Visions von 4FIVE (Insert Close (Ren/Kyōko)) ================================================================================ Kapitel 3: Fixings ------------------ . . Irgendwo in Russland gab es einen Trinkspruch. Za schast'ye. Auf das Glück. Mogami Kyōko hatte schon viel erdulden müssen in ihrem Leben. Aufgewachsen ohne Vater, vernachlässigt von der Mutter, ausgenutzt von ihrer ersten Liebe. Sie hatte vor Jahren aufgegeben, das Glück zu suchen. Nach Shōs Missbrauch ihrer emotionalen Empfindlichkeit hatte sie nicht zu hoffen gewagt, jemals wieder etwas zu empfinden, das auch nur mit annähernd an eine Chance grenzender Wahrscheinlichkeit etwas anderes als Hass gegen jenen verhassten Todfeind war. Dann war Tsuruga Ren gekommen, hatte sich heimlich in ihr verkorkstes Leben geschlichen und ihr das seinige, viel verkorkstere, offengelegt. Und doch … Corn, Shō, Ren, einerlei. Alle drei hatten sie im Stich gelassen. Es machte sie wütend. So wütend, dass sie am liebsten auf Kanaes Schlafsofa liegen geblieben wäre, anstatt zur Agentur zu fahren. Kyōko hatte nicht übel Lust, etwas zu Kleinholz zu zerhacken. Gestern Nacht war sie müde gewesen, enttäuscht ob ihrer zerbrochenen Hoffnungen. Heute Morgen, ausgeruht und fit, war das hervorstechendste Gefühl, das sich in ihrer Brust ausbreitete, Wut. Wut auf Ren, Wut auf Ayase, Wut darauf, dass sie Kyōko war und keine erfolgreiche Managerin mit lächerlich langen Beinen. Tsk. Aus Protest und zur Strafe für ihre Feindseligkeit lehnte sie die Limousine, die sie hätte rufen können, ab, um stattdessen ihren Frust auf dem alten Fahrrad abzustrampeln, das sie unbemerkt vom Hinterhof des Daruyamas holte. Die Strecke zu LME war in Rekordzeit zurückgelegt, sodass sie keuchend vor dem Hintereingang auf die Knie sank, schwach gegen die Eisentüre pochend, die ein erbarmungsvoller Mitarbeiter ihr beim Reingehen offenhielt, bis sie sich durch den Türrahmen geschleppt hatte. "Alles in Ordnung? Du siehst aus, als könntest du eine Pause vertragen." "Dabei hat mein Tag noch nicht einmal begonnen", raunte sie kläglich vom Boden aus. Spitze Lederschuhe kamen in ihr Sichtfeld, dicht gefolgt von einer Hand. Das beigefarbene Sakko ließ sie die Stirn runzeln. Vor Erschöpfung hatte sie gar nicht gemerkt, wessen Stimme sie angesprochen hatte. Sie nahm Yukihitos Hilfe dankend ab, ließ sich aufziehen und taumelte haltsuchend gegen die Wand des stillen Ganges. Vor dem Glas der Trenntüre zum Arbeitsbereich lief bereits eine Riege hektischer Sekretärinnen, Agenten und Schauspieler herum. Kyōko wollte bei dem Gedanken, zwei weitere Höllenwochen durchstehen zu müssen, anfangen zu heulen. "Geht es dir wirklich gut?", erkundigte sich Yukihito. "Ja. Sagen Sie Ayase-san nicht, dass Sie mich zerstört vorgefunden haben, Yashiro-san!" Sie senkte ihre Stimme verschwörerisch. Mit finsterem Blick wisperte sie: "Diese Frau ist eine Sklaventreiberin. Wenn sie herausfindet, dass mir der Stress zusetzt, macht sie mir die Hölle heiß!" Yukihito nickte unter Stirnrunzeln. "Ayase-san kann tatsächlich sehr herrisch auftreten. Sie hat ihre Klienten gut im Griff, wie man hört. Es ist einer jener Gründe, wieso Ren sie damals ablehnte." Kyōko war sich der Tiefdruckwelle, die sie ausschickte, gar nicht bewusst. Ihr Gegenüber wich einen Schritt von ihr zurück, um unschuldig lächelnd die Arme zu heben, als sie düster die Stimme erhob. "Falsches Thema, Yashiro-san." "Was hat er jetzt schon wieder gemacht?" Sie seufzte ergeben. "Nichts." Für Yukihito war dieser Gemeinplatz Antwort genug. Wer Ren kannte, wusste, dass 'Nichts' das einzige war, das man Ren vorwerfen konnte. Kyōko teilte diesen Gedanken ausnahmslos, was ihr nur wenig Trost spendete. "Du warst schon lange nicht mehr bei LME, Kyōko-chan. Wir haben dich sehr vermisst, weißt du?" "Hm?" Sie legte den Kopf schief. Dass sie jemand vermisst haben könnte, hatte sie sich zwar gewünscht, daran geglaubt aber noch lange nicht. Außer Kanae hatte sie keine richtigen Freunde und ihre Bekannten in der Agentur hatten gewiss Wichtigeres zu tun gehabt als ihr nachzutrauern. "Ja, es ist lange her. Es tut mir leid, dass ich nicht früher kommen konnte. Obwohl ich schon zwei Wochen in Tōkyō bin, ist es heute mein erster Schritt in die Agentur seit meiner Ankunft. Irgendwie verrückt." "Ach ja", tat Yukihito, als wäre es ihm gerade erst eingefallen. "Herzlichen Glückwunsch zu deiner Rolle. Ich habe jede Information darüber gesammelt, um dich vielleicht irgendwo auf einer Werbetafel zu sehen." "Die junge Haruko ist zwar wichtig, aber keine Hauptperson, also werden Sie vergeblich gesucht haben. Anfang nächster Woche wird in den Fernsehzeitschriften eine Fotostrecke über ein paar Nebendarsteller gebracht. Dann haben Sie bessere Chancen, mich zu finden. Wer weiß, was noch so alles auf Ayase-sans Terminplan für mich steht." Bei diesem Gedanken schauderte sie unweigerlich. "Diese Frau … einfach beängstigend." Yukihito tätschelte ihr mitleidig die Schulter, anschließend zog er seinen eigenen Kalender aus der altbekannten Aktentasche, die bereits einige rissige Stellen aufwies. "Wir frühstücken in zehn Minuten mit Takarada-san, möchtest du uns Gesellschaft leisten? Nichts Geschäftliches, bloß Energietanken vor einem Arbeitstag. Wir könnten ein wenig frischen Charme gut gebrauchen." "Mit 'wir' meinen Sie Tsuruga-san?" Nachdem die anfänglichen Differenzen zwischen Kyōko und Ren überwunden gewesen waren, hätte Yukihito nicht gedacht, jemals eine derartige neue Feindseligkeit zu verspüren. Diesmal schien sie fester zu wurzeln, beinahe persönlich, und von der jungen Schauspielerin auszugehen, anstatt eine bloße Schutzreaktion auf Rens einstmalige offenkundige Abneigung zu sein. Die sengende, schwarze Hitze, die ihm entgegenschlug, war Antwort genug. Ohne sie weiter zu drängen, gab er den Weg für den Geist namens Kyōko frei, der ausgelaugt und irgendwie beängstigend leblos durch den Flur Richtung Aufzug schwebte. - "Was bitte hast du mit Kyōko-chan angestellt?" Yukihito stemmte die Arme auf die Platte des Kantinentisches, auf dem Ren genüsslich seinen Tee trank. Sein fragender bis böser Blick ließ seinen Schützling die Augenbrauen hochziehen, seine Tasse absetzen und sich zurücklehnen, um die neutrale Distanz zwischen ihren Gesichtern wieder herzustellen. "Gar nichts." Zwei Seelen, eine Antwort, dachte Yukihito grimmig. "Sehr schön. Wie ich sehe, erkennst du das Problem." "Von welchem Problem sprichst du, Yashiro?" Vorwurfsvoll warf er die Arme in die Luft, ehe er Ren gegenüber Platz nahm, um ihm seinen Tee wegzunehmen und weiterhin fragend anzusehen. "Du hast echt von gar nichts einen Plan, oder? Ich verstehe dich nicht. Sie ist neunzehn, sie hat vor drei Wochen die Schule abgeschlossen, ihr ward zwei Jahre lang voneinander getrennt und trotzdem preschen mir immer noch hochkochende Emotionen ins Gesicht, wenn ich deinen Namen vor ihr erwähne. Ich frage dich: was willst du noch?" Ren wusste darauf offensichtlich keine Antwort. Er verfiel in nachdenkliches Schweigen, das mehr erklärte als jede Erklärung, die er hätte herunterbeten können. Sein Manager kannte den stoischen jungen Mann lange genug, um zu wissen, dass Rens Zaudern nicht von ungefähr kam. "War es dir jemals ernst mit ihr?", wollte Yukihito wissen, bloß um sicherzugehen, dass er nichts Falsches interpretierte. Rens neuerliches Schweigen sprach Bände. Seine Augen verrieten den Rest. Seufzend fuhr Yukihito mit seiner Anamnese fort. "Hast du Angst, sie könnte sich verändert haben?" "Nein." Womit er eine von zig Möglichkeiten schon einmal ausgeschlossen hatte. "Befürchtest du, sie könne deine Gefühle nicht erwidern?" Ren seufzte gequält. "Das ist es auch nicht." Zwei Möglichkeiten von zig. Dieses Gespräch konnte Stunden dauern. Oder aber nur wenige Minuten. "Hast du Angst, sie könne nach all der Zeit dieselben Gefühle für dich haben wie du für sie?" Der Schauspieler ihm gegenüber sah überrascht auf. Dieser Gedanke war ihm noch gar nicht gekommen. "Ja, ich habe in den letzten Monaten versucht, mich von ihr zu distanzieren", gab er zögerlich zu. Die Schuldgefühle waren ihm anzusehen. "Damit wollte ich überprüfen, ob …" "Egal was du überprüfen wolltest", unterbrach Yukihito ihn tadelnd, "hast du auch nur eine Sekunde daran gedacht, dass es sie—gesetzt dem Fall, dass sie dasselbe für dich empfinden könnte wie du für sie, was die einzige Gegebenheit ist, in der diese Distanzierung Sinn macht—verletzen könnte, wenn du dich zurückziehst? Ren, du bist nicht nur ihr Kollege. Du bist ihr Mentor, ihr Vertrauter, ihr Ratgeber und ihr Freund. Sie verlässt sich darauf, dass du ihr in allen Lebenslagen hilfst, was vermessen sein mag, aber dafür nicht weniger wichtig für sie. Du warst immer für sie da. Was denkst du, wird sie annehmen, wenn du dich für sie grundlos aus dieser Dyade zurückziehst? Es geht nicht um dich oder sie, es geht um euch." Ren nickte verstanden, doch Yukihito hatte nicht das Gefühl, als sei er zu seinem Klienten durchgedrungen. Er hatte von dem Date gehört, zu dem Ayase ihn überredet hatte. Tsuruga Ren machte sich als Schmuckstück an ihrer Hand wahrlich fantastisch, weswegen er ihr nicht vorwerfen konnte, seinen Schützling dafür eingespannt zu haben, einen guten Eindruck bei den Anwesenden zu hinterlassen. Man munkelte seit geraumer Zeit, dass die ehrgeizige Karrierefrau mit ihrem Posten als Teilzeitmanagerin bei LME nicht die letzte Sprosse der Karriereleiter erreicht haben wollte. Es war ein offenes Geheimnis, wie wenig konform ihre eigene Arbeitsmethodik mit den Werten der Agentur übereinstimmte. "Kyōko-chan war auch auf dieser Gala?", vermutete Yukihito. Auf Rens Nicken hin zischte er sarkastisch. "Das erklärt ihre Woge der Antipathie, die sie umkreiste, als ich sie eben traf. Ich werde nicht länger auf dem Thema herumreiten, aber für dich ist die Sache noch lange nicht gegessen. Bitte, bring das in Ordnung. Wenn du es schon nicht aus egoistischen Gründen tust, ziehe zumindest die Möglichkeit in Betracht, dass du Kyōko-chan damit glücklich machen könntest." Ren hatte nicht vor zu antworten, selbst wenn Takarada Lory nicht gerade eben die Kantine in der aufwendigen Montur eines altrömischen Prätors betreten hätte. Neben ihm tanzte eine engagierte Schauspielerin, die in ihrer weißen Stola eine Muse oder Göttin darstellen sollte. Das Gespräch über sein verkorkstes Liebesleben war beendet, ebenso die Diskussion, die einzig und alleine Yukihito bestritten hatte. Sein Manager mochte ein paar Punkte haben, die Ren nicht einfach beiseiteschieben konnte. Wenn Kyōko seine spontane Reserviertheit tatsächlich verletzt hatte, musste er diesen Missstand korrigieren. Die Frage war: wie sollte er einem Mädchen reinen Wein einschenken, das nicht einmal alt genug für Alkohol war? Er hatte gedacht, diese Frage würde sich mit fortschreitendem Alter legen. Nun war sie alt genug, um Auto zu fahren, eine eigene Wohnung zu haben, ohne die Unterschrift eines Erziehungsberechtigten Verträge abzuschließen und ihre eigenen Entscheidungen mit jeder Konsequenz zu tragen. Da war es wieder, dieses Zögern. Etwas hielt ihn zurück. Er konnte es nicht benennen, selbst wenn er es die ganze Zeit versuchte, während er lustlos sein karges Essen in sich hineinschob. Die Gespräche von Yukihito und Lory verhallten am Rande seiner Wahrnehmung zu undefinierbarem Rauschen, dem gegenüber er halbherzig so tat, als höre er zu. Am Ende war er immer noch nicht schlauer. Er hatte nur zwei Möglichkeiten: jede Bande mit Kyōko—dem Mädchen, das er aufrichtig liebte—kappen, oder es darauf ankommen lassen, ihr seine Gefühle zu gestehen. Nun, beide Möglichkeiten muteten ihm nicht als durchführbar an. Er stand zwischen allen Stühlen. Wieder einmal. - "Seit wann trinkst du Kaffee, oneesan?", fragte Maria, stellte sich auf die Zehenspitzen und drückte eine der obersten Tasten. Weshalb die Konstrukteure des Getränkeautomaten die bei Kindern beliebten Heißgetränke wie Kakao und Tee mit Zucker ganz oben in der Auswahlliste platziert hatten, war Kyōko ein Räsel, das niemals gelöst werden würde. Sie half dem Mädchen unaufgefordert eine gesüßte Heiße Schokolade auszuwählen und nahm eine tiefen Schluck von ihrem Kaffee. Schwarz mit Zucker. "Seit der Luxus von Schlaf in ungreifbare Ferne gerückt ist", brummte Kyōko erschlagen vom heutigen Tag. "Wenn du dich zwischen der perfekten Umsetzung des Drehbuchs und einer Extrastunde Schlaf entscheiden musst, wählst du als ambitionierte Schauspielerin lieber das Drehbuch. Die Visagisten können die Augenränder überschminken, sogar den müden Teint, wenn es nötig ist, aber nur Koffein kann dir helfen, dich wach zu fühlen." "Koffein ist ungesund, sagt Ren-sama." "Ren-sama, hm?", wiederholte Kyōko. Sie wollte ihre Stimmung nicht umschlagen lassen. Vor allem nicht vor Maria, die am allerwenigsten etwas für die Lage konnte, in der sie sich befand. Es wäre unfair ihr gegenüber. "Was machst du hier, Maria-chan? Wartest du auf deinen Großvater?" Maria nickte unter strahlendem Lächeln. "Wir wollen später zum Angeln fahren. Das heißt er wird angeln, ich werde zusehen und aufpassen, dass er keine Fische tötet." "Ja", machte die Ältere. So ähnlich fühlte sie sich auch. Wie ein Fisch, der um seine letzten friedlichen Stunden kämpfte, obwohl er längst am Haken hing. Maria betrieb Schadensbegrenzung, was sie zu ihrem eigentlichen Vorhaben zurückführte. "Hast du Arbeit hier?", erkundigte sich das Mädchen. Sie kehrte von ihren Gedanken zurück in die Realität, in der sie den Kopf schüttelte. "Meine Managerin wird mich in einer Stunde von hier abholen, um mich zu einem Zeitungsinterview zu fahren. Vor der großen Premiere gibt es viel für Koigawa zu tun. Ich bin nur hier, um ein paar Dinge zu klären." "Aha …" Es war offensichtlich, dass Maria mehr dahinter vermutet als die Nonchalance, die Kyōko zu spielen versucht hatte. So etwas schimpfte sich Schauspielerin! Gestern Nacht hatte sie beschlossen, die Dinge in Ordnung zu bringen. Dass sie genau das nicht tun würde, erkannte sie spätestens als ein Arm scheinbar aus dem Nichts hervorschnellte, sich gegen die Wand lehnte, an der sie stand, und sie damit zur Hälfte einkesselte. "Maria-chan, Mogami-san." Die Begrüßung war nicht minder gestellt herzlich als Kyōko erwartet—befürchtet—hatte. Was auch immer er im Schilde führte, sie hatte nicht den Mut, sich Tsuruga Ren nach all den Geschehnissen unvorbereitet zu stellen. Ohne durchblicken zu lassen, dass ihr das Herz in die Hose gerutscht war, wand sie sich aus seiner bedrohlich wirkenden Umzäunung, um schnellstmöglich mit Panik in den Augen das Weite zu suchen. Was machte sie sich vor? Sie hatte nicht das Recht, Ren Vorwürfe zu machen, schon gar nicht, nachdem sie ihn verlassen hatte— Verlassen? Kyōko schüttelte in dem leeren Konferenzraum, in den sie sich geflüchtet hatte, den Kopf. Achtlos kippte sie das koffeinhaltiges Heißgetränk ihren Rachen hinab, den sie sich dabei schmerzlich verbrannte, um mit Wut über sich selbst im Bauch den Pappbecher zu zerknüllen, ehe sie ihn feinsäuberlich in den dafür vorgesehenen Trennbehälter warf und sich auf einem Stuhl niederließ. Niemand hatte hier irgendjemanden verlassen, ebenso wenig wie jemand anderer besagten Niemand versetzt hatte. Ren war nicht dazu verpflichtet, sich um sie zu kümmern—dafür hatte sie die allmächtige Ayase. Kyōko war der vertraute Umgang der beiden nicht verborgen geblieben. Sie war nicht stolz darauf, gelauscht zu haben, während Maria auf der Gala von ihren Erlebnissen mit ihrem Vater erzählt hatte. Dafür wusste sie nun, dass sich das Pronomen 'wir' in Ayases Anekdoten eindeutig zu oft auf Ren und sie bezogen hatte. Ob es mehr als Mundpropaganda war, die Ayase betrieben hatte? Die meisten Anekdoten bezogen sich auf Rens anfängliche Karriere, von der Kyōko vergleichsweise wenig wusste. "Diese …", fauchte Kyōko leise, doch ihr fiel keine passende Bezeichnung ein. Was mochte Ren von ihr denken, nachdem sie überstürzt aus seinem Gruß geflohen war? Hatte sie bei ihrem Abgang überhaupt eine glaubwürdige Ausrede erfunden oder zumindest auf Wiedersehen gesagt? Sie konnte sich nicht erinnern. So entschlossen sie vor dem Einschlafen auch gewesen sein mochte, die Dinge in Ordnung zu bringen, so schmerzlich war sie sich nun ihrer Schwäche bewusst: sie konnte nicht gegen Ren ankommen. Sie hatte nicht das Recht, von ihm zu fordern. Darum erhob sie sich, um sich ihrem Schicksal zu fügen. Ayase hatte eben eine Textnachricht auf ihr Handy geschickt. In zehn Minuten auf dem Parkplatz. Sei pünktlich. Wenn es sonst nichts gab, auf das Kyōko heute stolz sein konnte, dann wollte sie sich wenigstens nicht nachsagen lassen, unzuverlässig zu sein. Ayase würde schon noch merken, dass sie ihr—wenn schon nicht in Bezug auf Männer—wenigstens in Professionalität um nichts nachstand. - Heute war Samstag. Genau eine Woche nach ihrer Flucht und exakt sieben Tage vor der großen Vorprämiere. Am Sonntag in einer Woche würde die erste Folge des Dramas auf allen willigen heimischen Fernsehern laufen. Zur Hauptsendezeit auf einem bekannten japanischen Nationalsender. National. Das höchste, das Kyōko jemals erreicht hatte. Man hatte ihr in den letzten Tagen alles abverlangt, um die Vorarbeit für den kommenden Samstag guten Gewissens abschließen zu können. Vor der offiziellen Erstausstrahlung würde es ein großinszeniertes Vorprämierenprogramm für ausgewählte Investoren, Förderer, Kritiker und Journalisten geben. Letztere sollten in weiterer Folge großzügig die Werbetrommel rühren. Es war notwendig, um das Interesse ein letztes Mal vor dem großen Knall auf ihr Maximum zu treiben. Spätestens Montagmorgen musste die großflächig angelegte Dokumentation in der Spezialausgabe einer populären Wochenzeitschrift fertig sein, dafür benötigten die Reporter aussagekräftige Schnappschüsse. Diese wollte man ihnen in der Vorprämiere liefern. In weiterer Folge sollte aus den Zusatzszenen, die gezeigt würden, Bonusmaterial für etwaige social network Plattformen und Videoportale konstruiert werden, das den finalen Einschlag möglichst hoch halten sollte, um die erste Begeisterung noch für sich auszunutzen. Darum war sie hier. Hauptattraktion dieser genialen Idee war Kyōko. Sie war nicht selbstverliebt genug, um zu behaupten, dass sie der einzig wichtige Teil davon war, die wichtigste Rolle darin ließ sie sich jedoch nicht absprechen. Die ersten Minuten der ersten Folge der ersten Staffel sollten live auf einer Bühne vor den Augen der geladenen Gäste gespielt werden. Sinn der Aktion war, zu überraschen. Ehe die große Leinwand die erste Szene der Gegenwartshandlung zeigte, würde Kyōko mitsamt ihrem Toshiro, ihrem Fernsehehemann, jene Szene vorführen, mit der das Drama eröffnet wurde. Es war eine intensive Rückblendenszene, in der Haruko ihren Ehemann anflehte, seine Geliebte zu verlassen, um endlich der Mann zu sein, den sie geheiratet hatte. Weil sie ihn liebte. Seine vernichtende Antwort war der Ausschlag für alle Missstände in ihrem Leben, die in den weiteren Folgen behandelt würden. Darum war diese Aufführung wichtig. Kyōko atmete schwer aus. Sie war kein Mensch von Selbstzweifel, weil sie ihre Möglichkeiten kannte wie ihre Grenzen. Wenn sie es sich nicht zugetraut hätte, hätte sie protestiert. Man erwartete von ihr einen perfekten Auftritt, fehlerfrei, denn es würde kein Retake möglich sein. In Okinawa hatte sie kaum Retakes gebraucht, maximal vier oder fünf, wenn sie sich recht entsann. Andererseits waren es vier oder fünf auf insgesamt drei Szenen gewesen. Eine davon war jene, die sie nun spielen sollte. Sie hatte drei Anläufe gebraucht, um ihren Sklaventreiber von Regisseur zufriedenzustellen. Drei. Das waren zwei zu viel. Aus diesem Grund stand sie mit dem dünnen Drehbuch bewaffnet vor Kanaes Tür, die von dieser schlaftrunken geöffnet wurde. "Was willst du?" Kyōko hielt ihr das Drehbuch unter die Nase. "Üben." Es dauerte nicht lange und Kanae hatte den Ernst der Lage verstanden. Trotzdem sie noch halb unter den Schlafenden weilte und zuweilen Fragmente ihres Traumes mit der Realität zu verwechseln schien, war sie am Ende von Kyōkos Bittstellung zumindest so wach, dass sie das Drehbuch überflog, was sie die Stirn in Falten legen ließ. Sie enthielt sich jeden Kommentars, das ihre Freundin nur unnötig auf die Palme gebracht hätte. Sie würde noch früh genug herausfinden, dass diese Konstellation nicht funktionieren konnte, selbst wenn Kanae es gewollt hätte. Sie tranken schweigend frisch Tee, den Kyōko ohne zu fragen aufgesetzt hatte, während Kanae sich in ihre Rolle dachte. Durch ihre Schale der Konzentration schien kein Umgebungslaut zu dringen, selbst nicht das laute Pfeifen des Teekessels, den Kyōko auf ein Stövchen zwischen sie beide stellte. Unaufgefordert goss sie ein. Dann wartete sie. Es dauerte keine halbe Stunde, da schlug die Schwarzhaarige das Drehbuch zu, trank ihren inzwischen lauwarm gewordenen Tee in zwei kräftigen Zügen aus und schlug das zusammengeheftete Papier auf die Tischplatte. "Du bist verrückt." Kyōko legte den Kopf schief. "Wieso, Moko?" "Das kann ich unmöglich mit dir spielen!" "Du bist die beste Schauspielerin, die ich kenne! Wenn es jemand schafft, dann du!" "Eben", betonte Kanae vehement. "Ich bin die beste Schauspielerin, die du kennst. Dein Gegenpart ist eine männliche Rolle mit starken negativen Emotionen dir gegenüber. Ich kann sie nicht mit der richtigen Authentizität rüberbringen. Stell dir vor, du gewöhnst dich an meine feminine Spielweise. So wirst du nur über das Schauspiel deines männlichen Kollegen stolpern. Ich werde nicht zulassen, dass du dir eine riesengroße Chance verbaust, bloß weil du zu stur bist—" "Bitte", beharrte Kyōko flehentlich. Sie faltete ihre Hände vor den leuchtenden Hundeaugen, in denen sich stumme Tränen der Verzweiflung sammelten. "Bitte, bitte, bitte, bitte—" "Fein! Aber schieb' mir nicht die Schuld in die Schuhe, wenn du auf die Nase fällst." Sie stand auf, band ihre Haare im Nacken zusammen und warf einen Blazer über, der ihre Taille und Brüste kaschierte, ehe sie im Bad verschwand. Was immer sie darin tat, es dauerte nicht lange. Kyōko hätte am liebsten losgelacht, als sie den mit Schminke aufgemalten Bart bemerkte, den Kanae sich behelfsmäßig unter die Nase geschmiert hatte, wäre diese Geste nicht rüde und unfreundlich gewesen. Sie war die letzte, die sich über den Einsatz ihrer talentierten Kollegin lustig machen wollte, war es doch sie, die davor scheute, jemanden um Hilfe zu bitten, der ihr wirklich helfen konnte. Kanae war nichtsdestoweniger auf professioneller Basis eine annehmbare Alternative, auf menschlicher Ebene die beste Ausweichmöglichkeit. Dann begannen sie den ersten Dialog. Dass es eine Schnapsidee gewesen war, auf eine Frau zu zählen, wenn die Interaktionsrolle ein Mann war, der einem—trotzdem man aus aufrichtiger Liebe alles für ihn getan hatte—die Hölle auf Erden bereitete, wurde ihnen beiden spätestens klar, als sie den dreißigsten gescheiterten Versuch beklagen konnten. Sie hatten alles unternommen, den Dialog glaubhaft erscheinen zu lassen. Kyōko hatte sich an die Zeit mit Shō erinnert: Fehlanzeige. Es ging um zwei Erwachsene, die viel mehr Verantwortung verband als jene blauäugigen Teenager, die Kyōko und Shō damals gewesen waren. Selbst zu tun, als sei Kanae ihre lesbische Geliebte half nicht weiter. Eine Frau reagierte anders als ein Mann. Schwul, hetero, bi spielte keine Rolle. Sogar die Szene, in der Kanae eine Geschlechtsumwandlung vorgetäuscht hatte, tröstete nicht über den traurigen Fakt hinweg, dass es nicht funktionierte. "Geben wir auf", bat Kyōko. Draußen war die Abenddämmerung angebrochen, die goldrotes Licht durch das Appartementfenster im mittleren Stock des Wohnhauses nahe des Zentrums warf. "Wir können es morgen noch einmal probieren, ja?" "Auf keinen Fall!" Die Dunkelhaarige kreuzte die Arme vor der Brust. "Ich habe mein Date mit Shin'ichi-kun abgesagt, meine Termine gecancelt, mir einen verfluchten Bart aufgemalt, bloß damit du verstehst, dass es sinnlos ist, dir von mir helfen zu lassen! Ich bitte dich, Kyōko, mit all meiner verbleibenden Kraft, spring' über deinen Schatten, wieso auch immer du ihn haben magst, geh' zu Tsuruga-san und bitte ihn, diese Szene mit dir durchzuspielen! Er ist erfahrener, er ist empathischer, vor allem aber ist er männlicher als ich! Wenn es sein muss, rutsche auf Knien, winsle um Vergebung für alles, weswegen ihr böse aufeinander seid, oder mach' ihm von mir aus die Hölle heiß, erpresse ihn, bestich ihn, egal was, nur schaff endlich deinen feigen Hintern aus meiner Wohnung und hol die Hilfe von dem einzigen Menschen auf dieser Welt, der dir bei deinem Problem helfen kann! Bitte!" Kanaes Bitte war weniger ein Vorschlag als ein Flehen, auf das Kyōko im ersten Moment nichts zu erwidern wusste. Sie hatte sich davor gedrückt, Rens Hilfe zu suchen, eben weil zwischen ihnen etwas nicht stimmte. Sie wollte sich nicht aufdrängen. Doch Kanae blieb hart. Mit eiserner Faust warf sie ihre unwillkommene Besucherin hochkant vor die Tür—zu deren eigenem Besten, wie sie auch noch Jahre später beteuerte. Die Verbannte wusste sich nicht zu helfen, außer ihren schmerzenden Hintern zu reiben und enttäuscht von Dannen zu ziehen. Wo war ihr Mut? Ihr Eifer? Sie war Ren seit einer Woche aus dem Weg gegangen. Mehr oder minder, was eine denkbar schlechte Ausrede war. Hätte sie nicht sowieso keine freie Minute gehabt, hätte sie genau diese darauf verwendet, besagtem Schauspieltalent auszuweichen. Nach ihrem ruhmlosen Abgang von neulich waren sie einander nicht mehr begegnet. Auch Ayase ließ nicht durchblicken, sich weiter mit ihrem Aushängeschild getroffen zu haben, und wenn, dann überhörte Kyōko es instinktiv. Mit diesen frustrierenden Gedanken schlenderte sie durch den später werdenden Abend, jedes Mal zusammenzuckend, wenn ein Auto hinter ihr ertönte, das auch nur entfernt nach Rens Protzermodell klang. Ihr erstes Problem dabei war, dass sie sich mit Autos nicht auskannte, weswegen sich jedes Auto anhörte wie Rens. Ihr zweites war der Funken Hoffnung, dass er tatsächlich vorbeifahren könnte, für den sie sich aus drei Gründen hasste. Erstens sollte es ihr egal sein, ob Ren jemals wieder mit ihr sprechen wollte oder nicht. Immerhin war er es gewesen, der sie im Stich gelassen hatte. Zweitens war diese Meinung egoistisch und verwerflich und repetitiv wiederkehrend, sodass sie sich selbst bereits damit auf die Nerven fiel. Drittens war es wider den häufigen Gelegenheiten in der Vergangenheit, in der es oft geschehen war, dass Tsuruga Ren sie vom Gehsteig aufgelesen hatte, unwahrscheinlich, ihn hier um diese Uhrzeit anzutr— Hinter ihr wurde ein Auto langsamer. Kyōko drehte sich aus Prinzip nicht um, selbst als der Wagen im Schritttempo an ihr vorbeirollte. Die Ampel sprang auf Grün und der gelbe Zweisitzer gab Gas. Wieder nichts. Die aufkeimende Hoffnung wurde von einer Gewissheit überschattet, die wie ein Echo in ihren Ohre widerhallte, als sie in den dämmerigen Abendhimmel sah, der über ihrem Kopf bedächtig die Farbe von Mitternachtsblau annahm. Im Showgeschäft ging es nicht um persönliche Gefühle untereinander. Professionelle Schauspieler mussten selbst mit ihrem privaten Todfeind die engste Freundschaft spielen, wenn das Drehbuch es erforderte. Zwischenmenschliche Beziehungen waren irrelevant. Wichtig war, weiterzukommen. Wenn Kyōko ehrlich zu sich selbst war, hatte Kanae recht. Auf stur schalten brachte nichts, wenn sie dadurch ihre Karriere gefährdete. Die Frage war: schaffte sie es, sachlich zu bleiben, um Profit aus Rens Talent zu schlagen? Die Antwort lag auf der Hand. Natürlich konnte sie es. Sie war inzwischen ein Profi, oder nicht? Nun musste sie Ren nur mehr dazu bringen, es genauso zu sehen. - Tsuruga Ren hasste einkaufen. Darum hatte er selten etwas zu Essen zu Hause. Supermärkte boten einfach zu viel Auswahl für jemanden, der keine Ahnung hatte, wie man kochte. Das reichliche Neonlicht ließ die übriggeblieben Salatköpfe seltsam bläulich erscheinen während die Fertiggerichte einen ebenso unseriösen Eindruck auf seine müden Augen hinterließen. Yashiros Standpauke hätte mehr Wirkung zeigen sollen als ihn bloß zum Nachdenken anzuregen. Er hatte gehofft, durch diese Mahnung zu einer Entscheidung zu kommen, wie er mit Kyōko weiterverfahren würde. Stattdessen hatte er sich die lieben langen Tage den Kopf über Dinge zerbrochen, die er schon wusste: es musste eine Entscheidung her. Das war nur leider leichter gesagt als getan, wenn man der unspontanste, verkorksteste, unflexibelste Mensch der Welt war. Dass er bereits eine Woche lang darüber brütete, dass er sich entscheiden musste, sprach schon alles aus, was man wissen musste. Die ganze Situation war mit einem Wort verfahren. Irgendwo, weiß Gott wann, hatte er die falsche Abzweigung genommen. Welchem Schild auch immer er blind vertraut hatte, das heimtückische Biest hatte ihn in eine Sackgasse gelotst. Eine so enge Sackgasse, dass er nicht einmal aussteigen konnte. Ren seufzte tief und verließ den Laden, ohne etwas zu kaufen. Heute würde ein weiterer Abend ohne feste Nahrung werden, welch Neuigkeit. Ayase hatte ihm vor nicht allzu langer Zeit angeboten, vorbeizukommen, um ihm ein Abendessen zu zaubern, allerdings war dieses Angebot selbstsüchtig gewesen, um sich vor den zuhörenden Ohren gezielter Investoren beliebt zu machen. Sie hatte dieses Angebot schnell auf die gesamte Belegschaft jener Agentur ausgeweitet, welche die Hauptdarsteller gestellt hatte. Ren zischte amüsiert und sarkastisch. Dabei konnte Utada Ayase nicht einmal kochen. Der Gedanke, jemand könne auf ihren heuchlerischen Vorschlag bestehen, erhellte seine düsteren Gedanken, in denen er sich selbst geißelte für die Dummheit, mit der er sich bravurös in seine Misslage manövriert hatte. Gratulation, du Held, rühmte er sich selbst mit einer großen Portion Ironie. Du hast es mal wieder geschafft. Wenig begeistert von seiner Ausbeute—einkaufstechnisch wie entscheidungsbetreffend—lenkte er seinen Wagen auf den Parkplatz seines Appartementblocks. Minutenlang blieb er im Inneren des Fahrzeuges sitzen, die Hände um das schwarze Lenkrad gekrampf, in seiner Nase der Geruch eines Duftbäumchens, an dessen Kauf er sich beim besten Willen nicht erinnern konnte. Vermutlich hatte Ayase es aufgehängt, als er sie auf dem Weg zur Gala abgeholt hatte. Er konnte sich vage entsinnen, dass sie sich über den schalen Geruch der Polstermöbel beschwert hatte, der ihrem Kleid die Pfirsichnote raubte. Ob sie allerdings tatsächlich so sehr vorausplanend war, dass sie auf Gutdünken ein Erfrischungsgimmick zu einer Abendveranstaltung mitnahm, blieb fraglich. Der Abend war letzten Endes eine Katastrophe geworden. Statt sich mit ihm zu unterhalten, hatte sie ihn als Accessoire missbraucht, was an und für sich kein Problem für ihn dargestellt hätte, hätte er nicht in der Retrospektive bemerkt, wie sein Blick immer wieder auf Kyōko gefallen war, die gute Miene zum bösen Spiel vorgeschützt hatte. Sie hatte schön ausgesehen in dem senfgelben Kleid, das mehr ihrer Weiblichkeit betont hatte, als ihm rückblickend lieb war. Nicht, dass Tsuruga Ren sich einen einzigen auch nur doppeldeutigen Gedanken erlaubt hatte. Er hatte nur mit Besorgnis festgestellt, dass sie sich ihrer neuen, durch Reife erworbenen Ausstrahlung gar nicht richtig bewusst zu sein gewesen schien. Ihre Freundin, Kotonami Kanae, wenn er den Namen korrekt in Erinnerung behalten hatte, hatte mit bewundernswerter Hingabe versucht, Kyōko abzuschirmen, wobei ihm immer noch nicht klar war, ob vor den Blicken der anwesenden männlichen Gesellschaft im Allgemeinen oder vor ihm selbst im Speziellen. Nach einer viertel Stunde gab er auf, stieg aus dem Wagen und schlug die Tür zu, deren sanftes Klicken, als sie ins Schloss fiel, die laue Sommernachtsluft für einen Augenblick durchbrach. Dann war wieder alles still. In Gedanken versunken überquerte er den Privatparkplatz der Mieter, hin zu dem eleganten Vordach über dem beleuchteten Eingang. Soweit er wusste—und er wusste es, weil er vor geraumer Zeit wegen einer Funktionsstörung des Sensors über die Treppe gestürzt war—hatten sämtliche Lampen um das Eintrittsareal moderne Bewegungsmelder. Tückische Dinger, wenn sie nicht funktionierten. Unbewusst wusste er, dass die Lampen keiner Reparatur bedurften, noch ehe er die Gestalt sah, die auf einer der zwei Bänke vor der Glasschiebetür saß, die die Lobby vom Hof trennte. Die junge Frau saß mit hängenden Schultern und nebeneinandergestellten Beinen da, verloren auf ihre ineinandergelegten Hände starrend, als suche sie in ihren Handflächen nach der Lösung auf das Rätsel der Welt. Sie war so mit etwas ihm unbekannten beschäftigt, dass sie nicht einmal bemerkte, wie er vor ihr stehenblieb und auf sie herabsah. "Mogami-san?", sagte er leise. Um sie nicht aus gewaltsam aus ihrer Trance zu reißen, kniete er sich vor sie, um von unten in ihr gesenktes Gesicht sehen zu können. Vergebens suchte er ihren Blick, dann berührte er sie an der Schulter. "Alles in Ordnung?" Die unangemeldete Besucherin hatte augenscheinlich nicht damit gerechnet, dass der unfreiwillige Gastgeber sie von ihrem Posten vor den Pforten der Hochburg abholte, doch sie überspielte ihren Schock gekonnt mit einem fahrigen Lächeln, dem eine wegwerfende Geste folgte. "Tsuruga-san!", rief sie freudig, doch er konnte sehen, dass diese Freude gespielt war. Etwas beschäftigte sie. Er wollte sie nicht dazu drängen, es ihm zu verraten. "Hast du auf mich gewartet?" Kyōko strich sich ertappt über ihr schulterlanges Haar, das sie elegant mit einer glitzernden Brosche auf der einen Seite hinter ihr Ohr gesteckt hatte. Es fiel ihm bloß auf, weil dadurch ein Ohrring sichtbar war, dessen Farbe und Form nahezu perfekt zu dem Stein passten, den er ihr vor über zwei Jahren geschenkt hatte. Sie trug ihn nicht, was ihn unweigerlich zu einer Vermutung führte, die ihm unlieb war: war dies für sie einfach nicht die passende Gelegenheit, sein Geschenk anzulegen, oder bedeutete das Nicht-Tragen der Kette ein Statement? Da war es wieder: er machte sich Gedanken, während er seine Umwelt ausblendete. Kyōko hatte ihm geantwortet, ohne dass er zugehört hatte. "Entschuldige, ich war in Gedanken, Mogami-san. Was hast du gesagt?" "Ach, nicht so wichtig", winkte sie ab. "Ich bin selbst schuld. Hätte ich eher geklingelt, hätte ich hier keine zwei Stunden sitzen müssen, bis du über mich stolperst. Bist du im Begriff zu gehen? Ich möchte dich nicht aufhalten …" "Nein", berichtigte er schnell. Zu schnell. Bedächtiger schüttelte er den Kopf, stand auf und nickte in Richtung Eingang. "Eigentlich komme ich gerade von einer recht erfolglosen abendlichen Shoppingtour zurück. Möchtest du mit hoch kommen?" Kyōko wurde blass um die Nase, doch er hielt ihr falsches Lächeln aufrecht. Metaphorische Schweißtropfen rannen ihr Gesicht hinab, während sie im Inneren um eine Antwort rang. Nach einiger Bedenkzeit gab sie sich geschlagen. "Ja. Danke." Sie fuhren nebeneinander schweigend mit dem Aufzug nach oben. Rens Wohnung war aufgeräumt wie immer; nicht unbedingt für rare Gelegenheiten, in denen er Besuch hatte, wenn er denn mal zuhause war, sondern weil er so selten den Schutz seiner eigenen vier Wände genoss, dass er während seiner kurzen Aufenthalte hier kaum Unordnung schaffen konnte. Kyōko schien beeindruckt von seinem Organisationstalent, wie auch die anderen Male, die sie hier gewesen war. "Es hat sich nicht viel verändert", bemerkte sie. Mit dem Zeigefinger tippte sie auf das funktionstüchtige Modell einer goldenen Pendeluhr. "Das ist neu, aber sonst sieht es aus wie immer." Ren nahm ihr ihre leichte Sommerjacke ab, um sie ordentlich auf den Mantelständer zu hängen. Sie ließ es bereitwillig geschehen, was bedeutete, dass sie nicht vorhatte, gleich wieder zu gehen. "Mein Vater hat sie mir geschenkt. Eine Art Versöhnungsangebot." "Hat es geholfen?", hakte sie nach. "Nicht unbedingt. Wir sind zwei erwachsene Männer. Je mehr Zeit verstreicht, desto mehr leben wir unsere eigenen Leben, völlig unabhängig voneinander. Ich sehe nicht viele Nischen in meinem Leben, in die das seine sich einpassen könnte. Umgekehrt gilt wohl dasselbe." "Hm …" Kyōko murmelte nachdenklich einige Silben, die er nicht verstehen konnte, wohl aber auch kaum für seine Ohren bestimmt gewesen waren. "Eltern", schloss sie. "Meine Mutter kündigte sich für meine letzte Woche auf Okinawa bei mir an. Sie sagte, sie wolle sehen, mit was ihre Tochter ihr Geld verdient." Ihr trauriges Lächeln ließ die Enttäuschung durchscheinen, die sie erlebt hatte. "Sie ist nicht gekommen?" Andächtig strich sie über das Ziffernblatt der Uhr, ehe sie leicht den Kopf neigte. "Es hätte mich mehr überrascht, hätte sie ihr Versprechen gehalten." Damit beendete Kyōko das Thema, stellte ihre Tasche neben dem Wohnzimmertisch ab und ging zielstrebig auf die moderne Küchenzeile zu. "Ich darf doch?", fragte sie auf die Milchglasvitrine deutend. Ohne eine Antwort abzuwarten nahm sie eine Wasserkaraffe aus dem Schrank und füllte sie mit dem niedrigsten Wasserdruck, der möglich war. Ob sie Zeit schinden oder etwaige Nervosität kaschieren wollte, konnte Ren nicht beurteilen. Dafür fiel ihm das Drehbuch auf, dessen Oberkante aus der Handtasche ragte. Er zog es wider seiner guten Manieren hinaus, um es durchzublättern. "Tsuruga-san", begann sie erneut, ließ jedoch nicht vom Wasserhahn ab, "ich bin eigentlich hier, um dich um etwas zu bitten." "Wie kannst du es wagen?", blaffte er sie plötzlich von hinten an. Sein Ton barg all die Entrüstung, derer er fähig war. Kyōko drehte sich mit vor Schreck geweiteten Augen um, wobei sie die Karaffe beinahe fallen ließ. Im letzten Moment schien sie die Zeile wiederzuerkennen. "Mich vor unserer Familie dermaßen zu brüskieren!", fuhr er fort, dann wurde seine Stimme freundlicher. "Geht es darum?" Er hielt das Drehbuch empor. Kyōko hätte niemals zugegeben, sich erschrocken zu haben. Es war auch nicht nötig. Ihre leicht zitternde Hand verriet das Abflachen des ersten Schocks. Sie nickte. "Die Vorpremiere soll mit der ersten Szene beginnen, live gespielt wie in einem Theaterstück. Es ist ein sehr … emotionsgeladener Dialog. Moko und ich versuchten ihn so gut als möglich zu interpretieren, leider ist es zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren sehr schwer, derartige Emotionen glaubwürdig darzustellen. Darum dachte ich …" "Ich verstehe", unterbrach er sie. Er senkte sein Augenmerk zurück auf das Drehbuch. Vier Seiten geballter Emotionalität. "Um was geht es genau in dieser Szene? Haruko scheint ihren Mann vor seinen Eltern und Schwiegereltern in große Verlegenheit gebracht zu haben. Wieso?" Kyōko war erleichtert über seine nonverbale Zusage und trat an den Tisch, um sich ihm gegenüber niederzulassen. "Sie hat ihn vor aller Augen damit konfrontiert, eine Affäre zu haben. In dieser Szene streitet er es weder ab, noch bestreitet er seine Gefühle für die andere Frau. Allerdings war es in den Sechzigern noch sehr unüblich, sich scheiden zu lassen, vor allem im konservativen Okinawa, daher verlangt er von ihr, seine Liaison wortlos zu billigen. Haruko allerdings liebt ihren Ehemann, was dieser wiederum weder schätzt noch würdigt. Am Schluss muss ich zusammenbrechen und weinen. Vor allem bei diesem Teil habe ich große Probleme. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wegen eines Mannes, der mich so schäbig behandelt, schluchzend auf die Knie zu fallen." Ren versuchte sich die Szene vorzustellen, in der die Frau vor ihm an gebrochenem Herzen litt. Er konnte es nicht. Sie war so stark, so verschlossen, aus gutem Grund, wie er wusste. Sie war anders als die Mädchen, die er kannte. Vielleicht naiver und verträumter, aber nicht um ihrer Traumvision willen, sondern weil sie sich damit versuchte aus ihrer harten Realität zu flüchten, in der sie ausgenutzt, verschmäht und weggeworfen worden war. Dies war der Knackpunkt. Damals hätte sie weinend zusammenbrechen können, doch ihr kämpferisches Wesen hatte den Weg der Rache gewählt. Kein Motiv, von dem er nach drei Jahren auch nur einen Funken besser dachte. Trotz alledem unterschied sich dieser Charakterzug von Haruko, die an den Scherben ihrer Liebe langsam selbst zerbrechen würde. Zumindest hatte er das bei der Gala gehört. Er wusste nur zu gut, wie es war, etwas zu spielen, das dem Grundwesen des Schauspielers schreiend widersprach. "Möchtest du den ersten Part überspringen und gleich mit den letzten Dialogen beginnen?", schlug er schließlich vor. "Es wäre am Ende gewiss leichter für dich, den Zusammenbruch anschließend an die Vorgeschichte zu spielen, wenn du ihn schon zuvor beherrschst." Zustimmend nickte Kyōko. "Okay. Wo fangen wir an?" Er reichte ihr das Drehbuch. "Wähle die Stelle, die dir als erste Schwierigkeiten bereitet, dann beginne mit dem Satz zwei Absätze darüber, um dich einzuspielen. Bist du bereits in deiner Rolle?" Ren konnte sehen, wie sich der Ausdruck in ihren hellen Augen blitzschnell veränderte. Sie war ein Profi geworden, keine Frage. Die Zeiten, in denen sie Minuten brauchte, um sich in ihren Charakter einzufügen, gehörten der Vergangenheit an. Er kam nicht umhin, ein wenig stolz zu sein. "Bereit?", fragte sie fast herausfordernd. "Wann immer du es bist." Konzentrierte Stille legte sich acht Herzschläge lang über was offene Wohnzimmer. Kyōko brauchte nicht lange, um Harukos emotionale Aufgewühltheit zu verinnerlichen. Sie entlehnte dafür ihre eigene Verwirrung. Wie war es möglich, dass Ren nicht böse auf sie war? Wieso hatte er ihr angeboten, mit nach oben zu kommen? Er hatte bedingungslos seine Hilfe angeboten, wo er sich doch in den letzten Monaten alle Mühe gemacht hatte, ihr zu zeigen, wie unwichtig sie ihm doch war! All diese unbeantworteten Fragen machten es leicht, die Zerrissenheit ihrer Rolle darzustellen. Sie spürte, wie sich ihr Körper anspannte, die Schultern zurücknahm, wie die stolze, intelligente Haruko es immer tat, wenn harte Zeiten aufkamen. "Yasuo-kun …", wimmerte sie, die angespannten Schultern unter der schweren Last der Wahrheit bebend. "Sag, dass du mich liebst. Ich bitte dich. Wenn es das letzte Mal gewesen sein mag, sag es mir, damit ich mir sicher sein kann, mit dieser Ehe die richtige Entscheidung getroffen zu haben." "Diese Ehe", entgegnete Ren. Wie er sie anstarrte, gnadenlos und verachtungsvoll, bedrohlich und voller Hass. Es jagte ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken. Toshiro war ein wunderbarer Schauspieler, aber er hatte ihr niemals eine solche Gänsehaut beschert. "Diese Ehe", fuhr Ren fort, ganz in seiner Rolle des Yasuo, "ist eine Farce. Eine Lüge, die sich deine und meine Eltern ausdachten, um die Fusion ihrer Firmen abzusichern. Ich wollte niemals jemanden wie dich heiraten, Haruko. Jemanden, der so schwach und unbedeutend ist, aber trotzdem so viel auf sich hält." Kyōko versuchte ihre Antwort zu formulieren, doch aus ihren bewegten Lippen kam kein Laut. Druck legte sich auf ihren Brustkorb und machte ihr das Atmen schwer. Sie kniete sich keuchend auf den Boden, schwer nach Luft ringend. Sofort war Ren bei ihr, seine Hand strich beruhigend über ihren Rücken. "Bist du okay?" "Ja", versetzte sie, enttäuscht von sich selbst. "Ich hatte nur vergessen, wie intensiv du deine Rollen spielst. Ich muss mich erst daran gewöhnen, einen so starken Gegenpart zu haben." Dass dies nur die halbe Wahrheit war, wussten beide. Bloß war Kyōko sich nicht sicher, ob Ren mit seiner Vermutung richtig lag. Ob er die Wahrheit kannte, nicht nur die Lüge bemerkte? Ihn diese Worte sagen zu hören … sie hätte es sich weniger drastisch vorgestellt. Wann immer ihr Serienehemann sie gedemütigt hatte—in späteren Szenen sehr viel schlimmer als im Prolog—hatte sie nicht diesen Schmerz empfunden, der sich wie ein Messer durch ihr Herz rammte. Immer und immer wieder, Silbe für Silbe. "Machen wir weiter." Kyōko rappelte sich auf, nahm ihre Position wieder ein und schlug sich leicht gegen die Wangen, um ihren Fokus zu finden. Sie durchforstete das Drehbuch, das sie mental abgespeichert hatte. Der nächste Satz kam ihr unter Rens erbarmungslosem Blick erheblich schwerer von den Lippen als der erste. "Das bedeutet nicht, dass du tun kannst, was du willst. Arrangiert oder nicht, das Gebot der Ehe gilt in jeder Form davon. Ich werde mich nicht ausnutzen lassen!" "Was willst du dagegen tun, Liebes?", höhnte Ren. Er trat einen Schritt näher an sie heran, wie ihm Drehbuch notiert. "Drohe mir nicht, wenn du nicht mit den Konsequenzen leben willst. Ich kann mit deinem Hass umgehen, aber kannst du auch den meinen ertragen?" Kyōko wich zurück, was ebenfalls im Drehbuch stand. Bloß, dass sie daran gar nicht gedacht hatte. "Hör auf! Bitte, Yasuo-kun, hör auf!", kreischte sie wie vom Blitz getroffen. Sie barg ihr Gesicht in ihre Handfläche, bloß um es voller Tränen nach oben zu reißen. Dann war das Drehbuch zu Ende, doch anstatt zusammenzusinken und Yasuo zu entlassen, warf sie sich gegen Ren, packte ihn am Kragen und brüllte in sein Hemd. "Das ist alles nicht fair!" Ren war überfordert. Hatte er diesen letzten Part des Drehbuchs überlesen? Er spürte ihre Nägel seine Haut durch die Leinen des Oberteils zerkratzen, fühlte ihre Tränen, die durch den Stoff sickerten, doch er war zu perplex, um zu reagieren. Kyōko indes hämmerte mit kraftlosen Fäusten gegen seine Brust. Irgendwo tief in ihr waren ihre Emotionen übergekocht. Jene Emotionen, die sie sich versucht hatte auszureden. Jahrelang hatte sie sie versteckt, verschlossen gehalten in ihrem tiefsten Inneren, gelächelt für das Schauspiel ihres Lebens, das sie und Ren veranstalteten, seit sie sich kannten. "Wie kannst du tun, als sei nichts? Wie kannst du es wagen, mir zu helfen? Einfach so?", kreischte sie weiter, die Fäuste endlich stillhaltend, um sich erneut in den Hemdkragen zu krallen, an dem sie zog und schob, um ihrer Entrüstung Ausdruck zu verleihen. Ren schwieg immer noch erstarrt. "Ich hatte eine Rede vorbereitet! Eine ellenlange Entschuldigung, weil ich schlecht über dich dachte, bloß um hinterher wieder schlecht über dich zu denken, weil du sie mit deinem falschen Lächeln angenommen hättest, obwohl du wüsstest, wie hinterlistig sie wäre! Wieso nimmst du mir den Triumph, dir überlegen zu sein, lädst mich zu dir ein, als habe sich in den letzten zwei Jahren nichts verändert? Wieso zum Teufel hilfst du mir, als seien wir beste Freunde?! Freunde versetzten einander nicht, rufen auch von sich aus an und leben nicht in den Tag hinein, als wäre das alles völlig egal!" Kyōko ergab sich den bitteren Tränen aus Wut und Verzweiflung. Es war nicht dieser Abend, der sie ausrasten ließ, es waren die letzten Wochen. Mit rauer, brüchiger, belegter Stimme fuhr sie fort, ihrer Frustration Luft zu machen. "Du solltest derjenige sein, der sich entschuldigt! Du riefst mich auf Okinawa nie zurück, hast zum Schluss nicht einmal mehr auf meine Nachrichten geantwortet! Du brachst dein Versprechen, mich vom Flughafen abzuholen, und dann tauchst du auch noch mit einer Frau auf, der ich niemals das Wasser reichen kann. Wofür das alles, Ren?" Es war ein eigenartiges Gefühl, ihn beim Vornamen zu nennen. Kyōko hatte es gar nicht erst bemerkt, ebenso wenig die Arme, die sich um ihren Rücken gelegt hatten. Sie drückten sie enger an ihren zugehörigen Körper, dessen Anspannung allmählich nachließ. "Bekomme ich heute auch nur eine einzige Antwort?", schniefte sie bemüht, ihre Fassung wiederzuerlangen. Es misslang nach allen Regeln der Kunst. "Was ist, wenn ich keine passende Antwort auf deine Fragen habe?" Ein Schlag ins Gesicht hätte weniger wehgetan, doch sie versuchte tapfer zu bleiben. Vielleicht war diese Umarmung nichts mehr als eine Entschuldigung. Es war genau dieser Moment, in dem ihr klar wurde, dass sie sich nicht aufgeführt hatte wie eine Geisteskranke, weil sie drohte, einen geschätzten Freund entgleiten zu lassen. Die ganze Zeit über hatte sie sich dagegen gewehrt, anzuerkennen, dass sie nicht im Inbegriff war, einen Mentor und Kollegen zu verlieren, sondern denjenigen, dem sie ihr Herz geöffnet hatte. Es war der denkbar ungünstigste Moment, um zu realisieren, dass sie in Tsuruga Ren verliebt war. "Ist das ein Abschied?", wisperte sie. Die Abfuhr schmerzte als hätte er sie durch ein Fenster geworfen. Splitter für Splitter. Plötzlich drückte Ren sie fester an sich. Er vergrub sein Gesicht in ihrem Haar, sein Atem streifte ihren Nacken als er mit einer Hand an ihren Scheitel glitt, um ihren Kopf an seine Schulter zu lehnen. "Es ist kein Abschied. Es ist meine eigentümlich Art dir zu sagen, dass ich sehr oft nicht weiß, warum ich absichtlich Dinge tue, die mich unglücklich machen." Sie weitete in seiner Umarmung ihre Augen, die leuchten mussten wie die Sonne selbst. "Ich weiß nicht, seit wann ich dich liebe, aber fest steht, dass ich es tue. Und es immer werde, wenn du mich lässt. Kyōko." An seiner Schulter nickte Kyōko. Ren musste ihren Herzschlag spüren, der aufgeregt in ungesunde Geschwindigkeiten anstieg. Ihr Herz machte mit jeder Silbe einen Sprung. Das war also das Gefühl, von jemandem aufrichtig geliebt zu werden. "Ich denke", schmunzelte sie selig, "meine Zeiten bei der Love Me Section sind nun offiziell vorbei." .:: E N D E ::. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)