The Basement. von Glasmond ================================================================================ Kapitel 4: 4. ------------- Bevor John auf irgendeine Weise reagieren konnte drückte sie ihn vornüber ins schmutzige Wasser, versenkte sie beide in der unheilvollen Tiefe. Ihre Finger bohrten sich in seinen Hals, und selbst unter Wasser konnte er noch ihre furchterregenden, roten Augen sehen, die ihn wütend anstarrten. Nein! wollte er schreien, Nein, nein! Das ist nicht echt! Doch er konnte nicht schreien. Stattdessen nahmen andere Gedanken seinen Verstand ein und verfestigten sich in jeder Zelle seines Körpers. Das ist sehr wohl echt. Es tut weh. Ich ertrinke. Die Frau öffnete ihren Mund. Entblößte eine Reihe spitzer, unmenschlicher Zähne, und schlug sie fest in Johns Hals, während sie immer weiter in die Tiefe drifteten. Der Raum war nun nicht mehr wenige Quadratmeter groß – er war ein Meer. Ein tiefer, tödlicher Ozean, der John nie mehr wieder hergeben würde. Das war’s, dachte er. Er konnte spüren wie die langen Zähne der Leiche auf Knochen trafen. Er schrie auf, und wieder füllte sich sein Mund mit Wasser. Er spürte alle Hoffnung fahren. Und mit der Hoffnung verschwand auch die Angst und ließ ein fast schon zärtliches Gefühl der Leere zurück. Lass es schnell vorbeigehen, dachte er. Guter Gott, bitte lass es schnell vorbeigehen. Dann traf er mit dem Hinterkopf auf etwas hartes. Er öffnete die Augen und tastete nach hinten. Eine Fläche. Keine unendliche Tiefe. Ja. Keine unendliche Tiefe. Das hier war nicht das Meer. “Man hat Ihnen etwas gespritzt, angstzentrierte Halluzinogene wahrscheinlich. Verinnerlichen Sie das, wenn ihnen etwas Angst einjagt”, hallte Sherlocks Stimme in seiner Erinnerung wieder. Er klammerte sich an diesen Gedanken. Das hier ist ein ganz normaler Raum. Diese Frau ist tot und kann mir nichts anhaben. Er zog die Beine an seinen Körper und stieß sich mit aller Kraft von der Fläche ab. Fast augenblicklich durchstieß er die Wasseroberfläche und klatschte wieder mit dem Bauch auf. Neben sich spürte er den Tisch, griff hektisch danach und zog sich wieder hoch, wobei er einen Schwall Wasser erbrach. Aus dem Handy, dass nach wie vor auf dem Tisch lag, ertönte die Sirene und Sherlocks nervöse, fast schon panische Stimme. “Das ist nicht echt, John! Hören Sie mich? John! Was auch immer Sie sehen, es ist nicht echt! John! Reden Sie mit mir!” John hustete, stieß ein abgehacktes “Ja!” aus bevor er sich wieder erbrach. Kleine Lichtblitze zuckten vor seinen Augen auf. Mit der einen Hand klammerte er sich immer noch fest, mit der anderen tastete er seinen Körper ab und rang nach Orientierung. Keine Leiche umfasste seine Kehle. Keine Fleischwunde war an seinem Hals zu spüren. Ein hektischer Blick nach links. Die tote Frau schwamm noch immer an derselben Stelle, reglos. Aus dem Handy verstummte der Klang der Sirene, nur noch der Motor des Autos war zu hören. “Sind Sie verletzt?”, fragte der Lautsprecher. “Nein”, erwiderte John sofort, während er immer noch die Umgebung nach möglichen Gefahren absuchte. “Die Halluzinogene, ich … ich glaub ich habe mir nur ein wenig... den Kopf gestoßen” brachte er zwischen harten Atemstößen hervor. Seine Beine drohten ihm einzuknicken, seine Schläfe brannte wie verrückt, doch er war am Leben. Ein hysterisches Lachen kam ihm über die Lippen. “Ich lebe”, stieß er aus. “John...” begann Sherlock besorgt. “Ja, nein – ich weiß – ich muss … Die Leiche hat mich angegriffen und – ohgott, Sherlock, das Wasser” “Was ist damit?” “Ich glaube, es steigt schneller” John sah an sich herab. Das Wasser ragte ihm nun bis einige Zentimeter über den Bauchnabel. Ihn überkam ein Gefühl des Schwindels, und er musste sich an die Wand lehnen. “Die Luft wird knapp, ich ersticke” brachte er panisch hervor. Sherlock blieb überraschend ruhig und ernst. “Konzentrieren Sie sich auf Fakten, John.” Dann – Platsch. Etwas im hinteren Teil des Raumes bewegte sich hektisch im Wasser. Johns Atem beschleunigte sich wieder augenblicklich. Er konnte sein Herz bis in die Kehle schlagen spüren. Nur noch ein geringer Teil von ihm nahm vage wahr dass er sich nun am Rande des Wahnsinns befand. Ein anderer, viel größerer Teil, erwog sich in absoluter Hysterie. Kein klarer Denkvorgang war mehr möglich, von allen Seiten stürzten alptraumhafte, unkontrollierbare Gedanken und Wünsche auf ihn ein. Ich will nach Hause, dachte John. Ich will hier raus, dachte John. Ich will nicht sterben, dachte John. Wie ein riesiger Kraken war die Urangst nun schließlich gänzlich aus Johns tiefsten emotionalen Abgründen hervorgebrochen. Hatte sich aus dem Gefängnis befreit, dass jeder Mensch im Laufe seiner Kindheit instinktiv errichtet und dann für immer geschlossen hält. Der Kraken schlang seine vielen Arme – in Form des Raumes, des Wassers, der Leiche, der Luft, den Wänden, dem Dreck, der Schmerzen, des Geruchs – fest um jedes Fünkchen Verstand in John und drohte ihn zu erdrücken. Das Wesen im hinteren Teil des Raumes paddelte auf ihn zu. Kam näher ins schmutzige Licht der Neonröhre. Bewegte seine acht Beine unkoordiniert durch das Wasser. Irgendwo am Rande von Johns Wahrnehmung, weit entfernt, schien Sherlock etwas zu sagen. Es kam näher. Zog seine langen, schwarzen Haare in glitschigen Fäden hinter sich her. Hatte die schwarzen Augen auf John gerichtet. Das Bild, das sich John darbot, war unerträglich. So ein Wesen hatte er noch nie gesehen, nicht mal in Filmen. Eigentlich war es nicht einmal lebensfähig. Viele schwarze Spinnenbeine ragten zwischen den Fleischfetzen und Sehnen des Halsstückes eines menschlichen Kopfes hervor. Der Kopf selbst sah aus wie der einer erwachsenen Frau, nur etwas kleiner. Ihre Augen waren komplett schwarz und beobachteten ihn starr während die Beine ohne jegliche Art von Muster in alle Richtungen klappten. Johns Angst nahm derartige Ausmaße an dass es sich sogar in körperlichen Schmerz äußerte. Sein Herz klopfte so stark dass es zu bersten drohte. Die Wände des Raumes drifteten von ihm weg, ließen ihn mit diesem Wesen und der faulenden Leiche hinter sich alleine. Dann: Klicken. Und damit taucht die Neonröhre die Umgebung wieder in Dunkelheit. Obwohl es seine Angst nicht lindern konnte verhalf dies John aus seiner Starre. Er ging ein paar Schritte rückwärts, spürte die Kante des Tisches an seiner Hüfte. John drehte den Kopf. Wie eine schützende warme Feuerstelle bewegte sich ein Licht neben ihm. Er ging näher, berührte wieder den Tisch, und das Licht schwankte und driftete leicht von ihm weg. „JOHN!“, schrie das Licht. Das holte Johns Verstand zurück. Das Handy. Es war das Display des Handys. „John, hören Sie?!“, schrie Sherlock, „Bleiben Sie bei mir!” Seine Stimme klang heiser. „Ich bin hier“, antwortete John und bemerkte dass seine eigene Stimme auch sehr heiser klang. Hatte er geschrien? Wenn ja, konnte er sich nicht mehr daran erinnern. „Bei Gott!“, rief Sherlock aus. Es war das erste mal dass John ihn einen Gott anrufen hörte. „Ich dachte schon –”, fuhr er fort, unterbrach sich dann jedoch und meinte: „Vergessen Sie’s. Bleiben Sie ab jetzt bei mir. Reden Sie, John. Reden Sie mit mir, unterhalten wir uns. Was ist los?“ Einige Meter entfernt plätscherte es im Wasser. John entkam ein Schluchzen. Er hielt sich die Hand auf den Mund und bemerkte dabei wie ihm Tränenbahnen über die Wangen liefen. Sherlock Holmes schrie so laut dass die Lautsprechfunktion knackend übersteuerte. „Wer hat Ihnen erlaubt zu schweigen!? Reden Sie, John Watson! Sie werden jetzt sofort mit mir reden, hören Sie!? Das ist ein Befehl!“ „Jawohl“, antwortete John leise. „Gut. Konzentrieren Sie sich nur auf mich, verstanden? Sie haben jetzt nur für mich da zu sein und werden meine Befehle genauestens ausführen, Captain. Haben Sie das verstanden?“ „Jawohl“, antwortete John nun etwas lauter. John begriff, was der Detektiv mit diesem Tonfall und diesen Worten zu bezwecken versuchte. Er ließ es zu und es half tatsächlich. Wie ein Schutzfeld legte sich die verinnerlichte Routine auf ihn, gab ihm Halt und schirmte ihn etwas von der Angst ab. Er schloss die Augen und lies sich von Sherlocks Worten leiten. “Sehr gut, Captain. Nun atmen Sie tief durch und strecken Ihre Arme über Ihren Kopf. Sofort. Bewegen Sie dabei ihre Beine. Tiefe Atemzüge nehmen, verstanden?” John fragte nicht nach. John tat wie ihm geheißen. “Ich habe Sie nicht antworten gehört!” konnte er Sherlock rufen hören. Seine Stimme nahm wieder einen angsterfüllten Beiklang an. „Es ist wichtig, dass Sie mir immer antworten! Ich muss Ihre Stimme hören. Habe ich mich klar ausgedrückt?“ Die Lampe flackerte. Durchflutete den Raum zuerst mit Blitzen, dann mit einem schmutzigen dämmrigen Licht. Am Rande der Sehweite paddelte immer noch das Wesen. John presste die Augen zusammen. Konzentrierte sich auf Sherlocks Stimme. Versuchte das Platschen auszublenden. „Ja, Sir“, antwortete er. „Gut. Ich wiederhole: Hören Sie nur auf mich. Haben Sie Ihre Augen geschlossen?“ „Ja“, sagte John. „Öffnen Sie diese jetzt und sagen Sie mir, was Sie sehen.“ John zögerte. „Ich–” begann er. „Keine Widerworte, Captain! Das war ein Befehl, keine Bitte. Öffnen Sie ihre Augen!“ „Jawoll.“ John öffnete die Augen. Das Monstrum war nun bis auf ein paar wenige Meter nah an ihn herangekommen. Die Beine platschten jetzt etwas koordinierter auf das Wasser ein, was es schneller näher zu ihm brachte. Die Augen waren immer noch auf ihn fixiert und sein kleiner Puppenmund begann sich zu öffnen. Mit jedem Zentimeter, dass es näher kam, öffnete er sich mehr, offenbarte ein klaffendes und völlig chaotisch bezahntes Maul dass sich von einem Ohr bis zum anderen zog, weit über die Grenzen der Lippen hinaus. Als könne Sherlock seine Gedanken lesen sagte er: „Keinen Nervenzusammenbruch, Mann! Sie sind kein Kind mehr. Schildern Sie mir, was Sie sehen.“ „Ich kann nicht“, stotterte John. „Weshalb nicht?“, fragte Sherlock. John geriet ins Wanken. Er spürte wie die Angst wieder überhandnahm. „Weil es … es ist … es kann nicht–“ Tränen rollten über Johns Wangen. „John Watson.“, sagte Sherlock eindringlich. „Das, was Sie sehen, kann nicht wahr sein. Verstehen Sie mich? Was Sie sehen ist verfälscht. Es nimmt Ihnen die Möglichkeit vernünftig zu denken. Sie müssen jetzt etwas tun, John. Ich möchte, dass Sie sich dieses Ding genau ansehen. Ich möchte, dass Sie“, er betonte das folgende Wort sehr stark, „genau hinsehen. Nicht das sehen, was Sie zu sehen denken. Sondern das, was wirklich da ist.“ John zögerte. „Jetzt!“ Er nahm all den verliebenden Mut zusammen. Sah genau hin. „Genau hinsehen. Genau hinsehen, John. Observieren Sie wie ein Arzt. Professionell, ohne Gefühle.“ Er gehorchte. Sah genau in das Maul. Versuchte die Zähne zu zählen. Es waren 28. Nein. 26. Nein? Er zählte noch einmal nach, sah genauer hin. Die Zahl veränderte sich. „Es hat eine sich verändernde Zahl an Zähnen“, sagte John. „Sehr gut!“, rief Sherlock laut aus, „Das ist wunderbar! Verstehen Sie, John? Begreifen Sie, was das bedeutet?“ Die schiefen Zähne wurden immer weniger, begannen sich zu einem deutlicheren Bild zu formen. „Es ist ein unweigerlicher Beweis dafür dass das, was Sie sehen, gar nicht stimmen kann! Ihr Gehirn spielt Ihnen etwas vor, aber es hat keine feste Anzahl von Zähnen festgelegt, ergo ist das?“ Das bezahnte Maul nahm eine ihm bekannte Form an. Die Lippen zogen sich zurück. Die Spinnenbeine rückten näher ins Licht, offenbarten, dass sie gar nicht 8 an der Zahl waren, sondern 4. John konnte unter dem schwarzen Haar Ohren erkennen. Er sah dem Wesen in die Augen. Es waren die Augen einer Katze. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)