I want you, come after me von Siberianchan ================================================================================ Kapitel 2: ----------- Kapitel 02 Die nächste Woche verlief in einer Folge aus gesellschaftlichen Zusammenkünften, Abenden im Theater und in Spielhäusern und damit verbunden mit kleineren Beschattungstätigkeiten einiger unwichtiger Adeliger, die wieder einmal gegeneinander intrigierten und einander erpressten. An zwei Abenden blieb der gesellschaftliche Teil der Arbeit an Alec allein hängen; die junge Gräfin, auf die sie ein Auge hatten, war eine Cousine von einem Freund Alecs, der nicht viel mit Seregil zu tun hatte. Seregil nutzte die Nacht, um in ihre hübsche, kleine Stadtvilla, ein Geschenk ihres Vaters, einzubrechen und ein, zwei Schmuckstücke zu stehlen, die sie von ihren Affären bekommen hatte und mit denen sie nun die armen, aufrechten, ehrbar verheirateten Herrschaften zu erpressen gedachte. Sie hörten nichts in der Angelegenheit um Lord Altheus und schließlich ließen Lord Seregil und Lord Alec verlauten, dass sie wieder einmal für einige Wochen verreisen würden, um Sir Alecs Rittergut Ivywell in Mycena zu besuchen und um vielleicht die ein oder andere Investition zu tätigen. Diese Geschichte war ein sicheres Alibi. Alecs angebliche Wurzeln im mycenischen Ritteradel waren zu uninteressant und Güter wie das angebliche Ivywell zu klein und zu zahlreich, um sich darüber großartige Gedanken zu machen. Am nächsten Tag ritten sie demonstrativ durch das Westtor der Stadt um dann einen Haken zu schlagen und Richtung Nordosten nach Watermead zu reiten. Es war einer der wenigen schönen Herbsttage, die ihnen der späte Kemmin noch schenkte, klare, trockene, kühle Luft, Sonne, rotes und gelbes Herbstlaub und abgemähte Felder. Seregil atmete tief ein und aus. „Ah, das tut gut! Bah, hab mich schon am Ersticken gefühlt dort!“ Alec nickte nur bekräftigend. „Ich weiß immer noch nicht, wie du das für längere Zeit aushältst ohne verrückt zu werden.“ „Es ist erträglicher seit ich einen Leidensgenossen habe“, gestand Seregil mit einem leicht schuldbewussten Grinsen. „Vorher hab ich das Theater auch keinen Monat am Stück ausgehalten.“ „Und wie hast du dich dann davon gestohlen?“, fragte Alec. „Mal so, mal so. Hab mal Micum besucht, das manchmal sogar hochoffiziell. Manchmal hab ich Geschäfte vorgeschützt, manchmal musste ich schnell weg, wenn Nysander irgendeine dringende Angelegenheit hatte. Da hab ich mich schon gar nicht um ein Alibi kümmern können. Das hat Nysander immer übernommen.“ Er lächelte Alec schief an. „Meistens meinte er, ich hätte nach Mycena gemusst, um auf meinen diversen Landgütern dort nach dem Rechten zu sehen. Kam uns zugute, als wir dich damals irgendwie erklären mussten." Alec bemerkte wie das Lächeln ein wenig wehmütiger wurde. Seregil vermisste Nysander, selbst nach all den Jahren. Er ritt neben ihn. „Wer zuletzt in Watermead ist, muss Gherin und Luthas ins Bett bringen!“ Und dann galloppierte er los. „Was... he!“ Er hörte, wie Seregil Cynril antrieb und hinter ihm herjagte, sie wirbelten Blätter auf, der Wind schnitt ihnen in die Gesichter und sie lachten einander an, als Seregil ihn einholte. Für den Moment war alles gut. Keine Sorgen, kein Lord Seregil, kein Sir Alec, keine Intrigen, nur sie, der Wind und der Herbst. Sie erreichten Watermead am Nachmittag, als sich einige Wolken am Himmel zusammen zogen,die eine stürmische Nacht ankündigten. Seregil gewann das Rennen um eine Nasenlänge und als sie die Tiere auf dem Fuhrweg zum Gut hin austraben und dann in einen gemütlichen Schritt fallen ließen, drehte er sich zu Alec um und grinste. „Das nächste Mal nimm den Mund nicht so voll.“ Alec streckte ihm die Zunge heraus und hob dann den Kopf, als sie Bellen und ein Mädchenlachen hörten. „Ah. Unsere Begrüßungseskorte ist unterwegs.“ Als sie in den Hof ritten, kamen ihnen eine Schar großer, zottiger Hunde entgegen, gefolgt von einem Rock mit Schürze und langen, braunen Haaren. „Onkel Seregil, Onkel Alec! Papa, Mama, kommt!“ Illia sprang ihnen entgegen und umarmte sie beide, kaum dass sie von den Pferden stiegen und dann sprang sie auch schon wieder zurück zur Tür um zu schauen, wo denn ihre Eltern blieben. Seregil lachte. „Stürmisch wie immer, was?“ Sie drehte sich nur kurz zu ihm um. „Ich freu mich halt! Mama, Papa!“ Endlich leisteten die Gerufenen der Aufforderung ihrer Tochter Folge und erschienen im Türrahmen. Micum grinste breit über sein sommersprossiges Gesicht. „Ach, lasst ihr euch auch mal wieder blicken!“ Er umarmte Seregil und Alec gleichzeitig, ehe er sie losließ. Kari drückte ihnen beiden einen herzhaften Kuss auf die Wange, als sie sie umarmte. „Na, was treibt euch dieses Mal her?“ Die Frage klang heiter, doch Alec bemerkte dennoch das leichte Flackern in ihren Augen und das leichte Stirnrunzeln. „Nichts, Kari“, sagte Seregil rasch. „Das heißt, von deinem Bier und Arnas Kaninchenpastete abgesehen.“ „Keine Geschäfte?“, fragte sie noch einmal, obwohl sie aufatmete. „Keine verrückten Abenteuer?“ „Wirklich nicht“, bestätigte Alec. „Wir wollten nur mal eine Woche aus der Stadt heraus, ehe wir wieder ein bisschen arbeiten.“ „Und die Arbeit bleibt in der Stadt“, bestätigte Seregil noch einmal. Jetzt lächelte Kari wirklich. „Na dann, rein mit euch.“ „Habt ihr was von Beka und Nyal gehört?“, fragte Alec hoffnungsvoll. Die Heimkehr der beiden war nur von kurzer Dauer gewesen; nach einigen Wochen war Kommandantin Beka Cavishs Urghazi-Turma unter ihrem Kommando zu Befriedungszwecken noch einmal nach Mycena abgeordert worden. „Da sieht man's mal wieder“, hatte Beka gescherzt, „ich frisch befördert und Kommandantin einer inoffiziellen Elite-Einheit und was ist mein erster Auftrag? Häuser bauen.“ Andererseits war Häuser bauen eine angenehmere Arbeit als Töten, also hatte sich niemand beschwert und Kari und Micum war der Abschied leichter geworden durch das Wissen, dass Beka ganz sicher heil nach Hause kommen würde. „Sie schreiben, wenn sie mal dran denken“, meinte Kari. „Euch nicht?“ „Doch, aber der letzte Brief kam vor zwei Wochen, als sie gerade in Cirna waren.“ „Müssen euch enttäuschen“, sagte Micum. „Sehen wir es so, wenn wir nichts hören, heißt das, dass es ihnen gut genug geht, dass man uns nicht benachrichtigen muss.“ „Ich hätt mich nur gefreut, sie mal wieder zu sehen“, brummte Seregil. „Wird schon. Sie hat doch geschrieben, dass sie im Frühling nach Hause kommen.“ Kari grinste bei der Aussicht, ihre Tochter und ihren Schwiegersohn wiederzusehen und hakte sich bei ihnen unter. „Also dann. Rein mit euch.“ Sie winkte einem der Knechte zu, der die Pferde an den Zügeln wegführte. Windläufer tänzelte munter hinter ihm her. Er war auf Watermead geboren und aufgewachsen; Micum und Kari hatten ihn Alec nach seinem ersten Besuch hier geschenkt. „Fast schade, dass wir ihn damals kastriert haben“, seufzte Kari mit einem bedauernden Blick auf ihn. „Der ist ein besserer Bursche geworden als wir damals dachten.“ „Zu spät.“ Micum zuckte mit den Achseln. „Luthas! Gherin, schaut, wer da ist!“ Sofort kamen beide Jungen ihnen entgegen gestolpert, in einem eifrigen Wettrennen, wer denn jetzt zuerst bei den geliebten Onkeln sein würde. Alec johlte und wirbelte Luthas und dann Gherin unter begeistertem Quietschen durch die Luft. Seregil nahm sie ihm grinsend ab. „Na, ihr Landplagen, was treibt ihr?“ Ergeben ließ er sich von den Kindern abküssen und abknuddeln, ehe er sie absetzte. „Wie lang bleibt ihr?!“ „Geht ihr mit Papa jagen?!“ „Nehmt ihr uns mit?!“ „Ihr müsst euch die neuen Fohlen ansehen!“ „Seit ihr immer noch ein Skandal?!“ Alec lachte. „Wenn ihr so viel fragt, kommen wir nicht zum antworten, ihr beiden!“ Sofort waren die Jungen still und sahen sie aus erwartungsvoll großen Augen an. Alec ging vor ihnen in die Knie. „Also, eins nach dem anderen. Wir bleiben eine Woche, falls eure Mutter uns nicht schon vorher an die Luft setzt-“ „Pah!“, machte Kari. „Mal sehen ob euer Vater riskieren will, dass Onkel Seregil ihn aus Versehen erschießt, aber nein, wir werden euch da noch nicht mit nehmen.“ Die Jungen verzogen die Gesichter. „Wachst noch ein bisschen, dass die Wildschweine euch nicht mehr für ihr Mittagessen halten, dann gern.“ Alec sah, wie Kari zufrieden nickte. Alec selbst hatte in Luthas' Alter bereits Kaninchen und Hasen erlegt und seinen Vater begleitet, wenn er Fallen aufstellte oder auf größeres Wild Jagd machte. Andererseits hatte er auch von kleinauf gelernt, sich im Wald zu bewegen, anders als die Jungen. Das war normal. So wuchsen die meisten Kinder auf, aber es kam Alec dennoch seltsam vor. Vielleicht, weil er selbst eben nicht so aufgewachsen war, weil die Ausnahme seine Normalität gewesen war. In ein, zwei Jahren konnte er vielleicht mit Kari darüber reden. „Aber ich geh gern mit euch in den Wald, Spuren lesen“, versprach er ihnen. Ihre Gesichter hellten sich auf. „Und was den Skandal berifft – sind wir noch immer einer?“ Er schielte zu Seregil hoch. Seregil schmunzelte. „Wenn wir nach Illias Definition gehen, werden wir das immer sein. Ansonsten waren wir ganz brav inden letzten Wochen. Keiner hat über uns geredet.“ „Ja, und die Fohlen?!“, fragte Gherin nun ungeduldig. „Jungs, lasst eure Onkel erst ankommen“, mischte Kari sich nun ein. „Sie müssen sicher erst noch ihre Sachn abstellen – und waschen wollen sie sich sicher auch.“ „Dann aber?“, fragte Gherin. „Noch vor dem Abendessen“, versprach Seregil. Sofort sprangen die Jungen von ihnen ab. „Dann beeilt euch aber!“ Und rannten sofort wieder fort, zweifellos, damit sie ja schnell ihre Satteltaschen in die Gästekammer bringen und sich waschen konnten. Seregil lachte und sie nahmen ihre Taschen und gingen nach oben. Arna hatte die wenige Zeit, die sie gehabt hatte, gut genutzt und das Fenster der Kammer zum Lüften geöffnet und ihnen eine Kanne mit Wasser und eine Waschschüssel hingestellt. Seregil ließ seine Tasche fallen und schlang von hinten die Arme um Alecs Taille und Bauch. „Die Zwerge werden uns vermutlich die ganze Woche keinen Moment aus den Augen lassen.“ Alec gluckste und lehnte sich zurück. „Sie werden sicher auch mal schlafen. Oder doch lieber Micum ärgern.“ Er drehte den Kopf und sie küssten sich. Seregil griff nach seinen Händen und hielt sie fest. „Und notfalls können wir ihnen immer noch davon rennen.“ Seregil lachte in sein Ohr. „Du würdest deinen Neffen davonrennen? Schäm dich,schäm dich.“ „Das hast du mir ziemlich erfolgreich aberzogen“, murmelte Alec und drehte sich zu einem weiteren Kuss um. „Onkel Seregil! Onkel Alec!“ Zwei ungeduldige Kinderstimmen plärrten im harmonischen Duett die Treppe hinauf. „Wo bleibt ihr?!“ Alec seufzte und lachte dann. „Das war wohl überdeutlich.“ „Hm.“ Seregil ließ ihn los. „Dann leisten wir mal den Hausherrschaften Gehorsam, ehe sie noch hoch kommen.“ Sie gingen nach unten und ließen sich von den Jungen und Illia in Empfang nehmen und zu den Koppeln bringen. Sie hatten nicht zu viel versprochen. Sie hatten sieben Fohlen in diesem Jahr, zwei davon waren noch keine drei Wochen alt und alle noch so dünnbeinig und schmal, dass allein ihr Anblick Sorgen machte. Das hinderte sie nicht daran, zum Zaun galloppiert zu kommen, als Illia pfiff, die überlangen Beine flogen, dass Alec Angst hatte, dass sie sich verhedderten und stolperten. Die Mutterstuten kamen gemächlich hinterhergetrabt, beschnüffelten kurz Seregil und Alec und waren es dann zufrieden, in unmittelbarer Nähe zu grasen, während sie ihren Nachwuchs gebührend bewunderten. „Die sind wirklich hübsch.“ Seregil kraulte eines der älteren Fohlen zwischen den Ohren, während er eine Hand sachte über Flanke, Kruppe und dann vorsichtig die Hinterhand hinunter gleiten ließ. Der kleine Hengst, pechschwarz wie seine Mutter, zuckte mit dem Bein. „Der hier wird mal ein guter Läufer.“ „Nicht wahr?“ Illia schmuste hingebungsvoll mit einem der zwei jüngsten, einem fuchsfarbenen Stutfohlen mit sehr temperamentvoll geschwungener Nase und dem typisch glanzlosen, wolligen Fohlenfell. „Papa sagt, ich wäre alt jetzt langsam genug für ein eigenes Pferd. Ich hoff, er erlaubt mir, dass ich die Kleine hier bekomme.“ „Illia hat sie zur Welt gebracht!“, krähte Gherin. „Das ist Illias Fohlen!“ Alec kicherte. „Wirklich.“ „Papa hat mich bei der Geburt helfen lassen“, bestätigte Illia und ihre Augen leuchteten auf. „Das ist irre. Auf einmal ist da so was Kleines da und dann geht das auch noch richtig schnell dass es steht und...“ Sie kraulte die kleine Stute am Hals. „Sie kommt schon zum Gatter oder zur Box wenn sie mich hört. Das macht sie sonst nur bei Papa.“ „Wie soll sie denn heißen, wenn sie alt genug ist?“, fragte Alec. Micum gab keinem Fohlen seinen Namen ehe es nicht ein halbes Jahr alt war. Wenn es so lang lebte, würde es auch noch einige Jahre leben und konnte dementsprechend mit Namen angeredet werden, war seine Logik dahinter, gerade wenn sie noch so jung waren, wenn der Winter kam. Außerdem konnte das Pferd bis dahin seinen Charakter entwickeln und zeigen und einen passenden Namen erhalten. „Ich würd sie Serei nennen?“, fragte Illia, „das Aurënfaie-Wort für Stern?“ „Hübsch.“ Seregil nickte. Illia lächelte über seine Zustimmung. Sie gingen schließlich zurück als es dunkel wurde und es Zeit für das Abendessen wurde. Es war die übliche, laute und gesellige Angelegenheit, Seregil und Alec mussten wie immer einen genauen Bericht über das Stadtleben abgeben, gleichzeitig die Kinder unterhalten und Kari und Arna das würdige Lob für das Essen und das Bier aussprechen. Kari zuckte die Achseln. „Es ist besser als im letzten Jahr.“, meinte sie und Seregil lachte. „Wann kommt je der Tag, an dem du mit deinem Bier zufrieden bist?“ „Wenn es gut ist“, erklärte sie und hob die Nase, wie um zu verbergen, dass sie sich über das Lob freute. Nach dem Abendessen blieben die Jungen noch eine Stunde unten und spielten mit Illia und einer der Katzen, die mutig genug war, sich in das Haus zu wagen. „Na dann“, seufzte Kari schließlich über ihre Nährabeit hinweg, „Kinder, lasst die Katze leben, ja? Gherin, Luthas, kommt. Schlafenszeit für euch.“ Sie wollte aufstehen doch Alec war schneller. „Ich bring sie hoch.“ Luthas ließ sofort die Katze los, die er bis eben noch abgeherzt hatte und das arme Tier flüchtete schnell unter Micums Sessel. „Erzähl uns noch was!“, forderte er und Gherin krähte ein Echo: „Erzähl was, erzähl was!“ „Wenn ihr gewaschen und unter der Decke seid“, erklärte Alec mit einer nicht wirklich überzeugend strengen Miene. „Kommt, Abmarsch.“ Die Kinder kicherten, rührten sich aber nicht und schließlich grollte Alec: „Oh, da muss ich sie wohl jagen...“ Vorgebeugt schlurfte er durch den Raum, auf die Jungen zu und erwischte sie im Nacken. Sie kreischten und johlten vor Vergnügen und Illia klatschte vergnügt in die Hände. „Na los.“ Alec schob sie vor sich her. „Gute Nacht, Mama, gute Nacht Papa!“ Luthas sprang sie beide kurz und herzlich an, ehe er Seregil die gleiche Behandlung zukommen ließ. „Gute Nacht, Onkel.“ Seregil lächelte und fuhr Luthas kurz durch die Haare, die mit jedem Jahr heller wurden. Als Luthas noch klein gewesen war, hatten seine Haare ein dunkles Nerzbraun gehabt, Karis Haaren nicht unähnlich. Jetzt, mit fast acht Jahren war er schon fast so blond wie seine leibliche Mutter Cilla. „Schlaf schön – und vor allem schlaft schnell ein, ich will Alec heute noch zurück haben.“ Die Jungen kicherten. Gherin wünschte seinen Eltern ebenfalls eine gute Nacht und tat das weniger rasch als Luthas, doch als seine Mutter ihm einen Kuss auf die Wange drücken wollte, wand er sich wieselflink davon und flüchtete zu seinem Onkel Seregil, von dem man solche Zärtlichkeitsbekundungen nicht zu befürchten hatte. Dann ließen sie sich auch schon von Alec die Treppe hinauf scheuchen und in der Stube war es ruhig. Karis Nadel machte kaum ein Geräusch, wie sie eine Hose flickte. Illia hatte ihr Strickzeug hervor geholt und klapperte nun vor sich hin. „Was wird das?“, fragte Seregil und versuchte, einen Blick auf das hellblaue Etwas zu erhaschen, das da unter ihren Fingern entstand. „Ein Pullover für Gherin“, sagte Illia. „Danach mach ich noch einen für Luthas.“ Sie hielt mit sichtlichem Stolz ihre Arbeit hoch. Zum Stolz hatte sie auch tatsächlich Grund. Der halbfertige Pullover sah um einiges weniger schief aus als ihre ersten Versuche, die sie Seregil und Alec verehrt hatte. „Wenn du mit Luthas fertig bist, bin ich dann dran?“, fragte er lächelnd und Illia zuckte wie gleichgültig die Achseln. „Das muss ich mir noch überlegen.“ Seregil verzog das Gesicht. „Och, das trifft mich jetzt.“ Illia kicherte und strickte dann weiter. Nach einigen Minuten allerdings verstummten ihre Stricknadeln und sie schielte durch den Raum. „Papa, soll ich noch mal nach den Pferden schauen?“, fragte sie dann. Micum schaute sie ein wenig verdutzt an, doch dann nickte er rasch. „Ja, ja. Danke, mein Schatz.“ Illia legte ihr Strickzeug beiseite und flitzte aus dem Raum. Seregil wartete, bis die Haustür ging. „Ganz deine Tochter“, meinte er dann zu Kari. Sie lächelte nicht ganz fröhlich. „Lässt sich nicht vermeiden.“ Sie lehnte sich vor. „Also, was treibt euch beide aus heiterem Himmel her?“, fragte sie. „Wir haben wirklich nicht vor, Micum zu entführen“, erklärte Seregil rasch. „Und momentan sind wir auch in keine Angelegenheiten verwickelt. Ich schwör's Kari, ich würd bei meiner Ehre schwören, wenn ich nicht wüsste, was du davon hältst.“ „Was ist es dann?“, fragte Micum. „Es ist doch was, ich hab es Alec angesehen.“ Seregil seufzte leise. „Uns ist letztens jemand nachgeschlichen, in der Stadt. Bei Tageslicht.“ Micum runzelte die Stirn. „Bist du dir da sicher?“ „Es ist Alec aufgefallen und ich traue seinen Instinkten. Außerdem würde er nichts sagen wenn er sich nicht sicher wäre.“ Kari atmete tief durch. „Und?“ „Wir wollen die nächsten Wochen im Hirsch&Otter Quartier beziehen“, sagte Seregil langsam, „und wollten verhindern, dass uns jemand da hin folgt.“ Kari holte tief Luft. „Wir sind erst einmal ein Stück Westen, Richtung Cirna geritten“, fuhr er rasch fort, „und als wir sicher waren, dass uns niemand folgt, sofort abgedreht.“ „Und euch ist niemand gefolgt?“, fragte Kari. „Niemand. Und wenn man uns mit Magie nachspionieren würde, wüsste Thero es schon. Als er Watermead mit Schutzzaubern umgeben hat, war er sehr gründlich.“ „So übervorsichtig, das passt gar nicht zu dir“, meinte Micum. Seregil zuckte die Achseln. „Ich ziehe es nun einmal vor, wenn ein Jahr ohne Entführungen vergeht. Oder zwei, oder drei.“ Er strich sich eine nicht vorhandene Strähne aus dem Gesicht. „Oder noch länger, wenn es geht, ihr versteht.“ Kari nickte und atmete dann noch ein Mal tief durch. „Dann stell dich drauf ein, dass ich euch hier ordentlich anstellen werde, solang ihr sa seid. Bei mir wird nicht gefaulenzt.“ Seregil lachte erleichtert. „Sicher.Hätte ich auch nicht anders erwartet.“ „Gut.“ Jetzt wurde Karis Lächeln deutlich entspannter. „Und?“, fragte sie, „haben die Kinder ordentlich mit den Fohlen angegeben?“ „Haben sie. Und haben Recht damit“, meinte Seregil. „Die werden mal gute Pferde. Und Illia ist ganz vernarrt in die kleine Fuchsstute.“ Micum strich sich über die eine Seite seines Bartes. „Hm, ich weiß. Sie war bei der Geburt dabei – naja, besser gesagt, sie und die Bessa haben die Hauptarbeit gemacht da. Ich war richtig überflüssig.“ Er nahm wieder einen Schluck Bier. „Und das Kleine ist genauso verrückt nach Illia wie umgekehrt. Aber wenn sie genauso zickig wird wie ihre Mutter wird Illia sich trotzdem ein anderes Pferd suchen müssen. Meine Kinder sollen sich nicht in mehr Gefahr bringen als sie aushalten können und ein Diva als Pferd ist zu viel Gefahr für eine Zwölfjährige.“ „Bessa ist die, wir damals in Cirna gekauft haben. Die, die nicht mal Beka lang auf dem Rücken hatte“, sagte Kari. „Erinnerst du dich?“ „Oh. Die ist die Mutter?“ Seregil verzog das Gesicht. Er hatte sich nie den Namen der Stute gemerkt, sondern sie für sich immer nur „Miststück“ genannt. Sie hatte einen weichen Trab und einen regelrecht schwebenden Galopp und sie war ausdauernd wenn man sie ritt – wenn man denn oben blieb, denn das war das Problem bei ihr. Seregil hatte mit eigenen Augen erlebt, wie sie eine damals vierzehnjährige Beka für eine halbe Stunde brav getragen hatte, nur um dann von einem Moment auf den anderen zu entscheiden, dass das nun wohl genug gewesen war. Danach hatte sie eine weitere halbe Stunde alles versucht, Beka von ihrem Rücken zu bekommen und schließlich Erfolg gehabt. Das gleiche Spiel hatte sich mit jedem Reiter wiederholt, mit jedem Sattel, an jedem Tag und schließlich hatte Micum aufgegeben und die damals noch nicht siebenjährige Stute als Zuchttier auf die Weide gelassen. Bessas Fohlen erbten von ihr ihre weichen Gänge, was gut war und oft auch in einem geringeren Ausmaß ihren Eigensinn, was weniger erfreulich war. Zum Glück waren sie dabei immer noch umgänglicher als ihre Mutter. Seregil konnte Micums Skepsis gegen das Fohlen durchaus nachvollziehen. „Na mal sehen. Schlimmer als ihre Mutter kann die Kleine ja nicht werden, oder?“ „Das ganz sicher nicht.“ Micum schnaubte. „Aber ich schau mal, wo Illia bleibt.“ Er stand auf und verließ den Raum. Kari widmete sich wieder ihrer Näharbeit. Seregil musterte sie. Sie hatte ihr ruhiges, friedliches Gesicht aufgesetzt, aber da war trotzdem dieser Zug um ihren Mund. Sie wälzte etwas vor sich hin. Früher war das Kummer gewesen, als Seregils Auftauchen noch bedeutet hatte, dass Micum bald mit ihm zusammen verschwinden würde, ohne dass Kari etwas daran ändern konnte oder auch nur erfuhr, wohin Micum ging, wann er wiederkäme und was er denn tat. Seregil suchte nach Worten um zu beginnen und als er keine fand, zog er sich auf ein Räuspern zurück. Kari hob den Blick. „Was ist?“ „Es tut mir Leid. Dass wir dir all die Jahre nur so wenig gesagt haben.“ Verdammt, das war schwerer als gedacht. Wenn er sich bei Alec entschuldigte – egal für was, ob nun für ein kaputtes Hemd oder für einen dummen Vorschlag oder – früher war das gewesen, viel früher – für ein weiteres Geheimnis – war das um einiges leichter. „Nur... es gab Sachen, über die wir nicht reden durften – wirklich – und dann dachte Micum auch, dass du und die Mädchen am sichersten seid, je weniger du weißt. Aber dass es so endet wie mit Illia...“ Er schluckte kurz. „Es ging euch um meine Sicherheit?“, Kari hob eine Augenbraue. „Gut. Dann reden wir mal über meine Sicherheit. Stell dir vor, jemand schaut auf Watermead vorbei, um herauszufinden, ob du und Micum ihm auf der Schliche seid. Stell dir vor, er entscheidet sich, mich oder Illia oder die Jungen zu foltern, um das herauszufinden.“ Seregil musste bei ihren Worten gegen seinen Brechreiz kämpfen. „Seien wir ehrlich, Seregil, glaubst du wirklich, sie würden uns leben lassen, wenn wir nichts wissen?“ „Nein.“ Er schluckte. „Entschuldige.“ „Deine Entschuldigung macht es nicht ungeschehen“, schnappte Kari. „Ich bekomme meine schlaflosen Nächte davon nicht zurück oder die Tage, die ich nichts anderes machen konnte, als am Fenster stehen und nach Micum Ausschau halten, weil ich nicht wusste, wann er zurück kommt oder ob überhaupt.“ Seregil schaffte es nicht, ihr in die Augen zu sehen und blickte stattdessen auf ihre Hände, die sich in die Schürze krallten, die sie bis eben geflickt hatte. Kari atmete tief durch. „Was wissen Beka und Elsbet? Ich weiß, dass Beka auch eine...“ Sie rang sichtlich mit sich, „Wächterin ist. Und Nyal auch. Was ist mit Elsbet?“ „Beka und Nyal wissen über die Aufträge Bescheid, die sie haben oder von denen sie betroffen sind. Von denen wissen Alec und ich nichts und Micum todsicher auch nicht. Nicht solang der Auftrag noch läuft“, sagte Seregil. „Elsbet weiß so viel wie du, ein bisschen mehr vielleicht. Einer ihrer Lehrer im Tempel ist ebenfalls Wächter-“ Seregil hob rasch eine Hand, als Kari den Mund öffnete. „Wenn sie es nicht ausdrücklich wünscht, wird sie nie mehr mit der Sache zu tun haben als jetzt.“ Kari sah auf ihre Hände. „Über manche Sachen könnt ihr nicht reden?“ „Damals bevor Nysander gestorben ist“, Seregil schluckte und räusperte sich dann, „damals zum Beispiel. Da konnten wir nicht reden. Das war keine politische Geschichte mehr... wir wussten, dass unser Gegner Magie verwendet und dass er mit euch das gleiche gemacht hätte wie mit Thyris und Cilla und...“ Seregil atmete tief durch. „Es war nie meine Absicht, dir wehzutun. Oder Micums.“ Kari hob eine Augenbraue und Seregil seufzte. „Gut, meine Absicht war es. So, für die ersten drei Jahre. Aber nie Micums. Und seit langem auch nicht mehr meine.“ Kari seufzte. „Gut. Meinetwegen. Eure Entscheidung.“ „Was?“ „Ihr entscheidet, was wir wissen können und wissen müssen“, sagte sie. „Und ich stelle es nicht infrage. Aber wagt es nicht, mehr Geheimnisse vor mir zu haben, als unbedingt notwendig, verstanden?! So lang auch nur ein Mitglied meiner Familie mit drin hängt, habe ich ein Recht, es zu wissen. Das gilt für meinen Mann, meine leibichen Kinder, meine Ziehkinder – egal, ob sie jetzt zwei, sechzehn oder älter als ich waren, als ich sie adoptiert habe.“ Seregil lachte und auf einmal war die Luft im Raum wesentlich weniger dick, so plötzlich, dass sein Lachen unbeholfen klang. „Und das gleiche gilt für Illia und wenn die Jungen alt genug sind, auch für sie. Verstanden?“ Seregil nickte ergeben. „Das werden einige schöne Gute-Nacht-Geschichten. Micum, du kannst Illia jetzt ruhig herein lassen, ich denke, wir können gleich damit anfangen, reinen Tisch zu machen.“ Die Tür öffnete sich und Illia kam herein und rauschte zu Seregil und ließ sich vor ihm auf dem Boden nieder. „Was gibt es denn zu erzählen?“, fragte sie ernst. Wenn Seregil so zu ihr herunter sah, in dem Licht von Kerzen und Lampen und dem Kamin, sah sie wirklich haargenau so aus wie ihre Mutter als Seregil sie das erste Mal gesehen hatte und sie sah ihn genauso abschätzend an wie Kari damals. Damals wie jetzt bereitete der Blick ihm Unbehagen. „Einiges.“ Seregil atmete durch. „Wird sicher länger als einen Abend dauern.“ Micum kam herein und trat hinter den Sessel, in dem seine Frau saß. Kari lehnte sich nach hinten und griff nach seiner Hand. Er beugte sich zu ihr hinunter und drückte ihr einen Kuss auf die Schläfe. Seregil stand auf. „Aber ich glaub, bevor hier auch nur ein Wort erzählt wird, schaue ich erst einmal, ob deine Brüder mir nicht vielleicht Alec zurück geben wollen. Ich werde ihn beim Erzählen brauchen.“ ~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~+ Keine längere „Nightrunners“-Geschichte ist vollständig ohne Watermead. Und ich mag Pferde. Pferde sind toll. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)