Sudden Confusion von -juujun- ================================================================================ Kapitel 1: 1. Kapitel --------------------- Jun Gerade als das rosarote Pferd mit wutverzerrtem Gesicht auf mich zusprang und mein Herz für einen Schlag aussetzte, ertönte der schrille Schrei aus dem Nichts. Er zerriss mir und dem blauen Pferd – war es eben nicht noch rosarot? – beinahe das Trommelfell und jagte uns beiden einen so großen Schrecken ein, dass wir beide vergaßen, dass ich ihm die Möhre geklaut hatte. Wieder erklang der Schrei, ich wälzte mich herum und als ich in die Richtung blickte, aus der der Ton erklang, stellte ich fest, dass er von den Krähen kam, die in meiner Wohnung saßen und kurzerhand meinen Angreifer vertrieben. Ihre Stimmen dröhnten in meinen Ohren, sodass ich die Hände auf eben diese presste und mich erneut herumwälzte. Warum lag ich? Unter meinen Fingerspitzen fühlte ich etwas Weiches, eine dünne Matratze, auf der ich lag. Ich sah nun keine Krähen mehr und auch kein Pferd, und anstelle einer Mohrrübe umklammerte ich mein eigenes Handgelenk. Das einzige, was von meinen Eindrücken geblieben war, war das unbarmherzige Vogelgezwitscher, das noch immer auf mich niederprasselte. Doch nicht nur das – dazu gesellte sich ein stetiges Brummen auf dem Boden, genau neben meinem schmerzenden Kopf. Ich runzelte die Stirn, und stellte fest, dass mir eben dies unglaubliche Kopfschmerzen bereitete, genauso wie das zaghafte Öffnen meiner Augen und die krampfhafte Überlegung, was ein brummendes Handy mit Vogelstimmen zu tun hatte. Ich brauchte eine Weile, um zu realisieren, dass das nur ein äußerst hässlicher Weck-Ton sein konnte. Ich ließ mein Handgelenk los und griff nach dem Gerät, brachte es mit einem routinierten Tastendruck zum Verstummen. Als ich mich kurz darauf an diese Bewegung zu erinnern versuchte, stellte ich fest, dass sie mir entfallen war. So routiniert ist man also schon, dass man das völlig unterbewusst macht, dachte ich noch schmunzelnd. Jetzt, da es im Raum still geworden ist, hörte ich auch die echten Vögel, die draußen herum flogen. Irgendwie war es beruhigend, dass sie sich nicht in meiner Wohnung, sondern davor befanden. Plötzlich erfror das Lächeln auf meinen Lippen. War das denn meine Wohnung? Ich sah ein kitschiges Zimmer mit buntverzierten Wänden und bunte Bettwäsche, die teilweise unter und teilweise neben mir lag und als ich an mir herabsah, sah ich ebenso bunte Kleidung, die herzlich wenig an einen Schlafanzug erinnerte. Ein T-Shirt, eine kurze grüne Hose, Leggings,… Direkt neben mir lagen grüne lieblos hingeworfene Boots. Es erschien mir befremdlich, Boots im Schlafzimmer zu haben, aber genauso befremdlich wirkte dieser ganze Raum auf mich. Wer um alles in der Welt hatte so einen fürchterlichen Einrichtungsstil!? Würde ich hier wohnen, würde ich es… anders gestalten. So, wie es bei mir zu Hause sicherlich aussah. Irgendwie… Ich kramte in meiner Erinnerung nach einem Bild von meiner Wohnung, doch die gähnende Leere zu durchstöbern bereitete mir einen weitere Welle des Kopfschmerzes und ein nervöses Gefühl im Magen. Zögerlich richtete ich mich auf, versuchte dabei das Hämmern in meinem Schädel zu ignorieren und das klappte auch beinahe, als das Gefühl, dass sich mir der Magen umdrehte, die Überhand gewann. Ich presste meine Hand auf den Mund und war schneller als ich es für möglich gehalten hatte auf den Beinen, um fluchtartig aus dem Raum ins Badezimmer zu stürmen. Kurze Zeit später stand ich am Waschbecken. Kaltes Wasser lief über meine Handgelenke, während ich den Fremden im Spiegel betrachtete. Er hatte pinkes Haar, das wild von seinem Kopf abstand und tiefe Augenringe, die ihm eine völlig ausgezerrte Erscheinung verliehen. Es überraschte mich, als er und ich gleichzeitig die Hand hoben, um eine Strähne der Frisur zu ordnen. Nein, das sollte mich nicht überraschen, wurde mir schlagartig bewusst. Mein eigenes Aussehen sollte mir nicht fremd sein. Kurz darauf umklammerte ich den Rand der Keramik, vor der ich schon wieder hockte. Ich hatte einen bitteren Geschmack im Mund, während heiße Tränen aus meinen Augen rannen und ich wusste nicht einmal, ob ich tatsächlich weinte oder ob die Tränen und das Zittern daher kamen, dass ich wieder und wieder meinen Mageninhalt hochwürgte. Noch immer zittrig und verunsichert, aber immerhin ohne Würgereiz, saß ich später wieder in dem Zimmer in dem ich erwacht bin. Inzwischen erschien es mir einigermaßen vertraut und dadurch, dass sich hier niemand anders außer mir aufzuhalten schien, dämmerte mir allmählich, dass es trotz der merkwürdigen Einrichtung zu mir gehören musste. Da mir mein eigenes Gesicht fremd erschien, wunderte es mich schon fast gar nicht mehr, dass diese Wohnung genauso fremd war und dieses Telefon…. Ich griff danach, fand auf dem Hintergrund ein Bild von vier Männern, von denen einer dieselbe Haarfarbe wie ich hatte. Vielleicht ähnelten sich sogar unsere Gesichter, ich hatte es schon wieder vergessen. Ich biss mir auf die Unterlippe. Das konnte doch nur ein schlechter Traum sein! Über dem Bild leuchtete ein Symbol von einem roten Telefonhörer mit einem Pfeil auf. Ich tippte ohne bestimmten Grund darauf und las den Namen „Jui“. Offensichtlich ein Anrufer, der mich nicht erreicht hatte. Jui, wiederholte ich den Namen in Gedanken und schließlich noch einmal laut. Ich wusste nicht, ob ich wirklich mit irgendwem sprechen wollte, aber ich hegte die leise Hoffnung, dass ein Gespräch mit jemandem, der mich kannte und den ich kannte, vielleicht ein bisschen Licht ins Dunkel brachte. Und irgendwie hatte ich das Gefühl, dass Jui der einzige Mensch war, mit dem ich sprechen wollte, dem ich mich in dieser verwirrenden Situation öffnen konnte und der sicherlich eine Lösung parat hatte. Zumindest hoffte ich das. Ich wählte seine Nummer und lauschte voller Anspannung dem Freizeichenton. Jui Verwirrt ließ ich das Handy sinken. Schlief er etwa noch? Heute waren Jun und ich verabredet, die Probe unserer ersten gemeinsamen, neuen Band würde am Nachmittag stattfinden und wir beide wollten uns einige Stunden früher treffen, um an einem Song zu arbeiten. Wir standen noch ganz am Anfang, hatten noch nicht viele Lieder, aber erstaunlicherweise wurden es immer mehr. Jun war oft überdreht und unruhig, sodass mich zu Beginn dieses Experimentes meine eigene Unsicherheit plagte. Ich konnte mir kaum vorstellen, dass jemand wie Jun wirklich ernsthaft arbeiten konnte. Doch es funktionierte. Über seine Gitarre gebeugt konnte er völlig in Gedanken versinken und nur noch spielen. Ich liebte es, ihn so zu beobachten. Auch sein immerwährendes Strahlen, sein Lächeln, liebte ich. Wenn ich es sah, wusste ich, dass unsere Entscheidung für die Band richtig gewesen ist. Doch in letzter Zeit wurde Jun unzuverlässiger. Immer öfter verschlief er Termine, manchmal rief ich ihn nur an, um zu fragen, ob er überhaupt das Bett verlassen hatte. Außerdem ging er abends oft weg. Meine Gedanken wurden unterbrochen, als ich einen Rückruf von ihm erhielt. War er also endlich wach. "Jun, warum gehst du nicht an dein Handy? Hast du schon wieder verschlafen?", fragte ich besorgt. Jun Als sich die Stimme am anderen Ende der Leitung meldete, wusste ich, dass meine Anspannung nicht freudiger, sondern nervöser Art war. Am liebsten hätte ich sofort wieder aufgelegt. Aber bevor ich voreilig handeln konnte, besann ich mich eines Besseren und erhielt die Verbindung aufrecht. Außerdem klang seine Stimme schön, ich mochte den besorgten Unterton, wie mir auffiel und sie gab mir nebenbei Informationen, ohne dass ich danach fragen musste. Jun nannte er mich. Das klang in meinen Ohren in Ordnung. "...Ich weiß nicht", antwortete ich, nachdem mehrere schweigsame Minuten - oder waren es Sekunden? - verstrichen waren. Ich erinnerte mich an das Vogelgezwitscher und daran, dass das wohl mein Weckruf war. Es war ein erstaunlich angenehmes Gefühl, ÜBERHAUPT eine Erinnerung zu haben. "Hm, nein, ich hab nicht verschlafen. Mein Wecker hat geklingelt und ich bin gleich aufgestanden", erklärte ich schließlich und versuchte nebenbei, mich an den Klang meiner eigenen Stimme zu gewöhnen. Vielleicht war das der Grund, warum ich so viel redete, ohne zu wissen, mit wem ich sprach. "Aber ich habe gespuckt. Ganz schön viel... und lange, glaube ich..." ich sah mich im Raum um, konnte aber keine Uhr finden, also stand ich auf und ging ins Wohnzimmer. Es war mir auf dem Weg ins Badezimmer nicht aufgefallen, aber dieser Raum wirkte beinahe noch chaotischer als der vorherige. Und überall Bilder von bunthaarigen Männern, einige davon waren sogar ziemlich düster. Es dauerte, bis ich eine Uhr fand - genau genommen war das eine Katze aus pinker Plastik, in deren Bauch sich Uhrzeiger und ein Ziffernblatt befanden. „Kurz nach 9...“, stellte ich fest. "Hätte ich früher an mein Handy gehen müssen? War das wichtig?", fragte ich schließlich, während sich ein Kloß in meinem Hals bildete. Jui Sofort hörte ich, dass etwas nicht stimmte. Juns Stimme war unsicher und nervös. So klang er nie. Seine Worte trugen nur noch mehr dazu bei, dass ich mich sorgte. Sie waren konfus und schienen ohne Zusammenhang. Eine Weile ließ ich ihn weiterreden, hörte, wie er durch die Wohnung schritt, nur um mir die aktuelle Uhrzeit zu nennen. Ich seufzte. "Jun, wir sind verabredet. In einer halben Stunde wollten wir uns im Proberaum treffen, aber da du nicht an dein Handy gegangen bist, dachte ich, du schläfst noch." Einen Moment hielt ich inne. Sein Verhalten machte mir wirklich Sorgen und ich konnte spüren, wie ich nervös wurde. Etwas war ganz und gar nicht in Ordnung. In mir wuchs der Drang ihn zu sehen, bei ihm zu sein, wenn er so verwirrt war. "Soll ich dich abholen?", fragte ich leise. Er war so merkwürdig im Moment und seine zustimmende Antwort klang so hilflos, dass ich mich sofort in meine Auto setzte und losfuhr, auch wenn ich geplant hatte, die Bahn zu nehmen. Jun Im Proberaum treffen.... Juis Stimme hallte wieder und wieder durch meinen Kopf, während ich durch die Räume spazierte, die anscheinend mir gehörten. Ich war noch immer voller Anspannung, doch die Hoffnung, dass Jui meinem Gedächtnis auf die Sprünge half, machte die Situation einigermaßen erträglich. Vielleicht fiel mir auch alles schlagartig ein, wenn er erst einmal vor mir stand. Proberaum.... Ich betrachtete die Bilder im Wohnzimmer, eins nach dem anderen. Das erste, das auf einer Kommode stand, zeigte einen blonden Mann mit unzähligen Piercings und daneben einen pinkhaarigen Mann. Sie sagten mir beide nichts und ich war unsicher, ob ich selbst der Pinkhaarige war oder nur jemand, der eben diesem nacheifern wollte. Der Blonde hingegen sah ganz interessant aus, aber auch unheimlich. Und der, der möglicherweise ich war, grinste breit in die Kamera. Das Bild daneben zeigte eine Gruppe mit fünf Männern, alle dunkel gekleidet und wieder war jemand mit meiner Frisur darauf. Ich griff seufzend nach dem Foto und stellte mich damit vor den Spiegel im Badezimmer, um die Gesichter zu vergleichen. Doch, das war ich - die Nase, die Lippen, selbst die Zähne, wenn ich so grinste. Ich gehörte also einer Cosplaygruppe an. War ich dafür nicht zu alt? Ich schüttelte den Kopf und kehrte ins Wohnzimmer zurück. Dieses Mal stach mir ein Bild von den vier Männern, die bereits von meinem Handydisplay kannte, ins Auge. Es waren andere als die Schwarzgekleideten, soviel stand fest. Nur ich war in beiden Gruppen zu sehen... Gerade als ich mich fragte, ob Jui einer von denen sei, die hier in meinem Wohnzimmer herum standen, ließ mich das Läuten der Klingel erschrocken zusammenfahren. Fast hätte ich das Bild fallen lassen. Ich stellte es mit zittrigen Fingern zurück auf seinen Platz und ging dann zum Flur, um die Tür langsam und zaghaft zu öffnen. Falls Jui auch so eine düstere Gestalt war, wollte ich nicht gleich einen Herzinfarkt bei seinem Anblick bekommen. Doch als ich in den Hausflur blickte, war dort niemand. Stattdessen dröhnte die Wechselsprechanlage direkt neben mir erneut mit schrillem Ton, dass ich abermals erschrak und den weißen Kasten perplex musterte. Ich brauchte einen Moment, ehe ich nach dem Hörer griff. Ein Telefon an der Wohnungstür, dachte ich irritiert. "Hallo?", fragte ich leise, unsicher, ob ich daraus eine Antwort bekommen würde. Jui Eilig stellte ich mein Auto auf dem Besucherparkplatz ab und begab mich zur Hauseingangstür und klingelte. Doch der Summer, um die Tür zu öffnen, ertönte nicht. Allerdings bezweifelte ich, dass er nun in den Proberaum gefahren war, immerhin hatte ich ihm deutlich gesagt, dass ich ihn abholen würde. Einen Moment wartete ich noch, dann klingelte ich erneut. Dieses Mal ertönte der Summer, ich rief ihm ebenfalls eine knappe Begrüßung zu und konnte den Hausflur betreten. Der Fahrstuhl brachte mich in den 11. Stock, in dem Jun wohnte. Er wartete schon in der Tür auf mich, was mich sehr verwirrte. Er trug dieselbe Kleidung wie gestern, nur dass er seine Schuhe und die Socken verloren hatte. Seine verwirrten Augen sahen mich an, als würde er mich gar nicht wieder erkennen, weshalb ich meine neue Sonnenbrille abnahm. Es konnte doch aber nicht so verwirrend für ihn sein, dass ich diese trug. Das tat ich oft. Für den Moment entschied ich, es zu ignorieren und betrat die Wohnung, um meine Schuhe abzustreifen. "Jun? Geht es dir nicht gut?", fragte ich, sein stilles Verhalten warf mich ziemlich aus der Bahn. Normalerweise hätte er jetzt bestimmt schon 5 Sätze gesprochen. Ich trat näher auf ihn zu und musterte ihn nun meinerseits. Bildete ich es mir ein, oder hatte sich selbst seine Haltung verändert? Jun Das war also Jui, dachte ich und versuchte, mir sein Gesicht einzuprägen. Er kam mir bekannt vor. Diese Gesichtszüge waren ziemlich charakteristisch, fand ich, und vor allem waren sie freundlich und hübsch. Und dass er nicht in Schwarz gehüllt war, beruhigte mich auch, denn es bedeutete, dass dieser Jui kein Freak war. "Ich habe Kopfschmerzen", hörte ich mich sagen, während ich den anderen immer noch anstarrte und mich fragte, woher ich ihn kannte. Schließlich schaffte ich es, mich von seinem Anblick zu lösen und wandte mich wortlos ab, um mein Wohnzimmer zu betreten. Wieder fiel mein Blick auf die Fotos und mir wurde schlagartig klar, woher ich ihn kannte. Ich riss das Bild in die Höhe und hielt es neben Juis Gesicht, um auch hier den Vergleich anzustellen. Er war der Mann neben mir auf dem Bild, eindeutig. Nur dass er auf dem Foto viel mehr wie ein Star aussah als in echt. Aber er war kein Star - würde ich mit Stars zu tun haben, wüsste ich das sicherlich, nahm ich an. Aber ich hatte auch angenommen, dass mir sein Anblick meine Erinnerungen zurück bringen würde. Trotzdem befand sich in meinem Kopf nichts als gähnende Leere. Genau wie vorher, nur, dass ich nicht mehr allein war, sondern mit einem hübschen Mann hier stand. "Und, was wollten wir nochmal im Proberaum?", fragte ich schließlich, während ich das Bild zurück stellte. "Ich fürchte ich bin etwas... vergesslich..." Ich kicherte nervös, als ich mir der Untertreibung bewusst wurde. Jui Es war ungewöhnlich. Selbst wenn er sich in der letzten Nacht wieder lange und alkoholintensiv vergnügt hatte, am nächsten Tag war er eigentlich immer wieder fit, vielleicht ein bisschen müde, aber über Kopfschmerzen klagte er nie. "Hast du schon eine Tablette genommen? Hast du schon etwas gegessen?", fragte ich besorgt nach und wollte mich in der Küche um Frühstück und eine Tablette kümmern. Da hielt er mir ein Foto neben das Gesicht, als wolle er etwas vergleichen. Ich verstand nicht, doch das Foto war schon ein paar Jahre alt. „Mensch, suchst du jetzt nach neuen Falten?“, fragte ich unsicher, lachte aber und versuchte, nicht weiter über den Vorfall nachzudenken. Stattdessen widmete ich mich meiner eigentlichen Idee. Nach all den Jahren kannte ich seine Küche, wusste, wo ich fand, was ich suchte. Schnell hatte ich Kopfschmerztabletten aus dem Schrank genommen, ein Glas mit Wasser gefüllt und festgestellt, dass er noch Reis mit schwarzen Bohnen im Reiskocher hatte. Gerade nahm ich eine Schale aus dem Schrank, als ich seine Frage hörte. "Wie bitte?", fragte ich, obwohl ich verstand, was er sagte. "Wir wollten doch heute an dem neuen Song arbeiten. Du hast mir gestern erzählt, dass du einen komponiert hast und ich ihn mir anhören soll, um gegebenenfalls noch Änderungen vornehmen zu können. So machen wir das doch immer..." Wie konnte er so etwas vergessen? Das war doch nicht normal. "Ist wirklich alles in Ordnung mit dir?" Ich entschied, die Schale in meiner Hand erst einmal abzustellen, ehe ich mich vor ihn stellte und eine Hand auf seine Stirn legte. "Also Fieber hast du nicht...", stellte ich fest. Die Stirn war eher ganz kalt und ich fragte mich, ob mich dies beunruhigen sollte. Jun Ich hatte einen Song komponiert? Ich!? Ich spürte, wie mir meine Gesichtszüge entgleisten und ich ihn von neuem anstarrte, während mein Herz im wilden Takt zu schlagen begann und das Zittern bis in meine Knie vordrang und sie in Gummi verwandelten. Ich stolperte rückwärts, stieß dabei gegen die Couch und ließ mich auf dieser sinken. Wieder glitt mein Blick zu all den Fotos, die mein Wohnzimmer zierten, dann zu Jui, wieder zu den Bildern und zurück. Mein erster Eindruck hatte mich also nicht getäuscht - dieser Mann vor mir WAR ein Star und sah nicht nur wie einer aus. Und ich, war ich dann automatisch auch einer, wenn ich einen Song komponiert hatte und offensichtlich schon andere davor? Verdiente ich meinen Lebensunterhalt damit? Und wenn dem so war, wie konnte ich dann weiterleben, wo ich doch im Moment nicht den leisesten Hauch einer Ahnung von Musik hatte? Ich fühlte mich, als hätte mir jemand eine Schlinge um den Hals gelegt, die mit jeder Information, die mir Jui gab, enger gezogen wurde. Noch ein bisschen mehr und ich würde ersticken, dessen war ich mir sicher. "Tut mir Leid, ich... hab's vergessen!" Angst machte sich in mir breit, als mir allmählich dämmerte, WIE schlimm meine Situation eigentlich war. Zuvor hatte ich noch keinen einzigen Gedanken an Arbeit oder meinen Lebensunterhalt verschwendet, doch das hatte sich nun entschieden geändert. "Ich kann das nicht mehr, Jui..." Als sich die ersten Tränen in meinen Augen sammelten, verbarg ich mein Gesicht in den Handflächen, presste dabei die Fingerspitzen gegen die Stirn, als würde das irgendetwas nützen, um die Erinnerungen zurück zu bringen. Plötzlich kam mir eine Idee - vielleicht war die Musik ja auch nur ein Hobby! Dann wäre es nicht ganz so dramatisch... ich atmete tief durch und hob dann den Blick. "Ist das denn sehr schlimm? Sind wir bekannt, meine ich?" Jui Jun wurde blass und begann zu zittern. Eine Antwort erhielt ich nicht, stattdessen musste ich zusehen wir Jun sich auf die Couch sinken ließ und später in Tränen ausbrach. Einen Moment noch zierte ich mich, obwohl ich sah, dass es ihm nicht gut ging. So sah ich ihn nur äußerst selten, sodass ich nie ganz darauf vorbereitet war, wenn er deprimiert war. "Was kannst du nicht mehr? Wir haben doch gerade erst angefangen...", auch meine Knie begannen zu zittern und ich ging vor ihm in die Knie, setzte mich auf den Boden vor ihm. Wollte er das alles abbrechen? Das konnte er nicht tun! Nach meiner misslungenen Solo-Karriere brauchte ich ihn mehr, als er sich oder ich mir eingestehen wollte. Ohne ihn wäre meine Karriere vorbei. 'Ist es denn sehr schlimm?' Dieser Satz hallte in meinen Ohren wieder. Mir wurde schlecht. Seine Tränen zeigten mir, wie ernst er das alles meinte. Meine Stimme war brüchig, als ich antwortete. "Was? Warum sagst du das? Ich weiß, dass du mit Phantasmogoria viel berühmter warst als jetzt, aber wir haben doch beide entschieden, es zu versuchen und du weißt, dass ich dich brauche und du wolltest mich unterstützen! Ohne dich wäre meine Karriere doch schon beendet!", mir schossen selbst die Tränen in die Augen. Es war egoistisch, doch ich konnte meine Gefühle nicht mehr zurückhalten. Die gescheiterte Solo-Karriere und die nachfolgenden Monate der Arbeitslosigkeit hatten all meine Reserven aufgebraucht. Mein Traum stand vor dem Aus, wenn er jetzt das Handtuch warf. "Bitte gib uns noch etwas Zeit, wenn das Mini-Album erst einmal fertig ist, können wir wieder auftreten und mehr Geld verdienen. Du hast doch auch schon so viel Zeit investiert. Bitte gib jetzt nicht auf.", bat ich ihn. Jun Langsam glitten meine Hände mein Gesicht hinab, soweit, bis meine Augen freilagen und ich den Mann vor mir mit irritierter Miene mustern konnte. Es fiel mir schwer, seinen Worten zu folgen und in ihnen den Grund für sein Flehen zu erkennen. Obwohl ich eigentlich viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt war, löste der Klang seiner Stimme und dieser hilflose Gesichtsausdruck eine Welle von Mitleid in mir aus. Zu gern hätte ich ihn mit tröstenden Worten beruhigt, doch in Anbetracht dieser Situation fielen mir keine ein. Und so blieb mir nur übrig, meine zitternden Hände auf seine bebenden Schultern zu legen, während ich schweigend über die passenden Worte nachdachte. Jui brauchte mich? Wofür um alles in der Welt sollte dieser Mann ausgerechnet mich brauchen? Was konnte oder hatte ich, was er von keinem anderen bekommen konnte? War ich etwa ein musikalisches Genie? Oder hatte ich gute Kontakte, auf die er angewiesen war? Oder standen wir uns besonders nah? Doch WIE nah, war die Frage, die sich mir daraufhin unweigerlich stellte. "Jui..." Je öfter ich seinen Namen aussprach, desto besser gefiel er mir, wie ich beiläufig feststellte. "Ich..." Ich unterbrach mich selbst, als ich hörte, wie weinerlich meine Stimme klang, schluckte den Kloß herunter und setzte dann neu an. "Es tut mir Leid, ich kann nicht mehr komponieren! In meinem Kopf, da ist alles... leer! Verstehst du? Alles!" Jui Ungläubig sah ich ihn an. Es ging ihm nicht gut, das sah ich sehr deutlich, doch bei solchen Worten konnte ich nicht ruhig bleiben, dafür war ich nicht willensstark genug. Vielleicht war es auch mein Egoismus, der sich nicht in Grenzen halten konnte. Neue Hoffnung keimte in mir auf, als er sich erneut erklärte. "Aber das macht doch nichts! Wir brauchen nur noch 2 Songs, sonst haben wir alles durch, ich kann auch alleine etwas schreiben und mit der Hilfe von Shingo und Toya gleichen wir die schon an den Stil der restlichen Songs an, mach dir keine Sorgen." Ich griff nach seiner Hand. "Bitte gib uns nicht auf. Solange du mit auf der Bühne stehst und Gitarre spielst, solange haben wir eine Chance. Dein Charisma hast du doch noch..." Ich hatte schnell geredet und musterte erst jetzt wieder mein Gegenüber intensiver. Jun hatte eine wundervolle Ausstrahlung. Oft hatte ich das Gefühl, dass man ihn nur lange genug ansehen müsste, um all seine Probleme zu vergessen. Vielleicht hatte er deswegen so viele Fans. Doch gerade jetzt sah ich selbst das nicht mehr. Jun 'Bitte gib uns nicht auf.' Komischerweise waren es ausgerechnet diese Worte, die zwischen all den anderen hervorstachen. Jui redete schnell und viel und es kostete mich ungemein viel Mühe, ihm zu folgen. Fast nichts von dem, was er sagte, schien einen Sinn zu ergeben - außer eben dieser Satz: 'Bitte gib uns nicht auf.' Ich blickte auf seine Hand, die meine umfasste und fragte mich, ob der Rest seiner Worte sich tatsächlich auf die Musik, auf das Komponieren bezog, oder vielleicht doch auf etwas anderes... Ihn jedoch danach zu fragen, erschien mir unangemessen - Gedächtnisschwund hin oder her, ich konnte ihn unmöglich fragen, ob zwischen uns mehr war als nur die Musik! Selbst in diesem Zustand wäre es mir peinlich, wenn er dies verneinte. Zumindest stellte ich es mir peinlich vor. "Ich bin Gitarrist?", fragte ich schließlich leise, um mich selbst auf andere Gedanken zu bringen - die allerdings keineswegs beruhigender waren. Mein Blick fiel auf die rote Gitarre, die in der anderen Ecke des Raumes stand. Lange Saitenenden ragten aus den Mechaniken hervor und zwischen den Saiten klemmte ein rotes Plektrum. Direkt daneben befanden sich ein Laptop und ein kleines Keyboard, auf dessen Tasten ich ein Paar Kopfhörer abgelegt hatte. Als ich versuchte, mir vorzustellen, wie man diese Instrumente bediente, empfing mich nichts außer der Wand, gegen die ich immer wieder stieß, sobald ich versuchte, tiefer in meine Erinnerungen vorzudringen. "Vielleicht sollte ich besser singen. Ich glaube, das ist einfacher!" Wieder lachte ich nervös auf, während meine Finger sich automatisch fester um Juis Hand schlossen, als sei sie der letzte verbleibende Strohhalm, der mich vor dem Ertrinken bewahrte. "Ich weiß wirklich gar nichts mehr", gestand ich leise und bereute es augenblicklich. Es so direkt auszusprechen, erschien mir so, als würde es jetzt kein Zurück mehr geben, als seien meine Erinnerungen an mich, ihn, meinen Job und alles drum herum nun endgültig verloren. "Es tut mir Leid, ich kann dir nicht zeigen, was ich komponiert habe oder irgendetwas spielen. Ich kann dich nicht unterstützen, auch wenn ich es dir versprochen haben sollte... Aber Toya und Shingo helfen dir bestimmt! Wer auch immer das ist..." Den letzten Satz sprach ich leise, mehr zu mir als zu Jui. Ich erhaschte noch einen Blick auf das Foto mit den vier Männern, die sich auch auf meinem Handy befanden. Ich vermutete, dass es sich um dabei um die verbliebenen beiden handelte. Jui Empört wollte ich wiedersprechen, als er meinte doch singen zu müssen. Diese Diskussion hatten wir schon einmal. Nächtelang. Zwar konnte ich auch Gitarre spielen, doch das nicht halb so gut wie er. Doch so langsam formte sich ein anderer Gedanke in meinem Kopf... 'Ich bin Gitarrist?' 'Ich weiß wirklich gar nichts mehr.' 'Ich kann dich nicht unterstützen, auch wenn ich es dir versprochen haben sollte...' '...wer auch immer das ist...' Es ergab einen ganz anderen Sinn. Während ich nachdachte, musterte er erneut neugierig seine Gitarre, als hätte er so etwas noch nie gesehen. "Du weißt nicht mehr, wie man spielt?", meine Stimme war kaum mehr als ein Hauchen, doch er senkte den Kopf und nickte. Ich drückte seine Hand fester. "Du weißt nichts mehr...", sagte ich mehr zu mir als zu ihm, doch er hob seinen Kopf wieder und sah mich an. Bestätigte meine Aussage. "Weißt du noch meinen Namen?", stellte ich ihm eine prüfende Frage. Es musste ein leichtes sein, sie zu beantworten. Denn ich konnte mir noch immer nicht ganz vorstellen, dass er von einen Tag auf den anderen nicht mehr Gitarre spielen konnte. "Jui.", war seine einfache, fast unschuldige Antwort. "Das stand doch so in meinem Handy." Ich konnte spüren, wie mir die Kraft aus den Gliedern wich und mir einen Moment schwindelig wurde. Er hatte also wirklich vergessen. Alles war verschwunden. "Wie ist das passiert?", fragte ich unsinnigerweise. Jun Ich konnte nichts anderes tun, als hilflos mit den Schultern zu zucken. Ich wüsste selbst zu gern, wie es dazu gekommen ist, und ob es einen Weg gab, die Erinnerungen zurück zu erlangen. "Ich bin einfach aufgewacht und wusste nichts mehr", antwortete ich schließlich, nachdem ich mir die Zeit genommen hatte, Jui noch eindringlicher zu mustern. Erneut hatte er meine Hand gedrückt - so lange, bis es fast schon wehtat. Trotzdem wollte ich diesen Kontakt nicht unterbrechen. Es war schließlich der erste Körperkontakt, an den ich mich erinnerte. "Aber das heißt ja nicht, dass ich uns aufgeben will...", fügte ich schließlich kleinlaut und verunsichert hinzu, während ich meine freie Hand auf seine Schulter legte, um ihn leicht an mich heranzuziehen. Ich hatte einfach das Gefühl, dass ich nicht ganz so allein und hilflos war, wenn ich Jui so nah wie möglich bei mir hatte. Doch plötzlich kam mir ein anderer Gedanke - was, wenn Jui nur an mir interessiert war, wenn ich auch Musik mit ihm machte? Jui Auch wenn Jun noch immer anders war als sonst, ich konnte ihn ansehen, und ich konnte Kraft in diesen Augen finden, denen nie ein Problem zu groß schien, um es nicht bewältigen zu können. "nichts mehr ... nichts mehr...", wiederholte ich einige Male nur für mich selbst. Erneut musterte ich ihn prüfend. Das ging doch nicht so einfach. Wie konnte ein gesunder Mann von einem Tag auf den anderen all seine Erinnerungen verlieren? Und würden sie wieder kommen? Er wollte uns nicht aufgeben, an diesen Satz würde ich in der nächsten Zeit oft denken, das wusste ich schon jetzt. "Geht es dir gut? Hast du Schmerzen? Im Kopf? Fehlt dir etwas?" fragte ich, während ich mich aufrichtete und durch seine Haare strich. "Wir müssen dich durchchecken lassen, wir sollten gleich ins Krankenhaus gehen!" Ich versuchte meine Angst zu unterdrücken, hoffentlich war es nichts Ernstes. Jun Kurz schloss ich die Augen, als ich seine Berührung in meinem Haar spürte. Ich wusste gar nicht, was besser tat: das kurze Streicheln, seine Fürsorge oder diese Bestätigung, dass er mich scheinbar trotz Gedächtnisschwund noch mochte. "Hm, ich habe Kopfschmerzen und mir ist etwas schwindlig...", erklärte ich, ohne seine Hand loszulassen. “Und ich glaube, meinem Magen geht es nicht gut..." Sicherlich war eine Untersuchung im Krankenhaus in diesem Fall keine schlechte Idee. Und so suchte ich mit Juis Hilfe mein Portemonnaie und kontrollierte es auf Vollständigkeit, ehe wir kurze Zeit später in seinem Wagen saßen. Schnell zog die fremde Stadt an mir vorbei, während ich tief in den weichen Ledersitz gesunken war und aus dem halb heruntergelassenen Fenster blickte. Der Fahrtwind zerzauste mein ohnehin ungekämmtes Haar und brachte das Duftbäumchen, das am Spiegel vor der Windschutzscheibe baumelte und seinen Duft im ganzen Auto verströmte, zum Tanzen. Als wir an einer Ampel hielten, hörte ich auf, die Häuser zu beobachten, sondern konzentrierte mich auf die umstehenden Autos. Meiner Meinung nach sah keines davon so sportlich wie Juis aus. Er musste WIRKLICH ein Star sein! Und ich vermutlich auch... "Dein Auto ist toll. Fahren wir öfter zusammen irgendwo hin?", fragte ich unschuldig und hoffte, damit eine klare Antwort darauf zu bekommen, wie viel nun tatsächlich zwischen uns war. Er hatte mich zwar berührt, aber das war mir noch immer nicht Beweis genug! Jui Er war fast wie ein Kind. Ich suchte seine Umhängetasche und sein Portemonnaie, ließ es ihn aber selbst kontrollieren. Dann half ich ihm, die Wohnung abzuschließen, er konnte die Schlüssel an seinem Bund nicht unterscheiden. Anschließend führte ich ihn zu meinem Auto und öffnete ihm die Tür. Ich wollte für ihn da sein, wollte mich um ihn kümmern. Während ich fuhr, betrachtete er die Umgebung, als hätte er sie noch nie gesehen. Wahrscheinlich empfand er es im Moment so und ich fragte mich automatisch, ob ihm das hier nicht auch etwas Angst machte. Doch man konnte ihm keine Furcht ansehen. Seine Frage ließ mich kurz nachdenken. Es tat weh, dass er keine Erinnerungen mehr hatte, doch ich versuchte es zu ignorieren und versuchte zu lächeln. "Nein, wenn wir zusammen unterwegs sind, nötigst du mich immer die Bahn zu nehmen, weil du es hasst wie lange ich immer einen Parkplatz suche, dabei brauche ich ehrlich gesagt nicht lange. Allerdings kam dir das immer so vor." Zum Ende hin musste ich wirklich lachen. Vielleicht konnten wir jetzt ja öfter mit dem Auto fahren. Jun "Aber wir sind öfter zusammen unterwegs!", schlussfolgerte ich und brachte sogar zum ersten Mal seit ich erwacht war, ein Lächeln zustande. Nur ein kleines, und auch nur kurz, aber immerhin war ich einen Moment lang nicht ganz so nervös. Vielleicht begriff ich auch noch immer nicht so ganz, was mit mir geschah. Vielleicht hatte mich aber auch einfach nur Juis Lachen angesteckt. "Komisch, passt es nicht besser zu einem Star, mit dem Auto zu fahren? Das ist doch irgendwie... luxuriöser!" Ich griff in die Tasche, die auf meinem Schoß ruhte und holte das Portemonnaie hervor, um erneut darin herumzuwühlen. Jui hatte mir vorhin bestätigt, dass darin alles war, was ich für das Krankenhaus brauchte, trotzdem zog ich jede einzelne Karte daraus hervor und betrachtete sie nacheinander. Geldkarten, Rabattkarten, Visitenkarten,... und meinen Pass. Diesen musterte ich besonders genau und las mir immer wieder die Angaben auf diesem durch. Jun Okamoto. Geboren am 17.11.1983 in Kobe, Präfektur Hyogo. "Und ist Kobe weit weg? Ist es schön da?" Jui "Natürlich!", antwortete ich sofort, ehe mir einfiel, dass er es nicht wissen konnte. Er wusste nichts mehr von unserer Freundschaft. Alle Erinnerungen gehörten im Moment nur mir. "Hmm... ich war noch nicht oft da, es ist eine mittelgroße Stadt in der ich mich irgendwie noch nie verlaufen habe. Es ist schon ein Stück weg. Du fährst immer fast 4 Stunden mit dem Zug, wenn du deine Eltern mal besuchen möchtest. Meistens sind wir hier in Tokyo. Ich glaube deine Eltern haben dich auch einmal hier besucht, sie sind rückwärts wieder aus der Wohnung gestolpert, dabei haben wir einen ganzen Tag lang geputzt und aufgeräumt! Ich musste mir extra freinehmen!" Wenn ich daran dachte, musste ich Lächeln. Inzwischen erreichten wir das Krankenhaus und ich parkte den Wagen zielsicher in einer engen Lücke. "Jun?" Ich wartete darauf, dass er mich erneut ansah. "Wenn da drinnen rauskommt, dass du dein Gedächtnis wieder erlangen kannst, dann versprich mir, alles dafür zu tun, ja? Ich will mit unseren ganzen Erinnerungen nicht alleine sein..." Jun Als mir Jui von dem Besuch meiner Eltern erzählte, musste ich ebenfalls auflachen, obwohl sie in meiner Vorstellung kein Gesicht hatten. Wenn ich an die Unordnung in meiner Wohnung zurück dachte, hatte ich keinen Zweifel daran, dass Jui die Wahrheit sagte. Ich gab ihm das Versprechen, um das er mich bat, ehe wir aus dem Wagen stiegen - vorsichtig, um nicht die Autotür gegen den Wagen neben uns zu schleudern. "Ich weiß gar nicht, was ich hab... du parkst doch einwandfrei", kommentierte ich schulterzuckend und schloss die Autotür geräuschvoll, während ich über meine eigene Wortwahl schmunzeln musste. Dann ging ich um das Auto herum und trat dicht an seine Seite. Nur mit Mühe konnte ich den Impuls unterdrücken, erneut nach seiner Hand zu greifen. Jui war für mich sozusagen der Fels in der Brandung, das einzige Vertraute inmitten dieser Fremde, die mich überall umgab und, wenn ich seine Worte richtig deutete, war er tatsächlich genau das, was ich von Anfang an vermutet hatte. Ich musste wirklich ein toller Hecht sein, wenn ich so einen wie Jui bekommen hatte. Soweit ich das bis jetzt mitbekommen hatte, war Jui liebevoll, hilfsbereit, berühmt und sah obendrein umwerfend aus! Es gab tausend Dinge oder mehr, die ich ihn am liebsten gefragt hätte, am liebsten alle auf einmal, aber ich vermutete schon jetzt, dass ich damit warten musste, bis wir wieder zu Hause waren. "Wenn ich meine Erinnerungen nicht zurück bekomme... fahren wir dann nach Kobe? Mit deinem Auto? Du findest da bestimmt auch einen Parkplatz..." Wir durchstritten das weitläufige Foyer und unsere Schritte vermischten sich laut mit den Geräuschen all der anderen Leute, die hier herumliefen, humpelten, rollten oder miteinander sprachen. Am Ende dieses Ganges erblickte ich einen Empfang, an dem mehrere Damen in weißer Kleidung saßen. Ich sah, wie sich jemand, der vor uns hier angekommen war, dorthin wandte und fühlte mich plötzlich wie aus heiterem Himmel völlig überfordert. Noch bevor meine letzten Worte verklungen waren, blieb ich plötzlich so abrupt stehen, als wäre ich gegen eine unsichtbare Mauer gelaufen und noch ehe ich mich bremsen konnte, hatte meine Hand schon die meines Freundes gefunden und umklammert. "Jui, machst du das für mich? Zu der Frau da gehen und sagen, was wir hier wollen?" Jui 'Wenn ich meine Erinnerungen nicht zurück bekomme...' Dieser Satz verursachte mir erneut ein mulmiges Gefühl. Was wäre, wenn sein Gedächtnis wirklich für immer verloren war? Klar, ich konnte ihm alles erzählen, all die lustigen Abende, die wir miteinander verbracht hatten, doch es wäre nicht dasselbe. Und was mit unserer Band passieren würde, war auch ungewiss. Er konnte nicht mehr Gitarre spielen und ich wusste, dass es lange dauern würde, bis er wieder so gut wäre, wie zuvor. Ich nickte nur, ohne etwas dazu zu sagen. Als er nach meiner Hand griff, wurde ich automatisch rot. Einige wartende Patienten befanden sich im Foyer, zwei ältere Damen starrten uns sofort an. Doch ich ließ seine Hand nicht los. Offensichtlich schien es ihm zu helfen, sodass ich ihn anmeldete, wobei er nicht von meiner Seite wich und sich sogar ein Stück an mich drückte. Auch die Schwester erkannte es sofort und trug mich als Kontaktperson für Jun ein. Wir würden erst einmal warten müssen. Jun behielt die Nähe zu mir bei, als wir in den Wartebereich liefen und auch als wir uns setzen. "Wie geht es dir jetzt? Hast du Schmerzen bekommen? Oder hast du Angst?", fragte ich, während mir einfiel, dass ich unsere Bandprobe noch absagen musste. Ohne seine Hand loszulassen, kramte ich nebenbei nach meinem Handy. Jun Unsicher musterte ich den Wartebereich und die anderen Patienten, die um uns herumsaßen. Zwei ältere Damen saßen uns gegenüber und warfen immer wieder verstohlene Blicke zu uns, was mich wiederum daran erinnerte, wie bekannt wir sein mussten. Ich hoffte nur, dass uns niemand nach einem Autogramm fragte - denn vielleicht war mein Name auf dem Ausweis geheim und meinen Künstlernamen, wenn ich denn einen hatte, kannte ich nicht. Ich schüttelte auf Juis Frage hin den Kopf. Ich hatte nicht mehr Angst oder Schmerzen als vorher - von der Überforderung, mit fremden Menschen über mein Problem zu sprechen, einmal abgesehen. Kurz schloss ich die Augen, doch ich öffnete sie sofort wieder, als das Schwindelgefühl meinen Körper zum Schwanken brachte als befände ich mich auf dem Meer mit schwerem Wellengang. Mein Magen rumorte lautstark und ein stechender Schmerz folgte, sodass ich Jui augenblicklich losließ und meine Arme gegen den Bauch presste. Erst jetzt fiel mir auf, dass ich seit dem Aufwachen weder gegessen noch getrunken hatte. "Mir ist schlecht...", gestand ich schließlich und hoffte, dass ich mich nicht erneut übergeben musste, wenngleich mir die Chancen relativ gering erschienen, als sich plötzlich Speichel in meinem Mund sammelte. Intuitiv wusste ich, dass es die Tür mit dem Strichmännchen war, zu der ich musste. Rückwirkend wusste ich auch nicht mehr, wie ich dorthin gelangt war, aber etwas später hatte ich die enge Kabine zitternd und schwankend verlassen und gerade damit angefangen, meinen Mund mit Wasser auszuspülen, als mein Magen erneut schmerzte. So sehr, dass mir schwarz vor Augen wurde und ich auf den Fliesen ausrutschte. Jui Eigentlich plante ich, den anderen zu schreiben, nur dann bemerkte ich, wie Juns Hand in meiner kurz zitterte. Als ich ihn ansah, hatte er seine Augen geschlossen und sein Oberkörper schwankte. Dann ließ er plötzlich meine Hand los, presste sie gegen seinen Magen und noch ehe ich wirklich registrieren konnte, was gerade passierte, stürmte er zu den Toiletten. Schnell schnappte ich mir unsere Taschen und folgte ihm. Da entdeckte ich ihn auch schon, über eine der Toilettenbecken gebeugt, sich übergebend. Gerade noch rechtzeitig griff ich nach seinem Oberkörper, als sein Körper kraftlos zusammensackte. "Jun! ... Jun! Wach auf!", rief ich einige Male voller Panik. Was sollte ich nur tun? War er nur ohnmächtig? War es etwa schlimmes? Ich versuchte ihn anzuheben, doch ich war zu schwach und die Kabine zu eng, sodass ich ihn erst einmal in den Flur zog und dort auf den Boden legte. "Jun! Bitte wach auf!", versuchte ich es noch einmal, während ich bemerkte, wie sich Tränen in meinen Augen sammelten. Er durfte einfach nicht schwer krank sein! Doch dann schlug er seine Augen auf. "Jun? Ist alles in Ordnung? Hast du dir wehgetan? Wie geht es deinem Kopf? ist dir schwindelig?" Ich fragte alles auf einmal, während ich mich hinter ihn kniete und seinen Kopf etwas anhob, sodass sein Oberkörper von mir gestützt wurde. Er sollte in seinem Zustand nicht auf dem Boden liegen. "Ich hab nur noch nichts gegessen ... und getrunken ...", antwortete er schwach und versetzte mich erneut in Aufruhr. "Oh mein Gott, ich hätte dich frühstücken lassen sollen, das habe ich vollkommen vergessen. Es tut mir leid. Du bleibst kurz liegen, ich hol dir Wasser!" Vorsichtig legte ich ihn wieder auf den Boden, allerdings erst nachdem ich meine Jacke ausgezogen und ihm unter den Kopf gelegt hatte. Auf dem Gang fand ich schnell einen Wasserspender, von dem ich gleich 2 Becher füllte. Keine Minute später war ich wieder bei Jun. Jun Wie abhängig ich inzwischen wirklich von Jui war, bemerkte ich besonders in dem Moment, da er den Raum verließ und mich auf dem Boden zurück ließ. Natürlich wusste ich, dass er nicht ewig wegbleiben würde, trotzdem begann ich tatsächlich, seine Anwesenheit zu vermissen und war froh, als niemand anders als er es war, der als nächstes durch die Tür hereinkam. Ich schmunzelte erleichtert, als er die Tür umständlich mit den Schultern aufschob, um das Wasser aus den Bechern nicht zu verschütten. "Hier sind doch Waschbecken...", sagte ich leise. Ich war seiner Aufforderung nur teilweise nachgekommen und hatte mich mittlerweile auf meine Ellbogen gestützt, statt gänzlich herumzuliegen. Dankbar nahm ich ihm schließlich den ersten Becher ab und trank ihn in wenigen gierigen Schlucken leer. Ich glaubte sogar zu spüren, wie das Pochen in meinem Schädel wenigstens ein kleines bisschen nachließ. Vielleicht bildete ich es mir aber auch nur ein. "Was meinst du, ob es etwas Schlimmes ist? Alzheimer oder so?" Ich nahm ihm den zweiten Becher ab und leerte auch diesen, wenn auch wesentlich langsamer als den ersten. Jui Ich kannte Juns Humor recht gut, dennoch konnte ich an dieser Stelle nicht über seine deplatzierten Scherze lachen. "Sag so etwas nicht!", ermahnte ich ihn nur kurz. Da er inzwischen am Boden saß, stand ich auf, um den leeren Becher am Waschbecken zu füllen. Erst als auch dieser Becher geleert war, half ich ihm beim Aufstehen. "So, und jetzt kauf ich dir was zu essen", erklärte ich und stützte ihn beim Gehen, unsere Taschen hatte ich mir umgehängt. An einem Automaten kaufte ich Reisbällchen, die Jun recht still aß. "Geht‘s dir jetzt wieder etwas besser?", fragte ich besorgt, nachdem er beide Bällchen gegessen hatte. Kurze Zeit später wurden wir aufgerufen. Jun griff erneut nach meiner Hand. Jun Schmollend hatte ich mich über die Reisbällchen hergemacht. Jui war toll, dessen war ich mir noch immer sicher. Dass er aber nicht über meine Scherze lachte und mich stattdessen nur ermahnte, fand ich nicht so toll. Es war ja nicht so, dass ich diese Situation wirklich witzig gefunden hätte - ganz im Gegenteil, ich fand es selbst beunruhigend genug, meine Eltern nicht zu kennen und keine Ahnung von meinem Job zu haben. Trotzdem klammerte ich mich schon wieder an Jui, kaum, dass wir unseren Platz verließen und den Gang hinabschlenderten. "Sind wir eigentlich schon lange zusammen?", fragte ich, während ich mich der Tür zum Untersuchungszimmer mit pochendem Herzen näherte. Ich hatte mittlerweile festgestellt, dass es mir leichter fiel, wenn ich abgelenkt wurde und meinen Kopf nebenbei mit Informationen füttern konnte. Jui Wieder bekam ich keine Antwort, doch da Jun generell recht ruhig war, nahm ich es hin. Auf dem Weg in das vorgegebene Zimmer hielt mich Jun erneut mit Fragen zurück. Es wunderte mich, dass er jetzt an unsere Band dachte, wobei ich den anderen beiden noch immer nicht Bescheid gegeben hatte. "Hmm ... noch nicht lange, ein halbes Jahr vielleicht. Du hast es sogar vorgeschlagen.", erklärte ich ihm. "Aber jetzt erst einmal der Arzt, okay? Ich erkläre ihm alles." Mit diesen Worten öffnete ich die Tür und wir traten ein. Wie versprochen erläuterte ich dem Arzt, was passiert war und dass wir es uns nicht erklären konnten. Er fragte nach Vorerkrankungen, was ich selbstsicher verneinte. Dann ordnete er einige Tests an. Eine Blutprobe wurde als erstes genommen. Wieder einmal bemerkte ich Juns verängstigten Blick, weshalb ich erneut seine Hand nahm. "Sieh einfach nicht hin.", riet ich ihm und drehte seinen Kopf zu mir. Einen Moment lang freute es mich. Er schien sich daran zu erinnern, dass er kein Blut sehen konnte. Jun Ein halbes Jahr also... das reichte aus, um ihn alles über meinen Gesundheitszustand wissen zu lassen. Um die Kanüle nicht ansehen zu müssen, folgte ich seinem Rat und blickte Jui ins hübsche Gesicht. Ich konnte gut nachvollziehen, warum ich es vorgeschlagen hatte, dachte ich lächelnd und versuchte mich wieder mal an mein eigenes Gesicht zu erinnern. Die Vitrine hinter Jui erlaubte mir einen Blick auf mein dunkles Spiegelbild, sodass ich fast nur die Konturen erkannte. Ob Jui mein Gesicht auch so hübsch fand wie ich seins? Meine Witze waren es ja anscheinend nicht, die ihm imponierten. Endlich zog der Arzt die Spritze zurück und füllte mein Blut in kleine Reagenzgläser um, die er schließlich einer der Krankenschwestern in die Hand drückte, damit diese es zum Labor weitergab. Danach folgte ein Frage-Antwort-Spiel, das mich ziemlich nervte, da ich mich nur zu den Fragen bzgl. meines Namens und dem, was ich heute Morgen erlebt hatte, äußern konnte. Und zu dem, was Jui mir erzählt hatte. Vielleicht waren es noch nicht mal die Fragen, die mich nervten, sondern der Umstand, dass ich mich mit meiner Situation auseinander setzen musste und nun immer deutlicher wurde, wie groß meine Misere war. Gedanken, die ich bisher recht erfolgreich zu verdrängen versucht hatte. Nur mit Mühe konnte ich einen weiteren Schwall Tränen unterdrücken, als ich ihm zum hundertsten Mal mit "Ich weiß es nicht" antworten musste. Es schien, als reichen meine Antworten aus, um mich zum hoffnungslosen Fall zu erklären und die Befragung abzubrechen, denn kurz darauf saßen wir im nächsten Wartebereich, um auf das Ergebnis der Blutprobe zu warten. Da ich mich an Juis Schulter lehnte, hatte ich einen freien Blick auf sein Handy, mit dem er Nachrichten an diesen Toya und Shingo schickte und die Bandprobe absagte. Beide hatte er mit einem Kontaktbild versehen, sodass es mir nun möglich war, diesen Namen auch jeweils ein Gesicht zuzuordnen. Aber war das überhaupt wichtig? Wenn ich meine Erinnerungen zurückbekam, wusste ich das sowieso und wenn nicht... dann gab es auch keine Bandmitglieder, an die ich mich erinnern musste, da ich dann eh in keiner Band mehr wäre. Es sei denn... "Meinst du, es ist schwer Gitarre zu lernen? Braucht man dafür lange? Hab ich lange gebraucht?" Jui Ich konnte es kaum ertragen, Jun durch dieses Verhör zu begleiten. Es ging ihm sehr nah, sodass ich häufig versuchte, für ihn zu antworten. Wir mussten im Gang warten. Es hatte den Vorteil, dass wir hier relativ ungestört waren. Er schmiegte sich erneut an mich und ich ließ es zu. Wenn wir zusammen tranken, tat er das auch manchmal. Ich hatte mich schon fast daran gewöhnt, sodass ich einen Arm um ihn legte, als ich meine Nachrichten getippt hatte. Auf seine Frage hin seufzte ich. "Du warst sehr gut, zumindest empfinde ich das so. Ich lerne auch schon seit Jahren Gitarre, aber ich war nie auch nur halb so gut wie du. Ich hoffe es wird alles gut." beantwortete ich seine Frage. "Wenn das hier beendet ist, dann bring ich dich nach Hause, da legst du dich erst mal hin und ich koche uns etwas Schönes, okay?" Ich bemerkte, dass er gestresst war und wollte es sobald wie möglich von ihm nehmen. Er war noch immer so blass. Jun Jui versuchte es seit JAHREN... ich wollte mir gar nicht vorstellen, wie lange es dann dauern mochte, bis ich mein altes Level zurück erlangt hatte, wenn ich wirklich so gut war, wie er sagte. Ich versuchte, diese Gedanken erneut von mir abzuschirmen und mich auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren... auf Jui zum Beispiel, der mich so schön umarmte und mir obendrein diese Voraussichten bescherte, die es mir leichter machten, hier zu sitzen und auf die Nachrichten zu warten, die möglicherweise unser beider Leben veränderten. "Okonomiyaki", sagte ich entschieden und ohne darüber nachzudenken. Ich konnte mich überhaupt nicht an den Geschmack davon erinnern, aber es war mein erster Gedanke gewesen, daher nahm ich an, dass ich es gerne mochte. "Ach, du bist so lieb, Jui", seufzte ich schließlich und fragte mich, wie viele Männer außer mir eigentlich das Glück hatten, sich gleich zweimal in denselben Liebhaber zu verlieben. Jui "An dein Lieblingsessen erinnerst du dich also noch?", fragte ich lachend und sah ihn an. Er lächelte ebenfalls. "So gefällst du mir schon viel besser. Hoffentlich brennt mir nichts an." Da wir momentan wirklich alleine waren, legte ich meinen Kopf auf seinen und zog ihn an mich. Es sollte ihm immer gut gehen, er sollte immer lächeln können. Mehr wollte ich gar nicht. Die Zeit verging und der Arzt rief uns wieder zu sich. Wir beide nahmen vor seinem Schreibtisch Platz. "Also, Ihre Blutprobe wurde analysiert. Wir haben Spuren von Chrystal gefunden. Da Sie angegeben haben, sich heute schon mehrmals übergeben zu haben, würde es nicht mehr nutzen, den Magen auszupumpen." Drogen? Ich fiel aus allen Wolken. Jun nimmt keine Drogen! Jun Ich sah die ernste Miene des Arztes und Juis schockiertes Gesicht, doch mir selbst blieb die Botschaft hinter seinen Worten verborgen. Ich wusste, dass Chrystal das Englische Wort für Kristall war, was aber Kristall in meinem Blut zu suchen hatte und wie es dort hinkam, wusste ich nicht. Und so wippte ich auf meinem Stuhl hin und her, bis mir wieder schwindlig wurde. Erst dann setzte ich mich wieder ruhig hin und sah den Arzt fragend an. "Und?" Der Arzt erklärte mir mit vielen Worten, was sich hinter dem Begriff verbarg und ich merkte sie mir kaum, da ich in Gedanken immer wieder zu dem Moment im Wartebereich abdriftete, als Jui sich an mich gekuschelt hatte. Wieder hatte mein Herz gerast und irgendwie ahnte ich, dass es nicht an dem Kristall oder was auch immer lag. "Drogen", schloss der Arzt seufzend seine Ausführungen, nachdem ihm wohl aufgefallen war, dass ich ihm nicht zugehört hatte. Wieder blickte ich zu Jui, dem diese Information überhaupt nicht zu gefallen schien. Augenblicklich fühlte ich mich schuldig und unwohl in meiner Haut. Aber wenn ich wirklich Drogen nehmen würde, wüsste Jui das doch, oder? Allerdings schien er nicht bei mir gewesen zu sein, als ich das Zeug zu mir genommen hatte, sonst wäre ich heute Morgen sicherlich neben ihm aufgewacht. Hm... danach musste ich ihn später nochmal fragen. "Das kommt in letzter Zeit öfter in dieser Region vor. Scheinbar gibt es jemanden oder eine ganze Gruppe, die Crystal in falscher Dosierung herstellen und unter die Leute bringen." Der Arzt griff erneut nach dem Protokoll, schien diesem aber nichts Neues entnehmen zu können. "Nach Dauerkonsum sieht es mir nicht aus... Ich verschreib Ihnen etwas gegen die Kopfschmerzen... ansonsten gönnen Sie sich am besten Ruhe. Die Amnesie sollte nur vorübergehender Natur sein, wenn sie aber nach einer Woche nicht verschwunden ist, kommen Sie bitte noch einmal vorbei. Schauen Sie sich Fotos an oder treffen Sie Menschen, die Ihnen wichtig sind, das hilft sicher." Als er den letzten Satz sprach, betrachtete er dabei Jui und ich fühlte mich unglaublich stolz, da ich annahm, dass der Arzt erkannt hatte, dass wir beide zusammen gehörten. "Ansonsten behalten Sie zukünftig Ihre Getränke am besten in der Hand, wenn Sie Feiern gehen. Und rauchen nur Ihre eigenen Zigaretten." "Wo waren wir eigentlich feiern?", fragte ich, nachdem wir uns von dem Arzt verabschiedet hatten und das Krankenhaus mit großer Erleichterung verließen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)