In latere tuo von Rockstar (Blood on my name) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- „Als Hirte erlaube mir, zu dienen mein Vater dir. Deine Macht reichst du uns durch deine Hand, diese verbindet uns wie ein heiliges Band. Wir waten durch ein Meer von Blut, gib uns dafür Kraft und Mut. In nomine patris, et filii et spiritu sancti." Ein Schuss. Ein Schrei. Blut. Hände, die sich gegen ihre Fesseln stemmen und sich doch daran blutig reißen. Augen, schreckgeweitet, voller Wut, voller Zorn. Hektische Atemzüge, ein durchbohrter Brustkorb. Mein Bruder, auf seinen Knien, beschwörende Worte. Halte durch. Halte durch! Doch ich weiß bereits, dass uns dieses mal kein Gebet dieser Erde schützen wird. Ein letztes schiefes Lächeln unter einem stoppeligen ungepflegten Bart. Mein Bruder, er schreit, tobt, wütet, weint, verzweifelt, betet. Gott erhört uns nicht. Gott richtet – auch uns. * „Ihr solltet etwas essen, Jungs.“ Ja, sollten wir. Ich kann mich an meine letzte Mahlzeit kaum noch erinnern – schönes Wortspiel, das eigentlich nur Jemanden wie mir einfallen kann. Ein flüchtiger Blick aus dem linken Augenwinkel präsentiert mir meinen Vater, denn ich noch nie zu vor gesehen habe und der mich und meinen kleinen Bruder vor 2 Stunden aus diesem gottverlassenen Haus heraus geholt hat. Er sitzt in einem hohen Lehnstuhl, wie ein alter, gutmütiger Großvater, doch die gesäuberten und geladenen Waffen auf dem Tisch vor ihm sprechen nicht unbedingt davon, dass er vor hat uns die Geschichte vom heiligen Michael vorzulesen. „Ich hab‘ keinen Hunger. Murphy sowieso nicht. Seinen letzten Donut hat er vor 5 Minuten ins Waschbecken gekotzt.“ Ich stehe am Fenster, schaue hinaus. Die Sonne ist bereits im Begriff zu versinken, taucht die Stadt in rotes Blut und einmal mehr frage ich mich, was Gott eigentlich für einen beschissenen Humor haben muss. Man nennt uns „Engel“ – und doch hat er uns dieses eine Mal nicht beschützt. Dieses eine Mal, in der das Leben unseres besten Freundes auf dem Spiel stand. Ich war ja immer der Meinung, dass Rocco es nie bis zur Rente schaffen wird, aber auf diese Art und Weise abzutreten…abgeknallt wie ein räudiger Köter…ich sag‘ ja, Gott hat einen derben Humor, einen wieder auf den Boden der Tatsachen zurück zu holen. Ich sehe jetzt schon Smecker’s Gesicht vor mir. „Habe ich’s euch nicht gesagt, Jungs? Hochmut kommt vor dem Fall.“ Beschissener Wichser. Ich hasse es, wenn er recht hat. Hurensohn. „Ich geh mal nach Murphy sehen.“ Ich weiß nicht wieso, aber in Gegenwart meines Vaters fühle ich mich unwohl. Dabei bietet er keinen besonders bedrohlichen Anblick, mit dem weisen Rauschebart und den schlanken Fingern, die gerade nach einer Zigarre greifen, um sie sich zwischen die Lippen zu schieben. Doch vielleicht liegt es ja an seiner Körpersprache, die mich instinktiv dazu ermahnt, vorsichtig zu sein. Er wirkt wie ein schlafender, alter Löwe. Ja, alt zwar, aber immer noch gefährlich. Ein Fehler, ein tödlicher Fehler, ihn zu unterschätzen. Denn er ist unser Vater und irgendwoher müssen wir ja unsere Charakterzüge bekommen haben. Aufjedenfall weiß ich, woher Murphys und meine Neigung kommt, viel zu viel zu trinken und zu rauchen. Neben einer geputzten Taurus PT92 steht eine Flasche Whiskey. Als ich auf meinen Vater zugehe schaut er nicht auf, sondern scheint durch die verschmutzten Fensterscheiben hinaus auf die Straße zu spähen. Ich betrachte ihn für einen Moment. „Wir sind flammende Rächer, Connor. Euer Freund ist gestorben, im Krieg. Im Krieg gibt es keine persönliche Vergeltung. Nur den Weg nach vorne, mit Gottes Willen in unserem Herzen. Frei von jeglichem persönlichen Ehrgeiz. Keine Angst, keine Furcht, keine Wut, keinen Zorn. Nur Gottes Wille. Das ist etwas, was ihr zwei noch lernen müsst, wenn ihr in diesem Geschäft überleben wollt.“ Ich spüre wie meine Mundwinkel sich anspannen. Nichts weiß er. Gar nichts weiß er! „Du kanntest Rocco nicht einmal – und du kennst uns nicht. Also red‘ nicht so daher, Dad – als wüsstest du was in mir oder Murphy gerade vor sich geht. Du bist ein paar Jahre zu spät, um uns auf den Ernst des Lebens vorzubereiten. Hättest vielleicht mal auf ein paar Kindergeburtstagen auftauchen sollen. Oder Mum schreiben. Hätte vielleicht was gebracht.“ Meine Worte sind dumpf, ungeschönt und klingen selbst in meinen Ohren nach wie eine nie vorgetragene Anklage zweier Jungs, die an Weihnachten ständig fragen, ob der Vater dieses Jahr mit ihnen feiern wird. Meine Mutter hat sich nie beschwert, hat nie schlecht über ihn geredet, nein – sie hat überhaupt nicht über ihn geredet. Jetzt weiß ich auch warum. Wenn ich irgendwelchen Schwachsinn hören möchte der mich auf Kurs bringen soll, gehe ich wieder in die Kirche. Als ich mir die Flasche Whiskey vom Tisch schnappe, hat er immer noch nicht aufgeschaut. Wahrscheinlich ist es ihm ohnehin egal, was ich sage und denke. Mehr als mich anstarren konnte er bis jetzt nicht. Dämlicher, alter Mann. Man soll seine Eltern zwar ehren, aber das hier – seine Rede klingt, als hätte er dem Papst persönlich die Eier gelutscht. „Wenn ich euch so fern war, Connor…wieso seid ihr dann genau wie ich?“ Ich stoppe, mit der Flasche Whiskey in der Hand. Einen Moment lang starre ich die Wand an, von der sich allmählich die Tapete abzuschälen beginnt. Ich weiß nicht einmal, wohin er uns gebracht hat. Ich weiß nicht einmal, wie er dort plötzlich im Keller aufgetaucht ist. Alles was ich weiß ist, dass er plötzlich einfach da war – mit einer Sonnenbrille auf der Nase, genau wie wir und Waffen in den Händen, genau wie wir. Murphy murmelte etwas von einer „göttlichen Erscheinung“. Ich hingegen kam mir hemmungslos verarscht vor. „Bis später.“ Ich fasse die Tür und knalle sie hinter mir zu. Er weiß nichts. Er weiß gar nichts. * „Hier, kleiner Bruder.“ Zwei dunkelblaue Augen, die zu mir aufschauen und die immer noch so schrecklich zornig sind, dass ich für einen Moment erstarre, als ich ihm die Flasche Whiskey entgegen halte. Murphy hatte schon immer diesen zutiefst anklagenden, kritischen Blick auf Lager. Als Kind hat es mich wahnsinnig gemacht, mittlerweile schätze ich ihn. Ich denke, mit dem Alter kommt wirklich Erfahrung. Oder die Erkenntnis, dass der kleine Bruder das einzige Stück Familie ist, das genauso verkorkst ist wie man selbst. Er sitzt auf dem Bett, mittlerweile geduscht und umgezogen. Roccos Blut ist nirgends mehr zu sehen, aber mir ist als sehe ich es immer noch – als dumpf flackernde Wut in den Augen meines Bruders. „Connor…ich habe erst vor’n paar Minuten mit dem kotzen aufgehört. Wenn ich jetzt Whiskey trinke, fang‘ ich gleich wieder damit an. Du solltest dich um mich kümmern, du mieser Arsch…und mich nicht noch vergiften wollen.“ Der zynische Kommentar ist schwach, denn ich sehe ganz deutlich, wie er mit den Mundwinkeln zuckt. Zu einem Lächeln reicht es nicht, doch als ich mich neben ihm auf die Kante des Bettes sinken lasse, schaut er einen ganzen Moment lang zu mir rüber, ehe der Blick hinab auf die Flasche wandert. „Was soll’s. Wenn ich mich umbringe, dann eben mit Whiskey.“ „Selbstmord ist eine Sünde.“ erinnere ich ihn, doch er schnaubt nur wieder und ich kann nicht verhindern, dass meine Mundwinkel ebenfalls deutlich empor wandern. „Dafür kommst du in die Hölle.“ „Weißt du was?“ Seine linke Hand hebt sich empor, beugt die Finger, so dass nur noch der ausgestreckte Mittelfinger hinauf zur Zimmerdecke deutet. „Den kann er sich hinten rein schieben. Ganz tief, ganz langsam und dann kann er ihn mir sauber lecken. Er hat Rocco verrecken lassen. Das nehm' ich ihm verdammt übel.“ Ja, ich auch. Ich nehme es ihm auch verdammt übel. Und es spricht gegen Gott und für Rocco, dass Murphy so dermaßen parteiisch mit ihnen ins Gericht geht. Normalerweise segnet der kleine Scheisser nämlich jede Wurst, die er ins Klo fallen lässt. Er schraubt die Flasche auf, nimmt einen viel zu großen Schluck, verschluckt sich, hustet. Unweigerlich muss ich grinsen, als ich sehe wie sein Gesicht sich verzieht und die dunkelblauen Augen sich verkrampft schließen, als der Husten ihn einen Moment lang schüttelt. „Teufelszeug!“ Ein dumpfer, leiser Fluch, der mein Lächeln für einen Moment lang unweigerlich verstärkt, während ich die Hände in die Hosentaschen schiebe und nach meinen Zigaretten angle. „Deswegen sollte man ja auch nicht trinken…“ gebe ich zu bedenken, was mir einem knappen, beinah entsetzen Blick einbringt, ehe er den Kopf schüttelt, als wäre ich spontan übergeschnappt und gemein gefährlich. „Was uns aber nicht daran hindert, es trotzdem zu tun. Mit Genuss und Euphorie! Wenn schon ein Sünder, dann wenigstes ein glücklicher wenn ich verrecken muss.“ Ich halte inne, weil ich noch im selben Moment in dem ich es ausspreche weiß, dass ich gerade der derjenige war, der ganz tief ins Klo gegriffen hat. Ich schmälere die Augen, spähe dann zu Murphy rüber, der die Flasche gerade wieder ansetzen wollte, nun aber erstarrt ist. Großartig, Connor. Was bist du nur für ein aufbauendes Vorbild. Man sollte dir einen Preis verleihen. Vollidiot. „Er fehlt mir…“ Die Worte treffen mich unvorbereitet. Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass Murphy die Flasche gegen die Wand donnert, wie er es mit dem Kopf des Russen damals getan hat, doch er ist vollkommen ruhig, starrt aber auf die Flasche hinab. Verdammt. Ich kann mit allem umgehen, wirklich. Aber nicht mit einem kleinen Bruder, der drein schaut wie ein geprügelter Hund, dem man zwangskastriert hat. Es wird still zwischen uns, weil ich nicht weiß was ich darauf erwidern soll. Dabei läge es doch eigentlich auf der Hand, nicht wahr? Ein leises, sanftes „Er mir auch“ und ich würde ihn den Arm nehmen und ihm sagen, dass alles schon wieder gut wird. Aber Murphy ist keine 6 Jahre alt mehr, starrt den Weihnachtsbaum an und hofft auf ein Wunder, dass ihm den Vater zurück bringt. Oder in diesem Fall unseren besten Freund. Gott hat laut der Bibel einen großen Plan. Einen Plan, der alles umfasst. Indem die bösen Jungs bestraft werden und die guten, die ihm immer blind und artig folgen, ins Paradies gelangen. Mal ehrlich, wer glaubt diesen Scheiss denn heute noch? Murphy und ich nicht. Wir haben eine eigene Interpretation von Gottes Werk und die ist weniger malerisch, als voller Blut. Doch sie ist gerecht. Zumindest reden wir uns das erfolgreich ein. Ich strecke die Hand nach dem Oberschenkel meines kleinen Bruders aus, kann aus dem Augenwinkel sehen, wie er darauf blickt, als ich meine Hand mit ruhigen Druck auf seiner alten Jeans ablege. Auch hier trägt er einen Verband. „Veritas“ – jener Schriftzug auf meinen Finger liegt über seiner Wunde. Ich frage mich, ob wir unser Leben lang für Gott bluten werden. Oder ob wir eines Tages wie Jesus am Kreuz enden, gestorben für einen Vater, der sich nie gezeigt hat, auch dann nicht, als er die Hilfe am nötigsten hatte. „Du hast immer noch mich, kleiner Bruder. Ich stehe an deiner Seite.“ Er hebt den Kopf, langsam, wie damals als Kind. Wenn er vor dem Weihnachtsbaum stand, mit diesen großen blauen, anklagenden Augen, die schon immer ganz genau wussten, was richtig und was falsch war, lange bevor ich es wusste. In seinen Augen funkelt es, ich sehe Glut, ich sehe Feuer und ich sehe mich, ich sehe uns, wie wir beide brennen, da auch wir töten und richten, auch wenn wir es im Namen Gottes tun. Wir töten – und dafür wird es niemals eine Entschuldigung oder Rechtfertigung für geben. „Bis zum letzten Atemzug?“ fragt er, ganz leise und seine Haare kitzeln mich am Kinn, als er seinen Kopf gegen meine Schulter lehnt und die blauen Augen sich schließen, als wären sie müde, müde wegen der ganzen Wut und dem ganzen Zorn, wegen den ganzen Schrecken, die wir bis jetzt gesehen haben. „Aequitas“ – liegt mit sanften Schwung über seinem Finger, der gerade meinen Daumen fest umschließt. Und wo seine Augen sich schließen, sind meine geöffnet, sind wachsam, aufmerksam, beobachten und analysieren, halten Wache, damit er schlafen kann, wie es immer war und wie es immer sein wird, bis ich irgendwann selbst vor dem Schöpfer stehe und ihm direkt ins Gesicht blicke und bereit bin, für all meine Sünden zu bezahlen. Doch noch ist dieser Tag nicht gekommen und als Murphy seine Hand hebt, mit den Fingerspitzen über meinen Handrücken wischt und schließlich seine Finger zwischen meine schiebt, da weiß ich wieder, wieso ich diese Welt eigentlich so sehr liebe und weswegen ich sie zu einem besseren Ort machen will. „Bis zum Tag des Jüngsten Gerichts, kleiner Bruder.“ "Ich werde Rache nehmen an meinen Feinden und Vergeltung üben an jenen, die mich hassen. Oh Vater, erhebe mich zu Deiner Rechten und zähle mich zu Deinen Heiligen!" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)