Denn sie wissen, was sie tun… von abgemeldet (von Susu-chan) ================================================================================ Kapitel 15: Kapitel 15 - Lost ----------------------------- Kapitel 15 – Lost „Mir egal was die anderen sagen, die haben eh nur Sche*ße im Kopf. Dann bist du eben vernarbt, was interessiert’s mich. Meine Freundin bist’e trotzdem, da ist das äußere doch egal.“ „Herrin, Ihr solltet wirklich aufstehen. Ihr habt seit Tagen nichts gegessen.“, hörte ich schwach Heriots Stimme und hob leicht den Kopf von meinem Kissen. „Ich…hab keinen…Hunger…“ „Menschen müssen jeden Tag Nahrung zu sich nehmen. Ihr habt das letzte Mal vor zwei Tagen etwas gegessen, Ihr solltet wirklich…“ „Ich will aber nichts essen!“, fauchte ich und vergrub mein Gesicht wieder in dem nassen Kissen. „Ich will…einfach meine…Ruhe…“ Heriot blieb noch neben meinem Bett stehen, ehe ich hörte wie er das Zimmer verließ und die Tür leise hinter sich schloss. Ich wollte nichts Essen. Ich wollte auch nicht mit den anderen reden, ich wollte einfach Sichi wieder zurück haben. Er war vor Vier Tagen gestorben, doch es kam mir vor wie Jahre. Die Tage zogen sich zäh wie Kaugummi und ich vermisste seine direkte, ironische Art. Ich vermisste es, wie er andere direkt auf ihre wunden Punkte ansprach ohne sich zu zieren und seine unsensible Art. Früher hatte sie mich genervt, doch jetzt merkte ich wie sehr sie mir fehlte. Man wird sich erst darüber bewusst wie sehr man etwas liebt, wenn es nicht mehr da ist. Sichi war mein bester Freund gewesen und die Vorstellung, dass er gestorben war, weil ich nicht da gewesen war für ihn, machte das Ganze noch schlimmer. Immer wieder fragte ich mich, was passiert wäre, wenn ich wach gewesen wäre. Wenn ich mal für ihn da gewesen wäre und nicht immer nur verlangt hätte, dass er für mich da war. Natürlich sagten die anderen, dass ich nichts dafür konnte. Sogar Shadow hatte zugestimmt. Nur Raimi hatte geschwiegen. Ich konnte mir vorstellen, wie wütend sie war. So oft Sichi sie aufgezogen hatte, er war oftmals für sie wie ein kleiner Bruder gewesen. Sie hatte sich für ihn verantwortlich gefühlt und war bestimmt schrecklich enttäuscht von mir, dass ich es nicht geschafft hatte, ihn am Leben zu erhalten. Wir wollten doch zusammen die Welt retten. Mir wurde klar, wie sehr ich diese Mission unterschätzt hatte. Natürlich würde es Tote geben– Doch ich hatte gehofft, dass ich als Erste sterben würde, um mir den Tod meiner Freunde nicht mitansehen zu müssen. Oder das wenigstens wir Drei überlebten. Oder alle zusammen starben Hauptsache, ich müsste nicht noch einen Tod ertragen. „Hey, Marik“, hörte ich Neros Stimme zögerlich, gedämpft durch die Tür „Kann ich…rein?“ „Nein“, erwiderte ich und schniefte, doch trotzdem öffnete sich die Schleuse von meinem Zimmer und es ertönten Schritte, bis Nero vor meinem Bett stehen blieb. „Ich sagte Nein.“ „Ach echt? Hab‘ ich nicht gehört“, entgegnete er bloß und setzte sich neben mich. Ich ließ mein Gesicht in den Kissen vergraben und fragte mich, wie lange es dauern würde, bis sich ersticken würde. Im nächsten Moment spürte ich, wie er eine Haarsträhne von mir in die Hand nahm und damit an meinem Hals entlang fuhr. „Lass das!“, murrte ich bloß. Die Haarsträhne wanderte weiter zu meiner Stirn. „Lass das!“, fauchte ich jetzt. Ich merkte, wie das Schreien den Kloß in meinem Hals langsam löste und schniefte wieder. „Willst du reden?“, fragte Nero ruhig und ließ meine Haare los. Sie waren mittlerweile wieder gewachsen und reichten mir bis zu den Schultern. „Nein.“, trotzdem setzte ich mich etwas auf und rieb mir über die verquollenen Augen. Er musterte mich kurz, ehe er bemerkte: „Du musst dich nie wieder für Halloween schminken.“ Das was er sagte, war grausam und absolut geschmackslos. Doch trotzdem merkte ich, wie ich gleichzeitig weinen und lachen musste. Jetzt fiel mir wieder ein, warum ich Sichi so sehr ins Herz geschlossen hatte: Er erinnerte mich stark an Nero. So stark, dass ich nicht wusste, ob ich Sichi wirklich je als Freund angesehen hatte, oder ob er für mich nur ein Ersatz für Nero gewesen war. „Das mit Sichi tut mir wirklich leid. Standet ihr euch sehr nahe?“, er sah aus dem Fenster meines Zimmer. „Er war…wie ein Bruder für mich. Mehr nicht“, antwortete ich, weil ich genau wusste was Nero mit dieser Frage meinte. „Es gab eine Phase, wo er in mich verknallt war. Aber er hat sich jede zweite Woche in ein anderes Mädchen verliebt…ich weiß noch, wie sehr es mich genervt hat, weil er gleich von ihr geschwärmt hätte als wäre sie eine Göttin. Und wenn es doch nicht geklappt hat, hat er sich total aufgeregt über sie“, erzählte ich und schluckte schwer „Raimi hat ihm dann i-immer m-mit ihrem S-Stab e-eins ü-ü-überge-gezogen…“ Als mir wieder die Tränen kamen, spürte ich, wie er mir einen Arm um die Schulter legte. „Es tut mir wirklich leid“, wiederholte er und es klang ehrlich „Ich habe keine Ahnung von dem, was du durchmachst, aber ich sehe wie sehr du leidest und ihn vermisst. Ich kannte ihn nicht gut genug, um so was zu sagen wie >Er hätte nicht gewollt, dass du weinst< und weiß, dass du diesen ganzen anderen Mitleidsquatsch nicht ausstehen kannst. Aber ich weiß, wie sauer du auf dich selbst bist und dass du dir die Schuld an allem gibst, was aber nicht stimmt. Er wusste auf was er sich einließ und ist selber schuld.“ „Selber schuld!?“, ich riss mich von ihm los und funkelte Nero wütend an „Sichi hat keine Schuld! Er ist mit gekommen um mich zu beschützen und ich habe dafür gesorgt, dass er deswegen gestorben ist! Ich hätte aufpassen müssen, dass ihm nichts passiert, doch stattdessen bin ich wieder einmal ohnmächtig geworden! Wenn ich gar nicht mitgekommen wäre, wäre das Ganze nicht passiert und Sichi wäre sicher noch am Leben! Du hast kein Recht ihm die Schuld an seinem Tod zu geben, du warst doch nicht mal dabei! Du warst nie da, wenn ich dich brauchte!“ Gegen Ende wurde ich immer lauter und auch wütender. Als ich fertig mit Brüllen war, merkte ich, dass er Kloß in meinem Hals verschwunden war. Nero sah mich ruhig an und mir wurde klar, dass er mich mit Absicht provoziert hatte, damit ich sauer wurde. „Geht’s dir besser?“ „Du bist…so ein…Idiot…“, ich ballte meine Hände zu Fäusten, doch statt ihn zu schlagen, umarmte ich ihn fest und drückte mich an ihn, während ich weinte. Er seufzte nur und strich mir mit der Hand über die Haare, was in mir das Gefühl auslöste, wieder klein zu sein. Wie damals wenn ich traurig war, hatte er mich immer dazu gebracht ihn anzubrüllen, weil er genau wusste, dass ich so besser mit meiner Trauer klar kam. All die Wut, die ich dann auf mich hatte, konnte ich an ihm auslassen. Ich wusste nicht, warum Nero dafür sorgte, dass er mein Kratzbaum war, aber ich war ihm so unendlich dankbar dafür. In den letzten Jahren hatte ich das Gefühl gehabt, mein Zorn und meine Angst würden sich in mich hineinfressen. Vielleicht hatte ich deswegen beim Töten diese Befriedigung verspürt, denn eine andere Erklärung fiel mir nicht ein. Vielleicht war Nero deswegen auch früher so gewesen, denn er hatte niemanden, an dem er seinen Zorn auslassen konnte. Und an mir würde er ihn nie auslassen. „W-Wie geht es R-Raimi?“, fragte ich schniefend und er seufzte. „Sie versucht stark zu sein. Ich höre sie trotzdem jede Nacht weinen, weil ihr Zimmer direkt neben meinem liegt.“ „Sie ist…bestimmt sehr…w-wütend auf mich…“ „Nein. Sie ist sauer auf sich selbst, da ist sie wie du. Aber ihr werdet das überleben, besonders du. Du hast schon schlimmeres durchgestanden.“ „Ja. Aber genau deswegen ist es ja so schlimm.“, meine Hände krallten sich in Neros Oberteil, aber er zuckte nicht mal zusammen. Er war der Einzige, der über meine Vergangenheit Bescheid wusste. „Das stimmt wohl. Aber wie sagt man…was dich nicht umbringt, härtet dich ab.“, erwiderte er und ich wollte mich schon wieder losreißen um ihn anzufauchen, dass das nicht wahr wäre, doch er hielt mich fest, sodass ich mich nicht rühren konnte. „Ich wünschte, dass wäre wahr.“, sagte ich bloß, als ich mich wieder beruhigt hatte und mir keine Niagara-Fälle mehr über die Wangen flossen „Aber bei mir bewirkt es das genaue Gegenteil.“ „Das ist nicht richtig und du weißt das selbst.“, Nero schob mich etwas von sich, damit er mein Gesicht betrachten konnte. Bestimmt sah ich grauenhaft aus, doch er ließ sich nichts anmerken. „Ich habe nicht halb so viel durchgemacht wie du und hab schon aufgegeben. Du hingegen lebst immer noch, trotz alledem. Das ist genug Beweis für deine innere Stärke.“, er strich mir mit dem Daumen über die Wange und ich sah die vielen Narben an seinem Handgelenk. „Du bist eben nicht verbittert. Egal wie viel Leid du gesehen hast, du empfindest immer noch Mitgefühl für diese Welt. Das ist deine Stärke, du lässt Empfindungen zu.“ Neros Gesicht war ungewohnt ernst. Er war in den letzten Jahren viel erwachsener geworden, auch wenn er sich äußerlich kaum verändert hatte. Als meine Haut anfing sich unter seiner Berührung zu erhitzen, zog ich hastig seine Hand weg. „Du klingst wie diese kitschigen Liebesbücher, die du so sehr hasst.“, sagte ich, um die Situation etwas zu entschärfen. Er grinste wieder wie früher und verschränkte die Arme. „Ach komm, so was muss auch mal sein. Wann hat man schon die Chance solche Sätze zu zitieren?“ Ich lächelte schwach, auch wenn ich es irgendwie bereute, die Atmosphäre zerstört zu haben. Doch ich hatte auch das Gefühl, dass hinter Neros Grinsen irgendwas…irgendwas steckte, dass ich lieber nicht sehen wollte. Früher hatte ich immer geglaubt, dass er schizophren sei, denn von einen auf den anderen Moment konnte Nero unbesorgt, ernst, melancholisch oder auch grausam sein. Heute dachte ich, dass er einfach ein guter Schauspieler war. „Es gibt Frühstück…oder auch Abendessen…ich weiß immer noch nicht, warum ihr nachts wach seid und morgens schlaft…oder manchmal auch andersrum…aber es gibt Essen. Kommst du auch, oder willst du erst mal warten, bis dein Gesicht wieder seine normale Größe hat?“, fragte er mit schiefem Grinsen. Als ich es sah, musste ich sofort wieder an die alten Zeiten denken, in denen ich mit ihm so glücklich gewesen war. Bis… „Ja. Ich komme gleich.“, antwortete ich nur und führte meinen Gedanken nicht zu ende. Auch wenn ich mich selbst belog. Aber es wäre zu schön, glauben zu können, dass Nero und ich nur gute Zeiten hatten. „Gut. Bis später.“, er stand auf und wandte sich zum Gehen, drehte sich aber noch mal zögerlich um. „Hey, ähm…dein Ninja…“ „Heriot?“ „Genau der. Warum hat er mich hergeholt, wenn du mich gar nicht sehen wolltest?“ Nach einer ausgiebigen Dusche (ich glaube, ich stand fast eine halbe Stunde lang unter kaltem Wasser) fühlte ich mich stark genug, um mein Zimmer zu verlassen. Mein Gesicht war wieder auf seine „normale“ Größe zurück geschrumpft und ich zog mir meine roten Klamotten an. Mittlerweile waren sie mir richtig ans Herz gewachsen, weswegen ich sie nie zu Missionen anzog, sondern nur im Schiff und wenn ich in die Stadt ging. Zögerlich trat ich aus meiner Kabine – Und wie erwartet stand Heriot neben der Tür und schien zu warten. Ich fragte mich, wieso er ausgerechnet Nero zu mir geschickt hatte und warum. Kannte er mich schon gut genug um zu wissen, wann ich von wem Trost brauchte? In diesen zwei Tagen hatte ich, um mich abzulenken, die eingeritzten Regeln von Heriot an der Pinnwand gelesen. Darin stand zwar, er müsse absolut alles für seinen jeweiligen Herren tun, doch über seelisches Wohl stand dort nichts. Mich wunderten die Regeln sowieso. Absoluter Gehorsam, kein Widerspruch, keine Erlaubnis nach Informationen zu fragen…als würde man ihn wie einen Roboter behandeln. Oder wie ein perfekter Soldat, in den Augen eines korrupten Kommandanten. Befehle empfangen, ausführen und keine Frage stellen. Ich fragte mich, was er im Krieg für eine Rolle gespielt hatte. „Hast du Nero zu mir geschickt?“, wollte ich von Heriot wissen, als wie zusammen Richtung Küche liefen. „Ja.“ „Aber ich habe dir das doch gar nicht befohlen!“ „Verzeiht, wenn das gegen Euren Wunsch war.“, erwiderte er, aber ich hatte das Gefühl es würde ihm überhaupt nicht leid tun. „Ich dachte du kannst nur auf Befehl irgendwas machen.“ „Während Ihr etwas…geschwächt wart, habe ich mich über die menschliche Psyche, dem sozialen Verhalten und dem Umgang miteinander erkundigt.“, antwortete er „Es war doch Euer Wunsch, dass ich mich…menschlicher verhalte.“ „Du hast mich…studiert?“, ich hob eine Augenbraue. „Nein, nicht euch. Ich habe Eure Freunde ausgefragt. Ciel reagierte sehr…schreckhaft.“ „Wie jetzt?“ „Als ich mich ihr näherte, flüchtete sie zwei Decks nach unten.“ Bei der Vorstellung musste ich doch lachen. Mir wurde klar, wie albern ich mich verhalten hatte mit meiner Angst gegenüber Ciel. Klar, sie konnte unheimliche Illusionen erschaffen…aber mehr auch nicht. Das mit dem Schafmittel war wahrscheinlich wirklich nur ein Versehen gewesen, denn sonst benahm sie sich viel zu fröhlich und schüchtern, um auch nur einer Fliege etwas anzutun. Aber das sie Angst vor Heriot hatte, konnte ich nachvollziehen. Immerhin war er doppelt so groß wie sie und wenn er nicht gerade nach unten sah, überrannte er sie oft – Genau wie mit Pandorra und Raimi. Nur Shadow schien er immer zu bemerken. Ob sie sich wohl immer noch hassten? „Also willst du jetzt eine eigene Persönlichkeit entwickeln?“, fragte ich Heriot und er nickte zögerlich. „Wenn es Euer Wunsch ist…“ „Okay, wenn du selbstständig sein willst…hör auf mich ständig um Erlaubnis zu fragen! Ich bin nicht deine Herrin…und es wäre nett, wenn du mich nicht mehr so nennen würdest. Das wäre echt ein großer Schritt für deine Entwicklung…“ „Aber es ist…so ungewohnt.“ „Warum denn?“ „Es ist wie…“, er schien nach einem passenden Vergleich zu suchen „Es ist wie in der Familie: Für Euch wäre es seltsam, Eure eigene Mutter mit dem Vornahmen anzusprechen, statt sie >Mutter< oder >Mama< zu nennen. Und für mich ist es eben seltsam, meine Vorgesetzten ohne Titel anzureden. Normalerweise sage ich >Kommandant<, aber Ihr seid keiner. Es wundert mich auch, dass ein…ein normaler Bürger mich befreit.“ Ich schüttelte leicht den Kopf „Dann warst du noch nie unter normalen Leuten?“ „Ich war im Krieg. Ich wurde entwickelt für den Krieg und auch nur dann eingesetzt, wenn Krieg herrschte. Meine Kommandanten waren eindeutig in ihren Befehlen und wenn sie ausgeführt waren, wurde ich zurück gesperrt in meinen Tank.“ „Das ist grausam. Dann musstest du also dein Leben lang kämpfen!?“, so etwas konnte ich mir nicht vorstellen. Geboren für den Krieg…ohne Bezugspersonen. Ob Heriot wohl jemals so etwas wie Einsamkeit empfunden hatte? „Nein. Es war nicht grausam.“, entgegnete er bloß und blickte stur nach vorne „Ich war als Kriegswerkzeug gedacht und wurde als solches benutzt. Ich wurde gebraucht. Doch jetzt…jetzt habe ich als Werkzeug keinen Sinn mehr. Mit dem Krieg endete auch meine Daseinsberechtigung.“ Es war der erste, wirklich tiefgründige und aussagekräftige Satz, den ich von Heriot hörte. Es verriet eine ganze Menge über sein Inneres und seine Denkweise, so schräg und verrückt sie auch war. Er sah sich selbst als eine Waffe an, die nun nicht mehr gebraucht wird. Ich konnte das nicht verstehen, aber ich glaube, dass er das auch nicht von mir erwartete. „Wir hinken mit dem Zeitplan hinterher. Vier Tage haben wir eine Pause gemacht, doch jetzt müssen wir wieder los ziehen.“, hörte ich gerade Shadow sagen. „Marik hat es schwer getroffen. Wir sollten sie von der nächsten Mission lieber fernhalten, sonst…“, fing Raimi an, aber als sie mich entdeckte, schwieg sie nur. Zögerlich setzte ich mich an den Küchentisch und merkte, wie mich alle anstarrten. Sofort bereute ich es, mein Zimmer verlassen zu haben. „Geht’s dir besser?“, wollte Pandorra mit besorgtem Tonfall wissen. Ich nickte nur leicht, aus Angst, meine Stimme könnte brechen, wenn ich etwas sagen würde. „Hier, ich habe was zu essen gemacht. Du hast bestimmt tierischen Hunger.“, Ciel zog einen Teller aus dem Küchenschrank und schob aus der Pfanne etwas drauf, dass aussah wie Pappmasche, dass man zu Eiern geformt hatte. Doch das lag nicht an ihren Kochkünsten, sondern einfach daran, dass es künstliches Essen war. Nero saß mir gegenüber am Tisch und seine Augen ruhten die ganze Zeit über auf mir, während er seinen Apfel aß. „D-Danke…“, murmelte ich, als sie mir den Teller hinstellte. Es war rührend, wie sie versuchten das Thema wegen Sichi zu umgehen, doch ich wusste auch, dass das nicht lange halten würde. „Woran ist er gestorben?“, fragte ich deswegen nur leise und hielt dabei mein Besteck fest umklammert. Ich sah Raimi nicht an, denn sie war diejenige gewesen, die ihn auf die Verletzungen untersucht hatte. „Stichwunde am Bauch und…als hätte jemand das Messer hochgezogen.“, sie schluckte schwer, was man auch deutlich hören konnte „Wer…würde so etwas…nur tun…? Es war doch niemand in dieser Stadt…und ein Tier könnte ihn nicht erstechen…“ „Irgendjemand will uns daran hindern, diese Splitter zu sammeln“, überlegte Pandorra nachdenklich „Aber warum sollte er oder sie das tun? Eggman ist doch lange tot und es gibt keine Verbündeten mehr von ihm…und selbst wenn es welche gäbe, sie wären doch auch schon lange tot.“ „Vielleicht ist es nicht Eggman. Vielleicht sind es Leute, die Rache nehmen wollen.“, erwiderte Nero mit neutralem Tonfall, doch sein Blick zu Shadow zeigte allzu deutlich, wen er meinte „Alte Rechnungen, die noch zu begleichen sind.“ „Ich habe keine Feinde. Man hält mich für tot und der Krieg ist 100 Jahre her.“, antwortete Shadow und klang gereizt. „Das heißt, es muss intern passiert sein.“, sagte Ciel und sprach damit das aus, was jeder von uns dachte, aber nicht sagen wollte. „Intern, so ein Unsinn! Als hätte jemand Grund Sichi…“, Raimi schüttelte heftig den Kopf „Ciel und Shadow kannten ihn doch kaum! Und Marik…sie würde ihn doch nie…warum sollte sie…“ Ich spürte Shadows Blick auf mir und mir wurde kalt. „I-Ihr glaubt doch nicht…“, stammelte ich und wurde blass „D-Das ich…“ „Nein, nein! Natürlich glauben wir das nicht!“, ruderte Pandorra sofort zurück „Ciel wollte damit niemanden verdächtigen!“ „Was ist mit Selbstmord?“ Diese Frage kam von Nero. Er starrte mich immer noch an, was mich langsam nervös machte. „Selbstmord!? Sichi würde sich nie umbringen!“, fauchte Raimi sofort und baute sich vor ihm auf „Du hast doch keine Ahnung wie Sichi…“ „Ich weiß, warum Leute Selbstmord begehen“, unterbrach er sie mit einem Tonfall, der kälter war als Eis. „Von Sichi habe ich keine Ahnung. Aber der Kerl war nicht glücklich, habe ich nicht recht? Seine Arme waren vernarbt, das kam bestimmt nicht vom Kämpfen. Du hast ihn untersucht und du hast es entdeckt, richtig? Die vielen Narben an seinem Arm, als hätte er sich jeden Tag…“ „Hör auf!“, schrie sie und hielt sich die Hände an die Ohren „Ich will das nicht hören! Sichi hat sich nicht umgebracht, er würde uns nie allein lassen!“ „Das dachte ich auch mal.“ , ich sah zu Nero. Seine Augen hatten einen kalten Glanz und ich sah kein Mitleid in ihnen, als er Raimi fertig machte. Sichi und…sich umbringen? Würde er das wirklich tun? Es kam mir so unwirklich vor. Eben noch war er so fröhlich und nett zu mir und dann… Es war wie mit Nero. Ohne Vorwarnung…hatte er mich verlassen. Vielleicht hatte sich Sichi auch dafür entschieden. „Und warum mit einem Messer?“, fragte Ciel leise, sodass man ihre Stimme kaum hören konnte. Sie schien von der Vorstellung ebenso entsetzt wie Raimi, auch wenn sie Sichi nicht besonders lange kannte „Er…er hatte doch Pistolen…warum so grausam…?“ „Weil Pistolen zu unpersönlich sind. Man spürt nicht genug Schmerz. Man fühlt sich erst richtig lebendig, wenn man auf der Schwelle zwischen Leben und Tod steht, er wollte das so lange wie möglich…spüren bevor er ging. Ein Schuss in den Kopf und alles wäre innerhalb weniger Sekunden vorbei…“ „Hör auf!“, kreischte Raimi und verpasste Nero einen Schlag ins Gesicht. Ich hatte noch nie gesehen, dass sie die Beherrschung verlor und jemanden schlug. Klar, sie verhaute uns ab und zu mit ihrem Stab, wenn wir uns wieder albern benahmen, aber…in diesem einen Schlag lag der ganze Hass, den sie in diesem Moment auf Nero hatte. „Hör auf so normal darüber zu reden! Du hast doch keine Ahnung wie Sichi ist, du hast ihn nicht gekannt! Wag es bloß nicht, seinen Tod auch noch mit Lügen zu beschmutzen!“ „Bist du wütend auf mich oder auf dich selbst, weil du es geahnt hast, aber nicht verhindern konntest?“, entgegnete er bloß kalt. Trotz dem roten Abdruck auf seiner linken Wange verzog er nicht mal das Gesicht. Raimi stand zwei Sekunden lang noch da und starrte ihn an. Ihre Augen waren hasserfüllt und wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich meinen können, sie würde ihn gleich umbringen. Doch stattdessen drehte sie sich um und marschierte ohne ein weiteres Wort aus der Küche. Mein Blick wanderte zu Nero. Wie konnte er bei alledem so ruhig bleiben? So kalt, so herzlos…was war nur aus ihm geworden? Ruckartig wandte er den Kopf zu mir und erwiderte meinen Blick ohne jegliche Empfindungen. Zum ersten Mal im Leben verspürte ich Angst vor ihm. Sogar früher, als er die Leute vor meinen Augen zusammen geschlagen hatte…er hatte es immer nur getan, um mich zu schützen. Jetzt hingegen kam es mir so vor, als würde es ihm Spaß bereiten, andere zu quälen, ob nun physisch oder psychisch. Konnte das wirklich der Mensch sein, der mir früher Wiegelieder vorgesungen hat um meine Albträume zu vertreiben? „Kommt.“, plötzlich spürte ich, wie mein Arm gepackt und ich auf die Beine gezogen wurde. Heriots Blick war ebenfalls zu Nero gewandt, während er meinen Teller hochhob und mich aus der Küche brachte. „W-Was machst du da?“, fragte ich irritiert, da ich ihm weder einen Befehl erteilt hatte, noch mich sonst irgendwie geäußert hatte. „Ich beschütze Euch.“ „Wovor denn…?“ „Vor Euch selbst.“ Ich blinzelte verwirrt. Vor mir selbst…? „A-Aber…“ „Ihr wollt mit ihm reden. Er wird Euch nur wehtun.“ „Wer denn? Heriot, seit wann kannst du ohne Befehl handeln???“, irgendwie beunruhigte es mich, dass er plötzlich so besitzergreifend wurde. Und trotzdem freute es mich auch, dass er nicht mehr so stark abhängig von mir war. „Ihr habt Euch gewünscht, dass ich eine Persönlichkeit entwickle. Soeben habe ich den Egoismus entdeckt.“ Ich wusste nicht, ob ich lachen oder aufgebracht sein sollte. Ich entschloss mich dazu, neutral zu bleiben und mich von ihm mitziehen zu lassen. „Egoismus? Warum?“ „Ich weiß, dass Ihr Euch mit ihm versöhnen wollte. Ihr werdet ihm immer vergeben, egal was er tut. Selbst nachdem er Eurer Freundin wehgetan hat, würdet Ihr ihm vergeben. Es steht nicht im Gesetz, dass ich Euch vor so etwas schützen muss, aber ich will es.“ Langsam begriff ich, was er meinte. Heriot öffnete meine Zimmertür und ich setzte mich auf mein Bett. „Und das nennst du Egoismus?“, erwiderte ich nur, weil ich wusste, er hatte Recht. Ja, ich würde Nero verzeihen, ich würde es ihm sogar verzeihen wenn er Raimi umgebracht hätte. Er war wie eine Droge, von der ich nie los kommen könnte, denn er war ein Teil meines Lebens. Meines alten Lebens, das ich um jeden Preis zurück haben wollte. „Ich tue es für mich. Eure Wünsche spielen dabei keine Rolle.“, antwortete er bloß und fing an, die Karten wieder an die Pinnwand zu hängen. „Das ist aber kein Egoismus. Wenn du dich um andere kümmern willst, ist das Fürsorge.“ „Aber Fürsorge ist etwas positives. Und andere Menschen wollen, dass man sich um sie kümmert.“ „Nein, einige…einige sind da so wie ich und wollen eben nicht, dass man sich um sie kümmert. Sie wollen lieber weiterhin blind durch die Welt reisen, weil sie es gewohnt sind. Man kann sich auch um andere kümmern, wenn sie es nicht wollen. Man darf es eben nur nicht übertreiben.“ „Übertreibe ich es?“ Ich ließ mir Zeit mit der Antwort. Hauptsächlich, weil mein Hals staubtrocken war und ich das Glas mit Wasser entdeckt hatte, dass Heriot mir jeden Tag auf den Nachttisch stellte. Ich nippte daran, ehe ich leicht lächelnd antwortete: „Nein. Ich glaube, du hast genau das richtige Maß an Fürsorge.“ „Fürsorge…“, wiederholte er bloß nachdenklich, während er weiterhin die Reisnadeln in die hölzerne Wand drückte. „Sag mal…wenn du Nero nicht ausstehen kannst…warum hast du ihn heute in mein Zimmer geschickt…?“ Diesmal ließ er sich Zeit mit der Antwort, was ungewöhnlich war. „Ihr habt ihn gebraucht. Jetzt braucht Ihr ihn nicht mehr.“ Sichi legte sich auf die Mauer und streckte sich, während ihm die Sonne ins Gesicht schien. „Hah, das ist doch mal ein geiler Platz, oder?“, er setzte sich die Sonnenbrille auf und grinste unbekümmert. Raimi grub ihre Zehen in den Sand und sah auf das Meer hinaus. „Ah…ich wollte schon immer mal hierher.“, schwärmte sie mit sanftem Lächeln. Sie strich sich einige nasse Haarsträhnen aus dem Gesicht und sah zu ihm. Ich blieb etwas weiter weg von den Beiden stehen. Wie gerne ich mich zu ihnen gesetzt hätte. Während die aufgebrochene Straße unter meinen nackten Füßen anfing zu brennen, schien bei ihnen die Sonne, das Gras war grün und das Wasser strahlend blau. Ich wollte sie rufen. Ich öffnete den Mund, doch heraus kam kein einziger Ton. Meine Beine waren taub und trugen mich nicht weiter, als gäbe es eine unsichtbare Grenze zwischen uns. Als würde ich nicht zu ihnen gehören. „Ich bin froh, dass Marik nicht hier ist.“, sagte Sichi und drehte sich so, dass ich nur noch seinen Rücken sah. „Ich glaube, sie gehört noch nicht hierher.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)