(In)Konsequent von Kerstin-san ================================================================================ Kapitel 1: (In)Konsequent -------------------------                                                                                                                         ~ Dezember 1986 ~   Mollys Dilemma beginnt sich schon früh in ihrer Kindheit abzuzeichnen. Bewusst kommt das Thema zum ersten Mal in der zweiten Klasse zur Sprache. Es ist Dezember und alle Kinder sollen einen Wunsch, den sie für das neue Jahr haben, auf einen Zettel schreiben. Die Zettel werden anschließend wieder eingesammelt und in einem Jahr erneut ausgeteilt, um festzustellen, ob sich der Wunsch erfüllt hat. Molly bereitet es keinerlei Schwierigkeiten einen Wunsch zu formulieren. Sie weiß ganz genau, was sie sich für das neue Jahr wünscht. Deshalb prangt in großen und etwas ungelenken Buchstaben auf ihrem Zettel: „Ich möchte von allen gemocht werden.“   Als Molly ihrer Mutter später davon erzählt, ist diese ziemlich verwundert. Sie hatte den Eindruck, dass ihre Tochter keine größeren Probleme mit den anderen Kindern hat. Wie sich herausstellt, ist das auch nicht der Fall. Es gibt nur einen Jungen, der Molly immer wieder ärgert. „Dabei weiß ich gar nicht warum, ich bin immer nett zu ihm, wie zu allen anderen auch, aber er mag mich einfach nicht.“ Molly klingt niedergeschlagen und ihre braunen Augen blicken hilfesuchend zu ihrer Mutter. „Warum ist das so, Mama?“ Erstaunlich, wie ein so simples „Warum“ einen Erwachsenen völlig aus dem Konzept bringen kann. Wie erklärt man seinem Kind, dass es völlig normal ist, nicht von allen gemocht zu werden? Misses Hooper entscheidet sich dafür ihrer Tochter einen ehrlichen Rat zu geben. „Weißt du Schatz, es wird immer Menschen geben, die dich besser oder schlechter leiden können. Das ist ganz normal und daran kann man auch nicht viel ändern.“ Als sie Tränen in den Augen ihrer Tochter schimmern sieht, die diese hartnäckig zurückzuhalten versucht, streicht sie ihr liebevoll durch das Haar und nimmt sie in den Arm. „Du darfst dir so etwas nicht zu sehr zu Herzen nehmen, Molly. Denk an die vielen Leute, denen du wichtig bist und verbieg dich nicht für jemand anderen, in Ordnung?“ Ihre Tochter nickt zustimmend und Misses Hooper hält die Sache damit für erledigt. Das heißt aber nicht, dass Molly das Ganze deshalb auf sich beruhen lässt. Es ist schließlich ihr Wunsch für das kommende Jahr, deshalb wird sie alles dafür tun, damit er in Erfüllung geht.   Es ist nicht weiter verwunderlich, dass Mollys Vorhaben den gegenteiligen Effekt hat. Im Bemühen es Thomas in allem Recht zu machen und immer besonders hilfsbereit zu sein - denn wer kann schon etwas gegen hilfsbereite Menschen haben? - , erreicht sie nur, dass dieser sie für eine riesige Klette und Nervensäge hält und noch genervter und unfreundlicher als zuvor ist.   Als die Zettel im nächsten Jahr zurückgegeben werden, zerknüllt Molly wütend ihren alten Wunsch und feuert ihn in den Mülleimer. Für das nächste Jahr nimmt sie sich etwas Neues vor: Sich nicht mehr für andere zu verbiegen.   Wie sich im Laufe der Zeit herausstellt, wird auch dieser Wunsch nicht von Erfolg gekrönt sein. Er wird sich dennoch wie ein roter Faden durch ihr ganzes Leben ziehen.                                                                                                                             ~ Mai 2009 ~   „Ich habe jetzt keine Zeit für Sie, Sherlock.“ Molly sieht ihm dabei nicht in die Augen, sondern mehr in die Richtung seines Hemdkragens. „Kommen Sie morgen wieder. Meine Schicht beginnt um 08:00 Uhr.“   Konsequent sein, ermahnt sie sich. Ihr neuer (alter) Vorsatz. Sherlock beobachtet sie mit leicht zur Seite geneigtem Kopf. „Ich weiß wirklich nicht, warum Sie sich überhaupt diese Mühe machen, Molly.“ Er klingt fürchterlich gelangweilt und sie kann ihm nicht wirklich folgen. „Was... Was meinen Sie?“ Frustrierenderweise stammelt sie diese Frage. Wieder einmal. Wie fast immer, wenn sie sich mit ihm unterhält.   Ihr Gegenüber macht sich nicht die Mühe sie anzusehen, als er antwortet. Er tippt vielmehr in rasender Geschwindigkeit auf seinem Handy herum. Und seufzt. „Das wissen Sie doch ganz genau.“ Mit gerunzelter Stirn starrt er weiterhin auf den Bildschirm. „Im Endeffekt geben Sie mir doch immer was ich will. Also tun sie uns doch beiden einen Gefallen und hören Sie auf unsere -“ Er starrt sie kurz prüfend an „Nun ja, eher meine kostbare Zeit zu verschwenden.“ Molly kann ihn nur entsetzt anstarren, was er aber glücklicherweise nicht zu bemerken scheint, da er nach wie vor anderweitig beschäftigt ist. Leider ist ihr Glück nur von kurzer Dauer. Schlussendlich steckt Sherlock sein Telefon weg und sieht sie auffordernd an. Dann scheint selbst er zu bemerken, dass irgendetwas nicht stimmt. „Was?“, fragt er gereizt. Als sie immer noch nicht reagiert, scheint ihm ein neuer Gedanke zu kommen. „War das jetzt unhöflich?“   Das Schlimme ist, dass er wirklich so klingt, als wäre er sich keiner Schuld bewusst. Die einzige Reaktion die Molly daher zustande bringt, ist es, sich kommentarlos umzudrehen und ärgerlich davonzugehen. Sie will verdammt sein, wenn sie diesem egoistischen Mistkerl noch einmal einen Gefallen tut!   Wen wundert es, dass Sherlock eine Woche später vor der Pathologie steht und sie ihm - ganz entgegen ihres guten Vorsatzes - genau das gibt, was er will? Die traurige Antwort ist: Niemand von beiden. Molly nicht, weil sie sich selbst gut genug kennt, um zu wissen, dass sie ihre Wut nie länger als zwei Tage aufrechterhalten kann und Sherlock nicht, weil ihn ja sowieso nie etwas überraschen kann.   Die Wahrheit ist, dass Molly sich schon Sorgen gemacht hat, dass sie ihn für immer vertrieben hat. Ist das nicht wirklich erbärmlich? Wie sehr sie an ihm hängt und von ihm abhängig ist? Obwohl sie ihn kaum kennt. Eigentlich sollte er sich für sein Verhalten entschuldigen, nicht wahr? Aber Molly weiß, dass ihm das nicht im Traum einfallen würde. Vermutlich weiß er noch nicht einmal, dass er - aus ihrer Sicht - etwas falsch gemacht hat und selbst wenn, denkt sie traurig, dann wäre es ihm wahrscheinlich auch egal.   Manchmal, überlegt sie, manchmal wäre es einfacher, wenn sie nur etwas mehr wie er wäre. Nicht, dass sie gerne seinen scharfen Verstand hätte, obwohl das sicher auch nicht zu verachten wäre, aber es würde ihr schon reichen, wenn sie seine Fähigkeit zur Ignoranz besäße. Wenn es ihr nur egal sein könnte, was andere Leute - und besonders Sherlock - von ihr halten und über sie reden. Aber das Leben ist kein Wunschkonzert und gerade sie scheint prädestiniert dafür zu sein, nie zu bekommen, was sie sich wünscht. Deshalb wird Molly immer nur die kleine, unscheinbare und naive Pathologin bleiben. Zu nett. Zu unsicher. Zu unauffällig. Zu hilfsbereit.   Traurig, aber wahr.                                                                                                                             ~ März 2010 ~   Molly hat sich schon den ganzen Morgen auf ihre Mittagspause gefreut. Sie hat einen Bärenhunger. Die Frage ist nun: Fleisch oder Nudeln? Bevor sie sich zu einer Entscheidung durchringen kann, erhält sie allerdings überraschend Gesellschaft. Es ist Sherlock. Sie kann sich nicht erinnern, ihn jemals in der Cafeteria gesehen zu haben. Aber wie sich schnell herausstellt, ist der weltweit einzige Consulting Detective nicht zum Essen hier. Es geht wie immer nur um seine Arbeit. Als er Molly die Namen der Leichen nennt, die er sucht, stutzt diese kurz. Kann es Zufall sein, dass diese Leichen ausgerechnet auf ihrer Liste stehen? Seine Bitte, ihm die beiden Körper noch einmal zu zeigen, ist im Vergleich zu seinen sonstigen Forderungen nicht ungewöhnlich. Aber trotzdem, im Moment ist ihre Mittagspause und sie hat wirklich Hunger. Aber Sherlock lässt sich nicht so einfach abwimmeln. Und einen Moment später hat Molly eine der seltsamsten Unterhaltungen mit ihm, seit sie ihn kennt. Sherlock Holmes redet mit ihr über Haare. Genauer gesagt über ihre Haare. Über ihre Haare, die ihm heute anscheinend aufgefallen sind und die gut aussehen. Während sie ein glückliches Lächeln zu verbergen versucht, packt Sherlock sie an ihren Schultern und schiebt sie Richtung Ausgang und ehe Molly sich versieht, steht sie in der Leichenhalle und sucht die toten Körper, die Sherlock sehen will.   Ihr hungriger Magen knurrt.   Sie fühlt sich wie eine Idiotin.                                                                                                                             ~ Heiligabend 2010 ~   Für den heutigen Abend hat sich Molly besonders viel Mühe gegeben. Sie hat ein neues Kleid besorgt, ihrem Make-Up ungewöhnlich viel Zeit gewidmet und sich bei den Geschenken extra viel Mühe gegeben. Besonders mit einem.   Aber an diesem Abend läuft nichts wirklich wie geplant. Sherlock ist sein übliches, deduzierendes Selbst, der sie zu ihrem Entsetzen völlig vor allen anderen bloß stellt. Falls irgendjemand noch nicht wusste, wie vernarrt sie in diesen Mann ist und wie wenig Sherlock von ihr zu halten scheint, dann wissen es spätestens jetzt alle. Molly hat sich noch nie so gedemütigt gefühlt. „Immer sagen Sie solche furchtbaren Dinge. Jedes Mal. Immer. Immer.“ Ihre Stimme bricht und sie hat das Gefühl, dass sie gleich vor allen Anwesenden in Tränen ausbrechen wird. Das wäre dann wohl der krönende Abschluss für den Verlauf dieses unsäglichen Abends.   Aber dann tut Sherlock etwas völlig unerwartetes. Er entschuldigt sich und wirkt wirklich so, als würde er seine vorherige Aussage bedauern. „Es tut mir leid. Verzeihen Sie mir. Frohe Weihnachten, Molly Hooper.“ Dazu haucht er ihr noch einen Kuss auf die Wange. Molly kann ihn nur ungläubig ansehen. Und mit einem Mal ist es wieder da. Dieses Gefühl. Die Hoffnung. Dass jetzt alles anders wird. Für genau drei Sekunden. Bis dieser Handyton erklingt und Molly klar wird, dass sie etwas Entscheidendes verpasst haben muss.   Als Molly am frühen Morgen aus der Pathologie nach Hause kommt, fühlt sie sich zerschlagen. Auf diesen schrecklichen Abend ist eine fast genauso schreckliche Nacht gefolgt. Die eine Frage, die sich Molly die ganze Zeit stellt, ist: Wer war diese Frau? In welcher Beziehung standen sie und Sherlock zueinander? Molly ist nicht dumm, ihr ist klar, was es heißen muss, wenn Sherlock sie an Hand ihres nackten Körpers identifizieren konnte. Aber dennoch, es will nicht in ihren Kopf herein. All die Jahre hat sie sich nicht allzu viel dabei gedacht, dass er ständig alleine war. Und jetzt stellt sich heraus, dass es da doch jemanden gab.   Molly kann das hässliche Gefühl sofort bestimmen, das sie durchströmt. Eifersucht.                                                                                                                             ~ Juni 2011 ~   Molly hat einen harten Arbeitstag hinter sich. Das Einzige, was sie im Moment möchte, ist endlich nach Hause zu gehen, zu duschen und anschließend in ihr kuscheliges Bett zu fallen. Ihr hätte klar sein sollen, dass aus diesem Plan nichts wird. Sherlocks Stimme, die plötzlich aus der Dunkelheit ertönt, erschreckt sie fast zu Tode.   „Wissen Sie, Sie irren sich. Sie zählen sehr wohl. Sie haben immer gezählt und ich habe Ihnen stets vertraut.“ Er zögert kurz, ehe er sich zu ihr umdreht. „Aber Sie hatten Recht. Es geht mir nicht gut.“ Molly fühlt sich hilflos.Wie kann sie ihm helfen? „Sagen Sie mir, was los ist.“ Sherlock erhebt sich von seinem Stuhl, ehe er die vernichtenden Worte spricht. „Molly, ich glaube, ich werde sterben.“ Sie fühlt sich, als würde man ihr den Boden unter den Füßen wegziehen. Was soll man auf so eine Aussage erwidern? Aber dann kommt ihr der Gedanke, dass es eher im übertragenen Sinne zu verstehen sein könnte und das wiederum heißt... „Was brauchen Sie? Sagen Sie's?“   Er sieht verloren aus. Fast gebrochen. Unsicher und hilflos. „Wenn ich nicht ganz der wäre, für den Sie mich halten und nicht ganz der wäre, für den ich mich halte, würden Sie mir trotzdem noch helfen wollen?“ Molly hat ihn in all den Jahren noch nie so gesehen. Aber er ist hier und bittet um Hilfe. Er bittet sie um Hilfe. Wie könnte sie die ihm je verweigern? Mollys Stimme zittert kein bisschen, als sie die entscheidende Frage noch einmal stellt: „Was brauchen Sie?“ Sherlocks Blick scheint sie zu durchleuchten, als er langsam auf sie zuschreitet und ihr Gesicht intensiv studiert. „Sie“, ist die simple Antwort.   Mit einem Mal durchströmt sie ein warmes Gefühl. Es ist selten, dass Mollys Mitmenschen ihr Vertrauen entgegenbringen. Aber er vertraut ihr.   Denn er hat von allen Menschen ausgerechnet sie ausgewählt. Nicht John, den er mehr als jeden anderen Menschen schätzt und auch nicht seinen Bruder, den Molly für die einflussreichste und mächtigste Person hält, die sie kennt. Nein, er hat sich stattdessen an Molly gewandt. An die kleine, unscheinbare, naive Pathologin.   Da ist sie sich sicher und kann es ihm glauben. Sie zählt für ihn. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)