Family Bonds von cu123 (~ Sequel zu Close Distance ~) ================================================================================ Kapitel 11: "Ich bin also ein Niemand" -------------------------------------- "Wer war das?", wurde er gefragt, als sie außer Hörweite waren und braune Augen ruhten für einen Moment auf ihm. Er zuckte spielerisch mit den Schultern, unwillkürlich amüsiert, weil Dennis offensichtlich so unwichtig für Crawford war, dass dieser ihn nicht der Erinnerung für Wert befunden hatte. "Weißt du noch, als du uns beim Mittagessen besucht hast, an unserem ersten Tag in der Schule hier?" Eine Augenbraue hob sich, gefolgt von einem Mundwinkel. "Ah, dein werter Mitschüler. Hat er nach seiner Begegnung mit Schuldig immer noch nicht seine Lektion gelernt?" Ein leises Lachen entkam ihm, wie ein Schluckauf. "Ich denke, seine Erziehung zuvor hat mehr Eindruck hinterlassen…", fasste er seine Überlegungen zuvor dann in Worte. Wieder nahm ihn der Blick des Amerikaners für einen Moment gefangen, bevor dieser langsam nickte. "Es würde mich nicht wundern. Seine Eltern haben ihm damit allerdings keinen Gefallen getan." Da war ein Lächeln, das nicht ganz wie eines wirkte, als er darüber nachdachte. "Die meisten leben nicht in deiner Welt", stellte er dann leise fest. In unserer Welt…, flüsterte ein Teil von ihm dahinter. "In seinem Kreis kann er vielleicht wirklich damit durchkommen." Crawford nahm seine Überlegungen ernst, die Belustigung in den braunen Augen trug nicht einmal den Anklang von Herablassung in sich. "Es ist wohl eine Frage der Persönlichkeit. Ich wollte mein Leben schon immer in meine eigenen Hände nehmen." Sein Atem stockte für einen Moment und mit Mühe hielt er seine Beine davon ab, ebenso zu reagieren. Es geschah selten, dass der Ältere ihm etwas Persönliches erzählte. Auch wenn diese Worte nun wirklich keine Neuigkeit darstellten, schließlich hatte ihn die Kontrolle, die Crawford nicht nur über sich sondern auch über seine Umgebung ausübte, von Anfang an angezogen. Ohne es zu merken, lächelte er als nächstes warm. "Ich bin nicht überrascht, das zu hören." Er konnte genau sehen, wie Crawfords Mundwinkel zuckten, doch natürlich lachte der Amerikaner nicht und dann wandte sich Crawford auch schon dem Mann zu, der am Eingang des Restaurants die Gäste willkommen hieß. Oh, er hatte gar nicht bemerkt, dass sie ihr Ziel erreicht hatten… Neugierig nahm er die neue Umgebung auf und natürlich sah das Restaurant genauso teuer aus wie alles hier. Violette Augen schweiften zu dem Mann, der zunächst aus irgendeinem Grund gestutzt hatte, dann aber rasch auf Crawfords Wunsch nach einem Tisch für zwei Personen reagierte. Vielleicht lag es daran, dass sie sich eben noch auf Japanisch unterhalten hatten, überlegte er kurz, ließ den Gedanken dahinschwinden. Es war schließlich nicht wirklich von Interesse. Sein Magen war genauso glücklich wie seine Beine, als er schließlich Platz nehmen konnte. Immerhin roch es bereits verführerisch, auch wenn noch kein Essen auf dem Tisch stand. Selbiger befand sich halb versteckt hinter strategisch platzierten Pflanzen und Schmuckwänden, anscheinend war man auch hier sehr auf Privatsphäre bedacht. Noch ein bisschen dunkler und es wäre der perfekte Ort für ein romantisches Dinner. Er grinste unverhofft bei diesem Gedanken und das Funkeln in braunen Augen ließ ihn vermuten, dass Crawford genau wusste, was ihm gerade durch den Kopf gegangen war. Doch der Ältere ließ sich davon nicht ablenken, sondern bestellte in aller Seelenruhe Getränke für sie. Etwas völlig Unverfängliches, ohne Alkohol. Sie konnten kaum einen Blick in die Speisekarte werfen, da standen die Gläser bereits auf ihrem Tisch, doch der Kellner schien das problemlos zu erfassen und war im nächsten Moment wieder verschwunden. "Er ist fast so schnell wie Schuldig", kommentierte er, ohne Crawford anzusehen. Dennoch konnte er beinahe körperlich das Amüsement spüren, das nun von dem Älteren ausstrahlte. "Sag das mal lieber nicht, wenn Schuldig dich hören kann. Er könnte sich sonst beleidigt fühlen." Kurz blitzten violette Augen über die Speisekarte hinweg zu dem Amerikaner hinüber. "Hatte ich nicht vor. Wenn er also anfängt mir beweisen zu wollen, wie flink er sein kann, weiß ich, dass ich dir das zu verdanken habe." Crawford lächelte mit einem unschuldigen Gesichtsausdruck, den man bei dem Älteren selten zu sehen bekam. Und schwieg. Für einen Moment überlegte er, ob ihm deswegen mulmig zumute werden sollte, dann entschied er, dass es höchstwahrscheinlich nur ein Bluff war. Und selbst wenn nicht, Schuldig hatte es nie mit seinen Spielchen übertrieben. Nicht bei ihm. Fast völlig ruhig wandte er sich also wieder der Karte zu und wurde vor die Qual der Wahl gestellt. Was nicht unbemerkt blieb. "Wenn du möchtest, kann ich für dich auswählen", schlug Crawford leise vor, nachdem er ein paar Minuten mit sich gerungen hatte. Er ließ die Karte sinken und dieses Mal war er es, der lächelte. "Ich möchte ein Steak." Soweit war er wenigstens schon gekommen. "Aber hinsichtlich der Beilagen kannst du mir gerne helfen." Ein Nicken und dann legte auch Crawford seine Karte beiseite, was für den Kellner das Zeichen war, sich wie aus dem Nichts heraus wieder neben ihrem Tisch zu materialisieren. "Sie haben gewählt?" Crawford bestellte und er merkte, dass er immer noch nicht alle Begriffe kannte, die mit dem Essen zu tun hatte. Mit einem innerlichen Schulterzucken nahm er es hin, schließlich würde er noch genug Gelegenheit haben, dazuzulernen. Er musste nicht wissen, wie etwas hieß, damit es ihm schmeckte. Aus irgendeinem Grund streifte ihn wieder ein amüsierter Blick. Es war manchmal so, als wäre Crawford der Telepath und nicht Schuldig… Seine Mundwinkel kurvten von ganz allein nach oben, während er leicht den Kopf neigte. Ein stummes Eingeständnis. Crawford erwiderte die Geste und begann dann, sein Wissen in Sachen kulinarische Spezialitäten zu erweitern. Natürlich machte ihn das Gespräch nur noch hungriger, doch zum Glück musste sich sein Magen nicht mehr lange gedulden, bis ein gefüllter Teller vor ihm stand. Den kunstvoll angerichteten Salat ignorierte er für den Moment zu Gunsten des Steaks, nicht einmal von einer der Soßen nahm er sich, bevor er den ersten Bissen probierte. Ein zufriedenes Summen entkam ihm, als der rauchige Geschmack seinen Mund eroberte. Seit Crawford ihn damals zum ersten Mal in ein amerikanisches Restaurant mitgenommen hatte, hatte er ein Faible dafür. Denn es schmeckte viel, viel besser als das, was er davor als Steak kennengelernt hatte. Crawford beobachtete ihn stumm, schob das Tablett mit den Saucen dann näher zu ihm. "Glaub mir, du solltest sie probieren. Sie zerstören den Geschmack nicht, sondern erweitern ihn. Und von den Beilagen versuch es mal mit den deutschen Bratkartoffeln. Dann kannst du Schuldig neidisch machen." Das musste jetzt ja kommen… aber es war seine eigene Schuld, nicht wahr? Er hatte den Telepathen schließlich als erster erwähnt. Glücklicherweise war es nicht weiter schwer, den letzten Punkt zu ignorieren, auch wenn er ansonsten Crawfords Ratschlag folgte. Und natürlich behielt der Amerikaner Recht. Vollkommen mit seinem Essen beschäftigt, bemerkte er es zunächst gar nicht, als sie Gesellschaft bekamen. Als nächstes war er versucht, die Anwesenheit einer anderen Person als ihren Kellner einzuordnen, doch sein Blick musste sich nicht weiter als bis zu Crawfords Miene heben, damit diese Illusion zerstört wurde. Denn in den braunen Augen stand zu viel kühle Indifferenz, als dass es sich bei dem Anderen um jemanden vom Personal handeln könnte. Nein, der Ältere ging eindeutig davon aus, dass der Mann Ärger bedeuten würde. Oder sich zumindest einbildete, diese Art der Macht zu besitzen. "Dürfte ich um einen Moment Ihrer Zeit bitten?" Es klang nicht besonders höflich, auch wenn die Worte es waren. Nun endlich wandte auch er sich dem Neuankömmling zu, konnte aber nichts Besonderes an ihm entdecken. Und dann wurde seine Aufmerksamkeit auch schon wieder auf Crawford gelenkt, der ihn ruhig – und auf Japanisch – ansprach. "Ran, bitte lass uns kurz allein. Wir werden nicht lange brauchen." Er nickte zustimmend und erhob sich sofort, auch wenn er einen letzten Blick auf seinen Teller nicht lassen konnte. Wenigstens war von dem Steak nur noch ein kleiner Rest übrig und seine Beilagen würden noch da sein, wenn er zurückkehrte. ****** Der junge Japaner gehorchte ohne Widerspruch, nicht, dass ihn das bei Ran wundern würde. Nach einer formlosen Verabschiedung von ihrem uneingeladenen Gast – eine subtile Beleidung, die der Andere sicher nicht erkennen würde – verschwand Ran, so dass er sich auf den Mann konzentrieren konnte. "Nehmen Sie doch Platz", lud er ihn höflich ein und deutete auf den freigewordenen Stuhl. Die Einladung wurde natürlich angekommen und gab ihm die Gelegenheit, den anderen unauffällig zu beobachten und abzuschätzen. Sein erster Eindruck fand Bestätigung, der Andere war kein Talent, also kam die gezeigte Überheblichkeit wohl von einem gutbezahlten Job, denn trotz des gut geschnittenen Anzugs sah der Mann nicht so aus, als wäre er in diese Umgebung hineingeboren worden. "Ich vertrete die Interessen von Mr. Warren", hielt sich der Andere nicht mit solchen Höflichkeiten wie einer Vorstellung auf. "Er wünscht, dass Ihr Zögling weitere Zusammenstöße mit seinem Sohn vermeidet." Das… kam unerwartet. Und auch wenn er von Ran nie den Nachnamen des Jungen erfahren hatte, wäre es nach dem heutigen Beinahe-Zwischenfall nicht weiter schwer gewesen, die richtige Schlussfolgerung zu ziehen. Nur dass er dies nicht nötig hatte, denn Nagi hatte schon am Ende des ersten Schultags dafür gesorgt, dass ein ausführlicher Bericht über den Störenfried auf seinem Schreibtisch gelandet war. Die Familie mochte Geld haben und über den Sitz von Mr. Warren Einfluss in der Schule, doch das alles war kein Grund, die Warnung Ernst zu nehmen, die ganz allein im Blick seines Gegenübers lag. Eine Einschätzung, die sich in dem schmalen Lächeln zeigte, das jetzt seine Mundwinkel kurvte. "Ich denke, hier liegt ein Missverständnis vor. Es ist ganz sicher nicht Ran, der irgendwelche Zwischenfälle provoziert. Solange Daniel ihn in Ruhe lässt, wird es also keine Zusammenstöße geben." Sein Gegenüber runzelte die Stirn. "Sie verstehen nicht-" Oh doch, besser als der Andere annahm. Er hatte bloß nicht vor, Ran das Problem ausbaden zu lassen. Weswegen er dem Mann das Wort abschnitt. "Nein, Sie scheinen nicht zu verstehen." Die Temperatur um sie herum schien um ein paar Grad abzufallen. "Es mag sein, dass Mr. Warren normalerweise seinen Willen bekommt, wenn er Sie oder einen Ihrer Kollegen vorschickt. Aber das funktioniert nur solange, wie Mr. Warren in der besseren Position ist. Ich hingegen habe keinerlei Grund, ihm irgendwelche Gefallen zu tun." Manchmal half es, möglichst deutlich zu werden. In der Hoffnung, dass die Sache damit vom Tisch war und er sich nicht um künftige Komplikationen kümmern musste. Wirklich überzeugt sah sein Gegenüber aber immer noch nicht aus, weswegen er beschloss, ihm etwas auf die Sprünge zu helfen. "So kurz die Vorbereitungszeit war, haben Sie doch vorher hoffentlich einen Check laufen lassen, oder?" Sonst würden alle Worte nicht helfen, ganz einfach, weil die Gegenseite zu unprofessionell agierte. "Natürlich", kam es mit zusammengebissenen Zähnen zurück. "Und Sie haben ganz sicher keinen Grund, den Mund so voll zu nehmen." "Weil Sie – lassen Sie mich raten – rein gar nichts gefunden haben?" Mit einer ironisch hochgezogenen Augenbraue. Ein abgehacktes Nicken war die Antwort, nicht weniger ungehalten als die Worte zuvor, doch ein paar Sekunden danach begann ein Schimmer von Verstehen in die Augen des Anderen zu treten. Oder wenigstens die Anfänge. "Ich bin also ein Niemand. Der erst vor kurzem hierher gezogen ist. Ein Haus in der besten Nachbarschaft mieten konnte. Ohne Probleme eine Stelle beim Direktor einer renomierten Privatschule bekommen hat und – wie Sie sehen – eine Clubmitgliedschaft hier." Auf die man sonst schnell mal ein Jahr warten durfte. "Habe ich alle wesentlichen Punkte getroffen?" Der Andere war zu blass geworden, um zu antworten, was ganz gut so war, denn in diesem Moment vibrierte sein Handy. Und vielleicht wäre er höflich genug gewesen, nicht ranzugehen, aber zum einen hatte sein Gesprächspartner die Höflichkeit nicht verdient und zum anderen stand Schuldigs Name auf dem Display. "Crawford hier", begrüßte er ihn auf Deutsch und machte damit sogleich deutlich, dass er sich in Gesellschaft befand. Was Schuldig nicht wirklich zu registrieren schien. "Wo bist du, Crawford?" Verblüfft schwieg er für einen Moment, seine Miene blieb jedoch regungslos und dann antwortete er auch schon. "Dort, wo ich auch schon heute früh war. Oder um genauer zu sein, in einem Restaurant nicht allzu weit entfernt davon." Wenn der Telepath so seltsam war, blieb er lieber ungenau. Und es schien Schuldig auch schon zu reichen, der mit einem hörbaren Seufzen ausatmete. "Ich wusste es doch, du konntest es einfach nicht sein…" Dann riss sich Schuldig endlich zusammen und schien gleichzeitig auch zu verarbeiten, dass sie sich auf Deutsch unterhielten. "Ich muss dringend mit dir reden. Da ich schon mal vor Ort bin, werde ich versuchen, den letzten Teil des Auftrags abzuschließen. Falls es sich aber als komplizierter herausstellen sollte, will ich deine Erlaubnis haben, ein anderes Mal fortzufahren." Vollkommen professionell. Es wäre von Vorteil gewesen, in diesem Moment eine Vision zu haben, doch gleichzeitig auch zu viel verlangt. Und er konnte Schuldig vertrauen, wenn der sich in diesem Modus befand. "Gut", erwiderte er daher nur knapp und sie beide legten anschließend auf. Braune Augen hatten sich kaum merklich verengt, als er nach dem Blick des Anderen suchte, der in der Zwischenzeit noch nicht ganz seine Gesichtsfarbe wiedergefunden hatte. Und anscheinend auch nicht vorhatte, hier darauf zu warten. Denn der Mann erhob sich knapp und schien es dieses Mal tatsächlich so zu meinen, als er sich höflich verabschiedete. Nun blieb nur zu hoffen, dass von dieser Seite wirklich keine Probleme mehr kommen würden. Denn wie es aussah, würde Schuldig schon genug davon heimbringen. ~TBC~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)