Die vergessene Kommandantin von Kenja (Memoiren der Akari) ================================================================================ Kapitel 3: Die Sache mit Gin ---------------------------- Das Jahr war voller Überraschungen. Mein Bruder Yamachi und mein bester Freund Byakuya waren die Stars der Schule. Sie gehörten nicht nur zu zwei der mächtigsten Adelsfamilien von Seireitei, von denen sie eines Tages Familienoberhaupt werden würden, nein, sie glänzten auch mit außergewöhnlich guten Leistungen und nicht zuletzt ihrem guten Aussehen. Gerade Yamachi zog stets eine Schar Mädchen hinter sich her, die allen Mut zusammennahmen, ihn anzusprechen. Byakuya ahmte den strengen Blick seines Großvaters nach und schaffte es, sich seine Verehrerinnen so vom Leib zu halten. Kisuke und ich wiederum waren ebenfalls bekannt, weil wir in regelmäßigen Abständen von Ichimaru und Aizen zu Übungen und manchmal sogar zu kleineren Einsätzen mitgenommen wurden. Mit Gin verstanden wir uns mittlerweile so gut, dass die Anrede „Offizier Ichimaru“ nur noch sehr selten aus unseren Mündern zu hören war. Außerdem hatte man Kisuke einen Wissenschaftsraum errichtet, in dem er alle Werkzeuge und Materialien hatte, die er benötigte, um weitere Experimente durchzuführen. Ich besuchte ihn hin und wieder in seinem kleinen Labor, doch dort herrschte ein Chaos, das mich nervös machte. Aizen schien äußerst interessiert an Kisukes Erfindungen und wollte jede Einzelne davon sehen. Das alles war mir schon etwas suspekt. Manchmal hatte ich das Gefühl, etwas Undurchdringliches in Aizens Blick zu erkennen, ganz so als verberge er etwas. Doch ich redete mir ein, dass es bloße Einbildung war. Ich hätte wohl auf mein Bauchgefühl hören sollen? Aber ich vertraute Gin. Er war so oft in der Akademie und verbrachte seine Freizeit mit uns, dass ich hin und wieder vergaß, dass er eigentlich schon ein voll ausgebildeter Offizier war. Ein paar Monate nach dem Beginn des Schuljahres stellte er uns seine beste Freundin vor. Ich muss zugeben, dass ich in diesem Moment einen kleinen Stich der Eifersucht in meinem Bauch spürte, denn sie war in meinen Augen eine absolute Schönheit. Ihr volles Haar glänzte golden um das ebenmäßige Gesicht, die vollen Lippen waren zu einem frechen Grinsen verzogen und ich kam nicht umhin ihre unglaublich langen Wimpern zu bewundern, als sie uns zu zwinkerte. Es stellte sich heraus, dass sie eine unglaublich unterhaltsame Person war, und wir freundeten uns schnell an. So lernte ich Rangiku Matsumoto kennen. Sie war meine erste richtige Freundin. Seit ich mich erinnern konnte, hatte ich wenig Zeit mit anderen Mädchen verbracht. Nicht, weil ich mit Männern besser ausgekommen wäre. Es hatte zuvor einfach nie so richtig gefunkt. Meine ganze Kindheit hatte ich mit Byakuya und Yamachi verbracht und ich hatte nie etwas vermisst. Erst als ich Rangiku kennenlernte, fielen mir Dinge auf, die ich zuvor stets mit mir allein ausgemacht hatte und für die ich nun endlich eine Vertrauensperson hatte. Mit Rangiku an unserer Seite, wuchsen wir zu einer kleinen Gruppe heran, die viel Zeit zusammen verbrachte. Fast täglich trafen wir uns auf einer Wiese der Akademie zur Mittagspause. Wir hatten eine verschlissene Decke, die uns als Unterlage diente und teilten Essen untereinander, das wir mitbrachten. Auch an den Abenden, nach dem Unterricht fanden wir uns häufig an unserem Lieblingsplatz ein und tauschten uns aus. Wir waren wie eine kleine Familie, die sich gefunden hatte. Rangiku, Kisuke, Byakuya, Yamachi, Gin und ich. Ich erinnere mich noch gut an einen herbstlichen Nachmittag, Rangiku hatte gebackene Pflaumen mitgebracht, die wir gerade probierten, als eine Stimme mich aufschrecken ließ. „Akari“, ich sprang auf und da sah ich sie: meine Mutter in ihrem wunderschönen blauen Kimono und hochgestecktem Haar. Ich hatte mein Haar von ihr, das gleiche tiefe schwarz, genau wie auch Yamachi. „Mutter“, rief ich und rannte auf sie zu, ich drückte sie nur vorsichtig an mich. Ihr Gesundheitszustand ließ hemmungslose Umarmungen normalerweise nicht zu, doch sie sah wesentlich besser aus, als bei meinem Besuch vor einigen Tagen. „Was machst du denn hier?“, fragte ich sie erfreut, aber auch verwundert. „Ich hatte einige Dinge mit Ginrei zu besprechen und da dachte ich, ich schaue mich hier ein wenig um. Ich war ja nie hier.“ Meine Mutter war nicht zur Akademie gegangen. Ihr älterer Bruder war seinerzeit zum Shinigami ausgebildet worden, doch er brach zu einer Mission auf und kehrte nie zurück. Aus Angst, meiner Mutter könne das gleiche geschehen, verbot meine Großmutter ihr zur Akademie zu gehen. „Schön habt ihr es hier“, sagte sie mit einem zufriedenen Lächeln auf den Lippen, als sie meine Freunde auf der Decke musterte. Ich packte die Gelegenheit beim Schopf, nahm ihre Hand und zog sie zu der kleinen Gruppe heran. Byakuya stand sofort auf und gab meiner Mutter einen eleganten Handkuss, sie lächelte erfreut, es war eine alte Tradition. Byakuya begrüßte meine Mutter schon so, seit ich mich erinnern konnte. „Byakuya, gut siehst du aus“, stellte sie fest und Byakuya erwiderte das Kompliment. „Das sind Kisuke Urahara, Rangiku Matsumoto und Gin Ichimaru“, stellte ich die anderen vor und meine Mutter musterte sie alle nacheinander. „Es freut mich sehr, euch kennenzulernen. Doch nun werde ich euch mal nicht weiter stören, ich wollte Yamachi noch besuchen, ist er in seiner Schlafeinheit?“, fragte sie und ich nickte. Yamachi war an diesem Tag nicht zu unserem Treffen erschienen. Er konnte es gut verbergen, doch ich spürte, dass ihm der Lernstoff der Akademie und die gleichzeitige Belastung, die er als angehendes Familienoberhaupt hatte, zusetzten. Als meine Mutter fort war, hörte ich wie Gin einmal pfiff und Rangiku einen erstaunten Laut von sich gab. „Was ist?“, fragte ich sie und beide starrten mich mit großen Augen an, warfen sich einen kurzen Blick zu nur um mich dann wieder anzustarren. „Ich mein, wir wissen, dass du Miyazaki heißt, aber dass du zu DER Miyazaki Familie gehörst ... ich mein ... du hast das nie erwähnt!“, ich runzelte die Stirn und ein Lachen löste sich aus meiner Kehle. „Na ja woher sollte ich sonst Yamachi so gut kennen?“, fragte ich sie, während ich mich wieder auf die Decke setzte. „Er ist dein Bruder!?“, ich war mir nicht sicher, ob es eine Frage oder Feststellung war. Num – Gin und Rangiku hatten von der Beziehung zwischen Yamachi und mir wirklich noch nicht sehr viel mitbekommen, da er in den letzten Wochen oft fehlte bei unseren Treffen. „Ja, man sieht doch, dass wir Geschwister sind“, witzelte ich und Rangiku schien eine Zeit lang angestrengt nachzudenken. „Jetzt, wo du es sagst, ihr seht euch schon ähnlich.“ Gin lachte nur und machte Witze darüber, dass ich nicht gerade wie eine Adelige wirkte. „Wie wirkt man denn adlig?“, fragte ich amüsiert und Gin warf einen Blick zu Byakuya hinüber. „Versuch doch Mal, so ein Gesicht aufzusetzen.“ Bis auf Byakuya fanden wir das alle ziemlich lustig. Als wir in unsere Schlafeinheit kamen, rannte meine Mitbewohnerin auf mich zu. Ein freundliches Mädchen, mit dem ich jedoch nicht viel gemein hatte. Wir hatten kaum ein Wort gewechselt. „Hey Akari, ich bin umgezogen in Zimmer 1113, zu meiner Schwester“, erklärte sie und schien ein schlechtes Gewissen zu haben, doch ich redete ihr gut zu, dass es nicht so schlimm sei. „Sag mal, ihr wart doch in einem Zweibettzimmer?“, fragte Rangiku mich, die ihr Zimmer mit drei weiteren Mädchen teilen musste. Ich nickte. „Dann hast du wohl eine neue Mitbewohnerin“, sagte sie grinsend und es dauerte einen kurzen Moment, bis ich verstanden hatte. Ich grinste zurück. Innerhalb von einer halben Stunde hatten wir Rangikus Sachen aus dem großen Zimmer in meines gebracht und die Lehraufsicht darüber informiert. Normalerweise spielte ich diese Karte nicht aus, aber als Mitglied einer mächtigen Familie genoss ich schon das eine oder andere Privileg. Zum Beispiel waren die Zweibettzimmer für die Söhne und Töchter des Adels vorgesehen und als Mitglied eines der vier mächtigsten Adelshäuser wurde mein Wunsch, Rangiku als Mitbewohnerin zu haben, nicht ausgeschlagen. Als wir endlich in den Betten lagen, starrten wir eine ganze Weile stumm an die Decke und redeten nicht. „Also ist Yamachi dein Bruder... du gehörst zu diesem Adelspack“, neckte Rangiku mich und ich lachte. „Deshalb verstehst du dich mit Byakuya auch so gut“, sagte sie und warf mir ein freches Grinsen zu, Ihre Augenbrauen tanzten schelmisch in die Höhe. „Byakuya ist mein bester Freund und mehr auch nicht“, erklärte ich ihr lachend und auch sie musste etwas kichern. „Wenn Byakuya dein bester Freund ist, was sind dann Gin und Kisuke für dich?“, ihre Frage hallte noch lange in meinem Kopf nach, bis ich schließlich mit den Achseln zuckte. „Auch gute Freunde schätze ich…“ Byakuya war wie ein Bruder für mich, mein Ansprechpartner, mein Trainingspartner und der Mensch, dem ich neben Yamachi am meisten vertraute. Natürlich empfand ich eine tiefe Verbundenheit mit ihm, aber auch für Kisuke hatte mittlerweile eine Zuneigung entwickelt, die über eine einfache Bekanntschaft hinausging. Er war einfach vollkommen auf meiner Wellenlänge und wir harmonierten auf eine Art und Weise, die schon manchmal unheimlich war. Ich hätte mir keinen von ihnen wegdenken können. Gin hingegen war geheimnisvoll, stark und vor allem lustig, es machte einfach Spaß, in seiner Nähe zu sein, und doch herrschte zwischen uns noch eine gewisse Distanz. „Weißt du... ich komme aus Rukongai. Gin hat mich dort gefunden.“ „Gefunden?“ Rangikus Geschichte berührte mich zutiefst und zum ersten Mal verstand ich, dass Gin mehr für sie war, als ein bester Freund: Er war ihr Retter. Er hatte sie auf den Straßen von Rukongai gefunden, halb verhungert und kränklich. Ihre Stimme klang brüchig, während sie mir von ihrer Vergangenheit erzählte. „Der Tag, an dem er mich fand, hat er zu meinem Geburtstag ernannt, sonst hätte ich keinen“, sagte sie abschließend und ich wusste nicht, was ich dazu sagen sollte. Die Geschichte beschäftigte meine Gedanken noch, als Rangiku schon leise vor sich hin schnarchte. Dass es solche Zustände in Rukongai gab, hatte ich gewusst, doch so richtig bewusst geworden, wie viel Leid die Menschen dort draußen erleiden mussten, war es mir erst durch Rangiku. Die Geschichte hatte noch etwas anderes in mir bewirkt: Sie bestärkte meine Sympathie gegenüber Gin und ich realisierte, dass ich begann, eine tiefe Zuneigung für ihn zu empfinden. „Er ist ein guter Kerl, hm?“, flüsterte ich schließlich, unsicher, ob Rangiku noch wach war, doch ich hatte das Gefühl in der Dunkelheit ihr Lächeln zu spüren. Als die ersten Schneeflocken fielen, bereiteten wir ein Weihnachtsfest vor. In Seireitei gab es mehr Feiertage als sonst irgendwo auf der Welt. Das hatte einen einfachen Grund: Wir nahmen alle Feiertage der Lebenden, die uns gefielen und feierten sie. Weihnachten zählte jedoch zu meinen ganz persönlichen Favoriten. Große Tannenbäume wurden aufgebaut und geschmückt, Weihnachtsdekoration überall verteilt und ich liebte Lebkuchen. Die Akademie veranstalte am 24. Dezember immer eine Weihnachtsfeier, zu der auch die Familien eingeladen waren, sogar derer, die aus Rukongai kamen. Die Stimmung war familiär und ausgelassen. Sogar ein wenig Glühwein wurde bereitgestellt, da in Seireitei jeder als Erwachsen galt, der 16 oder älter war. Obwohl ich damit eigentlich noch zu jung war, erlaubte meine Mutter mir einen Becher des dampfenden Getränks und ich genoss den süßlichen Geschmack. Doch er benebelte meinen Kopf auch ein wenig. „Wow Akari, was ist denn mit dir los, dein Gesicht ist ja ganz rot“, lachte Kisuke mich aus und ich musste ebenfalls lachen. Alles schien mir unglaublich witzig zu sein. Eine ganze Zeit lang spielten wir ein altes Kartenspiel. Yamachi, unsere Mutter, Byakuya, Kisuke, Rangiku und ich. Byakuyas Großvater war nur kurz dort gewesen, um Byakuya zu seinen guten Leistungen zu beglückwünschen und ihm ein Geschenk zu überreichen. Byakuya betrachtete es lange, bevor er entschied, dass es ein gutes Geschenk war. „Eine Haarspange, ehrlich?“, fragte ich und musste mir ein Glucksen unterdrücken. „Das ist ein Kenseikan, ein Zeichen des Adels!“, erklärte Yamachi neben mir, der seinen Neid kaum verbergen konnte. „Es ist trotzdem eine Haarspange“, murmelte ich belustigt und stand vom Tisch auf. Ich verließ den Raum und durchquerte den Flur in Richtung der Toiletten, als ich merkte, dass mir jemand gefolgt war. „Gin“, er stand hinter mit und grinste wie eh und je. Ein seltsames Gefühl kribbelte durch meinen Körper. Nur wenige bunte Lichterketten an den Fenstern und Wänden spendeten Licht in den düsteren Flur und tauchte Gins Gesicht in bunte Flecken. Sein Blick richtete sich an die Decke und ich blickte ebenfalls hinauf. Ein grüner Büschel Geäst hing dekorativ direkt über unseren Köpfen. „Das ist ein Mistelzweig. Weißt du was das bedeutet?“, fragte er mich frech und ich starrte den Mistelzweig eine Weile sprachlos an. Mein Herz begann zu rasen, als ich die Bedeutung zu begreifen begann. Mein erster Gedanke war: Flucht. Doch dann hörte ich eine Stimme in mir, die mir leise ins Ohr flüsterte: Warum denn eigentlich nicht? Ich holte Luft, bevor mich der Mut verließ. „Na dann zeig mal, was du kannst, Herr Offizier“, sagte ich, und versuchte, dabei ebenso frech zu klingen, wie er. Für einen Moment war das sonst immer breite Grinsen auf seinem Gesicht verschwunden, doch er hatte sich schnell wieder gefangen. Er trat einen Schritt auf mich zu und ohne zu zögern presste er seine Lippen auf meine. Für eine Sekunde blieb die Welt um uns herum stehen. Der Geruch von frischen Wiesen und Zimt hing in meiner Nase, zweites kam wahrscheinlich von den Zimtplätzchen, die Rangiku gebacken hatte. Seine Lippen waren weicher, als ich es je für möglich gehalten hatte, und mein Bauch fühlte sich an, als würden hunderte von Spinnen darin herumkrabbeln. Ich weiß nicht mehr ganz genau, wie lange wir so dort standen, aber ich erinnere mich, dass wir uns voneinander lösten, als einige Jungs um die Ecke in den Korridor einbogen. Erschrocken drehte ich mich herum und verschwand auf die Damentoilette, wie ich es ursprünglich vorgehabt hatte. An diesem gesamten Abend ergab sich nicht einmal mehr die Möglichkeit, alleine mit ihm zu sprechen, und so landete ich irgendwann in meinem Bett. Hundemüde, verwirrt aber glücklich. Der nächste Tag war seltsam. Die Erinnerung an diesen Kuss ließ mich immer wieder nervös werden, mein Bauch rebellierte und ich spürte, wie mir die Hitze ins Gesicht stieg. Nachdem Yamachi einen Witz darüber gemacht hatte, dass ich wahrscheinlich zu viel Glühwein getrunken hatte, schoben alle anderen es ebenfalls darauf. Ich versuchte, alle Gedanken daran beiseitezuschieben. Heute gingen Yamachi und ich nach Hause und verbrachten die restliche, unterrichtsfreie Zeit mit unserer Mutter. Dafür packte ich gerade meine Sachen, als Rangiku hereinkam und mich eine Weile stumm anstarrte. „Was-“, begann ich, doch Rangiku unterbrach mich. „Frag nicht ‚was‘, erzähle mir lieber, wo du mit deinem Kopf die ganze Zeit bist! Irgendetwas stimmt nicht mit dir und ich werde es herausfinden!“ Und das meinte sie ernst. Sie ließ mich nicht in Frieden, bis ich mit gepacktem Rucksack die Schlafeinheit verließ und einige Jungen aus einer anderen Klasse vor uns standen. „Das ist doch die Kleine, die gestern unter dem Mistelzweig…“, kicherte der eine und stieß seinen Kumpel mit dem Ellenbogen an. Ich spürte, wie mein Gesicht hochrot anlief und beschleunigte meine Schritte. Rangiku eilte hinter mir her: „Mistelzweig? Du hast doch nicht etwa... Akari! Nein, mit wem?“, sie starrte mich so erwartungsvoll an, sodass ich gar nicht reagieren konnte. „Etwa doch Byakuya?“, witzelte sie und ich schüttelte heftig den Kopf. „Nein, um Himmels Willen nicht doch! Der war doch bei euch“, antwortete ich hastig und sie zog die Augenbrauen hoch. „Na klar, als du so lange weg warst... aber wer... Byakuya und Kisuke waren beide noch am Kartenspielen mit mir, also wer...?“, doch sie sprach die Frage nicht zu Ende aus. Einen Moment lang starrte sie mich nur an und erkannte es in meinen Augen, ihre erwartungsvolle Freude schien verflogen zu sein. Dann, als hätte man einen Schalter umgelegt, setzte sie wieder ein freudiges Grinsen auf und klopfte mir auf die Schulter. „Wow wer hätte das gedacht“, sagte sie und ihre Verabschiedung fiel etwas kurz aus. Ich hätte mich nicht unwohler fühlen können. Ich dachte an Rangikus Geschichte und wie nah sie Gin stand. Wie hatte ich nur übersehen können, dass sie vermutlich Gefühle für ihn hatte? Das schlechte Gewissen drängte sich immer wieder in den Vordergrund, doch ich verdrängte die Gedanken, zumindest so lange ich zu Hause war. Ich nahm mir aber fest vor, die Sache mit Rangiku zu klären, sobald ich an die Akademie zurückkehrte. Wir feierten Weihnachten mit unserer Mutter, auch Byakuya kam am Abend vorbei und aß mit uns. Sein Großvater war wieder unterwegs, Byakuya war es gewohnt, er hatte fast jedes Weihnachten mit uns verbracht, da sein Großvater noch nie viel von den Festlichkeiten der Lebenden gehalten hatte. Das ein oder andere Mal warf Byakuya mir einen seltsamen Blick zu, so als hätte auch er die Sache mit Gin mitbekommen, doch er sagte nichts. Er war zu höflich erzogen, um mich so in Verlegenheit zu bringen, zumindest solange meine Mutter dabei war. Zum Abschied warf er mir noch einen amüsierten Blick zu, bevor er ging. Einen Tag bevor wir zurück zur Akademie gingen, stieg die Nervosität wieder. Ich lag stundenlang wach im Bett und malte mir die unterschiedlichsten Szenarien aus: Gin, der mich an der Hand nahm und mich in aller Öffentlichkeit abknutschte, oder Gin, der mich komplett ignorierte und mich auslachte, wenn ich ihn danach fragte. ‚Das war doch nur wegen des Mistelzweigs, du dachtest doch nicht etwa...?’. Rangiku, die mir erklärte, dass unsere Freundschaft nun beendet war und mir sagte, ich sei eh nicht gut genug für einen Offizier oder Rangiku, die mir erklärte, dass sie nur Spaß gemacht hatte, und ich doch ruhig mit Gin etwas anfangen konnte – alle Versionen kämpften in meinem Kopf um Aufmerksamkeit. Meine Nervosität war so schlimm, dass ich mir fast wünschte, ich würde weder Gin, noch Rangiku begegnen. Doch als ein halber Schultag herum war und ich keinen von beiden getroffen hatte, spürte ich eine tiefe Enttäuschung. Wie seltsam Gefühle doch sind. Erst am späten Nachmittag, als ich allein auf einer Bank saß, hörte ich von weitem jemanden heranschreiten. Mein Herz raste, ich erkannte Rangikus kupferfarbenes Haar. Sie setzte sich zu mir und eine Weile blieben wir stumm. Ich dachte, ich sollte etwas sagen, doch ich wusste beim besten Willen nicht, was. „Hör Mal Akari, es tut mir leid, dass ich mich so seltsam benommen habe... Versteh das nicht falsch, es ist nicht, was du denkst“, begann sie plötzlich und ich traute mich immer noch kaum, sie anzusehen. „Es ist nur...“, fuhr sie fort und sah mir nun direkt in die Augen, „Gin ist die einzige Familie, die ich habe. Ich hatte immer Angst vor dem Tag an dem er... nun mich für eine neue Familie zurücklässt.“ Ihre Worte bewegten mich. Natürlich, Gin war nicht nur ihr bester Freund, sondern eine lange Zeit die einzige Konstante in ihrem Leben gewesen. „Also… hast du keine Gefühle für ihn?“, fragte ich erstaunt, Rangiku brach in Gelächter aus. „Bitte was? Nicht doch! So etwas…“, sie klopfte sich vor Lachen auf die Oberschenkel und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel. „Nein, ganz sicher nicht!“ Ich starrte sie an und sie sah mich aufrichtig lächelnd an. „Er hat mir schon vor sehr langer Zeit klargemacht, dass wir eine Familie sind, also habe ich niemals auch nur Ansatzweise in so eine Richtung gedacht, also wirklich, das ist es nicht Akari… aber er ist meine Familie und ich werde ihn beschützen, so wie er mich beschützt hat.“ In ihren Augen schimmerte eine Traurigkeit, die mich berührte. „Keine Sorge“, sagte ich bevor ich selbst darüber nachdenken konnte. „Ich habe nicht vor ihn dir wegzunehmen. Außerdem...“, auch ich blickte ihr jetzt tief in die Augen. „Außerdem?“, fragte sie und ich lächelte. „Außerdem gehöre ich jetzt auch zu deiner Familie. Immerhin teilen wir ein Zimmer und kochen zusammen.“ Sie lachte, wobei sich ein Schluchzen aus ihrem Inneren löste, ich stimmte in ihr Lachen mit ein und wir umarmten uns innig. Egal wie diese Sache mit Gin weitergehen würde, die Freundschaft mit Rangiku war mir zu wichtig geworden, um sie aufs Spiel zu setzen. „Ich glaube, ihr gäbt ein gutes Paar ab“, sagte sie plötzlich und ich wurde schon wieder rot. „Ach sag doch nicht so etwas...“, murmelte ich und Rangiku setzte wieder ihr schelmisches Grinsen auf. „Aber wieso denn nicht?“ „Na ja wir haben überhaupt nicht darüber geredet, weißt du, seit diesem Moment hatten wir keine Sekunde zu zweit...“ Rangiku stand auf und legte ihren Kopf schief. „Dann solltet ihr das jetzt nachholen“, mit einem Augenzwinkern ging sie davon und erst da merkte ich, dass Gin aufgetaucht war. „Das war ein aufregender Moment unter dem Mistelzweig“, sagte ich irgendwann, um die unheimliche Stille zu unterbrechen. „Oh ja, das war er wohl“ Gin grinste und beugte sich zu mir runter. Ich spürte, wie mein Herz zu klopfen begann. „Aber war es auch mehr?“, fragte er und ich spürte, wie ich rot anlief. „Ich… hab dich sehr gern, aber wir kennen uns noch nicht sehr lang“, brachte ich hervor und Gins Gesichtsausdruck wurde etwas ernster. Er war nun so nah an meinem Gesicht, dass ich seinen Atem auf meiner Haut spüren konnte. „Dann sollten wir uns besser kennenlernen… ich habe dich nämlich auch sehr gern, Akari.“ Unsere Lippen berührten sich erneut und ich ließ mich darauf ein. Gin war mein erster fester Freund. Anfänglich dauerte es eine Weile, bis wir uns sicher waren, dass wir das wirklich wollten, doch nach ein paar Wochen war es für uns beide fast unvorstellbar, wieder nur noch Freunde zu sein. Wir verbrachten selten Zeit zu zweit, da wir uns meist in der Gruppe aufhielten. Die ersten Kirschblüten läuteten jedoch eine Zeit ein, die ich zum größten Teil ganz allein verbrachte. Gin war eingespannt in seiner Arbeit als Offizier, Byakuya und Yamachi lernten wie die Verrückten für die schriftlichen Prüfungen, Rangiku, die schon ein Jahr länger an der Akademie war als wir, lernte bereits für ihre ersten praktischen Prüfungen und Kisuke verkroch sich in seinem Labor. Ich begann mich mit einigen weiteren Leuten anzufreunden, doch es war gar nicht so einfach, Leute zu finden, bei denen sich nicht schon nach kurzer Zeit herausstellte, dass sie entweder nur aufgrund meines Adelstitels oder der Tatsache, dass ich mit einem Offizier liiert war, an einer Freundschaft mit mir interessiert waren. Da wünschte ich mir manchmal fast die Snobs von der Benimmschule zurück, die alle von hoher Geburt waren und deren offene Verachtung mir lieber war, als die Heuchelei einiger Studenten. Immerhin fand ich einen neuen Freund, dem sowohl mein Beziehungsstatus als auch mein Adelstitel total egal waren und ich genoss seine Gesellschaft sehr. „Ach die werden schon wieder aus ihren Löchern kriechen, solche Phasen durchlebt jede Freundschaft“, erklärte er mir beim Mittagessen, als ich wieder darüber jammerte, wie wenig Zeit meine Freunde für mich hatten. Er stand kurz vor seiner Abschlussprüfung, wirkte aber im Gegensatz zu allen anderen überhaupt nicht gestresst. „Ja wahrscheinlich“, murmelte ich und er stand auf, zerzauste mir mit der Hand die Haare und ging in Richtung Tablettabgabe davon. „Kopf hoch, Akari.“ „Bereite du dich lieber auf deine Prüfung vor Shin“, antwortete ich mit einer Gabel im Mund und beobachtete, wie Shin nur abwinkte. Er hatte wirklich die Ruhe weg, aber den Gerüchten zufolge war er auch begabt wie kein anderer. Wahrscheinlich würde er sofort nach der Prüfung einen Offiziersplatz belegen. Die restliche Zeit verbrachte ich größtenteils damit, Rangiku beim Training zu helfen. Mir tat es gut einige meiner Grundkenntnisse aufzufrischen und gleichzeitig einer guten Freundin damit zu helfen. Wir kochten viel zusammen und kreierten dabei die seltsamsten Gerichte. Die anderen waren nicht begeistert von den meisten, doch uns schmeckte es. Nach einigen Wochen kam Gin endlich von seinem Einsatz zurück, es fühlte sich an, als hätten wir uns eine Ewigkeit nicht gesehen. Byakuya, Yamachi, Kisuke, Rangiku und ich begrüßten ihn, doch bis auf Rangiku und mich verschwanden alle wieder recht schnell. „Was ist denn mit denen los?“, fragte Gin verwundert. Rangiku und ich zuckten nur mit den Achseln und erzählten ihm von den letzten Wochen. Als die Prüfungen vorbei waren, führte das unsere kleine Gruppe wieder zusammen, bis auf Kisuke, der sich noch immer in seinen Erfindungen verkroch. An einem besonders sonnigen Tag verlor ich die Geduld. Ich machte einen blöden Spruch und den niemand kommentierte und ein Hauch von Wut und Enttäuschung flammte in mir auf: Kisuke hatte eigentlich stets einen noch blöderen Spruch auf Lager. Er fehlte in unserer Gruppe und ich wollte seine konstante Abwesenheit nicht länger kommentarlos dulden. Ich sprang auf die Beine und stapfte davon. Es war Zeit, ihn aus seinem Loch zu holen. Geradewegs marschierte ich in das Labor. Es war ein großer Raum, der rundum weiß gefliest war, überall standen Werkzeuge und Reagenzgläser, aber auch andere seltsame Dinge herum, die ich nicht einordnen konnte. Kisuke saß an einem Schreibtisch und starrte vor sich hin, vor ihm lag ein Sandwich, dass er nicht angerührt hatte. „Kisuke“, er erschrak. Meine Stimme hallte von den kahlen Wänden wieder und war lauter, als ich beabsichtigt hatte. „Ach Akari, ich habe dich gar nicht kommen hören“, murmelte er und rieb sich die Augen. Mir war aufgefallen, dass er seit einiger Zeit meinem Blick auswich. „Kisuke das geht so nicht weiter!“, rief ich und Kisuke blinzelte mich verwundert an. „Was meinst du?“ Ich ging auf ihn zu und spürte, dass seine Abwesenheit mich wirklich traurig gemacht hatte. Er gehörte zu uns und ich vermisste ihn als Mitglied unserer Gruppe. Ich vermisste meinen guten Freund, mit dem ich so viele wirre Gedanken teilte. „Du verkriechst dich hier und zeigst dich überhaupt nicht mehr, ich mein was ist denn los mit dir? Ich dachte, wir wären Freunde!“ Er sagte nichts, starrte nur eine Weile sein Sandwich an. Gerade als ich dachte, er würde gar nicht mehr reagieren, schaute er zu mir hoch und das erste Mal seit Ewigkeiten sahen wir uns in die Augen. „Du hast Recht Akari, es tut mir leid. Ich muss mir mehr Zeit für euch nehmen.“ In seinem Blick lag etwas Trauriges, das ich nicht deuten konnte. „Kisuke... du kannst mit mir reden, wenn dich etwas belastet“, bat ich ihm an und für einen kurzen Moment huschte ein trauriger Ausdruck über sein Gesicht. Dann jedoch setzt er ein Lächeln auf. „Danke, Akari“, aus irgendeinem Grund kribbelte es unangenehm ihn meinem Bauch, als er meinen Namen aussprach. „Aber ich habe mich wohl nur etwas überarbeitet.“ Er stand auf, schnappte sich sein Sandwich und stolperte, ich fing ihn halb auf, das Sandwich landete auf dem Boden und für einen Moment waren sich unsere Gesichter sehr nah. „Hoppala… danke…“ sagte er leise und erneut spürte ich dieses seltsam kribbelige Gefühl in mir. Ich ließ ihn los und versuchte, die Situation mit einem Lachen wieder aufzulockern. „Du musst wohl wirklich dringend ins Bett“, brachte ich hervor, er lachte und kratzte sich am Hinterkopf. „Da hast du wohl Recht.“ Am nächsten Tag gesellte er sich das erste Mal seit Monaten wieder zu uns zum Essen. Erst nahm er nur zaghaft an den Konversationen teil. Es dauerte ein paar Tage, bis er wieder vollends der Alte zu sein schien. Ich konnte mit ihm wieder herum scherzen wie früher und unsere Gruppe war endlich wieder komplett. Wir waren vollständig, eine kleine Freundesgruppe, die unterschiedlicher nicht hätte sein können und doch zu einer Art Familie heranwuchs. So vergingen einige Jahre des Glücks. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)