Der See von Kelpie_Donoura ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Die Buchstaben verschwammen vor seinen Augen. Müdigkeit brannte in ihnen, ebenso wie das Licht der flackernden Kerze neben ihm auf dem Tisch. Er schloss sie einen Moment und genoss die den kühlen Balsam der Dunkelheit. Seine Augen mochten schmerzen, doch um zu schlafen war er zu aufgewühlt. Das Lesen hatte ihn zu sehr aufgekratzt. Der Autor hatte sich viel Zeit gelassen, es zu schreiben, weshalb es von seiner Leserschaft begierig erwartet worden war. Schon die ersten Kapitel waren fesselnd gewesen; und so treffend formuliert- doch das nur am Rande. Er stand aus seinem Ohrensessel auf und blickte sich im Zimmer um, während er sich den Kragen richtete und seine Weste zuknöpfte. Es war verschwenderisch eingerichtet: Teure Teppiche lagen auf dem dunklen Parkett, hellblaue Seidentapeten zierten mit ihren Blumenmustern die Wände. Hier stand ein Sekretär, dort ein Schrank und weiter da drüben eine hübsche, cremefarbene Sofagarnitur mit einem schmucken Beistelltischchen. Ein sachtes Pusten und das Licht der Kerze erlosch. Er würde beim besten Willen nicht schlafen können, deshalb beschloss er, sich ein wenig zu bewegen, um noch etwas müder zu werden. Im Flur ergriff er seinen Spazierstock und drückte die Klinke hinunter. Erfrischende Abendluft streichelte sein Gesicht und er machte sich auf, in den Park, der zu seinem Anwesen gehörte. Hier gab es einen weiten See, der im Licht der Sterne glitzerte, wunderschöne Beete, die sein Gärtner mit großer Liebe hegte und pflegte und einige Pavillons unter denen man bei Tagen großer Hitze Schutz vor der Sonne suchen konnte. Einige der Pavillons waren mit Kletterpflanzen bewachsen, andere standen im Schatten großer Bäume und einer erhob sich auf einem Hügel, nahe des Sees, den man von dort weit überblicken konnte. Missmutig stellte er fest, dass ihn die Sätze aus dem Buch noch immer verfolgten. Er versuchte sie zu verscheuchen indem er sich zurück lehnte und sich auf die herrliche Stille konzentrierte. Doch dann hörte er noch genauer hin: Es war keine Stille. Die Nacht erzählte ihm eine weitere Geschichte, die ihn noch mehr fesselte. Das leise Rascheln der Blätter über seinem Kopf und das Rufen eines Käuzchens drang an sein Ohr. Frech leckte das Wasser an der Erde zu seinen Füßen und ließ ein schwaches Plätschern dabei hören, bis ein engelsgleiches Kichern alles übertönte. Er hob den Blick. Eine junge Frau, eine Dame, stand in einiger Entfernung zu ihm am Wasser und zupfte sich ihre Handschuhe von den Fingern. Sie ließ sie achtlos zu Boden fallen, raffte ihre Röcke und stieg quiekend in das kühle Nass. Immer weiter zur Mitte hin zog es sie. „Fräulein, um Himmels Willen, bleiben sie stehen!“, er war aufgesprungen und sein Stock wirbelte wild hinter ihm her, wie er in ihre Richtung eilte. „Fräulein, bitte kommen sie zurück. Sie werden sich erkälten“, bat er, doch sie ließ nur ein glockenhelles Lachen hören. Das Wasser erreichte mittlerweile ihren Bauch. Der Mond warf gleißend sein Licht über ihre anmutige, fremde Gestalt. Dunkle Korkenzieherlocken, wie es im Augenblick Mode bei den jungen Damen war, türmten sich aufgesteckt an ihrem Hinterkopf und kringelten sich um hübsche das Gesicht mit den hellen Augen. Ihr Mund formte ein amüsiertes und herausforderndes Lächeln. Solle er ihr doch folgen und sie zurück holen, wenn er konnte. Missmutig stützte er sich auf seinen Spazierstock, bis er im weichen Boden stecken blieb und entledigte sich seiner Schuhe, Strümpfe und seines Cuts. Sie würde sich in ihrer wunderschönen Dummheit noch ihre Gesundheit endgültig ruinieren, wenn er sie nicht schleunigst ins trockene und warme Haus brachte. Was tat sie eigentlich auf seinem Grundstück und wie hielt sie diese Kälte nur aus? Diese Fragen und ähnliche schwirrten ihm durch den Kopf. Sie musste einfach verrückt sein. Ein Schaudern durchlief seinen Körper, als er in den See stieg und ihr zur Spiegelung des großen silbernen Himmelskörpers folgte. Doch je näher er ihr kam, desto weiter wagte sie sich hinein. Dann schloss sich das Wasser auch um die letzte Haarsträhne. Ratlos wandte er sich um, suchte die bewegte Oberfläche ab. Nichts. Sie tauchte auch nach einigen Minuten nicht wieder auf. Frustriert und verzweifelt watete er wieder in Richtung seiner Schuhe, die nur wie zwei noch dunklere Flecken am Ufer auf ihn warteten. Hinter ihm klatschte etwas im Wasser auf und er warf den Kopf herum. Im selben Moment zog etwas an seinen Füßen. Es riss daran und er verlor das Gleichgewicht. Vor seinem Körper teilte sich das Wasser und stürzte in die dunklen Tiefen des Sees. Er spürte, wie das Wasser über ihm zusammenschlug. Das Etwas an seinem Fuß zog immer weiter, zog ihn weiter in die Mitte des Gewässers. Noch einmal konnte er auftauchen, um hastig nach Luft zu schnappen, ehe er wieder unter Wasser gezerrt wurde. Die Strahlen des Mondes waren nicht stark oder hell genug um seine rauschende, tosende Umgebung gänzlich zu erhellen. Allerdings sah er genug, dass er erkennen konnte, dass das etwas an seinem Fuß eine Hand war und dass es ihn immer tiefer in die Dunkelheit mitnahm. Die Luft wurde ihm allmählich knapp und er begann gegen die Hand anzukämpfen. Er strampelte und ruderte mit den Armen um wieder nach oben zu kommen. Eine Sekunde lang hatte er sich befreit, doch dann packte ihn die Hand erneut und eine zweite. Er blickte an sich hinab und war überrascht: Es war das Mädchen mit den hellen Augen. Selbst hier, unter der Wasseroberfläche, schienen sie von sich aus zu strahlen. Ihr Gesichtsausdruck war bittend. Er erstarrte, war zu keiner Regung mehr fähig. Ihre Augen nahmen ihn gefangen, bannten ihn, hielten seine Aufmerksamkeit strickt und weich gefangen. Zärtlich bewegte sich ihre Hand sein Bein hinauf und umfasste seine Kniekehle. Sie legte ihr Kinn auf seinen Bauch und die Hand um seinen Fuß löste sich, nur damit sich Sekunden später ein Arm um seine Taille legen konnte. Finger zeichneten seine Wirbelsäule nach und wanderten zu seinem Nacken. Beine legten sich um seine Hüften, umfingen ihn, wie die einer liebenden Frau. Sie blinzelte einmal und der Bann war gebrochen. Orientierungslos warf er den Kopf herum und fing wieder an zu strampeln. Druck hatte sich in seinen Ohren aufgebaut und in seiner Lunge. Wasser drang ihm in Nase und Mund ein. Seine Kleider waren nass und schwer. Er spürte, wie sie ihn mit dem Gewicht der Frau nach unten zerren wollten, die sich an ihn klammerte. Er musste es einfach schaffen sie beide zurück an die Oberfläche zu bringen. Wenigstens trug sie nichts, was sie nach unten... Entsetzt und überdeutlich spürte er die Beine. Da war kein Kleid, das sich vollsaugen konnte. Er zwang sich, nicht genauer hinzusehen, was sich da an ihn presste. Kleine Blasenströme entstanden durch seine Bewegungen. Verzweifelt und panisch sah er ihnen nach, wie sie in der Trübheit aufstiegen und dem Lichtfleck entgegen schwebten. Er drohte zu ersticken. Seine Lungen füllten sich immer mehr mit Wasser. Er musste husten und schluckte so nur noch mehr. Doch er wollte nicht aufgeben. Gräulich wirkende Finger berührten seine Lippen. Er riss sie herunter und stellte fast, dass sie Schwimmhäute hatte. Furchtsam versuchte er sich nun auch von der Frau wegzubewegen. Sie war kein Mensch, mit Sicherheit nicht. Eine Nixe? Eine Wasserhexe, ein Kelpie, eine Nymphe? Eine weibliche Stimme spornte ihn an: „Ja, strample so viel du willst! Wir lieben es, zu fühlen, wie voll ihr Menschen an Leben seid. Wir hungern nach der Wärme, die ihr habt. Nach dem Licht, der Liebe, die ihr euch entgegenbringt. Bleibe bei mir und leiste mir Gesellschaft. Ich werde es genießen zu spüren, wie sich deine sterbliche Hülle leert.“ Ihr Blick wurde traurig. „Und dann bin ich wieder allein...“ Damit wurde es auch schwarz um seine Augen, der Schleier legte sich nun vollends über seine Gedanken. Er wusste, dass es sein Ende war und doch wollte er es nicht akzeptieren. Mit letzter Kraft kämpfte er dagegen an und... fuhr hoch. Ein überraschtes Quieken zu seiner Rechten ließ ihn herumwirbeln und in das erschreckte Gesicht seiner Haushälterin blicken. „Was...?“, stammelte er. „Ihr seid gestern Abend hier im Salon eingenickt über eurem Buch, mein Herr. Ich habe die Kerze gelöscht und euch schlafen lassen, da ihr nicht wach zu bekommen wart.“ Er nickte dankbar, auch wenn noch etwas verwirrt. „Geht es euch nicht gut?“ Er schüttelte den Kopf: „Es... es war nur ein Albtraum.“ „Ihr solltet etwas frische Luft schnappen gehen, mein Herr. Das wirkt wahre Wunder!“, meinte sie und verbeugte sich kurz. Dann verschwand sie „Bücher“ murmelnd im Flur. Er beschloss, sich ihren Rat zu Herzen zu nehmen und machte sich auf den Weg zur Haustür. Es dämmerte und ein zartes, rosafarbenes Band säumte den Horizont mit all seinen dunklen Ausbuchtungen und Kanten. Er schlug den Weg zum See ein und lenkte seine Schritte zu dem kleinen Pavillon. Eine Weile stand er da und überblickte das munter plätschernde Wasser. Sein Traum hielt ihn noch immer stark gefangen, während er dem Morgenkonzert der Amseln und Meisen lauschte. Das schöne Gesicht der Dame ließen sich nicht vertreiben, ebenso wenig der Anblick ihrer unnatürlichen Augen. Er erinnerte sich, an das Gefühl zu ertrinken, an das Gefühl, nichts tun zu können während... Der Traum dominierte seine Gedanken, bis ihm etwas ins Auge fiel. Zögernd setzte er sich in Bewegung. Es war die Stelle, an der er in seinem Traum seine Schuhe zurück gelassen hatte. Irritiert fuhr er sich durch die Haare als er auf seinen Spazierstock und das Paar weißer Damenhandschuhe blickte, die dort auf der Erde lagen. Die Handschuhe waren aus Spitze und fein gearbeitet. Es waren solche, die eine gut situierte Dame zur Abendgarderobe tragen würde. Er hob sie auf und betrachtete sie stirnrunzelnd, als ein engelsgleiches Kichern in sein Bewusstsein drang... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)