Bubble and Squeak von Nifen ================================================================================ Kapitel 1: I. ------------- Detective Inspector Henry Porter hasste Tage wie diesen. Was nichts damit zu tun hatte, dass viele Engländer in Freundschaft mit der Nachbarinsel Irland an diesem Tag den St. Patricks Day feierten und London in gewissen Straßen einem noch größeren Chaos als sonst gleichkam. Nein, seine akute Verstimmung rührte von einer Leiche her. Einer kopflosen, zwergwüchsigen Leiche, deren kopfloser Zustand ausgereicht hatte, den Beamten, der als erster vor Ort gewesen war, den eindeutigen Tod feststellen zu lassen. Nun war eine kopflose, zwergwüchsige Leiche kein schöner Anblick, aber für Angehörige der Londoner Mordkommission auch nichts exorbitant Ungewöhnliches. Wäre die kopflose, zwergwüchsige Leiche nicht grün gewesen und hätte statt üblicher Kleidung nicht etwas getragen, das stark an einen Kopfkissenbezug erinnerte... Und waren seine Kollegen noch gewillt, die grüne Hautfarbe darauf zu schieben, dass einer der kleinwüchsigen St. Patricks Day Feiernden sich mittels Sprühfarbe in einen echten, irischen Kobold hatte verwandeln wollen, wusste Henry Porter es besser. Zum einen, weil er bereits sowohl echte Kobolde als auch die allgemein für irische Kobolde gehaltenen Leprechauns gesehen hatte, und zum anderen, weil er um die Bedeutung des Kopfkissenbezuges wusste. Denn Henry Porter hieß eigentlich Harry Potter, war ein Zauberer und hatte fast ein ganzes Jahrzehnt in der magischen Welt, die gleich einem Untergrund im Vereinigten Königreich existierte, verbracht. Und in dieser magischen Welt gab es auch echte Kobolde und echte Leprechauns, ebenso wie Zentauren, Einhörner und Meermenschen. Oder Hauselfen. Denn genau das war es, was die Leiche vor ihnen war – eine kopflose Hauselfe. Auch wenn er sich augenblicklich die grüne Farbe noch nicht erklären konnte. Fest stand aber, dass dieser Fall eigentlich nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fiel. Doch das konnte der Detective Inspector ja schlecht seinen Kollegen erzählen, schließlich wussten diese nichts von seiner Vergangenheit, geschweige denn von seinen magischen Kräften. Und ehrlich gesagt, wollte Harry es gerne bei diesem Zustand des Nichtwissens belassen. Er dachte nicht allzu gerne an jene Jahre, denn er wollte nicht wieder an all das erinnert werden, was er verloren hatte. Geschweige denn an die Bitterkeit, die in ihm aufstieg, wenn er sich unweigerlich fragte, ob er die Dinge, die er verloren hatte, je wirklich besessen hatte – Freundschaft, Respekt, Anerkennung, Liebe… Nein, besser nicht darüber nachgrübeln. Denn schließlich war er mit seinem jetzigen Leben eigentlich ganz zufrieden. Sicher, in seinem Job hatte er es immer noch mit mordlüsternen Psychopathen zu tun, aber er war in der Regel nicht das auserwählte Opfer. Und auch wenn die Presse unvermeidlich an seiner Arbeit interessiert war, so war es doch die Mordkommission im Allgemeinen, der Fall im Einzelnen, welche die Reporter interessierten und nicht einzelne Polizisten und ihr Privatleben. Gerade das – das Privatleben – war es, was Harry an seinem jetzigen Leben am meisten schätzte. Er brauchte sich nicht zu verstellen, er brauchte sich nicht einmal zu verstecken. Gut, er hatte seinen Namen geringfügig geändert, aber dies auch nur, damit irregeleitete, vermeintlich wohlmeinende Mitglieder der Zaubergesellschaft nicht sofort auf ihn stießen, sollten sie auf die vollkommen überflüssige Idee kommen und ihn suchen. Und Porter war nahe genug an Potter, dass er sich nicht allzu sehr daran hatte gewöhnen müssen, auf einen neuen Namen zu reagieren, wie es etwa bei Evans der Fall gewesen wäre. Soweit so gut… wäre da nicht die lästige Tatsache gewesen, dass er es mit seinem unvermeidlichen Geschick für Schwierigkeiten immer schaffte, genau dann Dienst zu haben, wenn sie einen Fall mit Merkwürdigkeiten hereinbekamen. Merkwürdigkeiten, die in all zu vielen Fällen auf Magie zurück zu führen waren oder mit der magischen Welt zusammen hingen. Oder beides. Wie diese kopflose Hauselfe. Ehrlich, wieso mussten die Zauberer ihre Leichen eigentlich in Muggelvierteln entsorgen? Die sich dahinter verbergende Arroganz war eines der Dinge, die Harry in seinem neuen Leben ganz gewiss nicht vermisste. „Also dann… Jenkins, Hobbs, ihr durchkämmt die Gegend und versucht den Kopf zu finden. Angesichts der übrigen Aufmachung würde ich mich nicht mal über spitze Ohren wundern“, sagte Dective Inspector Porter zu zwei der anwesenden Constables. Er hoffte, sein Tonfall machte deutlich, dass er die üblichen Halloween-Ankleb-Ohren meinte, diese Vorstellung jedoch ernst genug genommen werden sollte, dass die Beamten nicht allzu überrascht wären, wenn der Kopf tatsächlich spitze Ohren aufwies. Und ein Hauself hatte nun mal spitze Ohren. „Und wir beide“, wandte sich Harry an den anwesenden Sergeant, einen Mann mit dem bedauerlichen Namen Archibald Smith, „werden warten, bis die Kollegen von der Gerichtsmedizin unser Opfer hier abholen. Zeugen befragen dürfte uns hier wenig weiterhelfen.“ Der Sarge nickte und warf einen Blick auf die Feiernden, die sich auf der am Ende der Gasse sichtbaren Hauptstraße zu einer undurchdringlichen Masse aus Verrückten, Betrunkenen und Kobolden zu verdichten schien. Zeugen würden sie hier wirklich vergeblich suchen. Die Verrückten würden sich selbst als Opfer sehen, die Betrunkenen Leichen in doppelter Ausführung und dann versuchen den weniger tot wirkenden Leichnam zu einer weiteren Runde Bier einzuladen und die Kobolde würden vermutlich irgendwas von Gewerkschaftsklage von sich geben. Nein, lieber nicht zu viele Menschen auf diese Leiche aufmerksam machen. Nach einer Stunde, der Leichnam war längst abtransportiert, ließ Harry die Constables die Suche nach dem Kopf abbrechen. Es war offenkundig, dass keiner der Müllcontainer diesbezüglich etwas Brauchbares zu Tage gefördert hatte und angesichts so abartiger Reinblutbräuche die Köpfe dahingeschiedener Hauselfen wie Jagdtrophäen auf ein Holzbrett zu nageln und zur Schau zu stellen, wollte Harry auch nicht zu viel Zeit damit vertun. Schließlich hatte er noch genug anderes zu tun. Wie etwa den zuständigen Gerichtsmediziner dazu zu bewegen, ihm fünf Minuten alleine mit dem Leichnam zu gewähren, damit er einen allgemeinen Fluchscan durchführen konnte. Nur für den Fall, dass die grüne Farbe auf Folgeflüche hindeutete, die andernfalls das Personal der Pathologie in Mitleidenschaft ziehen konnte. Derlei Dienstausfälle kamen nämlich stets höchst ungelegen. War der Fluchbefund negativ, würde er weiterhin dafür Sorge tragen müssen, dass der Leichnam ohne größeres Aufheben – und möglichst ohne weitere Laboruntersuchungen – freigegeben wurde. Und nicht zuletzt wäre es dann am Ende noch seine Aufgabe, die tatsächlich zuständigen Behörden zu benachrichtigen, damit diese sich nicht länger um ihre Arbeit drückten. „Soll ich Sie begleiten, Inspector?“, fragte Sergeant Smith höflich, doch Harry winkte ab. „Ich will Ihnen den Appetit nicht noch gänzlich verderben“, erwiderte Henry Porter grinsend. „Denn auch wenn man meinen sollte, dass unser lieber Doc aufgrund des fehlenden Kopfes die Todesursache bereits kennt und durch den offenen Hals genug Einblicke in das Innere unseres Toten erlagen kann, wäre sie der erste Pathologe, der mir begegnet, der sich die Gelegenheit zu einem Y-Schnitt entgehen lässt.“ Damit klopfte der Inspector dem Kollegen aufmunternd auf die Schulter und verbiss sich jeden Kommentar bezüglich der farblichen Konkurrenz, die der arme Archibald der Leiche gerade machte. Aber es konnte auch schließlich nicht jeder so abgebrüht beim Anblick von Toten sein, wie Harry. Und ehrlich gesagt, hätte er auch zu gerne auf diese Fähigkeit verzichtet, war sie doch teuer erkauft. Doch lieber nicht dran denken, ermahnte sich der junge Mann, während er sich zur Gerichtsmedizin aufmachte. „Ah, ich habe mich schon gefragt, wann Sie hier auftauchen, Inspector“, begrüßte ihn Doktor Tamara Donaldson und warf ihm ein strahlendes Lächeln zu. „Ihnen auch einen schönen Tag“, grüßte Harry zurück, ignorierte aber wie üblich die Einladung zum Flirt. Abgesehen davon, dass der Doc eigentlich glücklich verheiratet war und nur flirtete, weil es sie jung hielt, wie sie immer sagte, hatte sie schlicht das falsche Geschlecht, um für Harry interessant zu sein. „Schon irgendwelche Erkenntnisse über unseren Toten?“ Die Pathologin schüttelte den Kopf. „Sie haben nicht zufällig den Kopf gefunden?“ „Sorry, Doc, kein Kopf. Aber wenigstens dürfte die Todesursache kein Problem sein, oder?“ „Sehr witzig“, grummelte der Doc. Sie hasste es, wenn so Details wie ein fehlender Körperteil sie daran hinderten, ihre Arbeit gewissenhaft und vollständig auszuführen. „Der Kopf hätte aber vielleicht einiges erklären können.“ „Was denn zum Beispiel?“, fragte Harry neugierig, denn schließlich musste er noch entscheiden, unter welchem Vorwand die Leute vom Zaubereiministerium die Leiche abholen sollten. „Die Arme und Beine… sie stimmen von den Proportionen nicht mit dem überein, was Kleinwüchsige gewöhnlich klassifiziert. Sie wirken eher wie Kinderglieder, sind aber so dünn, dass ich dann auf Misshandlung in Form von längerem Nahrungsentzug tippen müsste. Aber dem widersprechen die Röntgenbilder. Die Knochen sind ausgewachsen.“ Harry betrachtete die Leiche aufmerksam und ließ sich das, was die Pathologin gesagt hatte, durch den Kopf gehen. Er schätzte ihre engagierte Art, die sie über so Offensichtlichkeiten wie die grüne Hautfarbe hinaus sehen ließ. Oft genug bereitete ihm ihre scharfsinnige Beobachtungsgabe auch Kopfschmerzen, musste seine Ausrede für die Akten doch stets mit ihren medizinischen Befunden zusammen passen, meist aber bot sie ihm mit ihren Ausführungen zugleich auch einen Ansatzpunkt für selbige Ausrede. So auch jetzt. „Und wenn es eines dieser Greisenkinder wäre? Sie wissen schon, diese Kinder, die an einer Krankheit leiden, die sie extrem schnell altern lässt.“ „Sie meinen Progerie“, sagte Doktor Donaldson und musterte den Leichnam erneut. „Möglich wäre es… Schade, dass wir den Kopf nicht haben, daran ließe es sich vermutlich sofort bestätigen. So bleibt uns nur die Möglichkeit eines aufwendigen DNS-Tests.“ „Und da spricht das Budget dagegen?“, fragte Harry und hoffte, nicht allzu hoffnungsvoll zu klingen. „Ja. Sofern wir keine Anhaltspunkte dafür haben, dass eine mögliche Bestätigung der Progerie-Diagnose für den Fall relevant sein könnte, wäre es eine Untersuchung die von denen da oben als unnötig eingestuft würde. Aber ich werde für alle Fälle eine Gewebeprobe sicherstellen, so dass wir die Untersuchung später nachholen können, sollte es notwendig werden.“ „Guter Plan“, stimmte der Detective Inspector zu und machte sich gedanklich eine Notiz diese Probe, genauso wie den Kopfkissenbezug, verschwinden zu lassen. Dann bat er die Ärztin, ihnen beiden einen Kaffee zu holen und bestand wie jedes Mal darauf, ein mit Schokolade verschnittenes Kaffeegebräu zu kriegen, wegen dem die Ärztin extra den Automaten auf dem Gang bemühen musste und nicht einfach auf die die Vorratskanne schwarzen Kaffees in ihrem Büro zurückgreifen konnte. Nicht, dass er sich ernsthaft etwas aus dem Schokoladengeschmack im Kaffee machte – obgleich er gar nicht mal so schlecht war –, aber es erlaubte ihm die notwendigen Minuten, um den Fluchscan durchzuführen. Wie bei der grünen Farbe nicht anders zu erwarten gewesen war, fanden sich im Ergebnis Rückstände eines Fluchs, aber da keine weiteren Folgen zu erkennen waren, kümmerte sich Harry nicht weiter darum, zu ergründen, welcher Fluch den armen Hauself vom Leben ins Jenseits befördert hatte. Das sollten andere übernehmen. Später, in seinem Büro, machte sich Harry daran, einen Brief an das Ministerium für Zauberei zu schreiben. Wie immer anonym, wie immer sarkastisch, so dass niemand auf die Idee kam, er sei der geheimnisvolle Kontakt bei der Muggelpolizei. Denn die Zauberwelt kannte ihren verschollenen Helden nicht als Sarkasten und die wenigen Male, wo er sich getarnt in die Winkelgasse begeben hatte – leider wirkten Heiltränke in Fällen von Erkältungen und grippalen Infekten bei Zauberern nun mal besser als jedes Muggel-Aspirin und gehörten damit zu einer der Annehmlichkeiten, auf die Harry höchst ungern verzichtete –, war er den Gerüchten zufolge gerade dabei im Himalaya einen Aufstand unter den Yetis niederzuschlagen oder dergleichen ähnliches. Dementsprechend vermutete ihn also niemand auf der anderen Seite der geistigen Mauer. ‚An den Obertrottel der Abteilung zur Aufklärung magischer Verbrechen’ Harry grinste immer wieder, wenn er diese Adresse schrieb, denn um nichts in der Welt wollte er den Empfänger wissen lassen, dass er sehr wohl die richtige Bezeichnung der Abteilung und ihres Leiters kannte. ‚Sofern es Ihr offenbar übervoller Terminkalender zulässt, wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie für die Abholung einer kopflosen Hauselfenleiche aus unserer Pathologie sorgten, nachdem Ihr Terminplan es schon nicht zuließ diese Leiche vor uns zu finden. Um Aufsehen zu vermeiden, empfehle ich, sich als aufgelöstes Elternpaar zu präsentieren, dass ihrem an Progerie erkrankten Sohn einen letzten Wunsch erfüllen wollte, indem sie mit ihm die St. Patricks Feierlichkeiten besuchten, zu welchem Anlass der Sohn als grüner Kobold zu erscheinen wünschte. Denn ja, die Leiche ist grün, und nein, ich habe keine Ahnung wieso, des weiteren ja, ich weiß, dass echte Kobolde nicht grün sind und weiterhin nein, ich weiß nichts über den Verbleib des Kopfes. Abschließend wäre ich Ihnen einmal mehr verbunden, wenn Sie den Mitgliedern Ihrer Gesellschaft nahe legten, Muggel-London nicht als persönliche Müllhalde für ungewollte Mordopfer anzusehen. In der Hoffnung, nicht allzu bald wieder Kontakt mit Ihnen aufnehmen zu müssen, verbleibe ich wenig hochachtungsvoll, Ihr Müllmann.’ Zufrieden mit dem Schrieb, öffnete er das Fenster und sah sich um. Nachdem er sichergestellt hatte, dass niemand ihn beobachtete, zielte er mit seinem Zauberstab auf eine der allgegenwärtigen Tauben und belegte sie mit dem Eulenpostzauber. Manchmal wunderte sich Harry über sich selbst. Seit er mit der Zauberwelt gebrochen hatte, entdeckte er in den obskursten Ecken von Muggellondon (vor allem auf Flohmärkten) wirklich brauchbare Zauberbücher, die allesamt alltagstaugliche, praktische Tipps, Sprüche und ähnliches enthielten. Darunter ein einfaches, aber wirksames Rezept für einen Erkältungsheiltrank, aber auch einen Postzauber, mit dem man jedes Tier, das nicht größer war als ein ausgewachsenes Schwein zum Postboten machen konnte. Er war ja arg versucht, eines Tages dem Ministerium ein echtes Schwein vorbeizuschicken, doch er befürchtete, dass das dann doch für einiges Aufsehen sorgen würde und es nicht garantiert war, dass der schweinische Postbote sein Ziel auch erreichte und nicht vorher von einem übereifrigen Bobby aufgehalten wurde. Bei Tauben hingegen sah kaum einer zweimal hin. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)