Die Keksflüsterin von Susuri ================================================================================ Kapitel 6: In der Suppenküche ----------------------------- In unserer Stadt gibt es jedes Jahr etwas, das sich „Prager Nacht“ nennt.  Da jetzt bestimmt 99% der Leser keinen blassen Schimmer haben was das ist, möchte ich das nur mal kurz erklären! Also: bei Prager Nacht werden in der ganzen Stadt an den seltsamsten Orten Texte von tschechischen Autoren vorgelesen, die meistens ziemlich witzig sind. Es gibt einen Shuttle Bus, der einen die ganze Nacht lang zu den Vorlesungsorten fährt, aber nur bis halb eins, was uns –wir standen in einem der Vororte- auch noch zum Verhängnis wurde... Reicht das? Jedenfalls war einer dieser Austragungsorte eine Suppenküche.  Wir trotten also durch die überfüllte Neustadt, als sich plötzlich mein Magen meldete. Sein Knurren war so laut, das meine Mutter sich überrascht umdrehte.  „Alles  in Ordnung?“, fragte sie mich besorgt. „Hungeeer...“, jammerte ich.  Meine Mutter holte ihre Brieftasche heraus und späte hinein. „Ich hab nichts mehr dabei, tut mir leid, Schatz!“, seufzte sie. Genervt stöhnte ich auf. Meine letzte Hoffnung war, dass jemand in der Suppenküche Erbarmen mit mir hatte und mir etwas zu Essen gab; auch ohne Geld. Als wir das Restaurant betraten war es schon rappel voll. Überall drängten sich Erwachsene und wieder einmal war ich die Jüngste. Unter Anstrengungen drückten wir uns durch die Massen und ließen uns auf ein paar Stühlen in der ersten Reihe nieder.  Wieder knurrte mein Magen und ich hatte nicht einmal die Möglichkeit eine Suppe zu essen. Verdammt. Der Vorleser, schon mit dem Text bewaffnet lächelte mich mitleidig an. Er hatte wohl mein Magenknurren gehört...  „Hier“, sagte er und hielt mir einen Brotkorb hin. „Nimm! Das geht aufs Haus!“ Er zwinkerte mir verschwörerisch zu. „Aber niemand anderem erzählen, ja?“, flüsterte er. Ich nickte. Mit  zitternder Hand griff ich in den Korb und angelte mir drei Scheiben Weißbrot heraus. Es war eine Ausnahme, sagte ich mir. Ich tat das nur, weil ich so einen verdammten Hunger hatte!  Zögernd biss ich in eine Scheibe rein. Köstlich... Ich hatte ganz vergessen, wie wunderbar Brot schmeckte!  Doch da kreischte es plötzlich los: „Du dumme Gans! Wirst du mich wohl nicht aufessen? Ich bin ein lebendiges Wesen, ich...“ Hastig stopfte ich mir die Scheibe in den Mund. Einige Momente protestierte es zwar noch, aber dann wurde es still. So leid es mir auch tat, aber ich hatte einfach Hunger... Die beiden Scheiben in meiner Hand wimmerten schon vor Angst, doch ich beschloss sie zu ignorieren und später zu essen. Dann begann der Vorleser: „Eine atemberaubende Melodie. Es scheint als ob ihre Finger über die Tasten schweben würden, als wäre es nicht sie, die dem Instrument diese wunderbaren Töne entlockt, sondern das Klavier selbst.  Auf der Bühne ist sie in ihrem Element, die schüchterne Neuntklässlerin existiert nicht mehr, wenn sie spielt ist sie Maja, das selbstbewusste begabte Mädchen...“ „Lang-weil-ig!“, schrie es plötzlich aus meiner Hand. „Meine Geschichten sind viel spannender!“ „Ja, aber du bist kein tschechischer Autor sondern ein deutsches Brot!“, zischte ich leise. Meine Mutter neben mir warf mir einen angesäuerten Blick zu. „Meike! Sei leise!“, zischte sie aufgebracht.  Entschuldigend grinste ich sie an. Sie schüttelte genervt den Kopf und wand ihre Aufmerksamkeit wieder dem Leser zu. „ Pfiffe ertönen und sie hört sie schreien: „Zugabe! Zugabe!“, und sie strahlt über das ganze Gesicht, sie ist es, der sie zujubeln und sie gönnt sich das berauschende Gefühl des Erfolgs....“ „Ich wünschte wir könnten jetzt auch Klatschen und dann endlich gehen“, stöhnte das Brot gelangweilt. „Ich kann diesen langweiligen Kitsch nicht mehr hören!“ Verstohlen blickte ich zu meiner Mutter und flüsterte dann: „Geht mir auch so, aber ich glaube nicht....“ „Entschuldigung“, der Vorleser hatte seine Geschichte unterbrochen und blickte mich nun wütend an. „Könntest du bitte still sein? Keiner der hier sitzenden kann sich noch irgendwie konzentrieren!“ Zustimmendes Gemurmel von allen Seiten. Ertappt zog ich den Kopf ein. „Entschuldigen Sie, ich...“, stammelte ich leise. „Didimm...“, machte das Brot lachend.  „Ach halt die Klappe!“, zischte ich wütend. Die ganze Situation war mir so peinlich... Fragend zog der Leser eine Augenbraue hoch. „Bitte?“ Erschrocken wurde ich rot. „Nein, ich... meinte nicht...“ „Ich glaube, du solltest jetzt gehen!“, zischte er mit zusammengekniffenen Augen. Mein Kopf sah jetzt aus wie eine Tomate und stumm nickte ich. Peinlich berührt schlich ich aus dem Lokal. „D a s war jetzt aber mal peinlich!“, lachte das  Brot. Wütend starrte ich auf den Übeltäter und stopfte mir dann beherzt beide Scheiben in den Mund.  „He was...“ Stille. Endlich. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)