Fairy's Act von Flordelis ================================================================================ Kapitel 1: Ungewöhnliche Ereignisse ----------------------------------- Auch an diesem Tag war es wieder kalt. Die Kälte griff jeden freiliegenden Zentimeter Haut und biss mit unsichtbaren Zähnen hinein, unfähig zwar, Fleisch herauszureißen, aber doch genug, um sie rot werden und schmerzen zu lassen. Die Bewohner des Son Rim Plateau waren es bereits gewohnt. Dort, in diesem von Bergen eingerahmten Landstrich, war es immer kalt und Schnee ein ständiger Wegbegleiter. Es gab keinen Einwohner dort, der nicht mindestens fünf Mäntel griffbereit im Schrank hängen hatte. Woran genau es lag, wusste niemand, aber außer Schnee verfügte das Plateau auch über ein Übermaß an Mana. Spirits waren deswegen dort besonders mächtig, deswegen waren alle Menschen froh, dass es keine Kämpfe dort gab. Aufgrund der anhaltenden Kälte schien man sich dort in einem beständigen Winterschlaf zu befinden, während dem jede Störung unerwünscht war. Son Rim besaß keine eigenen Spirits, keine anderen Spirits wurden dorthin geschickt, die Menschen lebten in Frieden ihr Leben, unberührt von dem Krieg, der den Rest des Kontinents in Unruhe warf. Sie alle lebten jeden Tag auf dieselbe Art und Weise. Deswegen wusste er nicht, was er tun sollte, während er die Spuren im Schnee anstarrte. Er hielt das Feuerholz im Arm und eng an seine Brust gepresst, aber sein Blick galt den Spuren. Sie schienen einer Frau zu gehören. Einer Frau, die etwas Großes hinter sich herschleifte. Da es in der Nacht zuvor noch geschneit hatte, diese Spuren aber vollkommen unberührt waren, mussten sie neu sein. Aber wohin führten sie? Und von wem kamen sie? Unsicher wippte er auf seinen Füßen vor und zurück und dachte fieberhaft darüber nach, ob ihm irgendwann einmal beigebracht worden war, was er in einem solchen Fall zu tun hätte. Aber eine solche Lektion war ihm nie erteilt worden. Sein ausgestoßenes Seufzen wurde von einer weißen Wolke begleitet. „He, was ist los?“ Die Stimme seiner Begleiterin erklang direkt neben ihm und ließ ihn erschreckt zusammenzucken. Statt etwas zu sagen, blickte er sie nur kurz an und sah dann wieder zu den Spuren. Sie folgte seinem Blick und neigte den Kopf. „Huh...“ Doch statt lange zu zögern, machte sie einen Schritt vorwärts, was er nicht einmal verwunderlich fand, immerhin war sie gut drei Jahre älter als er, schon fast 16, da war es doch nur normal, dass sie mutiger war als er. Zumindest redete er sich das ein, damit er sich nicht selbst so erbärmlich betrachtete, als er sie leise zurückrief: „Was tust du da?“ „Ich will nachsehen, wo die Spuren hinführen.“ Da sie sich nicht aufhalten ließ, folgte er ihr argwöhnisch, immerhin wollte er sich nicht nachsagen lassen, dass er ein Feigling sei, wenn sie später ihren Freunden davon erzählen würde. Nach einigen Schritten entdeckte er plötzlich eine Gestalt, die zwischen den Bäumen verschwand. Das blaue Haar und die schwarze Kleidung hoben sich mehr als überdeutlich von dem weißen Schnee ab, er hielt wieder inne. „War das ein Spirit?“ Seine Stimme brach ein wenig ein, während er sprach, aber sie ließ sich davon nicht beeindrucken: „Wenn das so ist, umso besser. Spirits greifen immerhin keine Menschen an, schon vergessen? Ich werde nur schnell nachsehen, was er hier macht.“ Während sie weiterlief, blieb er wie festgefroren stehen. Seine Füße weigerten sich, auch nur noch einen Schritt zu tun, selbst wenn sein Verstand ihm sagte, dass er von Spirits nichts zu befürchten hatte. Immerhin wurde schon Kindern beigebracht, dass sie keinem Menschen, sondern nur einander schadeten. Sie verschwand zwischen den schneebedeckten Tannenbäumen. Eine unheimliche Stille trat ein, während der nichts geschah. Er wollte ihr gerade folgen, um sicherzugehen, dass alles in Ordnung war, da konnte er plötzlich einen erstickten Schmerzenslaut hören, direkt danach sah er, wie Blut auf den Boden unter den Bäumen spritzte, gefolgt von einem dumpfen Aufprall. Er registrierte, was geschehen war, das Brennholz fiel aus seinen kraftlosen Armen. Ohne zu zögern, wirbelte er herum und stürmte wieder in Richtung seines Zuhauses davon, um dort zu berichten, was geschehen war – auch wenn er davon überzeugt war, dass niemand ihm glauben würde. Manchmal fand er es noch ein wenig seltsam, sich vorzustellen, dass sie sich mitten im Krieg befanden, wenn er morgens wach wurde. Die Sonne schien in sein Zimmer und zauberte Muster auf den hellen Holzboden, die weißen Vorhänge bauschten sich im Wind und irgendwo, weit entfernt, sang ein Vogel sein Lied. Das alles bedachte er, während er, noch ein wenig müde, auf seinem Bett saß und aus dem Fenster in den blauen Himmel starrte. Erst ein leises Lachen in seinem Inneren riss ihn aus seinen Gedanken. „Dummes Schwert“, murmelte er leise und erntete dafür einen stechenden Kopfschmerz. Er war dieses Gefühl inzwischen derart gewohnt, dass es ihn schon gar nicht mehr wirklich störte. Also ignorierte er das, während er aufstand und sich anzog. Nach dem Frühstück würden sie – wieder einmal – nach Sargios aufbrechen, immerhin befanden sie sich gerade in einer Schlacht, auch wenn er das gerne einmal vergaß. Dank der Ether Jump Technologie war es ihnen möglich, tagsüber im weit entfernten Sargios zu kämpfen und nachts im heimischen Rakios zu schlafen, somit mussten sie auf keinen Luxus verzichten. Im Moment befanden sich die Spirits aus den zweiten Quartieren an der Front, um diese zu halten, gemeinsam mit Kouin, der sie anführte, während Yuuto nicht bei ihnen war und Kyouko, die ein Auge auf Kouin warf, solange er bei den jungen Spirits war. Yuuto wollte es sich zwar nicht vorstellen, aber dennoch schien es ihm durchaus möglich, dass Kouin versuchen würde, sich einem dieser unschuldigen Spirits – vorrangig Nelie, Shiah oder Helion – unsittlich zu nähern. Doch statt sich weiter damit zu beschäftigen, griff er nach dem keulenförmigen Schwert, das in einer Ecke von ihm gegen die Wand gelehnt worden war. Wenn man es betrachtete, sah es äußerst schwer aus, aber für ihn fühlte es sich überraschend leicht an. Noch dazu kam man sicher nicht auf die Idee, dass die dunkle Klinge scharf sei, sie sah für Yuutos Augen reichlich stumpf aus. Lediglich die ungezählten Spirits, die er damit bereits getötet hatte, hatten ihm verraten, dass die Klinge doch rasiermesserscharf war. Als er vor seinem inneren Auge sah, wie ein Spirit sich in Manafunken auflöste, spürte er einen heftigen Impuls von 'Motome', dem Schwert, kommend. Es wollte mehr, mehr Mana, mehr Vernichtung, mehr Macht...! Aber inzwischen war Yuuto geschickt darin, diesen Impuls niederzukämpfen. Mit einem leicht flauen Gefühl im Magen, das von der Anstrengung am frühen Morgen herrührte, nahm er das Schwert an sich. Als er schließlich das Zimmer verließ, lief er direkt in Aselia hinein, die offenbar gerade an seine Tür hatte klopfen wollen. Sie lächelte fröhlich, als sie ihn sah. „Guten Morgen, Yuuto.“ „Guten Morgen, Aselia. Wolltest du mich wecken?“ „Hnn!“ Sie nickte enthusiastisch, was ihm ein Lächeln entlockte. Seit seiner Ankunft damals in Rakios, hatte das Mädchen sich extrem verändert. Von einem verschlossenen, blauen Spirit, der nur wusste, wie man kämpfte, war sie zu einer fröhlichen jungen Frau geworden. Er dachte gern, dass es sein Verdienst war und womöglich stimmte das sogar. Aber woran er noch viel lieber dachte, war die Liebe, die er zu ihr empfand – und die sie sogar erwiderte. Aber genau deswegen stimmte es ihn umso trauriger, dass sie immer noch kämpfen und ihresgleichen töten musste. Aselia konnte so viel mehr als das, zum Beispiel... nun, im Moment fiel ihm nichts ein, aber es gab mit Sicherheit noch mehr Talente in ihr. Lächelnd hakte sie sich bei ihm ein und ging gemeinsam mit ihm in das Esszimmer des Hauses. Sowohl der hölzerne Tisch als auch der Boden war blank poliert, es war mit Sicherheit möglich, etwas einfach über die Oberfläche schlittern zu lassen – und Orupha demonstrierte ihm das auch sofort. Auf Socken nahm sie Anlauf und schlitterte ihm entgegen, so dass er sie automatisch auffing. „Papa!“ Ihr Gesicht strahlte überglücklich, wie immer, wenn sie ihn sah und sogar ihre roten Augen glitzerten dabei. Schon früh am Morgen derart energisch zu sein, war für den Langschläfer Yuuto immer noch seltsam, aber Orupha schaffte das äußerst gut. Ihr rotes Haar war wie üblich mit gelben Haarbändern zu Pferdeschwänzen gebunden, die sie noch um einiges jünger erscheinen ließen. Sie erinnerte ihn an Kotori, immer noch, und das war einer der Gründe, weswegen er sie von Anfang an gemocht hatte. „Guten Morgen, Orupha.“ „Papa, Papa! Bist du schon fertig für heute?“ Er nickte wortlos. Ihre Vorfreude auf die kommende Schlacht, die sie dank ihrer Ausbildung lediglich als Spiel betrachtete, schmerzte ihn immer noch. Anfangs hatte er versucht, ihre Einstellung zu ändern, es aber irgendwann aufgegeben, weil keines seiner Worte die Lehren ihres Ausbilders zu überdecken vermochte. Er behielt sie weiterhin auf dem Arm, während er die nächste Hausbewohnerin begrüßte: „Guten Morgen, Uruka.“ Der weißhaarige Spirit, der stets in schwarzer Kleidung herumlief, deutete eine Verbeugung an. „Guten Morgen, Yuuto-dono.“ Ihre ruhige Stimme war Balsam für seine Nerven und bildete einen interessanten Kontrast zu Oruphas Lebhaftigkeit. Nach ihrer ersten Begegnung miteinander, hätte er nie gedacht, das einmal über sie zu denken, aber inzwischen zählte er sie zu seinen engsten Vertrauten. Er konnte von Glück reden, dass sie die Seiten gewechselt hatte. Damit fehlte nur noch eine Hausbewohnerin, die er begrüßen sollte. Aber von dieser war noch nichts zu sehen. Auch aus der Küche erklang nichts, was darauf schließen lassen würde, dass sie gerade dort war, um das Frühstück zuzubereiten. „Wo ist Esperia?“, fragte er daher. Bei dieser Frage sah er Uruka an, aber es war Orupha, die ihm antwortete: „Esperia-nee-san ist bei der Königin im Schloss!“ Er zog die Brauen zusammen, als er das hörte. Es bedeutete selten etwas Gutes, wenn Esperia bei Lesteena war, aber die Tatsache, dass er noch nicht zur Königin beordert wurde, ließ ihn noch hoffen, dass es nichts sonderlich Schlimmes war. „Wer ist dann für das Frühstück verantwortlich?“, fragte Yuuto. Aus den Augenwinkeln registrierte er, dass Aselia sich gerade bereit erklären wollte und er dankte innerlich allen Göttern, die er kannte, dass in diesem Moment die Haustür geöffnet wurde und ihr somit das Wort abschnitt. Aber seine gute Laune verflog sofort wieder, als er den braunhaarigen Spirit sah, der hereinkam. Nicht, dass er sich nicht freute, Esperia zu sehen, aber ihre Stirn war gerunzelt und ihre Augen blickten nachdenklich direkt durch einen hindurch und das war nun wirklich nie ein gutes Zeichen bei ihr. „Was gibt es, Esperia?“, fragte Yuuto so neutral wie möglich. Sie schreckte aus ihren Gedanken und blickte ihn direkt an, aber ihre Stirn blieb gerunzelt. „Yuuto-sama, Ihre Majestät, Lesteena, hat uns alle zu ihr beordert.“ Er schluckte, um seine Nachfolgefrage so weit wie möglich hinauszuzögern. Dass sie extra zur Königin gehen mussten, bedeutete, dass sie an diesem Tag nicht zur Front zurückkehren würden, aber auch, dass etwas weitaus Größeres bevorstand. Er konnte nur hoffen, dass es nichts allzu Schlimmes war. „Worum geht es denn?“ Esperia biss sich auf die Unterlippe, zögerte mit der Antwort, so wie er zuvor mit der Frage. Doch dann besann sie sich der Dringlichkeit. „Auf dem Son Rim Plateau werden Menschen ermordet – und Gerüchte sagen, dass der Mörder ein Spirit ist.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)