Family Bonds von cu123 (~ Sequel zu Close Distance ~) ================================================================================ Kapitel 19: "Der Knabe sieht ja aus wie eine Mini-Version von dir!" ------------------------------------------------------------------- "Ich kann immer noch nicht glauben, dass ich mitgekommen bin…" Das Grummeln kam von Nagi, der sich in der Rolle des Unbegeisterten zu gefallen schien. Seine Mundwinkel zuckten flüchtig nach oben. "Niemand hat dich gezwungen", machte er Nagi aufmerksam. "Gruppenzwang ist auch Zwang." Amüsement trat in braune Augen. "Das Argument glaubst du doch selbst nicht." Er legte eine kurze Kunstpause ein. "Übrigens scheinst du mir gesprächiger seit Start unseres Urlaubs – auch wenn es in der Regel nur ist, um sich zu beschweren." Das brachte ihm einen bösen Blick ein, doch er machte er sich nichts daraus. Es war direkt erfrischend, den sonst so ernsthaften Japaner mal aus der Rolle fallen zu sehen. Er stufte es als Zeichen ein, dass Nagi sich tatsächlich entspannte. Auf welche Weise sich das letztendlich äußerte, war ihm nun wirklich egal. Sein Blick schweifte weiter, zum Rest der Gruppe und die Belustigung vertiefte sich prompt. Natürlich, Schuldig war es mal wieder, der sich am Auffälligsten verhielt. Kein Shop den sie passierten, ließ der Orangehaarige aus, überall musste erkundet werden, was genau es zu kaufen gab. Aber gleichzeitig war Schuldig stets auf dem Sprung, ohne sich darum zu scheren, dass er immer wieder andere Einkaufslustige anrempelte. Als wäre seine Aufmerksamkeit bemerkt worden, kehrte der Orangehaarige für den Moment an seine Seite zurück. "Ihr Amis seid echt wahnsinnig. Ihr quetscht ja alle Läden hier zusammen. Was wird da aus den Innenstädten?" Nun, er hatte sich damals gefragt, was Schuldig zu der Erfahrung einer echten amerikanischen Shopping Mall sagen würde. Jetzt wusste er es… "Die wirst du hier nicht so finden, wie du es in Deutschland kennengelernt hast. Die Vorortsiedlungen haben normalerweise keinen richtigen Ortskern." "Ja, aber-" Schuldig unterbrach sich selbst und dessen Kopf bewegte sich langsam nach hinten, als sie eine grelle Reklame passierten. "Sag mal, habe ich das richtig gesehen, die haben sogar ein Kino hier drin?" "Und wahrscheinlich noch mehr. Und das ist noch gar nichts zur meistbesuchten Mall in Amerika. Dort gibt es sogar einen Vergnügungspark." Grüne Augen weiteten sich erst, wurden dann zusammengekniffen. "Du verarschst mich doch." Wieder huschte ein amüsiertes Lächeln über seine Lippen. "Wenn du mir nicht glaubst, lass dir von Nagi die entsprechenden Informationen heraussuchen." Der Telekinet wurde prompt beäugt, doch auf dessen abweisende Miene hin schüttelte Schuldig den Kopf. "Das lass ich mal lieber. Nagi-chan scheint jede Minute Urlaub gebrauchen zu können, die er abbekommt." Laut genug, um gehört – und ignoriert – zu werden. "Du solltest ihn besser nicht ärgern", ermahnte er Schuldig und meinte das nicht nur als Scherz. Doch da Mahnungen bei dem Orangehaarigen sowieso selten halfen, versuchte er es gleich anschließend mit Ablenkung. "Und möchtest du die Zeit hier nicht nutzen und nach ein paar Sachen für dich Ausschau halten?" Beinahe wäre Schuldig eine leichtfertige Antwort herausgerutscht, ohne Überlegung, dann jedoch stoppte der Jüngere abrupt und wieder fand er sich einem taxierenden Blick ausgesetzt. "Sag mal, soll das schon wieder so eine Anspielung sein?" Anscheinend war er nicht der Einzige, der an ihren damaligen Ausflug nach München zurückdenken musste. Er stritt natürlich alles ab, ohne seine Belustigung zu verbergen. Und gab damit die tatsächliche Antwort. Schuldig hatte dafür nur einen schiefen Blick übrig, sparte sich aber eine darüber hinaus gehende Beschwerde. "Jetzt aber mal ernsthaft. Willst du tatsächlich nur Window Shopping betreiben? Farfarello und Ran scheinen etwas begeisterter bei der Sache zu sein." Der Ire überraschenderweise mehr noch als Ran, doch der junge Japaner ließ sich bereitwillig mitziehen. "Mir sind einfach zu viele Leute hier. Die scheinen alle in letzter Minute noch Weihnachtsgeschenke kaufen zu wollen. Da kann man sich auf gar nichts richtig konzentrieren." Dies schien ernst gemeint. Und die Formulierung deutete darauf hin, dass es nicht unbedingt die physische Anwesenheit der ganzen Leute um sie herum war, die Schuldig störte. Dann wiederum… war die allein auch schon ablenkend genug, wie ihm in diesem Moment mal wieder bewiesen wurde, als jemand geradewegs in ihn hineinrannte. Das Gewicht hatte mehr Geschwindigkeit als Masse hinter sich, ein Kind noch, schwer zu entscheiden, ob der Junge bereits im Schulalter war. Doch diese Überlegung war es nicht, die ihn erstarren ließ. "Brad! Bradley, wie oft soll ich dir noch sagen, dass du nicht einfach davonlaufen darfst!" Die echauffierte Stimme, der Mutter offensichtlich, schnitt durch die Menge und durch seine erste sprachlose Reaktion. Doch sein Zusammenzucken, als er zum ersten Mal seit einer Ewigkeit seinen Namen hörte, auch wenn er nicht auf ihn gemünzt war, war noch schlimmer. Schuldig bemerkte nichts davon, war zu sehr auf den Jungen fixiert, der seinerseits den Deutschen anstarrte, unbekümmert der Tatsache, dass er sich unverändert an seinem Mantel festhielt. Nein, der Junge sah ihn nicht an und trotzdem konnte er dessen Gesicht gut erkennen. Zu gut. Etwas arbeitete in ihm, vielleicht Worte, die sich einfach nicht formen wollten. Und dann wurden sie auch schon durch Schuldig ausgesprochen, nachdem dieser überrascht aufgelacht hatte. "Siehst du das, Crawford? Der Knabe sieht ja aus wie eine Mini-Version von dir!" Ein erneutes Lachen folgte. Endlich gelang es ihm, die Bilder aus lange vergangenen Visionen von sich zu schieben und seine rechte Hand ballte sich unwillkürlich zu Faust, um zu verhindern, dass seine Finger zitterten. Er hatte sich gerade rechtzeitig wieder im Griff, um die Ankunft der Eltern mit unbewegter Miene aufzunehmen, auch wenn er innerlich alles andere als ruhig war. Ja, natürlich hatte er diese Begegnung dem Zufall überlassen wollen. Aber letztendlich hatte er nicht wirklich an einen – Erfolg? – geglaubt. Erst recht nicht heute. Wie hätte er auch ahnen können, dass er ihnen ausgerechnet in dieser Menschenmenge über den Weg laufen würde? "Da bist du ja, Brad. Lass den Mann gefälligst los und entschuldige dich." Der Junge wandte sich seiner Mutter zu, blinzelte, als er die Worte verarbeitete und grinste dann. "Guck mal, Mama, der da hat ganz seltsame Haare!" Ohne auch nur einer ihrer Aufforderungen Folge zu leisten. Vielleicht hätte er Schuldigs Gesichtsausdruck lustig gefunden, als ein Zeigefinger auf diesen gerichtet wurde, doch im Moment hatte er nicht viel Belustigung in sich übrig. Er musterte die bekannte und gleichzeitig unvertraute Gestalt der Frau, ebenso wie die des Mannes in ihrer Begleitung. Und jetzt wandte sich deren Aufmerksamkeit von ihrem Sohn ab und ihm zu. Anscheinend hatte er selbst sich auch nicht zu sehr verändert, denn es dauerte nicht lange, bis beiden die Gesichtszüge entgleisten. Was endlich dazu führte, dass seine Lippen in ein widerwilliges Lächeln kurvten. "Hallo Stan, Kathy. Lange nicht gesehen." Schuldig schien verwirrt, während Nagi ihn kalkulierend musterte, aber verstehen tat nur Ran. Der Rothaarige musste irgendwie etwas von dem Aufruhr bemerkt haben, ob nun dem offensichtlichen oder dem in seinem Inneren war da ganz egal. Und ganz schnell war Ran an seiner Seite, behielt von dort seine… alten Bekannten… im Auge. Stan war es, der sich als Erster von den beiden fasste. "Du bist es wirklich, Brad." Und dieses Mal war tatsächlich er selbst gemeint. Er schmeckte etwas Bitteres, als er den Vornamen ausgesprochen hörte, den er schon längst hinter sich gelassen hatte. Das war er nicht mehr und jetzt jemanden vor sich zu haben, der diese alte Persönlichkeit in ihm sah, war auf seltsame Weise unangenehm. Als wäre er doppelt vorhanden Dennoch erhielt er sein Lächeln aufrecht. "Ja, bin ich." Und irgendwie konnte er der ganzen Sache jetzt fast etwas Amüsement abringen. "Aber wir dachten, du wärst-" Ein kurzes Stocken, bevor die Aussage umformuliert wurde. "Wir dachten, du hättest damals in dem Auto gesessen." Er hätte den typischen Spruch an dieser Stelle bringen können, aber er war nicht Schuldig. Also neigte er lediglich den Kopf. "So sollte es auch aussehen", gab er dann zu. Dann wurde er dadurch abgelenkt, dass die Hand, die immer noch seinen Mantel hielt, daran zog. "Du heißt auch Brad?" Er hatte erfolgreich vermieden, den Jungen wieder anzusehen, doch nun blieb ihm nichts anderes übrig. Und jetzt war er nicht nur doppelt vorhanden, sondern dreifach. Jedenfalls war dieser Gedanke immer noch leichter zu ertragen als die andere Erinnerung. An seinen Bruder. Was diese Sichtweise mit sich brachte, das verdrängte er noch. Fast erfolgreich. Langsam ging er in die Hocke. "Hm, richtig. Allerdings ist es nicht nur eine Abkürzung." Der Junge lehnte sich in einer vertraulichen Geste zu ihm vor. "Das ist aber kein großer Unterschied. Mama nennt mich nur Bradley, wenn sie mit mir schimpft." "Ich verstehe", gab er ernsthaft zurück, ließ einen Seitenblick zu Kathy folgen. Die etwas länger als Stan gebraucht hatte, jetzt aber schien sie es endlich zu glauben. Bradley war seinem Blick gefolgt und schien unsicher, wie er die Miene seiner Mutter deuten sollte. Der Junge trat unwillkürlich einen Schritt auf sie zu, weswegen er selbst sich wieder aufrichtete. Und damit anscheinend die Starre löste, die Kathy gefangen gehalten hatte. Mit wenigen Schritten war sie bei ihm und umarmte ihn. Eine Geste, die er zu erwidern versuchte, aber wenn er ehrlich war, ließ er sie eher über sich ergehen. Endgültig davon überzeugt, dass er weder Einbildung noch ein Geist war, lief ein Schauer durch die junge Frau, mit der er einmal verlobt gewesen war. Und dieser Gedanke ließ ihn ausgerechnet zu Ran hinübersehen. Der weder einen Anflug von Eifersucht noch von Unsicherheit zeigte, auch wenn die geweiteten violetten Augen vielleicht so etwas vermuten lassen könnten. Nein, Rans Blick konnte sich nicht entscheiden, ob er lieber an ihm oder an Bradley hängen bleiben wollte und Unglauben wurde langsam aber sicher von Gewissheit abgelöst. Was das Verdrängen nahezu unmöglich machte, weswegen er sich einfach nicht erlaubte, weiter darüber nachzudenken. Etwas Aufschub bedeuteten Stans Worte, die vorsichtige Wärme in sich trugen. "Bist du länger hier? Kannst du vielleicht mit zu uns kommen? Es gibt da etwas, das du wissen solltest." Als täte er das nicht bereits… Er hielt ein unerfreutes Lächeln zurück, als er sah, wie Stans Blick zu dem Kind wanderte und dabei versuchte subtil zu sein. Wenigstens ein Gutes hatte das Ganze aber, da Kathy ihn endlich losließ, um den Worten ihres Mannes ein bekräftigendes Nicken hinzuzufügen. Und sie zog auch den Jungen mit sich zurück, dessen Hand sich nur unwillig von seinem Mantel trennte. Diesen Augenblick wählte Schuldig, um sich einzumischen. Der Orangehaarige hatte die Arme vor der Brust verschränkt und alle Heiterkeit verloren. "Crawford, was zum Teufel ist hier eigentlich los?" Um sie herum wogte unverändert der Strom der Einkaufslustigen, was ihm eine ausreichende Entschuldigung gab, knapp den Kopf zu schütteln. "Nicht hier." Schuldig erwiderte seinen Blick für ein, zwei Herzschläge mürrisch, sah dann aber etwas in den braunen Augen, was das dafür sorgte, dass er prompt etwas aufrechter stand. Von der eigenen Reaktion verärgert, gab der Jüngere schließlich ein ebenso knappes Nicken zurück, rief dann mühelos das gewohnte Grinsen auf sein Gesicht. "Was immer du sagst, großer Meister. Aber ich hoffe, dass du uns trotzdem noch deinen Freunden vorstellen wirst." Die Bezeichnung mochte einen Hauch von Spott enthalten, fiel aber gleichzeitig etwas nachdenklich aus. Und erklärte auch, warum der Telepath bisher nicht einfach dessen Talent eingesetzt hatte. Denn manche Talentlose vertrugen es nicht so gut, wenn man in ihren Köpfen herumstöberte. Bisher hatte das Schuldig nie zurückgehalten, doch das waren stets Fremde gewesen und niemand, der eventuell eine Bedeutung für Schuldigs Teamleader haben könnte. Sein nächstes Lächeln enthielt beinahe Humor, ein Signal für den Anderen, dass er Schuldigs Zurückhaltung zu schätzen wusste, gerade weil diese dem Telepathen sicher nicht leicht fiel. Stan war ihrem Austausch gefolgt, ohne den Subtext zu verstehen, setzte nun eine entschlossene Miene auf. "Natürlich können deine… Begleiter mitkommen. Du kannst sie schließlich nicht so sang- und klanglos stehen lassen." Hinter der Einladung steckte wenig verborgen dieselbe Neugier, die gerade Schuldig das Leben schwer machte. Er musterte sein Team, das sich jetzt vollzählig eingefunden hatte. Nicht weiter überraschend schien keiner von ihnen abgeneigt, die Einladung anzunehmen. Nach Ran brauchte er da gar nicht erst zu sehen, natürlich würde der jede Chance nutzen, mehr zu erfahren. Also neigte er erneut den Kopf. "Ich denke, wir haben die Zeit für einen Besuch übrig. Doch vorher haben wir alle wohl noch anderes zu erledigen. Wie wäre es, wenn wir uns später wieder treffen?" Denn er würde es zwar überstehen, wenn sich die drei ihnen anschließen würden, aber das hieß nicht, dass er es gern tun würde. Kathy lachte arglos. "Natürlich, das hatte ich beinahe vergessen. Und du wirst mich bestimmt nicht versetzen, nicht wahr?" Letzteres war nicht einmal halbwegs ernst gemeint. Auch wenn die Art, wie er damals aus ihrem Leben verschwunden war, sie vielleicht hätte misstrauischer machen sollen, schien sie ebenso wie Stan immer noch zu sehr der Person verhaftet, die er damals gewesen zu sein schien. "Das würde mir niemals einfallen", gab er mit einem Tonfall zurück, den er lange nicht benutzt hatte und der wiedererkannt wurde. Es geschah nicht, um sie zu manipulieren, denn er sagte die volle Wahrheit. Vielmehr war er für einen Augenblick in seine alte Rolle zurückgefallen. Und er wusste nicht wirklich, was er davon halten sollte. Kathy und Stan jedenfalls schien seine Reaktion zu beruhigen, denn beide lächelten jetzt. "Gut, in dem Fall sehen wir uns in drei Stunden beim Food Plaza. Länger hält Bradley sowieso nicht durch. Hier ist meine Handynummer, falls wir uns nicht finden sollten." Damit überreichte ihm Stan eine Visitenkarte, die aus der Brieftasche geholt worden war, drückte zum Abschied seine Schulter. "Wir sehen uns nachher." Trotz dieser Worte dauerte es dann noch ein paar lange Minuten, bis die drei tatsächlich verschwunden waren und im gleichen Moment wurde er ruhiger. Die Entscheidung war gefallen. Das war… beinahe gut. ~TBC~ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)