Das Herz der Hölle von Inzestprodukt ================================================================================ Kapitel 3: Der Andere --------------------- „Mika-Chan, der Onkel Doktor ist da!“ Raphael hatte sich schon vor langer Zeit vom Leben verabschiedet, daher wagte er sich diesen einen Schritt wirklich, obwohl er – wie zu erwarten – am Eingang von einem mürrischen Soldaten empfangen wurde. Der Blonde hatte übertrieben gute Laune und begrüßte den bedenklich gekleideten jungen Mann damit, ihn doch vor nicht allzu langer Zeit noch auf dem OP-Tisch liegen gehabt zu haben, dann schlüpfte er hindurch und öffnete sogleich einen Knopf an seinem Hemd. Das war ein Reflex, er wusste immerhin, was ihn hier erwartete. Zwar lebte auch Michael in einem manchmal vorzeigbaren Anwesen, allerdings herrschten hier ganz andere Verhältnisse. Waren in den anfänglichen Gängen noch verwahrloste Obdachlose zu sehen – so Raphaels Einschätzung vor vielen tausend Jahren, als er das erste Mal hergekommen war und dann darüber belehrt wurde, dass es sich hier um einen Teil der himmlischen Armee handelte – bestand der Engel des Krieges in seinen Privatbereichen auf absolute Ruhe. Keine Wachen, keine herumlungernden Soldaten. Viele wussten ohnehin nicht, wie er eigentlich aussah, geschweige denn seinen Wohnsitz, daher waren Anschläge das geringste Problem. Viel schlimmer war die zunehmende Hitze. Da Raphael besonderen Wert auf eine gute Lüftung legte, mummelte sich sein Freund in einem regelrechten Backofen ein; es wäre wirklich nicht verwunderlich, wenn hin und wieder ein Vorhang den Prozess der Selbstentzündung hinter sich bringen würde. Wobei, wer rechnete hier schon mit Vorhängen? In Raphaels Hand schlenkerte ein kleiner, schwarzer Koffer, dessen Existenz er sich eigentlich schämte, doch er legte eben Wert auf sterile Arbeitsmaterialien. Ein scharfes Messer würde er hier zweifelsfrei kriegen, legte aber keinen Wert auf Schlachtwerkzeug. Er wusste auch, dass Michael hier irgendwo herumlungerte, trotzdem wäre es nett, dieses Mal nicht aus einer dunklen Seitennische angesprochen zu werden, was ihm beim letzten Mal – vor mehreren hundert Jahren – beinahe einen Herzinfarkt beschert hatte. Dunkler Stein ragte empor und endete in einer hohen, lichtgefluteten Decke. Es brannten keine dramaturgischen Fackeln an den Wänden, immerhin war Michael trotz der Wüstengegend, in der er aus praktischen Gründen wohnte, dennoch in der modernen Welt angekommen und benutzte hohe Fenster und stabile Leuchtstoffröhren, von denen eine im hinteren Gang bedenklich flackerte. Raphael seufzte und machte sich auf in die Höhle des brennenden Löwen. Dunkel erinnerte er sich daran, dass das Schlafzimmer irgendwo am Ende lag, umgeben von einem Wohnbereich mit Badezimmer und Küche, in der er sich Michael aber nicht wirklich vorstellen konnte. Andererseits war ein Vorrat von Nahrung natürlich praktischer als jeden Tag Zeit mit der Jagd zu verschwenden. Wenn es die Situation zuließ, würde Raphael mal einen Blick auf den Vitaminvorrat legen. Dass Michael chronisch unterernährt war, war ja kein Geheimnis, aber er schien das ja irgendwie zu brauchen, um sich entsprechend bewegen zu können. „Mika-Chan?“, rief Raphael noch einmal und näherte sich mit Unbehagen dem flackernden Licht, hinter dem die nächste Ecke lag. Warum noch einmal hatte er sich darauf eingelassen und den Gedanken gefasst, nach ein paar Tagen mal nach ihm zu sehen? Weil der Dickschädel sich vermutlich lieber den Arm abreißen statt Raphael noch einmal um Hilfe bitten würde, wenn er wieder mal nicht ordentlich mit sich umgegangen war. Es grenzte sowieso an ein Wunder, dass er zu ihm gekommen war, das sollte man ihm anrechnen. „Mika-Chan sag was ich geh nicht eher, bis ich dich gesehen hab.“ Außerdem würde er sich gleich eine Stresszigarette anmachen; das war mehr als das sonstige Rauchen, denn eine Stresszigarette verlängerte sich automatisch auf mindestens drei, wenn er das Licht so ansah, eher vier. Als er direkt unter diesem stand, gönnte Raphael sich einen Blick nach oben, ehe er vorsichtig um die Ecke lugte, dabei aber keine Stichflammen ausmachen konnte. Er spürte ihn ja irgendwo hier in der Nähe, doch wo genau, war fragwürdig. Raphael rechnete irgendwie mit dem Schlafzimmer, doch da würde er unter Garantie nicht einfach reinplatzen. Ob das gegenüber seiner eigenen Behausung und wie man sich dort benahm richtig war, sei nun dahingestellt. Hier ging es immerhin um sein liebliches und vermutlich auch seelisches Wohl, doch diesen Schritt musste er auch gar nicht wagen, denn aus genau der gefürchteten Tür kam das Objekt der Begierde – Raphael musste mit solchen Bezeichnungen aufpassen, so ganz verkraftete er den Anblick der nackten Beine noch immer nicht – und starrte ihn wütend an. Das war ein neuer Rekord, eigentlich hatte er immer ein bis zwei Minuten, bis Michael sich über ihn aufregte. „Was willst du?“ „Ich freu mich auch, dich zu sehen. Mit Fieber, wie du aussiehst. Lass mich rein, ich will nach dir sehen.“ „Kannst wieder abhauen, hab kein Bock auf dich.“ „Ja, schön. Geh vor jetzt.“ Raphael bewegte sich auf dünnem Eis, das wusste er. Trotzdem war er den weiten Weg nicht hergekommen, um sich direkt wieder von Michaels schlechter Laune abspeisen zu lassen. Der zog wieder die Augen zusammen, drehte ihm dann den Rücken zu und ging vor, wobei er ziemlich offensichtlich hinkte. Raphael schnalzte mit der Zunge – eine gefährlich unüberlegte Tat, für die Michael ihn vermutlich jeder Zeit aus reiner Laune rauswerfen würde – und folgte ihm dann. Das Zimmer hatte sich bedingt verändert, allerdings kaum nennenswert. Noch immer war hier dieser wirklich schöne, dunkelrote Marmorboden, an den Wänden hing allerlei Zeugs über Anatomie und Schwachstellen diverser Dämonen, ein paar Waffen, Wurfmesser und natürlich Souvenirs, die ihm aus emotionalen Gründen mehr bedeuteten als der Rest, den er umgelegt hatte. „Nett“, kommentierte Raphael den Schädel eines was auch immer und ignorierte die leeren Flaschen und Päckchen, von denen Michael sich wohl in letzter Zeit ernährt hatte. „Was war’s?“, kam dann noch die reine Höflichkeit hinterher, während der Heiler beobachtete, wie sich sein Freund aufs Bett setzte und die Arme auf den Oberschenkeln ablegte. „Kleiner Drache. Was willst du?“ „Hab ich doch schon gesagt“, antwortete er ihm und zog sich ungefragt den schweren Ledersessel heran, um sich näher zu Michael zu setzen. Er bot einen ungewohnten Anblick in Jogginghose und Tank-Top, kam aber offensichtlich auch direkt aus dem Bett. Die Haut war blass, seine Wangen bedingt rot und in den Augen glänzte es fiebrig. Das war selten, aber auch der Engel des Feuers durfte sich seinen Taten gegenüber hin und wieder verantworten. Gerade schien sein Körper sich rächen zu wollen und forderte etwas Ruhe ein. Dass Michael davon genervt war, konnte man deutlich sehen, Allerdings war er auch zu erfahren im Umgang mit sich selber, um so einen Zustand zu ignorieren und sich selber hinzurichten. Ein paar Tage Ruhe, dann könnte er sich wieder anderem zuwenden. „Wie fühlst du dich?“, eröffnete Raphael seinen unerwünschten Hausbesuch und unterdrückte den Drang, nicht doch eine Zigarette auszupacken. Das war eine rein rhetorische Frage, er sah es ja selber. Der Verband war ab, allerdings sah die Schulter ganz gut aus. „Blendend“, schnarrte es ihm sarkastisch entgegen, doch zu mehr hatte der Rothaarige gerade scheinbar keine Lust. Raphael speiste diese Antwort mit einem kühlen „Aha“ ab und rutschte auf dem Stuhl näher, fasste dann ungefragt nach der vor kurzem verbundenen Schulter. Vorsichtig bewegte er Michaels Arm in dem beanspruchten Gelenk, wobei dieser ihn wie schon neulich wieder unangenehm musterte; durch das einfallende Licht wirkten die gelben Augen, als wäre überhaupt keine Pupille in ihnen. „Hast du noch Beschwerden mit der Schulter? Mach es uns beiden einfacher und antworte einfach, okay?“ Es dauerte einen kurzen Moment, aber Raphael rechnete nicht mit einer gerade ausgedachten Lüge, sondern eher mit einem weiteren, bissigen Kommentar, auf die Michael sämtlichen Anspruch erhob. Doch er schüttelte nur mit dem Kopf, schien diese Bewegung dann aber sogleich zu bereuen und schloss kurz die Augen, öffnete die Lippen einen Spalt und atmete tief ein; Raphael sah ihn selten im Beherrschung ringend und so wirklich gefallen wollte es ihm nicht. Wozu gewöhnte er sich an all das Geschrei, wenn er nun einen anderen Weg einschlug? „Kopfschmerzen?“, vermutete er und ließ vom Arm ab, lauschte dem gebrummten „Hm-hm“. „Ich könnte dich jetzt ganz durchleuchten oder du kooperierst – ausnahmsweise – mal und ich komm hier weg, bevor mein ganzer Dienstplan verfallen ist.“ „Du bist doch eh immer im Dienst.“ Michael seufzte, ließ sich dann auffallend müde flach auf den Rücken sinken, die Augen noch immer geschlossen. „Stimmt nicht, du siehst mich nur öfter im Krankenhaus als privat.“ „Wooooorkahooooliiiiic!“, kam der leichte Singsang als Antwort, was Raphael mit einem „Tzz“ beantwortete. Auf Michaels Gesicht zeigte sich der Anflug eines Grinsens, dann hob er das Bein an und stupste mit einem halb unter dem Bein der Jogginghose verschwindenden, nackten Fuß gegen Raphaels Knie. „Da ist was mit.“ „Hab ich gesehen, du hinkst. Trittst du mich, wenn ich die Hose hochschiebe?“ „Ja weil sie ab Mitte der Wade zu eng zum Weiterschieben wird.“ „Dann zieh sie aus.“ Michael setzte sich mit einem Ruck wieder auf und rutschte dabei so weit nach vorne, dass er Raphaels Gesicht unangenehm nahe kam; den warmen Atem spürte er, einen Anflug von Mundgeruch konnte man auch erahnen. „Wie lange fieberst du schon? Zieh sie aus ich hab sonst eine Schere dabei.“ Ein Kopfnicken zur Seite, wo der schwarze, kleine Koffer stand, den Michael jetzt langsam ins Visier nahm. Als er aufstand, befand er sich zwischen Raphaels Beinen, da dieser bis zur Bettkannte auf dem Stuhl herangerollt war. Dünne, blasse Finger lösten das Bändchen am Saum, dann streifte er die Stoffhose herunter, erwischte die dieses Mal vorhandenen Shorts etwas und erlaubte Raphael so eher unfreiwillig einen Blick auf den Ansatz von genau dem, was ihn eigentlich nichts angehen sollte, ehe der schwarze Stoff wieder nach oben gezogen wurde, dafür landete die graue Hose am Boden. „Ich sollte dich erschießen“, murmelte Raphael, starrte auf den Unterschenkel und wollte eigentlich gar nicht wissen, wie der von hinten aussah. Dennoch schubste er Michael wieder auf das Bett, fasste dessen Fußgelenk und zog sein Bein in die Höhe, hatte die eiternde Wunde so direkt vor Augen. Von knapp unterhalb der Wade bis fast zur Kniekehle war ein einziger, gezackter Schnitt zu sehen, der sich im Laufe der Tage gnadenlos entzündet hatte und höchstwahrscheinlich der Grund für die erhöhte Temperatur war. Natürlich, weil der Körper sich zur Wehr setzte und all die Bakterien rauszuspülen gedachte, die dort rumschwammen. „Wer hat hier so stümperhaft versucht zu nähen?“ „Ich, gefällt dir das Muster?“ Raphael ließ das Bein los und starrte einen auf den Rücken liegenden Feuerengel an, der nun ein freches Grinsen zu Tage brachte; die Beine etwas gespreizt und auf den Unterarmen abgestützt. „Du hast Sanitäter!“ „Ja und? Das kann ich auch selber, die brauch ich erst bei Knochenbrüchen.“ „Oh ja ich sehe, wie gut du das kannst. Das wird schmerzhaft aber anders krieg ich‘s nicht hin. Der Faden ist ganz umschlossen und eingekrustet. Dreh dich auf den Bauch.“ Er könnte ihn nun belehren und damit vollquatschen, dass mit solchen Verletzungen eigentlich ein schneller Besuch verbunden war und dann hätte man ja Ruhe aber seit abertausend Jahren hatte Michael sich als beratungsresistent herausgestellt und an diesem Zustand würde er so oder so nichts mehr ändern. Dann musste er halt leiden, den Faden musste Raphael ohnehin lösen, selbst wenn er dazu bereit wäre, auch nur an Heilung zu denken. „Ich brauch ein Handtuch, das sauber ist.“ „Brauchst du nicht scheiß auf das Laken.“ „Musst du wissen, ist deine Einrichtung.“ Michael drehte sich genervt auf den Bauch und stützte seinen Kopf ab, indem er die Wange gegen den Handballen drückte, während Raphael den Koffer neben ihm abstellte und öffnete. Kurz beglückwünschte er sich für die Entscheidung, die Sachen wirklich mitzunehmen, dann suchte er die wichtigsten Sachen heraus. Da er gerade stur und auch etwas wütend war, würde er ihm keine Betäubung gönnen und vielleicht wirklich unnötig in der Wunde bohren, doch er würde ihm einfach dem Fieber überlassen sein, das war Strafe genug. Ganz abgesehen davon war Michael ohnehin vermutlich nicht dazu in der Lage, den Gedankengang zu verfolgen. Raphael musste zugeben, dass er diese Situation so noch nicht kannte. Michael mit Fieber okay, schon kompliziert genug weil er sich auf höhere Temperaturen einstellen musste und all das. Ihn dann aber noch in seinen privaten Gemächern anzutreffen und so vor sich hinschwächelnd machte er fast einen entspannten Eindruck. Traurig, wenn ausgerechnet Fieber das bei ihm schaffte. Und Marihuana, wie man vor wenigen Tagen gesehen hatte. „Warum wartest du immer, bis dein Körper sich nicht mehr wehren kann?“ Das war eigentlich nicht einmal eine Frage, er wollte keine Antwort darauf und machte sich daran, die fest gezogenen Fäden zu inspizieren. Zwar hatte Raphael keine schlechten Augen – also bitte, er – aber die Brille nahm er gerne, um sein Umfeld eben noch etwas zu vergrößern. Als er kurz Michaels Blick streifte, prustete dieser leise los und ließ die Stirn auf seine Matratze und auch in die zerwühlte Bettdecke fallen, wo er leise kicherte. Das war Raphael egal, mit der Reaktion ärgerte er ihn seit Jahren und irgendwann gewöhnte man sich eben dran. Als er seine Hand auf Michaels Oberschenkel legte, kamen kurzweilig wieder die Erinnerungen an neulich Nacht hervor, aber dafür war keine Zeit und die infizierte Wunde war auch kein wirklich erotischer Anblick, deswegen hielt er ihn nur so gut es ging flach auf der Matratze und machte sich mit einem kleinen Skalpell daran, den ersten Faden aus seiner Umgebung zu lösen. Die Muskeln in Michaels Bein spannten sich an, als der Schmerz die Wade einnahm, doch er lag vollkommen ruhig und platt dort, die Arme locker über den Kopf weggestreckt und das Gesicht noch immer in der Decke verborgen. Es war eine wirklich bescheidene Arbeit, da die Fäden überall klebten und festhingen, außerdem hatte der Rothaarige es etwas zu gut gemeint, indem er den Knoten so fest es ging herangezogen und dann zugeknotet hatte. Immerhin war er nicht weit gekommen. „Was ist das überhaupt für ein unmöglicher Faden?“ „Du könntest ihn einfach drinlassen, der wird schon aufgelöst.“ „Glaub ich nicht, ist das Angelschnur?“ „Nylon…“ „Angelschnur…“ Raphael seufzte, zog dann den ersten Teil heraus. Da er ohnehin niemals ohne Desinfektionstücher zu Michael kommen würde, konnte er damit gleich vorsichtig über die sofort blutende Stelle wischen. Wieder spannten sich die Muskeln im Bein an und rein aus Reflex streichelte er Michaels Oberschenkel, damit der sich wieder entspannen würde. Akribisch ging er bei den anderen Fäden ähnlich vor, hin und wieder erntete er einen Laut vom Feuerengel, der leise stöhnend die Decke in den Händen eindrehte. Nun tat er ihm doch Leid und Raphael war drauf und dran, ihn bald zu heilen aber die Fäden mussten so oder so raus. Allerdings konnte er sich nicht dauernd von ihm erweichen lassen. So würde der freche Wicht seine Lektion ja nie lernen! „Hast du demnächst was vor? Steht irgendein Krieg oder so an?“ „Laber mich doch einfach nicht voll…“ „Ich will mich nur mit dir unterhalten. So letzter Faden ist raus, liegen bleiben.“ Ehrlich gesagt gefiel ihm die Idee, Michael im Auge zu behalten. Die vielen, kleinen Verletzungen in letzter Zeit waren nicht normal, vor allem nicht für jemanden, der seinen Körper so akribisch ausgebildet hatte wie der Feuerengel es eben seit jeher tat. Wenn, dann hatte er große Wunden – mal fehlte eine Hand, mal ein Flügel. Dann war er wirklich auf Raphael angewiesen aber das hier? Er wurde unvorsichtig und das war gefährlich, gerade für ihn. Allerdings würde es schwer werden, Michael von einer spontanen Pyjamaparty zu überzeugen, schon gar nicht bei ihm zuhause, wo er Raphael ja als Besuch auf Zeit schon ungern duldete. Es gab kein wirkliches Gesprächsthema zwischen ihnen, dass er mit dem Rothaarigen in genau diesem Zustand führen wollte, also säuberte Raphael die Wunde und begann dann doch, ihn zu heilen. Scheinbar schien Michael das zu überraschen, denn er drehte den Kopf wieder schwerfällig zur Seite, um auf das Vorgehen zu schauen. „Dein Fieber krieg ich so nicht runter, bleib einfach noch etwas liegen und trink ausreichend. Wenn du dich morgen besser fühlst tu dir wirklich den Gefallen und ruh dich noch etwas aus.“ Das war gelogen, er würde das Fieber wegbekommen, aber so hatte er im Idealfall wirklich noch zwei Tage, um sich etwas einfallen zu lassen. Da sein Dauerpatient keine Anstalten machte sich irgendwie zu bewegen ergab Raphael sich seinem Schicksal, fasste über ihn hinweg und drehte Michaels leichten Körper auf die Seite, um ihn von der Decke zu rollen. Dann schob er ihn wieder zurück und legte die Decke bis zu seinen Schultern hoch, betrachtete den noch immer auf dem Bauch liegenden Engel. „Deine Arme auch“, schloss er schließlich und griff nach einem davon, als sich schlanke, kraftvolle Finger um Raphaels Handgelenk schlossen. Mit einem festen Ruck drehte Michael sich auf den Rücken und zog Raphael im Sturzflug mit auf die Matratze, sodass dieser schräg neben ihm kniete, jedoch nur entnervt die Augen verdrehte und sich aus dem Griff befreite. Er fasste das als Einladung auf, setzte sich auf die Matratze und spielte mit dem von Suizid geprägten Gedanken, sich eine Zigarette anzustecken. „Geh“, murrte es aus weichen Kissen und mit etwas Mühe drehte der Feuerengel ihm den Rücken zu, womit Raphael jedoch ebenso gerechnet hatte; er war gerade Arzt und nicht etwa der gute Freund, der zum unangemeldeten Krankenbesuch kam – was Michael nebenbei überhaupt nicht leiden konnte. „Gern geschehen“, schnalzte der Blonde mit der Zunge und strich dann doch noch einmal über die wie Blut schimmernden Fransen, was einen unerwartet schnellen Schlag mit der flachen Hand verursachte. Böse funkelte Michael ihn an, hatte sich noch einmal halb zu ihm gewandt und drehte sich dann wieder um, zog sich die Decke fest über die Schultern. Raphael resignierte, nahm seinen Koffer mit und schloss die Tür so leise es ging, das Bild des zusammengekauerten Engel dabei fest im Kopf behaltend. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)