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Bubble and Squeak

von

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Prolog

Tagesprophet, 14. Februar 2004
 

Hochzeit des Jahres
 

Endlich ist es soweit, heute läuten die Hochzeitsglocken für Randolph Howard und Daphne Greengrass.
 

Bereits im vergangenen Jahr hatten uns die Greengrass-Schwestern mit ihren gesellschaftlichen Ambitionen und dem Erfolg selbige umzusetzen überrascht, als die jüngere von ihnen, Astoria, Draco Malfoy, den ungekrönten Prinzen von Slytherin ehelichte. Draco Malfoy, Erbe der illustren Familie Malfoy, welche nach dem letzten Krieg gegen Den, über den wir lieber schweigen, zunächst in Ungnade gefallen zu sein schien, hat nicht unwesentlich dazu beigetragen, dass der Ruf der Familie gleich dem berühmten Phönix aus der Asche wieder auferstanden ist, so dass sich die Malfoys einmal mehr wieder im Glanz der Gesellschaft sonnen können. Nun aber übertrumpft Daphne Greengrass – übrigens eine Klassenkameradin ihres Schwagers Draco Malfoy – die jüngere Schwester, was die höchsten Höhen des gesellschaftlichen Olymps betrifft. Denn was den Stammbaum der Howards betrifft, so gibt es kaum seinesgleichen unter den Zauberfamilien. Nicht nur, dass sich die Abstammung seiner Familie bis weit in die Vergangenheit zurückverfolgen lässt, nein, die Howards zählen unter anderem niemand geringeren als Wilhelm den Eroberer zu ihren Vorfahren. Und bereits im vierzehnten Jahrhundert suchten so prominente Familien wie die Le Stranges (damalige Schreibweise der heute – wohl zum Glück – erloschenen Zauberfamilie) die Allianz per Heirat. Allerdings können wir unsere Leser, die in Anbetracht der erschreckenden Geisteszustände, wie sie die letzten Mitglieder der Familie Lestrange aufgewiesen haben, beruhigen: jene Ehe blieb seinerzeit kinderlos, der heutige Bräutigam stammt aus der zweiten Ehe jenes Vorfahren. Bis heute umgibt die Familie der Nimbus des Royalen, sieht die Familientradition doch unter anderem vor, die Kinder von Privatlehrern statt in Hogwarts unterrichten zu lassen. Wie es Miss Greengrass unter diesen Umständen überhaupt gelungen ist, die Bekanntschaft von Mr. Randolph Howard zu machen, bleibt ungeklärt, denn ganz im Einklang mit ihrer neuen gesellschaftlichen Position hat uns die Braut bei dieser Frage nur charmant angelächelt und geschwiegen.

Nun ja, wir wünschen ihr dennoch alles Glück in dieser Ehe und werden unseren verehrten Lesern natürlich alle Einzelheiten der glamourösen Feier berichten.
 

[Foto des glücklichen Paares bei der offiziellen Bekanntgabe der Verlobung]
 

***
 

Die Eule klopfte wie jeden Morgen an das Fenster und wartete dann geduldig darauf, dass ihr geöffnet wurde. Wie alle Zustelleulen des Tagespropheten war auch dieser Vogel mit besonderem Augenmerk auf Geduld und einen strapazierfähigen Magen sowie gute Reflexe gezüchtet worden. Denn bei den Abonnenten der magischen Tageszeitung wusste man nie, ob diese nicht versuchten, die Eulen zu Tode zu füttern, zu Tode zu fluchen (falls die Schlagzeile des Tages nicht den Geschmack des Lesers traf) oder zu Tode zu langweilen, indem sie sich ewig und drei Tage Zeit ließen, den Vogel von der Papierlast zu befreien. Scharfe Schnäbel, um säumige Abonnenten zum Zahlen zu bewegen, wurden obendrein vom Herausgeber geschätzt. Ja, die Eulen des Tagespropheten lebten gefährlich.

Diese Eule aber hatte Glück, das Fenster wurde alsbald geöffnet, es gab keine Versuche den armen Vogel mit ungesundem Fett zu füttern und bezahlt wurde auch bereitwillig. Und ob die Schlagzeile des Tages auf Zustimmung oder Ablehnung traf, konnte der gefiederte Bote auch nicht ausmachen, war doch alles, was er im Davonfliegen noch hörte ein „Bubble and Squeak“, ehe das Haus auch schon in der Ferne verschwand.

I.

Detective Inspector Henry Porter hasste Tage wie diesen. Was nichts damit zu tun hatte, dass viele Engländer in Freundschaft mit der Nachbarinsel Irland an diesem Tag den St. Patricks Day feierten und London in gewissen Straßen einem noch größeren Chaos als sonst gleichkam. Nein, seine akute Verstimmung rührte von einer Leiche her. Einer kopflosen, zwergwüchsigen Leiche, deren kopfloser Zustand ausgereicht hatte, den Beamten, der als erster vor Ort gewesen war, den eindeutigen Tod feststellen zu lassen. Nun war eine kopflose, zwergwüchsige Leiche kein schöner Anblick, aber für Angehörige der Londoner Mordkommission auch nichts exorbitant Ungewöhnliches. Wäre die kopflose, zwergwüchsige Leiche nicht grün gewesen und hätte statt üblicher Kleidung nicht etwas getragen, das stark an einen Kopfkissenbezug erinnerte... Und waren seine Kollegen noch gewillt, die grüne Hautfarbe darauf zu schieben, dass einer der kleinwüchsigen St. Patricks Day Feiernden sich mittels Sprühfarbe in einen echten, irischen Kobold hatte verwandeln wollen, wusste Henry Porter es besser. Zum einen, weil er bereits sowohl echte Kobolde als auch die allgemein für irische Kobolde gehaltenen Leprechauns gesehen hatte, und zum anderen, weil er um die Bedeutung des Kopfkissenbezuges wusste. Denn Henry Porter hieß eigentlich Harry Potter, war ein Zauberer und hatte fast ein ganzes Jahrzehnt in der magischen Welt, die gleich einem Untergrund im Vereinigten Königreich existierte, verbracht. Und in dieser magischen Welt gab es auch echte Kobolde und echte Leprechauns, ebenso wie Zentauren, Einhörner und Meermenschen. Oder Hauselfen. Denn genau das war es, was die Leiche vor ihnen war – eine kopflose Hauselfe. Auch wenn er sich augenblicklich die grüne Farbe noch nicht erklären konnte. Fest stand aber, dass dieser Fall eigentlich nicht in ihren Zuständigkeitsbereich fiel. Doch das konnte der Detective Inspector ja schlecht seinen Kollegen erzählen, schließlich wussten diese nichts von seiner Vergangenheit, geschweige denn von seinen magischen Kräften. Und ehrlich gesagt, wollte Harry es gerne bei diesem Zustand des Nichtwissens belassen.

Er dachte nicht allzu gerne an jene Jahre, denn er wollte nicht wieder an all das erinnert werden, was er verloren hatte. Geschweige denn an die Bitterkeit, die in ihm aufstieg, wenn er sich unweigerlich fragte, ob er die Dinge, die er verloren hatte, je wirklich besessen hatte – Freundschaft, Respekt, Anerkennung, Liebe… Nein, besser nicht darüber nachgrübeln. Denn schließlich war er mit seinem jetzigen Leben eigentlich ganz zufrieden. Sicher, in seinem Job hatte er es immer noch mit mordlüsternen Psychopathen zu tun, aber er war in der Regel nicht das auserwählte Opfer. Und auch wenn die Presse unvermeidlich an seiner Arbeit interessiert war, so war es doch die Mordkommission im Allgemeinen, der Fall im Einzelnen, welche die Reporter interessierten und nicht einzelne Polizisten und ihr Privatleben. Gerade das – das Privatleben – war es, was Harry an seinem jetzigen Leben am meisten schätzte. Er brauchte sich nicht zu verstellen, er brauchte sich nicht einmal zu verstecken. Gut, er hatte seinen Namen geringfügig geändert, aber dies auch nur, damit irregeleitete, vermeintlich wohlmeinende Mitglieder der Zaubergesellschaft nicht sofort auf ihn stießen, sollten sie auf die vollkommen überflüssige Idee kommen und ihn suchen. Und Porter war nahe genug an Potter, dass er sich nicht allzu sehr daran hatte gewöhnen müssen, auf einen neuen Namen zu reagieren, wie es etwa bei Evans der Fall gewesen wäre. Soweit so gut… wäre da nicht die lästige Tatsache gewesen, dass er es mit seinem unvermeidlichen Geschick für Schwierigkeiten immer schaffte, genau dann Dienst zu haben, wenn sie einen Fall mit Merkwürdigkeiten hereinbekamen. Merkwürdigkeiten, die in all zu vielen Fällen auf Magie zurück zu führen waren oder mit der magischen Welt zusammen hingen. Oder beides. Wie diese kopflose Hauselfe. Ehrlich, wieso mussten die Zauberer ihre Leichen eigentlich in Muggelvierteln entsorgen? Die sich dahinter verbergende Arroganz war eines der Dinge, die Harry in seinem neuen Leben ganz gewiss nicht vermisste.

„Also dann… Jenkins, Hobbs, ihr durchkämmt die Gegend und versucht den Kopf zu finden. Angesichts der übrigen Aufmachung würde ich mich nicht mal über spitze Ohren wundern“, sagte Dective Inspector Porter zu zwei der anwesenden Constables. Er hoffte, sein Tonfall machte deutlich, dass er die üblichen Halloween-Ankleb-Ohren meinte, diese Vorstellung jedoch ernst genug genommen werden sollte, dass die Beamten nicht allzu überrascht wären, wenn der Kopf tatsächlich spitze Ohren aufwies. Und ein Hauself hatte nun mal spitze Ohren.

„Und wir beide“, wandte sich Harry an den anwesenden Sergeant, einen Mann mit dem bedauerlichen Namen Archibald Smith, „werden warten, bis die Kollegen von der Gerichtsmedizin unser Opfer hier abholen. Zeugen befragen dürfte uns hier wenig weiterhelfen.“

Der Sarge nickte und warf einen Blick auf die Feiernden, die sich auf der am Ende der Gasse sichtbaren Hauptstraße zu einer undurchdringlichen Masse aus Verrückten, Betrunkenen und Kobolden zu verdichten schien. Zeugen würden sie hier wirklich vergeblich suchen. Die Verrückten würden sich selbst als Opfer sehen, die Betrunkenen Leichen in doppelter Ausführung und dann versuchen den weniger tot wirkenden Leichnam zu einer weiteren Runde Bier einzuladen und die Kobolde würden vermutlich irgendwas von Gewerkschaftsklage von sich geben. Nein, lieber nicht zu viele Menschen auf diese Leiche aufmerksam machen.
 

Nach einer Stunde, der Leichnam war längst abtransportiert, ließ Harry die Constables die Suche nach dem Kopf abbrechen. Es war offenkundig, dass keiner der Müllcontainer diesbezüglich etwas Brauchbares zu Tage gefördert hatte und angesichts so abartiger Reinblutbräuche die Köpfe dahingeschiedener Hauselfen wie Jagdtrophäen auf ein Holzbrett zu nageln und zur Schau zu stellen, wollte Harry auch nicht zu viel Zeit damit vertun. Schließlich hatte er noch genug anderes zu tun. Wie etwa den zuständigen Gerichtsmediziner dazu zu bewegen, ihm fünf Minuten alleine mit dem Leichnam zu gewähren, damit er einen allgemeinen Fluchscan durchführen konnte. Nur für den Fall, dass die grüne Farbe auf Folgeflüche hindeutete, die andernfalls das Personal der Pathologie in Mitleidenschaft ziehen konnte. Derlei Dienstausfälle kamen nämlich stets höchst ungelegen. War der Fluchbefund negativ, würde er weiterhin dafür Sorge tragen müssen, dass der Leichnam ohne größeres Aufheben – und möglichst ohne weitere Laboruntersuchungen – freigegeben wurde. Und nicht zuletzt wäre es dann am Ende noch seine Aufgabe, die tatsächlich zuständigen Behörden zu benachrichtigen, damit diese sich nicht länger um ihre Arbeit drückten.

„Soll ich Sie begleiten, Inspector?“, fragte Sergeant Smith höflich, doch Harry winkte ab.

„Ich will Ihnen den Appetit nicht noch gänzlich verderben“, erwiderte Henry Porter grinsend. „Denn auch wenn man meinen sollte, dass unser lieber Doc aufgrund des fehlenden Kopfes die Todesursache bereits kennt und durch den offenen Hals genug Einblicke in das Innere unseres Toten erlagen kann, wäre sie der erste Pathologe, der mir begegnet, der sich die Gelegenheit zu einem Y-Schnitt entgehen lässt.“ Damit klopfte der Inspector dem Kollegen aufmunternd auf die Schulter und verbiss sich jeden Kommentar bezüglich der farblichen Konkurrenz, die der arme Archibald der Leiche gerade machte. Aber es konnte auch schließlich nicht jeder so abgebrüht beim Anblick von Toten sein, wie Harry. Und ehrlich gesagt, hätte er auch zu gerne auf diese Fähigkeit verzichtet, war sie doch teuer erkauft. Doch lieber nicht dran denken, ermahnte sich der junge Mann, während er sich zur Gerichtsmedizin aufmachte.
 

„Ah, ich habe mich schon gefragt, wann Sie hier auftauchen, Inspector“, begrüßte ihn Doktor Tamara Donaldson und warf ihm ein strahlendes Lächeln zu.

„Ihnen auch einen schönen Tag“, grüßte Harry zurück, ignorierte aber wie üblich die Einladung zum Flirt. Abgesehen davon, dass der Doc eigentlich glücklich verheiratet war und nur flirtete, weil es sie jung hielt, wie sie immer sagte, hatte sie schlicht das falsche Geschlecht, um für Harry interessant zu sein. „Schon irgendwelche Erkenntnisse über unseren Toten?“

Die Pathologin schüttelte den Kopf. „Sie haben nicht zufällig den Kopf gefunden?“

„Sorry, Doc, kein Kopf. Aber wenigstens dürfte die Todesursache kein Problem sein, oder?“

„Sehr witzig“, grummelte der Doc. Sie hasste es, wenn so Details wie ein fehlender Körperteil sie daran hinderten, ihre Arbeit gewissenhaft und vollständig auszuführen. „Der Kopf hätte aber vielleicht einiges erklären können.“

„Was denn zum Beispiel?“, fragte Harry neugierig, denn schließlich musste er noch entscheiden, unter welchem Vorwand die Leute vom Zaubereiministerium die Leiche abholen sollten.

„Die Arme und Beine… sie stimmen von den Proportionen nicht mit dem überein, was Kleinwüchsige gewöhnlich klassifiziert. Sie wirken eher wie Kinderglieder, sind aber so dünn, dass ich dann auf Misshandlung in Form von längerem Nahrungsentzug tippen müsste. Aber dem widersprechen die Röntgenbilder. Die Knochen sind ausgewachsen.“

Harry betrachtete die Leiche aufmerksam und ließ sich das, was die Pathologin gesagt hatte, durch den Kopf gehen. Er schätzte ihre engagierte Art, die sie über so Offensichtlichkeiten wie die grüne Hautfarbe hinaus sehen ließ. Oft genug bereitete ihm ihre scharfsinnige Beobachtungsgabe auch Kopfschmerzen, musste seine Ausrede für die Akten doch stets mit ihren medizinischen Befunden zusammen passen, meist aber bot sie ihm mit ihren Ausführungen zugleich auch einen Ansatzpunkt für selbige Ausrede. So auch jetzt. „Und wenn es eines dieser Greisenkinder wäre? Sie wissen schon, diese Kinder, die an einer Krankheit leiden, die sie extrem schnell altern lässt.“

„Sie meinen Progerie“, sagte Doktor Donaldson und musterte den Leichnam erneut. „Möglich wäre es… Schade, dass wir den Kopf nicht haben, daran ließe es sich vermutlich sofort bestätigen. So bleibt uns nur die Möglichkeit eines aufwendigen DNS-Tests.“

„Und da spricht das Budget dagegen?“, fragte Harry und hoffte, nicht allzu hoffnungsvoll zu klingen.

„Ja. Sofern wir keine Anhaltspunkte dafür haben, dass eine mögliche Bestätigung der Progerie-Diagnose für den Fall relevant sein könnte, wäre es eine Untersuchung die von denen da oben als unnötig eingestuft würde. Aber ich werde für alle Fälle eine Gewebeprobe sicherstellen, so dass wir die Untersuchung später nachholen können, sollte es notwendig werden.“

„Guter Plan“, stimmte der Detective Inspector zu und machte sich gedanklich eine Notiz diese Probe, genauso wie den Kopfkissenbezug, verschwinden zu lassen. Dann bat er die Ärztin, ihnen beiden einen Kaffee zu holen und bestand wie jedes Mal darauf, ein mit Schokolade verschnittenes Kaffeegebräu zu kriegen, wegen dem die Ärztin extra den Automaten auf dem Gang bemühen musste und nicht einfach auf die die Vorratskanne schwarzen Kaffees in ihrem Büro zurückgreifen konnte. Nicht, dass er sich ernsthaft etwas aus dem Schokoladengeschmack im Kaffee machte – obgleich er gar nicht mal so schlecht war –, aber es erlaubte ihm die notwendigen Minuten, um den Fluchscan durchzuführen.

Wie bei der grünen Farbe nicht anders zu erwarten gewesen war, fanden sich im Ergebnis Rückstände eines Fluchs, aber da keine weiteren Folgen zu erkennen waren, kümmerte sich Harry nicht weiter darum, zu ergründen, welcher Fluch den armen Hauself vom Leben ins Jenseits befördert hatte. Das sollten andere übernehmen.
 

Später, in seinem Büro, machte sich Harry daran, einen Brief an das Ministerium für Zauberei zu schreiben. Wie immer anonym, wie immer sarkastisch, so dass niemand auf die Idee kam, er sei der geheimnisvolle Kontakt bei der Muggelpolizei. Denn die Zauberwelt kannte ihren verschollenen Helden nicht als Sarkasten und die wenigen Male, wo er sich getarnt in die Winkelgasse begeben hatte – leider wirkten Heiltränke in Fällen von Erkältungen und grippalen Infekten bei Zauberern nun mal besser als jedes Muggel-Aspirin und gehörten damit zu einer der Annehmlichkeiten, auf die Harry höchst ungern verzichtete –, war er den Gerüchten zufolge gerade dabei im Himalaya einen Aufstand unter den Yetis niederzuschlagen oder dergleichen ähnliches. Dementsprechend vermutete ihn also niemand auf der anderen Seite der geistigen Mauer.
 

‚An den Obertrottel der Abteilung zur Aufklärung magischer Verbrechen’
 

Harry grinste immer wieder, wenn er diese Adresse schrieb, denn um nichts in der Welt wollte er den Empfänger wissen lassen, dass er sehr wohl die richtige Bezeichnung der Abteilung und ihres Leiters kannte.
 

‚Sofern es Ihr offenbar übervoller Terminkalender zulässt, wäre ich Ihnen sehr verbunden, wenn Sie für die Abholung einer kopflosen Hauselfenleiche aus unserer Pathologie sorgten, nachdem Ihr Terminplan es schon nicht zuließ diese Leiche vor uns zu finden.

Um Aufsehen zu vermeiden, empfehle ich, sich als aufgelöstes Elternpaar zu präsentieren, dass ihrem an Progerie erkrankten Sohn einen letzten Wunsch erfüllen wollte, indem sie mit ihm die St. Patricks Feierlichkeiten besuchten, zu welchem Anlass der Sohn als grüner Kobold zu erscheinen wünschte.

Denn ja, die Leiche ist grün, und nein, ich habe keine Ahnung wieso, des weiteren ja, ich weiß, dass echte Kobolde nicht grün sind und weiterhin nein, ich weiß nichts über den Verbleib des Kopfes.

Abschließend wäre ich Ihnen einmal mehr verbunden, wenn Sie den Mitgliedern Ihrer Gesellschaft nahe legten, Muggel-London nicht als persönliche Müllhalde für ungewollte Mordopfer anzusehen.
 

In der Hoffnung, nicht allzu bald wieder Kontakt mit Ihnen aufnehmen zu müssen, verbleibe ich wenig hochachtungsvoll,
 

Ihr Müllmann.’
 

Zufrieden mit dem Schrieb, öffnete er das Fenster und sah sich um. Nachdem er sichergestellt hatte, dass niemand ihn beobachtete, zielte er mit seinem Zauberstab auf eine der allgegenwärtigen Tauben und belegte sie mit dem Eulenpostzauber.

Manchmal wunderte sich Harry über sich selbst. Seit er mit der Zauberwelt gebrochen hatte, entdeckte er in den obskursten Ecken von Muggellondon (vor allem auf Flohmärkten) wirklich brauchbare Zauberbücher, die allesamt alltagstaugliche, praktische Tipps, Sprüche und ähnliches enthielten. Darunter ein einfaches, aber wirksames Rezept für einen Erkältungsheiltrank, aber auch einen Postzauber, mit dem man jedes Tier, das nicht größer war als ein ausgewachsenes Schwein zum Postboten machen konnte. Er war ja arg versucht, eines Tages dem Ministerium ein echtes Schwein vorbeizuschicken, doch er befürchtete, dass das dann doch für einiges Aufsehen sorgen würde und es nicht garantiert war, dass der schweinische Postbote sein Ziel auch erreichte und nicht vorher von einem übereifrigen Bobby aufgehalten wurde. Bei Tauben hingegen sah kaum einer zweimal hin.

II.

Blaise Zabini blickte sich suchend in der Cafeteria des Ministeriums um. Es war Hauptfrühstückszeit und ein freier Tisch von daher ein Wunschtraum. Also suchte er nun in dem Meer von Gesichtern jemand Bekanntes, zu dem er sich setzen konnte. Zum Glück brauchte er auch nicht lange, ehe er einen buschigen braunen Haarschopf in der Menge entdeckte, neben dem ebenfalls bekanntes flammendrotes Haar leuchtete: Hermione Granger und Ron Weasley.

Es war schon erstaunlich, wie viel ein paar Jahre Abstand von Hogwarts im gegenseitigen Umgang ausmachen konnten. Begraben waren die Hausrivalitäten, einfach weil die Realität des Alltags Zusammenarbeit verlangte. Und so stellte man schnell fest, dass man gar nicht so verschieden war, wie man zu Schulzeiten noch geglaubt hatte, und auch wenn sich vielleicht keine ewigen Freundschaftsschwüre ergaben, so doch etwas, das über den bloßen Grad eines Bekannten hinausging.

Entschieden bahnte sich Blaise seinen Weg durch die anderen Angestellten und ließ sich dann mit einem freundlichen Gruß Ron und Hermione gegenüber nieder. Die beiden erwiderten den Gruß, widmeten sich dann aber wieder ihrer jeweiligen Tätigkeit. Was in Rons Fall essen bedeutete und in Hermiones Fall eine Zeitung lesen.

Überrascht erkannte Blaise, dass Hermione die Times und nicht den Tagespropheten las. „Irgendwas Interessantes in der Muggelwelt?“, fragte er neugierig.

„Wenn du mich jetzt fragst, ob du den Sportteil haben kannst, den hat Dean bereits erhalten“, gab Hermione zurück, ohne von der Zeitung aufzublicken.

„Dad meint ja immer, die für uns interessanten Dinge ständen eher im Mirror oder in der Sun“, mischte sich Ron ein, der dankenswerterweise inzwischen gelernt hatte, erst zu Ende zu kauen und zu schlucken, ehe er etwas sagte.

„Ich glaube, dein Vater würde sich diesbezüglich hervorragend mit Agent K von den MIBs verstehen“, erwiderte Hermione grinsend und ließ nun doch die Zeitung sinken.

„Agent K? MIBs?“, fragte Blaise verwirrt. „Ich dachte, ich kenne alle nationalen und internationalen Behörden, mit denen wir zusammenarbeiten.“

„,Men in Black’ ist ein Muggelkinofilm. Ich hab ihn damals im letzten Urlaub mit meinen Eltern in Dänemark gesehen. In dem Film geht es um eine fiktive Behörde, die sich mit Aliens auf der Erde befasst. Und laut Agent K erfährt man Aliensichtungen immer als allererstes in den Regenbogenblättern.“

„Ich glaube, diesen Film muss ich unbedingt mal sehen“, sagte Blaise grinsend, der eine Schwäche für Muggelfilme hatte, die sich mit allem befassten, was für die Muggel nicht normal war.

„Er ist durchaus unterhaltsam“, gab Hermione zu und bestärkte Blaise nur darin, sich den Film alsbald auf DVD zu beschaffen. Gerade so etwas wie Filme sehen zu können war einer der Gründe, weshalb Blaise sich seinerzeit eine Wohnung in Muggellondon gesucht hatte, statt wie viele seiner Kameraden sich um eine Bleibe im Zauberteil der Stadt zu bemühen. Seine Freunde hatten ihn damals reichlich merkwürdig angesehen, aber spätestens nach dem ersten Videoabend bei ihm zu Hause hatten alle befunden, dass die Muggel zumindest in Sachen Unterhaltung ein paar gute Erfindungen getätigt hatten. Und nachdem er ein Jahr in der Muggelwelt gelebt hatte, ohne je aufgefallen zu sein, hatte ihn die Abteilung für magische Strafverfolgung angeworben, damit er immer, wenn sich die Zuständigkeiten überschnitten, als Verbindungsmann fungierte. Eine Tätigkeit die seiner vorigen Sekretariatsarbeit deutlich vorzuziehen war. Wobei er damals nicht geahnt hatte, dass sie auch bei der Muggelpolizei einen Informanten hatten. Anders konnte man die Person wohl kaum nennen, die ihnen immer wieder Nachrichten zukommen ließ, wenn Magie im Spiel war, die Muggelpolizei aber leider als erste am Tatort gewesen war. So wie jetzt bei dem Fall der kopflosen Hauselfe.

Da hatte sich sein Vorgesetzter Bartholomew Haltass zunächst geweigert, der Aufforderung des Informanten zu folgen, schließlich ging es nur um eine Hauselfe. Wen kümmerte schon eine Hauselfe. Doch nachdem Blaise damit gedroht hatte, die Nachricht mit einem entsprechenden Vermerk an das zuständige Gremium zur Einhaltung des Internationalen Statuts zur Geheimhaltung der Magie weiterzuleiten, hatte Haltass eingelenkt und zwei seiner Untergebenen mit der entsprechenden Geschichte losgeschickt. Da sich niemand um einen solchen Job riss, hatte es natürlich zwei Anfänger getroffen, die aber mit dem üblichen Arbeitseifer von Neulingen ihre Sache erstaunlich gut gemacht hatten. Dann aber hatten sie mit dem gleichen Übereifer die Pläne ihres Chefs, die Sache einfach zu den Akten zu legen, gründlich zunichte gemacht, indem sie die Leiche bereits untersucht hatten, ehe Haltass sich ihrer erinnern konnte. Und so hatten die beiden Neulinge nicht nur herausgefunden, dass der angewandte Zauber keineswegs der übliche Hauselfen-für-Wandtrophäen-Köpfen-Zauber war, sondern zudem auch Spuren aufwies, die darauf hindeuteten, dass er auch auf andere Lebewesen, einschließlich Menschen angewendet werden konnte. Somit war Haltass nicht nur seiner bereits zurecht gelegten Ausrede/Lösung des Falls beraubt, sondern obendrein noch mit einem Fluch konfrontiert, der Leib und Leben eines jeden Zauberers, einschließlich Haltass selbst, gefährdete. Und wo es um sein eigenes Leben ging, kannte Haltass kein Pardon. Weshalb er zum ersten Mal seit Blaises Rekrutierung zu der Abteilung für Magische Strafverfolgung von diesem die Identität des Informanten auf der Muggelseite zu wissen wünschte.

Es war schwer festzumachen, ob Blaise überrascht darüber war, dass Haltass nicht wusste, wer der Informant war, oder nicht, aber dass auch niemand sonst im Ministerium etwas über den Informanten zu wissen schien, überraschte ihn dann doch. Abgesehen davon, dass es ihm die Arbeit ungemein erschwerte. Denn wie bitte sollte er die Identität eines Informanten aufdecken, wenn alles, was man über ihn wusste war, dass er seit etwa vier Jahren Nachrichten schickte, die keinerlei schriftliche oder magische Signatur, mit der man irgendwas hätte anfangen können, trugen?

Lustigerweise war es Muggelfernsehen, dass ihn auf die Idee gebracht hatte, über den Informanten ein Profil zu erstellen, ganz wie es Muggelpolizisten bei Serienmördern zu tun pflegten. Zu diesem Zweck hatte er sich von Haltass den letzten Brief des Informanten erbeten. Jetzt galt es das Schriftstück zu untersuchen. Allerdings glaubte Blaise kaum, dass ihm Papier oder Tinte irgendetwas anderes verraten würde, als dass es Standardmaterial war, das man in jeder Polizeiwache finden konnte. Blieben also noch Stil und die Schrift selbst.

Der Stil war rasch gedeutet – sarkastisch. Und Sarkasmus bedeutete gemeinhin unterdrückte Wut, aber ehrlich gesagt konnte Blaise es einem Mitarbeiter der Muggelpolizei nicht verübeln, wenn dieser wütend darüber war, wenn Zauberer magische Leichen in Muggellondon abluden. Was die Schrift betraf, so war sich Blaise mehr als bewusst, dass Graphologie als höchst ungenaue Wissenschaft zu betrachten war, aber es war das einzige, was ihm noch übrig blieb.

Seufzend zog er das Stück Papier aus seiner Tasche und besah es sich, während er an seinem Kaffee nippte. Vielleicht kam ihm ja in dieser Umgebung ein weiterer Einfall, was er noch an Informationen aus dem Dokument ziehen konnte.

„Was hast du da?“, fragte Ron neugierig und auch Hermione ließ die Zeitung wieder sinken.

„Kennt sich einer von euch zufällig mit Graphologie aus?“

„Grapho...?“

„Graphologie, die Lehre über die Schriftanalyse im Hinblick auf psychologische Diagnostik“, klärte Hermione ihren Freund überlegen auf. Zu Blaise gewandt, schüttelte sie bedauernd den Kopf. „Ist für mich ähnlicher Humbug wie Wahrsagen.“ Damit war für sie das Thema beendet.

Ron hingegen wurde jetzt erst recht neugierig. „Schriftwahrsagen? Klingt faszinierend... Darf ich mal sehen? Vielleicht erkenne ich ja was.“

„Ron!“, empörte sich Hermione. „Du warst in Wahrsagen genauso gut oder schlecht wie ich, nur dass du es bis zum bitteren Ende durchgezogen hast und dann bei den ZAG-Prüfungen wenig überraschend durchgefallen bist.“

„Na und?“, erwiderte dieser achselzuckend. „Es war immerhin unterhaltsam. Und selbst wenn ich falsch liege, sieht Blaise aus, als könnte er die daraus resultierende Aufmunterung gut brauchen.“

Blaise konnte schon jetzt ein Grinsen kaum verbergen. In mancherlei Beziehung waren die beiden ihm gegenüber noch genauso schlimm wie zu Schulzeiten. Kaum zu glauben, dass sie Ende des Jahres heiraten wollten. Andererseits hatten ihre Streitereien schon zu Schulzeiten mehr dem Gekeife eines alten Ehepaares geglichen, von daher war die Zeremonie wohl reine Formsache. Und so lausig Rons Argumentation auch war, Blaise konnte wirklich Aufmunterung vertragen. Also schob er kurz entschlossen den beiden das Blatt hinüber.

Mit der Reaktion, die folgte, hatte er allerdings wahrhaft nicht gerechnet. Hermione wurde stocksteif und ließ die Zeitung fallen, während sich Ron an dem Stück Muffin, das er gerade im Mund hatte, so heftig verschluckte, dass er einen Hustenanfall bekam, der ihm die Tränen in die Augen trieb. Das löste immerhin Hermione aus ihrer Starre und nachdem sie ihrem Verlobten ein paar Mal aufmunternd auf den Rücken geklopft hatte und Blaise ihm ein Glas Wasser besorgt hatte, kehrte langsam wieder Ruhe an dem Tisch ein. Dennoch wartete Blaise vorsichtshalber noch eine volle Minute, ehe er fragte: „Was ist mit diesem Brief, dass er euch so aus den Socken haut?“

„Wo hast du den her?“, wollte Hermione wissen und ignorierte Blaise Frage völlig.

„Von meinem Vorgesetzten?“, erwiderte Blaise, nicht ganz sicher, wohin das ganze führen würde.

„Und wo hat der den her?“

„Hermione, was soll das? Was ist mit diesem Brief, dass du wissen willst, woher er kommt?“ Blaise war nicht gewillt, wirklich etwas preiszugeben, ehe er nicht selbst ein paar Antworten erhalten hatte. Abgesehen davon, dass er herzlich wenig über den Brief wusste.

Dennoch erntete er wieder nur eine Frage, doch dieses Mal kam sie von Ron und enthielt auch eine Antwort. „Blaise, wie kommst du an einen Brief von Harry? Ich mein, die Worte klingen zwar nicht nach ihm, aber die Schrift würde ich unter Tausenden erkennen.“

Hermione nickte.

„Harry?“, echote Blaise. „Wie in Harry Potter?“

Die beiden anderen nickten.

„Aber ist der nicht derzeit in der Antarktis, um dort den Eislarven beim Schlüpfen zu helfen?“

Hermione grinste schief. „Nur, wenn man dem Tagespropheten glaubt. Deshalb ja meine Frage: Wo hast du diesen Brief her?“

Blaise überlegte blitzschnell. Wenn Harry Potter tatsächlich ihr Informant bei der Muggelpolizei war, dann war vermutlich so ziemlich das letzte, was er wollte, dass seine ehemaligen besten Freunde erfuhren, wo er sich aufhielt... Die Gedanken überstürzten sich in seinem Kopf und er stand so hastig auf, dass er beinahe seinen Becher mit dem restlichen Kaffee umgestoßen hätte. Den Brief an sich nehmend, eilte er, ohne ein weiteres Wort, aus der Kantine.

Wohl wissend, dass Hermione und Ron ihn nicht so einfach davon kommen lassen würden, apparierte Blaise direkt in seine Wohnung, wechselte in Windeseile die Zauberkleidung gegen ein Muggeloutfit und suchte dann einen nahe gelegenen Park auf, von dem er wusste, dass ihn seine Zauberbekannten dort nie vermuten würden.
 

Um Harry Potters Verschwinden aus der Zauberwelt rankten sich diverse Gerüchte und noch mehr Rätsel. Alle hatten sie angenommen, dass er, nachdem er über Voldemort triumphiert hatte, sich in Ruhm und Glanz sonnen würde, doch das Gegenteil war der Fall gewesen. Rückblickend betrachtet, war es wohl wenig verwunderlich, dass Harry der Presse nach seinen Erfahrungen während des Trimagischen Turniers, aber auch im darauf folgenden Jahr, misstraute. Als ihm dann auch noch einige der Leute, die er für Freunde gehalten hatte, vorwarfen, die ganze Presse nur für sich einheimsen zu wollen, gleichzeitig aber undankbar im Umgang mit selbiger zu sein, hatte sich der Held der Zauberwelt immer mehr zurückgezogen. Dennoch hatte es diejenigen gegeben, die zu ihm gehalten hatten. Oder vielleicht doch nicht? Ein weiterer Gedanke drängte sich Blaise auf, der mit der einfachen Frage begann, wo er selbst in der direkten Nachkriegszeit gewesen war... Und wo waren die anderen gewesen? Die meisten waren mit sich und ihren Verlusten beschäftigt gewesen. Wen aber hatte Harry gehabt? Schlimmer noch, diejenigen, die einer Familie am nächsten kamen, hatte er im Krieg verloren. Seinen Paten, Professor Lupin, Dumbledore, sogar Professor Snape, der immerhin eine berechenbare Konstante dargestellt hatte. Der mürrische Tränkeprofessor hätte Potter solange verbal zur Schnecke gemacht, bis dieser aus seinem inneren Exil ausgebrochen wäre, um sich mit Snape anzulegen. Ron hatte zu der Zeit um seinen Bruder Fred getrauert und von Hermione wusste Blaise, dass sie sich auf die Suche nach ihren Eltern begeben hatte. Beide hatten sie ihr Leben ordnen müssen, hatten keine Zeit gehabt, Harry mit dessen Leben zu helfen. Und seine Muggelverwandten... Blaise hatte genug abfällige Bemerkungen von Ron über die Dursleys gehört, um zu wissen, dass die alles getan hätten, nur nicht Harry bei der Bewältigung eines Kriegstraumas zu helfen.

War es da wirklich so verwunderlich, dass Harry sich nach einem Neuanfang gesehnt hatte? Wohl kaum. Und genau betrachtet, war es verdammt clever, sich im Grunde direkt unter der Nase der Zauberwelt in Muggellondon zu verstecken. Ja, Blaise konnte Harry in gewisser Weise sehr gut verstehen. Nur, dass Harrys Plan einen Haken hatte... ähnlich wie in der Schulzeit, schien diesen auch jetzt noch magisches Unheil anzuziehen. Wie sonst ließ sich erklären, dass es ausgerechnet Harry war, der den Fall der kopflosen Hauselfe auf der Muggelseite zugewiesen bekam?

Doch was mit all diesen neu gewonnenen Erkenntnissen anfangen? Er konnte ja schlecht jede einzelne Polizeiwache Londons auf der Suche nach Harry abklappern. Zumal er ja nicht mal wusste, ob dieser noch so aussah wie vor all den Jahren, oder ob er sich nicht zur Tarnung die Haare blondiert hatte und heute Kontaktlinsen trug. Und die verräterische Blitznarbe war mit dem Verschwinden des Horcruxes sicherlich mittlerweile so sehr verblasst, dass man sie kaum noch sah.

Und was sollte er seinem Chef erzählen? Er konnte Haltass bei allem fehlenden Respekt ja kaum sagen, dass der Verfasser derzeit als magischer Geburtshelfer im südlichen Eismeer herumschipperte.

Und Ron und Hermione?

Es war zum Verrücktwerden!

Was aber, wenn er den beiden erklärte, es habe sich um ein Scherzschreiben gehandelt, bei dem jemand Harrys Handschrift anhand eines alten Briefes oder Schulaufsatzes gefälscht hätte, und sie den Fälscher gefunden hätten? Und wenn er seinem Chef erzählte, dass es ein Detective sei, der kein Zauberer war, aber früher zu der Spezialeinheit der Polizei gehört hatte, die mit dem Schutz des britischen Premiers betraut war, und während dieser Tätigkeit von der Zauberwelt erfahren hatte, aber Stillschweigen geschworen hatte? Einen Versuch war es wert.

III.

Es sollten zwei Monate vergehen, ehe beide Seiten erkannten, dass die kopflose Hauselfe erst der Beginn einer ganzen Serie von Mordfällen war. Grund für das Nichterkennen war die Tatsache, dass sich die Zuständigkeit der Polizei von London auf die Stadt selbst beschränkte. Abgesehen davon, dass keine Polizeidienststelle in der Öffentlichkeit gerne über Mordfälle sprach, deren Umstände mehr als mysteriös waren. Wie etwa die Tatsache, dass die Leiche grün und der Kopf unauffindbar war. Dieser Umstand traf auch auf die Londoner Polizei zu und so ahnte man in Buckinghamshire, Surrey, Essex und Kent nichts davon, dass es in London bereits Anfang März einen ähnlich gelagerten Fall gegeben hatte. Und da keine der anderen Polizeidienststellen über einen Zauberer in den eigenen Reihen verfügte, der, durch die grüne Farbe misstrauisch geworden, vielleicht einen Fluchscan durchgeführt hätte, wusste man auch im Ministerium für Zauberei nichts über die weiteren Leichen.

Was besagtes Ministerium betraf, so hatten Blaise Zabinis Ausreden besser gewirkt als er es sich hätte träumen lassen, auch wenn er selbst noch immer keinen Schritt weiter war, was eine Entscheidung darüber betraf, was er mit dem Wissen, dass Harry Potter bei der Londoner Muggelpolizei war, anfangen sollte.

Dann aber fand man erneut eine kopflose, grüne Leiche in London und Detective Henry Porter wurde aufgrund der St. Patricks Day Leiche in den Fall involviert. Wie nicht anders zu erwarten war, führte er einen Fluchscan durch und fluchte dann selbst höchst unflätig, dafür aber immerhin unmagisch, als ihm bewusst wurde, dass er das Ministerium für Zauberei mit einbeziehen musste.

Noch aber zögerte er das Unvermeidliche hinaus, denn er wusste, dass wen auch immer das Ministerium als Verbindungsmann schickte ihn höchstwahrscheinlich erkennen und ebenso höchstwahrscheinlich nicht die Klappe halten würde. Dann war es vorbei mit der Ruhe. Dann würden die Reporter wieder auf ihn einstürzen, unangenehme Fragen stellen, Mitgefühl heucheln und ihn zurückzerren wollen. Nein danke!

Lieber also erst weitere Fakten sammeln. Vielleicht sogar den fehlenden Kopf finden, denn instinktiv ahnte Harry, dass der Kopf ein wichtiges Teil in diesem Puzzle war.

Als er dann aber den Kopf fand, wäre es ihm lieber gewesen, das Schicksal hätte ihm dieses Wissen erspart. Wobei die Art, wie er an die Informationen um den Verbleib des Kopfes kam, reichlich skurril waren, und hätte er von dem Gespräch im März zwischen seinen ehemaligen besten Freunden und Blaise in Punkto MIB gewusst, so hätte er sich bestimmt schlapp gelacht. Denn tatsächlich war es ein Bericht in einer der weniger niveauvollen Tageszeitungen, die den Stein ins Rollen brachte.

„Na wunderbar“, stöhnte Dudley, der nach dem gemeinsamen Abendessen die Zeitung studierte.

„Was ist?“, fragte Harry, der mit dem Laptop am Küchentisch saß und im Internet in den verschiedensten Portalen die verschiedensten Dinge nachschlug, einfach weil er Gefallen an all dem Wissen hatte, das ihm mit diesem Kommunikationsmittel offen stand. Es war eine Art Hobby, das ihm aber auch auf der Arbeit beizeiten von Nutzen war, etwa wie damals mit der Hauselfenleiche und seiner Inspiration den Knochenzustand mit Progerie in Verbindung zu bringen.

„Sie haben Menschenfleisch in Kohlköpfen gefunden.“

„Wie bitte?“ Irritiert sah Harry seinen Cousin an.

„In Wembley ist ein Ehepaar mit Lebensmittelvergiftung ins Krankenhaus eingeliefert worden. Erster Verdacht bei so was ist ja Salmonellen oder so. Aber der Laborbefund war negativ. Zumal sich im Magen der beiden nur vegetarische Kohlsuppe befunden hatte. Also hat das Labor mit Einverständnis des Ehepaars die Lebensmittel bei dem Paar zu Hause untersucht. Ein halber Kohlkopf war noch übrig. Und laut Laboranalyse bestand der Kohl aus Menschenfleisch. Und das wiederum war irgendwie mutiert oder so, weshalb das Ehepaar davon krank geworden ist“, fasste Dudley den Artikel zusammen, den die Zeitung groß mit ‚Kannibalen wider Willen’ übertitelt hatte.

„Klingt reichlich abstrus. War bestimmt ein Laborfehler“, kommentierte Harry nur trocken, der dem Blatt, das Dudley las, ähnlich viel Bedeutung beimaß wie seinerzeit dem Klitterer, ehe er mit Lunas Hilfe dort ein paar echte Artikel platziert hatte.

„Egal ob Laborfehler oder nicht, dieser Artikel ist äußerst schlecht fürs Geschäft. Denn immerhin ist eines der Lieblingsfrühstücksgerichte im Laden ‚Bubble and Squeak’, aber mit so einem Artikel wird niemand mehr was mit Kohl essen wollen.“

„Dann wirst du deine Geschmacksknospen anstrengen dürfen, um einen schmackhaften Ersatz für den Kohl zu finden, damit euch die Gäste nicht davon laufen“, erwiderte Harry und nickte seinem Cousin aufmunternd zu. Er hatte diesbezüglich vollstes Vertrauen in Dudleys Kochkünste.

Einmal mehr ging Harry durch den Kopf, wie sonderbar das Leben doch sein konnte. Keiner, der sie als Kinder oder Jugendliche gekannt hätte, hätte daran geglaubt, dass Dudley Dursley und Harry Potter je einträglich und freiwillig in einer Wohngemeinschaft leben würden. Doch genau das war geschehen.
 

Harry hatte gerade die Polizeischule beendet und war zu der Erkenntnis gekommen, dass es erheblichen Argwohn erregen würde, wenn er als junger Polizist sich seine nicht ganz kleine Wohnung allein leisten konnte. Nicht bei seinem Einstiegsgehalt und nicht bei den Mieten in London. Wenn er also jegliches Aufsehen vermeiden und als Durchschnittsmuggel gelten wollte, musste er sich einen WG-Kameraden zulegen. Abgesehen davon, dass Harry bereits festgestellt hatte, dass nach so vielen Jahren der Hausgemeinschaft in Hogwarts und der Zeltgemeinschaft im letzten Schuljahr, Alleinleben längst nicht so erfüllend war, wie er es sich bei seinem Ausstieg aus der Zauberwelt erhofft hatte. Das hatte ihm die Zeit in der Polizeischule gezeigt. Also war es vielleicht gar nicht so übel, abends nach Hause zu kommen und einen menschlichen Gesprächspartner in Form eines Mitbewohners zu haben, denn für eine feste Beziehung, bei der der Partner bei ihm einzog, war er noch nicht bereit. Dazu war er vermutlich zu paranoid.

Diesem Gedanken folgend, hatte er das Gästezimmer als WG-Zimmer an der Uni inseriert und hatte nicht schlecht gestaunt, als der erste Bewerber für das Zimmer niemand anderer als sein Cousin gewesen war.

Dudley gestand, dass er seinen Cousin dabei gesehen hatte, wie dieser das Mitbewohnergesuch am großen Brett ausgehängt hatte und von daher genau wusste, bei wem er sich um ein Zimmer bewarb.

Zunächst hatte Harry dem Ganzen äußerst misstrauisch gegenüber gestanden, doch im Laufe des Abends, einer Pizza in der Pizzeria um die Ecke und ein paar Bier dazu, hatte er erkannt, dass sich Dudley in den vergangenen Jahren geändert hatte. Ansätze dazu waren ja bereits während Harrys letztem Aufenthalt im Ligusterweg zu sehen gewesen, und an jenem Abend hatte er einfach beschlossen, es bei der Tatsache zu belassen, dass Dudley wohl endlich erwachsen geworden war. Abgesehen davon hatte sein Cousin mit einem Argument Recht: Mit Dudley als Mitbewohner müsste Harry nicht ständig auf der Hut sein, nicht aus Gewohnheit oder versehentlich zu zaubern.

Was Dudleys Geschichte betraf, so hatte sich dessen Leben im letzten Schuljahr in Smeltings an jenem Tag geändert, als sich die verschiedenen Hochschulen vorgestellt hatten. Darunter war auch eine renommierte Schule aus Edinburgh gewesen, an der man Gastronomie und Hotelfach lernen konnte. Diese hatte als Unterhaltung einen Geschmackstest geboten, bei dem es darum ging, möglichst viele Zutaten einer Speise zu erschmecken. Endlich zahlte sich Dudleys Verfressenheit aus. Er erriet alle Zutaten. Von diesem Talent begeistert, hatte ihn einer der Dozenten der Hochschule beschworen, sich bei ihnen für Kochen und Gastronomie einzuschreiben, er würde auch dafür sorgen, dass Dudley ein angemessenes Stipendium erhielte. Und so kam es, dass Dudley sich zum ersten Mal in seinem Leben den Wünschen seines Vaters widersetzte, der ihn als Mitarbeiter bei Grunnings sehen wollte – was die Kantine gewiss nicht einschloss –, und mit der Unterstützung seiner Mutter sich in der Hochschule in Edinburgh einschrieb. Er erhielt auch tatsächlich das versprochene Stipendium und die viele Bewegung, die ein Küchenchef an den Tag legen musste, von der mangelnden Zeit für viel Essen ganz zu schweigen, so wie dem Wunsch nicht ständig Probleme zu haben, vernünftig an den Herd heranzureichen, sorgten dafür dass Dudley an Gewicht verlor, was er an Wissen gewann. Er würde zwar nie so schlank wie Harry werden, aber immerhin war er nach seiner Zeit in Edinburgh nur noch als stämmig zu bezeichnen und nicht mehr als gestrandeter Pottwal. Im Anschluss an seine College-Zeit empfahlen ihm seine Dozenten an der Cordon Bleu Schule in London ein paar weitere Kurse zu belegen, um seine Referenzen zu erweitern. Weshalb also Dudley eine erschwingliche Bleibe in London suchte, denn bei seinen Eltern wollte er nicht wieder einziehen. Abgesehen davon, dass Vernon und Petunia Dursley zu der Zeit mit ihrem eigenen Umzug nach Toronto in Kanada beschäftigt waren, wo Vernon Dursley die Leitung der dortigen Grunnings-Niederlassung übernehmen sollte. Den Kursen am Cordon Bleu folgten zwei Jahre in einem sternedekorierten Restaurant eines ebenfalls Oberklassehotels, dann aber hatte Dudley von den Grabenkriegen, die in diesem Restaurant herrschten, mehr als genug, abgesehen davon, dass ihm die langen Arbeitszeiten nicht gefielen. Denn auch wenn er das Kochen wirklich liebte, so brauchte er doch auch seinen Schlaf und frühmorgens schon um fünf Uhr beim Großmarkt Waren zu begutachten, nur um dann um zehn Uhr abends noch immer in der Küche zu stehen, war nicht sein Ding. Selbst wenn es Pausen und freie Tage gab. Als dann der Bäckergeselle, dessen Bäckerei das Restaurant mit Backwaren belieferte, erzählte, dass er davon träumte, sich selbstständig zu machen, um sein eigenes Café zu eröffnen, hatte Dudley die Gelegenheit erkannt und beim Schopfe gepackt. Gemeinsam mit dem Bäckergesellen hatte er einen kleinen Laden eröffnet, der Frühstück und Mittagessen sowie Kaffee und Kuchen anbot. Und das Beste: Für Dudley war um 15 Uhr Feierabend. Dann war die Küche geschlossen und auch schon geputzt und die restliche Kundschaft musste sich mit den kalten Snacks aus der Auslage begnügen. Es dauerte ein wenig, bis der Laden florierte, aber die Qualität des Essens sprach für sich und nachdem sie die Karte neben so modischen Kreationen wie Kürbisschaumsuppen und ähnlichem auch um ein paar bodenständige, ur-englische Gerichte wie etwa ‚Bubble and Squeak’ zum Frühstück erweitert hatten, schrieb der Laden auch schwarze Zahlen. Das Beste aber: Sowohl Dudley als auch sein Partner Peter gingen in diesem Unternehmen regelrecht auf.
 

Gerade weil ‚Bubble and Squeak’ ein solcher Publikumsmagnet war, konnte Harry Dudleys Sorgen bezüglich der Kundenreaktionen auf den Artikel verstehen. Aber wie kam Menschenfleisch in einen Kohlkopf?

Mitten in der Nacht schoss Harry aus dem Schlaf in die Senkrechte und schlug sich vor die Stirn. Die Antwort auf die Frage, die ihn noch beim Einschlafen beschäftigt hatte, lautete: Zauberei! Der Menschenfleischkohlkopf enthielt deswegen Menschenfleisch, weil er kein wirklicher Kohlkopf, sondern ein Menschenkopf war, der lediglich in einen Kohlkopf verwandelt worden war! Das mochte vielleicht sogar die grüne Farbe der Leiche erklären!

Am nächsten Morgen war für Harry klar, dass er es nicht länger hinauszögern konnte, das Ministerium zu kontaktieren. Nicht, wenn er erfahren wollte, was das für ein Fluch war, der Menschenköpfe in Kohlköpfe verwandelte. Und wer zu so etwas fähig war. Doch wie den Brief formulieren, um seine Chancen zu erhöhen, einen möglichst fähigen Kontakt im Ministerium zugewiesen zu bekommen? Sicher, er bräuchte sich vermutlich nur als Harry Potter zu offenbaren, und jeder, bis hin zum Minister höchst persönlich, würde ihm seine Hilfe anbieten. Oder man würde ihn für einen Hochstapler halten und ohne Verhandlung nach Azkaban schaffen. Egal, er wollte sich nicht offenbaren, und wenn, höchstens einer Person gegenüber, nämlich besagtem Kontakt.
 

‚An den Obertrottel der Abteilung zur Aufklärung magischer Verbrechen’
 

Auf seine fast schon als Markenzeichen zu bezeichnende Anrede konnte er schlecht verzichten.
 

‚Selbst wenn es Ihrer ach so hoch geschätzten Abteilung entgangen sein sollte, komme ich nicht umhin, Sie darüber zu informieren, dass jene kopflose Hauselfe leider nicht das einzige Opfer des merkwürdigen Köpfungsfluches war. Auch wenn Sie das in Ihrem Arbeitseifer zweifellos gehofft haben. Da der Mörder aber offenkundig nicht gewillt war, Ihren Hoffnungen Folge zu leisten, halte ich es für angebracht, wenn einer Ihrer Mitarbeiter sich die neuste Leiche ansieht. Vorzuziehen wäre ein Mitarbeiter, der die allgemeinen Muggelgepflogenheiten zumindest soweit beherrscht, dass man ihn lediglich als leicht verrückt oder exzentrisch bezeichnen kann, keineswegs aber für untauglich verwirrt hält. Dies würde die Arbeit nur erschweren. Zusätzlich wären Fluchkenntnisse oder allgemein Kenntnisse darüber, wie Zauber aufgebaut sind, hilfreich. Aber das ist reine Option, ich begnüge mich auch mit dem Muggelkundigen, der die Erkenntnisse dann an den jeweiligen Spezialisten in Ihrem so fachkundigen Haus weitergibt.

So Sie also über einen solchen Mitarbeiter verfügen, schlage ich vor, dass selbiger sich um viertel nach zwölf Uhr Mittags bei der Ihnen bereits bekannten Pathologie einfindet und dort nach Dr. Tamara Donaldson fragt. Ich werden den Besuch entsprechend ankündigen.
 

Mit dem üblichen Mangel an Respekt verbleibe ich wenig hochachtungsvoll,

Ihr Frühstückverderber.’

IV.

Zu sagen, dass Bartholomew Haltass begeistert über die Ankunft der Stadttaube war, wäre übertrieben gewesen. Aber zum Glück konnte er nach kurzem Überfliegen der respektlosen Zeilen das Ganze getrost seinem Verbindungsmann für Muggelangelegenheiten übertragen, schließlich hatte der Schreiber eben diesen sogar angefordert.

„Hey, Zabini!“, brüllte er aus seinem Büro.

Blaise Zabini seufzte. So wie sein Chef klang, hatte er schlechte Laune, und Chefs, egal, wie umgänglich sie für gewöhnlich waren, waren bei schlechter Laune in etwa so umgänglich wie brütende Drachenweibchen. Da war es also besser, sich nicht erst noch einen Kaffee zu holen, einen Plausch mit den Kollegen zu halten und dann gemütlich ins Chefbüro zu schlendern, auch wenn alles in ihm geradezu danach schrie. Vielleicht lag das aber auch nur daran, dass er von seinem Chef herzlich wenig hielt und es diesen von Zeit zu Zeit gerne wissen ließ. Schließlich war Blaise in seiner Position gefestigt genug, um zu wissen, dass Haltass ihm nicht mal eben mit der Entlassung drohen konnte. Gute Verbindungsleute wuchsen eben nicht auf Bäumen und noch weniger, die über die notwendige Befähigung verfügten, waren bereit für das Ministerium zu arbeiten, schon gar nicht in dieser wenig prestigeträchtigen und karrierelosen Position. Dass Blaise dennoch diesen Job machte, lag daran, dass er eigentlich gar nicht zu arbeiten brauchte – Mutti hatte schließlich oft genug reich geheiratet und ihrem Sohn ein entsprechendes Treuhandvermögen eingerichtet, über das er mittlerweile frei verfügen konnte – und der Job ausreichend Abwechselung bot, dass er sich nicht langweilte. Wie dem auch sei, gerade hatte er nicht wirklich etwas Besseres zu tun als sich zu seinem Chef zu begeben und vielleicht bedeutete dessen schlechte Laune ja auch einen interessanten Auftrag für ihn. Also ging Blaise zu Haltass ins Büro, doch er schaffte es noch nicht einmal das übliche ‚Sie wollten mich sprechen’ hervorzubringen, als sein Chef ihm schon ein verdächtig bekanntes weißes Blatt vor die Nase hielt.

„Da! Lesen Sie! Wie es aussieht, bestellt man Sie einmal mehr zur Pathologie!“ Damit vergrub sich Haltass wieder in eine Akte – von der die ganze Abteilung wusste, dass es ein getarnter Tagesprophet war – und Blaise wusste, dass das Gespräch beendet war und er somit das Büro wieder verlassen konnte.

Wieder an seinem Platz angekommen, besah sich Blaise das neue Schreiben. Wie es aussah war Harry Potter wohl bereit, endlich aus seiner Deckung zu kommen. Zumindest teilweise. Und irgendwie freute sich Blaise schon auf die Begegnung. Auch wenn natürlich die Aussicht, dass die Hauselfe kein Einzelmord war, reichlich ernüchternd war.
 

Pünktlich, zur angegebenen Zeit, erschien Blaise in passender Muggelkleidung in der Pathologie. Am Empfang fragte er, genau wie gewünscht, nach Dr. Donaldson und die Empfangsdame erklärte ihm, dass jemand kommen würde, der ihn zu Dr. Donaldson begleiten würde.

Doch es war kein Labormitarbeiter oder sonstiger Mitarbeiter der Gerichtsmedizin, der nur wenige Minuten später auf ihn zukam. Es fehlten schlicht der entsprechend weiße oder grüne Kittel. Blaise konnte zunächst nur vermuten, dass es sich um Harry Potter handelte, denn äußerlich hatte der junge Mann nur wenig mit dem Helden der Zauberwelt gemein. Sicher, die Haare waren immer noch schwarz, fielen ihm immer noch in die Stirn – vermutlich um von der verblassten Narbe abzulenken –, aber passé war der dämliche Topfschnitt, den Potter während der Schulzeit immer getragen hatte. Stattdessen folgte er nun dem aktuell üblichen Muggeltrend von etwas fransigem Kurzhaarschnitt und etwas Styling-Gel für die Spitzen. Nicht übertrieben, schließlich stellte Potter einen Polizisten und kein Model dar – abgesehen davon, dass Models eher hochgewachsen und Harry Potter eher normalgroß war –, aber gestylt genug, um den Büroansprüchen eines gepflegten Aussehens zu entsprechen. Der größte Unterschied aber war, dass Potter anstelle der Brille nun Kontaktlinsen trug. Zumindest vermutete Blaise, dass er Kontaktlinsen trug, denn zumindest von einer Brille war nichts zu sehen. Aber als Polizist in der Mordkommission waren Kontaktlinsen vermutlich auch praktischer als eine Brille. Auf jeden Fall musste Blaise anerkennend feststellen, dass diese Nicht-wirklich-Verkleidung äußerst wirksam war, denn hätte er nicht gewusst, mit wem er es zu tun hatte, hätte er Harry nicht erkannt.

„Detective Inspector Henry Porter. Schön Sie zu sehen“, stellte sich Harry vor und Blaise musste abermals lächeln. Ähnlicher Name, aber doch unterschiedlich genug, um die meisten im Ministerium in die Irre zu führen. Er beschloss das Spielchen mitzuspielen, zumindest bis sie irgendwo allein und ungestört waren und Tacheles reden konnten.

„Blaise Zabini. Freut mich, Sie kennen zu lernen“, erwiderte er.

Falls Harry den Namen erkannt hatte, ließ er es sich jedenfalls nicht anmerken. „Doktor Donaldson wartet im Untersuchungsraum 3 auf uns. Ich werde Sie ihr als forensischer Anthropologe vorstellen. Alles was Sie tun müssen, ist so zu tun, als wären Sie in der Lage aus Oberschenkellänge und Handknochen so wie Körperbehaarung Rückschlüsse über den fehlenden Kopf zu machen.“

„Soweit so schön“, erwiderte Blaise, nicht sonderlich überrascht, dass Harry eine Tarngeschichte für ihn vorbereitet hatte. Schließlich hatten die übrigen Schreiben für gewöhnlich ebenfalls Hinweise und Tarngeschichten für die Leichenabholung enthalten. „Aber was, wenn Doktor Donaldson mir bei der Arbeit zuschauen möchte?“

„Wird sie nicht. Der Doktor hat in zehn Minuten Mittagspause und diese verbringt sie immer mit ihrem Ehemann, der in der Nähe einen Buchladen leitet.“
 

Natürlich behielt Harry Recht und nach einer kurzen Begrüßung tauschte die Gerichtsmedizinerin den Laborkittel gegen einen leichten Sommermantel. „Aber nichts kaputt machen“, rief sie den beiden Männern noch zu, dann war sie verschwunden.

„Detective Inspector? Reichlich beeindruckend, Potter“, sagte Blaise, kaum dass die Schritte im Gang verhallt waren.

„Der Name ist Porter und vielen Dank. Ich habe mir einen Posten ehrlich erarbeitet.“

„Was soll der Blödsinn? Willst du hier allen Ernstes Theater spielen? Kostbare Zeit damit vergeuden, so zu tun, als wüsste ich nicht, wer du bist, und als wüsstest du nicht, wer ich bin?“

„Was tut das zur Sache? Wir sind hier wegen wenigstens zweier kopfloser, grüner Leichen, von der eine ein Hauself war.“

„Was das zur Sache tut? Eine Vertrauensbasis schaffen? Eine Basis, auf der es sich besser mögliche Theorien diskutiert, die hoffentlich zur Lösung dieses Falls führen? Ehrlich, ich habe wenig Lust, ständig einen Teil meiner Gehirnzellen dazu abzukommandieren, mich ständig daran zu erinnern, dass ich ja nicht wissen darf, wer mein Gegenüber ist“, erklärte Blaise. Sicher, er hatte nicht erwartet, dass sie sich nach all den Jahren wie verlorene Brüder freudig in die Arme fallen würden – dazu hatten sie sich während der Schulzeit einfach zu wenig gekannt, abgesehen davon, dass Harry mit der Zauberwelt gebrochen hatte und vermutlich alles andere als begeistert war, jetzt mit einem Vertreter selbiger Gesellschaft zusammenarbeiten zu müssen –, aber er hatte nicht erwartet, dass Potter sich so gegen die Wahrheit sperren würde.

„Wenn du dir solche Gedanken um deine Gehirnzellen machst, Zabini, kann es ja mit deiner Denkleistung nicht weit her sein“, erwiderte Harry sarkastisch.

„Nur für dich und dein Weltverständnis: Ich weiß seit der Hauselfe, dass du unser Kontakt bei der Polizei in London bist. Hat dich deshalb seither jemand von unserer Seite des Zauns belästigt? Nein. Willst du wissen wieso? Weil ich es niemandem gesagt habe. Es war deine Entscheidung, auszusteigen, und das respektiere ich. Aber im direkten Kontakt möchte ich nicht so tun müssen, als hätte ich es mit einem Doppelgänger zu tun oder so...“

Jetzt war Harry wirklich verblüfft. Zabini sollte all die Wochen gewusst haben, wo er war? Und hatte nichts gesagt? „Was glaubt man dann, wer der Kontakt bei der Polizei ist?“

„Ein ehemaliger Mitarbeiter der Spezialeinheit, die für den Schutz des Premierministers zuständig ist. Denn der Premierminister weiß natürlich von seinem magischen Widerpart. Also ist es möglich, dass dort ein winziges Leck entstanden ist und so ein Muggel mehr Wissen über unsere Gesellschaft hat, als allgemein üblich, zumal du freundlicherweise in deinen Briefen immer ein paar offensichtliche Nichtwissensfehler eingestreut hast.“

Hier grinste Harry. „Hey, es macht Spaß, alles zu wissen und dann einen auf unwissend zu spielen.“

„Das glaub ich dir sogar“, erwiderte Blaise. „Wie sieht es nun aus, bekennst du dich zu deiner Identität, zumindest wenn wir unter uns sind, oder beharrst du weiterhin auf diesem Possenspiel einer anderen Identität.“

„Meinetwegen... Aber ein Wort zur magischen Presse und ihr seit euren Kontakt hier los. Denn Muggel können sich versetzen lassen und verschwinden dann für euch unauffindbar.“

Blaise nickte nur, halbwegs zufrieden, einen Waffenstillstand mit diesem Sturkopf geschlossen zu haben.

„Also dann“, sagte Harry, offenbar entschlossen, das ganze möglichst schnell hinter sich zu bringen, und das ging am besten mit etwas Professionalität. Er ging zu der Leiche, die auf einer Rollbahre unter einem Abdecktuch lag. „Darf ich vorstellen, das neuste Opfer. Wir konnten zwar Fingerabdrücke nehmen, aber anscheinend ist er ein unbescholtener Bürger und somit in keiner Datenbank erfasst. Weshalb wir ihn noch nicht identifiziert haben. Und sein derzeit auffälligstes Merkmal – die grüne Hautfarbe – wird kaum etwas sein, das Angehörige beim Aufgeben einer Vermisstenanzeige zu Protokoll geben. Zumal ich befürchte, dass er sich die grüne Farbe erst mit seinem Tod zugezogen hat.“

„Dann hast du also eine Idee, was es mit der grünen Farbe auf sich hat?“, fragte Blaise, der die dargebotenen Fakten bislang einfach zur Kenntnis genommen hatte.

„Drücken wir es so aus, es gibt einen merkwürdigen Fall von Lebensmittelvergiftung in Wembley, der damit zusammenhängen könnte... Um es kurz zu machen, ich vermute, dass der Täter, wobei ich mich auf das Geschlecht des Täters nicht festlegen will, einen Fluch anwendet, welcher den Kopf seines Opfers in einen Kohlkopf verwandelt. Dabei färbt sich der gesamte Körper grün und am Ende fällt der Kohlkopf vom Hals, was wiederum dazu führt, dass der Mensch sofort tot ist. Im Grunde eine sehr saubere Art des Tötens...“

„Wie bitte? Du willst mir weiß machen, dass jemand bei einem Menschen den Kopf in einen Kohlkopf verwandelt, dann das Gemüse abnimmt, und voilà, wir haben eine Leiche?“

„Exakt. Denn wie sonst würdest du dir erklären, dass die vorhin erwähnte Lebensmittelvergiftung in Wembley auf einen Kohlkopf zurückzuführen ist, der aus Menschenfleisch besteht?“

„Ich glaub mir wird schlecht“, murmelte Blaise, dessen Gesicht sich farblich erschreckend der Leiche anpasste.

„Dort drüben ist ein Spülbecken“, erwiderte Harry gelassen. Er hatte oft genug Neulinge bei der ersten Autopsie gesehen, um zu wissen, wo die besten Möglichkeiten im Raum waren, wenn man sich übergeben musste.

Blaise jedoch bezwang die aufsteigende Übelkeit und blickte starr geradeaus auf die weißen Wandfliesen. Schließlich wandte er sich wieder Harry zu. „Du verarscht mich doch!“

„Keineswegs. Es klingt abstrus und wenig appetitlich, aber es passt. Sogar die Hautfarbe kann als kohlgrün eingestuft werden.“ Harrys Handy klingelte und als er auf dem Display erkannte, dass es Sergeant Smith war, entschuldigte er sich kurz bei Blaise und nahm den Anruf entgegen. „Ja... aha... was?... nein, nein, schon in Ordnung... ja, danke.“ Er steckte das Telefon wieder ein und wandte sich dann mit grimmigem Blick zu Blaise. „Meine Vermutung hat sich bestätigt, wir haben es mit einem Serienkiller zu tun. Essex, Kent, Buckinghamshire und Surrey melden ebenfalls kopflose grüne Leichen.“

„Und das tun sie erst jetzt?“, fragte Blaise verständnislos.

Harry schüttelte den Kopf. „Nein, mein Sergeant hat aber heute unsere Kontakte im Gesundheitsamt angezapft und gefragt, ob umliegende Grafschaften vielleicht ähnliche Fälle wie den in Wembley gemeldet haben. Das Gesundheitsamt ist diesbezüglich besser vernetzt, weil dort ja gegebenenfalls rechtzeitig vor Epidemien gewarnt werden muss. Polizeidienststellen halten sich da eher bedeckt. Aber nachdem die entsprechenden Gesundheitsämter rätselhafte Lebensmittelvergiftungen eingeräumt haben – wobei einzig Wembley hinreichend untersucht wurde, um das Menschenfleisch im Kohlkopf zu finden – hat der Sarge einfach gezielt die betreffenden Polizeidienststellen angerufen und nachgefragt. Wir haben also insgesamt sechs Mordopfer, wobei die Hauselfe das erste Opfer war und das hier das letzte. Und das alles innerhalb von weniger als drei Monaten.“

„Scheiße“, entfuhr es Blaise.

„Du sagst es. Und so wie es aussieht, haben wir es mit einem Killer zu tun, der reichlich einen an der Klatsche hat.“

„Trifft das nicht auf alle Serientäter zu?“

Harry zuckte mit den Schultern. „In gewisser Weise vermutlich schon. Aber dieser hier ist nicht der übliche Sexuelle-Lust-und-Frust-Verstümmelungs-Serientäter. Solchen Tätern geht es um einen Kick, sie fangen gewöhnlich mit recht großen Abständen zwischen den einzelnen Morden an und dann, gleich einem Süchtigen, brauchen sie den nächsten Kick immer schneller. Dieser Killer aber hier hat erst am St. Patricks Day angefangen, dann aber zügig weitergemordet. Also ist der Kick nicht sein Ziel.“

„Woher willst du wissen, dass die Hauselfe wirklich das erste Opfer war?“, wollte Blaise wissen. „Könnte es nicht auch sein, dass der Täter sich, wie du sagst, zeitlich steigert und wir nun leider mit der ‚Endphase’ konfrontiert sind?“

„Weshalb sollte ein Zauberer oder eine Hexe, der oder die sich zum morden entschließt von Muggeln zu einem einzigen Hauself übergehen, nur um dann wieder zu Muggeln zu wechseln? Das macht keinen Sinn. Mehr Sinn dagegen macht es, zu bedenken, dass Hauselfen von den Familien, an die sie gebunden sind, oft genug als niedere Kreatur angesehen wird. Dienstbar, ja, aber auch entbehrlich. Weshalb ich vermute, dass die Hauselfe nach einer Katze oder Niffler die erste menschenähnliche Kreatur war, an welcher der Täter den Kohlkopffluch ausprobiert hat.“

Blaise sah aus, als wollte er dieser Theorie gerne widersprechen, doch er wusste genau, dass Harry in Punkto Ansehen der Hauselfen in der Zauberwelt Recht hatte. Schließlich kam er selbst jeden Tag im Ministerium an dieser lächerlichen Statue im Foyer vorbei.

„Also schön, sechs Opfer, davon fünf Muggel. Haben sie irgendwas gemeinsam?“, wollte er wissen.

Harry seufzte. „Das wissen wir noch nicht. Aber vielleicht kannst du uns da weiterhelfen. Abgesehen davon, dass es sicherlich hilfreich wäre, zu erfahren, wie genau dieser Kohlkopffluch aufgebaut ist. Denn es wäre äußerst unvorsichtig, einen Mörder stellen zu wollen, der mit einem einzigen Zauberstabfuchteln und ein paar obskuren Wörtern den Kopf des ihn Verhaftenden in einen Kohlkopf verwandeln könnte, ohne nicht zumindest entsprechende Vorsichtsmaßnahmen zu ergreifen, damit man nicht als Gemüse endet.“

„Wieso nur habe ich mir beim Aufwachen nicht einen ruhigen Tag gewünscht?“, murmelte Blaise und näherte sich dann der Leiche. Hastig blickte er noch einmal zu den weißen Fliesen, um alle Gedanken daran, dass jemand den Kopf dieses bedauerlichen Mannes verspeist hatte, zu verbannen, dann zückte er den Zauberstab und rief sich alles, was er über Flüche, Zauber und Arithmantik noch wusste, ins Gedächtnis. Doch schon nach wenigen Sekunden gab er auf. „Zu spät“, sagte er. „Jegliche Signatur des Zaubers ist schon verloschen.“

Harry nickte nur. „Was meinst du, ob ein Fluchbrecher von Gringotts hier noch was lesen könnte?“

Blaise schüttelte den Kopf. „Grundausbildung für alle Mitarbeiter der magischen Strafverfolgung umfasst Signaturlesen. Einbruchszauber, Mordzauber, was auch immer... Da hat man es immer mit verblassenden Signaturen zu lesen, von daher wird dir da ein Gringotts-Fluchbrecher nicht weiterhelfen können. Denn auch die können nur lesbare Flüche brechen und etwa die alten Ägypter haben ihre Flüche auf Langlebigkeit ausgelegt, deshalb sind die heute noch lesbar. Für den Mörder aber reicht es aus, wenn der Fluch lange genug anhält, um den Kopf vom Körper zu trennen.“

„Schade...“

„So frustrierend es klingt, wir werden den Fluch nicht analysieren können, solange wir keine frische Leiche bekommen. Aber wenn du willst, kann ich mir von den Zauselköpfen der Zauberkunstabteilung einen Refresherkurs geben lassen, wie man Signaturen am besten zur Analyse aufschreibt oder anderweitig aufnimmt, so dass du keinen weiteren Ministeriumsmitarbeiter hier dulden musst.“

„Dafür wäre ich dir in der Tat sehr verbunden“, gestand Harry. „Ansonsten, wenn es dazu ein passendes Lehrbuch oder so gibt, kannst du es mir schicken und ich arbeite mich auch in die Materie ein. Für den Fall, dass die Signatur so schnell verblasst, dass ich keine Chance habe, dich zu benachrichtigen.“

Schritte im Gang zeigten ihnen an, dass Doktor Donaldson zurückkehrte. Ohne, dass Harry etwas sagen musste, steckte Blaise augenblicklich seinen Zauberstab ein.

„Und, wie steht es an der Schädelrekonstruktionsfront?“, fragte die Gerichtsmedizinerin gutgelaunt.

„Kann ich erst sagen, wenn ich alle Notizen, die ich mir gemacht habe, ausgewertet habe“, sagte Blaise ausweichend und unverbindlich.

„Wie sieht es aus, darf ich Sie noch zu einem Mittagessen einladen?“, fragte Harry, nun wieder ganz in der Rolle des Detective Inspectors, der dem forensischen Anthropologen förmlich, aber höflich begegnete. „Ich kenne da ein nettes, kleines Lokal, das ausgezeichnetes ‚Bubble and Squeak’ serviert.“

Blaise sah ihn an, als könne er nicht glauben, dass Harry nach allem, was er ihm erzählt hatte, Appetit auf ein Gericht mit Kohl hatte. Dennoch blieb er in seiner Rolle und nickte. Ebenso höflich antwortete er: „Gerne doch.“

Draußen im Gang sagte Harry leise mit einem Grinsen: „Keine Sorge, es gibt auch noch andere Dinge außer ‚Bubble and Squeak’ und ich weiß auch, dass sie heute garantiert nichts mit Kohl auf der Karte haben. Noch nicht mal im ‚Bubble and Squeak’. Abgesehen davon gibt es da einen ruhigen Tisch, wo wir ganz ungestört reden können.“

Überrascht sah Blaise ihn an.

„Das Lokal gehört meinem Cousin und einem Freund von ihm. Ich bin dort Stammgast und sie wissen, dass ich meine Ruhe haben will.“

„Dein Cousin? Nachdem, was die anderen gesagt haben, würdest du dich nicht mal tot freiwillig mit ihm unterhalten“, murmelte Blaise. „Und dass das Ganze auf Gegenseitigkeit beruht.“

Harry lächelte geheimnisvoll. „Scheint, als wären deine Quellen nicht mehr auf dem Laufenden.“

V.

Das Essen verlief erstaunlich entspannt und sie ließen bald den Fall hinter sich. Nun ja, nicht ganz, aber bald drehte sich das Gespräch mehr um allgemeine Profilerstellung und wie man vielleicht das beste beider Welten darin vereinen könnte.

Blaise erkannte mit Verwunderung, dass Harry Magie an sich nicht ablehnte, sondern lediglich die magische Gesellschaft in England. Dass er aber zugleich nicht vorhatte, sie zu ändern.

„Es steht mir nicht zu, zu entscheiden, was tausende von Menschen gutheißen müssen oder nicht. Jeder hat eine Wahl, auch wenn die wenigsten es so sehen. Aber es zwingt sie niemand, in den engen Mauern der magischen Gesellschaft zu bleiben“, erklärte er.

„Aber ist es nicht schwierig, so unter den Muggeln zu leben und ständig aufpassen zu müssen?“

„Vielleicht“, erwiderte Harry achselzuckend. „Aber andererseits kann man in der Muggelwelt jede Menge obskurer Bücher lesen, die vom Ministerium als schwarzmagisch und somit verboten eingestuft würden, ohne behelligt zu werden. Es ist also letztlich mehr eine Entscheidung, auf welche Weise man sein Leben zensiert.“

„Harry Potter und schwarze Magie?“ Blaise hätte sich beinahe an seiner Cola verschluckt.

„Wissen ist Macht. Wissen über den Gegner ist Macht über den Gegner. Ich bin Polizist und als solcher habe ich eine Schusswaffe. Heißt das deswegen, dass ich losziehe und blindlings Menschen erschieße? Nein. Genauso ist es mit schwarzer Magie. Sie ist gefährlich, aber es ist der Mensch, der entscheidet, sie anzuwenden oder eben nicht. Der große böse Wolf hätte beinahe den letzten Krieg gewonnen, weil niemand aus unserer Generation wusste, was ein Horcrux ist, bis Dumbledore es für richtig befand, mir davon zu erzählen. Ein Fehler seinerseits, der von unzähligen Menschen teuer mit dem Leben bezahlt wurde. Ein Fehler von Slughorn. Ein Fehler vom Ministerium. Und willst du noch etwas wissen? Weiße Magie ist genauso tödlich. Nimm nur mal unseren Fall... Genau betrachtet, wird es sich bei dem Fluch um einen Verwandlungszauber handeln. Einen tödlichen Verwandlungszauber, aber eben nur einen Verwandlungszauber. Hast du dich jemals gefragt, wie sich die Schildkröte fühlt, die wir in der Schule in eine Teekanne verwandelt haben? Oder die Maus mit der Schnupftabaksdose? Sicher, die Zauber in der Schule waren nur temporär... und vermutlich ist es schwarze Magie, eine Verwandlung dauerhaft zu machen. Aber ohne den Verwandlungszauber bräuchten wir den schwarzmagischen Teil der Dauerhaftigkeit nicht. Und was, wenn schon eine Sekunde verwandelt sein reicht, um den Tod herbeizuführen? Ist es dann schwarze Magie? Oder weiße?“

„Reichlich abgeklärte Sichtweise“, sagte Blaise und wusste nicht, ob er Anerkennung oder Furcht vor dieser Sichtweise empfinden sollte.

„Ich habe mehr in meinem Leben gesehen, als mir lieb ist. Und auch wenn nach dem Sieg über den großen bösen Wolf viele es nicht sehen wollten, ich habe nur gekämpft, um am Leben zu bleiben. Und dafür, dass die, die mir wichtig waren, am Leben blieben. Nicht für Ruhm und Anerkennung. Nicht, weil ich die Gefahr, den Kick gesucht habe. Nicht, um aller Welt zu beweisen, was für ein mächtiger Zauberer ich bin. Ich bin kein mächtiger Zauberer. Ich hatte nur verdammt viel Glück. Und erst nachdem ich der magischen Welt den Rücken gekehrt habe, wurde mir bewusst, wie viel Glück ich hatte. Wie wenig ich tatsächlich wusste. Selbst der große böse Wolf ist über Jahre gereist, um sich das nötige Wissen anzueignen, ehe er Zauberengland terrorisiert hat. Dumbledore konnte auf das Wissen eines ganzen Lebens zurückgreifen. Und ich? Sechs Jahre Hogwarts und die Muggelgrundschule...“

„Wieso sagst du eigentlich der große böse Wolf, statt...“ Blaise zuckte zusammen, als ihm Harry einen Finger an die Lippen legte.

„Es mag zwar die Greifer nicht mehr geben, aber der Auffindezauber, der auf dem Namen liegt, wurde nie aufgehoben. Und man weiß nie, wann jemand mit wenig freundlichen Absichten über dieses Detail stolpert und zu seinen Gunsten ausnutzt.“

„Verdammt, woher weißt du so was?“, entfuhr es Blaise.

„Hat mir Kingsley verraten, als er Übergangsminister war. Als er wohl noch hoffte, ich würde Auror oder so... Wie auch immer der große böse Wolf es angestellt hat, selbst die klügsten Köpfe im Ministerium haben den Auffindezauber nicht aufheben können. Und zum Glück auch nicht reproduzieren können.“

„Oder so... Sie hatten dich schon als den übernächsten Zaubereiminister gesehen.“

„Nicht den nächsten?“

Blaise schüttelte den Kopf. „Einen Minister dazwischen, damit du die Gelegenheit hast, zu lernen, was man als Minister macht und was besser nicht. Keine Ahnung, welchen Trottel man dir als Vorbild oder Nicht-Vorbild vor die Nase gesetzt hätte. Aber du musstest ja eigene Pläne haben. Wieso eigentlich?“

„Wieso ich die Zauberwelt verlassen habe?“, fragte Harry unbehaglich.

Blaise nickte.

„War nicht mein Ding. Ich mein, klar, zuerst fand ich alles toll. Und ich rede hier von Hogwarts, die ersten paar Wochen. Nicht die ersten Wochen nach dem Krieg. Aber weißt du, wie bescheiden es ist, mit elf zu erfahren, dass du ein Held für die Zauberwelt bist? Zu erfahren, dass der Mörder deiner Eltern noch am Leben ist und es die Gesellschaft offenbar nicht kümmert, denn schließlich haben sie ja ein elfjähriges Kind als Helden, das schon alles wieder richten wird? Sicher, es gab auch noch den Orden und so... es haben sich nicht alle rausgehalten. Aber das war erst nachdem ich vier Jahre auf mich allein gestellt war. Vier Jahre, in denen ich dem großen bösen Wolf begegnet bin, als er unseren Geschichtsprofessor als Wirt benutzt hat, dem großen bösen Wolf in Horcrux-Jugendgestalt und einem Basilisken begegnet bin, einem Werwolf und einem angeblichen Massenmörder gegenüberstand und trotz Minderjährigkeit gezwungen wurde, an einem tödlichen Turnier teilzunehmen, an dessen Ende ich dabei helfen durfte, den großen bösen Wolf wieder vollständig ins Leben zu holen. Sicher, mit meiner kindlich naiven Neugier hab ich auch meinen Teil dazu beigetragen. Aber weißt du, was bei all diesen Episoden am meisten wehgetan hat? Der Neid und die Abscheu in den Gesichtern meiner Mitschüler. Die Genugtuung, wenn Dinge nicht gut für mich liefen. Die Bereitwilligkeit, mit der die Gesellschaft einer flotten Schreibfeder Glauben schenkt, statt mit den eigenen Augen zu sehen. Irgendwann fängt man dann an sich zu fragen, ob man in diesem weiten Meer von ausdruckslosen Gesichtern überhaupt wahre Freunde hat.“

„Was ist mit Ron und Hermione?“

„Nett zu hören, dass du von ihnen mit Vornamen und nicht mit Nachnamen sprichst.“

„Ein paar Jahre Abstand von Hogwarts können viel bewirken. Zumindest bei denjenigen, die sich entschließen erwachsen zu werden“, gab Blaise nonchalant zurück, sah Harry dann aber fragend an.

„Ron und Hermione... sie waren das, was wahren Freunden am nächsten kam. Aber sie haben mich nie so gebraucht, wie ich sie. Und ich weiß nicht, ob unsere Freundschaft Friedenszeiten überlebt hätte. Solange Gefahr bestand, hat Ron es meist geschafft, seine unsinnige Eifersucht auf mich zu bezwingen. Und solange Gefahr bestand, war Hermione bereit, ihre Obrigkeitshörigkeit zu unterdrücken. Aber wie sähe es jetzt aus? Ich wäre immer noch der Held der Zauberwelt, nach deinen Worten zu schließen, vielleicht sogar schon Zaubereiminister. Was kaum dazu beigetragen hätte, Rons Eifersucht zu mindern. Und Hermione... kannst du dir vorstellen, wie es wäre, wenn meine beste Freundin in mir das Heil der Welt sieht, bloß weil ich das höchste politische Amt in Zauberengland bekleide?“

Bei dem geistigen Bild von einer Hermione, die gleich dem Hauselfen von der Springbrunnenstatue Minister Harry Potter anbetete, musste Blaise laut lachen. „Okay, vielleicht nicht“, gestand er schließlich und wischte sich eine Lachträne aus den Augen. „Aber selbst wenn eure Freundschaft nicht in der gleichen Stärke fortbestanden hätte, du hättest neue Freunde gefunden, dir auch in unserer Gesellschaft ein neues Leben aufbauen können.“

„Weißt du, was die Reaktion war, als ich jemandem von einem Aspekt erzählte, wie dieses neue Leben aussehen müsste? Totale Ablehnung. Regelrecht hysterische Ablehnung. Vehemente Beteuerung, dass ich das nicht machen könnte. Und da hat es mir gereicht. Es hat mir ein für alle mal gezeigt, dass die Zauberwelt gar nicht an mir als Person interessiert war, sondern nur an mir als ihrem Helden. Und wenn ich nicht der Wunschvorstellung ihres Harry Potters entsprochen habe, war flugs eine flotte Feder zur Hand, die den allgemeinen Unmut zu Papier brachte und die Zeitungen haben sich darum gerissen, diesen Ramsch auch noch zu drucken.“

„Autsch!“, murmelte Blaise. „Was wolltest du denn in deinem Leben ändern, dass die betreffende Person so ausgeflippt ist?“

„Erzähl ich dir ein andermal. Vielleicht“, meinte Harry und signalisierte Peter, dass er zahlen wollte.

VI.

Blaise schaffte es tatsächlich ein brauchbares Buch über die Aufzeichnungsmethoden magischer Signaturen aufzutreiben und Harry zukommen zu lassen. Doch obwohl dieser sich sofort in die Materie vertiefte und an ein paar einfachen Haushaltszaubern die verschiedenen Notationen übte, brachte es ihnen in Punkto Serienkiller wenig. Denn gleichwohl der Mörder das Morden nicht ließ, schafften sie es nie, früh genug über einen entsprechenden Leichenfund informiert zu werden, um die Signatur zur Gänze aufzunehmen. Bei einer Leiche in Kent war die Signatur schon gänzlich verblasst und bei einer weiteren Leiche in Essex, obwohl sie dort früher gerufen worden waren als in Kent, wies die Signatur bei ihrem Eintreffen bereits deutliche Lücken auf.

Dennoch war es die Leiche in Essex, die sie einen entscheidenden Schritt weiterbrachte. Denn es war die erste Leiche, die identifiziert wurde. Denn dieser Mann hatte einen Verlobungsring an der linken Hand getragen und keine vierundzwanzig Stunden später meldete eine junge Frau ihren Verlobten als vermisst. Die Gravur auf der Innenseite des Rings, sowie die Beschreibung eines Tattoos in Gestalt eines kleinen Leguans, dessen eines Auge einen Leberfleck kaschierte, vervollständigten die Identifizierung.

Da dieses letzte Opfer als einziges ein Tattoo aufgewiesen hatte, schied dieser Körperschmuck als mögliche Verbindung der einzelnen Opfer zueinander aber leider aus.

„Und was, wenn die anderen Leichen auch verlobt waren, aber keine Ringe trugen?“, fragte Sergeant Smith in die allgemeine Mittagsrunde, die sich eingefunden hatte, um bei Sandwiches den aktuellen Stand der Ermittlungen zu diskutieren. Eine Runde, zu der sich auch immer häufiger Blaise gesellte, und der nach anfänglichem Zögern, aber aufgrund von Detective Inspector Porters Wohlwollen akzeptiert wurde.

Archibald Smith sah noch in dem Moment, da er die Worte ausgesprochen hatte, aus, als wollte er sie am liebsten wieder zurücknehmen und zog schon mal vorsichtshalber den Kopf ein, falls einer seiner Kollegen diese Frage für so idiotisch hielt, dass er ihn mit einem Salatblatt oder einer Gurkenscheibe bewerfen wollte. Doch die Gemüsegarnierung blieb aus, denn der Inspector hatte abwägend den Kopf leicht zur Seite geneigt. „Gar keine so üble Idee, Sarge. Ist schließlich durchaus möglich, dass die Männer es nicht so mit Schmuck hatten.“

„Und Verlobungsringe für Frauen können leicht ein halbes Vermögen kosten“, warf Blaise ein. „Rechnet man dann noch Trauringe und Hochzeitsfeier dazu, kann man schnell pleite gehen.“

„Das klingt, als hättest du persönliche Erfahrung damit“, neckte Harry ihn, doch in seinen Augen glomm ein winziger Funke auf, der fast wie Angst aussah. Hatte Harry Angst, Blaise könnte verheiratet sein? Obgleich Blaise und Harry mittlerweile in regelmäßigem Kontakt standen, nicht zuletzt um sich gegenseitig beim Erlernen der Notationen zu helfen, hatten sie nie über ihr Privatleben gesprochen. Vom Liebesleben ganz zu schweigen.

„So oft wie meine Mutter verheiratet war...“, erwiderte Blaise grinsend. Er hatte einige der Verlobungsklunker gesehen, die seine Mutter im Laufe der Zeit getragen hatte. Und Schmuck war Schmuck, egal ob der Juwelier Magier oder Muggel war, die Rohstoffe wurden am Weltmarkt gehandelt und die Preise waren entsprechend hoch.

„Also dann, lasst es uns versuchen. Gehen wir die Vermisstenanzeigen nach Verlobten durch“, sagte Harry und beendete die Mittagsrunde.
 

Sie sollten tatsächlich vier vermisste Verlobte finden, auf die die allgemeine Beschreibung in der Vermisstenanzeige bezüglich der entsprechenden Leichen passte und alle konnten tatsächlich von ihren Verlobten anhand kleinerer Körpermerkmale oder Alltagsgegenständen, die DNS oder verwertbare Fingerabdrücke enthielten, identifiziert werden. Ließ man die Hauselfe außen vor, so waren zwar fünf der sieben menschlichen Leichen im Begriff gewesen, zu heiraten, aber das war als Zusammenhang zu dürftig. Zumal es eben nicht auf alle Leichen zutraf.

An diesem Mittag hatten Harry und Blaise sich von der restlichen Truppe abgesetzt, um in einem nahe gelegenen Park ihre Sandwiches zu essen, die Sonne zu genießen und – das war weit wichtiger – ungestört über den Fall zu reden. Mit all seinen Einzelheiten. Denn da Harrys Kollegen bei der Polizei nicht alle Fakten kannten, bestanden sie immer noch darauf, dass auch die erste Leiche irgendwie in die Reihe passen musste. Dass die Hauselfe sehr wohl in die Reihe passte – nämlich als Versuchskaninchen – wussten somit nur Harry und Blaise.

„Zu blöd aber auch, dass die Spur mit den Heiratswilligen auch im Sand verlaufen musste“, grummelte Harry und zerknüllte die Zellophanfolie, in der das Sandwich eingewickelt gewesen war.

„Man kann es auch positiv sehen“, versuchte Blaise gegen die aufsteigende Frustration zu argumentieren.

„Und wie bitte?“, wollte Harry wissen. Er hatte keine Lust, demnächst schon wieder eine grüne Leiche zu sehen. Wenn das so weiterging, verging ihm noch gänzlich der Appetit auf Salat und gerade ein schönes Rumpsteak mit einem leckeren Salat dazu war in den letzten Jahren zu seinem Leibgericht geworden.

„Denk nur an all die verlobten Pärchen, die um ihr Leben fürchten müssten, wenn das tatsächlich das Verbindungsglied wäre. Denn irgendwann werdet ihr vor die Presse treten müssen. Der Mörder wird nicht so einfach aufhören.“

„Hip, hip, hurra für alle Heiratswilligen“, grummelte Harry alles andere als begeistert.

„Auch für dich ist es positiv... stell dir nur vor, wie es wäre, wenn die gesamte Londoner Polizei alle Kirchen und Standesämter bewachen müsste, um sicherzustellen, dass die dort stattfindenden Trauungen nicht von einem kohlwütigen Massenmörder gestört werden.“

„Okay, der Punkt geht an dich.“

„Und dann sind da nicht zuletzt Ron und Hermione. Sie wissen zwar nicht, dass ihr Leben in Gefahr ist, und du magst auch nichts mehr mit ihnen zu tun haben, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass du Hermione einen grünen, kopflosen Ron wünschst.“

„Dann haben sie sich also endlich entschlossen zu heiraten?“, fragte Harry nebensächlich. Ehrlich gesagt hatte er erwartet, dass die beiden schon längst den Bund fürs Leben geschlossen hatten. Vielleicht sollte er ihnen ein Hochzeitsgeschenk schicken. Er müsste nur zuschauen, dass es irgendwas Unpraktisches aus der Mongolei oder so wäre, damit sie nicht wüssten, dass er in London weilte. Immerhin waren sie mal seine besten Freunde gewesen.

„Ende des Jah...“ Blaise brach ab und schlug sich mit der Hand gegen die Stirn. „Ich bin so ein Vollidiot! So ein hirnloser Vollidiot!“

„Herzlichen Glückwunsch zu dieser Selbsterkenntnis“, gratulierte Harry spöttisch. „Aber womit habe ich diese zweifelsohne korrekte Einschätzung deiner Persönlichkeit verdient?“

„Harry, du bist ebenso ein Vollidiot!“, sagte Blaise, warf den Rest seines Sandwichs in den nahe gelegenen Papierkorb und zog Harry dann am Arm von der Bank hoch. „Wir haben nicht alle Vermisstenanzeigen überprüft! Was, wenn die nicht identifizierten Leichen sehr wohl verlobt waren, aber die Bräute bei einer anderen Institution die Vermisstenanzeige aufgegeben haben? Was, wenn diese nicht identifizierten Männer mit Hexen verlobt waren?“

Sekundenlang starrte Harry Blaise sprachlos an, doch er wusste, dass dieser Recht hatte. Sie hatten magische Hochzeiten vollkommen außer Acht gelassen. „Verdammt!“, stieß Harry, erbost über die eigene Dummheit, hervor. Doch im nächsten Moment hellte sich seine Miene wieder auf. „Die Zeitungen! Klar... Blaise, gibt es im Tagespropheten auch eine Rubrik mit Familienanzeigen? Wo Familien Geburten, Taufen, Hochzeiten, Jubiläen und Todesnachrichten veröffentlichen können?“

„Sicher“, erwiderte Blaise, der noch nicht ganz wusste, worauf Harry hinaus wollte. „Haben sie schon immer. Und damit haben sie auch nach dem Krieg nicht aufgehört. Aber das sollte dir doch bekannt...“

Harry unterbrach ihn mit einem Kopfschütteln. „Ich hab immer nur die Schlagzeilen bezüglich des großen bösen Wolfs gelesen und den Rest ignoriert. Bei den übrigen Seiten war nämlich die Gefahr viel größer, über Berichte über mich zu stolpern. Und das braucht man sich nun wirklich nicht zu geben.“

Blaise grinste. „Wie etwa gefälschte Todes- oder Verlobungsanzeigen über sich selbst?“

„Erinner mich bloß daran nicht...“, stöhnte Harry.

Blaise sah ihn überrascht an. „Was, gab es tatsächlich eine gefälschte Todesanzeige über dich?“

„Schlimmer, eine gefälschte Verlobungsanzeige. Genauer gesagt, ein Interview mit der glücklichen Braut auf der Titelseite, weshalb ich es gesehen habe. War die letzte Ausgabe des Tagespropheten, die ich gelesen habe – an dem Tag, als ich der Zauberwelt den Rücken gekehrt habe.“

„Hö? Muss mir entgangen sein. Aber gut, ich war zu der Zeit auch mit meiner Mutter in Italien... Wer war denn die Glückliche?“

„Ginny Weasley!“ Harry spie den Namen förmlich aus.

„Ginny Weasley?“

„Wir waren während meines sechsten Hogwartsjahres kurz zusammen. Aber wir haben uns getrennt, ehe ich auf Horcruxjagd gegangen bin. Eine Weile haben wir beide wohl geglaubt, dass wir wieder zusammenkämen, wenn der Krieg erst vorbei ist. Aber während der Zeit, fern von all den gesellschaftlichen Erwartungen und den kichernden Mädchenhorden ist mir klar geworden, dass Ginny und ich nie wieder ein Paar sein werden. Dass ich nämlich viel mehr auf Männer stehe. Nicht Ron, damit du nicht auf falsche Gedanken kommst. Aber wenn man Nacht für Nacht sich mit den Gedanken an gut gebaute, männliche Quidditchspieler ablenkt, bis man schließlich einschläft, sollte einem das zu Denken geben. Und zum Denken hatte ich ebenfalls genug Zeit, weshalb am Ende des Krieges für mich feststand: Meine nächste feste Beziehung wird mit einem Kerl sein. Ginny hat das natürlich ganz anders gesehen. Sie hat mich regelrecht verfolgt und als ich schließlich nicht anders konnte, als ihr klipp und klar die Wahrheit ins Gesicht zu sagen, ist sie vollkommen ausgeflippt. Aber so richtig. Mit hysterischen Kreischattacken und jeder Menge unschöner Worte. Hätte mich nicht gewundert, wenn sie dann den melodramatischen Weg eingeschlagen hätte, und mir mit ihrem Selbstmord gedroht hätte, für den Fall, dass ich mich nicht bereiterklärte, sie zu heiraten. Stattdessen hat sie versucht, öffentlichen Druck auf mich auszuüben. Sie wusste aber nicht, dass mir die Öffentlichkeit zu dem Zeitpunkt schon längst bis sonst wohin stand... Und so war dieses Interview, in dem sie aller Welt von einem ultra-kitschigen Heiratsantrag, der in der Realität so niemals hätte durchgeführt werden können – aber hey, ich bin Harry Potter, ich krieg auch so was hin, selbst wenn ich dafür die Sonne im Westen aufgehen lassen muss –, erzählte, nur noch der letzte Tropfen, der in dem eh schon überlaufenden Fass kaum mehr einen Unterschied machte.“

„Autsch!“, erwiderte Blaise. „Aber das erklärt auch, wieso Ginny Weasley bei der erstbesten Gelegenheit einen französischen Zauberer – ich glaub, ein entfernter Cousin ihrer Schwägerin Fleur – geheiratet hat und nach Frankreich verschwunden ist.“

„Ich wünsche ihr jedenfalls Glück für ihr Leben“, sagte Harry abschließend.

„Und?“, fragte Blaise, der die Neugier nicht ganz unterdrücken konnte. „Was wurde aus der nächsten festen Beziehung, die mit einem Kerl sein sollte?“

„Frag mich das, wenn es soweit ist“, erwiderte Harry achselzuckend, obwohl in seinen Augen Unbehagen zu lesen war.

„Was?“ Ungläubig sah Blaise ihn an. „Keine Beziehung in all den Jahren? Was ist mit der Muggelwelt los? Sind die Kerle alle blind? Oder ist Homosexualität ein derartiges Tabuthema?“

Harry musste wider Willen lachen. „Kein Tabuthema im eigentlichen Sinne mehr, aber es ist immer noch nichts, womit man außerhalb einer sogenannten Szene hausieren geht. Aber im Vergleich zu wohl noch vor zehn oder zwanzig Jahren haben sich die Verhältnisse deutlich normalisiert. Und blind ist die Männerwelt wohl nicht – nebenbei, danke für das versteckte Kompliment, dass ich zumindest nicht wie ein Oger aussehe –, aber leider Gottes hat mir meine Jugendzeit eine gewisse Paranoia mitgegeben... Ehrlich, mir fehlt nur noch ein magisches Auge und Mad-Eye Moody wäre stolz auch mich.“

„Okay, das ist nachvollziehbar“, meinte Blaise. „Zumal bei dir ja noch mit hineinspielt, dass du bei einer Beziehung mit einem Muggel immer aufpassen müsstest, nicht zu zaubern oder so. Meine Mutter hat den Fehler mal gemacht. War die kürzeste und katastrophalste Ehe... Ihr damaliger Gatte ist vor schierem Entsetzen ernsthaft aus dem vierzehnten Stock des Hotels, in dem sie sich für die Flitterwochen eingemietet hatten, gesprungen. Der Ergebnis kannst du dir sicher vorstellen.“

„Autsch! Und deine Mutter hat ihm nichts gesagt?“

„Sie wollte... aber dann ist ihr die lästige Angewohnheit ihr Haar per Zauberstab zu frisieren zuvor gekommen. Und glaub mir, den Zauberstab meiner Mutter kann man nicht mal eben als Lockenstab oder so schönreden...“

„Und wie steht es mit dir?“, wollte Harry nun wissen. „Gibt es da keine Sekretärin, die sehnsuchtsvoll schmachtend darauf wartet, dass du endlich wieder die Mittagspause mit ihr statt mit der Londoner Polizei verbringst?“

Blaise schüttelte amüsiert den Kopf. „Keine Sekretärin. Und auch sonst kein weibliches Wesen. Geht mir da ähnlich wie dir, ich ziehe Männer vor, aber auch da wartet derzeit keiner auf meine Anwesenheit in der Mittagspause. Doch sag mal, wenn du jetzt ja keine Möglichkeit mehr hast, dir einen knackigen Quidditchspieler zu angeln, welchen Sportlern kann man in der Muggelwelt denn so hinterhersabbern?“

Harry lachte laut über die flapsige Art, mit der Blaise darüber sprach. „Sagen wir so... Wenn du auf knackige Waden stehst, wären Fußballspieler dein Typ. Wer mehr ein breites Kreuz und schmale Hüften ohne zu viel Muskel mag, für den wären Schwimmer was. Wenn du oben rum mehr Muskeln möchtest, sind es die Geräteturner, und wer allgemein auf Muskeln steht, ohne dass es zu übertrieben wirkt, für den sind Ruderer das optimale Terrain.“

„Und was, wenn man mehr so den Typ Quidditch-Sucher im Kopf hat.“

Jetzt sah Harry Blaise prüfend an. War dieser Kommentar auf ihn gemünzt? Oder nur eine allgemeine Typenbeschreibung? „Der drahtige Typ? Golfspieler oder Motorsportler.“

„Und da soll noch mal einer sagen, du hättest dein Umfeld nicht ausgekundschaftet. Paranoia hin oder her.“

Harry zuckte mit den Schultern. „Mein Cousin ist zwar heute schlanker als je zuvor, aber mit Sport kommt er allenfalls per Fernsehfernbedienung in Berührung. Um aber bei seinen Gästen mitreden zu können, sind Nachrichten und Sportfernsehen ein Muss. Ich kann vermutlich von Glück reden, dass seine Gäste nicht auch noch über Synchronschwimmen reden.“

„Wieso, gibt es da keine hübschen Kerle?“

„Da gibt es gar keine Kerle. Ist neben rhythmischer Sportgymnastik meines Wissens nach die einzige olympische Disziplin, wo nur Frauen zugelassen sind.“

„Also kein gutes Fernsehprogramm für jemanden wie uns.“

„Du sagst es.“

„Juckt es dich nicht manchmal doch, mal wieder ein Quidditch-Spiel zu sehen? Oder auf einem Besen zu fliegen?“

Harry grinste verschlagen. „Wer sagt, dass ich nicht hin und wieder fliege?“

„Aber nicht hier in London?“

„Nein, nicht in London. Aber wenn wir irgendwo richtig dicken Nebel kriegen und mich die Ratte beißt, dann apparier ich an die entsprechende Küste und flieg im Nebel.“

„Im Nebel? Bist du vollkommen verrückt? Weißt du, wie viele Zauberer und Hexen sich dabei schon so hoffnungslos verirrt haben, dass sie nicht mal mehr nach Hause apparieren konnten?“ Blaise sah Harry fassungslos an.

„Schon mal was von GPS gehört? Gibt es sogar als Armbanduhr. War zwar im Verhältnis sauteuer, aber die Anschaffung hat sich gelohnt. Zumal diese Outdoor-Uhren gehen alle möglichen Wettereinflüsse geschützt sind, was eine hinreichende Abschirmung gegen Magie darstellt.“

Blaise hatte keine Ahnung, was GPS war, wollte sich aber vor Harry keine Blöße geben. Stattdessen beschloss er, es später zu recherchieren. Bei dem Gedanken fiel ihm ein, dass er ja etwas ganz anderes hatte recherchieren wollen, ehe sie sich so verquatscht hatten. Also verabschiedete er sich rasch von Harry und versprach, sich bei ihm zu melden, wenn er etwas im Ministerium bezüglich der übrigen Vermissten herausgefunden hatte.

VII.

Wieder an seinen Schreibtisch zurückgekehrt, verbannte Harry rigoros alle Gedanken an Blaise. Was nicht ganz einfach war, hatte ihm doch das Gespräch in der Mittagspause einiges zu Denken gegeben. Hatte er Blaises Fragen falsch oder richtig interpretiert? Hatte dieser durch die Fragen so etwas wie Interesse an ihm bekunden wollen oder doch nicht? Und wenn ja, wollte Harry dieses Interesse überhaupt? All das waren Fragen, für die er jetzt keine Zeit hatte. Denn nachdem Blaise sich von ihm verabschiedet hatte, war Harry wieder seine Schlussfolgerung mit der Zeitung in den Sinn gekommen.

Er zweifelte keine Sekunde daran, dass Blaise im Ministerium die fehlenden Vermisstenanzeigen über zwei Verlobte finden würde und die entsprechenden Hexen auch die letzten beiden Opfer identifizieren konnten. Weshalb er sich also der Frage widmen konnte, wie der Mörder auf seine Opfer aufmerksam wurde. Und da war seine erste Vermutung, dass es irgendwie mit den Familienanzeigen in den Zeitungen zusammenhing. Vielleicht hatte er ja Glück und alle fraglichen Muggelpaare hatten ihre Anzeige in der selben Zeitung aufgegeben. Andererseits würde das wiederum bedeuten, dass der Mörder entweder muggelgeboren, Halbblut oder zumindest ein ausgeprägtes Interesse an der Muggelwelt hatte. Aber darüber konnte er sich Gedanken machen, wenn er wusste, ob die Idee mit den Zeitungen richtig war.

Also rief er zuerst bei den großen Zeitungsverlagen wie der Times an, und bat sie, zu überprüfen, ob bestimmte Personen bei ihnen eine Verlobungsanzeige aufgegeben hatten. Doch alle diese Anfragen kamen ohne Ergebnis zurück. Also ließ er sich eine Liste von Regional- und Lokalzeitungen der Grafschaften, in denen es zu Leichenfunden gekommen war, geben, denn er vermutete, dass das Londoner Opfer oder dessen Verlobte Verwandte in einer der Grafschaften hatte, und eine entsprechende Anzeige dann dort aufgegeben worden war.

Tatsächlich fanden sich nach scheinbar endlosen Anrufen, die sich von Regionalzeitungen zu Lokalzeitungen und dann zu regelrechten Käseblättchen ausweiteten, immerhin drei Verlobungsanzeigen. Und Blaise hatte inzwischen eine Nachricht geschickt, die bestätigte, dass sie auf der richtigen Spur waren. Die letzten beiden nicht identifizierten Opfer waren mit Hexen verlobt gewesen und Blaise hatte auf gezielte Nachfrage hin erfahren, dass diese auch eine entsprechende Anzeige im Tagespropheten aufgegeben hatten. Machte fünf Anzeigen.

„Sergeant Smith!“, brüllte Harry aus seinem Büro, dem soeben eine Idee gekommen war.

Gleich darauf kam Archibald Smith in das Büro des Detective Inspectors.

„Sarge, könnten Sie bitte den Hintergrund der identifizierten Opfer und ihrer Verlobten durchleuchten? Nichts Großartiges, es geht mir nur darum, ob einer von ihnen vielleicht Familie in einem anderen Teil Englands hat.“

„Ich dachte, die Theorie für die Verlobten hätten wir schon aufgegeben“, sagte Smith verwundert.

„Jetzt ist sie wieder im Rennen. Mr. Zabini hat sich daran erinnert, dass manche Menschen, besonders solche mit Migrationshintergrund und anderen Religionen zugehörig, nicht immer bei der Polizei ihre Angehörigen als vermisst melden, sondern bei der Ausländerbehörde oder bei dem entsprechenden Gemeindevorsteher. Er hat über ein paar Kollegen von sich ein paar Drähte angezapft und herausgefunden, dass die beiden noch nicht identifizierten Opfer mit Inderinnen verlobt waren, die über ihren Tempel die Vermisstenanzeige aufgegeben haben.“ Innerlich tat Harry allen in England lebenden Indern und Hindus für dieses Märchen Abbitte, aber es war das einzige, was ihm auf die Schnelle einfiel, das seinen Sergeant überzeugen konnte. „Mr. Zabini regelt gerade die Formalitäten, damit die Leichen auch offiziell identifiziert werden.“

Smith nickte akzeptierend. „Und nun wollen Sie...?“

„Ja“, unterbrach Harry ihn ungeduldig. „Denn auch wenn wir jetzt eine Gemeinsamkeit gefunden haben, müssen wir noch klären, wie der Mörder auf seine Opfer aufmerksam geworden ist. Und das am besten, bevor wir die nächste grüne kopflose Leiche in der Pathologie liegen haben.“

Sergeant Smith wusste, dass jedes weitere Wort Zeitverschwendung war, wenn sein Chef so drauf war. Das war nämlich sein ‚Bewegen Sie sich, es brennt’-Tonfall.
 

Als Sergeant Smith seinem Vorgesetzten am nächsten Tag die Ergebnisse seiner Recherche präsentierte, war er nicht sicher, ob diese enthielten, wonach der Detective Inspector gesucht hatte.

„Fabelhaft, Smith! Ich wusste, dass ich mich auf Sie verlassen kann.“

Der Sergeant wusste zwar nicht, was an seinen Ergebnissen so fabelhaft war – immerhin ließen sich die Paare nicht auf eine Grafschaft festlegen, sondern hatten Verwandte in ganz England –, aber es tat gut zu hören, dass der Detective offenbar etwas damit anfangen konnte.

„T...“ Harry unterbrach sich und setzte dann neu an. „Das wäre dann erst mal alles, Sarge. Danke.“

Sein erster Impuls war es gewesen, den Sergeant damit zu beauftragen, die Truppe zusammen zu trommeln, weil sie endlich einen guten Anhaltspunkt bezüglich des Mörders hatten. Doch das ging nicht. Der Mörder gehörte der magischen Gemeinschaft an. Zwei der Morde hingen direkt mit der magischen Gemeinschaft zusammen. Er konnte seinen Kollegen diese Details nicht erklären, aber wenn er sie ihnen vorenthielt, würden seine sonstigen Erklärungen keinen Sinn machen. Er verfluchte einmal mehr die Arroganz der Zauberwelt, mit der sie sich keine Gedanken über das Statut zur Geheimhaltung machten, sondern einfach anfingen in der Muggelwelt zu morden und er durfte den ganzen Komplikationsmüll ausbaden.

Also ging wieder einmal eine Taube ans Ministerium und eine halbe Stunde später trafen sich Blaise und Harry im Park. Doch statt, dass sie wie üblich auf einer Bank Platz nahmen, fragte Harry Blaise: „Vertraust du mir?“

„Was? Wieso?“

„Vertraust du mir? Ich will uns apparieren, und das funktioniert nur, wenn du mir vertraust. Keine Sorge, keine Nebelbank, nur meine Wohnung, aber mit der U-Bahn bräuchten wir zu lange.“

Noch immer sah Blaise Harry mit fragend hochgezogenen Augenbrauen an, nickte dann aber und griff nach Harrys Arm. „Aber wehe du zersplinterst uns.“

„Hab ich noch nie, und wenn man unter den Umständen wie im letzten Schuljahr apparieren bis zur Vergasung üben darf, verlernt man das auch nicht mehr.“

Sekunden später waren sie in einer geräumigen, nach typischer Muggelart eingerichteten Wohnung. „Setz dich“, sagte Harry und wies auf den Küchentisch. Er selbst kramte aus einem Schrank im Wohnzimmer Schreibpapier, dazu holte er seinen Laptop aus seinem Schlafzimmer. Nachdem er Blaise etwas zu Trinken angeboten hatte, setzte er sich ebenfalls und begann zu erklären.

„Das ist der Stand der Dinge: Wir haben zwei Tote in Essex und zwei Tote in Kent. Also im Osten der Stadt. Einen toten Hauself in London und eine weitere Leiche dort. Je einen Toten in Buckinghamshire und Surrey. Sieht auf den ersten Blick aus, als hätte der Täter alle Leichen hübsch rund um London und in London selbst drapiert.“

Blaise nickte.

„Für die beiden Leichen in Kent habe ich in einer Lokalzeitung eine Anzeige gefunden, beide in einer Zeitung aus dem Bezirk Gravesham. Im gleichen Bezirk gab es eine Anzeige für unseren Toten aus Buckinghamshire. In Buckinghamshire wiederum gab es keine derartige Anzeige. Aber wie sich herausstellte, stammte die Verlobte des Toten aus Buckinghamshire ursprünglich aus Kent. Ihre Eltern leben heute noch dort. Also haben sie dort eine Anzeige für ihre Tochter aufgegeben. Oder vielmehr, um den Nachbarn anzuzeigen, dass die Tochter heiratet. Was also die drei Anzeigen erklärt. Eine Leiche in Essex und die in Surrey sind im Tagespropheten als verlobt angezeigt worden. Bleiben also noch einmal Essex und die menschliche Leiche von London. Was, wenn ich dir sagte, dass die Mutter des Toten ebenfalls in Essex lebt?“

„Ja, aber Essex ist nicht Kent und umgekehrt.“

„Vielleicht nicht administrativ. Aber...“ Harry lud auf dem Rechner einen Routenplaner mit passendem Kartenmaterial. „...was, wenn die beiden Schauplätze gerade mal die Themse trennt? Und dieses Hindernis mittels Fähre überwunden werden kann?“

Sprachlos starrte Blaise auf den Monitor. Dort zeigte sich eine Route von London nach Gravesend, dem gegenüber wiederum am anderen Flussufer der kleine Ort Tilbury lag. „Du meinst...“

„Ich glaube, unser Mörder lebt in Tilbury und fährt regelmäßig nach Gravesend. Ist wahrscheinlicher als die umgekehrte Richtung. Ferner können wir wohl davon ausgehen, dass unser Mörder bereits seit mehreren Jahren als magischer Mensch unentdeckt in Tilbury oder zumindest in der unmittelbaren Nähe lebt, sprich man kennt den Täter, grüßt ihn oder sie auf der Straße, hält vielleicht beim Bäcker ein Schwätzchen oder so... Bei so einer Gelegenheit kann der Mörder sowohl vom Essex-Opfer als auch vom London-Opfer erfahren haben. Denn die Mutter des London-Opfers wohnt in Tilbury und das Essex-Opfer wurde keine zehn Meilen von Tilbury entfernt gefunden. Nicht zu weit entfernt für den örtlichen Klatsch.“

„Und was ist mit den Kohlköpfen? Die wurden doch immer in der Nähe des Leichenfundortes an ahnungslose Bürger verkauft. Zumindest nach den Lebensmittelvergiftungen zu urteilen.“

„Markttag“, sagte Harry. „Alle Morde geschahen an einem Tag, wo entweder in der betreffenden Stadt oder in der Nähe Markttag war.“

Blaise war platt. Dass sich alles so auflösen sollte... „Okay, und was nun? Ich meine, wir könnten im Flohnetzbuch nachschauen, ob jemand in Tilbury oder näherer Umgebung einen Kamin eingetragen hat. Und dann mit Auroren stürmen? Was, wenn in dem Haus mehr als eine magische Person lebt? Wer ist dann unser Mörder?“

„Wie wäre es, wenn wir einen Schritt nach dem anderen machten?“, fragte Harry. „Und was bitte ist ein Flohnetzbuch?“

„Das weißt du nicht? Ist dir nie in den Sinn gekommen, dass Kamine, die ans Flohnetz angeschlossen sind, im Ministerium registriert sein müssen? Und dass es dort entsprechend ein Buch, ähnlich wie ein Telefonbuch bei den Muggeln, gibt, wo alle Anschlüsse vermerkt sind? Gut, das Flohnetzbuch ist nicht wie das Telefonbuch allgemein zugänglich, weil es zu viele Kaminbesitzer gibt, die ihren Kamin auf diese oder jene Weise gegen unerwünschte Flohnetzkontakte gesperrt haben, aber das Registrierungsbuch gibt es dennoch.“

„Klingt logisch und nach einem guten Punkt zum Ansetzen. Und wer weiß, vielleicht haben wir Glück...“ Harrys Blick glitt in die Ferne, obgleich seine Augen nicht weiter als bis zur nächsten Wand sehen konnten. „Meinst du, der Tagesprophet führt eine ähnlich penible Liste über seine Abonnenten? Denn auch wenn wir nicht wissen, ob der Mörder einen angeschlossenen Kamin hat, wir wissen, dass er oder sie den Tagespropheten liest.“

„Gute Idee.“ Blaise schwieg einen Moment. „Harry... wenn eine dieser beiden Möglichkeiten, oder beide, zu einem eindeutigen Ergebnis führen, willst du beim Zugriff dabei sein?“

Harry überlegte kurz. Es war für ihn kein Problem, sich mit Perücke und getönten Kontaktlinsen so zu verkleiden, dass ihn nicht mal Ron und Hermione erkannten. Und irgendwie würde es ihm eine gewisse Genugtuung verschaffen, zu sehen, wie der Mörder gefasst wurde. Er nickte. „Aber nicht unmittelbar. Ich will bei den Gaffern sein. Sag mir also nur Bescheid, wann ihr wenn zugreifen wollt, damit ich dann in Tilbury sein kann.“

„Klingt gut. Und vielleicht hilfst du uns, eine gute, offizielle, muggeltaugliche Version für die Muggelpolizei für die Aufklärung des Falls zu finden...“

„Du meinst etwas, das euch sogar die Times und nicht bloß Sun und Mirror abkaufen?“, fragte Harry grinsend.

„Genau... Vielleicht bei einem gemeinsamen Abendessen?“

Dieses Mal war sich Harry sicher, dass er die Frage nicht falsch verstanden hatte.

Epilog

„Wohoo!“, rief Dudley und blickte freudig grinsend von der Zeitung auf. „Endlich kann ich wieder Kohl statt Lauch im ‚Bubble and Squeak’ verwenden. Der Kohlkopfskandal ist aufgeklärt! War wohl doch nur ein Laborfehler mit verunreinigten Küvetten.“

Harry, der in der Küche stand und das Abendessen vorbereitete, grinste nur still vor sich hin. Sie hatten beschlossen, für die Muggelwelt Kohlköpfe und kopflose Leichen getrennt zu behandeln. Die Mordserie ging demzufolge auf das Konto eines eindeutig verrückten Mannes, der im heimischen Keller heimlich Biotoxine entwickelt hatte, die er seinen Opfern injiziert hatte (daher die grüne Farbe), ehe er sie dann mit einer selbstgebauten Guillotine geköpft hatte. Die Köpfe hatte er in der Themse versenkt, so dass nur die grünen, kopflosen Leichen übrig geblieben waren. Das Ministerium für Zauberei hatte sogar in einem leer stehenden Bauernhof nahe Tilbury einen solchen Mordkeller eingerichtet, damit die örtliche Polizei etwas zu tun hatte. Natürlich fanden sich keine Blutspuren, dazu war der Mörder zu gewissenhaft gewesen und die Biotoxine waren von der zuständigen Behörde entfernt worden, ehe die Spurensicherung in den Keller durfte. Aber die Muggelpolizei hatte ihren Abschluss.

Tatsächlich war der Mörder eine Frau gewesen. Clara Aileen Coffington, ihres Zeichens eine rüstige 73jährige Witwe, Tagesprophetabonnentin und ansonsten unbescholtene Bürgerin von Tilbury. Die allerdings, solange ihr Mann Caleb am Leben gewesen war, an jedem Tag ihrer Ehe von ihrem in diesem Punkt wenig liebenswerten Gatten gezwungen worden war, ihm ‚Bubble and Squeak’ zu kochen. Und das, obwohl sie eine Hauselfe hatten, die sonst alle Hausarbeit übernahm. Nach dem Tod des Gatten hatte sie das gemeinsame Haus am Londoner Stadtrand verkauft, weil sie das Gefühl hatte, dass aus allen Poren der Wände der Geruch von Kohl strömte, der ihr im Laufe der Zeit so verhasst geworden war. Auch ihre gesamte Garderobe hatte sie erneuert, als sie nach Tilbury zog. Es schien, als hätte sie ihr altes, kohlbehaftetes Leben hinter sich lassen wollen und zu einem gewissen Grad war ihr das wohl auch gelungen. Bis zu dem Tag, an dem der Tagesprophet ein Foto von Daphne Greengrass und ihrem Verlobten veröffentlichte. Denn Randolph Howard sah tatsächlich ein wenig aus wie ihr verstorbener Ehemann bei ihrer Hochzeit. Alte Wunden brachen auf und Clara Aileen Coffington beschloss, die Bräute dieser Welt vor einem ähnlich kohlbehafteten Schicksal zu bewahren, in dem sie die Männer, die zweifelsohne nach ‚Bubble and Squeak’ verlangen würden, mit ihrem ganz eigenen Kohlkopfzauber umbrachte. Das zumindest wusste der Tagesprophet zu berichten, dessen Artikel Blaise Harry freundlicherweise zugeschickt hatte.

Der Gedanke an Blaise ließ Harry auf die Uhr blicken. Dann rief er zu Dudley hinaus: „Müsstest du dich nicht langsam fertig machen, wenn du pünktlich zu Spielbeginn bei Peter sein willst?“

Dudley streckte ihm nur gut gelaunt die Zunge heraus. „Gib es zu, du willst doch bloß die Wohnung für dich haben, damit du in Ruhe deinen Freund empfangen kannst.“

Harry grinste zurück. „Wer weiß...“



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Kommentare zu dieser Fanfic (3)

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Von:  Roter_Panda
2016-06-16T02:36:49+00:00 16.06.2016 04:36
Oh mann, die Fanfiction hat eindeutig zu wenige Kommentare! Bin vorhin auf der Suche nach einer guten HP-Fanfiction darauf gestoßen und bin mehr als begeistert! Dein Schreibstil ist total genial und herrlich sarkastisch! Und die Idee ist spitze! Besonders die Briefe von Harry - Pardon, Henry - sind wahnsinnig witzig! "An den Obertrottel der Abteilung zu Aufklärung magischer Verbrechen" - einfach herrlich!
Herzliche Grüße, Roter Panda :)
Von:  scippu
2014-08-27T21:50:42+00:00 27.08.2014 23:50
:)

Ich bin noch nicht zum Lesen gekommen, musste aber schon wegen des Titels mal kommentieren. Bubble und Squeak, du hast doch bestimmt 'Fool' gelesen, oder gehört.

Allein deswegen muss ich die Geschichte schon lesen und park sie mal bei mir in der Favoritenliste.

Von:  Kupoviech
2014-08-21T16:13:23+00:00 21.08.2014 18:13
Die Fanfiction ist einfach nur grandios. Es stimmt jedes noch so kleine Detail. Von den Gefühlen, der Gedankenwelt und dem Hintergrund der Charaktere bis hin zu der Polizei der Muggelwelt.
Es gibt rein gar nichts, was mich gestört hätte, im Gegenteil mir brennt die Frage auf der Zunge, ob du nicht noch eine Fortsetzung schreiben würdest?
Mich als Leser hättest du schon mal.

Kupo


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