The Lost get found von Ashelia (Rise of the Brave Tangled Dragon | One-Shot Sammlung) ================================================================================ Kapitel 4: Hide with all your ghosts ------------------------------------ Rapunzel erinnerte sich an alles mit beängstigender Klarheit, was ihr Leben betraf. Noch immer konnte sie das Kribbeln fühlen, als sie zum ersten Mal das Gras unter ihren Füßen gespürt hatte. Die Aufregung, als sie zum ersten Mal die Brücke zum Königreich der Sonne überquerte. Die Freude, die sie mit anderen allen teilen wollte als ihre Füße über den Dorfplatz hüpften im Takt der Musik. Das Glück, was sie empfunden hatte, als Eugene ihr in die Augen gesehen hatte, seine Hand ihre Wange striff als er ihr eine Strähne aus dem dem Gesicht strich.  Doch im Alter von 24 endete diese Glückseligkeit für sie. --- „Hast du dich verlaufen? Immerhin ist Winter... und du scheinst mehr der Frühlings-Typ zu sein.“ Dafür erntete der Wintergeist nur einen verständnislosen Blick. „Wo sollte ich denn sonst sein?“, fragte sie und stemmte die Hände in die Hüfte. Ihre verspielte und lebendige Erscheinung täuschte ihn darüber hinweg, wie verbittert und erstarrt sie sich in Wirklichkeit fühlte.  Die Jahre vergingen. Immernoch fand er sie am selben Ort als wäre es das erste Mal.  „Warum verlässt du diesen Ort nicht?“, frage er während er das Wasser zu seinen Füßen kristallisieren ließ bevor sie es wieder auftaute.  „Hier ist mein Zuhause“, antwortete sie als wäre es das normalste auf der Welt.  „Aber... da draußen ist eine ganze Welt, die wartet“, erklärte er während er aus dem Eis eine Kugel formte „Vielleicht wird irgendwo dort draußen dich jemand sehen können.“ Und da war wieder dieses bittere Lächeln auf ihren Lippen, welches sie auflegte sobald sie über sich selbst sprach. „Ich bin keine Legende, Jack. Wer soll an mich glauben, wenn es niemand hier schafft, wo mich jeder kannte? Dafür...“ war sie noch nicht lange genug tot. Sie hob ihre Hand und das Wasser begann von seiner festen Form abzuperlen bis es die stetige Strömung des Flusses erreichte. Das Bild erinnerte ihn an Tränen, wobei ihm auffiel, dass er sie noch nie hatte weinen sehen.  „Jack?“ Sein Name auf ihren Lippen erweckte seine Aufmerksamkeit. Sie hatte die Hände sinken lassen und in dem Stoff ihres Kleides vergraben während ihre grünen Augen zwischen seinem Gesicht und dem Boden wanderten. „Warum... sind wir hier?“  Er erinnerte sich daran, wie er Jahrhunderte nach einer Antwort auf diese Frage gesucht hatte, doch selbst jetzt, wo er seinen Platz in der Welt gefunden hatte, konnte er diese Frage nicht beantworten.  „Wir sind nicht lebendig, also... ist es nicht so etwas wie eine zweite Chance. Ihr Hüter sprecht immer nur davon, dass man die Kinder glücklich machen soll und das ist ja auch schön und gut“, fuhr sie fort, ihre Stimme wurde von Wort zu Wort aufgebrachter „aber was ist mit uns? Was ist mit unserem Glück?“ Beschämt sahen beide zu Boden. Jack, weil er keine Antwort auf ihre Frage hatte, und Rapunzel, dafür, dass sie nach langer Zeit endlich aussprechen konnte, was sie schon so lange beschäftigte. Steif standen sich die beiden gegenüber. Jack wollte etwas erwidern, von dem Thema ablenken, die Unbeschwertheit, die sie noch vor wenigen Minuten gehabt hatten, zurück bringen, aber es kam kein Wort über seine Lippen.  „Tut mir Leid“, seufzte sie schließlich und vergrub das Gesicht in den Händen, da ihr dieser Gefühlsausbruch doch etwas peinlich war. Sie fühlte sich so hilflos wie früher, bevor sie den Turm verlassen durfte „Ich habe kein Recht, meine Wut an dir auszulassen... Es ist nur...“ Ihre Sicht begann zu verschwimmen, aber sie würde nicht weinen. Sie hatte sich fest vorgenommen bei den Gedanken an ihr Leben nicht zu weinen. Warum begann dann gerade jetzt ihre Fassade zu bröckeln? Nur weil sie endlich jemandem gegenüber stand, der ihre Worte auch hörte?  „Eugene und ich... waren gerade wenige Jahre verheiratet. Wir... haben ein Baby erwartet, nein, wir haben ein Kind. Und es wird niemals seine Mutter kennen lernen.“ Ihre Stimme war heiser und sie glaubte an ihren eigenen Worten zu ersticken, doch sie zwang sich dazu weiter zu sprechen: „Ich kann die Wege von damals wieder und wieder gehen, ich kann an seiner Seite stehen, an ihrem Kinderbett. Ohne, dass sie jemals wissen werden, dass ich dort bin oder war.“ „Aber wenn ich mein Spiegelbild sehe, zweifel ich, ob es wirklich ist“ - dafür hasste sie ihre Haare, die ihr einst so viel bedeutet hatten; die langen Wellen, die seit ihrem Erwachen wieder ihren Rücken hinab flossen - „Es ist, als wäre... ich vor langer Zeit gestorben... und ich träume. Nur, dass mein Traum sich in einen Albtraum verwandelt.“ Jack konnte nicht sagen, dass er ihre Gefühle verstand. Den Teil der Einsamkeit, ja, aber von seinen Liebsten nicht mehr wahr genommen zu werden? 300 Jahre wusste er nicht, dass er eine Familie, ein Leben vor Jack Frost, gehabt hatte. Und nach der Erkenntnis waren ihm nicht einmal mehr Gräber geblieben, die er besuchen konnte. Alles, was ihn an seine Familie erinnern konnte, war aus der Welt verschwunden mit Ausnahme des Sees, wo er wiedergeboren war. Es zog ihn immernoch zu diesem Ort von Zeit zu Zeit. Anders als es ihn zu ihr zog, aber nicht weniger wichtig. Er hatte selten einen Grund, warum er dorthin ging, wo er war. Er tat es einfach. Deswegen hatte er sich auch nie etwas dabei gedacht, wenn er sie dazu aufforderte diesen Ort zu verlassen. Er beobachtete wie sie auf ihre Knie sank, wie ihre zierliche Gestalt unter der Last zu zerbrechen drohte.  „Du musst los lassen.“ Seine Wörter klangen kälter als er gewollt hatte, so gut er sie auch meinte. „Auch wenn es schwer fällt.“ „Ich kann nicht. Ich kann sie nicht einfach verlassen.“ Jack merkte schnell, dass es nichts brachte weiter darüber zu diskutieren. Stattdessen ließ er sie erzählen. Und zum ersten Mal erzählte sie von sich, von ihrer Vergangenheit. Wie sie sich verliebt hatte, befreit wurde, die glücklichste Zeit mit ihrer Familie verbracht hatte und viel zu früh von dieser gehen musste, wie die Schmerzen sie im Kindbett übermannt hatten. Er kannte die stillen Worte, die in ihren traurigen Augen lagen nur zu gut. „Ich kann nicht fort gehen. Ich weiß, sie wissen nicht einmal, dass ich hier bin. Aber wie kann ich gehen ohne mich zu verabschieden?“ Unbeholfen nahm er ihre Hand in ihre und ihr begannen die Tränen über das Gesicht zu laufen.  Wie war es möglich, so viel zu fühlen, wenn man nicht lebendig war? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)