund geschätzt, auch wenn der Diesel mitunter ein Arsch gewesen war. So trug er zum Beispiel auch Mitschuld an Candle’ s kaputter Achse. Doch dieses Ende hatte ihm gewiss keiner gewünscht.

Der kleine Bremswagen am allerwenigsten.

Noch einmal ließ sie ihre Pfeife so laut es ging erklingen, bevor sie traurig den Kopf wand.

„Nicht weinen, Liebes!“ versuchte Ballon die Kleine zu trösten, obwohl der Gaswagen wusste das es verglich war. Trauer war nun mal sehr langlebig.

„Leute, lasst uns hinne machen! Ich will nach hause!“

Wieder konnte Rocky 7 es nicht lassen und quengelte.

„Das wollen wir alle, Bruder!“

„Aber heute war doch das Finale! Und nur wegen eurer Bummelei krieg ich jetzt nur noch die Endergebnisse mit!“

„Das war wegen dem Streik im Hafen. Können wir was für diese depperten Krähne?“

„Aber jetzt könnte wir doch...“

„NIX DA! Wir fahren so schnell wie ich es sage, und keiner von euch Deppen macht jetzt noch Terz. BASTA!“

Ein Lok, ein Wort! Bolt hatte nun sichtlich die Lüftung dicht, und daher wagte es keiner den alten Diesel zu reizen.

Das große Finale

Depot 18 bestand aus drei großen Haupt- und einigen Nebenhallen. Hier kamen die Loks und Waggons nach vollbrachter Tagesarbeit zusammen, ruhten aus, ließen das eine oder andere reparieren oder nahmen ne Dusche.

Im größten Gebäude, schrubbte Mommie, der bereits in die Jahre gekommene Versorgungswagen gerade den Fußboden, als die Türen aufflogen.

„Mommie, hast du zufällig... meine... meine...“

„Was denn Toodelz?“

Der lange, gelbe Gleisbauwaggon blinzelte verwirrt hin und her, so als ob er sich krampfhaft an etwas zu erinnern versuchte. Schließlich riss er einen Memosticker nach dem anderen, den er auf seiner Brustplatte hatte, ab und las ihn sich durch.

„Häääh, wozu brauch ich denn 100 Tauben, 400 Piepen und...“

„Kann es sein, dass du deine Brille suchst, Schätzchen?“ fragte Mommie dazwischen, die schon ahnte wo das Problem lag. Toodelz war schrecklich vergesslich und noch dazu kurzsichtig wie ein Maulwurf.

Erleichtert schnippte dieser mit den Fingern.

„Genau das war’ s! Ich wollte dich fragen ob du...“

„Deine Brille hast du nur nach oben geschoben.“ Mommie musste nicht mal hinsehen, um zu wissen das sich das Gestell auf Toodelz Stirn befand. Der jedoch taste verwundert nach oben.

„Ach ja, stimmt da ist sie. Und ich hab mich schon gefragt... Na egal. Sag mal Mommie, sind die anderen noch nicht da? Ich dachte, sie wollten heute früher zurücksein.“

„Wird wohl etwas später werden. Rocky 7 hat mich die Tage doch sooo verrückt gemacht mit diesem ganzen Weltmeisterschaftgedönse! Da bin ich froh wenn mir das Geschnatter noch einige Stunden erspart bleibt.“

„Aber da ist doch gerade das Finale!!“ rief Toodelz entgeistert „Warum ist der Fernseher denn nicht an?! Los schnell, vielleicht krieg ich das Ende noch mit!“

„Kinder, Kinder! Langsam frage ich mich, was ihr alle nur damit habt? Was bringt es denn die schnellste Lok der Welt zu ermitteln? Ich halte das für Zeitverschwendung und fahrlässigen Schwachsinn. Wie leicht kann da was passieren!“

„Jetzt schalt schon ein, Mommie!“ bettelte Toodelz sie an. Mommie streckte mit einem lauten Seufzer die Waffen und drückte das On- Köpfchen auf der Fernbedienung.

Der große Fernseher an der Decke flackerte mit lautem Brummen auf und es dauerte etwas bis sich das Bild auf dem alten Kasten klärte.

Gebannt hing der Gleisbauwagon am Bildschirm, auch einige der anderen Gäste hatte sich nun in das Hauptgebäude begeben um das Rennen mit zu verfolgen.

Mommie warf auch hin und da einen verstohlenen Blick nach oben.

„Um Gottes Willen, was macht denn das Mädchen bei diesen Rowdies. Das ist kein Rennen für so ein kleines Schätzchen!“ meinte sie schließlich laut.

„Schttttttt!“ zischte es von allen Seiten.

„Hey sag mal!“ stieß einer der fremden Wagen Toodelz an „Stimmt es eigentlich das der große Electra und seine Components hier in der Gegend ihre Halle haben?“

„Das will ich meinen!“ grinste der Gleiswagen breit. Im Nu hatte er die Aufmerksamkeit aller Anwesenden auf sich gelenkt.

„Aber ja doch!“ ließ nun auch Mommie sich hören. „Ich dachte grade noch, dieser aufge-donnerte Stromkasten da kommt mir bekannt vor. Aber der ist auch nicht besser als dieser übergeschnappte Diesel. Nur heiße Luft unter Deckblech.“

Mommies Urteil stieß jedoch auf wenig Gehör.

„Er ist die modernste Lok der Welt!! Er wird auf jeden Fall gewinnen!! Scheiß auf diese olle Diesellok mit dem übersteuerten Ego.“

„Ach was!“ tönte es von einer anderen Seite. „Niemand schlägt Greaseball! Egal, wie aufgemotzt diese E-Lok auch ist. Gegen Klasse kommt auch dieses laufende Voltometer nicht an.“

„Was haste gesagt!“

„Hey, wasn das?! Spinn ich oder dampft da noch so ne verrostete Dampflok aufm Feld mit? “

„Haben die doch tatsächlich diese Rostlaube auf die Strecke gelassen. Hahahaha, wird wohl n „Almosen“ für die armen, armen Frachter sein!“

„SCHNAUZE!“ Wütend rollten die mächtigen Last-Loks und deren Wagen mit den Augen.

„DAS DARF JA WOHL NICHT WAHR SEIN!“ kreischte Mommie plötzlich schrill. „Ist der Kerl denn nicht ganz wasserdicht?! Koppelt das arme Kindchen einfach bei voller Fahrt ab! Hab ich’s nicht gesagt? Lebensgefährlich, total lebensgefährlich ist diese Raserei!“

„Jetzt sei doch mal still, Mommie!“ zischte Toodelz den alten Versorgungswaggon an.

Wie gebannt verfolgte die Menge die unglückselige Trudelfahrt das abgekoppelten Erste-Klasse- Wagens, die sicher ein böses Ende genommen hätte, wenn nicht...

„Ein Glück! Die Dampflok hat sie aufgefangen!!“

„Was für ein selbstloser Held!“ seufzte Mommie bewundernd.

„Da hat er was von! Den Vorsprung der anderen holt den Esel doch nie mehr ein!“

„Eins ist jedenfalls sicher: Euer großer Diesel hat’ s nun verschissen! Oder könnt ihr mir sagen wo der nun ’nen Ersatzwagen herkriegt?“

„Guck halt hin!“

Mit klopfenden Getrieben beobachteten die Loks und Wagen, wie sich der schwarzgelb gestreifte Champion der in Führung liegenden E-Lok näherte. Toodelz, der bisher über den Rand seiner Sehhilfe geschielt hatte, setzte die Brille nun kerzengrade auf.

„EY, das ist regelwidrig! Das ist Electra’ s Waggon!“ schrie einer der E-Lok Fans.

„Wagen ist Wagen! Er muss nur an Greaseball’ s Haken hängen!“ lachte die Diesel- Meute dreckig.

„NA da schau einer an!“ Der Gleisbauwaggon grinste mit einem Mal spitzbübisch „ Hab ich’s mir doch nicht eingebildet, dass die große E-Lok was für unsere Bremsmaus Candle übrig hat. Oder warum fährt Electra sonst mit ’nem Bremswagen?? Bei den zugstarken Components, die ihm zu Diensten sind. Eigentlich sollte unsere Kleine diese „versteckte Botschaft“ sehen! Findest du nicht, Mommie. Mommie?“

Doch der Versorgungswagen schien plötzlich völlig starr vor Schreck zusein. Ihre Augen waren wie verbissen an den Bildschirm geheftet. Und da blieben sie auch, als das sich ständig hin und her schlagende Trio in den letzten Tunnel einfuhr, gefolgt von der abgeschlagen scheinenden Dampflok und ihrem Kohletender.

Und es waren die auch diese beiden, die schließlich unbeschadet den Tunnel verließen und glücklich auf die Zielgerade einbogen. Von den drei Raufbolden fehlte jede Spur.

Aber es gehört nicht viel Fantasie dazu, zu sagen was passiert war.

„Ach du Scheiße!“

„Die sind sauber in die Wand gedonnert!“

„Kunststück, würdest du auch wenn so ein Depp an deinem Heck rüttelt!“

„Und warum hat dieser rote Spast nicht gebremst wie es seine Aufgabe ist! Bremswaggons! Nichts in der Rübe, aber immer sooooo ne Klappe!“

Toodlez wollte gerade aufspringen und dem Schreihals zu brüllen, er solle gefälligst nicht alle über einen Kamm scheren. Schließlich war Candle, trotz ihres Handicaps einer der fähigsten Wagen dieses Fachs.

Doch Mommie zog ihn unvermittelt nach unten und blickte ihn mit verschwörerischem Blick an.

„KEIN Wort davon zu Candle! Hörst du, kein Wort!“

Toodlez blinzelte sie erst verständnislos an, dann aber nickte er gehorsam.
 

„Bin ich zu spät? Ist das Rennen schon gelaufen? Wer hat gewonnen?“

Rocky 7’ s Stimme war über den ganzen Rangierhof zuhören, da war der Zug noch nicht mal halb zuhause.

„Unverbesserlich, der Kerl!“ beschwerte sich Ballon. Doch Candle tätschelte ihn besänftigend.

„Lass ihn doch! Wir sind alle in einem Stück zuhause. Das ist doch mal die Hauptsache!“

„Ich bin erst dann zuhause, wenn ich sicher in meiner Halle bin. Bolt! Schieb mich sofort nach hinten!“

„Sonst noch Wünsche, du alte Diva!“ brummte die Diesellok. Doch auf einen bittenden Blick von Candle hin, tat er was der Gastankwagen wollte. War auch besser so! Je schneller diese Nervensäge hinten in ihrer Halle war, desto schneller hatten sie alle ihre Ruhe.

Um die Rockies brauchte er sich nicht kümmern. Die waren längst in der Haupthalle verschwunden.

Und Candle? Bolt sah wie sie kurz in ihrer Baracke verschwand und dann mit etwas Rotem über den Schultern wieder verschwand.

„Bleib nicht zu lange draußen, Kleines. Es wird bald regnen.“

„Keine Sorge! Ich bin rechtzeitig zurück!“

Der Diesel und der Gaswaggon blickten dem davon eilenden Bremswagen nach.

„Armes, sie hat’ s echt nicht leicht. Erst der Unfall, der ihre Hinterachse fast zerstört hat. Dann dieses Unglück mit Speedster. Und dann noch...“

„Sie packt das!“ fiel Bolt Ballon ins Wort. „ Candle ist vielleicht klein und zierlich, aber auch mit Abstand der stärkste Wagen den es gibt.“

Erinnerungen und Gedanken

Der Wind pfiff stetig vom Land aufs Meer hinaus und ließ einige von Candle’ s Strähnen übermütig auf und ab tanzen.

Nach einigen Metern hatte sie zu der Stelle gefunden, die sie nun fast jeden Abend seit zwei Jahren anfuhr und dort blieb bis die Sonne gänzlich verschwunden war.

Ein Stahlbrücke bog sich über einen ins Meer strömenden Fluss. Von dort zweigte ein Sackgleis ab, das wenige Meter darauf mit einem hölzernen Prellbock endete. An diesem kam Candle zum Stehen.

Wehmütig holte sie Luft und ließ ihre Pfeife ertönen.

//Ich bin wieder da!// flüsterte der Ton dem stumm daliegenden Wrack zu.

Fröstelnd schmiegte sich der kleine Wagen tiefer in die Jacke, ihre einzige greifbare Erinnerung an Speedster. Der großspurige Diesel hatte das Kleidungsstück tagein tagaus getragen. Sie war sein Markenzeichen gewesen, genauso wie der ewige Glimmstängel im Mundwinkel. Oder seine ewige kopflose Raserei, wenn einmal der Termindruck zu heftig wurde. Dann konnte ihn nur eins bremsen- Candle.

Alleine beim Gedanken, wie er immer mit Bolt am Tresen hing und die beiden zusammen lachten und sich gemütlich einen hinter die Blende kippten, schnürte es der Kleinen die Brust zusammen.

Er fehlte ihr so unermesslich. Und was den Schmerz oft noch schlimmer machte...

Sie konnte spüren wie die Erinnerungen an ihn zu schwinden begannen. Genau wie sein Duft mehr und mehr aus der Jacke wich. Und Candle hatte Angst davor.

Sie wollte um keinen Preis auch nur ein Fünkchen Erinnerung an Speedster verlieren. Und doch... so sehr sie es auch versuchte, es geschah.

Und seit sich einen neue Lok in Candle’ s Blickfeld geschoben hatte, geschah es immer mehr.

Widerwillig schüttelte sie den Kopf.

„Blödsinn!! Dieser aufgemotzte Haufen Blech bedeute mir nicht die Spur etwas! An Speedster kommt der noch in Jahrzehnten nicht ran!“

Laut schnaubend setzte Candle ihren „bockigen Blick“ auf und verschränkte die Arme vor der Brust.

Er war ganz und gar nicht ihr „Typ“!!

Aufgemotzt bis ins kleinste Detail, dazu ein Ego, dass an Arroganz und Narzissmus nicht zu überbieten war!

Und einen Ton am Leib, das einem das Öl in den Leitungen schlecht wurde.

Angewidert, als hätte sie den ranzigen Geruch in der Nase, schüttelte Candle sich heftig.

Das der Kerl und sein Anhang ihnen nur Scherereien machen würden, hatte sie bereits geahnt als das Sextett ihr Quartier unweit von hier bezogen.

Überheblich und aufgeblasen, stolzierte und raste die Bande immer wie es ihnen passte hier über die Gleise. Scherte sich einen feuchten Dreck darum, das dies öffentliche Gleisanlagen und nicht ihr privater Spielplatz war.

Naja, die Quittung kam dann auch prompt.

Man sollte auch nicht mit überhöhter Geschwindigkeit durch ein Terrain preschen, das man nicht kannte. Das konnte einen Zug gewaltig ins Trudeln bringen und im ungünstigsten Fall (der es dann auch war) einen Wagen kosten.

Aber eine Lok, die nicht einmal merkte das ihr ein Waggon abhanden gekommen war!! Das war ja wohl das Letzte.

Candle schäumte immer noch vor Wut, als sie sich an das jämmerliche Bild erinnerte das der verunglückte Reparaturwagen abgegeben hatte.

Wrench hatte die ganze Zeit gebrüllt und geschrieen, aber anscheinend hatte keiner ihres Trosses ihr Unglück bemerkt. Irgendwann war die Kleine schließlich heißer geworden und brachte kaum noch einen Ton raus. Doch er war laut genug für Bolt und Candle’ s Zug. Mit etwas Mühe und Überredenskunst brachten sie die Kleine schließlich dazu sich von ihnen helfen und zum Depot ziehen zu lassen.

Und ganze zwei Tage später erst kam die Truppe auf den Gedanken sich bei ihnen sehen zu lassen und sich nach ihrem fehlenden Mitglied zu erkundigen.

Aber nicht das der hochherrschaftlich Big Boss sich bequemen würde nachzufragen, nein er schickte seine bleichgesichtige Hofschranze Purse vor. Der unglücklichen Tropf kam Candle gerade recht und sie faltete ihn nach allen Regeln der Kunst zusammen.

Als dann tatsächlich Electra himself sich dazu herabließ zu erscheinen und prompt anfing Wrench für den Unfall Vorwürfe zu machen, war das Maß bei dem empörten Bremswagen entgültig voll.

Sie ließ einen zornigen Wortschwall auf die zunächst verwirrte E-Lok hernieder regnen, der’ s in sich hatte. Selbst die anderen sonst so stoisch wirkenden Components wichen immer mehr vor dem brodelnden Bremswaggon zurück. Aber vielleicht fürchteten sie auch nur den folgenden Wutanfall ihres Rudelführers. Und der kam auch postwendend.

Aber weder sein Geschrei, einschüchterndes Gehabe, drohenden Blicke, lautes Stromgeknister noch ein gleißender Lichtblitz über ihren Kopf hinweg schienen Candle einzuschüchtern. In Wahrheit hatte sie innerlich vor der tobenden E-Lok gezittert. Doch wenn die Kleine eines im Umgang mit Loks (egal welcher Bauart) wusste, dann dies: Man durfte sich in ihren Augen nie verraten, wenn man mit ihnen stritt. Sonst hatte man verloren!

Daher gab sie sich alle Mühe ihr „Bist du jetzt fertig?“ so kaltschnäuzig wie sie es nur konnte, vorzubringen.

Die hellaufblitzenden Augen versuchten ein weiteres Mal sie zu durchbohren. Die Kleine allerdings... blickte einfach durch Electra hindurch.

Candle konnte später nicht mehr sagen, wie lange sie sich damals sich Aug in Aug gegenüber gestanden hatten, aber ER war es schließlich das als erstes den Blick senkte.

Danach... waren sie sich mehr oder weniger aus dem Weg gegangen. Ein Gutes hatte der Vorfall allerdings gehabt: Die idiotischen Rasereien rings um das Depot hatten schlagartig aufgehört.

Einige der Components erschienen auch nun in regelmäßigen Abständen im Depot. Vermutlich weil das der einzige Ort war an dem sie sicher vor den Laune ihres Chefs waren. Vielleicht auch weil hier so etwas wie Normalität herrschte. Candle konnte es nicht sagen. Und eigentlich... eigentlich war es ihr auch gleich.

Während der Bremswaggon noch weiter über die jüngsten Ereignisse in ihrem Leben nachdachte, erfüllte lautes Donnergrollen den Himmel.

„Auch das noch!“

Keinen Augenblick später öffnete der Himmel seine Schleusen und ergoss seine nasse Fracht auf die Erde und damit auch auf Candle.

Mit einem genervten Laut machte die kehrt.

„Vermaledeites... vermaledeites Mistwetter! Jedes ... jedes Mal ist es das selbe! Du denkst an nichts böses und urplötzlich zack... steht man im sprichwörtlichen Regen!“

Die Kleine fluchte und fauchte noch weiter derb vor sich hin. Innerlich verfluchte sie aber ihre eigene Unbesonnenheit. Sie hatte doch gewusst das es bald regnen würde. Aber Candle war so sehr mit ihren Gedanken beschäftigt gewesen, dass sie weder das aufkommende Wetter noch die hereinbrechende Dämmerung bemerkt hatte.

Begegnung im Regen

Nun rollte sie so schnell es der lädierte Bremswagen eben vermochte heimwärts. So sehr sie sich auch bemühte, bei ihrem Schneckentempo konnte Candle nicht verhindern, das sie selbst und ihr geliebtes Erinnerungsstück gründlich eingeweicht wurden. Dazu kam noch das der starke Wind sie hin und her zerrte.

„Einmal... nur ein einziges Mal!“ grummelte sie düster.

Ja, einmal wollte sie schneller sein. Schneller als dieses jämmerliche Gestackse, zu dem sie verdammt war.

Ach es war schon ein Kreuz!

Diese verteufelte Hinterachse! Seit dem Unfall machte sie nur Zicken. Voll belasten konnte Candle die Seite nicht ohne Gefahr zu laufen, dass sich ihr rechtes Rad irgendwann in der Bandage lockerte. Der Bremsblock an dieser Seite fehlte seit dem unglücklichen Rämpler vollständig.

Wenn Speedster nur etwas kräftiger gezogen hätte, dann wäre sie rechtzeitig von der Weiche gewesen und der hinter ihnen heranrollende Zug hätte Candle nicht streifen können. Aber so hatte sie von dem, sich verschiebenden Stellgleis unten und dem durch bretternden Irren oben eins aufs Dach gekriegt. Gleichzeitig zog Speedster dann auch noch vorwärts und das Unglück war geschehen.

Eigentlich hätte Candle mit dieser Behinderung nicht mehr auf die Gleise dürfen. Jedenfalls nicht als Bremswagen. Das hatte man ihr im großen Hauptdepot nach dem Check-up gesagt und der Kleinen folgende Möglichkeiten gelassen: Entweder sie opferte ihre Karriere als Bremser und ließ sich umrüsten. Oder aber sie wurde ausgemustert und würde ihr Schicksal auf einem Abstellgleis fristen bis neues Material für die Schrottpresse gebraucht würde.

Also... hatte Candle die dritte Variante gewählt: Sie war kurzerhand ausgebüchst und arbeitete nun hier im abgelegenen Depot 18 mehr oder weniger illegal. Aber wie sollte sie sonst die Piepen für die neuen Ersatzteile zusammenkriegen?

Und ihr rotes Hütchen an den Nagel hängen, stand von Anfang an nicht zur Debatte. Dafür liebte und lebte Candle ihren Beruf viel zu sehr.

Aber als nur halbseitig funktionsfähiger Bremswagen stellte sie stets ein Sicherheitsrisiko für ihren Zug dar. Ein Glück das sie Bolt und die Jungs hatte. Solange sie mit ihrem vertrauten Team arbeitete, ging alles soweit glatt.

Und sobald sie die Knete für die Reparatur hatte ... war alles wieder im grünen Bereich.

//Fragt sich nur... wann das sein würde.// dachte Candle gerade noch, da erregte ein hell flackernder Lichtfleck, der rasch näher kam, ihre Aufmerksamkeit.

War das ein Zug?

Aber wenn ja, warum war er nur so spärlich beleuchtet bei dem finsteren Wetter? Das grenzte an Fahrlässigkeit würde Mommie sagen, und Recht hatte sie.

Außerdem... er fuhr viel zu schnell für diese Strecke. Bei dieses Tempo, da... da geriet er am „Teufels Öhr“ vom Gleis ab, wenn nicht... wenn nicht jemand diesen Raser schleunigst bremsen würde!!!

Und genau das hatte Candle vor.

Ob nun halber oder ganzer, Bremswagen blieb Bremswagen!!!

Hell flackerte die Beleuchtung an ihren Schultern auf. Ihr großes Warnlicht, das sie sonst hinten an ihrem Zopf angehängt hatte, hing nun hell blinkend vor Candle’ s Brust. Ihre Pfeife schrie mit ihrer lauten Stimme um die Wette.

Dennoch schien der Zug weiter ungebremst auf sie zuzurasen.

Das Herz des kleinen Waggons begann schneller und schneller zu rasen.

WAS wenn die Lok sie nicht sah?! WENN sie einen dieser tückischen Sekundenschlaf-Momente hatte?! Oder am Ende gar mit irgendetwas zugedröhnt war?!

Es wäre vernünftiger einfach das Gleis zu räumen! Den Weg frei zu geben und an die eigene Sicherheit zu denken.

Doch Candle dachte nicht daran. Statt zu weichen, setzte sie auf Konfrontation.

Mit einer schneller Bewegung hatte sie ihr linkes Bein vorgeschoben, und senkte die dort befestige Bremsbacke herab und fixierte sich so am Gleis. Ihr rechtes Bein musste wohl oder übel mitspielen.

Ganz egal wie heftig es werden würde, sie war und blieb nun mal ein Bremswagen!

Und dessen erste Pflicht war immer die Sicherheit der anderen zu gewährleisten. Auch wenn sie stets das Schlusslicht des Zuges war. Die anderen Waggons mussten sich immer und überall auf ihren Bremser verlassen.

//UND DAS KÖNNEN SIE AUCH!!// hämmerte es in Candle’ s Kopf

Entschlossen schob die Kleine die Schultern nach vorne und hob mutig den Blick der Gefahr entgegen. Wappnete sich gegen den drohenden Aufprall, auch wenn Candle innerlich vor Angst zitterte und bebte. Ihr Verstand wusste nur zu genau, die Lok würde mit der Wucht einer Kanonenkugel in sie einschlagen und konnte sie damit mühelos von den Gleisen fegen. Und selbst wenn sie den Crash irgendwie überstehen würde, ihr kaputtes Hinterrad würde es nicht.

Candle kniff für einen Moment geblendet die Augen zusammen, holte dabei entschlossen so tief Luft wie sie konnte und ließ dann ein solches „STOOOOOOOOPPP!“ ertönen, das ihr selbst davon die Ohren klingelten.

Aber es schien zu wirken. Bremsen quietschten und ächzten laut. Die näherkommenden Lichter wurden langsamer. Funken stoben dem Bremswagen entgegen. Schließlich trennten nur wenige Meter Candle vor dem mächtigen Stahlkoloss, der vor ihr endlich zum Stillstand kam.

„SAG MAL, BIST DU ETWA NICHT GANZ KNUSPER IN DER RÜBE! DU KANNST HIER DOCH NICHT RASEN WIE EINE DIESELLOK AUF SUPER PLUS!! DAS HIER IST EINE STRECKE DER SICHERHEITSSTUFE A, DASS HEISST BEI GERINGER SICHT SCHRITTTEMPO!! WAS MACHST DU FÜR SCHRITTE? ABSÄTZE? WIE KANN MAN NUR...“

„Kein Zurück! Niemals wieder... kein Zurück“

Obwohl die Lok die Worte nur undeutlich gewispert hatte, erkannte Candle die Stimme sofort.

Aber das Bild, dass sich ihr gerade bot hatte wenig mit der hochtrabenden E-Lok, die ihr noch bis vor kurzem auf den Wecker gegangen war, gemein.

„Gütiger Starlight!“ entfuhr es ihr. „Electra, wie ... wie siehst du nur aus? Was ist passiert?“

Vergessen war mit einem Mal der ganze Zorn, der noch vor einer Minute in Candle Innerem gebrodelt hatte. Dafür war der Anblick des einst so hochmütigen Champs viel zu erschütternd.

Er sah... mehr oder weniger aus, wie ein gerupftes Huhn, das nicht rechtzeitig von den Gleisen gekommen war.

Die Verkleidung war an vielen Stellen aufgerissen und beschädigt, Platinen pendelten unstet an Kabeln von Armen und Beinen. Ständig sprangen laut knisternd Funken von irgendwo aus Electras Körper, die ihn zusammen zucken ließen.

Und sein so eindrucksvoller Irokesen- Wuschel. Davon schien nur noch ein angekokelter Haufen übrig zu sein, aus dem sich hi und da eine einsame Strähne schlängelte.

Was Candle aber am meisten erschreckte war der Blick der E-Lok.

Jeglicher Ausdruck schien den eisblauen Augen verloren gegangen zu sein. Anstelle von Hochmut und Arroganz war eine Leere getreten, die scheinbar bis tief ins Innerste reichte.

Gerade als die Kleine ihre Frage wiederholen wollten, begann Electra sich mit gequälten Lauten hin und her zu winden. Schlug mit den Händen nach sich selbst, ballte sie zu Fäuste. Bäumte sich schnaubend und fauchend auf nur um dann wieder in sich zusammen zu fallen.

Als das ganze unheimliche Spektakel von Neuem aufzukommen schien, handelte Candle geistesgegenwärtig und griff nach den kräftigen Handgelenken.

„Hör auf! Hör auf damit!“ befahl sie energisch. „Ist dir ne Sicherung durchgeschmort oder was!“

Anfangs wanden sich die Hände in ihrem Griff und rissen das Mädchen mit in die Höhe, dann aber plötzlich erlahmte die Gegenwehr. Candle sah wie die leeren Augen sie musterten. Er schien sie erst jetzt wirklich zu bemerken und zu erkennen.

„Ca...Candle“

Selbst seiner Stimme fehlte der arrogante Tonfall, der sie von jeher immer auf die Palme gebracht hatte. Electra klang nur völlig erledigt und erschlagen. Im nächsten Moment riss er sie mit sich zu Boden.

Die Kleine wusste nicht wie ihr geschah, als sie ihn so vor sich liegen und sich weiter winden sah. Schließlich begriff sie was in ihm tobte. Es kostete sie etwas Mühe und Überwindung, doch irgendwann hatte Candle es geschafft die Arme um ihn zu schlingen.

Auch wenn ihr sein irrsinniges Geknurre und die ständig aus ihm herausschießenden Funken nicht wirklich behagten, drückte sie sich näher an Electra.

Verlierer sein ist nicht leicht

„Wie konntest du Schmalspur- Tresor ihn in so einer Situation einfach loslassen! Sei einmal ein Kerl und hab Rückgrad!“

„Es tut mir ja leid!! Aber ich habe... ich meine, ich konnte doch nicht... woher sollte ich denn wissen, das...“

„Ach halt die Schnauze, Purse und fahr schneller!! Und bete, dass wir Electra rechtzeitig finden, bevor er was Unüberlegtes macht. Sonst kriegen wir beide mehr als nur ernsthafte Probleme miteinander!“

Joule fauchte angespannt. Der Sprengstoffwaggon war übelster Laune und machte daher ihrem Zorn mehr als nur Luft.

Immer wieder stieß sie dem vor ihr fahren und keuchenden Purse die Absätze ins Kreuz. Der Geldtransporter spürte aufgrund seiner Panzerung die Tritte nicht mit ganzer Wucht, dennoch brachten sie ihn damit immer wieder ins Schlingern.

Doch selbst das war der aufgebrachten Joule im Moment schnuppe.

Seit Electra seinen Anfall gehabt hatte und wie ein Irrer davon geperscht war, schoss ein unruhiger Gedanke nach dem anderen durch ihren Kopf. Daher fauchte und keifte sie jeden der Components im Tross an und Purse, der in einer Schrecksekunde den Haken ihres Bosses einfach losgelassen hatte, war ihr bevorzugtes Wutventil.

„JOULE! Es reicht!!“ donnerte es von hinten. Schnaubend und funkensprühend wand der Sprengstoffwagen den Kopf. Krupp, der seit Wrench’ s Unfall nun immer das Schlusslicht machte, blickte ihr ernst entgegen. (Soweit man das bei seiner Sonnenbrille überhaupt sagen konnte)

„Ich weiß das du dir Sorgen machst. Aber wenn du Purse nicht ungestört fahren lässt, enden wir alle am Ende im Graben! Und damit helfen wir weder Electra noch uns selbst.“

Wieder zischte der Sprengstoffwagen nur verächtlich.

„Wer macht sich hier Sorgen, häh? Ich? In hundert Jahren nicht!

Ist es mein Problem, das dieser gelackmeierte Blödmann auf die Schnauze gefallen ist?- NEIN!

Hat er auf mich gehört, als ich ihn gewarnt habe?- NEIN!

Ich hab wie ein Irre auf ihn eingeredet, dass er das Finale besser mit mir fährt und nicht mit diesen Nulpen! Aber NEIN, Meister Neunmalklug weiß es ja mal wieder besser!! Dackelt und zwitschert lieber um diese bescheuerten, aufgedonnerten Waggontussen herum, nur damit die sich bei ihm einhängen!

Oh Mann! Könnt ihr mir mal sagen, warum Kerle in der Beziehung eigentlich immer mit ihrer unteren Hälfte denken?? Volta?? Wrench??“

Der Hochspannungswagen hinter Joule schwieg wie so oft, und Wrench meinte kurz darauf: „Tut mir leid, aber ich kann im Moment nur daran denken was Candle über die Strecke hier erzählt hat und wie gefährlich sie bei...“

„SCHNAUZE, Bolzenschrauber! Und verschon’ mich mit dieser Bürokraten-Schnepfe. Für die gibt’s doch nichts weiter als Vorschriften und Regeln!“

Der Reparaturwagon ließ es darauf bewenden. Sie wusste das Joule nichts von Candle hielt. Und das ihr Boss für den eigentümlichen Bremswagen scheinbar etwas übrig hatte, machte die Sache nur noch schlimmer.

Der Sprengstoffwagen war schließlich schon seit einer gefühlten Ewigkeit in ihren Electra verknallt. Natürlich würde Joule sich eher selbst in die Luft jagen, als das vor sich oder anderen einzugestehen. Aber ihr Verhalten war eindeutig. In ihrer Verehrung ging Joule soweit Electra in allem nach zueifern, was dieser tat.

So hatte sie ihre einst so herrliche wallende Mähne ebenfalls zu einem hochaufragenden Irokesen umfrisiert. Ganz egal ob es ihr nun stand oder nicht.

Aber man durfte in ihrer Gegenwart weder das Thema noch sonst irgendetwas ansprechen das mit ihrer Schwärmerei zu tun hatte, sonst wurde Joule wieder fuchsteufelswild und man war ihren Aggressionen ausgeliefert.

Daher behielt Wrench ihre beunruhigenden Gedanken für sich.

Denn anders als Joule hielt der Reparaturwaggon sehr viel von dem jungen Bremswagen und schätze deren Meinung. Nicht nur deshalb weil sie ihr damals geholfen hatte.

Nein, vielmehr lag es wohl daran das die beiden irgendwie auf einer Wellenlänge lagen. Candle hatte eben ein gewinnendes Wesen, das beinahe alle der Components mochten. Ausnahmen waren Joule und Purse. Letzterem steckte wohl nach wie vor die „Kopfwäsche“ von damals noch in den Knochen. Jedes Mal wenn von dem Bremswagen die Rede war, dann zuckte er unwillkürlich zusammen.

Und Joule, die war schlicht und ergreifend... Eifersüchtig.

Obwohl Wrench sich immer noch keinen genauen Reim darauf machen konnte, ob Electra wirklich derartig geartete Gefühle für Candle empfand. Interesse, ja das konnte sie bestätigen. Aber ob das Interesse wirklich...

„Da vorne! Könnt ihr das sehen? Da ist doch Licht auf der Strecke, oder!“ keuchte Purse heißer. Alle der Components reckten die Köpfe, die eine oder andere mit bangem Blick. Genaues konnte keiner erkennen, nur das unweit von ihnen ein helles Licht, in warmem Gold aufleuchtete.

„Ich will für dich hoffen, das er das ist!“ schnauzte Joule den Geldtransporter wieder an.

//Das bezweifele ich! Electra hat keine gelben Strahler!// dachte Wrench bei sich, dennoch zog sie mit als der Zug der Components das Tempo erhöhte.

Der Anblick, der sich ihnen schließlich bot, erstaunte dann wohl doch jeden im Tross.

Jeder hatte sein eigenes Bild und Vorstellung von ihrem Boss, aber ihn als zusammen gekauertes „Häufchen Elend“ da liegen zu sehen.

Das war nun alles andere als typisch für Electra.

Dennoch schien es ihm gleich zu sein, das seine Untergebenen ihn in dieser schmachvollen Situation sahen.

Es schien ihm einfach gänzlich alles gleich zu sein.

Was die Truppe allerdings noch verwirrender fand, war der Umstand in wessen Schoß ihr Boss seinen Kopf gelegt hatte.

Candle blickte nicht minder verunsichert den Components entgegen. Sie hing mehr oder weniger in Electra’ s Klammergriff fest.

Irgendwann hatte es einfach >schnapp< gemacht und sie war „gefangen“. Seither hatte die Kleine unbeholfen auf Electra eingeredet und ihm tröstend durch seine verbliebenen Haarsträhnen gestrichen.

Er klebte regelrecht an ihr und schien sich mit nichts beruhigen zu können.

Auch Candle’ s Puls begann zu rasen als sie Joule’ s giftigen Blick auf sich spürte. Der war nämlich alles andere als friedfertig.

Der Sprengstoffwagen sah aus, als würde sie gleich mit lautem Knall explodieren. Sicherheitshalber grub Krupp seine mächtige Pranke in ihr rechtes Schulterpolster. Purse brauchte einen Moment der Überwindung bis er Joule’ s andere Seite packte.

Als die ihn darauf zornig anfauchte, zuckte der Geldtransporter wieder ängstlich zusammen. Dennoch behielt er Joule fest im Griff.

Wrench und Volta waren in der Zwischenzeit zu dem unfreiwilligen Pärchen geeilt.

„Kannst du ihn noch einen Moment so halten? Vielleicht kann ich so einen kompletten Check-Up machen. Vorhin... da war an so was nicht zu denken. Da ist er keine 5 Sekunden ruhig geblieben, geschweige denn hat jemanden in seine Nähe gelassen!“

„ICH ihn!!“ fragte Candle spitz „Im Moment ist es wohl eher umgekehrt und ich wäre froh wenn’s nicht so wäre!! Seinetwegen bin ich jetzt nass bis aufs Gerüst. Was zum Kuckuck ist denn nur los?“

„Hast du... hast du das Finale gar nicht gesehen?“

Eifersüchtelei

Fast alle der Components blickten den Bremswagen nach Wrench’ s Frage neugierig und lauernd an. Die senkte kurz den Kopf, seufzte laut und verdrehte dann entnervt die Augen.

„Ich hab bis vor ein paar Stunden gearbeitet! Da ich die Knete dringend brauche, kann ich es mir nicht leisten Aufträge sausen zulassen. Und ich kann mir wahrlich bessere Beschäft-igungen für meinen Feierabend vorstellen.“

„Klar, im Regen ein Grab anheulen!“ versetzte Joule spöttisch.

Candle zog eine Grimasse und überhörte die Spitze einfach.

„Jedenfalls hab ich besseres zu tun, als ihm dabei zuzusehen wie er aufgeplustert wie ein Pfau durch die Gegend zockelt. Und das hab ich ihm auch neulich gesagt, als ich die Einladung zur Weltmeisterschaft abgelehnt habe!“

„WAS!!“ Joule fielen schier die Augen aus der Fassung „ ER HAT.... WAS GETAN?!“

„Er- hat- mich- eingeladen!“

Candle war nicht in der Stimmung sich erneut mit dem eifersüchtigen Sprengstoffwaggon zu streiten, auch wenn die es darauf anlegte. Joule’ s Biestereien schlugen ihr ohnehin auf die Nerven. Daher blendete sie das ohrenbetäubende Geschrei einfach aus.

Auch lenkte der bebende und zitternde Koloss auf ihrem Schoß Candle’ s Aufmerksamkeit wieder auf sich.

Besorgt blickte sie zu der flink hantierenden Wrench. Die hatte gerade eine der Schaltkästen an Electra’ s Seite freigelegt.

„Was genau... ist denn passiert?“ fragte der Bremswaggon mit gesenkter Stimme „ Ein Unfall?“

„Sagen wir mal,... der Stahlträger im letzten Tunnel war doch härter als sein Dickschädel. Dann noch die überhöhte Geschwindigkeit. Das ergibt... eine verdammt ungünstige Gleichung.“ meinte Wrench gerade noch, da musste die Kleine sich auch schon vor einem Schwinger ducken.

Electra schnaubte und knurrte wie vor Sinnen und begann wild nach allem zu schlagen, das in Reichweite kam. Wrench konnte mit Mühe immer rechtzeitig ausweichen, an den freiliegenden Schaltkreis kam sie jedoch nicht mehr heran.

Auch wenn Candle über den Umstand endlich von ihm loszukommen heilfroh war, schnappte sie sofort nach Electra’ s Hand, bevor er dem zierlichen Reparatur- Wagen im Effekt eine knallte.

„LASS DAS!“ fauchte sie ihn wieder laut an. „WAS soll das denn! Willst du denn auf ewig als wandelnder Schrotthaufen durch die Gegend rollen? Lass Wrench dich wenigstens soweit zusammenflicken, damit ihr zu eurem Bungalow hochkommt.“

Obwohl sie die Frage selbstredend nur ironisch gemeint hatte, begann Electra von Neuem wirr vor sich hin zu stammeln.

„Kein... Zurück... Kein Zurück! Verloren,... verloren... Kein Zurück... kein Zurück!“

„Super hingekriegt, Einstein!“ Joule feigste zufrieden.

„KLAPPE!“ zischte Candle zurück und wollte dem grinsenden Sprengstoffwagen noch eine passende Antwort um die Ohren pfeffern.

Doch im selben Moment gab Electra einen gequälten Laut von sich, sackte dann in sich zusammen, verdrehte gespenstisch die Augen ... und blieb dann regungslos liegen.

Erschrocken riss der kleine Bremswagen die Augen auf.

„Gütiger Starlight, was...“

„Keine Sorge, ich hab nur einige seiner Hauptsysteme auf Notversorgung umgeschaltet.

Genau wie du will ich weder eine gescheuert noch eine gewischt kriegen. Und in seiner derzeitigen Verfassung wäre das Risiko dafür entsprechend hoch! Also, hab ich den Strom abgeklemmt!“ erläuterte Wrench beiläufig, den Kopf immer noch über einem der geöffneten „Sicherungskästen“.

„Danke auch fürs Vorwarnen! Schon mal auf den Gedanken gekommen, dass du damit anderen einen Höllenschrecken einjagst!“

Candle zog einen eingeschnappten Flunsch, der noch breiter wurde als sie Joules hämisches Grinsen bemerkte. Wrench hatte ebenfalls wenig Mitgefühl übrig.

„Deine Aktion gerade war genauso unüberlegt!“

„Aktion, welche Aktion denn?“

Candle blinzelte verwirrt. Woher sollte sie auch ahnen, das sie im Moment jedes Mal wenn sie Electra anfasste Gefahr lief Bekanntschaft mit der Hochspannung zu schließen.

Stumm sah sie daher zu wie der kleine Reparaturwagen immer mehr Schalttafeln und blinkende Dioden freilegte. Unterstützt wurde Wrench dabei von Volta, die ihr mit einer kleinen Halogenlampe leuchtete und gelegentlich ein neues Werkzeug reichte.

„Ach Mist! Krupp, komm doch mal her! Ich muss an die hintere Platine ’ran.“

Wortlos rollte der riesige „Panzerschrank“ auf die beiden anderen Components zu und begann den leblosen Körper nach Wrench’ s Anweisungen hin und her zu wuchten.

Der makabere Anblick von umher pendelten Armen und dem herunterhängenden Kopf war nun wirklich zu viel für Candle’ s Magen. Sie hatte mehr und mehr das Bedürfnis sich zu übergeben.

Daher raffte sie sich schleunigst auf und meinte noch: „Ich werde mich vom Acker machen. Ihr braucht mich ja nicht weiter!“

„Worauf du einen lassen kannst!“ zischte Joule verächtlich. Doch beide erlebten eine Überraschung.

„Candle, warte mal!“ rief ihr Wrench plötzlich hinterher. Etwas erstaunt blieb diese stehen und wand den Kopf.

„Sag mal, ist die eine Halle bei euch im Depot noch frei? Für einen kompletten Check- Up brauch ich einfach bessere Gegebenheiten als das hier unter freiem Himmel. Außerdem...“

„Kommt nicht in die Tüte!!“

Joule verschränkte provozierend die Arme vor der Brust.

„UNTER gar keinen Umständen werde ich zulassen, dass du ihn in diesen verfallenen, verranzten und schäbigen Hinterhof schleppen. Unsere Bude ist gerade mal eine halbe Stunde von hier. Es gibt also keinen Grund...“

„WEIL ich dafür die Sicherungen wieder reindrehen müsste. Und die Verantwortung mit diesem labilen Nervenbündel den Berg hinauf, trage ich nicht!! Nicht wenn’s auch anders geht!!“ blaffte Wrench laut zurück. In dieser Angelegenheit kannte sie keinen Widerspruch.

„Im Depot hab ich genügend Raum, ausreichend Ruhe und auch das nötige Equipment. Naja, gesetz dem Fall das mir Toodelz nicht in die Quere kommt!“

„Ich werde nicht...“ begann Joule aufs Neue.

„Wir gehen ins Depot!“

Auch wenn der Sprengstoffwagen ihn nun giftig anstierte, machte Krupp stur weiter. Mit Leichtigkeit zog er Electra in die Höhe und schleppte ihn wie ein Gepäckstück mit sich.

„Purse, schieb deinen Hintern hierher!“ bellte er den zusammenzuckenden Geldtransporter an. Schließlich wackelte er gehorsam an die Spitze.

Während die restlichen Components sich einreihten, machte Joule weiter einen auf bockig.

„Mich bringen keine zehn Pferde in dieses... dieses... dieses LOCH!“ verkündete sie laut und düster.

„Mir egal, es zwingt dich ja keiner! Kannst meinetwegen hier stehen bleiben und warten bis ein Zug vorbeikommt. Vielleicht rollt ja dein schmucker „Rasender Roland“ vorbei! Warst doch so wild auf ihn.“

„Pffff! Der Idiot kann meinetwegen bleiben wo der Pfeffer wächst. Und ihr gleich mit!! Jawohl, ihr könnt mich alle mal kreuzweise, verstanden!!“

„Warst ja laut genug!“ brummte Krupp weiter ohne sich nach Joule umzudrehen. „Los, zieh an Purse! Dieser Regen ist die Pest! Ich will ins Trockene!!“

Die anderen waren der gleichen Ansicht.

„Komm schon, Candle häng dich mit rein. Musst doch auch in die Richtung!“

Doch bevor die verblüffte Kleine dazu etwas sagen, geschweige denn sich bewegen konnte, rollte Joule mit hocherhobenem Kopf an ihr vorbei und hängte sich mit “langen Armen“ bei Krupp ein.

Wrench grinste still in sich hinein, als sie sich bei dem Sprengstoffwagen einhängte und dann Candle zu nickte.

So eingeschnappt und giftig sie auch immer war, bevor Joule zuließ das sich jemand anderes an Electra hängte (selbst wenn er nicht bei Sinnen war) schluckte sie ihren Zorn runter und gab mit bitterer Miene klein bei.



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