Family Bonds von cu123 (~ Sequel zu Close Distance ~) ================================================================================ Kapitel 46: "Der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt…" ------------------------------------------------------------- >Gibt es etwas Bestimmtes, das ich ihn fragen soll?< Sein Teller war fast geleert, als er sich an Schneider wandte. Sie alle hatten sich mehr um ihr Essen als um ihre Unterhaltung gekümmert, anscheinend wollten ihre Gäste nicht die letzten Reste ihres Appetits verlieren, und er hatte keinen Grund gesehen, auf sofortige Antworten zu bestehen. Er würde sie auch so erhalten, das war ihm auch ohne jede Versicherung seines Talents klar. Statt auf diesen Gedankengang einzugehen und damit wieder darauf, dass er zu viel Rücksicht in Herrn Walters Fall nahm, reagierte Schneider nur auf die bewusst übermittelten Worte. >Ich denke, du benötigst meine Hilfe dabei nicht.< Humor unterlegte die Antwort. >Mach einfach so weiter wie bisher. Falls ich merke, dass Herr Walter etwas zurückzuhalten versucht, werde ich dich informieren.< Er nickte unwillkürlich, nur innerlich, doch irgendetwas schien ihn trotzdem zu verraten. Denn im selben Moment konnte er spüren, wie sich Herrn Walters Blick auf ihn richtete. Er hob die Augen vom Anblick seines Tellers und hielt dem Blick des älteren Mannes stand, ohne eine Regung zu zeigen. Bis der Deutsche zu einer Entscheidung gelangte und den eigenen Teller von sich schob. "Es ist wohl Zeit, die Geschichte zu einem Ende bringen…“ Leise genug, dass es auch ein Selbstgespräch hätte sein können. Nichtsdestotrotz neigte er den Kopf, nur ein paar Millimeter, doch dies schien Herrn Walter zu genügen. Der Fokus der grau-grünen Augen verschob sich für einen Moment, schien die Vergangenheit statt ihn zu sehen. Und als Herr Walter wieder zu sprechen anfing, ließ ihn das beinahe zusammenzucken, obwohl die Worte vollkommen sanft gesprochen waren. "Dieser… Wissenschaftler… hatte Unterlagen dabei, die zeigten, woran er mit seinen Kollegen gearbeitet hatte. Mehr als genug für mich, um zu sehen, warum mein Vater daran interessiert gewesen war. Doch die Art, wie sie es getan hatten…" Herr Walter verstummte und dessen Blick wurde auf einmal sehr scharf. "Ich hatte nicht vor, mich an so etwas zu beteiligen." Dieses Mal war sein Nicken nicht nur innerlich, denn aus irgendeinem Grund schien dieser Punkt dem Anderen wichtig zu sein. Und die Geste reichte tatsächlich aus, um Herrn Walter weitersprechen zu lassen. "Natürlich war ich daran interessiert zu erfahren, was eigentlich mit der Einrichtung geschehen war und der Mann erzählte mir das Wenige, das er wusste. Anscheinend war das Institut durch Ihre Leute eingenommen worden und danach hat er nie wieder etwas von ihnen gehört. Die Rettung des Wissenschaftlers war, dass er gerade ein Feldexperiment vorgenommen hatte. Er stand dabei mit Kollegen aus dem Institut in Kontakt und das entsprechende Video, als deren Labor gestürmt wurde, blieb auf seinem Laptop erhalten." Herr Rieger neben ihm versteifte sich leicht und auch er selbst spürte, wie er für einen Moment die Zähne zusammenbiss. Denn sie ahnten bereits, was als nächstes kommen würde. Immerhin hatte Herr Walter zuvor schon angedeutet, dass Schneider ursprünglich der Grund gewesen war, weshalb sie überhaupt auf das Büro gekommen waren. Und keinem von ihnen gefiel es, dass es irgendwo Material gab, anhand dessen man Schneider identifizieren konnte. Herr Walter zögerte kurz, als dieser ihre Reaktion sah, fuhr dann jedoch fort, ohne eine weitere Aufforderung zu benötigen. "Ich habe das Video gesehen. Viel konnte man nicht erkennen. Nur zwei junge Männer, bewaffnet. Und einer von Ihnen war Herr Schneider, wie ich später erfahren habe." Es war Herr Rieger, der sich vorbeugte, Gesichtsausdruck kühl und die Worte im Gegensatz ungewohnt hitzig. "Wie konnten Sie ihn identifizieren?" Herr Long lehnte sich unwillkürlich ebenfalls vor, als wollte er sich irgendwie in eine Position zwischen die beiden Männer bringen. Was aufgrund des Tisches nicht mit viel Erfolg gekrönt war. Doch gleich darauf legte sich eine Hand auf dessen Unterarm, forderte auf diese stille Art und Weise Zurückhaltung ein. Und Herr Walter erhielt sie. So etwas wie ein Lächeln zupfte an den Mundwinkeln des Älteren, aber er hätte das Talent eines Empathen benötigt, um beurteilen zu können, ob zumindest etwas Belustigung daran beteiligt war. Und die Stimme des anderen Mannes verriet auch nicht mehr, völlig ruhig gehalten, als Herr Walter wieder das Wort ergriff. "Es war reiner Zufall. Ich war aus geschäftlichen Gründen in Deutschland und hatte die Einladung zu einem Silvesterball angenommen." Schweigen, nur für ein paar kurze Sekunden, bevor ihn der Blick grau-grüner Augen regelrecht durchbohrte, während Herr Rieger weiter ignoriert wurde. "Ich weiß bis heute nicht, warum ich mir so sicher war, aber ich erkannte ihn sofort." Er musste zugeben, dass er das nicht besonders verwunderlich fand. Er kannte Schneiders Präsenz nur aus persönlichem Erleben, doch wenn man die Umstände damals bedachte, hatte der Deutsche sicher auch auf dem Video Eindruck hinterlassen. Herr Walter schien sein Verständnis wahrzunehmen, nickte leicht, bevor dieser fortfuhr. "Ich habe nicht gewagt, ihn anzusprechen, doch es war nicht schwer herauszufinden, dass er eine japanische Gesellschaft vertrat. Von dort war es dann einfach, das… Büro… zu finden." Zuletzt griff der Ältere seine Wortwahl auf, verriet ihm so, dass Herr Walter auch selbst Informationen sammelte. Doch das störte ihn nicht weiter. Ihre internen Bezeichnungen würden Herrn Walter nichts nutzen und selbst wenn dieser irgendetwas Wichtiges mitbekommen sollte, so hatten sie gleich zwei Telepathen bei der Hand, die solche Patzer wieder ausbügeln konnten. Er lehnte sich zurück, betrachtete das gesamte Bild, das Herrn Walters Erklärungen vor ihm ausgebreitet hatte. Auch wenn die Geschichte nicht sehr wahrscheinlich klang, so war sie sehr wohl möglich. Und sie war wahr, sonst hätte Schneider schon längst Einwände erhoben, selbst wenn Herrn Rieger etwas entgangen sein sollte. Womit nur noch ein Puzzlestück fehlte. "Warum hatten Sie überhaupt ein Interesse daran, noch mehr zu erfahren? Sie hatten das Angebot des Wissenschaftlers schließlich ausgeschlagen, nicht wahr?" Nicht, dass Herr Walter es dabei hatte bewenden lassen – wie offensichtlich war. Was dem Deutschen in diesem Moment ebenfalls durch den Kopf zu gehen schien. "Genau, ich hatte es ausgeschlagen, aber die Idee an sich blieb." Wieder Schweigen und dieses Mal war es nicht nur da, um Gedanken zu sammeln. Herr Walter schien tatsächlich nicht fortfahren zu wollen. Was lächerlich war, wenn man bedachte, wie bereitwillig er bis zu diesem Moment Auskunft gegeben hatte. Und ganz davon abgesehen musste inzwischen eingesunken sein, dass sie alle Informationen auch auf anderem Wege erhalten konnten. Schweigend musterte er den älteren Mann, der mit sich selbst rang, und nur seine leicht gehobene Augenbraue erinnerte Herrn Walter an diese Tatsachen. Er konnte nicht sagen, ob es das war, was Herrn Walter seufzen ließ. Aber die neue Haltung des Älteren nahm bereits dessen Entscheidung vorweg. Herrn Walters Gestalt war in sich zusammengesunken, als hätte er mit diesem Ausatmen jeglichen Halt verloren und dessen Stimme war tonlos, der Kiefer verkrampft. "Wie schon erwähnt, überlebte der Wissenschaftler, weil er ein Experiment außerhalb des Insituts durchführte. Und mit ihm die Empathin, die bei ihm war." Er zwinkerte langsam, überwand in diesem Moment seine Überraschung. Denn obwohl er sich das hätte denken können, hatte er es einfach nicht getan. "Sie… blieb bei mir." Es war eindeutig, dass in dieser Pause sehr viel ausgelassen wurde, doch was als nächstes kam machte mehr unnötig. Der Wandel in Herrn Walters Miene war so abrupt wie eindrucksvoll, als sich dessen Gedanken voll auf diese Frau konzentrierten. "Ich musste sicherstellen, dass ihr keine Gefahr von Ihrer Organisation droht. Deswegen habe ich ein Auge auf Herrn Schneider behalten." "Sie haben sie geheiratet, die Empathin?" Die grau-grünen Augen hatten für einen langen Moment auf dem Ring geruht, den Herr Walter trug, so dass die Frage fast schon eine Feststellung war. Und dieses Mal lächelte der Deutsche uneingeschränkt. "Habe ich. Und ihr Beispiel hatte mich davon überzeugt, wie hilfreich Mitarbeiter mit solchen Begabungen wären. Der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt…" Mit einem angedeuteten Schulterzucken. Und was für eine… Er schüttelte leicht den Kopf, nicht ungläubig, denn alles passte zusammen. Aber es waren schon sehr viele Wege, die sich hatten kreuzen müssen, um zu diesem Ende zu führen. "Ich halte es ja immer noch für deine größte Leistung, dass ihr nicht einen einzigen Ehekrach hattet, wenn man bedenkt, was sie kann." Herr Long wirkte jetzt ebenfalls vollkommen anders, schien es sogar zu schaffen, für den Moment die Umstände der beiden zu vergessen. "Das hält mich eben ehrlich", erwiderte Herr Walter, mit belustigtem Unterton. "Als hättest du das nötig, du betest sie ja förmlich an…" Ein leises Grummeln war die Reaktion darauf, das zu viel amüsierte Wärme in sich trug, um negativ gemeint sein zu können. Dazu schwieg der andere Mann, doch er hatte es auch nicht nötig, etwas zu sagen. Und für eine Weile hielt sich das entspannte Schweigen, als wären sie nur hier, um ein Abendessen zu genießen. Er hielt es nicht für erforderlich, es zu stören, Herr Walter hatte sich diese Pause verdient. Auch wenn er dessen inneren Aufruhr nur ahnen konnte, vor allem, als die Sprache schließlich auf dessen Frau kam, zweifelte er für keinen Moment daran, dass es dem Deutschen schwergefallen sein musste, sich so zu beherrschen. >Sie ist es, was ihn so schnell hat kooperieren lassen<, schob sich Schneiders Stimme wieder zwischen seine Gedanken, während er den funkelnden Wein in seinem Glas betrachtete, dann einen kleinen Schluck davon nahm. Und der Geschmack schien ihm den Telepathen noch viel näher zu bringen, so dass er schließlich nicht sagen konnte, was genau die Ursache für die Wärme war, die sich in seinem Magen zusammenrollte. Er seufzte leise, nur in seinem Kopf, und konnte aus Schneiders Richtung ein Zögern spüren, bevor dieser Energie durch ihn schickte, die der Wärme ein Kribbeln hinzufügte. Er erlaubte sich ein paar lange Sekunden, während derer er sich einfach nur in diesen Pool hineinfallen ließ, ohne über irgendetwas nachzudenken. Aber ein Teil von ihm vergaß nicht, wo er sich befand und begann sich mit den Worten auseinanderzusetzen, mit denen Schneider sich kurz zuvor bei ihm gemeldet hatte. Und schließlich kommentierte er sie. >Herr Walter hofft, dass wir sie in Ruhe lassen, wenn er mit uns kooperiert?< >Und seine Hoffnung ist nicht fehlgeleitet, wenn auch aus anderen Gründen, als er annimmt. Als Talent spielt sie für uns schließlich keine Rolle. Wir haben mehr als genug Empathen und sie ist viel zu alt, um noch ausgebildet werden zu können.< Die folgende Pause trug Amüsement in sich. >Doch das kann ihm egal sein, solange das Ergebnis stimmt, nicht wahr? Und da er kooperiert hat, haben wir keinen Grund, sie als Druckmittel zu benutzen.< Er lächelte unwillkürlich. >Darf ich ihm das sagen – dass er keinen Grund zur Sorge mehr hat?< >Hm, mach das ruhig. Vielleicht gibt er sich dann auch Mühe, wenn es darum geht, das Verhalten von Frau Kato zu verstehen.< Zum Ende hin klang Schneider irgendwie abgelenkt, doch als der Ältere nichts weiter sagte, schüttelte er den Eindruck mit einem Schulterzucken ab. Schließlich waren da immer noch ihre… Gäste, um die er sich kümmern musste. Als sich seine Aufmerksamkeit wieder der äußeren Welt zuwandte, fand er sich dem Blick grau-grüner Augen ausgesetzt. Und jetzt stand eine neue Anspannung darin. Anscheinend hatte Herr Walter nicht nur seine Abwesenheit mitbekommen, sondern auch die Ursache dafür erraten. Was nicht weiter verwunderlich war, auch wenn er es mit einem Talentlosen zu tun hatte. Schließlich hatte der Deutsche jahrelange Erfahrung. Sein Lächeln, das fast wieder abgeklungen war, gewann kurz an Ausdruck, eine stumme Versicherung, bevor er noch Worte folgen ließ. "Wir haben ausreichend Leute. Wir werden ganz sicher nicht versuchen, Ihre Frau zu rekrutieren." Oder etwas anderes, brauchte er nicht hinzufügen, es wurde auch so verstanden. Die Anspannung verschwand, doch Herr Walter blieb wachsam. "Heißt das, unsere Wege können sich jetzt wieder trennen? Vorzugsweise, nachdem Herr Franklin zu uns zurückgefunden hat." Er neigte leicht den Kopf. "Es gibt da noch einen Punkt, den wir vorher klären müssten. Ganz davon abgesehen, wäre es vielleicht für uns alle von Vorteil, wenn der Abschied nicht von Dauer sein wird." Herr Long runzelte die Stirn, hielt aber den Mund, als keine Drohung aus seinen Worten herausgelesen wurde. Herrn Walters Miene hingegen blieb regungslos, als der Ältere das Angebot aufnahm, ohne bereits ein Urteil darüber zu fällen. Lieber konzentrierte sich der Deutsche erst einmal auf den ersten Teil seiner Aussage. "Mir fällt beim besten Willen nichts ein, das wir noch zu klären hätten…" "Das liegt daran, dass sie noch nicht alle Informationen hatten. Herr Franklin hatte uns bereits gesagt, dass Frau Kato lediglich den Auftrag hatte, das Büro zu beobachten. Und Ihre Aussagen haben dies bisher bestätigt…" Er hielt kurz inne, um Herrn Walter die Gelegenheit zu geben, zu reagieren. Und dieser tat es auch, mit einem verwunderten Nicken. "Ja, genau so ist es auch. Wir hatten ganz sicher nicht vor, uns mit Ihnen anzulegen. Schließlich habe ich mit eigenen Augen gesehen, wie gefährlich Ihre Organisation sein kann." Dieses Mal war er es, der nickte. "In dem Fall wird es Sie sicher ebenfalls überraschen zu hören, dass Frau Kato nicht einfach nur gestorben ist, weil wir sie erwischt haben. Um genau zu sein, waren wir es nicht einmal, die sie getötet haben." Beide Männer hatten sich unwillkürlich vorgelehnt, doch seine Aufmerksamkeit schweifte kurz zu Herrn Rieger ab, der ihm deutete, dass keiner von ihnen nur etwas vorspielte. Er fuhr ohne zu stocken fort. "Sie hatte eine Waffe in unser Büro geschmuggelt. Und nachdem wir sie entdeckt hatten, hat sie sich selbst getötet, bevor wir sie befragen konnten." Die Blässe, die in Herrn Walters Gesicht Einzug hielt, war absolut echt. Doch hinter dessen Stirn konnte er direkt erahnen, wie die Gedanken des Älteren rasten. Und der Schluss, zu dem sie kamen, schien dem Deutschen ganz und gar nicht zu gefallen. ~TBC~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)