Family Bonds von cu123 (~ Sequel zu Close Distance ~) ================================================================================ Kapitel 5: "Du bist auch nicht besser als er" --------------------------------------------- Als Crawford schließlich auf dem Parkplatz der Schule hielt, war er sich nicht sicher, ob er wirklich aussteigen, hier lernen, wollte. Denn wohin er auch blickte, überall sah er diejenigen, die seine Mitschüler sein würden und sie alle… waren natürlich keine Japaner. Er wandte sich vom Fenster ab und begegnete Nagis Blick. Der Jüngere schien zu erraten, was ihm durch den Kopf gegangen war und reagierte mit einem unbeeindruckten Schulterzucken darauf. Was ihn daran erinnerte, dass er Nagi in der Schule meistens allein gesehen hatte. Bei dem Baum, mit einem Buch und ganz zufrieden mit dieser selbstgewählten Isolation. Was die Reaktion des Jüngeren verständlicher machte. Und vielleicht sollte er sich daran ein Beispiel nehmen. Das hier war letztendlich nur vorübergehend, auch wenn es ein Jahr dauern sollte. Und jetzt deswegen nervös zu sein, würde auch nichts ändern. Dieser letzte Gedanke ließ seine Mundwinkel nach oben kurven. Nagi blieb für einen Moment ernst, dann aber wurde sein Lächeln erwidert. "Dann wollen wir mal", schloss sich dem in gespielt munterer Manier an, etwas, das irgendwie gar nicht zu Nagi passen wollte. Er lachte auf, setzte dann ebenso wie der Jüngere die Worte in die Tat um. Crawford, der ihren Austausch stumm verfolgt hatte, schien amüsiert, als dieser ebenfalls ausstieg. "Ihr kommt am besten erstmal mit. Der Direktor wird euch sehen wollen, bevor ihr in eure Klassen geht." Er war garantiert nicht der einzige, der in diesem Moment an Herrn Schneider dachte und am liebsten hätte er nach Crawfords Handgelenk gegriffen. Doch dafür war er sich zu sehr der neugierigen Blicke bewusst, die sie verfolgten, als sie sich jetzt in Bewegung setzten. Aber nichts verhinderte, dass er ganz auf den Schwarzhaarigen konzentriert blieb und Crawford blieb natürlich völlig ungerührt, allerdings ohne dabei die Umgebung ignorieren zu müssen. Die braunen Augen schienen jeden Winkel in sich aufzunehmen, jede Person, und alles wurde fein säuberlich analysiert und eingeordnet. Einem Dritten wäre das nicht aufgefallen, doch er konnte regelrecht spüren, wie sich der Ältere konzentrierte. Kurz schweifte sein Blick zu Nagi hinüber und er war für einen Moment verwundert, dass dieser so viel weniger Interesse an dieser neuen Umgebung zu haben schien. Dann aber fiel ihm ein, dass Nagi nicht seine Augen benutzen musste, sondern einen anderen Sinn dafür parat hatte. Er wünschte sich, dass er ihr Training hätte, wenn er schon kein Talent hatte, dann würde er es ihnen gleichtun, statt nur Ablenkung zu suchen. Und dann stockte er innerlich. Nichts hinderte ihn daran, nicht wahr? Und Crawford hatte ihm schon vor einiger Zeit beigebracht, seine Umgebung stets wahrzunehmen. Wenn er das beim Training konnte, sollte es ihm hier erst recht gelingen. Also löste er sich von seiner Beobachtung des Älteren und widmete sich stattdessen ebenfalls der Umgebung. Die Schüler wichen in den Hintergrund zurück, als er erstmals den Außenbereich wirklich in sich aufnahm. Der Parkplatz war von teuren Autos belegt gewesen – wenn es nicht sogar so war, dass die Schüler einfach nur ausstiegen und die Wagen dann gleich wieder fortfuhren. Und das Thema setzte sich beim gepflegten Gelände fort. Die Rasenflächen waren dicht, grün und kurz geschnitten. Hochgewachsene Bäume waren strategisch so verteilt, dass ausreichend Schattenbereiche für heiße Tage zur Verfügung standen. Und das Schulgebäude schien alt und neu zugleich zu sein. Gepflegte Fassade, große, blitzende Fenster; aber eingelebt. Drinnen waren die Gänge hell und großzügig und irgendwie fühlte es sich nicht wie eine Schule an. Vielleicht eine Universität, stellte er nach einem Moment der Überlegung fest. Er spürte plötzlich Crawfords Blick auf sich ruhen und violette Augen hoben sich in Erwiderung zu dem Älteren. "Gefällt es dir?", wurde er gefragt, mit einem leichten Lächeln. Das war gar nicht so einfach zu beantworten. Auf jeden Fall war es ungewohnt. Fremd. "Ich denke schon", meinte er schließlich, ohne sich ganz festzulegen. Und Crawford bestand auch nicht auf mehr. "Sie haben auch eine gut ausgestattete Bibliothek hier, ebenso lassen die Sportanlagen kaum Wünsche offen. Und ein vernünftiges Essensangebot gibt es ebenfalls." Belustigt hoben sich seine Mundwinkel. "Du musst mir die Schule nicht verkaufen, weißt du? Mir reicht schon, dass du auch hier bist." Diese Neuigkeit war überraschend und umso willkommener gewesen. Seine Gedanken sprangen gleich weiter. "Wir könnten in der Bibliothek Hausaufgaben machen, falls du länger arbeiten musst." Mit einem schnellen Blick zu Nagi, der nichts gegen den Vorschlag zu haben schien, sogar knapp nickte. "Du willst dich nicht von jemand anderem chauffieren lassen, bis du selbst ein Auto hast?" Amüsement blitzte in den braunen Augen auf. Er zuckte kaum merklich mit den Schultern und versuchte die Wärme zurückzudrängen, die in seine Wangen ziehen wollte. "Ich möchte lieber mit dir fahren", stellte er dann mit fester Stimme klar. Und wieder zuckten seine Finger in dem Verlangen, nach dem Älteren zu greifen. "Natürlich, Ran." Immer noch amüsiert, aber auch mit Wärme. Und erst als Crawford stehen blieb, merkte er, dass er sich tatsächlich erfolgreich abgelenkt hatte, denn sie hatten anscheinend das Büro des Direktors erreicht. Zum Glück erwies sich der Besuch beim Direktor als eine reine Höflichkeitsveranstaltung, die schnell hinter ihnen lag. Und so fanden sie sich kurz darauf wieder vor der Tür wieder, von der Sekretärin höflich um einen Moment Geduld gebeten, bis sie jemand zu ihren Klassen führen würde. Und für diesen Augenblick war Crawford noch bei ihnen, der Direktor hatte den Älteren gerne noch einmal freigegeben. Nachdem der Direktor in seiner alten Schule eine sehr ferne Respektperson gewesen war, brauchte er einen Moment, um die neuen Eindrücke zu verarbeiten. "Er war sehr… zuvorkommend", stellte er schließlich fest, sicher in der Gewissheit, dass die Sekretärin kein Japanisch verstehen würde. Crawfords Miene geriet irgendwie seltsam, kühle Belustigung vielleicht. "Ich denke, er ist Herrn Schneider etwas schuldig. Daher war es auch so einfach, seine Einwilligung dafür zu erhalten, dass ich hier etwas Erfahrung sammeln kann." Erst als er bereits den Stoff berührte, merkte er, dass er am Ärmel von Crawfords Jackett zupfte. "Haben wir auf diese Weise auch unsere Plätze als Schüler bekommen?", hakte er nach und irgendwie gefiel ihm dieser Gedanke nicht. Was ihm geradewegs vom Gesicht abgelesen wurde. Mundwinkel zuckten kurz. "Nein, das ist dem guten alten Geld zu verdanken, das man für diese illustre Einrichtung zahlen muss." Er zwinkerte, denn irgendwie war das nicht viel besser. Aber ein bisschen schon. Und Craword schien sich nie Gedanken um Geld machen zu müssen. Also war es wohl besser, wenn er selbst gar nicht erst damit anfing. "Gut zu wissen", gab er daher so trocken wie möglich zurück, woraufhin sich Crawfords Lächeln für einen Moment vertiefte, bevor da plötzlich eine Hand in seinem Nacken war, Finger, die sich in rote Strähnen woben. Der Kuss war vorüber, bevor er ihn wirklich erwidern konnte, aber der Druck der Hand gegen seinen Nacken, der Lippen gegen seine, verweilte wie ein Echo. Er warf einen schnellen Blick in Richtung der Sekretärin, doch die hatte nichts mitbekommen, ganz wie es bei Crawford zu erwarten gewesen war. Dann schenkte er dem Älteren einen beinahe vorwurfsvollen Blick, der ganz ohne Worte auskam. Denn jetzt wollte er mehr haben als diese Erinnerung, dieses Echo. Der Schwarzhaarige blieb natürlich ungerührt und dann war da auch schon wie versprochen der Lehrer, der ihn und Nagi begleiten würde. Der Mann tauschte ein paar Worte mit Crawford aus, winkte ihnen dann, ihm zu folgen. Nach einem langen Blick zurück zu dem Amerikaner tat er das auch, ein wenig zögernd anfangs, dann aber mit fester werdenden Schritten. Nagi hielt sich an seiner Seite, die Miene eisern unter Kontrolle, als er angesprochen wurde. "Crawford scheint dich gerne aufzuziehen", wurde ihm ernsthaft mitgeteilt, während in den dunkelblauen Augen ein ganz anderer Funken glitzerte. Für einen Moment zog er eine saure Miene. "Ich hätte auch nichts dagegen", gab er zu. Nein, wirklich nicht. "Aber ausgerechnet heute… hier." Begleitet von einer umfassenden Geste. Nun äußerte sich die Belustigung doch in einem schnell wieder verschwundenen Lächeln. "Darüber solltest du dir wirklich keine Sorgen machen. Crawford ist Crawford. Er hätte es nicht getan, wenn euch jemand gesehen hätte." Er fühlte sich plötzlich in einem viel zu verstehenden Blick gefangen. "Außerdem hat er dich erfolgreich von deiner Nervosität abgelenkt. Wir sind vor deinem Klassenzimmer angekommen und du hast es nicht einmal gemerkt." Das hatte er tatsächlich nicht. Und nicht nur Crawford hatte dazu beigetragen, sondern auch die Tatsache, dass Nagi ungewohnt gesprächfreudig gewesen war. Violette Augen verengten sich, bevor ihm ein hilfloses Auflachen entkam. "Du bist auch nicht besser als er", stellte er dann fest. Nagi sah ihn mit einem ausgesprochen unschuldigen Gesichtsausdruck an, ließ dem eine Verbeugung folgen. "Ich wünsche dir einen erfolgreichen Start." Mit einem innerlichen Kopfschütteln erwiderte er die Verbeugung, seine Worte waren aber weniger förmlich. "Wir sehen uns in der Mittagspause, ja?" Dieses Lächeln stand allein in den dunkelblauen Augen. "Natürlich." Er verabschiedete sich noch bei dem Lehrer, der ihrem Austausch verständnislos gelauscht hatte, drückte dann die Klinke der vor ihm liegenden Tür herunter, bevor die Nervosität zurückkehren und ihn zögern lassen würde. Der Raum war bereits gut gefüllt und auch die Lehrerin schon da, doch der Unterricht hatte zum Glück noch nicht begonnen. Er wurde von der schon älteren Frau begrüßt und war froh, dass ihn sein Englisch nicht im Stich ließ, als er die Begrüßung erwiderte, während zwischen seinen künftigen Mitschülern neugieriges Getuschel einsetzte. Als nächstes wurde ihm ein leerer Platz gewiesen, am Fenster, wie er erfreut feststellte. Er beeilte sich dorthin zu kommen und saß bereits, bevor ihm auffiel, dass er sich nicht vor der Klasse hatte vorstellen müssen. Das war… irgendwie seltsam, aber gleichzeitig auch eine Erleichterung. Während um ihn herum Unterhaltungen fortgesetzt wurden, versuchte er unauffällig seinerseits Blicke auf die Schüler zu erhaschen. Und schnell wurde ihm wirklich bewusst, dass er selbst zwar neu hier war, die anderen sich aber schon kannten, miteinander vertraut waren, wahrscheinlich seit Jahren. Und aus irgendeinem Grund wirkte diese Erkenntnis wie eine kalte Dusche. Die ganze Zeit war er so nervös gewesen, aber warum eigentlich? Die Schüler hier waren nicht mehr als das, ganz einfach Schüler. Was wussten sie schon? Der Gedanke war unerwartet kalt und er hätte ihn vielleicht auf Schuldig geschoben, wenn er nicht so sicher gewesen wäre, dass er ganz allein ihm gehörte. Sein Rücken hatte sich gestrafft und um seine Lippen hing ein schmales Lächeln, als es schließlich zum Unterricht läutete. Er verstand genug, um der Lehrerin folgen zu können, etwas, wofür er Schuldig wohl noch danken musste. Trotzdem musste er sich so sehr konzentrieren, dass alle weiteren Gedanken in den Hintergrund verschwanden und nur noch der Unterricht ihn gefesselt hielt. Erst ein erneutes Läuten holte ihn aus dieser besonderen Form der Abschottung heraus und nach einem Schütteln des Kopfes, als müsste er ihn klären, lehnte er sich zurück und entspannte sich ein bisschen. Da laut Stundenplan kein Raumwechsel anstand, ließ er die Stunde vor seinem inneren Auge Revue passieren und wieder bogen sich seine Mundwinkel. Ein Glück, dass er nicht aufgerufen worden war, anscheinend gab es für ihn eine bestimmte Schonfrist, denn genauso wie er sich nicht hatte vorstellen müssen, schien es nicht üblich zu sein, aufzustehen, wenn man im Unterricht drankam. Was er wahrscheinlich automatisch getan hätte. Etwas weckte seine Aufmerksamkeit und als er seinen Blick wieder der äußeren Welt zuwandte, hatte sich tatsächlich jemand vor seinem Tisch aufgebaut. Es gelang ihm beinahe mühelos, den anderen ruhig zu mustern. Ein Grinsen begrüßte ihn, als sich ihre Blicke begegneten. "Hi, Neuer." Er brauchte nicht lange, um die passende Antwort darauf zu finden. "Hi, Eingesessener." Das Grinsen wurde breiter und dann setzte sich der Andere ohne eine Einladung abzuwarten auf die Kante seines Tisches. "Du verstehst uns also wirklich?" "Überwiegend", zuckte er mit den Schultern, während er mehr Einzelheiten wahrzunehmen begann. Die blonden Haare und blauen Augen ließen ihn zunächst als Herrn Schneider denken, doch der Junge vor ihm war viel zu unschuldig, als dass der Vergleich lange standhalten konnte. Der lehnte sich gerade zu ihm vor. "Erik ist mein Name. Aber ich muss zugeben, dass ich deinen nicht ganz verstanden habe." Er lächelte unwillkürlich. "Fujimiya Ran", antwortete er dann bereitwillig. Wer hätte auch erwartet, dass es so leicht sein würde, jemanden kennenzulernen. "Fu-ji-mi-ya Ran", wurde sein Name langsam und mit nicht ganz der richtigen Betonung wiederholt, doch er machte sich nichts daraus. Und da er sich an die Sitten hier anpassen wollte, fiel es ihm nicht weiter schwer, die nächste Entscheidung zu treffen. "Ran. Das ist einfacher." "Ah, sehr gut. Ich habe mal gehört, dass ihr immer Nachnamen verwendet, aber das wäre wirklich kompliziert." Er neigte nur den Kopf, was aber vollkommen ausreichend war, um Erik zum Weitersprechen zu animieren. "Was hat dich eigentlich in unser Land verschlagen?" Wenn seine Miene für einen Moment gefror, dann schien es zumindest niemand zu merken. "Die Gelegenheit hat sich ergeben, da ein Kollege meines Vaters hier zu tun hat. Und ich interessiere mich schon eine Weile für die USA." Nichts davon entsprach unbedingt der Unwahrheit, auch wenn sein Interesse erst mit Crawfords Bekanntschaft erwacht war. Der Andere nickte nur, gar nicht argwöhnisch, begann dann, ihm weitere Mitschüler vorzustellen. Alles in allem war es ein ganz guter Anfang. ~TBC~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)