Armageddon von UrrSharrador (Auch die Hoffnung stirbt irgendwann ... [Trailer online]) ================================================================================ Kapitel 11: Der Feind in den eigenen Gedanken --------------------------------------------- In Sakuras Kopf tobten die Gedanken, in ihrer Brust die Gefühle. Kakashi war tatsächlich noch am Leben … und es ging ihm gut! Sie war sich so sicher gewesen, dass er tot war … wieder fühlte sie schlechtes Gewissen in sich hochsteigen. Sie hatte ihn nicht nur im Stich gelassen. Sie hatte ihn auch gleich abgeschrieben und nicht weiter nach ihm gesucht, obwohl er ein so erstaunlicher, zäher Ninja war … „Kakashi … du lebst noch …“, flüsterte sie, während er und seine Begleiter auf dem kahlen Feld vor ihnen verharrten. Ganz bewusst verzichtete sie darauf, ihn Sensei zu nennen. Sasuke musterte indessen die Leute, die sie empfangen hatten. Sie waren ebenfalls alle grau gekleidet, Kakashi trug eine graue Flickenweste und hatte seine Ninjahosen bemalt, und allesamt waren sie bewaffnet. „Sieht so aus“, gab er zurück. Er trug ein graues Stirnband, das sein Auge überdeckte, allerdings ohne das Abzeichen von Konoha, und seinen üblichen Mundschutz. Wie immer war es schwierig, seine Gedanken in diesem halben Gesicht zu lesen. „Ich glaube, das verdanke ich dir.“ Sakura kniff bitter die Lippen aufeinander. „Ich habe dich im Stich gelassen“, murmelte sie. „Tatsächlich?“ Kakashi hob die sichtbare Augenbraue. „Als du nicht mehr aufgetaucht bist, habe ich eine Menge Theorien über deinen Verbleib angestellt, aber auf diese Idee bin ich nicht gekommen.“ Als sie mit ihrem schlechten Gewissen schwieg, wandte er sich an Sasuke und seine Stimme wurde etwas härter. „So treffen wir uns also auch einmal ziemlich unerwartet. Danke, dass du auf Sakura aufgepasst hast, Sasuke-kun.“ „Ich habe nichts getan. Sie kann auf sich selbst aufpassen“, sagte Sasuke kühl. „Du kennst sie also?“, stellte einer der Männer neben Kakashi überflüssigerweise fest. Er hatte langes rotes Haar, das ihm wirr in alle Richtungen vom Kopf abstand, und einen Ring im linken Nasenflügel, der aber nicht wirkte, als wäre er aus Metall. In seinem Genick lag ein eiserner Speer, auf den er lässig die Hände gestützt hatte. „Sie sind meine ehemaligen Schüler“, bestätigte Kakashi. Der andere schnalzte mit der Zunge. „Gut. Dann können wir sie ja sicher rein lassen.“ „Ja, das können wir“, sagte Kakashi, nicht ohne Sasuke noch einen warnenden Blick zukommen zu lassen. Sakura wunderte sich, dass er ihm nicht zumindest den Zutritt verbot. Dachte er, Sasuke wäre vertrauenswürdig, weil er mir ihr unterwegs war? Sie folgten ihrem Empfangskomitee in die erste selbsternannte Stadt der neuen Welt. Die Hütten wirkten bei Nahem noch armseliger, als Sakura zunächst vermutet hatte, viele windschief, mit Ritzen, durch die der Wind pfeifen konnte. Es lebten nicht so viele Menschen hier wie in Itachis Reich, aber es war doch eine beachtliche Menge, wenn man sich vergegenwärtigte, was eigentlich mit dieser Welt passiert war … und ihrer Kleidung und ihrem Aussehen nach zu urteilen war Neuanfang ein Schmelztiegel; Sakura sah auch Leute, die noch die typischen Kopftücher der Wüstenbewohner trugen, und die dunkleren Hauttönungen des Reichs der Blitze. Sie hämmerten in einer Art Schmiede, wuschen Lebensmittel oder Eisen oder kochten in offenen Küchen, die intensiven Kohlgeruch wie einen Schleier über die Stadt legten. Kakashi und die anderen Graugekleideten führten sie in einer Runde durch die Siedlung. Die ganze Zeit über nagten die Worte an ihr, die sie Kakashi hatte sagen wollen, vor allem damals, als sie so plötzlich entführt worden war … Sie wollte es sich nicht eingestehen, aber es war lächerlich, es abzustreiten: Sie fühlte seit dem Weltuntergang anders für ihn. Er war mehr für sie geworden als ihr Sensei oder Teamkamerad, und wenn es in der kurzen Zeit gewesen war, in der sie ihn behandelt hatte. Und das waren auch nicht bloß Gefühle einer Heilerin für ihren Patienten gewesen, das war ihr jetzt klar, als ihr Herz flatterte und ein unangenehmes Gefühl in ihrem Bauch aufgetaucht war, ein ziehendes Gefühl, ein nach unten ziehendes, das sie eigentlich nicht spüren wollte, denn es kam ihr so vor, als hätte sie Kakashi verraten. Denn statt ihn zu suchen, war sie mit Sasuke gezogen, den sie schließlich liebte … Und jetzt … Und gestern Nacht … „Kakashi, ich …“, begann Sakura, doch er unterbrach sie. „Ich kann mir vorstellen, dass ihr viele Fragen habt“, sagte er, „aber beschränkt sie bitte fürs erste auf Neuanfang.“ Sakura verstummte. Als sie weitergingen, fuhr Kakashi fort: „Es ist gut, dass ihr hier seid. Wir können euch gut gebrauchen; es gibt viel zu tun hier. Für Faulheit ist diese Welt zu kaputt.“ Er blieb stehen und sah vor allem Sasuke an. „Das gilt vor allem für dich, Sasuke. Wenn ihr hier bleiben wollt, müsst ihr euren Teil zum Wohl der Stadt beitragen. Das hier ist nicht Konoha, und es wird niemand für dich Partei ergreifen, solltest du dich auch hier wie ein Verräter benehmen.“ Die anderen sahen Sasuke misstrauisch an, aber das schien keinen der beiden zu stören. „Du erzählst mir Dinge, die ich mir denken kann“, murmelte Sasuke und erwiderte Kakashis Blick kühl. Ihr Sensei sah ihn noch kurz bohrend an, dann änderte sich sein Gesichtsausdruck zu einem übertriebenen Lächeln. „Dann ist ja gut.“ Sie gingen weiter, und er zeigte ihnen die wichtigsten Gebäude und wie und wovon die Leute hier lebten. „Wasser bekommen wir von der Quelle. Das Essen ist schwieriger. Ein paar Meilen im Norden haben wir fruchtbare Erde gefunden. Möglich, dass es früher mal ein Acker war, jetzt ist dort nichts mehr. Wir haben Gemüse dort angepflanzt, aber es dauert sicher noch eine ganze Weile, bis wir es ernten können. Bis dahin haben wir nicht viele Möglichkeiten. Wir plündern die Ruinen oder jagen Tiere. Zwar gibt es nur noch wenige, aber in diesem Ökosystem sind sie ohnehin alle vom Aussterben bedroht – wir Menschen auch, wenn wir nicht aufpassen.“ Sie umrundeten etwas, das wie eine altertümliche Wagenburg aussah, mit zerbrochenen Karren, löchrigen Metallfässern und weiterem Schrott, der irgendwie zu einer halbwegs stabilen Pyramide gestapelt war und die meisten anderen Gebäude überragte. Vielerorts stützten Holzpfeiler die Konstruktion und auf halber Höhe erlaubten zwei schmale, zusammengenagelte Bretter, dass man auf einer Art Wehrgang patrouillieren konnte. Das Rathaus, wie Kakashi erklärte. Sakura kam es eher vor wie eine Einladung zum Selbstmord. Hinter dem wenig Vertrauen erweckenden Gebilde lag eine Felswand, in der ein riesiges Loch gähnte. Zwei rostige Eisenschienen führten heraus, ehe sie im Nichts endeten, abgerissen und in die Höhe gebogen. Soeben schoben zwei Arbeiter – einer von ihnen trug einen echten Bergarbeiterhelm – einen verbeulten Minenwagen aus dem Stollen, was Sakura unangenehm an eine bestimmte andere Mine erinnerte. Draußen warteten schon weitere Leute, die den Inhalt des Wagens in ihre Körbe stopften: Seltsames, blassgrünes Geflecht, zart und weich wie Moos. „Was ist das?“, fragte sie. „Wissen wir nicht“, sagte Kakashi leichthin. „Eine Art Algen vielleicht. Es wächst seit dem Chakrasturm in dem unterirdischen See dort drinnen. Man kann es essen und es schmeckt auch recht gut, allerdings wird man krank, wenn man zu viel davon erwischt. Darum wird es streng rationalisiert.“ Sie beendeten hier ihre kurze Tour. „Das Gremium wird bestimmen, welche Arbeit man euch zuteilt“, erklärte Kakashi. Anscheinend war es für ihn beschlossene Sache, dass sie hier blieben. „Aber da ich euch kenne, werde wohl letztendlich ich entscheiden. Sasuke, dich werde ich zu den Jägern stecken.“ „Und was machen die Jäger?“, fragte Sasuke. Es war ihm anzusehen, dass er nicht unbedingt erfreut war über Kakashis Worte. „Wie ich schon sagte, ihr versucht Tiere zu erlegen, essbare Pflanzen zu finden, Räubergruppen auszuschalten und Ruinen zu plündern. Ich hoffe, du hast das Teamwork nicht gänzlich verlernt. Hier in Neuanfang ist eine Berufung zum Jäger eine Ehre, also fühl dich ruhig geehrt.“ Als Sasuke etwas grummelte, fügte Kakashi hinzu: „Übrigens, noch was. Was auch immer du dort draußen als Jäger findest, es wird dem Allgemeinwohl überstellt. Die Jäger bringen ihre Beute ins Vorratslager, auch Waffen und Werkzeuge. Das Gremium bestimmt später, wer es wie nutzen darf. Das gilt übrigens auch für die Dinge, die ihr bei euch habt.“ Er deutete auf die beiden Fässer. „Da ist Chakraflüssigkeit drin, oder?“ Sakura wusste nicht, wie er es so schnell erraten hatte. Kakashi war eben doch scharfsinnig – oder es war einfach offensichtlich. Sie nickte. Er würde es sowieso herausfinden. „Wir haben hart darum gekämpft“, sagte Sasuke eisig. „Sie gehört uns.“ „Dann haben wir ein Problem“, seufzte Kakashi. Sasukes Augen wurden schmal. „Ist bei euch persönlicher Besitz etwa verboten?“ „Sasuke“, warnte ihn Sakura leise und wandte sich mit einem entschuldigenden Lächeln an Kakashi. „Tut mir leid. Es fällt uns nicht leicht, jemandem zu trauen, nach allem, was wir erlebt haben.“ Ihr Sensei nickte. „Das kann ich verstehen.“ Kaum, dachte Sakura bitter. „Nun, ich will euch zu nichts zwingen. Wenn ihr es uns nicht aushändigen wollt, müsst ihr die Stadt aber verlassen, und ich kann nicht für eure Sicherheit garantieren.“ Sakura fasste nach Sasukes Hand, der zusammenzuckte, als hätte er für einen Moment vergessen, dass sie auch da und mehr war als nur eine Weggefährtin, dann drückte er ihre Finger. Kakashi verfolgte die Geste aufmerksam mit seinem freien Auge. Sakura sah Sasuke bittend in die Augen, und schließlich wandte er den Blick ab. Das kam einer Einwilligung gleich. „Wir bleiben“, sagte Sakura. „Wenn du auch hier bist, können wir den Leuten wohl vertrauen. Und wo würdest du mich einteilen, Kakashi?“ „Bei den Heilern“, sagte er. „Die Leute, die hier jetzt leben, sind alle nur durch Glück dem Chakrasturm entkommen und keiner ist unversehrt geblieben. Sie können zwar arbeiten, aber viele haben Schmerzen oder sind krank. Wir brauchen jemanden mit deinen Fähigkeiten, um sie zu behandeln.“ Sakura nickte. Sie hatte etwas in der Richtung erwartet – auch wenn sie nicht genau wissen wollte, was mit den Leuten geschah, die nicht mehr arbeiten konnten. Irgendwie strahlte Neuanfang eine kalte Aura aus, und Barmherzigkeit wollte zu so einem Ort nicht passen. Sie erinnerte sich an das kleine Mädchen, das ausgestoßen worden war, weil sie den Anforderungen hier nicht gewachsen gewesen war. „Aber ohne mein Chakra kann ich nur wenig bewirken“, sagte sie mit einem demonstrativen Blick auf die Fässer. „Du hattest eine Ausbildung zum Medic-nin. Das ist weit mehr, als die meisten anderen Heiler vorweisen können. Mit den Medikamenten aus den Ruinen und den Gerätschaften wirst du genug erreichen können. Außerdem“, fügte er leise hinzu, „haben wir für den Notfall immer noch ein wenig Chakraflüssigkeit.“ „Ihr habt …?“, rief Sakura aus. Kakashi nickte. „Nicht viel, aber wir konnten einige Kristalle ergattern. Wir wissen, wie man sie zubereitet.“ „Woher habt ihr sie?“ Kakashi blinzelte gegen die Sonne – oder eher in deren Richtung, denn sie hatte sich hinter eine bleierne Wolkenwand geschoben, die die Szenerie noch grauer und unfreundlicher erscheinen ließ, als sie ohnehin war. „In letzter Zeit sind viele Leute aus dem Süden durch diese Gegend gezogen. Sie haben Ninjas eingeladen, in ihre Siedlung zu kommen und zur Überzeugung ein paar der Kristalle mitgehabt, die sie dort unten abbauen.“ Sasuke und Sakura wechselten Blicke. Die Ninjas, die sie unterwegs getroffen hatten, und die Kristallminen fügten sich zu einem Bild zusammen. „Sind ihnen viele gefolgt?“, fragte Sakura. „Von uns nicht“, antwortete Kakashi. „Sie verlangen nämlich, dass man Jashin Treue schwört. Mit solchen Verrückten geben wir uns nicht ab.“ „Aber wir erleichtern sie gern um ihre Last, wenn wir auf sie treffen“, fügte der rothaarige Mann grinsend hinzu. Sakura überlegte. Was hätte Itachi davon, wenn er seine Chakrakristalle mit anderen Ninjas teilte? Sie konnte es sich nicht erklären. Die Wellblechplatte vor dem Rathaus, in die Löcher gestanzt waren, die mit dicken Lederschnüren mit einem Türrahmen verbunden waren, was das Ganze wie eine Tür aussehen ließ, schwenkte zur Seite und ein alter, raubärtiger Mann sah heraus. „Ah, Kakashi-san. Wir haben die Frage, ob wir den Stollen vergrößern sollen, neu aufgerollt. Bist du unpässlich?“ „Nein, ich komme schon“, antwortete Kakashi und gab dem rothaarigen Mann ein Zeichen. „Kureiji? Kannst du ihnen Quartiere zuweisen?“ „Klar doch.“ Kureiji grinste vielsagend. „Ihr beiden wollt sicher ein Haus zu zweit, oder?“ „Ja“, sagte Sasuke. Sakura war trotz allem froh, dass er ihre Beziehung nicht zu verheimlichen versuchte. Sie hegte nur den absurden Wunsch, Kakashi hätte es nicht gehört. „Also dann“, seufzte ihr ehemaliger Sensei. „Ich werde mir eine von diesen endlosen Besprechungen antun und dann gleich eure Zuteilung mit einbringen. Man sieht sich.“ Er hob grüßend die Hand und folgte dem alten Mann ins Rathaus. „Dann kommt mal mit“, sagte Kureiji. Als sie bei dem mit Stacheldraht umzäunten, rechteckigen Lagerplatz vorbeikamen, der wirkte wie ein Schrottplatz mit einem alten, quadratischen, ausgebrannten Betonblock in der Mitte – der wiederum in Sakuras Augen so aussah wie das einzige Gebäude, das von vornherein an diesem Ort gestanden und nicht aus Trümmern gebaut worden war –, deutete er auf die beiden Wachen davor, die jeder ein Katana im Gürtel trugen und sich auf lange Spieße stützten. „Gebt denen euer Zeug.“ Etwas widerstrebend übergaben sie ihnen die Fässer, die die beiden in den Betonklotz brachten. Dort bunkerten sie wohl die wertvollsten Dinge. „Kann ich mein Schwert behalten?“ Es war keine Frage, Sasuke legte die Hand auf den Griff. Kureiji ließ sich von der Geste nicht beeindrucken. Er holte etwas aus seiner Tasche, steckte es in den Mund und kaute darauf herum. „Klar. Du kommst ja zu den Jägern. Das ist mitunter ein gefährlicher Job. Mit den eigenen Waffen kann man immer noch am besten umgehen.“ Er wandte sich an Sakura. „Deine Shuriken würd‘ ich aber gerne haben. Und den Kunai. Du brauchst sie hier nicht.“ Sakura und Sasuke hatten sich Hideyoshis Waffen aufgeteilt. Zögerlich rückte Sakura mit ihrem Anteil heraus. Kureiji warf alles achtlos auf einen Haufen hinter dem Zaun. „Woher wusstest du davon?“, fragte Sakura. „Bin auch ein Ninja“, sagte er knapp. Er kaute lautstark auf was auch immer herum. „Kekkei Genkai. Ich kann Metall aufspüren.“ „Dann bist du also auch einer der Jäger?“ „Erraten. Kommt weiter.“ Als sie seinem wuscheligen Haarschopf, der beim Gehen wippte, folgten, tauschten sie noch einen Blick. Es war gut gewesen, dass sie ihre Chakravorräte noch gefüllt hatten, ehe sie zur Stadt gekommen waren. Sakura hatte das Gefühl, hier würde es noch viel strenger und kontrollierter zugehen, als der erste Blick verriet. „Sie fressen uns die Haare vom Kopf!“, beklagte sich Fukita. „Wir sollten sie alle opfern! Dann hat Jashin wenigstens etwas davon!“ Er, Itachi und einige andere standen am Ausgang des Hauptstollens und sahen in die Siedlung hinunter. In den letzten Tagen hatten sich die Früchte ihrer Anwerbungen bemerkbar gemacht. Fast drei Dutzend Ninjas waren inzwischen in das Tal gekommen, hatten sich in den Ruinen der Siedlung eingerichtet oder eigene Hütten und Zelte aufgebaut, und laut ihren Spähern würden es noch mehr werden, chakrahungrige Ausgestoßene; Ausgestoßene aus dem Leben, das sie einst geführt hatten. Und dabei war noch kein Bericht aus Sunagakure gekommen, die Boten dorthin waren wohl noch unterwegs. „Das werden wir nicht“, sagte Itachi etwas verspätet. „Sie halten unsere Feinde fern und werden sich bald selbst ernähren – und uns. Die Kristalle machen sie zu Söldnern. Ganz wie Shinobi es gewohnt sind.“ Fukita trat ungeduldig auf der Stelle herum. „Sie sollten nicht hier bleiben“, beharrte er. „Eine Armee, die auf dem eigenen Land steht, frisst es nur kahl. Sie müssen marschieren!“ Itachi sah ihn an und der Mann schrumpfte unter seinem Blick zusammen. Er hatte gehörigen Respekt vor seinem Hohepriester, sparte aber dennoch nicht mit ungeduldigen Kommentaren. „Was soll das heißen, marschieren?“ „Was ich sage“, erwiderte Fukita trotzig. „Selbst wenn sie das Essen selbst besorgen, plündern sie nur die Ruinen, die sonst wir durchsucht hätten. Wenn wir sie fortmarschieren lassen, können sie sich anderswo durchfüttern und plündern.“ „Und wohin würdest du sie marschieren lassen?“, fragte Itachi monoton. Fukita zögerte. „Ich weiß nicht. In die Wüste vielleicht, oder ins Land der Reisfelder, vielleicht ist da noch was übrig. Oder nach Norden in diese neue Stadt. Es ist egal, wohin, aber eine Armee muss marschieren.“ „Fukita.“ „Ja, Gesandter?“ „Sieh dort hinunter.“ Itachi deutete auf die Ruinen der Siedlung. „Sieht so eine Armee aus?“ Fukita schwieg. Der Anblick war tatsächlich etwas ernüchternd. Die Ninjas stammten aus verschiedenen Gegenden und konnten ihre Streitereien teilweise nicht einmal jetzt ablegen. Als gestern die meisten der Ninjas aufgetaucht waren, hatten etliche versucht, mit Gewalt an die Kristalle zu kommen. Itachi hatte sie mit seinem Mangekyou Sharingan durch jahrelange Schmerzen gejagt, sodass sie außer Gefecht waren. Die meisten hatten eingesehen, dass sie ihn nicht einmal mit den Kristallen besiegen konnten, und eingewilligt, für den Jashin-Orden zu arbeiten. Dennoch hatten sie untereinander Kämpfe ausgefochten. Seitdem hatte es vier Tote und eine ganze Reihe Verletzter gegeben, und es gab wenig, was Itachi dagegen tun konnte. Die Jashin-Jünger tendierten vielfach zu purer Arroganz, weil sie in ihren eigenen Augen viel zivilisierter waren als der bunt zusammengewürfelte Haufen Shinobi, und Itachi musste anerkennen, dass sie tatsächlich eine Einheit bildeten, eine Bastion, die gegen die wütenden, chakradurstigen Ninjas stand. Deren Egoismus und Paranoia, die er ihnen trotz allem nicht verübeln konnte, schlug sich auch auf ihre Unterkünfte durch. Alle Zelte und die neuen, trotzdem schon wieder einsturzgefährdeten Bauten drängten sich so nah wie möglich an die Felswand und somit an die Kristalle tief im Berg. Ninjas, die sich von früher kannten, hatten kleine Gruppen gebildet, wie die Teams aus alten Zeiten. Stets hielt einer Wache, während die anderen schliefen, und selten sah man einen Shinobi irgendwo alleine gehen. Nach und nach hatte sie Itachi zu Audienzen gebeten, ihnen die Lage klargemacht und Versprechen auf Kristalle gemacht, wenn sie etwas Produktives zur Gemeinschaft beitrugen. Gut fand er, dass keiner auch nur einen Gedanken daran verschwendete, tatsächlich zum Jashinismus überzutreten. Fanatiker hatte er genug am Hals. Innerlich seufzend, löste er die Hände vom Geländer und ging in den Stollen zurück. Fukita folgte ihm nach kurzem Zögern wie ein treuer Hund. Itachi war nicht wirklich zum Anführer einer Siedlung geboren. Sein Mantel, der wie Hidans aussah, verlieh ihm der Sekte gegenüber Autorität, und auch wenn viele der Shinobi schon von ihm gehört hatten, zählten für sie nur Taten, keine erfundenen Worte eines Dämons, der vielleicht gar nicht existierte. Itachis Gedanken glitten, ohne es zu wollen, zu Sakura. Sie war sicher nach Neuanfang gezogen, nachdem das Mädchen ihr von der Stadt erzählt hatte. Und Sasuke war bei ihr. Itachi überlegte, ob er einen Spähtrupp nach Norden schicken sollte, der auskundschaftete, was die beiden trieben. Nur konnte er schlecht seine Anhänger nach ihr ausschicken, nachdem er offiziell kein Interesse mehr an ihr hatte. „Fukita“, sagte er. „Zu Diensten.“ „Diese drei Ninjas aus dem Grasdorf, die sich bereit erklärt haben, in den Minen mitzuarbeiten. Sag ihnen, ich habe einen gut bezahlten Auftrag für sie, und bring sie her.“ Das Haus, das ihnen zugeteilt wurde, war undicht. Das merkten sie, als am späten Nachmittag der Regen begann und fiese Tropfen durch die Wellblechdecke sickerten. Sie stellten rostige, verbeulte Eimer auf, aber das Tropfgeräusch war dennoch lästig. Für den Tag durften sie sich ausruhen, bekamen geschmacklosen Eintopf aus undefinierbaren Ingredienzien und zwei Handvoll der grünen Flechten aus der Höhle zu essen. Ihre Unterkunft bestand aus nur zwei Räumen. Zum einen aus einem geräumigen, weil ziemlich leeren Hauptzimmer, in dem ein Bett stand, das gerade etwas zu schmal war, um als Doppelbett gelten zu können, außerdem ein Tisch mit einer Öllampe für finstere Stunden, eine Kiste, wohlgemerkt ohne Schloss, und ein Campingtisch aus Plastik mit dazu passenden Hockern. Durch die Ritzen der Bretter sickerte Sonnenlicht, als der Regen schließlich im letzten Licht des Tages aufhörte, und ließ Staub in der Luft tanzen. Dann gab es zum anderen noch eine Art Badezimmer, das sich an einen Felsen schmiegte, der kantig und feucht war, um eine Wand einzusparen. Es gab einen Bottich zum Waschen und ein aus rohen Brettern gezimmertes Plumpsklo, das in eine kleine Empore eingelassen war. Rostige Abflussrohre führten durch die Wand in den nahen Bach. Sakura beschwerte sich nicht über das Essen. Es war nichts, wovon sie satt werden würde, auch nicht, wenn sie nicht schon tagelang am Limit gelebt hätte, aber es war ihnen vorerst kostenlos überlassen worden – auch wenn sie dafür ihr Bärenfleisch hatten abliefern müssen – und auch dieses Haus war, so unbequem es auch anmutete, ein Geschenk an die neuen Bewohner von Neuanfang. Sakura wusste nun, dass der Name der Stadt in mehr als nur einer Hinsicht zutraf. Es war nicht nur ein Zufluchtsort in einer kalten Welt, eine Zivilisation inmitten der Ödnis, sondern es änderte ihr gesamtes Leben. Ihre täglichen Aktionen würden mehr denn je auf das Gemeinwohl der Siedler abzielen, soviel hatte Kakashi durchsickern lassen. Luxus und Müßigkeit hatten hier keinen Wert. Sasuke hatte recht gehabt – es würde alles anders werden. Sie verbrachten die Nacht aneinander gekuschelt in ihrem Bett, weiter passierte nichts. Sakura strich mit den Fingern über die Stelle, wo früher Sasukes Verfluchtes Mal geprangt hatte, das ihr so viele Sorgen bereitet hatte und nun, nach dem Chakrasturm, verschwunden war, wie er sagte. Am nächsten Morgen war die Sonne noch nicht aufgestiegen, als Kureiji in Begleitung eines halben Dutzends anderer, vier davon Männer, zwei Frauen, und ihrer Ausrüstung nach allesamt Shinobi, Sasuke abholen kam. Sakura verabschiedete ihn, und sie verließen in einem strammen Marsch die Stadt. Der Himmel war wieder grau in grau und es fehlte noch an Helligkeit, um von einem neuen Tag sprechen zu können, als Sakura ebenfalls abgeholt wurde. Es gab in Neuanfang ein kleines Krankenhaus, einen rohen, weitläufigen Bretterbau, so niedrig, dass man sich den Kopf stieß, wenn man nicht aufpasste. Er war vollgerammelt mit Krankenhausbetten, die allesamt zerschlissen waren oder unter dem Gewicht der darauf liegenden Patienten ächzten; in einer Ecke gab es noch einfache Liegen aus Holz und Leinen, doch sie wurden zum Glück nicht benutzt. Die Heiler, allesamt ältere Frauen und Männer, deren Stärke Weisheit und Erfahrung waren, zeigten ihr die Instrumente, welche sie benutzten. Sakura war nicht überrascht, dass auch diese in katastrophalem Zustand waren – oder auch einfach selbst zusammengebastelt. Ein kleiner Lagerraum grenzte an das Spital, wo Medikamente aufbewahrt wurden. An ihrem ersten Tag war Sakura nicht gerade zufrieden mit sich; sie musste sich erst mit den Behandlungsmethoden der Heiler anfreunden, die Schmerzmittel nur um äußersten Notfall gaben und auch andere Medikamente nur nach dreimaligem Überlegen injizierten, die Sakura den Patienten schon längst verabreicht hätte. Geschlaucht und deprimiert kam sie gegen Einbruch der Dunkelheit in ihr Haus zurück. Die Tür war offen, denn auch sie hatte kein Schloss – Sakura fragte sich, ob dieses Gremium, das die Stadt regierte, nicht vielleicht ein wenig zu sehr gegen Privatsphäre wetterte. Ihr Abendessen stand auf dem Tisch, eine Schüssel desselben Eintopfs, den sie auch gestern und mittags im Spital gegessen hatte. Für Sasuke war nichts dabei. Es schien klar zu sein, dass die Jäger heute nicht wiederkommen würden. Als sie fertiggegessen hatte und sich eben ins Bett legen wollte, klopfte es an der Tür. Sie war doch ein wenig erstaunt, als sie Kakashi öffnete. Er kam ihr immer noch ein wenig wie ein Geist vor, wie er da in dieser fremden Kleidung vor ihr stand, offenbar auf Du und Du mit den wichtigsten Leuten der Stadt. Das schlechte Gewissen drückte ihre Stimmung noch tiefer. „Hast du ein wenig Zeit?“, fragte er. Seine Stimme klang seltsam sanft. „Sicher“, murmelte sie apathisch und ließ ihn herein. Sie nahmen auf den beiden Hockern Platz, sahen sich über den Tisch hinweg an, eine ganze Zeit lang. „Du hast dich verändert“, stellte er fest. „Tatsächlich?“ Sie und Sasuke hatten gestern das eisige Wasser aus dem Bach geschöpft, dort, wo es klar und sauber vom Berg herabgestürzt kam, und ergiebig in dem Bottich gebadet. Sauber müsste sie also eigentlich sein, bis auf die Schicht Schmutz eben, die man ohne Seife nicht abbekam. „Ja. Du siehst aus, als hättest du eine Menge durchgemacht.“ Seine Stimme klang mitfühlend. Sie hatte schon fast vergessen, wie sich so eine Tonlage anhörte. „Ich will nicht darüber reden“, sagte sie. „Was ist mit dir? Wie kommst du hierher? Ich dachte … ich dachte, ich hätte dich verloren“, fügte sie leise hinzu. Sie hatte die Fäuste geballt und auf die Knie gepresst. Am liebsten wäre sie ihm um den Hals gefallen, überglücklich, und hätte … ja, was eigentlich? Wie weit wäre sie gegangen? Hätte sie ihn vor Freude geküsst? Das vielleicht nicht, aber sie wäre sich tatsächlich erlöst vorgekommen, so froh wie noch nie seit dem Chakrasturm, denn er lebte und es ging ihm gut! Aber sie tat nichts dergleichen, sie konnte nicht. Es wäre falsch gewesen, das wusste sie. Sie hatte bereits Sasuke. Vielleicht wäre alles anders, wenn sie nicht vor zwei Tagen mit ihm geschlafen hätte, vielleicht hätte sie dann nicht das Gefühl, ihr Körper und ihre Seele wären mit ihm so eng verschmolzen, unwiderruflich. Also saß sie nur da und schämte sich. Sie hatte Kakashi abgeschrieben, aber ihn nun wieder zu sehen, wühlte mehr in ihr auf, als sie wollte … „Naja, es war nicht einfach“, sagte er, als sie schweigend seinen Blicken auswich. „Die Kurzfassung wäre, dass ich, sobald ich wieder fit war, die Sachen gepackt und dich gesucht habe. Ich hatte von Neuanfang gehört und dachte, dass du vielleicht dort bist. Also bin ich hierhergekommen. Deine Behandlung hat übrigens wahre Wunder gewirkt.“ Nein, er sollte sie nicht loben! Sollte er sie doch verwünschen, verdammen, sie eine Verräterin schimpfen! „Ich verdiene deinen Dank nicht“, murmelte sie. „Doch, das tust du“, beharrte er. „Ich habe mir Sorgen gemacht. Ich hatte sogar ein schlechtes Gewissen, als die Leute aus der Stadt mich erkannt und ins Gremium gesetzt haben. Ich habe zwar immer wieder versucht, dich zu finden, aber die Aufgaben haben mich so beschäftigt, dass ich in letzter Zeit kaum noch Gelegenheit dazu hatte. Ich habe darauf vertraut, dass du allein zurechtkommst, aber ich wäre dir lieber beigestanden. Tut mir leid.“ Sie sah ihn mit feuchten Augen an, die Lippen ein klein wenig geöffnet. Er entschuldigte sich. Er. Weil er sie nicht gefunden hatte. Weil er stattdessen der Menschheit geholfen hatte, Fuß in diesem Ödland zu fassen. Und was hatte sie getan? Sie hatte sich mit einem Verräter zusammengetan, sich in ihn verliebt … Und obwohl sie immer der Meinung gewesen war, Gefühle, vor allem Liebe, wären nichts, wofür man sich schämen müsste, tat sie es in diesem Moment. „Sakura? Was ist los?“ Sie weinte, merkte sie. Schon wieder saß sie hier, weinend; obwohl sie ihre Fähigkeiten zurück hatte, hatte sich nichts geändert. Sie tat den Leuten weh, egal, was sie machte. Sollte es ihr nicht egal sein, weil man ihr selbst wehgetan hatte? Nein. Vielleicht galt das für andere. Aber Kakashi, der keine Schuld an ihrem Zustand hatte, der ihr Leben ja erst gerettet hatte, sollte sich für nichts entschuldigen müssen. „Dummkopf“, brachte sie hervor, die Fäuste so fest geballt, dass sie zitterte. Tränen tropften darauf. Sie spürte, wie er sie fragend ansah. „Du glaubst ja gar nicht, was ich mir für Vorwürfe gemacht habe, dich einfach allein gelassen zu haben. Als du dann verschwunden warst, da habe ich … da habe ich geglaubt …“ Sie spürte, wie er aufstand und ihr die Hand auf die Schulter legte. „Es tut mir leid. Ich könnte jetzt sagen, ich habe mich auf der Straße des Lebens verlaufen, aber wir hatten wohl einfach Pech, einander nicht zu finden.“ „Du entschuldigst dich schon wieder“, schniefte Sakura. „Kakashi … Es ist wie ein Traum, dass du wieder bei mir bist … Und trotzdem, ich …“ Sasukes Gesicht tauchte vor ihren Augen auf, dann plötzlich Itachis. Warum jetzt? Warum kamen die Erinnerungen an ihn wieder hoch? Wollte ihr ihr feindseliges Bewusstsein weismachen, das mit Sasuke wäre nur Trost für sie gewesen? Sie wusste nicht einmal, ob sie sich noch selbst trauen konnte … „Kakashi“, flüsterte sie und sah mit geröteten Augen zu ihm hoch. „Was … Was bedeute ich dir?“ Ehe sie es sich versah, hatte er sie fest in die Arme geschlossen. Sakura erstarrte buchstäblich, sogar aufs Atmen vergaß sie. „Du bedeutest mir alles, Sakura“, sagte er leise. „Ein Ninja, der seine Kameraden nicht beschützen kann, ist Abschaum unter Abschaum. Und ich konnte sie nicht beschützen. Nur dich. Du bist alles, was mir geblieben ist. Und ich war noch nie so froh wie in dem Moment, als ich dich gesund und munter wiedergesehen habe.“ Sakura berührten seine Worte. Sie erwiderte die Umarmung und fühlte, wie etwas auf ihre Schulter tropfte und sich feucht durch den Stoff ihrer Weste sog. Er weinte, schoss es ihr durch den Kopf. Kakashi, der Kopierninja mit dem Sharingan, weinte. Sie konnte es nicht glauben. Das war doch ein Traum, oder? Ihr ehemaliger Sensei umarmte sie unter Tränen. Sakura schluckte hart. Und wollte sie nicht ebenfalls weinen? Was bedeutete er ihr? Sie war froh, dass er sie im Gegenzug nicht fragte. Sie wusste nicht, was sie hätte antworten können. Der nächste Tag verlief ganz ähnlich, nur dass Kakashi sie während ihrer Mittagspause besuchen kam. Er brachte ihr persönlich das Essen vorbei und unterhielt sich mit ihr, fragte sie über die Abenteuer aus, die sie und Sasuke auf ihrer gemeinsamen Reise erlebt hatten, und erzählte von seinen eigenen. Sie berichtete ganz sachlich und nüchtern, wie Sasuke ihr geholfen hatte, aus der Gefangenschaft zu fliehen – von Itachi und ihrer Vergewaltigung erzählte sie auch ihm nichts – und sie anschließend miteinander gen Norden gezogen waren, ohne ihre Gefühle zu erwähnen, doch sie mussten wohl in ihrem Tonfall mitgesickert sein, denn Kakashis Miene wurde nachdenklich. Als alle anderen Heiler ihre Arbeit wieder aufnahmen, hielt er sie noch zurück. „Sakura … weißt du, was Sasukes wahre Absichten sind?“ „Was meinst du?“ „Vergiss nicht, wer und was er ist. Er ist jemand, der jede Schwäche ausnutzt und jede Möglichkeit wahrnimmt.“ Sie sah ihm verwirrt nach, als er wieder zum Rathaus ging. Abends kam er vorbei, um mit ihr zu essen. Den ganzen Nachmittag hatten seine Worte in Sakura gearbeitet, aber sie verstand nicht ganz, was er damit bezweckte. „Kakashi, kann es sein, dass du Sasuke immer noch misstraust?“ Er schwieg lange, sah auf die Brotstückchen, die in der milchigen Suppe schwammen. Sein Mundtuch hatte er herabgezogen; Sakura hatte ihn außerdem sowieso schon ohne gesehen. „Wir haben lange versucht, ihn nach Konoha zurückzubringen“, sagte er schließlich. „Es ist uns nie gelungen. Warum hilft er dir so plötzlich?“ „Er hat sich eben geändert“, sagte sie schnippisch und stopfte sich eine Brotkrume in den Mund. Das Brot war hart, aber mit Suppe vollgesogen ganz in Ordnung. „Worauf willst du hinaus?“ „Sein Ziel ist doch noch das gleiche, oder?“ Sakura seufzte. „Ich kann verstehen, dass du ihm nicht vertraust. Am Anfang hat er mich gebraucht. Und danach … Tja, sogar jemand wie Sasuke ist zur Liebe fähig, weißt du.“ Jetzt war es heraus. Sie hatte es so nicht sagen wollen, aber nun war es zu spät. Fast trotzig wartete sie auf eine Antwort. Sein Blick war tatsächlich anders als vorhin, aber die Änderung war schwer zu erkennen und unmöglich zu beschreiben. „Bist du sicher?“, fragte er leise. „Oder braucht er dich immer noch?“ Die Fragerei ärgerte Sakura. Sie hatten sich endlich wiedergesehen und nun fühlte sie sich, als müsste sie sich für ihre und Sasukes Gefühle und Handlungen rechtfertigen. So hatte sie es sich nicht vorgestellt. „Ich weiß nicht, was du hast“, sagte sie. „Ja, er braucht mich, weil er mich liebt! Warum willst du ihn schlechtmachen? Bist du etwa …“ Fast wäre ihr auch das herausgerutscht. Eifersüchtig. Sie hatte sich auf die Zunge gebissen, um das Wort am Entfliehen zu verhindern. „Ich will ihn nicht schlechtmachen“, antwortete Kakashi ruhig. „Ich mache mir Sorgen um dich, das ist alles.“ „Ich kann auf mich selbst aufpassen.“ Sakura legte ihren Löffel zur Seite. Obwohl ihr Magen noch knurrte, hatte sie keinen Appetit mehr. „Ich glaube eher, du bist blind vor Liebe.“ Er sah sie schräg an, es wirkte fast gelangweilt. „Wieder einmal.“ Wut kochte in ihr hoch. Auch wenn sie gehofft hatte, Kakashi wiederzusehen, nach Sasuke hatte sie sich gesehnt. Und die gemeinsame Zeit, die ersten zaghaften Küsse, der Kampf Seite an Seite und die Nacht unter dem Sternenhimmel – selbst blind hätte sie die Wahrheit dahinter gespürt! „Ist das das Vertrauen eines Senseis in seine Schüler? Glaubst du, ich wäre so dumm, mich einwickeln zu lassen? Glaubst du, er hätte es nötig, mich zu verführen?“ Kakashi war nicht aus der Ruhe zu bringen. „Womöglich.“ Sie stand knurrend auf. Sie konnte nicht mehr sitzen bleiben! Rastlos wanderte sie in dem Zimmer umher. „Also wirklich! Wir haben uns gegenseitig ergänzt und uns gegenseitig gerettet! Wenn hier einer blind ist, dann du, Kakashi-sensei!“ „Richtig. Er hat dich gebraucht. Sasuke hat auch Orochimaru getötet, als er ihn nicht mehr gebraucht hat.“ Und das aus Kakashis Mund! Sakura wurde blass vor Wut. „Ich will dich nicht vor die Tür setzen“, sagte sie mühsam beherrscht, „aber vielleicht solltest du gehen, Sensei. Wenn du glaubst, Sasuke würde mir etwas antun, dann … dann bist du verrückt! Warum hast du ihn denn dann in die Stadt gelassen?“ „Nein, er wird dir nichts tun. Er braucht dich.“ Kakashi senkte den Blick. „Ich will ihm wirklich nichts unterstellen, aber ich bitte dich, vorsichtig mit ihm zu sein. Es könnte sein, dass er dich nur ausnutzt.“ „Auf keinen Fall!“, begehrte sie auf. „Wie würde er …“ „Du hast schon mit ihm geschlafen“, sagte er. Sakura klappte entgeistert der Mund auf und ihre Wangen färbten sich rot. Woher wusste er es? Sie wollte nicht, dass er es wusste. Nicht er. Nicht jetzt. „Was … was hat das damit zu tun?“, stotterte sie. „Also stimmt es.“ „Kakashi-sensei!“ Er stand auf und baute sich direkt vor ihr auf, sah ihr in die Augen. Ein Bild tauchte vor ihrem inneren Auge auf. Sie, Sasuke und Naruto an seinem Pfahl, und Kakashi, der sich zu ihnen herabbeugte und sie eindringlich ansah, ehe er verkündete, dass sie seinen Test bestanden hatten. Ein Ratschlag, ein wichtiger Tipp, eine Lebensweisheit, das war es, was folgen würde. Nur diesmal packte er sie an den Schultern, als könnte sie weglaufen wollen. „Hör mir zu, Sakura“, begann er ernst und ruhig, ganz der Ninja von früher. „Einem Verräter traut man nicht so leicht. Ich weiß, dass du immer in ihn verliebt warst, aber du darfst dich dadurch nicht täuschen lassen. Liebe kann einen Ninja töten, das weißt du.“ „Nein, das weiß ich nicht“, murmelte Sakura. Der Boden unter ihr schwankte. „Sag es mir. Inwiefern könnte er mich ausnutzen?“ Dabei wusste sie genau, was er sagen würde. Sie behielt Recht. „Ich habe euch bei unserem ersten Zusammentreffen gefragt, was für Ziele ihr im Leben habt. Weißt du noch, was Sasuke gesagt hat?“ „Dass er jemanden töten will“, sagte Sakura tonlos, ausweichend, wissend, worauf er hinauswollte. „Itachi.“ „Das war das eine Ziel. Sein zweites betraf seinen Clan. Er sagte, er will seine Familie wieder aufbauen. Das bedeutet, er will seine Blutlinie fortführen, das Sharingan weitergeben. Dafür braucht er eine Frau, die seine Kinder austrägt.“ Seine Stimme war die von Kakashi in der Schlacht, analysierend, präzise. Sakura wich seinem Blick aus. „Es ist gut, wenn er mich braucht“, murmelte sie. „Wenn ich ihm damit einen Gefallen tue, werde ich eben die Mutter seiner Kinder.“ „Du vergisst eine wichtige Sache“, mahnte sie Kakashi, sah auf sie herab wie auf ein störrisches Kind. Das störte sie an dieser Unterhaltung am meisten: Er war der Kluge, Vorausschauende, sie diejenige, die bekehrt werden musste. „Das meine ich mit blind vor Liebe. Auch wenn du dein Leben für Sasuke und seine Kinder geben würdest, er wird deine Gefühle nicht erwidern. Er wird natürlich bis zu einem gewissen Grad mitspielen müssen, so weit, dass du ihm hörig bist, damit du auch wirklich ein Kind von ihm akzeptierst. Er wird dich benutzen und nicht dich brauchen, sondern deinen Schoß. Wenn er keine Verwendung mehr dafür hat, könnte er dich verstoßen. Dann wirst du eine gebrochene Frau sein.“ Gebrochener als jetzt?, formten ihre Lippen. Kakashis Augenbrauen zuckten. Er konnte von den Lippen ablesen, fiel ihr ein. Nicht, dass es ihr jetzt etwas ausmachte. Allein, dass sie dieses Gespräch führten, allein, dass er diese Worte sagte, zerstörte etwas zwischen ihnen, und Sakura wusste nicht, ob es ein Gebilde des Vertrauens oder der Distanziertheit war. Mit ihr über Mutterschaft und Kinder zu sprechen, das erschien ihr falsch. Sensei und Schülerin … das waren sie wirklich schon lange nicht mehr. „Aber er erwidert meine Gefühle bereits!“, schleuderte sie Kakashi entgegen, die Fäuste in einer entschlossenen Geste geballt. „Er liebt mich!“ „Und wieder vergisst du einen wichtigen Aspekt“, sagte Kakashi, immer noch ruhig, aber etwas nachdenklicher als vorhin. „Sasuke ist ein Ninja, und ein besonders guter dazu. Ninjas ist es in die Wiege gelegt, zu täuschen und zu verschleiern. Wenn man blind vor Liebe ist, fällt man allzu leicht auf schöne Worte herein, Sakura.“ Sie wollte impulsiv etwas erwidern, aber letztendlich verließ kein Wort ihre Lippen. Sasuke … Er hatte sie mit einem Genjutsu vor sich selbst beschützt, damit sie auf ihren eigenen Wunsch hin mit ihm eins werden konnte – aber war es ihr eigener Wunsch gewesen? Oder seiner, perfekt unter einer Maske der Liebe versteckt? Immerhin war es sein Vorschlag gewesen. Sie wusste nicht, was sie glauben sollte. Sasuke war ein verschlossener Mann geworden, hatte selbst zugegeben, dass er nicht sicher war, ob er Liebe empfinden konnte. War die Bereitschaft, die Mauer um sein Herz zu zerstören, auch nur gespielt gewesen? Er hatte sich um sie gekümmert, als sie krank war – aber war das nicht gewesen, weil er noch nicht wusste, wie man die Kristalle kochte? Er hatte sie in den Kämpfen beschützt – aber er war auch jemand, der seine ehemaligen Freunde ohne Gnade bekämpfen konnte. Und hatte sie nicht selbst zu Beginn Pläne geschmiedet, wie sie ihm am besten von Nutzen sein konnte, damit er sie mitnahm? Plötzlich wurde ihr heiß. Der Raum drehte sich langsam um sie und ihr Kopf kam ihr seltsam schwer vor. Warum tust du mir das an, Kakashi?, flüsterte ihr Mund tonlos, aber sie wusste nicht, ob er es diesmal gelesen hatte, da er schon auf dem Weg zur Tür war. „Es tut mir leid, dass ich dich verunsichern musste“, sagte Kakashi und klang ehrlich bedauernd. „Ich wünschte mir wirklich, dass ihr glücklich werden könnt. Und vielleicht klappt es wirklich. Aber ich musste dir diese Dinge vor Augen führen. Vielleicht hast du recht und seine Absichten sind ehrenhaft. Doch falls nicht, wirst du es immer bereuen. Das versuche ich zu verhindern.“ Auch wenn es dir wehtut, hörte Sakura seine Stimme in ihren Gedanken klingen, als hätte er es laut gesagt. Dann schloss Kakashi die Tür hinter sich und ließ sie allein in der stickig gewordenen Luft und den Klauen ihrer eigenen Gedanken, die ihr schon vor langer Zeit geschworen hatten, niemandem mehr zu vertrauen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)