Der Wert eines Lebens von moonlight_005 ([Kirito-centric]) ================================================================================ Part III: The ambush -------------------- ________________________________________ Part 3: The ambush ________________________________________ Aincrad, 14. Ebene, 16.08.2024, 23:33 Uhr Das Gelände auf der vierzehnten Ebene wirkte vollkommen ausgestorben, als Klein, seine beiden Gildenmitglieder Dale und Dynamm, River und ich den Eingang des Labyrinths erreichten, wo schon sieben weitere Gruppen auf uns warteten. Kleins Freunde, die mit ihm zusammen die Gilde Fuurinkazan gegründet hatten, kannte ich allesamt nur vom Sehen. Dale war ein dicklicher Mann, der vor allem durch hohe Verteidungswerte bekannt war. Dynamm hingegen ähnelte äußerlich ein wenig an Klein. Wie er trug er einen leichten Kinnbart und um seinen Kopf war ein rotes Kopftuch geknotet. Beide trugen eine rote Rüstung, die der Kleins sehr ähnelte. Die übrigen drei Mitglieder der Gilde Fuurinkazan waren ebenfalls anwesend, jedoch anderen Gruppen zugeteilt. Ich hielt das für einen klugen Schachzug, da Klein mit Abstand der stärkste Spieler in seiner Gilde und ohnehin ständig damit beschäftigt war, seine Leute zu beschützen. Den eher strategisch denkenden Kunimittz, den verlässlichen Issin und den Allrounder Harry One anderen Gruppen zuzuweisen, war daher gar nicht so verkehrt. Indem Klein River und mich als starke Einzelspieler dazu bekam, war die Gruppenstärke ausgeglichen und Klein musste sich nicht ständig Sorgen um seine Leute machen. Allerdings war ich mir ziemlich sicher, dass wir sehr eng mit den Gruppen zusammen arbeiten würden, denen Kleins Freunde zugeteilt worden waren. „Da kommen die nächsten“, machte mich River auf eine ankommende Fünfergruppe aufmerksam, die von Wyrm angeführt wurde. „Wie spät ist es?“, fragte ich statt einer Antwort. „23:42 Uhr”, antwortete River genau in dem Moment, als Wyrm sich bei Lind meldete. Klein hingegen achtete nicht auf die Neuankömmlinge, sondern starrte konzentriert auf das Kartenmaterial in seinem Statusfenster, das Argo jedem einzelnen von uns hatte zukommen lassen. „Irgendwelche Vorkommnisse?“, hörte ich wie sich Lind bei Wyrm erkundigte, aber der schüttelte nur den Kopf und antwortete düster: „Alles ausgestorben. Wir haben nicht mal einen Späher gesehen.“ Ich beobachtete wie Wyrm sein gezacktes Schwert fester packte und konnte seine gut verborgene Nervosität absolut nachempfinden. Wie er hatte ich fest mit zumindest einem Späher gerechnet. Wenn es einen gegeben hätte, hätte die Front ihn todsicher aufgestöbert, da zumindest ein Fünftel der anwesenden Spieler einen hervorragenden Suchskill besaßen. Aber es hatte keinen Späher gegeben … War Laughing Coffin sich der eigenen Unantastbarkeit mittlerweile so sicher geworden, dass sie es nicht mal für nötig hielten Wachen aufzustellen? Weitere fünf Minuten später waren wir vollzählig und Lind gab den Befehl das Labyrinth zu betreten. Es war lange her, seit ich hier gewesen war. Um genau zu sein, hatte ich diesen Ort seit den Vorbereitungen auf den Bosskampf auf der vierzehnten Ebene nicht mehr betreten. Das war im dritten Monat seit Spielbeginn gewesen. Damals hatte ich geglaubt nie mehr zurück zu kehren. Die Gänge sahen aus, wie in jedem anderen Labyrinth auch. Blaugrüne, glatte Wände, die ein wenig an eine Höhle erinnerte, wie ich sie einmal in einer Reportage gesehen hatte. Doch dieses Gefühl dauerte wie immer nicht lange an. Kaum, dass man sich dessen bewusst wurde, fiel einem wieder ein, dass nichts wirklich war. Auch, wenn diese virtuelle Welt so real war, dass ich es manchmal vergaß, war sie doch nichts als eine Illusion. Geschaffen von einem Mann, der unseren Geist in einem Gefängnis aus Daten gefangen hielt. Klein war derjenige in unserer Gruppe, der die Mapdaten geöffnet hatte und den Weg im Auge behielt, während River, Dale, Dynamm und ich die Umgebung nach der kleinsten Bewegung absuchten. Nichts. Alles war totenstill und das einzige Geräusch wurde von dem rhythmischen Marsch unserer Schritte verursacht. Mich schauderte. Die Front wirkte wie eine gut geölte Maschinerie, die in stetig gleicher Reihenfolge auf ihr Ziel zu marschierte, es eliminierte und dann wieder abzog. So wie sie es schon dutzende Male zuvor getan hatte. Doch diesmal war es anders. Wo mich der immer gleiche Ablauf eines Bosskampfes sonst beruhigt hatte, machte er mich heute nervös. Wir würden es nicht mit einem computergenerierten Monster zu tun bekommen, dem Bewegungsmuster, Techniken, Stärken, Schwächen, Waffen – ja alles – einprogrammiert worden war, sondern mit selbstständig denkenden Menschen. Individuen, die in ihren Handlungen unberechenbar waren. Die Schritte der Masse halten von den Wänden wieder und als wir zwei Abzweigungen genommen hatten, hatte mich die Anwesenheit der anderen so eingelullt, dass meine Nervosität leicht nachgelassen hatte. Urplötzlich ertönte hinter mir ein Schrei. Ohne Nachzudenken, riss ich Elucidator aus der Scheide über meiner Schulter und fuhr herum. Mitten auf dem Gang hatten sich vier dunkelgrüne, mit langen Ohren und spitzen Zähnen ausgestattete Gnome materialisiert, die die Gruppe hinter meiner anfielen. „Idioten.“ Ein Zischen ertönte und ich konnte gerade noch sehen, wie Rivers Hand ein silbernes Geschoss verließ und keine zwei Sekunden später gleich zwei der Gnome durchbohrte, die daraufhin in unzählige blaue Pixel zersprangen. Gerade als er sich umdrehen wollte, entdeckte ich einen fünften Gnom in seinem Rücken. Ein einziger Schwerthieb meinerseits erledigte ihn. „Sei selber vorsichtig“, sagte ich zu River, der mich eine Sekunde lang verdutzt angesehen hatte. „Als, wenn uns die Viecher ernsthaft was anhaben könnten“, knurrte River, „auf welchem Level sind die denn? Zehn? Elf?“ “Darum geht es hier doch nicht, Mann”, mischte sich jetzt Klein ein und sprach dann das aus, das mir auch gerade durch den Kopf gegangen war. „Wir sind hier wie auf dem Präsentierteller. Laughing Coffin könnte uns jederzeit angreifen. Wir müssen nicht noch zusätzliche Aufmerksamkeit auf uns lenken.“ River hob beschwichtigend die Hände. „Ist ja gut, Hauptmann. Mich hat es lediglich gestört, dass sich manche von uns bei ein paar läppischen Gnomen gleich ins Hemd machen.“ „Ich fand, dass du einen Moment ziemlich erschrocken gewirkt hast.“, sagte Dale und kassierte daraufhin einen bösen Blick von River. Bevor dieser jedoch etwas erwidern konnte, tauchte Asuna auf. „Seid ihr in Ordnung? Jemand verletzt?“, erkundigte sie sich leise. Wir schüttelten allesamt den Kopf und sie huschte weiter. Einen Moment schwiegen wir. Für einen Augenblick spürte ich, wie Asunas Anwesenheit die Spieler beruhigte, aber kaum war sie vorbei, ergriff die Furcht erneut Besitz von ihnen. Aus reiner Gewohnheit ließ ich meinen Blick unter meine Lebensanzeige gleiten unter der die meiner Gruppe aufgelistet waren. Keiner hatte auch nur das kleinste bisschen Schaden genommen. Langsam löste sich der Schreck aus meinen Knochen und ich atmete erleichtert auf. Der plötzliche Angriff, der keinem einzigen Spieler gefährlich werden konnte und den niemand hatte kommen sehen, vermochte es Angst in die Herzen der Spieler zu pflanzen. Angst, die die Herzen schlagen ließ, das Blut zu Eis erstarren ließ und die Spieler dazu veranlasste ständig über die Schulter zu sehen, obwohl ihr Suchskill seit Betreten des Labyrinths aktiviert war. Ich hingegen war froh über die Gelegenheit irgendetwas zu tun. Ich war noch nie gut im Abwarten gewesen, da war mir ein kurzes Scharmützel mit ein paar Monstern sehr viel lieber. Allerdings hatte der wenn auch kurze Kampf es wenigstens geschafft meine Nerven ein wenig zu beruhigen. Warum war ich überhaupt so nervös? Die Front führte einen Angriff aus dem Hinterhalt auf Laughing Coffin, sie hatte den Überraschungsmoment auf ihrer Seite, sie war zahlenmäßig weit überlegen und auch leveltechnisch sollten sich die Spieler der Front weit über denen der roten Gilde befinden. Was war also diese Unruhe in mir? Ein Aufblinken am Rande meines Gesichtsfeldes weckte meine Aufmerksamkeit. Eine neue Nachricht war eingetroffen. Absender war Lind und sie war an alle gerichtet. Wir gehen weiter – Seid leise und behaltet die Umgebung im Auge. Ich tauschte einen Blick mit Klein, der mir zu nickte und bedeutete dem sich langsam in Bewegung setzendem Angriffstrupp zu folgen. Die Spieler wirkten geradezu hoch konzentriert. Obwohl es mir schwer fiel, ließ ich Elucidator wieder in die Scheide gleiten und nahm stattdessen die Umgebung genau in Augenschein. Die Gänge schienen an Höhe zu verlieren und wurden etwas schmaler, was es unmöglich machte neben mehr als zwei anderen Spielern zu gehen. Ich biss die Zähne zusammen, als ich mir des geografischen Nachteils bewusst wurde. Sollten wir irgendwo einem Mitglied von Laughing Coffin begegnen, bräuchte uns dieses nur der Reihe nach auszuschalten, weil durch das dünne Nadelöhr des Ganges nicht mehr als ein oder zwei Spieler gleichzeitig kamen und die Front ihre volle Truppenstärke nicht optimal nutzen konnte. Doch meine Befürchtung schien unbegründet. Nach einer Viertelstunde war noch immer nichts passiert. Der Stoßtrupp der Front marschierte so leise wie möglich durch die Gänge, schickte dann und wann Späher in Nebengänge, die jedoch stets zurückkehrten ohne irgendetwas berichteten zu können. Nach und nach kam mir auch die Umgebung bekannter vor und ich erinnerte mich, dass die vierzehnte Ebene nicht deshalb so schwierig gewesen war, weil der Bosskampf so schwer war, sondern, weil das Labyrinth so verflucht verwinkelt war. Im Vergleich zu anderen unteren Ebenen war es geradezu riesig. „Kirito“, zischte Klein und machte mich damit auf die riesige Tür des Bossraumes aufmerksam, die ich durch die vorderen Spieler erspähte. „Haben wir was übersehen?“, flüsterte ich zurück. Der Bossraum befand sich am Ende eines jeden Labyrinths – aus dem einfachen Grund, weil es sich dabei um die größte Herausforderung der jeweiligen Ebene handelte. Deshalb war die Umgebung um einen Bossraum und auch der Bossraum selbst meist ziemlich kreativ designed was die düstere Atmosphäre anging. Allein bei der Vorstellung, wie Akihiko Kayaba diese Räume gestaltet und programmiert hatte, wurde mir schlecht. Hatte er schon damals gewusst, dass hier Menschen sterben würden? Hatte es ihm in einer verqueren Weise vielleicht sogar Spaß gemacht einen Raum zu entwerfen, der die Angst zukünftiger Spieler sogar noch steigerte? Jedenfalls stellte auch die vierzehnte Ebene keine Ausnahme dieser Regel dar. Neben den riesigen Flügeltüren, die mit unzähligen auffälligen Symbolen übersät waren, flankierten zwei riesige Fackeln, die in metallenen Halterungen eingelassen waren, beide Seiten und warfen ein orangefarbenes Licht auf die dunklen Fliesen. Erst jetzt fiel mir auf, dass auch sie aufwendig verziert waren. Ich runzelte die Stirn und beobachtete, dass Asuna weiter vorn offenbar zur gleichen Erkenntnis gekommen war wie ich und jetzt intensiv damit begann den Boden zu untersuchen. „Ihr Versteck ist direkt hier“, sagte Klein und riss mich damit aus den Gedanken. Ich sah über seine Schulter und betrachtete die virtuelle Karte auf der ein roter Punkt gemächlich an der Stelle blinkte, an der wir uns gerade befanden. „Ein Geheimgang?“, erkundigte ich mich verblüfft. Klein nickte. „Wie sollten sie sich sonst an so einem Ort verstecken, Mann, und es muss ein verflucht gut versteckter sein, wenn wir ihn bis jetzt nicht gefunden haben.“ Gedanklich stimmte ich Klein zu und bückte mich, um gleichzeitig den Boden zu betrachten. Wonach ich suchte war einfach: Zugänge zu Geheimgängen wurden immer durch irgendwas ausgelöst. Sei es ein Schalter … oder ein bestimmtes Symbol, das man berühren musste – oder eine Fliese. Die Fliesen waren achteckig und auf den ersten Blick mit verschlungenen Symbolen versehen. Linien, Kreise, etwas, das wie keltische Runen aussah … Ich kam nicht drauf. Irgendwo musste es ein Muster geben. Ohne auf meine Gruppe zu achten, arbeitete ich mich weiter vor. Linien, Kreise, Runen – nichts schien sich verändert zu haben. Vielleicht irrte ich mich. Auch die nächsten Fliesen wiesen die gleichen Verzierungen auf. Um mich herum sah ich, wie die Spieler langsam nervös wurden. Manche klopften in Vermutung auf Hohlräume die Wände ab, andere starrten in den Gang, aus dem wir gekommen waren. Ich richtete meinen Blick wieder auf den Boden und versuchte mich an alle Tricks und Kniffe zu erinnern, die mir in Sword Art Online, aber auch in anderen Spielen bereits begegnet waren. Ich ging weiter. Wieder nur Linien, Kreise und Runen … Moment! War dieser Kreis wirklich so rund wie die vorherige? Ich nahm mir die nächste vor, die meine Vermutung bestätigte. Der Kreis nahm auf einer Seite ab. Nachdem ich fünf weitere Fließen untersucht hatte, gelangte ich bei der sechsten auf eine Abbildung, bei der nur noch ein Halbkreis zu sehen war. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Natürlich gab es ein Muster! Der ganze Boden spiegelte den Mondkreislauf! Wenn ich recht hatte, dann würde die Fliese, die den Geheimgang öffnete … Fieberhaft suchte ich den Boden ab. Die Lösung lag in keinem Muster, die Lösung war, dass es überhaupt kein Muster gab! Ohne die Augen vom Boden zu nehmen, näherte ich mich der Wand. Sieben weitere Fliesen … Nichts… Drei… immer noch nichts… Langsam wurde ich ratlos und stieß im nächsten Moment gegen jemanden. „Hey!“, entfuhr es diesem jemand. “Oh, Entschuldigung”, sagte ich abwesend und wollte mit meiner Inspektion fortfahren. „Kirito?“ Ich sah auf. Asuna stand vor mir und hatte die Hände in die Hüften gestemmt. Im nächsten Augenblick schien ihr ein Licht aufzugehen. „Du hast etwas gefunden?“ “Einen Anhaltspunkt”, gab ich zu, ”Die Fliesen zeigen den Mondzyklus. Wenn ich recht habe, muss es irgendwo eine geben, die einen schwarzen Kreis oder gar nichts aufweist.“ „Neumond?“, fragte Asuna. „Genau. So simpel, dass es schon fast wieder lächerlich ist. Aber ich kann die verdammte Fliese nicht finden.” Asuna überlegte einen Moment und dann legte sich ein so zufriedener Ausdruck auf ihr Gesicht, als hätte sie gerade einen Test mit Bestnoten zurück erhalten. „Ich schon“, erklärte sie. „Siehst du diese Symbole am Rand?“ „Du meinst diese komischen Runen?“ „Ja, genau. Ich hatte das mal im Geschichtsunterricht. Hier stellen sie einen Code dar. Wie es funktioniert ist jetzt zu kompliziert zu erklären. Auf jeden Fall lässt sich über die Ecken der Fliesen ein Weg berechnen. Vorher wusste ich nur nicht, wonach ich suchen musste. Aber jetzt…“ Zielstrebig schritt sie durch den Gang und kam dann an der Wand zehn Meter entfernt vom Eingang des Bossraumes zum Stehen. Ich runzelte die Stirn. „Aber hier ist doch nichts.“ “Eben.Wart’s ab!” Asuna legte ihre Hand auf die dunkelblaue Wand und erst da bemerkte ich die fast unsichtbaren Rillen in der Wand – ein Achteck. Die Fliese, die ich vergeblich gesucht hatte, war nicht auf dem Boden, sondern auf der Wand. Asuna drückte dagegen und Fliese sank in die Wand ein. Ein Rumpeln ertönte, als sich ein Mechanismus in Gang setzte und dann öffnete sich vor Asuna und mir ein Durchgang. Wir wechselten einen Blick. „Lind?“, rief Asuna, „wir haben den Eingang gefunden.“ In den nächsten Minuten herrschte stille Hektik, dann eine nervöse Anspannung, als Wyrm und Raven ihre Gruppen durch den Gang führten, der glücklicherweise sehr viel größer war, als es Geheimgänge sonst waren. Der Gang war nicht lang. Höchstens fünfzehn Meter. Das führte dazu, dass längst nicht alle fünfzig Spieler im Gang Platz hatten und einige Gruppen am Eingang warten mussten. Raven, der über den Nachtsichtsskill verfügte, führte die ganze Sache gemeinsam mit Lind an. Fünf Meter vom Ausgang entfernt, nahm ich einen Lichtschein wahr. Wie auf ein stummes Zeichen hin, lösten Raven und Lind ihre Schwerter, was ihnen anschließend sämtliche Spieler nachtaten. Dicht neben Klein und River spürte ich, wie mein Herz schneller zu schlagen begann und Adrenalin durch meine Adern pumpte. Eine Sekunde lang, rührte sich niemand. Dann hob Lind seine Waffe. „Angriff!“, brüllte er und stürzte in den Raum, in den der Gang mündete. Mit lautem Kriegsgesschrei stürzte der Angriffstrupp der Front hinterher – und fand sich im nächsten Moment in einem vollkommen leeren Raum wieder. Hektisch blickte ich mich um, ließ den Blick den Blick über die Einrichtung – Schlafplätze, Waffenlager, ein kleines Labor, Küche und Sitzgelegenheiten – schweifen und stellte zu meinem absoluten Terror fest, dass niemand da war. Der Raum war leer. „Unmöglich!“, machte Lind seinem Ärger Luft, als er mitten im Raum vor einem Banner mit dem Wappen der Gilde, einem Sarg mit lachendem Gesicht, stehen blieb und es anstarrte. In dem Moment, in dem Lind noch einen Schritt darauf zu machte, wusste ich, dass es ein Fehler war. „Halt!“, brüllte ich, aber es war schon zu spät. Linds Gewicht hatte einen weiteren Mechanismus ausgelöst. Ohne, dass es irgendjemand verhindern konnte, verriegelte sich der Geheimgang hinter uns und schnitt den Teil des Angriffstrupps von uns ab, der noch im Gang steckte oder am Eingang wartete. „Was zur Hölle-?“, entfuhr es Klein. Vollkommen panisch verstrich ein Moment vollkommener Reglosigkeit. Dann blinkte bei allen Spielern eine Nachricht auf. Die Botschaft bestand nur aus einem Wort und hätte nicht klarer sein können: DIE Ein Lachen ertönte, das mir das Blut in den Adern gefrieren ließ und mich zurück kehren ließ in jene Nacht, in der ich es schon einmal gehört hatte … Damals auf dem Hügel auf der neunzehnten Ebene … Aber ich hatte keine Zeit nachzudenken, denn im gleichen Moment ließen sich die roten Spieler von der Decke mitten unter die Frontkämpfer fallen und gingen mit gezückten Waffen auf sie los. Mit einem Schlag waren wir zahlenmäßig hoffnungslos unterlegen. „Kirito!“, schrie Klein und riss mich gerade noch rechtzeitig aus meiner Starre, um einem Spieler auszuweichen, der mit dem Vertical Arc-Skill einen Angriff auf mich gestartet hatte, der in einem senkrechten Bogen bestand und eine zwei Trefferquote besaß. Dem ersten Hieb wich ich aus, den zweiten überstand ich nur dank meines Abwehrskills. Ich gestattete mir keinen Moment zum Ausruhen. Kaum war ich wieder auf den Beinen ging ich hinter einem Tisch in Deckung, den ich auf die Seite kippte. Mein Angreifer war indessen im Kampfgetümmel verschwunden. Panisch warf ich einen Blick unter meine Lebensleiste und stellte voller Erleichterung fest, dass noch alle vier meiner Gruppenmitglieder darunter waren. „So sieht man sich wieder, schwarzer Schwertkämpfer.“ Ich zuckte zusammen. Keine drei Meter weiter ragte ein Spieler auf, der beinahe vollkommen in rot gekleidet war, dazu rote Haare und Augen besaß und einen Helm mit einem umgedrehten Kreuz trug. Seine Erscheinung ähnelte auf bizarre Weise der Uniform der Ritter des Blutschwurs. Hatte Asuna nicht bei seiner Erwähnung irritiert auf das Bild gestarrt, als er bei der Versammlung zur Sprache gekommen war? „Aber, aber. Wo sind denn deine Manieren geblieben? Willst du mich nicht begrüßen? Wir haben uns ja schließlich so lange nicht gesehen.“ Grinsend richtete er einen Panzerbrecher auf mich, ein dünnes, beidhändig geführtes Schwert mit gerader Klinge und so stabil, dass es eine Rüstung mühelos durchdringen konnte. Da ich nicht mal eine trug, konnte ich mir ausmalen, was mir blühte, wenn mich das Ding erwischte. Der Spieler trat näher. Von einem auf den anderen Moment war er plötzlich ernst. „Jetzt hast du nicht mehr so eine große Klappe, was? Die Front ist wohl doch nicht so stark, wie du dachtest.“ Mir brach der kalte Schweiß aus, als ich meine schwarze Klinge packte. In Gedanken ging ich die Skills durch mit denen ich mich verteidigen konnte. „Wie auch immer“, sagte mein Gegner, „du stirbst sowieso!“ Einen Moment glühte seine Waffe in blauem Licht auf und verriet mir, dass er einen Skill aktiviert hatte. Da ich unmöglich ausweichen konnte, schleuderte ich den Tisch auf ihn, dem mein Angreifer auswich und stattdessen zwei Spieler hinter ihm umwarf. Kaum war das Hindernis aus dem Weg, hatte er freie Bahn und ich wich dem ersten Schlag aus, aber der rotgewandte Spieler war noch nicht fertig. Er wirbelte auf dem Fußballen herum und erwischte mich beinahe am Arm. Doch noch immer war das Licht nicht verschwunden, was mich vermuten ließ, dass es eine vier-Schlag-Kombination handelte. Ich biss die Zähne zusammen und aktivierte ebenfalls einen Skill. Der minimale Seitenschritt erlaubte es mir dem Angriff auszuweichen und einen Konter zu führen, der darauf abzielte meinen Gegner zu entwaffnen. Die Schwerter kreischten, als beide Skills mit einem hässlichen Geräusch aufeinander trafen, wobei weder ich noch mein Gegner die Oberhand gewinnen konnten. Ich biss die Zähne zusammen, aber ich hätte eigentlich vorher wissen müssen, dass ich den Skill nicht mehr abbrechen konnte – ebenso wenig wie mein rotgewandter Gegner. Das Kreischen steigerte sich in einen schrillen Schrei und dann schleuderte es uns beide in entgegengesetzte Richtungen. Für einen Augenblick machte mich der gerade beendete Skill bewegungsunfähig und ich konnte nicht verhindern, dass ich mit dem Rücken voran gegen ein Sofa krachte, es dabei umwarf, mich überschlug und plötzlich dahinter wieder fand. Doch kaum hatte ich meine Orientierung wieder gefunden, sah ich, wie mein Gegner plötzlich über mir mit gezückter, noch immer glühender Waffe auftauchte. Starr vor Entsetzen und Lähmung begriff ich zu spät, dass mein Gegner noch einen Schlag übrig hatte und nur darauf wartete bis das System den Rest übernahm. Ich hörte nur noch ein Zischen, dann sauste ein blitzschnelles Objekt über mich hinweg und traf die Waffe, die mein Gegner schon zum Schlag erhoben hatte. Der Aufprall des Messers war so präzise und kraftvoll, dass der eigentlich für mich bestimmte Schlag automatisch gegen das Wurfgeschoss gerichtet wurde. In meinem Blickfeld tauchte River auf, der meinen Gegner mit einem weiteren Messer in Schach hielt. Kaum, dass die Lähmung von mir abgefallen war, rappelte ich mich auf und hob die schwarze Klinge. Ein Blick auf meine Lebensleiste verriet mir, dass dieser Schlagabtausch mich etwa zehn Prozent meiner Kraftpunkte gekostet hatte. Unter meiner Lebensleiste hatte die von River etwa dreißig Prozent eingebüßt. River war hier als Fernkämpfer eindeutig im Nachteil. Wenn ihm nun die Wurfmesser ausgingen … Eine Sekunde lang begegneten sich unsere Blicke über die Entfernung. Dann trat plötzlich ein Schatten in mein Blickfeld und bewegte sich so schnell, so plötzlich auf mich zu, dass ich noch nicht mal Zeit hatte, zu begreifen, dass mein Gegner gerade den nächsten Skill aktiviert hatte. Reflexartig riss ich die Waffe hoch, doch mein Schwert war ohne aktivierten Skill genauso nützlich, als wenn ich versucht hätte den Schlag mit bloßen Händen abzuwehren. Der Angriff schleuderte mich drei Meter rückwärts, riss mir fast das Schwert aus der Hand und ließ mich gegen die Wand krachen. „Kirito!“ Ich sah den zweiten Angriff zu spät. Im nächsten Moment spürte ich, wie sich die Klinge in meine Schulter bohrte. Rote Pixel traten aus der Wunde hervor und machten den Schmerz, der nun folgte nur noch surrealer. Mir entwich etwas, das ein Schrei sein könnte. Vor Schmerz oder Überraschung vermochte ich nicht zu sagen. Dann wurde mein Gegner fortgerissen und ich erkannte nur noch, wie sich Raven seiner annahm und mit kräftigen Hieben in die Enge drängte. Mein Gegner stieß ein gackerndes Lachen aus, bevor ich ihn in der Masse der Kämpfenden aus den Augen verlor, aber seine Worte hörte ich dennoch: „Ich töte dich! Warte nur! Ich werde dich umbringen!“ Ich werde dich töten. Ich bringe dich um. Seine Worte rüttelten mich auf eine Weise wach, als würde ich aus einem Traum aufwachen und feststellen, dass der Albtraum nicht vorüber war. Fassungslos starrte ich auf die Wunde auf meiner Schulter, aus der noch immer rote Pixel austraten. Ich hätte nicht so überrascht sein sollen, dennoch war ich es. Er hatte mich ohne zu zögern verletzt. Er hatte gewollt, dass ich Schaden nahm. „Heilen.“ Außer Atem drückte River einen Heilkristall auf meine Schulter und zerrte mich dann hinter ein Bücherregal in Deckung. Ich fragte nicht mal, wie er den Angreifer losgeworden war. Einen Moment lang holten wir beide Atem und versuchten den Schreck zu verdauen. River sammelte sich einen Moment, holte Luft und herrschte mich dann an: „Willst du eigentlich sterben?“ Willst du sterben? Jedes Wort bohrte sich tief in mich hinein. Ich konnte … sterben. Ich musste an meine kleine Schwester Suguha denken, die eigentlich meine Cousine war. Vermisste sie mich? Wahrscheinlich. Ich durfte nicht aufgeben, wenn ich jemals wieder zu meiner Familie zurück kehren wollte. „Natürlich nicht!“, zischte ich nach einer winzigen Sekunde des Zögerns zurück. „Warum hast du dann nicht gekämpft? Wenn du nicht kämpfst, bringen sie dich um!“, fauchte River prompt, „verstehst du es nicht, Kirito? Es interessiert sie nicht das Spiel zu beenden! Diese Irren genießen es zu töten. Sieh es dir doch an! Für sie ist Sword Art Online zur Realität geworden!” River deutete auf den Kampf, der um uns herum tobte. Noch immer von den anderen Frontkämpfern abgeschnitten, wurden die Spieler der Front zusehends in die Enge getrieben. Die plötzliche Übermacht von Laughing Coffin hatte die Front in einen Schockzustand versetzt und ihre Skrupellosigkeit ohne jede Moral anzugreifen, brachte die Frontkämpfer in eine Zwickmühle. Denn die Front hatte nie beabsichtigt wirklich ernsthaft zu kämpfen. Die Fallensteller waren selbst in die Falle gegangen und der Hinterhalt, den die Front gelegt hatte, hatte sich gegen uns selbst gerichtet … Aber wieso? Es war unmöglich, dass sie von dem Angriff erfahren hatten. Es konnte keinen Verräter in unseren Reihen geben… Oder? Eine plötzliche Veränderung der Lebensanzeigen meiner Gruppe, fesselte meine Aufmerksamkeit. Kleins Anzeige war nur noch minimal im grünen Bereich, die von Dale und Dynamm waren bereits gelb. Hektisch hielt ich nach ihnen Ausschau und entdeckte schließlich alle drei mitten im Kampfgeschehen, wo sie mit aller Macht versuchten dem Angriff stand zu halten. „Warum benutzt Klein den Korridorkristall nicht?“ „Er hat ihn schon verbraucht“, gab River düster Auskunft. „Hat damit drei Spieler ins Gefängnis geschickt, aber es sind zu viele.“ Obwohl ich es nicht wahrhaben wollte, musste auch ich einsehen, dass die in zwei Teile gesplitterte Front hoffnungslos unterlegen war. Ich stand auf und packte mein Schwert. Meine Hand zitterte. „Was hast du vor, Kirito? Du kannst nicht-“ „Ich werde nicht dabei zusehen, wie meine Freunde sterben!“, unterbrach ich ihn. „Denk doch mal nach! Du kannst nicht-“, setzte River an, aber den Rest hörte ich nicht mehr, weil ich ohne einen weiteren Blick zurück direkt auf Klein zustürzte, der in diesem Moment eine Wunde am Arm davon trug, woraufhin seine Lebensleiste endgültig gelb wurde. „Klein!“, brüllte ich, überwand mit Sonic Leap blitzschnell die Distanz und wehrte einen Angriff auf meinen Freund ab, der diesen um ein Haar einen Kopf kürzer gemacht hätte. „Kirito? Was geht hier vor sich?“, fragte Klein atemlos. Aber uns blieb keine Zeit weiter zu reden, denn was nun folgte, forderte meine ganze Aufmerksamkeit. Zwei der Angreifer stürzten sich gleichzeitig auf mich. Ich wich dem ersten mit einem weiteren Seitwärtsschritt aus und duckte mich unter seinem Schwert hinweg, aber der zweite war schon da und holte aus. Sieben Sekunden verstrichen, in denen ich zögerte. Ich wollte nicht kämpfen, aber ich konnte nicht zulassen, dass Klein starb. Im nächsten Augenblick glühte Elucidator rot auf und ich warf es in die Luft. Für einen Moment war mein Gegner derart verdutzt, dass ich ihn mit dem Faustschlag in den Magen komplett überraschte. Ich drehte mich halb herum, fing das Schwert wieder auf und durchbrach dann die Verteidigung des Feindes so mühelos, als wenn ich seine Waffe nur sanft beiseitegeschoben hätte. In der virtuellen Realität aber bohrte sich die schwarze Klinge tief in den Brustkorb des Mannes und trat am Rücken wieder aus. Eine perfekte Ausübung des Sword-Sills Meteor Fall, eine zwei-Schlag-Kombination, die einen grundlegenden Martial-Arts-Skill mit einem Schwertstreich kombinierte. Noch nie hatte ich sie bei einem anderen Spieler angewandt. Mir war so schlecht, dass ich fürchtete mich jeden Moment übergeben zu müssen. Ich konnte nur ahnen, dass das über meinem Kopf schwebende Icon sich in diesem Moment von grün zu orange verfärbt hatte. „Vorsicht!“ ich sah den Angriff dank Kleins Warnung gerade noch aus den Augenwinkeln kommen. Ich riss das Schwert aus dem Körper des gegnerischen Spielers und blockte den nächsten Schlag über meiner Hüfte. Einen Moment lang waren wir uns ganz nah. Ich spürte die Kraft, die in dem Angriff meines Gegners lag, fühlte seinen Atem fast auf meiner Haut und konnte doch nicht doch nicht durch die Dunkelheit um sein Herz dringen. Dann verlagerte mein Angreifer den Winkel seines Schwertes, was ein schrilles, metallenes Geräusch erzeugte und meinem Gegner genug Zeit gab einen Skill zu aktivieren. Ich konnte nicht mehr ausweichen und ich spürte, dass es mein Gegner ebenfalls wusste. Für den Bruchteil einer Sekunde erschien ein siegessicheres Grinsen auf seinem Gesicht, dem einzigen Teil, der nicht von einer Maske bedeckt wurde. Er holte aus und zum ersten Mal, zum allerersten Mal packte mich in Sword Art Online Todesangst. Sie legte ihre kalten, klammen Finger um mich und drang so tief in mein Innerstes ein, dass die stille Qual mich beinahe überrollte. Ich konnte sterben. Natürlich konnte ich sterben. All die Zeit hatte ich damit verbracht so stark zu werden, dass keine Gefahr, die Sword Art Online mir entgegen schleuderte, mir noch etwas anhaben konnte. Doch dabei hatte ich den essentialen Fakt verdrängt, dass es keine Garantie gab am Leben zu bleiben „Uaaargh!“ Klein warf sich auf meinen Angreifer und ging mit ihm in einer Nische voller kleiner Fläschchen, Phiolen und anderer Laborgegenstände zu Boden, die beide im Kampf miteinander zur Seite fegten. Eigenartig taub berührte ich meine Wange. Rote Pixel fanden einen Weg durch meine Finger und lösten sich auf. Blut. Die Klinge hatte mein Gesicht gestreift und einen weiteren Teil meiner Lebensanzeige mit sich fort gerissen. „Kirito! Da vorne!” Mein Blick folgte Kleins Fingerzeig, schweifte über die Kämpfenden und blieb dann an einer Uhr hängen, in dessen Mitte ein kleines Achteck angebracht war. Es wies keine Verzierungen auf, bis auf eine. Natürlich … Neumond, um einen Weg in die Dunkelheit zu öffnen und Vollmond, um ins Licht zurück zu kehren – oder einen Weg für die restlichen Frontkämpfer zu öffnen, um uns zu retten. Gehetzt kehrte mein Blick zu Klein zurück, der den Spieler über sich mit einem gezielten Faustschlag zu Boden schickte. „Mach schon!“, brüllte Klein und endlich setzte ich mich in Bewegung. Der Schalter, der Leben oder Tod bedeutete befand sich etwa fünfundzwanzig Meter entfernt von mir. Fünfundzwanzig Meter voller Kämpfenden durch die ich mir einen Weg bahnen musste. Waffen strahlten in sämtlichen Farben unterschiedlicher Skills, hier und da erkannte ich den dunklen Korridor, der in das Gefängnis führte, und von einem Kristall geöffnet worden war. „Kirito!“ In Kleins Stimme klang Verzweiflung. Selbst mit der Hilfe von Dale schien er sich gerade noch so verteidigen zu können. Dynamm lag regungslos am Boden, vermutlich durch Lähmungsgift paralysiert. „Stirb!“ Vor mir glänzte eine Klinge in einem satten Giftgrün. „Nicht so schnell!“ Plötzlich war Griffin da, holte mit der Axt aus und rammte sie dem in schwarz gekleideten Spieler in die Brust. Augenblicklich sank dessen Lebensanzeige auf Null und er zersprang in abertausende kleine Datenfetzen. Kurz begegnete ich Griffins Blick. „Mach schon!“, blaffte er, “du hast gehört, was dieser Möchtegernsamurai gesagt hat. Wir verschaffen dir Zeit und-“ Im nächsten Moment ragte eine blau leuchtende Klinge aus seinem Brustkorb. Ein Spieler hatte ihn von hinten mit dem Schwert durchbohrt. Der Augenblick schien in der Starre zu schweben, dann wurde die Waffe heraus gerissen und traf Griffin aus nächster Nähe dreimal blitzschnell hintereinander. „Kommandant!“, schrie eine Spielerin von Asyl der Vertriebenen, doch es war bereits zu spät. „Schnell“, brachte Griffin noch heraus, dann löste auch er sich auf. Irgendwo in einem Krankenhaus Japans zerstörte in diesem Moment das NerveGear Griffins Gehirn. Irgendwo erlosch gerade ein Leben, das noch gar nicht richtig begonnen hatte. Ich durfte nicht nachdenken. Mit einem Hechtsprung rettete ich mich vor einem mit dem Wurf-Skill Single Shot geworfenen Dolch hinter eine Säule. Im nächsten Moment war ich wieder mitten im Kampf und die Masse der Kämpfenden wogte über mich hinweg, warf mich mal in die, mal in die andere Richtung und noch immer war das Ziel so unendlich weit entfernt. Vor Angst war ich wie von Sinnen, schlug um mich. Die Luft schien von roten Pixeln getränkt zu sein. Ein Blutbad. Wenn ich mir eine Hölle ausgemalt hatte, dann war es das hier. Und das Spiel … das Spiel tötete uns alle. Ein Schlag rechts von mir, links, oben, unten, diagonal, quer. Ich sah nur noch wie meine Sicht sich trübte und ich begriff, dass mich eine Waffe mit Lähmungsgift getroffen haben musste. Meine Lebensanzeige war kurz vor dem tödlichen roten Bereich. Ich hörte das Sirren in der Luft, als die Wurfaxt die Luft zerschnitt. „Nein!“ Vier silberne Pfeile flogen in der Luft an der Axt vorbei, bohrten sich jede in einen kritischen Punkt am Körper des Angreifers und seine Lebensleiste erlosch. Im gleichen Moment tauchte vor mir ein Schatten auf. Die Hand noch zum Wurf erhoben, erkannte ich River in der Sekunde in der ihn die geworfene Axt traf. „Heilen!“ Irgendjemand befreite mich aus meiner Misere und die Lähmung löste sich. Dumpf kam River auf dem Boden auf. So schnell ich konnte aktivierte ich mein Statusfenster, materialisierte einen Heilkristall, aber bevor ich River damit retten konnte, löste sich dessen Lebensanzeige in nichts auf. Es war zu spät. So nah wie ich ihm war, konnte ich den Schriftzug erkennen, den das Spiel nun einspielte: „YOU ARE DEAD.“ „Nein!“, rief ich. Tränen brannten hinter meinen Augen und auch in Rivers Blick mischten sich Angst, Verzweiflung und Machtlosigkeit. In einem letzten Akt des Widerstandes packte er meine Hand. „Beende es, Kirito. Ich flehe dich an, beende es.“ Ich erfuhr nie, ob er das Massaker meinte oder Sword Art Online. Dann wurden Rivers Daten gelöscht. Ebenso wie Griffin vor ihm zersprang sein Avatar in Millionen kleine Pixel, der wie bei uns allem seinem Selbst in der realen Welt bis aufs Haar glich. Er war tot. River war tot! River. Ein Einzelspieler wie ich. Ein Gamer, ein Teenager, ein Frontkämpfer. River, der jedes Mal ins Schwarze traf. River. River … River!!! Ein Kamerad, ein Freund … Unter meiner eigenen Lebensanzeige waren jetzt nur noch drei weitere Gruppenmitglieder aufgelistet. Er war fort und ich hatte nichts tun können. Vor meinen Augen sah ich Sachi sterben, meine Gilde, die schwarzen Katzen. Nichts hatte sich geändert. Ich war stärker geworden, aber noch immer reichte es nicht aus, um die Menschen beschützen zu können, die mir nahe standen. Aber das hier war nicht irgendein Dungeon mit einer Falle. Dieses hier war eine von Menschen gemachte Hölle. Eine rote Wut packte mich, die die kalte Angst in mir nieder kämpfte und dann übermannte mich ein Gefühl der totalen Endgültigkeit. In mir wurde etwas taub und mein Herz, das zuvor fast zerbrochen war, versteinerte. Ich kämpfte nicht mal die Tränen zurück, die hinter meinen Augen hervor brachen. Hass brandete in mir auf. Hass und Angst und Gleichgültigkeit. Alles wurde mir egal. Sollten sie mich doch töten! Ich packte Elucidator und die schwarze Klinge schnitt durch die Masse und räumte mir einen Pfad der Verwüstung frei. Wenn das hier die Wirklichkeit gewesen wäre, wäre der Boden mit blutrot gewesen, aber in der virtuellen Welt von Sword Art Online ließ der Tod nichts zurück. Dann sah ich das Mädchen. Es war Griffins Spielerin, die durch seinen Tod wie gelähmt gewesen war, und nun von drei Mitgliedern von Laughing Coffin bedrängt wurde. Sie hatte ihre Waffe verloren und weinte Tränen, die sich in der Luft auflösten. Sie würde sterben, wenn ich nicht handelte. In mir legte sich ein Schalter um. Ich war einer der stärksten Spieler dieses Spiels und ich war schnell. Zwar nicht so schnell wie Asuna, aber irgendwie schaffte ich es zwischen das Mädchen und ihre Angreifer zu gelangen. Die schwarze Klinge schien zu wissen, was sie zu tun hatte. Der Skill glühte violett, dann traf ich den ersten Spieler mitten ins Herz. Wenn ich gewollt hätte, hätte ich mein Schwert aufhalten können. Alles was ich wollte war die Spieler von Laughing Coffin im Gefängnis einzusperren, sodass sie niemandem mehr schaden konnten, doch ich stoppte meinen Angriff nicht. Die Angst … die rote Wut in mir beherrschte alles und wütete in mir wie ein Orkan, der jeden klaren Gedanken im Keim erstickte. Es war mir egal, ob ich sterben würde. Es war mir egal, was passieren würde. Alles war egal. Nur noch das Hier und Jetzt. Doch der Schmerz über das Wissen, was ich getan hatte, zerriss mich fast. Ich stieß ein Geräusch aus, das an ein verwundetes Tier hervorbringen würde, das in die Enge gedrängt worden war. Der Widerstand löste sich in dem Moment, als der rote Spieler vor meinen Augen verschwand. Ich hatte ihn umgebracht. In einem Krankenhaus bäumte sich in diesem Moment ein Körper ein letztes Mal gegen die Todesqual auf, ehe er in sich zusammen sank und sein Herzsignal auf dem Monitor eines der medizinischen Geräte verschwand. Tod! Tod! TOD!!! Meinetwegen! Hatte er Familie und Freunde gehabt, die an seinem Bett warteten, dass er wieder erwachte? Oder war mitten in der Nacht niemand bei ihm und sie wussten noch nicht, dass er in dieser Nacht ein Game Over erlebte? Ich kam erst wieder zu mir, als sich das Mädchen an mich klammerte und hemmungslos zu schluchzen begann. „Danke, danke, danke“, wimmerte sie. Ich hatte keinen Dank verdient. Jemand so verabscheuungswürdiges wie ich verdiente ihn nicht. Ich stieß sie von mir, warf ihr einen Dolch hin, drehte mich um und dann sah ich etwas, das mich erstarren ließ. Keine sechs Meter von mir ging Asuna auf den Stufen, die zu der riesigen Uhr führten, zu Boden und vor ihr setzte ein roter Spieler zum Sprung an. Selbst Asuna, der Blitz, war nicht schnell genug sich in dieser Lage zu retten. Dazu kam, dass sie anscheinend durch das Ende eines Skills vom Spiel gelähmt war und sich nicht bewegen konnte. Mein Denken setzte aus. Nicht sie! Bitte! Nicht sie! Asuna, die von dem kleinen Jungen erzählte, den sie nicht hatte retten können. Asuna, die ihre selbstgemachten Sandwiches mit mir geteilt hatte. Asuna, die mich bat vorsichtig zu sein, obwohl sie selbst immer an vorderster Front kämpfte. Asuna, die die Front vereinte. Nein. Eiskalte Gewissheit breitete sich in jeder Pore meines Körpers aus. Sie würde nicht sterben. Nicht wie Sachi. Nicht wie Griffen. Nicht wie River. Nicht wie alle anderen Spieler, die ich schon sterben gesehen hatte. Sie nicht. Mein Körper bewegte sich wie von selbst, der Skill Sonic Leap erledigte den Rest und das System lenkte mein Schwert, mit dem ich Asunas Angreifer den Schädel zerschmetterte. Er kam nicht mal auf dem Boden auf. Ich fiel durch einen Schwarm blauweißer Datenpixel, die einmal ein Mensch gewesen waren. Es hatte keinen anderen Weg gegeben. Um Asuna zu retten, musste ich ein zweites Mal töten. Doch dieses Mal war es bewusster. Eine Entscheidung, die ich im Bruchteil eines Augenblicks getroffen hatte, in dem ich beschlossen hatte Asunas Leben zu retten. Selbst, wenn dafür ein Teil von mir starb. Ich kam krachend auf den Stufen aus und kurz ertrank meine Sicht in Rot. Meine Lebensleiste … war kurz vor dem Erlöschen … „Kirito! Kirito-kun!” Warme Hände packten mich an den Schultern. “Komm zu dir, bitte komm zu dir! Der Schalter!” Ich verstand nicht, was sie sagte. Eine andere Stimme, die so klang wie die von Lind, diesem aufgeblasenen Schnösel, brüllte: “Haltet Stand!” „Kirito! Kirito!“ Die warmen Hände zerrten an mir. Ich ließ das Schwert fallen und es kam klirrend auf dem Boden auf und mein Herz schrie vor Schmerz. Es gab keine Entschuldigung für das, was ich getan hatte. Ich war nicht besser als sie. Ich wollte nicht mehr. Ich konnte nicht mehr. Jemand legte sich meinen Arm um die Schulter. Geistesabwesend ging mir durch den Kopf, dass dieser jemand ein ziemlich hohes Kraftlevel haben musste, um mich so mühelos mit sich herum zu tragen. „Nur noch ein Stückchen“, murmelte die Stimme. Ein Schatten tauchte vor mir auf, doch das silberne Rapier wischte ihn zur Seite, als sei es nichts. Ich stolperte Stufen hinauf ohne sie wirklich zu sehen. Irgendetwas tickte. War das eine Uhr? “Das lässt du schön bleiben, Schätzchen.” Ich erkannte eine verschwommene Gestalt, die mir eigenartig bekannt vor kam. ‚Kämpf‘ nicht mit ihm, Kirito. Kämpf nicht mit ihm oder wir wissen nicht, wen wir beschützen sollen.‘, hörte ich Klein sagen. Johnny Black. Die Information sickerte irgendwie durch den Nebel meiner Gedanken. „Du kannst mich nicht aufhalten!”, erwiderte Asuna und die silberne Waffe, die fast wie eine Nadel wirkte, deutete direkt auf sein Herz. „Er vielleicht nicht, aber ich werde es tun.“ Eine Stimme, kalt wie Eis schnitt in mein Bewusstsein. „Ihr werdet ihm nichts tun!“ Asunas Stimme zitterte. „Du kannst nicht gegen uns beide gewinnen, Vizekommandantin. Mit ihm hättest du eine Chance, aber ohne ihn … er ist labiler als ich dachte.“ „Steht er unter Schock?“, gackerte Johnny Black. Ich verstand den Sinn hinter diesen Worten nicht. „Nicht ganz so selbstsicher, wie bei unserer letzten Begegnung, was Kirito?“, sagte der Mann und ich kam ein wenig zu mir. Asuna hatte mich losgelassen und ich war auf den Boden gesunken. Langsam verstand ich, wo ich war – noch immer in der Hölle – und was um mich herum geschah. Schreie, Flehen, bunte Lichter, die aufblitzten und erloschen, Gänge, die aus dem Nichts auftauchten, und Spieler verschluckten. Und ich verstand den Schmerz in mir, der tobte und wütete und kein Ventil fand. Schmerz um das Wissen jemanden umgebracht zu haben. „Du dachtest, du wärest so viel besser als wir, aber wenn es um Leben oder Tod geht, tötest du doch. Mach dir keine Sorgen, das ist ganz natürlich. Warum sträubst du dich sosehr gegen deinen Überlebensinstinkt? Uns hast du verurteilt, aber bist du nicht ebenso ein Mörder, wie wir?“ „Das ist nicht wahr!“, rief Asuna, „Kirito, hör nicht auf das, was er sagt! Du bist nicht, wie sie!“ Ein Geräusch erklang und ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass es dasselbe Lachen war, das ich gehört hatte, als die Front Laughing Coffin in die Falle gegangen war. Mein Blick wurde klarer. Asuna stand vor mir, schirmte mich von Johnny Black ab - und von PoH, dem Wahnsinnigen, der Laughing Coffin gegründet hatte und für all die begangenen Morde verantwortlich war. Derjenige, der den Gedanken in die Köpfe der brutalsten Spieler Aincrads gepflanzt hatte, dass es in Ordnung war zu töten. Ja, dass das Spiel gar diesen Zweck hatte. „Ein Leben …“ Erst als die Worte meinen Mund verlassen hatten, begriff ich, dass es meine Stimme war. „Ein Leben … ist euch das gar nichts wert?“ „Was redest du da?“, erwiderte PoH, „Das hier ist ein Spiel!“ „Aber-“, wandte ich ein und wollte auf den ersten Tag in SAO hinaus, an dem Kayaba uns die Regeln erklärt hatte, doch PoH fiel mir ins Wort. „-Aber man stirbt, wenn Game Over ist?“ PoH lachte schallend. „Kannst du das beweisen? Woher soll man wissen, dass man wirklich stirbt? Was, wenn all die Toten in der Realität aus dem Koma erwacht sind und nur wir weiter gefangen sind?“ „Du willst doch gar nicht aufwachen!“, rief Asuna wütend. „All das hier bietet dir doch die Möglichkeit ungestraft deine Mordgier auszuleben!“ „Vorsicht, Schätzchen!“, knurrte Johnny Black, aber PoH hob die Hand. „Lass sie ruhig ihre Meinung sagen, ehe wir sie töten.“ Daraufhin grinste dieser und leckte sich betont über die Lippen. „Wenn das so ist, Kommandant.“ „Was nun, Kirito?“, erkundigte sich PoH hämisch. „Was wirst du tun? Kämpfen und damit beweisen, dass du nicht besser bist, als wir, die du so verabscheust, oder sterben und hoffen, dass du in der Realität aufwachst?“ Er griff nach seiner Waffe und mir brach der kalte Schweiß aus. Ich hatte keine Waffe mehr. Elucidator hatte ich losgelassen und auf den Stufen verloren. Meine Lebensleiste wies nur noch ein bisschen rot auf und machte es überflüssig mir auszurechnen, was passieren würde, wenn er mich angriff. Für einen Moment schien alles zu verstummen. Die Schreie, meine Angst, die Schuld. Alles, bis auf das gemächliche Ticken hinter mir. Und ich erinnerte mich an die Uhr, in dessen Ziffernblatt der einzige Ausweg schlummerte. Alles kreiste um diese Uhr. Um den Vollmond, der in einem achteckigen Stein eingelassen war … Griffin, River, all die anderen Toten. Sie alle waren dafür gestorben, um das Überleben aller zu sichern. Ich wusste nicht, woher ich die Kraft nahm. Stolpernd kam ich auf die Beine und fiel ohne auf Asuna, PoH oder Johnny Black zu achten die letzten zwei Meter zum Schalter eher hinauf, als dass ich sie ging. Ehe, sie begriffen, was ich vorhatte, berührten meine Finger den Vollmond und der achteckige Stein sank in die Wand ein. Licht brandete auf und neues Kampfgeschrei ertönte. Eine Sekunde lang sah ich, wie sich Poh’s Mund zu einem wütenden Aufschrei verzog. Meine Sicht verschwamm. Dann wieder Dunkelheit. Stille. Lärm. Lichter in allen Farben. Asuna rief meinen Namen, als ich an der Wand zusammen brach. Zunehmend lehrte sich der Raum, als die Front über Laughing Coffin mit schierer Übermacht hinweg fegte, sämtliche ihr zur Verfügung stehende Korridorkristalle einsetzte und die Mitglieder von Laughing Coffin entweder direkt ins Gefängnis schickte oder … tötete. Verschwommen erinnerte ich mich an einen Moment vor einer Ewigkeit, als das Mädchen neben mir, mir so ein Ding gegeben hatte. Ich hatte es … vergessen. Ich beobachtete mit glasigem Blick wie sich unter Lind‘s Kommando die Front neu formierte und die rote Gilde zurückschlug. Wir waren gerettet und doch waren wir es nicht. Dieser Sieg war nicht mehr als eine weitere Niederlage gegen Akihiko Kayaba. Gegen Sword Art Online. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)